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Sex wurde in den vergangenen Jahrhunderten in fast allen Kulturen dämonisiert. Statt diese natürliche Energie auszuschöpfen, verkrampfen wir uns. Osho lehrt einen Umgang mit Sex, der gesund, natürlich und spielerisch ist, frei von Schuld und Unterdrückung. Osho zeigt, wie wir Sex als wichtige Stufe unserer langen Reise zu größerer Selbstbewusstheit und Lebensfreude nutzen können.
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Seitenzahl: 656
OSHO
Sex – dasmissverstandeneGeschenk
Sexualität, Liebe und höheres Bewusstsein
Aus dem Englischenvon Peter Kobbe
Buch
Sex, die natürlichste Energie des Menschen, wurde in den vergangenen Jahrhunderten in fast allen Kulturen dämonisiert. Statt diese rudimentäre Energie auszuschöpfen, welche die Natur benutzt, um das Überleben von Mensch und Tier zu sichern, verkrampfen wir uns, unterwerfen sie rigiden Regeln und nehmen ihr damit ihre Lebendigkeit.
»Sex – das missverstandene Geschenk« zeigt eine Perspektive, die gesund, natürlich und spielerisch ist, die einen Sex frei von Schuld und Unterdrückung zelebriert. Wo sich andere Bücher auf Stellungen und stimulierende Spiele konzentrieren, bietet Osho Einsichten in die psychologischen und spirituellen Dimensionen der Sexualität. Er zeigt, wie wir Sex als wichtige Stufe unserer langen Reise zu größerer Selbstbewusstheit und Lebensfreude nutzen können, wenn wir ihn als Geschenk der Natur akzeptieren.
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»Sex Matters. From Sex to Superconsciousness«.
Die Texte dieser Ausgabe sind zusammengestellt aus verschiedenen Vorträge und Gesprächen Oshos. Einige von ihnen waren bereits in einer früheren amerikanischen Ausgabe unter dem Titel »From Sex to Superconsciousness« veröffentlicht worden.
OSHO® ist ein eingetragenes Trademark der Osho International Foundation.
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Deutsche Erstausgabe Juni 2005 © 2005 der deutschsprachigen Ausgabe Wilhelm Goldmann Verlag, München in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München. © 2002 Osho International Foundation, www.osho.com Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagbild: Kartenmotiv »Sex« von Punja, aus dem Osho Transformation Tarot, © 1999 Osho International Foundation Porträtfoto von Osho auf der Rückseite: Osho International Foundation Gesetzt aus der Stone Serif Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach Verlagsnummer: 21713 Redaktion: Anja Schmidt WL · Herstellung: CZ
ISBN 978-3-641-25595-4V001
www.randomhouse.de
Frage: Warum macht das Thema Sex die Leute so verlegen? Warum ist es ein so großes Tabu?
Antwort: Ganz einfach deswegen, weil die Menschen seit Jahrhunderten ihr Sexualleben unterdrücken. All die religiösen Propheten und die Messiasse und die Erlöser haben ihnen eingeredet, dass Sex Sünde sei.
Meinem Verständnis nach ist Sex eure einzige Energie; Sex ist Lebensenergie. Was ihr damit macht, hängt von euch ab. Sex kann zur Sünde werden, und er kann euch zum höchsten Bewusstsein führen. Es hängt ganz von euch ab, wie ihr die Energie nutzt.
Es gab eine Zeit, da wir keine Ahnung hatten, wie man Elektrizität nutzen kann. Elektrizität war immer vorhanden – zum Beispiel als Blitz – und tötete Menschen, aber jetzt ist sie unsere Dienerin. Sie tut alles, was ihr wollt. Sex ist Bioelektrizität. Die Frage ist nur, wie man sie nutzt. Der oberste Grundsatz ist, den Sex nicht zu verurteilen. Sobald ihr irgendetwas verurteilt, könnt ihr es nicht nutzen.
Man sollte Sex als eine normale, natürliche Gegebenheit im Leben akzeptieren – genauso wie den Schlaf, den Hunger, wie alles andere.
Außerdem kann man Sex mit Meditation verknüpfen, und wenn man das fertig bringt, verändert er sich radikal.
Sex ohne Meditation kann nur wieder Kinder hervorbringen. Sex mit Meditation kann eure eigene Neugeburt bewirken, kann euch zu einem neuen Menschen machen.
Frage: Beim Meditieren Sex haben?
Antwort: Ja. Oder sag es lieber anders: beim Liebemachen meditieren. Weil ja schon eine kleine Veränderung einen großen Unterschied …
In einem Kloster unterhielten sich einmal zwei Mönche – während der allabendlichen Freizeit, in der sie ein bis zwei Stunden meditieren und spazieren gehen durften. Sie sprachen darüber, ob Rauchen wohl zulässig wäre, da es ja nicht ausdrücklich verboten war, hatten aber dennoch Bedenken und waren daher der Meinung, dass es besser sei, den Abt zu fragen.
Am nächsten Tag war einer der beiden Mönche ganz durcheinander und wollte seinen Augen nicht trauen – wie er den anderen daherkommen sah, rauchenderweise. Er rief aus: »Ja, wie gibt’s denn das? Ich hab den Abt gefragt: ›Darf ich beim Meditieren rauchen?‹ Er hat geantwortet: ›Auf keinen Fall!‹ und war sehr aufgebracht. Aber du rauchst. Hast du ihn nicht gefragt?«
Der andere Mönch sagte: »Ich hab auch gefragt, aber andersherum: ›Darf ich beim Rauchen meditieren?‹ Er antwortete: ›Das ist eine großartige Idee. Wozu Zeit vergeuden? Wenn du beim Rauchen zugleich meditieren kannst, ist das großartig. Tu das!«
Ich will also nicht sagen, dass ihr beim Meditieren Sex haben sollt, sondern vielmehr, dass ihr beim Liebemachen meditieren sollt. Während man Liebe macht, ist man in einem der friedvollsten, ruhigsten, harmonischsten Zustände – in denen das Meditieren am leichtesten fällt. Sobald ihr einem orgastischen Erleben näher kommt, setzen eure Gedanken aus, ihr werdet eher zu einer Energie, flüssiger, und pulsiert am ganzen Körper. Und das ist der Moment, in dem ihr hellwach eure Achtsamkeit auf alles richten solltet, was da vor sich geht – das Pulsieren; der Orgasmus, der immer näher rückt, mit dem bewussten Zeitpunkt, nach dem ihr nicht mehr zurückkönnt. Nehmt einfach wachsam wahr. Dies ist die heimlichste und innerste Wachsamkeit; wenn ihr das beobachten könnt, könnt ihr alles andere im Leben beobachten, denn Sex ist die intimste und spannendste Erfahrung.
Ich habe da ein kleines Buch geschrieben. Der Titel des Buches lautet From Sex to Superconsciousness (Vom Sex zum Überbewusstsein), aber dem Überbewusstsein hat niemand irgendwelche Beachtung geschenkt, sondern nur dem Sex; und seine bisherigen Leser sind allesamt Mönche und Nonnen – aller Religionen! Ich habe vierhundert Bücher über alle möglichen Gegenstände und Themen geschrieben, die für Mönche, für Wahrheitssuchende von immenser Bedeutung sind. Aber nein – das Problem ist, dass sie leiden, und ihr Leid rührt von ihrer unterdrückten, verdrängten Sexualität her.
Frage: Du hast gesagt, dass bloßer Sex nur immer mehr Kinder hervorbringt; aber was bringt man hervor, wenn man den Sex mit Meditation verknüpft?
Antwort: Ihr bringt euch selbst neu hervor. Ihr werdet feststellen, dass ihr, so wie ihr seid, nicht vollendet seid. Es gibt höhere Stufen eurer Intelligenz, eurer Bewusstheit; während ihr diese höheren Stufen der Intelligenz und der Bewusstheit hervorzubringen beginnt, werdet ihr euch wundern: euer Interesse an Sex beginnt zu schwinden, weil dieser jetzt etwas weitaus Größeres hervorbringt als Leben: Er bringt Bewusstheit hervor. Leben ist etwas Niedrigeres; Bewusstheit ist etwas Höheres. Und seid ihr erst einmal imstande, Bewusstheit hervorzubringen, dann gibt es keine Schranke mehr, derentwegen ihr nicht Liebe machen dürftet, aber das Liebemachen wird euch sehr fade vorkommen. Es wird euch keine Freude bereiten, es wird euch wie schiere Energieverschwendung erscheinen. Ihr würdet eure Energie lieber dazu verwenden, in euch selbst immer höhere Bewusstseinspyramiden zu erschaffen, bis ihr den höchsten, äußersten Punkt erreicht, den ich Erleuchtung nenne.
Frage: Also ist alles, was ohne Bewusstheit stattfindet, Sünde – würdest du das möglicherweise behaupten?
Antwort: Tatsächlich bedeutet schon das Wort »Sünde« im ursprünglichen Sinn »Achtlosigkeit«; es ist sehr schön, sich das vor Augen zu halten.
Bewusstsein bedeutet Erinnerung, Gewahrsein, und Sünde bedeutet Nicht-Gewahrsein, Achtlosigkeit.
