Shadow Thieves – Der Schatz des Magiers - Kevin Sands - E-Book

Shadow Thieves – Der Schatz des Magiers E-Book

Kevin Sands

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Beschreibung

Ein Waisenjunge. Eine unlösbare Aufgabe. Ein Wettlauf gegen die Zeit. Als Waisenjunge hat Callan gelernt, wie man Menschen dazu bringt, genau das zu tun, was man von ihnen will. Er ist ein begabter Hochstapler, doch langsam wird das Geld knapp. Da kommt dieser lukrative, wenn auch höchst gefährliche Auftrag sehr gelegen: Gemeinsam mit vier weiteren Jugendlichen soll er binnen drei Tagen einen streng bewachten Schatz stehlen – ausgerechnet im Haus des mächtigsten Magiers weit und breit. Eine Aufgabe, an der bereits zahllose Erwachsene gescheitert sind. Und mit ihrem Leben bezahlen mussten …

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Seitenzahl: 498

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Über das Buch

EIN WAISENJUNGE.

EIN SCHATZ VON UNSAGBAREM WERT.

EIN GEFÄHRLICHER WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT.

Als Waisenjunge hat Callan gelernt, wie man Menschen dazu bringt, genau das zu tun, was man von ihnen will. Er ist ein begabter Trickbetrüger, doch langsam wird das Geld knapp.

Da kommt ihm dieser lukrative, wenn auch höchst gefährliche Auftrag sehr gelegen: Gemeinsam mit vier weiteren Jugendlichen soll er binnen drei Tagen einen streng bewachten Schatz stehlen – ausgerechnet im Haus des mächtigsten Magiers weit und breit. Eine Aufgabe, an der bereits zahllose Erwachsene gescheitert sind. Und mit ihrem Leben bezahlen mussten …

Ein Abenteuerroman voller Magie und Action

Von Kevin Sands sind bei dtv außerdem lieferbar:

Der Blackthorn-Code – Das Vermächtnis des Alchemisten

Der Blackthorn-Code – Die schwarze Gefahr

Der Blackthorn-Code – Das Geheimnis des letzten Tempelritters

KEVIN SANDS

SHADOWTHIEVES

DER SCHATZ DES MAGIERS

Aus dem amerikanischen Englischvon Alexandra Ernst

In all den Jahren danach konnte ich mich bloß noch an die Schlange erinnern.

Zuerst hörte ich sie zischen, obwohl das leise Ssssssss kaum durch mein Keuchen und das laute Hämmern meines Herzens drang. Ich achtete nicht darauf, weil ich dachte, es sei das Blut, das in meinen Ohren rauschte. Oder vielleicht der alte Mann, der neben mir kauerte, eng an mich gedrückt in einem langen Weidenkorb im Schlafzimmer. Auch er war außer Atem; seine Brust hob und senkte sich schwer.

Nachdem wir eine ganze Meile weit gerannt waren, hatten wir dieses Haus entdeckt und die Tür aufgebrochen, um uns hier drin zu verstecken. Ich war sechs Jahre alt. Anderthalb Monate zuvor hatte der alte Mann mich aufgenommen, und obwohl er sich nach Kräften bemühte, mir sein Handwerk beizubringen, war ich noch völlig ungeübt. Und das war auch der Grund, warum wir damals noch ziemlich viel rennen mussten.

Die Luft in dem Korb war widerlich, es roch irgendwie süßlich und nach Tier. Ich weiß noch, dass ich mich über diesen Geruch in einer Kleidertruhe wunderte. Zu intensiv, zu … wild. Ich rollte mich eng zusammen, atmete in meinen Ärmel und versuchte, sowohl den Gestank abzuwehren als auch das Geräusch meines Atmens zu dämpfen.

Aber es war nicht das Blut in meinen Ohren, das zischte. Das wurde mir in dem Moment klar, als die Schlange mich berührte.

Sie glitt über meinen Fuß. Erschrocken zog ich das Bein weg, aber die Schlange hatte sich schon um meinen Knöchel geringelt und wand sich an meiner Wade nach oben. Das Zischen wurde lauter, bedrohlicher.

Ssssssssssssssssssssssss

Ich griff nach dem alten Mann neben mir. Mit der linken Hand packte ich sein Hemd. In meiner rechten hielt ich noch immer die verzauberte Münze umklammert, die wir dem Gewürzhändler abgeluchst hatten. Der harte Rand schnitt mir in die Finger, und das Gesicht des Kaisers drückte sich in meine Handfläche. Sie leuchtete, diese Münze. Sie leuchtete durch meine Haut und verlieh meiner Hand eine zartblaue Aura.