Aber ich werde das Wort »Sünde« nicht verwenden, weil es von all den Religionen verwendet und verunreinigt worden ist. Ich werde in diesem Zusammenhang einfach von Unbewusstheit, von Achtlosigkeit reden – was ja dem ursprünglichen Sinn des Wortes entspricht.
Frage: Und was ist Tugend?
Antwort: Bewusstheit, größeres Gewahrsein.
Frage: In Bezug auf alles?
Antwort: In Bezug auf alles. Und wenn ihr erst einmal voll bewusst, total wach seid, ist euer ganzes Leben »tugendhaft«; alles, was ihr tut, hat dann ein Aroma der Reinheit, einen Duft des Göttlichen.
Was ist Liebe?
Sie zu leben und zu erfahren ist sehr leicht, aber sie in Worte zu fassen, ist schwierig. Es ist so, wie wenn man einen Fisch fragte: »Was ist das Meer?« Der Fisch würde antworten: »Das da ist das Meer! Es ist überall ringsum, an jedem Fleck.« Aber wenn ihr nicht lockerlasst – »Definiere bitte das Meer, zeig nicht bloß darauf« –, dann wird die Aufgabe für den Fisch wirklich schwierig.
Auch im Leben der Menschen kann alles, was gut, alles was schön, und alles, was wahr ist, nur gelebt, nur erfahren werden. Man tut sich sehr schwer damit, es zu definieren, darüber zu reden. Unglücklicherweise wurde etwas, das die Menschen schon immer hätten leben sollen – etwas, das eigentlich dazu da ist, gelebt zu werden –, die vergangenen fünf oder sechs Jahrtausende über nur beredet. Die Liebe wird besprochen und erörtert, Liebeslieder werden gesungen, erbauliche Liebeshymnen werden gesungen, aber die Liebe selbst hat keinen Platz im Leben der Menschen.
Wenn wir tief im Menschen nachforschen, werden wir feststellen, dass kein anderes, von ihm gebrauchtes Wort unwahrer ist als »Liebe«. Und das Bedauerlichste ist, dass er ebenjene, die eigentlich die Liebe verfälscht und all die Ströme der Liebe blockiert haben, für die Urheber der Liebe hält. Die Religion redet über Liebe – aber die Art von Liebe, die den Menschen bisher wie eine Unglückswolke umgibt, hat nur sämtliche Zugänge zur Liebe in seinem Leben verschlossen.
In dieser Hinsicht gibt es keinen grundlegenden Unterschied zwischen dem Osten und dem Westen, zwischen Indien und Amerika. Der Fluss der Liebe ist bei den Menschen noch nicht zum Vorschein gekommen. Und wir schreiben den Menschen selbst die Schuld daran zu, oder wir lasten es dem Verstand an. Wir sagen, dass die Menschen schlecht seien, oder dass der Verstand das reine Gift sei, und ebendeshalb fließt keine Liebe in unserem Leben. Der Verstand ist kein Gift; genau jene, die ihn als Gift verteufeln, haben in Wirklichkeit die Liebe vergiftet und nicht zugelassen, dass sie zur Welt kommt. Nichts auf dieser Welt ist Gift. Nichts in der gesamten Existenz ist Gift; alles ist Nektar. Die Menschen sind es, die diesen ganzen Nektar in Gift verwandelt haben, und die Hauptschuldigen sind die so genannten Lehrer, die so genannten Heiligen, die so genannten Religiösen.
Es ist wichtig, dies in allen Einzelheiten zu begreifen, denn wenn dies nicht klar erfasst wird, gibt es keine Chance für die Liebe im Leben irgendeines Menschen – nicht einmal in der Zukunft.
Fortwährend benutzen wir genau jene Dinge als Fundament der Liebe, die bislang dafür verantwortlich waren, dass die Liebe zutage treten konnte. Völlig falsche Prinzipien werden seit Jahrhunderten wiederholt und stets von neuem durchexerziert, und durch diese Wiederholung gelingt es uns nicht, ihre grundlegenden Mängel zu erkennen. Im Gegenteil: Menschen werden für verkehrt, für nicht in Ordnung gehalten, weil sie nicht in der Lage sind, die Bedingungen jener Prinzipien zu erfüllen.
Der Mensch von heute ist das Produkt einer Kultur, die fünf-, sechs- oder zehntausend Jahre alt ist. Aber dem Menschen wird das Verkehrtsein angelastet, nicht der Kultur. Der Mensch verkommt, aber die Kultur wird gepriesen. »Unsere großartige Kultur, unsere großartige Religion« – alles ist »großartig«. Und dieser Mensch ist das Ergebnis davon!
Aber nein, der Mensch ist verkehrt, und er sollte sich gefälligst ändern. Niemand wagt es aufzustehen und zu fragen, ob die Kultur und die Religion, denen es in zehntausend Jahren nicht gelungen ist, die Menschen mit Liebe zu erfüllen, vielleicht selbst verkehrt sein könnten. Und wenn sich in den vergangenen zehntausend Jahren die Liebe nicht entfaltet hat – wie stehen dann die Chancen, dass, auf der Basis dieser Kultur und dieser Religion, die Liebe die Menschen jemals erfüllen wird? Etwas, das in den vergangenen zehntausend Jahren nicht erreicht werden konnte, wird auch in den kommenden zehntausend Jahren nicht zu erlangen sein. Der Mensch von heute wird auch morgen der gleiche sein. Die Menschen waren immer gleich und werden gleich bleiben, und doch fahren wir fort, unsere Kultur und unsere Religionen zu preisen und Heilige in den Himmel zu heben. Wir sind nicht einmal bereit, auch nur in Betracht zu ziehen, dass unsere Kultur und Religion auf dem Irrweg sein könnten.
Also ich sage euch: Sie sind es. Und der Mensch von heute ist der Beweis dafür. Welchen Beweis soll es denn sonst noch geben? Wenn wir einen Samen säen und die Frucht giftig und bitter ist, was beweist das dann? Es beweist, dass schon der Same giftig und bitter war. Natürlich lässt sich nur schwer vorhersagen, ob ein bestimmter Same bittere Früchte hervorbringen wird oder nicht. Ihr könnt ihn euch sorgfältig ansehen, ihn zerquetschen oder aufbrechen, und dennoch erlangt ihr damit keine Gewissheit, ob die Frucht bitter sein wird oder nicht. Sät einen Samen aus; ein Gewächs wird sprießen. Jahre werden vergehen, ein Baum wird emporstreben, er wird seine Zweige gen Himmel ausbreiten, er wird Früchte tragen – und erst dann werdet ihr in Erfahrung bringen, ob der Same, der eingepflanzt wurde, bitter war oder nicht.
Der heutige Mensch ist die Frucht der Samen von Kultur und Religion, der Samen, die vor zehntausend Jahren gesät und seitdem immerzu gehegt wurden. Die Frucht ist bitter; sie ist konfliktgeladen und hasserfüllt. Aber wir fahren fort, diese Samen zu preisen, und wir glauben immer noch, dass die Liebe aus ihnen hervorgehen wird.
Ich sage euch: Das wird nicht geschehen; denn das grundlegende Potenzial für die Entstehung der Liebe ist durch die Religionen zerstört worden. Sie haben es vergiftet. Bei den Vögeln, Tieren und Pflanzen, die weder Religion noch Kultur haben, kann man mehr Liebe entdecken als bei den Menschen. Bei den rückständigen Stammesangehörigen aus dem Dschungel – die über keine voll entwickelte Religion, Zivilisation oder Kultur verfügen – kann man mehr Liebe entdecken als bei den so genannten progressiven, kultivierten und zivilisierten Menschen von heute.
Warum werden die Menschen immer ärmer und ärmer an Liebe, je zivilisierter und kultivierter sie werden, je mehr sie unter den Einfluss der Religionen geraten, je mehr sie in die Tempel und Kirchen gehen, um dort zu beten? Dafür gibt es zweifellos Gründe, und ich möchte zwei davon erörtern. Wenn man die begreifen kann, lassen sich die blockierten Ströme der Liebe freisetzen und der Fluss kann wieder fließen.
Die Liebe existiert im Innern eines jeden Menschen. Man braucht sie nicht von irgendwoher hineinzubringen. Sie ist nichts, wonach man irgendwo anders suchen müsste. Sie ist da. Sie ist das schiere Verlangen nach Leben im Innern eines jeden. Sie ist der schiere Duft des Lebens im Innern eines jeden. Aber sie ist auf allen Seiten von hohen Mauern eingeschlossen und außerstande, in Erscheinung zu treten. Ringsum sie sind Felsen, und der Strom kann nicht fließen.
Die Suche nach Liebe, das Lieben selbst könnt ihr nicht lernen, indem ihr irgendwo hingeht, wo man es euch beibringt.
Ein Bildhauer arbeitete an einem Steinblock. Ein Besucher, der gekommen war, um zuzusehen, wie eine Statue gemacht wird, sah keine Spur von einer Statue, sondern nur einen Stein, der hier und dort mit einem Meißel und einem Hammer bearbeitet wurde. »Was treiben Sie da?«, fragte der Besucher. »Haben Sie denn nicht vor, eine Statue zu machen? Ich bin hergekommen, um mir anzusehen, wie eine Statue gemacht wird, aber ich sehe nur, wie Sie einen Stein behauen.«
Der Künstler sagte: »Die Statue ist bereits darin verborgen. Man braucht sie nicht zu machen. Man muss nur irgendwie die nutzlose Masse Gestein, die um sie herum ist, von ihr abtrennen, und dann kommt die Statue zum Vorschein. Eine Statue wird nicht gemacht, sie wird nur freigelegt. Sie wird ans Licht gebracht.«
Die Liebe ist in den Menschen verborgen; sie muss nur freigesetzt werden. Die Frage ist nicht, wie man sie hervorbringt, sondern nur, wie man sie freilegt. Es gibt etwas, womit wir uns selbst zugedeckt haben, etwas, das es der Liebe nicht erlaubt, zutage zu treten.
Versucht mal, einen praktischen Arzt zu fragen, was Gesundheit ist. Es ist sehr merkwürdig, aber kein Arzt auf der Welt kann euch sagen, was Gesundheit ist! Die ganze medizinische Wissenschaft befasst sich mit der Gesundheit, aber es gibt niemanden, der imstande wäre zu sagen, was Gesundheit ist. Wenn ihr einen Arzt fragt, wird er antworten: »Ich kann Ihnen nur sagen, welches die Krankheiten sind und was für Symptome sie haben. Ich kenne die verschiedenen Fachausdrücke und Beschreibungen für jede einzelne Krankheit. Aber die Gesundheit? Von der Gesundheit verstehe ich nichts. Ich kann nur sagen, dass Gesundheit das ist, was übrig bleibt, wenn keine Krankheit vorhanden ist.« Das ist deswegen so, weil die Gesundheit in den Menschen verborgen ist. Sie übersteigt unsere Fähigkeit, sie zu definieren.
Krankheit kommt von außen; folglich kann man sie definieren. Gesundheit kommt von innen; folglich kann man sie nicht definieren. Wir können nur sagen, dass das Fehlen von Krankheit Gesundheit ist. Aber das ist keine Definition von Gesundheit; direkt, positiv habt ihr damit nichts über die Gesundheit ausgesagt. In Wirklichkeit braucht Gesundheit nicht erzeugt zu werden. Sie ist entweder durch irgendeine Erkrankung verborgen, oder sie zeigt sich, wenn die betreffende Erkrankung vergeht oder auskuriert wird. Die Gesundheit ist in uns. Gesundheit ist unser inneres Wesen.
Die Liebe ist in uns. Liebe ist unser inneres Wesen. Daher ist es grundverkehrt, die Menschen aufzufordern, Liebe zu kultivieren. Das Problem ist nicht, wie man Liebe kultiviert, sondern wie man herausfindet, warum die Liebe nicht zum Vorschein kommen kann. Was behindert sie? Was bereitet ihr Schwierigkeiten? Worin besteht die Barriere?
Gibt es keine Barrieren, dann kommt die Liebe zum Vorschein. Man braucht sie nicht zu lehren oder zu erklären. Jeder Mensch wäre von Liebe erfüllt, wenn ihm keine Barrieren verkehrter Kultur und falscher Konditionierungen aufgezwungen würden. Es ist schlichtweg unvermeidlich: Niemand kann der Liebe ausweichen. Die Liebe ist unser innerstes Wesen.
Der Ganges fließt aus dem Himalaja. Es ist sein Wesen, zu fließen; er ist lebendig, er führt Wasser, er fließt, und er findet seinen Weg zum Ozean. Er muss keinen Polizisten oder Priester darum bitten, ihm den Weg zum Ozean zu weisen. Habt ihr je einen Fluss gesehen, der an einer Straßenkreuzung stand und einen Polizisten fragte, wo es zum Ozean geht? Nein, die Suche nach dem Ozean liegt in seinem Sein verborgen. Und er hat Energie, also wird er die Berge und Felsen aufbrechen, die Ebenen überqueren und den Ozean erreichen. Wie weit weg der Ozean auch sein mag, wie verborgen der Ozean auch sein mag, der Fluss wird ihn sicher finden. Und der Fluss hat keinen Reiseführer, keine Landkarte bei sich, zur Orientierung, wohin er ziehen muss – doch er kommt ganz bestimmt an.
Aber angenommen, Dämme werden in seinem Verlauf errichtet? Angenommen, hohe Mauern werden überall rings um den Fluss gebaut. Was dann? Ein Fluss überwindet und durchbricht natürliche Barrieren; werden hingegen Barrieren mithilfe menschlicher Technik errichtet, dann kann es sein, dass er den Ozean nicht erreicht.
Es ist wichtig, sich diesen Unterschied klar zu machen. Keine Barriere der Natur ist tatsächlich eine Barriere; deshalb erreicht ein Fluss den Ozean. Die Berge durchschneidend erreicht er den Ozean. Wenn hingegen Menschen Barrieren erfinden, Menschen Vorkehrungen treffen, können sie einen Fluss darin hindern, den Ozean zu erreichen.
In der Natur gibt es eine fundamentale Einheit, eine Harmonie. Die natürlichen Hindernisse, die offensichtlichen Hindernisse, denen man in der Natur begegnet, sind vielleicht Herausforderungen, die Energie mobilisieren sollen; sie fungieren als Provokation, die an das appellieren, was im Wesen latent ist. Wir säen einen Samen; es sieht so aus, als drückte die Schicht Erde über dem Samen ihn nieder, als hemmte sie sein Wachstum. Doch das ist nicht der Fall; ist diese Schicht Erde nicht da, dann kann der Samen nicht keimen. Dem äußeren Anschein nach hält die Schicht Erde den Samen einfach beständig niedergedrückt, doch eigentlich drückt sie auf den Samen, damit er weich werden, sich aufspalten und in einen Spross transformieren kann. Äußerlich sieht es so aus, als behinderte die Erdkrume den Samen, doch die Erdkrume ist nur eine Freundin; sie hilft dem Samen dabei zu wachsen.
Die Natur ist eine Harmonie, ein rhythmischer Zusammenklang. Aber die Künstlichkeit, die die Menschen der Natur aufgezwungen haben, die Dinge, die die Menschen obendrein konstruiert haben, und die mechanischen Vorrichtungen, die die Menschen in den Lebensstrom geworfen haben, haben Hindernisse geschaffen. Viele Flüsse haben zu fließen aufgehört, und dann lastet man es dem Fluss an. Es gibt keinen Grund, einem Samen etwas anzulasten. Wenn er nicht zu einer Pflanze heranwächst, kommen wir zu dem Schluss, dass der Erdboden womöglich nicht geeignet war, dass der Same vielleicht nicht genug gewässert wurde oder dass er möglicherweise nicht genug Wärme abbekommen hat. Aber wenn in jemandes Leben die Blumen der Liebe nicht blühen, sagen wir: »Du bist verantwortlich dafür.« Niemand bedenkt, dass diese besondere Pflanze möglicherweise aufgrund von ungeeignetem Erdboden, Wasserknappheit oder einem Mangel an Wärme nicht gediehen ist, sich nicht entwickelt hat und nicht zu blühen vermochte.
Die Grundhemmnisse sind künstlich fabriziert, sind von Menschen geschaffen. Anderenfalls ist der Fluss der Liebe dazu bestimmt, zu fließen und den Ozean des Lebens zu erreichen. Die Menschen sind hier, damit sie als Liebe fließen und Göttlichkeit erlangen können.
Welches sind die künstlichen Hindernisse, die wir errichtet haben? An erster Stelle steht die Tatsache, dass die gesamte menschliche Kultur bis zum heutigen Tag gegen Sex, gegen Leidenschaft ist. Dieser Widerstand, diese Verneinung hat die Geburt der Liebe in den Menschen ganz und gar unmöglich gemacht.
Die einfache Wahrheit ist, dass Sex der Ausgangspunkt jeder Reise zur Liebe ist. Der Geburtsort der Reise zur Liebe – das Gangotri der Liebe, die Quelle, der Ursprung des Ganges der Liebe – ist der Sex. Doch jeder ist dem Sex feindselig gesinnt – alle Kulturen, alle Gurus, alle heiligen Männer. Für sie ist typisch, dass sie das Gangotri selbst, die eigentliche Quelle, attackieren, und der Fluss wird genau dort angehalten: »Sex ist Sünde … Sex ist gottlos … Sex ist Gift.« Und es kommt uns nie in den Sinn, dass es die sexuelle Energie ist, die sich letztendlich zur Liebe umformt und transformiert.
Die Entfaltung der Liebe basiert voll und ganz auf der Transformation von Sexualenergie. Beim Anblick eines Stücks Kohle käme euch nie der Gedanke, dass diese Kohle sich in einen Diamanten transformieren könnte. Es gibt keinen wesentlichen Unterschied zwischen Kohle und Diamant. Die Grundbestandteile sind gleich. Nach einem Tausende von Jahren dauernden Wandlungsprozess wird Kohle zum Diamant.
Aber Kohle gilt nicht als wertvoll. Wird Kohle in einem Wohnhaus aufbewahrt, so wird sie an einem Ort eingelagert, wo Gäste sie nicht zu sehen bekommen. Diamanten werden um den Hals getragen, damit jeder sie sehen kann. Diamanten und Kohle sind gleich, aber es scheint keine sichtbare Beziehung zwischen den beiden zu geben, kein Gewahrsein, dass sie zwei Punkte auf einer Reise sind, die ein und derselbe Grundstoff macht. Wenn ihr gegen Kohle seid – was sehr wahrscheinlich ist, da sie ja auf den ersten Blick nicht mehr zu bieten hat als schwarzen Staub – ist es mit der Möglichkeit ihrer Transformation in einen Diamanten auch schon aus und vorbei. Doch die Kohle selbst ist es, die man in einen Diamanten hätte transformieren können.