Der alte Mann sagte nichts. Er spähte durch die Ritzen des Korbgeflechts und lauschte, als die Haustür aufgestoßen wurde und gegen die dahinterliegende Wand krachte.

Schwere Stiefel stapften über die Bodendielen. Wer immer hier wohnte, war nicht zu Hause und konnte daher auch nicht protestieren, als die Stockmänner – die Mitglieder der Stadtwache – das Gebäude auf den Kopf stellten.

Ich hörte kaum hin. Die Schlange glitt immer höher, bis zum Saum meines Hemds, das beim Rennen aus dem Hosenbund gerutscht war. Sie schlüpfte unter den Stoff, und ich fühlte, wie glatte Schuppen über meine Taille schlitterten.

Ich ertrug es einfach nicht. Ich musste schreien. Ich wusste, dass die Stockmänner, die im Moment noch unten die Räume durchwühlten, uns finden würden. Und dann blühte uns noch etwas viel Schlimmeres als eine Schlange. Aber ich musste schreien. Ich musste einfach.

Plötzlich beugte sich der alte Mann zu mir vor. Sein heißer Atem streifte mein Ohr.

»Kennst du die Geschichte«, flüsterte er, »von Füchsin und Bärin und dem Kristallfluss?«

Der Schrecken ließ den Schrei auf meinen Lippen gefrieren. Die Stockmänner – sie werden dich hören, wollte ich sagen, aber meine Zunge war wie festgeklebt. In meinem Mund herrschten staubige Trockenheit und ein bitterer Geschmack.

Unten wurde eine Flasche zerschlagen, und Splitter klirrten über den Boden. Einer der Stockmänner fluchte rau. »Glaubst du vielleicht, die verstecken sich im Wein? Idiot.«

Die Schlange kroch höher. Sie glitt über meinen Bauch, meine Seiten, über die Narben auf meinem Rücken. Meine Narben taten weh – sie taten immer weh –, und während ich auf den Lärm der Stockmänner im Erdgeschoss lauschte, musste ich bei der Berührung der Schlange an jenen Tag denken, an dem ich meine Narben bekommen hatte.

Und die Schlange glitt immer höher und höher.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

»Es ist eine gute Geschichte«, flüsterte der alte Mann, »aus alten Zeiten, als Füchsin und Bärin noch gut Freund miteinander waren. Eines Tages befanden sich Shuna die Füchsin, die Schutzpatronin der Händler – und übrigens auch die Schutzpatronin der Diebe – sowie Artha die Bärin, Schutzpatronin der Weber, hoch oben in den Schneebergen …«

Sei still, alter Mann, dachte ich.

»… aber als die Bärin zu ihrer Freundin sagte: ›Machen wir ein Wettrennen. Wer als Erster unten im Tal ist, hat gewonnen‹ …«

Sei still.

»… da schaute Shuna grinsend zu der Bärin hoch und fragte: ›Was gewinne ich denn?‹«

Während sie sich nach oben schob, drückte die Schlange die Narben auf meinen Rippen zusammen.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

»Die Bärin lachte«, erzählte der alte Mann. Die Worte kamen jetzt immer schneller und schneller aus seinem Mund. »›Wir sind ja noch gar nicht gerannt, Shuna. Aber wenn du wetten möchtest: Ich habe etwas Honig. Und gestern sah ich, wie du Erdbeeren gepflückt hast. Wer gewinnt, bekommt alles.‹«

Was tust du da? Sei still. Sei still!

»Shuna gefiel die Wette. Und während die Bärin zwar groß und stark war, verließ sich die Füchsin auf ihre Geschicklichkeit, und sie wusste, sie konnte schneller laufen als ihre Freundin. Kaum hatte die Füchsin zugestimmt …«

Einer der Stockmänner kam die Treppe herauf. Unten gab es nichts mehr zum Zerschlagen. Jetzt wollte er oben weitermachen.

»… da sprang die Bärin von dem Felsen, auf dem sie gestanden hatte, in den Kristallfluss, der über den schneebedeckten Hang nach unten strömte. Artha brummte vor Vergnügen, als der Fluss sie mitriss.«

Der Stockmann trat die Tür zum Flur auf. Er warf alle Möbel um, nahm jeden Winkel genau unter die Lupe.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

»Die Füchsin war bestürzt«, flüsterte der alte Mann. »›Artha hat mich hinters Licht geführt‹, knurrte sie. Sie wusste, dass sie ihrer Freundin nicht folgen konnte, denn das Wasser war zu kalt und die Strömung zu reißend, und die kleine Füchsin konnte nicht so gut schwimmen. Aber trotzdem wollte sie nicht aufgeben …«

KRACH

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

»… und so rannte sie am Fluss entlang den Berg hinunter. Immer weiter und weiter bergab, so schnell, dass sie nicht sah, wohin sie lief. Und deshalb erblickte die Füchsin die Schlange auch erst, als es zu spät war.«

Stiefel polterten vor der Tür.

»Ehe Shuna sich’s versah, hatte die Schlange die kleine Füchsin gepackt und wickelte ihren Leib so eng um sie, dass Shuna kaum noch Luft bekam. Die Schlange zischte sie an, zog den Kopf zurück und riss das Maul auf, um die Füchsin mit Haut und Haaren zu verschlingen.«

Ein zweites Paar Stiefel kam die Treppe heraufgetrampelt. »Hast du hier schon nachgesehen?«, fragte der Stockmann mit der rauen Stimme.

In dem schwachen Licht, das durch das Weidengeflecht des Korbs drang, sah ich den Schlangenkopf dicht vor meinem Gesicht. Die Zunge zuckte aus dem Maul, nur ein paar Zentimeter von meinem Gesicht entfernt.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

»Die Füchsin wusste«, fuhr der alte Mann im Flüsterton fort, »dass die Bärin zu weit weg war, um ihr zu helfen. Und so eingewickelt, wie sie war, konnte sie sich auch nicht wehren. Und als die Schlange den Kopf senkte und Shuna in die Augen blickte, ergriff die Füchsin das Wort. ›Bitte, Freund‹, sagte Shuna, ›tu mir nichts.‹ Und die Schlange sagte …«

Die Zimmertür wurde krachend aufgetreten. Reglos vor Entsetzen starrte ich an dem Schatten der Schlange vorbei und sah durch die Ritzen im Korb, wie ein Stockmann mit dicker Nase ins Zimmer gestapft kam.

Der Mann trug die olivgrün-graue Uniform der Stadtwache von Perith. In der Hand hielt er seinen Schlagstock, die mit Eisennieten besetzte Keule, der die Stockmänner ihren Namen verdankten. Sein Kläffer, eine Perkussionspistole, hing an seinem Gürtel. Er fing an, den Raum zu durchsuchen, indem er die Möbel umwarf.

Ein Schrank krachte schwer zu Boden. Die Glastüren zerbarsten, sodass ich die Druckwelle in den Ohren spürte.

Erschreckt von der Erschütterung wickelte sich die Schlange um meinen Hals und drückte zu.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

Ich konnte mich nicht entscheiden, welcher Tod der schlimmere war: durch das Gift der Schlange zu sterben oder durch den Knüppel des Stockmanns. Denn in meiner Angst konnte ich nur an die Geschichte des alten Mannes denken. Daran, was Shuna die Füchsin, Schutzpatronin der Händler und Diebe, gesagt hatte.

Ich machte den Mund auf, doch kein Laut kam hervor, nicht einmal ein Flüstern. Nur das bisschen Atem, das mir über die Lippen streichen konnte, während mich die Schlange würgte.

Bitte, Freund, sagte ich. Tu mir nichts.

Die Schlange schwebte vor mir, der Kopf schaukelte hin und her, die Zunge zuckte mir über die Haut.

Sssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssssss

Neben mir saß der alte Mann wie erstarrt da. Durch die Weidenzweige sah ich Dicknase näher kommen. Er streckte die Hand aus …

… doch sein Kamerad riss ihn zurück.

»Bist du von Sinnen?«, grollte die Knarrstimme und schüttelte den anderen Soldaten. »Das ist ein Schlangenkorb. Hörst du es nicht zischen?«

Dicknase erstarrte. Er lauschte, und in der Stille vernahm er das zornige Zischen, das mir in den Ohren gellte.