Gleichermaßen ist es die sexuelle Energie, die sich in Liebe transformiert. Aber jeder ist gegen sie, ist ihr feindlich gesinnt. Eure so genannten guten Menschen sind gegen sie. Und dieser Widerstand hat nicht einmal das Sprießen des Samens zugelassen. Er hat den Palast der Liebe in seinem Fundament zerstört, im allerersten Ansatz. Die Kohle wird nie zu einem Diamanten, weil die für ihren Transformationsprozess benötigte Akzeptanz fehlt. Wie kann denn etwas transformiert werden, gegen das wir feindselig eingestellt sind, dem wir ablehnend gegenüberstehen, womit wir ständig kämpfen?
Man hat die Menschen gegen ihre eigene Energie aufgehetzt. Man hat sie aufgehetzt, gegen die Sexualenergie anzukämpfen. Oberflächlich betrachtet bringt man den Menschen bei, das Aufgeben aller feindlichen Auseinandersetzungen, aller Kämpfe, aller Streitigkeiten zu unterstützen. Aber tief drinnen bringt man ihnen vor allem bei zu kämpfen: »Der Verstand ist Gift, also kämpfe dagegen an – das Gift muss man bekämpfen. Sex ist Sünde, also kämpfe dagegen an.« Und oberflächlich betrachtet fordert man uns auf, alle feindlichen Auseinandersetzungen aufzugeben! Genau jene Lehren, die dem inneren Zwist und Streit des Menschen zugrunde liegen, fordern ihn auf, jedweden Zwist und Streit aufzugeben! Einerseits die Leute wahnsinnig machen, und andererseits Anstalten eröffnen, um sie zu behandeln. Einerseits Krankheitskeime verbreiten, und andererseits Kliniken bauen, um die Kranken zu behandeln.
Es ist sehr wichtig, sich in diesem Zusammenhang eines klar zu machen: Menschen können niemals vom Sex, von der Geschlechtlichkeit abgetrennt werden. Sex ist ja die Quelle des eigenen Lebens; man geht aus ihm hervor. Die Existenz hat die Energie der Geschlechtlichkeit als den Ausgangspunkt der Schöpfung akzeptiert, und eure heiligen Männer nennen sie sündhaft – etwas, das aus der Sicht der Existenz keineswegs Sünde ist! Wenn ihr Gott für den Schöpfer haltet, und wenn Gott den Sex als Sünde betrachtet, dann gibt es keinen größeren Sünder auf dieser Welt als Gott, keinen größeren Sünder in diesem Universum als Gott.
Ihr seht eine Blume in voller Blüte stehen – habt ihr je bedacht, dass das Blühen einer Blume ein Akt der Leidenschaft ist, eine geschlechtliche Handlung? Was geschieht, während die Blume blüht? Die Schmetterlinge setzen sich auf sie, um ihren Blütenstaub, ihr Sperma, zu einer anderen Blume zu tragen. Ein Pfau tanzt in voller Pracht – ein Dichter besingt es mit Liedern, eure Heiligen werden gleichfalls bei diesem Anblick von Freude erfüllt. Aber sind sie sich denn nicht darüber im Klaren, dass der Tanz ein offenkundiger Ausdruck der Leidenschaft ist, dass er in erster Linie eine geschlechtliche Handlung ist? Der Pfau tanzt, um seine Geliebte zu verführen. Der Pfau winkt und lockt seine Geliebte, seine Gattin her. Der Vogel singt, der Pfau tanzt, ein Junge ist zu einem Jugendlichen geworden, ein Mädchen ist zu einer bildschönen Frau herangewachsen – das alles sind Ausdrucksformen sexueller Energie. Das alles sind unterschiedliche Manifestationen sexueller Energie. Alles Leben, aller Ausdruck, alles Blühen ist im Grunde Sexualenergie. Und gegen diese Sexualenergie gießen Religionen und Kulturen Gift in den Verstand der Menschen. Sie versuchen, die Menschen in einen Kampf gegen diese Energie hineinzuziehen. Sie haben die Leute in diesen Kampf verwickelt, der gegen ihre eigene Grundenergie gerichtet ist; darum sind sie armselig, erbärmlich, liebesleer, falsch, sie sind Niemande geworden.
Man braucht mit dem Sex nicht zu kämpfen, man sollte vielmehr ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm herstellen und den Strom des Lebens zu den höchsten Höhen erheben.
Beim Segnen eines neu vermählten Paares sagte ein upanishadischer Weiser zur Braut: »Mögest du die Mutter von zehn Kindern werden, und möge letztendlich dein Ehemann zu deinem elften Kind werden.« Wird Leidenschaft transformiert, dann kann die Ehefrau zur Mutter werden; wird geschlechtliche Begierde transformiert, dann kann Sex zu Liebe werden. Es ist nur sexuelle Energie, die sich zur Liebesenergie entfaltet.
Aber wir haben die Menschen mit Feindschaft gegen den Sex erfüllt, und die Folge davon ist, dass sich bei ihnen nicht nur die Liebe nicht entfaltet hat – denn Liebe ist eine Entwicklung, die über die sexuelle Energie hinausführt, und kann sich nur einstellen, indem man diese akzeptiert –, sondern dass ihr Denken aufgrund dieses Widerstandes gegen den Sex immer sexueller geworden ist. All unsere Lieder, all unsere Poesie, all unsere Kunstwerke und Gemälde, all unsere Tempel und die Statuen darin sind schon seit langem direkt oder indirekt auf nur ein Thema ausgerichtet: Sex. Unser Denken kreist um Sex. Kein Tier auf der Welt ist in der Weise sexuell, wie die Menschen es sind. Die Menschen sind rund um die Uhr sexuell, ob sie nun wach sind oder schlafen, sitzen oder gehen – Sex bedeutet ihnen alles. Wegen der Feindseligkeit gegenüber dem Sex, wegen dieses Widerstandes und dieser Verdrängung, Unterdrückung ist das Geschlechtliche zu einem Geschwür in ihrem Wesen geworden.
Man kann nicht von etwas frei sein, das schlichtweg die Wurzel des eigenen Lebens ist. Aber durch diesen ständigen inneren Zwist kann das gesamte eigene Leben erkranken – und das ist ja auch eingetreten. Eure so genannten Religionen und Kulturen sind im Grunde für die exzessive Sexualität verantwortlich, die an der Menschheit so augenfällig ist. Es sind nicht »schlechte Menschen«, sondern »gute Menschen« und Heilige, die dafür verantwortlich sind. Erst wenn sich die ganze Menschheit von diesem verwerflichen Tun seitens religiöser Führer und »guter Menschen« befreit, kann Liebe entstehen.
Ich erinnere mich an einen Vorfall: Eines Tages verließ ein so genannter heiliger Mann gerade sein Haus – er hatte vor, Freunde zu besuchen –, als er am Tor einen Freund aus seiner Kindheit traf, der gekommen war, um ihn zu besuchen. Der heilige Mann sagte: »Willkommen! Aber wo hast du all die Jahre gesteckt? Komm rein! Ich habe Freunden versprochen, sie zu besuchen, und es wäre schwierig, diesen Termin zu verschieben; also ruh dich erst mal aus in meinem Haus. Ich bin in etwa einer Stunde wieder da. Ich komme bald zurück, und dann können wir ausgiebig miteinander plaudern. Schon seit Jahren hab ich mich drauf gefreut, dich eines Tages wiederzusehen.«
Der Freund erwiderte: »Oh, nein, wär’s nicht besser, wenn ich mit dir käme? Meine Kleidung ist sehr schmutzig, aber wenn du mir irgendetwas Frisches geben könntest – dann zieh ich mich um und komme mit dir mit.«
Irgendwann einmal hatte ein reicher Mann dem heiligen Mann ein paar wertvolle Kleidungsstücke geschenkt, und die hatte er für eine besondere Gelegenheit aufbewahrt. Erfreut holte er sie hervor. Sein Freund zog den kostbaren Mantel an, setzte den Turban auf und schlüpfte in die schönen Schuhe. Er sah wie ein König aus! Der heilige Mann wurde beim Anblick seines Freundes ein bisschen neidisch; im Vergleich zu ihm sah er wie ein Dienstbote aus. Er begann sich zu fragen, ob er da einen Fehler begangen hatte, indem er sein bestes Outfit weggab, und er begann, sich minderwertig zu fühlen. Jetzt würde sich die Aufmerksamkeit aller seinem Freund zuwenden, dachte er, und er selbst würde wie ein Gehilfe, wie ein Dienstbote erscheinen. Mit den Sachen, die er heute anhatte, würde er den Leuten wie ein Bettler vorkommen.
Er versuchte, sich innerlich zu beruhigen, indem er sich vergegenwärtigte, dass er ein Mann Gottes war, jemand, der dauernd von Gott, der Seele und edlen Dingen spricht. Welche Bedeutung hat denn schließlich ein eleganter Mantel oder ein kostbarer Turban? Soll’s doch sein, wie es nun mal ist – was können diese Dinge groß ändern? Aber je mehr er sich ihre Bedeutungslosigkeit einzureden versuchte, desto mehr fixierte er sich innerlich auf den Mantel und den Turban.
Äußerlich versuchte er, sich mit seinem Freund über andere Themen zu unterhalten, aber innerlich umkreiste sein Verstand den Mantel und den Turban. Die Passanten, denen sie unterwegs begegneten, hatten nur Augen für seinen Freund und nicht für ihn – obwohl sie doch zu zweit waren. Die Sache begann ihn zu deprimieren.
Sie kamen bei dem Haus der Freunde an, und er stellte seinen Freund vor: »Das ist mein Freund Jamaal, ein Freund aus meiner Kindheit. Er ist ein ganz reizender Mensch.« Und urplötzlich platzte er heraus: »Und die Kleidung? Die gehört mir!«
Der Freund war perplex. Auch ihre Gastgeber waren erstaunt: Was war denn das für ein verrücktes Verhalten? Dem heiligen Mann wurde gleichfalls klar, dass die Bemerkung deplatziert gewesen war, aber nun war es schon zu spät. Er bereute seinen groben Fehler – und unterdrückte noch mehr, was ihn innerlich insgeheim beschäftigte.
Als sie das Haus verließen, entschuldigte er sich bei seinem Freund.
Der Freund sagte: »Ich war echt perplex! Wie konntest du so etwas sagen?«
Der heilige Mann sagte: »Tut mir Leid. Es war bloß ein Versprecher.«
Aber die Zunge vertut sich nie. Manchmal rutschen einem Worte einfach so heraus, aber auch das passiert nur, wenn einem etwas durch den Sinn geht; die Zunge vertut sich nie. Er sagte: »Verzeih mir. Das war wirklich ein Versehen. Ich weiß gar nicht, wie mir so was über die Lippen kommen konnte.« Aber er wusste ganz genau, wie es passiert war: Der Gedanke war unkontrolliert aus seinem Innern hervorgeschnellt.
Sie machten sich auf den Weg zum Haus eines weiteren Freundes. Nun schärfte sich der heilige Mann ständig ein, nicht zu erwähnen, dass die Kleidung ihm gehöre; er wappnete sich innerlich dagegen. Als sie am Tor zum Domizil des Freundes anlangten, fasste er den festen Entschluss, dass er nicht sagen werde, dass die Kleidung ihm gehöre.
Dem armen Mann war nicht klar, dass sich das Gefühl, er müsse sagen, die Kleidung gehöre ihm, nur umso stärker in ihm festsetzte, je entschiedener er beschloss, nichts darüber zu sagen. Warum werden denn solche festen Entschlüsse gefasst? Wenn jemand einen festen Entschluss fasst, wie beispielsweise bei einem Keuschheits- oder Zölibatsgelübde, bedeutet das nur, dass die Sexualität rasend von innen andrängt. Wozu sonst bräuchte es einen Entschluss? Fasst jemand den Entschluss, weniger zu essen oder eine bestimmte Zeit lang zu fasten, impliziert das, dass die betreffende Person ein tiefes Verlangen hat, mehr zu essen. Solche Bemühungen führen unweigerlich zu einem inneren Konflikt. Das, wogegen wir ankämpfen wollen, ist nichts als unsere bloße jeweilige Schwäche. Da kommt dann ganz natürlich ein innerer Konflikt heraus.
Auf diese Weise in einen inneren Kampf vertieft, betrat der heilige Mann das nächste Haus. Er begann sehr vorsichtig: »Das ist mein Freund …«, aber er bemerkte, dass ihm niemand Beachtung schenkte. Alle betrachteten ehrfurchtsvoll seinen Freund und dessen Kleidung, und es schoss ihm durch den Kopf: Das ist mein Mantel, und das ist mein Turban! Aber streng ermahnte er sich wieder, nicht über die Kleidung zu reden. Jeder, ob arm oder reich, hat irgendeine Art von Kleidung, unterschiedlich, je nachdem. Das ist eine banale Sache; die ganze Welt ist Maya, eine Illusion, erklärte er sich selbst. Aber die Kleidung schwang vor seinen Augen wie ein Pendel, hin und her, hin und her.
Er setzte das Vorstellen fort: »Das ist mein Freund. Ein Freund aus der Kindheit. Ein prächtiger Gentleman. Und die Kleidung – die gehört ihm, nicht mir.«
Die Leute waren verblüfft. Mit solchen Worten hatte man ihnen noch nie jemanden vorgestellt: »Die Kleidung gehört ihm und nicht mir«!
Als sie das Haus verließen, entschuldigte er sich wiederum vielmals: »Ein kapitaler Schnitzer«, räumte er ein. Jetzt war er verwirrt und sich wirklich im Unklaren, was er denn tun und was er unterlassen sollte. Noch nie zuvor hatte Kleidung einen derartigen Einfluss auf mich! O Gott, was ist mit mir passiert? Der arme Kerl wusste nicht, dass jeder sich in der Strategie, die er da bei sich anwendete, verfangen würde.
Der jetzt ziemlich entrüstete Freund sagte, er werde keinen Schritt weiter mit ihm gehen. Der so genannte Mann Gottes packte ihn am Arm und bat inständig: »Bitte, tu mir das nicht an. Ich wäre mein restliches Leben lang unglücklich, nachdem ich mich einem Freund gegenüber so miserabel benommen habe. Ich schwöre, die Kleidung nicht wieder zu erwähnen. Von ganzem Herzen schwöre ich bei Gott, dass ich die Kleidung nicht mehr erwähnen will.«
Aber man sollte sich immer in Acht nehmen vor denen, die schwören, denn es gibt offensichtlich etwas tiefer Gehendes als den Eid, das in ihnen wohnt und gegen das sie schwören müssen. Ein Eid oder Entschluss ist an der Oberfläche, außen. Er wird von dem bewussten Teil der Psyche geleistet. Aber die Sache, gegen die der Entschluss gefasst wird, ist im Innern, in den Labyrinthen des Unterbewussten. Wäre die Psyche in zehn Teile aufgeteilt, so ist lediglich ein Teil, bloß der obere Teil, auf den Eid festgelegt; die restlichen neun Teile werden gegen ihn arbeiten. Ein Zölibats- oder Keuschheitsgelübde zum Beispiel wird von einem Teil der Psyche abgelegt, während die restliche Psyche, ihre übrigen neun Teile, die Existenz um Hilfe ruft, es um jene im Gelübde negierte Sache bittet, die den Menschen durch die Existenz eingepflanzt ist.
Sie gingen zum Haus eines dritten Freundes. Der heilige Mann hielt sich zurück, hielt jeden seiner Atemzüge rigoros unter Kontrolle.
Beherrschte Menschen sind sehr gefährlich, weil ein aktiver Vulkan in ihnen brodelt; nur äußerlich sind sie rigide und voller Selbstkontrolle. Vergesst bitte nicht: Alles, was kontrolliert wird, erfordert so viel Anstrengung und Energie, dass die Beherrschung nicht dauernd aufrechterhalten werden kann. Ihr werdet euch irgendwann entspannen müssen; ihr werdet irgendwann ausruhen müssen. Denn wie lange könnt ihr eure Faust ballen? Vierundzwanzig Stunden am Tag? Je fester ihr sie ballt, desto mehr ermüdet sie und desto schneller wird sie sich wieder öffnen müssen. Für alles, was Anstrengung erfordert gilt: Je mehr Mühe es kostet, desto eher werdet ihr ermüden, und genau das Gegenteil wird eintreten. Eure Hand kann dauernd geöffnet bleiben, aber sie kann nicht dauernd zur Faust geballt sein. Alles, was Anstrengung erfordert, um es in konstanter Position zu halten, kann nicht zu einer natürlichen Lebensweise für euch werden, kann nie etwas Spontanes für euch sein. Erfordert es Anstrengung, dann erfordert es auch Erholungspausen. Und daher ist ein Heiliger umso gefährlicher, je selbstbeherrschter er ist – weil die Notwendigkeit eintreten wird, diese angespannte Verhaltenheit zu lockern. Wenn jemand versucht, vierundzwanzig Stunden täglich in Selbstbeherrschung zu verharren, wird er sich dabei eine oder zwei Stunden lang entspannen müssen, und in genau diesem Zeitraum wird es zu einer solchen Aufwallung unterdrückter, verdrängter »Sünden« kommen, dass er (oder sie) sich mitten in der Hölle wiederfinden wird.
Also gingen der heilige Mann und sein Gast zum Haus des dritten Freundes. Der heilige Mann hielt sich rigoros unter Kontrolle, um nicht von der Kleidung zu reden. Stellt euch seine Verfassung vor! Wenn ihr auch nur ein kleines bisschen von einem so genannten religiösen Menschen an euch habt, werdet ihr euch seinen Zustand ja aus eigener Erfahrung vorstellen können. Wenn ihr jemals geschworen habt, etwas unbedingt zu unterlassen, oder ein Gelübde abgelegt oder euch in Bezug auf irgendetwas beherrscht habt, müsst ihr den bemitleidenswerten Zustand, den so ein Mensch innerlich durchmacht, sehr gut kennen.