»Der Boss hat gesagt, wir sollen überall suchen«, brummte der Mann verlegen und trotzig zugleich. »Die könnten sich doch da drin verstecken!«

»Wenn sie das tun«, entgegnete die Knarrstimme, »dann sind sie schon tot. Und wenn du ihnen nicht Gesellschaft leisten willst, dann hauen wir jetzt besser hier ab.«

Sie verließen das Zimmer. Draußen durchwühlten sie noch ein paar Minuten lang das restliche Haus, ehe sie aufgaben und nach nebenan gingen.

Im selben Moment, in dem die Stockmänner verschwunden waren, schlug der alte Mann den Korbdeckel zurück. Jetzt konnte ich die Schlange sehen, die mich umklammert hielt. Sie war kupferfarben, mit gefleckten Ringen auf dem Leib bis zur Schwanzspitze. Ich starrte in ihre runden schwarzen Augen.

Langsam und vorsichtig streckte der alte Mann die Hand nach ihr aus.

»So ist’s gut, braves Mädchen, komm her«, murmelte er.

Die Schlange wandte sich ihm zu. Ihre Zunge leckte über seine Fingerspitzen. Dann lockerte sich ihr Griff um meinen Hals, und sie glitt am Arm des alten Mannes entlang von mir weg.

Sie zischte ihn an, machte aber keine Anstalten, ihn anzugreifen. Der alte Mann ließ die Schlange nicht aus den Augen, während er leise zu mir sagte: »Worauf wartest du noch, Junge? Auf eine Einladung zum Ball?«

Ich kletterte hastig über den Rand des Korbs, fiel zu Boden, krabbelte auf allen vieren von der Schlange weg. In einer Ecke kauerte ich mich zusammen und schluchzte vor Panik und Erleichterung.

Vorsichtig tat es der alte Mann mir nach. Er stieg aus dem Korb und senkte dann seinen Arm hinein. Die Schlange glitt von ihm herab und zischte ein letztes Mal laut und wütend – ssssSSSSssss –, woraufhin der alte Mann mit erhobenen Händen zurückwich. Schnell schlug er den Deckel zu und sperrte die Schlange im Korb ein. Dann drehte er sich zu mir um, wie immer die Ruhe selbst.

»Wo ist die Münze?«

Es dauerte einen Moment, bis ich begriff. Wortlos öffnete ich meine Faust.

Das Antlitz des Kaisers schimmerte blau auf meiner Handfläche. Der Rand der Münze war glänzend rot. Von Blut – meinem Blut. Ich hatte das Ding so fest umklammert, dass es mir in die Finger geschnitten hatte.

Der alte Mann nahm die Münze. Er riss das Laken von einer Matratze und wischte damit das Blut ab. Dann hielt er die Münze in die Höhe und begutachtete ihre Verzauberung.

Er grinste. »Nicht schlecht, Junge. Gar nicht schlecht.«

Die Worte kamen stoßweise aus meinem Mund. »Ich d…dachte wir w…wären tot.«

»Etwas zu denken, lässt es noch lange nicht wahr werden, richtig?«

Ich saß auf dem Boden. In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Die Stockmänner hätten mich entdecken müssen. Die Schlange hätte mich beißen müssen. Nachdenklich blickte ich zu dem Korb.

Hatte Shuna mich beschützt? Waren meine Worte an ihre Ohren gedrungen? Hatte sie mein Flehen erhört?

War das Magie?

Ein dummer Gedanke, ich weiß. So funktionierten Bannsprüche und Zauberei nicht. Aber ich war erst sechs Jahre alt und wusste es nicht besser. Und so dachte ich, vielleicht war ich tatsächlich von der Füchsin gesegnet worden. Da fiel mir ein, dass der alte Mann seine Geschichte nicht zu Ende erzählt hatte.

»Was ist dann passiert?«, fragte ich. »Wie geht die Geschichte aus?«

»Welche Geschichte?«

»Von Füchsin und Bärin. Mit der Schlange. Wie geht sie aus?«

»Keine Ahnung.«

Ich blinzelte. »Wieso weißt du das Ende der Geschichte nicht?«

»Hab sie nie zu Ende gelesen. Jemand hat die letzte Seite aus dem Buch gerissen.«

»Warum sollte irgendjemand eine Seite aus einem Buch über Füchsin und Bärin herausreißen?«

Er schnickte die Münze in die Höhe. Sie trudelte durch die Luft, fiel herab und verschwand wieder in seiner Hand.

»Wenn ich das wüsste.«

ACHT JAHRE SPÄTER

Kapitel 1

Ich hasse Prinzessinnen.