Sie gingen in das Haus. Der heilige Mann schwitzte aus allen Poren, er war in solchem Aufruhr! Der Freund, der seinen übernervösen Zustand mitbekam, war gleichfalls beunruhigt.
Langsam und vorsichtig sprach er Wort für Wort: »Darf ich dir meinen Freund vorstellen? Er ist ein sehr alter Freund, ein sehr netter Mann ist er …« Einen Moment lang stockte er. Dann, als ob ein gewaltiger Stoß von innen käme und alle Selbstbeherrschung weggeschwemmt würde, platzte er heraus: »Und die Kleidung? Verzeihung! Aber darüber will ich nicht reden, weil ich geschworen habe, es zu unterlassen!«
Was diesem Mann passierte, geschieht der ganzen Menschheit, was den Sex anbelangt. Weil er verurteilt wird, ist er zu einer Obsession, einer Krankheit, einer Wunde geworden. Er ist vergiftet worden.
Von früher Jugend an bringt man den Kindern bei, dass Sex Sünde sei. Mädchen und Jungen bringt man bei, dass Sex Sünde sei. Das Mädchen wächst heran, und der Junge wächst heran; die Adoleszenz kommt, dann heiraten sie – und begeben sich nun auf eine Reise in die Welt des Sex, mit der festen Überzeugung, dass Sex Sünde sei. In Indien bringt man der jungen Frau außerdem bei, dass ihr Ehemann ihr Gott sei. Doch wie kann sie jemanden als Gott verehren, der sie in die Sünde führt? Wie ist das möglich? Dem jungen Burschen sagt man: »Das ist deine Ehefrau, deine Lebensgefährtin, deine bessere Hälfte.« Aber sie führt ihn in die Hölle – denn die heiligen Schriften sagen ja, dass die Frau der Zugang zur Hölle sei. »Dieser Zugang zur Hölle ist meine Lebensgefährtin, meine bessere Hälfte?« Diese der Hölle verpflichtete, auf die Sünde ausgerichtete bessere Hälfte – wie kann es mit ihr zu irgendeiner Harmonie kommen?
Solche Lehren haben das Eheleben der ganzen Welt zerstört. Sobald das Leben eines Paars auf diese Weise zerstört wird, hat die Liebe keine Chance mehr. Und wenn schon ein Ehemann und seine Frau – bei denen die Anziehungskraft der Liebe am spontansten und natürlichsten ist – einander nicht frei lieben können, welche Menschen sonst können denn dann einander lieben? Diese Liebe zwischen Ehemann und Ehefrau kann zu so hehren Höhen, zu so erhabenen Dimensionen aufsteigen, dass sie alle Barrieren durchbricht und sich höher und höher erhebt. Das ist möglich. Aber wenn sie im Keim erstickt wird, wenn sie abgewürgt wird, wenn sie vergiftet wird, dann ist da nichts, was wachsen könnte, nichts, was sich erheben könnte.
Der große Mystiker Ramanuja kampierte in einem Dorf. Ein Mann kam und sagte ihm, er wolle Gott erfahren.
Ramanuja fragte ihn: »Warst du schon mal in jemanden verliebt?«
»Nein, um so etwas Weltliches hab ich mich nie gekümmert«, erwiderte der Mann. »So tief hab ich mich nie erniedrigt; ich möchte Gott erfahren.«
Ramanuja fragte nochmals: »Du hast dich überhaupt noch nie um die Liebe gekümmert?«
Der Suchende gab sich ganz entschieden. »Ich sage die Wahrheit«, erwiderte er.
Dieser arme Mann sprach so, wie er es seiner Meinung nach sollte. In der damaligen Welt der Religion bedeutete Verliebtsein in der Regel die Disqualifikation. Er war sich sicher, dass, wenn er vorbrächte, er liebe jemanden, dieser Mystiker ihn auffordern würde, diese Liebe auf der Stelle loszuwerden – seine Anhaftungen aufzugeben und alle weltlichen Gefühlsregungen hinter sich zu lassen, bevor er Führung suchte. Selbst wenn der Mann also jemanden geliebt hätte – er blieb bei seinen verneinenden Antworten.
Aber wo findet ihr jemanden, der nie auch nur ein wenig geliebt hat? Ramanuja fragte zum dritten Mal: »Sag etwas. Denk gründlich nach. Nicht einmal ein bisschen Liebe zu jemandem, zu irgendwem? Hast du nicht einmal einen Menschen ein bisschen geliebt?«
Der Aspirant sagte: »Verzeihung! Aber weshalb hörst du nicht auf, mir immer wieder dieselbe Frage zu stellen? Ich würde die Liebe nicht einmal mit einer drei Meter langen Stange berühren. Ich möchte Gott erfahren.«
Daraufhin erwiderte Ramanuja: »Dann wirst du mich entschuldigen müssen. Wende dich doch bitte an jemand anderen. Meine Erfahrung sagt mir: Wenn man jemanden geliebt hat, irgendwen, wenn man auch nur einen flüchtigen Eindruck von der Liebe gewonnen hat, kann diese Liebe bis zu einem Punkt erweitert werden, wo sie bis zu Gott reicht. Aber wenn du nie geliebt hast, dann hast du nichts an dir, was wachsen kann. Dir fehlt das Samenkorn, das zu einem Baum werden kann. Geh und frag jemand anderen.«
Wenn keine Liebe zwischen einem Ehemann und seiner Frau ist – wenn die Ehefrau keine Liebe für ihrem Mann empfindet und der Ehemann keine Liebe für seine Frau fühlt –, dann irrt ihr euch, wenn ihr glaubt, dass sie ihre Kinder werden lieben können. Die Ehefrau wird ihr Kind nur im gleichen Maße lieben können wie ihren Mann, weil dieses Kind das Spiegelbild ihres Mannes ist. Wenn keine Liebe zum Ehemann vorhanden ist, wie kann dann Liebe zum Kind da sein? Und wenn dem Kind keine Liebe geschenkt wird – ein Kind einfach nur zu erziehen, großzuziehen ist nicht Liebe –, wie könnt ihr da erwarten, dass das Kind die Mutter und den Vater liebt? Diese Lebenseinheit namens »Familie« ist durch die Verurteilung des Sex und dessen Abstempelung als Sünde vergiftet worden. Und was wir die Welt nennen, ist ja letztendlich die vergrößerte Form der Familie. Und dann beklagen wir uns, dass die Liebe nirgendwo zu finden ist. Wie könnt ihr unter diesen Umständen erwarten, irgendwo auf die Liebe zu stoßen?
Jedermann behauptet, er liebe. Mütter, Ehefrauen, Väter, Brüder, Schwestern, Freunde und Freundinnen, alle behaupten, dass sie lieben. Aber wenn ihr das Leben betrachtet, gibt es nirgendwo klare Anzeichen für die Liebe. Wenn so viele Menschen lieben, sollte die Welt doch wohl von Liebe überflutet sein; ringsumher sollte es doch wohl Blumen der Liebe in Hülle und Fülle geben; Lampen der Liebe sollten dann überall brennen. Wenn in jedem Zuhause eine Lampe der Liebe leuchtete – wie viel Licht gäbe es dann auf dieser Welt! Aber stattdessen stoßen wir überall auf eine Atmosphäre des Hasses, der Wut und des Kriegs. Kein einziges Fünkchen Liebe ist irgendwo zu finden.
Es ist eine Lüge zu behaupten, dass alle liebten. Und solange wir fortfahren, an diese Lüge zu glauben, können wir mit dem Unterfangen, die Liebe Wirklichkeit werden zu lassen, noch nicht einmal beginnen. Niemand liebt hier irgendjemanden. Und bevor die Natürlichkeit des Sex nicht voll und ganz anerkannt ist, kann niemand irgendjemanden lieben.
Ich möchte euch sagen, dass Sex göttlich ist. Die Energie des Sex ist göttliche Energie. Deshalb erschafft diese Energie neues Leben. Sie ist die allergrößte, allergeheimnisvollste Kraft.
Gebt euren Widerstand gegen den Sex auf. Wenn ihr denn überhaupt wollt, dass Liebe eurer Leben durchströmt, dann gebt diese feindliche Auseinandersetzung mit dem Sex auf. Bejaht glückselig den Sex. Erkennt seine Heiligkeit an. Erkennt seinen Segen an. Ergründet ihn, immer tiefer, und ihr werdet erstaunt sein, dass Sex umso heiliger wird, je mehr ihr ihn unter einem Aspekt der Heiligkeit bejaht. Und er wird umso sündhafter und hässlicher, je mehr ihr euch im Konflikt mit ihm befindet, so, als ob er etwas Sündiges und Schmutziges wäre.
Wenn ein Ehemann sich seiner Frau nähert, sollte er weihevoll gestimmt sein, so als ob er einen Tempel beträte. Und wenn eine Ehefrau zu ihrem Mann geht, sollte sie von einem Gefühl der Heiligkeit, der Ehrfurcht erfüllt sein, so als näherte sie sich einem Gott. Wenn zwei Liebende beim Sex einander näher kommen, wenn sie den Liebesakt vollziehen, bewegen sie sich tatsächlich ganz nah an einem Tempel vorbei. Es ist das Heilige, das in ihrer intimen Nähe zum Tragen kommt, es ist die schöpferische Kraft der Existenz, die da wirkt.