Na ja, das ist vielleicht ein bisschen ungerecht. Es ist ja nicht so, dass ich schon vielen Prinzessinnen begegnet wäre. Nur diesem einen Mädchen, das mich jetzt gerade mit einem Schmollmund musterte: Bronwyn von Coulgen. Erbin des Rabenzepters, Juwel des Ostens und die größte Nervensäge, die mir je untergekommen war. Es wäre also etwas übertrieben zu behaupten, dass ich Prinzessinnen im Allgemeinen hasse. Ich hasste nur diese eine.

Aber da war ich der Einzige. Die schöne Bronwyn mit ihren dunkelbraunen Locken, den schiefergrauen Augen und der unglaublich üppigen Erbschaft hatte Dutzende Verehrer. Vielleicht sogar Hunderte – es ist schwer, einen Narren vom anderen zu unterscheiden; alle wären sich mit Freuden gegenseitig an die Gurgel gegangen, nur um in ihrer Nähe sein zu dürfen.

Bronwyns Lieblingsspiel hieß »Kämpft um mich«. Ich war seit drei Monaten in Coulgen, und in dieser Zeit hatte sie ihre bezaubernden Locken ganze neunzehn Mal über die Schulter geschüttelt (ich hatte mitgezählt) und in aller Unschuld behauptet, dass ein junger Edelmann den Namen eines anderen durch den Dreck gezogen habe, nur um das Blut der Jungen, die ihr mit Federhüten und wehenden Rockschößen nachrannten, in Wallung zu bringen.

Der Behauptung folgten Kränkungen, was zu Duellen im Morgengrauen führte (oder im Abendrot, wenn sie es nicht erwarten konnte). Und unentwegt lächelte die Prinzessin ihr strahlendes Lächeln, und ihre Augen leuchteten heller beim Anblick von Pulverrauch und Blut.

Sie war ein grausames Ding, diese Bronwyn. Aber außer mir erkannte das niemand. Bevor er mich im Stich ließ, hatte mich der alte Mann nämlich gut ausgebildet.

Du darfst nie das Spiel beobachten, hatte er immer mit dieser selbstgefälligen Stimme gepredigt. Beobachte die Spieler. Beobachte sie und höre ihnen zu. Dann erfährst du ihre Geheimnisse.

Und während ich bei Bronwyn im Audienzzimmer ihres Palastes saß, beobachtete ich und hörte zu. Und hinter ihrer hübschen Visage waren ihre Gedanken so deutlich sichtbar wie der helle Tag. Sie hatte mich hergebracht, um mir etwas zu stehlen. Und sie würde mich nicht eher gehen lassen, bis sie es hatte.

Bronwyn warf ihre Locken nach hinten – zum zwanzigsten Mal, ha! – und erhob sich verärgert. Das konnte sie sehr gut: ungehalten und eingeschnappt tun.

»Oliver hat recht«, sagte sie. »Es liegt Ihnen nichts an mir.«

Das stimmte. Aber genauso wie sie vorgab, gekränkt zu sein, so spielte ich ihr nun Bestürzung vor. Ich sprang auf und stieß einen Fluch aus.

»Bei Shunas Schnauze! Oliver lügt wie der Hund, der er ist! Ich werde ihn für diese Schmach zur Rechenschaft ziehen!«, schwor ich und hatte nichts dergleichen im Sinn.

Sie schwebte hinaus auf die Veranda – ein hübscher Anblick, das musste ich zugeben. Ihr Morgenkleid war wunderbar geschnitten, mit Spitzenbesatz an den Schultern und einem geschnürten Mieder mit goldenen Ösen. Und die Farbe … Der Ton der Seide passte haargenau zur Farbe ihrer Augen, und ich fragte mich, ob das Kleid verzaubert war.

Was ihre Brosche betraf, gab es daran keinen Zweifel. Der Kristall hatte die Form eines Wolfs und leuchtete in einem Licht, das aus der Tiefe des Steins kam. Wenn sich Bronwyn bewegte, veränderte sich seine Farbe, und es sah so aus, als würde der Schwanz des Wolfs hin und her fegen. Ein solcher Trick konnte nur von einem Weber herrühren – einem Bannweber, um genau zu sein, obwohl sie heute niemand mehr bei ihrem vollen Namen nannte.