Nach meinem eigenen Verständnis empfing der Mensch seine ersten flüchtigen Eindrücke von Erwachen, von Meditation während des Liebesakts – und sonst nirgends. Ausschließlich beim Liebemachen wurde den Menschen zum ersten Mal klar, dass so viel Wonne möglich ist. Jene, die über diese Wahrheit meditierten, jene, die über das Phänomen des Sex, des Liebesakts, gründlich reflektierten, erkannten, dass der Verstand beim Liebesakt, beim Höhepunkt, gedankenleer wird. Einen Augenblick lang verschwinden alle Gedanken. Und diese geistige Leere, dieses Verschwinden jeglicher Gedanken, bringt Schauer der Glückseligkeit mit sich. Sie entdeckten das Geheimnis.
Ferner entdeckten sie auch das Geheimnis, dass, wenn der Verstand durch andere Mittel als durch Sex von Gedanken befreit wird, die gleiche Glückseligkeit erreichbar ist. Daraus erwuchsen die Systeme des Yoga und des No-Mind, des Bewusstseins jenseits des Verstandes, die zur Geburt der Meditation führten. Ursprungsort und primäre Basis der Meditation ist die Erfahrung des Liebesakts. Und in der Folge erfuhren die Menschen dann, dass man den Verstand zum Schweigen bringen kann, dass man den Verstand von Gedanken befreien kann, ohne Sex zu haben, und dass man die gleiche Wonne erlangen kann, wie sie sich beim Sex einstellt.
Außerdem kann man jeweils nur eine begrenzte Zeit lang in der Erfahrung des Liebesakts bleiben, denn dabei wird ja vitale Energie freigesetzt. In der Erfahrung der Meditation hingegen kann man beständig verweilen.
Ich möchte euch sagen: Wer den Zustand der Meditation erlangt, erlebt rund um die Uhr die gleiche Glückseligkeit, die ein Paar in Momenten des Orgasmus erlebt. Es gibt keinen weiteren grundlegenden Unterschied zwischen der Glückseligkeit der meditativen und der der orgastischen Erfahrung. Der Weise, der behauptete, dass Vishayanand und Brahmanand – die Wonne, die durch das Schwelgen der Sinne aufkommt, und die Wonne, die durch das Eintreffen ins Heilige aufkommt – Zwillingsbrüder sind, hat zweifellos eine Wahrheit konstatiert. Sie werden aus demselben Schoß geboren. Sie werden aus derselben Erfahrung geboren. Er hatte Recht.
Darum möchte ich euch als erstes, vordringlichstes Prinzip dies mitteilen: Wenn ihr das Phänomen namens Liebe erleben wollt, besteht der erste Schlüssel darin, dass ihr die Heiligkeit, die Göttlichkeit des Sex anerkennt – von ganzem Herzen, aus vollem Herzen. Und ihr werdet erstaunt sein, wenn ihr dann feststellt, dass ihr euch vom Sex umso mehr befreit, je rückhaltloser ihr ihn anerkennt. Je weniger ihr ihn bejaht, desto stärker seid ihr an ihn gebunden, wie bei dem heiligen Mann, der ein Sklave seiner Kleidung wurde. Je größer die Bejahung ist, desto freier werdet ihr. Die totale Bejahung des Lebens, all dessen, was im Leben natürlich ist, bezeichne ich als Religiosität. Und genau diese Art der Religiosität befreit einen Menschen.
Als irreligiös betrachte ich jene, die das Natürliche im Leben verwerfen und negieren: »Das ist schlecht, das ist sündhaft, das ist giftig. Unterlass dies; unterlass das.« Jene, die von Entsagung oder Verzicht reden, sind die Irreligiösen.
Bejaht das Leben, so wie es ist, in seiner Natürlichkeit und lebt es in seiner Totalität. Genau diese totale Offenheit für das Leben wird euch Tag für Tag, Schritt für Schritt erheben. Genau diese Bejahung wird euch zu den Höhen emporheben, in denen ihr eines Tages das erfahren werdet, was keine Spur von Sex an sich hat. Wenn Sex Kohle ist, dann wird eines Tages auch der Diamant der Liebe aus ihm erwachsen. Das ist der erste Schlüssel.
Der zweite fundamentale Faktor ist etwas, das die Zivilisation, die Kultur und die Religionen bis zum heutigen Zeitpunkt in uns stärken. Dieser Faktor ist gleichfalls wichtig, denn außer dem ersten Prinzip, das eure Sexualenergie in Liebesenergie verwandelt, gibt es noch etwas anderes, das wie eine Mauer eure Sexualenergie blockiert und sie nicht fließen lassen will. Und das ist das Ego, das Gefühl, dass »ich bin«.
Das »Ich bin« wird von irreligiösen Menschen beansprucht, aber es setzt sich sogar noch stärker bei euren so genannten guten und religiösen Menschen durch. Selbstverständlich nimmt es bei ihnen eine andere Form an. Sie sagen: »Ich möchte in den Himmel kommen; ich möchte Erlösung, Befreiung erlangen; ich möchte dieses, ich möchte jenes« – doch dieses »Ich« ist da in ihrem Innern anwesend.
Je stärker das »Ich« eines Menschen ist, desto geringer ist seine Fähigkeit, mit irgendjemandem eins zu werden. Das »Ich« steht als Mauer dazwischen. Es verkündet sich selbst. Seine Verkündigung lautet: »Du bist du, und ich bin ich. Zwischen beiden gibt es einen Abstand.« Dann sind wir, ganz egal, wie sehr »ich« dich möglicherweise liebe, ganz egal, wie eng »ich« dich umschlungen halte, dennoch zwei. Ganz egal, wie nah wir zusammenkommen, es gibt dennoch einen Zwischenraum – ich bin ich, und du bist du. Deshalb vermögen sogar die intimsten Erfahrungen nicht, Menschen einander nahe zu bringen. Körper sitzen eng beieinander, aber die Personen bleiben weit voneinander entfernt. Solange es im Innern das »Ich« gibt, lässt sich das Gefühl vom »anderen« nicht auflösen.
Sartre hat eine wundervolle Aussage gemacht: »Der andere ist die Hölle.«1 Aber er erklärte nicht, warum denn der andere der »andere« ist. Der andere ist der »andere«, weil ich »ich« bin. Und solange ich »ich« bin, ist die Welt ringsum der »andere«, abgetrennt und für sich. Und solange es Getrenntheit gibt, kann es keine Liebeserfahrung geben.
Liebe ist die Erfahrung des Einsseins.
Liebe ist die Erfahrung, die sich auftut, wenn die Mauer eingestürzt ist und die zwei Energien im Einssein zusammengekommen sind. Liebe ist die Erfahrung, die sich auftut, wenn die Mauern zwischen zwei Menschen zerbröckelt und die Wesen der beiden zusammengekommen sind, sich vereinigt haben und eins geworden sind. Wenn Erfahrung zwischen zwei Einzelpersonen geschieht, nenne ich sie Liebe. Wenn ebendiese Erfahrung zwischen einer Einzelperson und dem Ganzen geschieht, nenne ich diese Erfahrung göttlich.
Findet diese Erfahrung zwischen dir und einer anderen Einzelperson statt – die Erfahrung, dass alle Barrieren dahinschmelzen, dass ihr auf irgendeiner tieferen inneren Ebene eins werdet, eine Melodie, ein Strömen, ein Wesen –, dann handelt es sich um Liebe. Und wenn diese Erfahrung zwischen einer Einzelperson und dem Ganzen geschieht – die Erfahrung, dass die Einzelperson sich auflöst und eins wird mit dem Ganzen –, dann ist diese Erfahrung Göttlichkeit. Und darum sage ich, dass Liebe die Leiter ist und Gottwerdung das Endziel der Reise.
Wie soll es möglich sein, dass der »andere« verschwindet, solange das »Ich« nicht verschwindet, wenn also ich selbst mich nicht auflöse? Der »andere« ist eine Hervorbringung des Echos meines »Ichs«. Je lauter ich »ich« rufe, desto zwingender wird der »andere« hervorgebracht. Der »andere« ist das Echo des »Ichs« der Einzelperson.
Und was ist dieses »Ich«? Hast du je darüber nachgedacht? Sind es deine Beine, deine Hände, ist es dein Kopf oder dein Herz, worin dieses »Ich« besteht? Was macht dein »Ich« aus? Wenn du einen Moment lang still sitzt und dich nach innen wendest, um danach zu forschen, was und wo dieses »Ich« ist, wirst du dich wundern, dass du trotz intensiven Forschens nirgendwo ein »Ich« entdecken kannst. Je eindringlicher du im Innern forschst, eine umso tiefere Leere und Stille wirst du dort entdecken, und nirgends ein Ego, ein »Ich«.
Kaiser Milind ließ nach dem Mönch Nagsen schicken, um mit ihm seinen Hof zu zieren.
Der Bote ging zu Nagsen und sagte: »Nagsen, der Kaiser wünscht dich zu sehen. Ich bin gekommen, um dich einzuladen.«
Nagsen erwiderte: »Wenn ihr es so wollt, werde ich kommen. Aber verzeih mir, es gibt hier keinen Menschen wie Nagsen. Das ist nur ein Name, nur eine funktionelle Bezeichnung.«
Der Höfling berichtete dem Kaiser, dass Nagsen ein sehr merkwürdiger Mensch sei: Er hätte erwidert, er werde kommen, hätte aber gesagt, dass es da keinen derartigen Menschen wie Nagsen gebe, dieser Name sei nur eine funktionelle Bezeichnung. Der Kaiser sagte: »Das ist merkwürdig. Aber wenn er sagt, er wird kommen, dann wird er’s auch.«
Nagsen traf pünktlich ein, im königlichen Triumphwagen, und der Kaiser empfing ihn am Tor. »Bhikshu Nagsen, ich heiße dich willkommen!«, rief er aus.
Auf diese Worte hin begann der Mönch zu lachen. »Ich akzeptiere Eure Gastfreundschaft als Nagsen, aber vergesst bitte nicht, dass kein Nagsen da ist.«
Der Kaiser sagte: »Du sprichst in Rätseln. Wenn du nicht da bist, wer ist dann hier hergekommen, wer lässt sich dann gerade von mir in Empfang nehmen? Wer redet dann gerade mit mir?«
Nagsen blickte hinter sich und fragte: »Kaiser Milind, ist das nicht der Triumphwagen, in dem ich herkam?«
»Aber ja, genau der.«
»Bitte entfernt die Pferde.«
Das tat man.
Auf die Pferde deutend fragte der Mönch: »Ist das da der Triumphwagen?«
Der Kaiser sagte: »Wie könnte man die Pferde für einen Triumphwagen halten?«
Auf einen Wink des Mönchs hin wurden die Pferde weggeführt und die Stangen zum Anschirren der Pferde entfernt.
»Sind diese Stangen Euer Triumphwagen?«
»Natürlich nicht, das sind die Stangen und nicht der Triumphwagen.«
Dann wurden die Räder entfernt, und Nagsen fragte: »Sind diese Räder der Triumphwagen?«
Der Kaiser sagte: »Das sind die Räder, nicht der Triumphwagen.
Der Mönch machte weiter, indem er die einzelnen Bestandteile, einen nach dem anderen, entfernen ließ und dabei jeweils seine Frage stellte, die der Kaiser notgedrungen immer mit »Das ist nicht der Triumphwagen« beantwortete.
Schließlich war nichts mehr übrig.
Der Mönch fragte: »Wo ist denn nun Euer Triumphwagen? Bei jedem einzelnen weggenommenen Teil habt Ihr gesagt: ›Das ist nicht der Triumphwagen.‹ Also sagt mir, wo ist denn nun euer Triumphwagen?«
Die Enthüllung verblüffte den Kaiser. Es war kein Triumphwagen mehr da, und während man ihn Stück für Stück auseinander genommen hatte, war auch keines der Einzelteile der Triumphwagen.
Der Mönch machte weiter. »Könnt Ihr mir folgen? Der Triumphwagen war nur etwas Zusammengesetztes; er war eine Ansammlung bestimmter Dinge. Ein Triumphwagen als solcher hat kein eigenes Sein, kein Ego; ein Triumphwagen ist nur eine Zusammenstellung.«
Forsche im Innern: Wo ist dein Ego? Wo ist dein »Ich«? Du wirst dieses »Ich« nirgends finden. Es ist nur eine Zusammenstellung, eine Verbindung verschiedener Energien; das ist alles. Forsche nur weiter nach jedem einzelnen seiner Teile, jedem einzelnen seiner Aspekte – und keiner wird zu finden sein. Letzten Endes wird schieres Nichts übrig bleiben.
Die Liebe geht aus diesem Nichts hervor – weil dieses Nichts, diese Leere nicht du bist; das ist vielmehr reine Göttlichkeit.
Liebe kann nur aus Leere hervorgehen, denn nur eine Leere ist fähig, mit einer anderen Leere zu verschmelzen; nur ein Leerraum kann mit einem anderen Leerraum eins werden. Nicht zwei Personen, sondern nur ein Nichts und ein weiteres Nichts können zusammenkommen, denn hier gibt es keine Barriere. Alles andere, außer einem Nichts, hat Mauern rings um sich.
Darum ist das Zweite, das man sich merken muss, dies: Wenn die Persönlichkeit, die individuelle Person, verschwindet, ist keine »Ich-bin-heit« mehr zu finden. Was dann übrig bleibt, ist das Ganze, und nicht »ich«. Wenn dies geschieht, zerbröckeln alle Barrieren, alle Mauern, und hervor stürzt der Ganges der Liebe, der im Innern verborgen war. Er war immer bereit und wartete nur darauf, dass du zu einem Nichts wirst und sein Strömen zulässt.
Wir graben einen Brunnen. Wasser ist da unten bereits vorhanden; man muss es nicht von irgendwo herbringen. Nur Erde und Steine muss man ausgraben und entfernen. Was genau machen wir eigentlich, wenn wir einen Brunnen bauen? Wir schaffen eine Leere, damit das Wasser, das unten im Erdreich verborgen ist, einen Raum finden kann, wo es hineinlaufen, in dem es sich zeigen kann. Es ist schon da drin, es will Raum haben, damit es erscheinen kann. Es ersehnt eine Leere, die es bislang noch entbehrt. Ein Brunnen ist zunächst voller Sand und Steine, also entfernen wir den Sand und die Steine, und das Wasser wallt empor.
In ähnlicher Weise ist die Liebe tief im Innern der Menschen bereits da; was benötigt wird, ist Raum, Leere, worin sie zutage treten kann. Aber wir sind voll von unserem »Ich«, jeder prahlt fortwährend mit seinem »Ich«. Und merkt euch: Solange euer Wesen »Ich« schreit, seid ihr ein Brunnen voller Sand und Steine, und der Strom der Liebe wird in diesem Brunnen nicht emporwallen – er kann es nicht.
Ich habe eine wundervolle Geschichte von Shel Silverstein gelesen, betitelt The Giving Tree.2 Da war einmal ein uralter und majestätischer Baum, mit Zweigen, die sich gen Himmel ausbreiteten. Wenn er in Blüte stand, kamen Schmetterlinge in allen Formen, Farben und Größen zu ihm und tanzten rings um ihn. Wenn er Früchte trug, kamen Vögel aus fernen Ländern zu ihm. Die Zweige in den Winden glichen ausgestreckten Armen; es sah alles wunderschön aus.
Ein kleiner Knabe kam fast jeden Tag, um unter ihm zu spielen, und der große uralte Baum verliebte sich in den kleinen Jungen. Der Große, Ältere kann sich in den Kleinen, den Jungen verlieben, wenn der Große nicht die Vorstellung hegt, dass er groß ist. Der Baum hegte nicht die Vorstellung, dass er groß sei – nur Menschen hegen eine derartige Vorstellung –, und so verliebte er sich in den Jungen. Das Ego versucht immer, in die Größeren verliebt zu sein. Das Ego versucht immer, sich auf jene zu beziehen, die größer sind als es selbst. Aber für die Liebe ist niemand groß oder klein. Die Liebe umfasst jeden, der nahe kommt.
Und so entwickelte der Baum eine Liebe zu diesem kleinen Jungen, der meist täglich kam, um in seiner Nähe zu spielen. Seine Zweige waren hoch oben, doch er krümmte sie und beugte sie hinunter, damit der Knabe seine Blüten abreißen und seine Früchte pflücken konnte. Die Liebe ist immer bereit, sich zu verbeugen; das Ego ist nie bereit, sich zu verbeugen. Wenn ihr euch dem Ego nähert, wird es sich nur noch mehr nach oben strecken, es wird sich versteifen, deshalb könnt ihr es nicht innerlich berühren. Wen man berühren kann, der gilt als klein. Wen man nicht berühren kann, wer in der Hauptstadt auf dem Thron der Macht sitzt, gilt als groß.
Das verspielte Kind kommt, und der Baum beugt seine Zweige hernieder. Wenn das Kind ein paar Blüten abriss, empfand der Baum eine ungeheure Zufriedenheit, erfüllte sich sein ganzes Wesen mit der Freude der Liebe. Die Liebe ist glücklich, wenn sie in der Lage ist, etwas zu geben; das Ego ist glücklich, wenn es in der Lage ist, etwas zu nehmen.
Der Junge wuchs. Manchmal schlief er im Schoß des Baums, manchmal aß er seine Früchte, und manchmal trug er eine Krone aus den Blüten des Baums und benahm sich wie ein Dschungelkönig. Man wird wie ein König, wenn die Blumen der Liebe da sind, aber man wird arm und elend, wenn die Dornen des Ego vorhanden sind. Den Jungen eine Blütenkrone tragen und herumtanzen zu sehen, erfüllte den Baum mit Freude. Er nickte verliebt; er sang in der Brise. Der Knabe wuchs noch weiter. Er begann den Baum zu erklettern, um an seinen Zweigen hin- und herzuschwingen. Der Baum fühlte sich sehr glücklich, wenn der Junge auf seinen Zweigen ausruhte. Die Liebe ist glücklich, wenn sie jemandem Wohlbehagen bereitet; das Ego ist nur glücklich, wenn es jemandem Unbehagen bereitet.
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