Ich wusste immer noch nicht viel mehr über Bannsprüche als an dem Tag im Schlangenkorb. Der alte Mann hatte mir nur gesagt, dass die Weber Bannsprüche erschufen, indem sie Tieren ihre Lebenskraft raubten und sie in tote Gegenstände einsperrten, und dass jeder Zauber irgendwann verging. Als ich ihn drängte, mir mehr zu erzählen, legte er bloß die Füße auf einen Stuhl, zündete seine Pfeife an und sagte: Wen kümmert es, wie die Sache funktioniert, Junge? Bannsprüche sind gefährlich, das ist alles, was du wissen musst. Nur ein Dummkopf mischt sich in die Angelegenheiten der Natur.

Dummkopf hin oder her, Magie war der Grund für meine Anwesenheit in Coulgen. Denn obwohl er mir nichts über Magie beigebracht hatte, wusste ich doch von dem alten Mann, dass im Herzen eines jeden guten Bluffs das Verlangen liegt. Jeder, sagte er, ob arm oder reich, jung oder alt, will irgendetwas. Wenn man die Zielperson damit ködert, hat man sie am Haken und kann sie dahin bringen, wo man sie haben will.

Und Bronwyn liebte glitzernde Dinge.

Jedes Mal, wenn wir uns begegneten, trug sie irgendein Schmuckstück – eine Brosche, eine Nadel, ein Armband –, das sein eigenes magisches Licht verströmte. Und auch hier, im Audienzzimmer der Prinzessin, glitzerten alle möglichen Kristalle: ein Tablett mit Kelchen, ein juwelenbesetzter Spiegel. Selbst die Halterungen für die Öllampen funkelten und boten ein prächtiges Farbenspiel innerhalb des Glases.

Aber es gab einen Gegenstand, der einfach nicht funkeln wollte: die Tränen des Ozeans, die Erbkette von Coulgen, die sie an diesem Morgen trug. Ein Collier aus Saphiren, jeder so groß wie ein Kieselstein; jede Prinzessin hätte sich glücklich geschätzt, eine solche Kostbarkeit zu besitzen.

Aber, wie der alte Mann gesagt hatte, hier ging es um Verlangen. Ich rechnete fest damit, dass ihre Liebe für funkelndes Geschmeide Bronwyn unvorsichtig machen würde. Und diese Wette musste sich auszahlen – denn ansonsten war ich ein toter Mann.

Ich trat zu ihr hinaus auf die Veranda. Ihr Leibwächter folgte mir. Der Mann trug die rote Uniform eines Kammerdieners, aber sein wachsames Auge – und der Kläffer in seinem Gürtel – ließen keinen Zweifel daran aufkommen, dass er nicht hier war, um Getränke zu servieren.

Bronwyn lehnte sich an das Geländer. »Wenn ich Ihnen etwas bedeute«, sagte sie, »warum verlassen Sie Coulgen dann? Ich hatte ja kaum Gelegenheit, Sie kennenzulernen.«

Ich täuschte so viel Ernsthaftigkeit vor, wie ich konnte. »Ich habe keine Wahl. Mein Vater ruft mich nach Hause.«

Interessiert drehte sie sich zu mir um. »Die Nachrichten sind doch gewiss übertrieben.«

»Im Gegenteil«, sagte ich. »Es steht schlimmer, als die Zeitungen berichten.«

Wir starrten in den Morgenhimmel. Obwohl der Tag bereits angebrochen war, leuchtete der Horizont im Osten immer noch in einem strahlenden Orange. Es sah beinahe so aus, als stünde die Luft in Flammen.

Und irgendwie stimmte das ja auch. Vor sechs Tagen war in der Provinz Garman, am östlichen Rand der Welt, ein Vulkan ausgebrochen. Der Bolcanoig, einer der »Sieben Brüder« – der sieben angeblich schlafenden Vulkane, die unsere Welt Ayreth umfassten –, hatte ohne Vorwarnung seine Kappe in den Himmel geschleudert und einen erheblichen Teil von Garman unter geschmolzenem Gestein begraben.

Ganz Ayreth war unter der Wucht erzittert. Und dann hatte sich der Himmel mit dieser bemerkenswerten Farbe überzogen. Die Naturkundler behaupteten, das Orange rühre vom Sonnenlicht her, das durch die in die Atmosphäre getriebene Asche schien. Ich hatte keine Ahnung, ob das stimmte – über die Natur wusste ich genauso wenig wie über Magie –, aber Neuigkeiten waren der Nährboden für Gerüchte. Und Gerüchte, Junge, sind Gelegenheiten, wie der alte Mann immer sagte.

Dies war meine Gelegenheit. »Ich muss gehen«, sagte ich. »Meine Kutsche fährt um Punkt 12 Uhr mittags.«

Bronwyn machte einen Schritt auf mich zu. Ihre Unterlippe zitterte. »Und das war’s? Kaum sind Sie in mein Leben getreten, da verlassen Sie mich schon wieder? Ohne etwas zurückzulassen, das mich an Sie erinnert?«

»Wenn Sie versprechen würden, mich in Ihrem Herzen zu bewahren«, sagte ich, »dann würde ich Ihnen beide Monde schenken.«

Was für ein Geschwätz.

Ich wandte mich ab und ließ sie einen Moment lang nachdenken. Ihr Blick war wie ein Dolch in meinem Rücken. »Sie haben mir einen Anblick versprochen, dem nichts in Coulgen gleichkäme«, sagte sie und konnte dabei die Kälte nicht ganz aus ihrer Stimme verbannen.

»Ah ja, das habe ich.« Ich wartete noch ein Weilchen, bis ich Angst bekam, sie würde gleich explodieren. Dann ging ich wieder ins Zimmer zurück und kramte in meiner Reisetasche, aus der ich schließlich ein geschnitztes Elfenbeinkästchen zog. Bronwyn trat zu mir, als ich es öffnete.

Und keuchte auf.

Darin lag auf einem Bett aus Samt ein Halsschmuck. Die Kette war aus Gold – nun ja, goldfarben – und bestand aus zwei dicken, miteinander verschlungenen Strängen. Aber es war nicht die Kette, die ihr den Atem raubte.

Im Zentrum des Colliers wanden sich die Stränge um drei Edelsteine, jeder so groß wie eine Pflaume. Sie blitzten und funkelten, als ob der Nachthimmel in ihnen gefangen wäre.

»Arthas Sterne«, sagte ich und hob die Kette aus dem Kästchen. Das Licht der Steine malte ein ständig wechselndes Kaleidoskop aus Farben an die Wände des Zimmers. »Das Erbe meiner Familie. Die Steine wurden von Alastair XXIII gebunden, dem vierhundertachtundsiebzigsten Hohen Weber. Er hat sie vor dreihundert Jahren verzaubert, und sie werden noch weitere dreihundert Jahre glitzern und funkeln.«

»So lange?« Ihre eigenen Augen glitzerten und funkelten vor Gier. »Wie ist das möglich?«

»Mein Großvater behauptet, dass die Seelen von einer Million Glühwürmchen darin gebunden sind. Die Beschwörung hat sieben Jahre gedauert.«

»Das glaube ich gern«, sagte sie atemlos. »Ich will sie anprobieren.«

Ich zögerte. »Also … das darf ich eigentlich nicht. Mein Vater meint, ich solle sie niemandem zeigen …«

»Wer sollte es erfahren?« Sie schenkte mir ihr bezauberndstes Lächeln. »Hier sind ja nur wir beide.«

Ich machte mir nicht die Mühe, auf den Leibwächter hinzuweisen. Bronwyn war nicht der Mensch, der die kleinen Leute beachtete. »Ich … Also schön.«

Unauffällig trat ich einen Schritt zur Seite, sodass sie direkt zwischen mir und dem Soldaten stand. »Wenn Sie erlauben …«

Sie wartete nicht einmal ab, bis sie mit dem Rücken zu mir stand, ehe sie anfing zu grinsen. Ich löste den Verschluss der »Tränen des Ozeans« und ließ die Halskette über ihren Kragen gleiten. Er rutschte von ihrer Schulter und baumelte hinter ihrem Rücken in meiner Hand. Bronwyn versperrte dem Wachsoldaten den Blick.

Und ich nahm die Gelegenheit wahr.

Ich ließ die Halskette in meinen Ärmel gleiten. Dann zog ich eine Kopie der »Tränen des Ozeans« mit Steinen aus gefärbtem Glas an einem Seidenfaden, der an meiner Manschette festgeknüpft war, aus dem Ärmel. Und schon hielt ich – für alle gut sichtbar – statt Bronwyns Schmuck die billige Kopie in der Hand.

Ich warf einen Blick auf den Leibwächter. Er musterte uns gelangweilt.

Jetzt spiel deine Karten aus, Junge, hörte ich die Stimme des alten Mannes in meinem Kopf. Ich legte die falsche Halskette über die Armlehne des Sofas und »Arthas Sterne« um Bronwyns Hals.

Sie starrte die Juwelen an, die unter ihrem Kinn funkelten, und schnippte mit den Fingern. »Spiegel.«

Ich nahm einen silbernen Spiegel von dem Tisch und hielt ihn vor Bronwyn hin, sodass sie sich darin sehen konnte. Sie drehte sich hin und her und ließ ihr Spiegelbild dabei nicht aus den Augen.

Ich räusperte mich. »Ich wünschte, ich könnte bleiben, Hoheit, aber ich muss mich wirklich verabschieden.«

Sie konnte den Blick nicht von ihrer Gestalt lösen. »Ja, natürlich.«

»Also …«, sagte ich erwartungsvoll. »Arthas Sterne?«

Endlich sah sie mich an, voller Überraschung. Jetzt kommt’s. »Sie wollen sie doch nicht etwa mitnehmen?«, sagte sie.

Ich tat verdattert. »Ähm … wieso denn nicht?«

»Kehren Sie nicht nach Garman zurück?«

»Doch, natürlich.« Eigentlich nicht, aber was soll’s?

»Aber Sie wissen doch gar nicht, welche Situation Sie in Ihrem Land erwartet«, sagte sie. »Was, wenn die Kette verloren geht? Was, wenn Ihre Kutsche von Banditen überfallen wird, die durch ungünstige Umstände zu Verzweiflungstaten getrieben werden? Dann würden Sie den kostbarsten Schatz Ihrer Familie verlieren.«

»Daran … habe ich nicht gedacht.« Ich runzelte in gespielter Ratlosigkeit die Stirn. »Ich könnte sie vermutlich der Bank geben …«

»Der Bank?« Bronwyn bedachte mich mit einem fassungslosen Blick. »Mein Vater vertraut der Bank keine einzige Sept an.«

»Aber was soll ich denn sonst damit tun?«

Ja, was denn? »Sie könnten sie bei mir lassen«, sagte Bronwyn, als ob ihr der Gedanke eben erst eingefallen wäre.

Ich tat überrascht. »Bei Ihnen, Hoheit?«

Sie spreizte die Hände. »Der Palast ist der sicherste Ort in ganz Coulgen. Kein Dieb könnte hier eindringen.«

»Nun … vielleicht …«

Mit einem leicht schockierten Ausdruck sah sie mich an. »Sie sorgen sich doch nicht etwa, dass ich sie stehlen könnte!«

Ach, aber genau das tust du doch, dachte ich. Und wenn ich sie wiederhaben will, behauptest du, ich hätte sie dir geschenkt. Du wirst erwarten, dass mir die Sache viel zu peinlich sein wird, um zuzugeben, dass ich reingelegt wurde.

Aber du verstehst das alles ganz falsch, Prinzesschen. Während du glaubst, mich zu betrügen, betrüge ich dich. So funktioniert der Bluff. Du glaubst, dass du die Oberhand hast, während du in Wahrheit diejenige bist, die an der Nase herumgeführt wird.

Ich sollte es wissen. Denn das gehört zu meinem Job.

Also stieß ich ein unbehagliches Lachen aus. »Natürlich würden Sie sie nicht stehlen!«

»Dann ist es also abgemacht«, sagte sie. »Ich bewahre sie für Sie auf, bis Sie zurückkehren. Obwohl Sie hoffentlich nichts dagegen haben, wenn ich sie noch ein bisschen länger anbehalte.«

»Nein, Hoheit.« Ich lächelte. »So lange es Ihnen beliebt.«

Kapitel 2

Ein guter Rat: Schlaft nie am hinteren Ende eines Wagens.

Diese Lektion lernte ich auf die harte Tour. Glücklicherweise – oder unglücklicherweise, je nach Betrachtung – regnete es während der letzten vier Tage meiner Reise. Und als ich einnickte und vom Wagen rollte, prallte ich nicht auf die Steinplatten der kaiserlichen Straße, sondern landete in einer tiefen Schlammpfütze. Keine gebrochenen Knochen, nur sehr viel Dreck in der Nase.

Niesend und schnaubend hockte ich da, während der Kutscher weiterfuhr. Halb belustigt, halb bedauernd schaute er über die Schulter zu mir. »Tut mir leid, Kumpel, aber ich kann nicht anhalten. Ich muss so früh wie möglich durch das Tor.«

Natürlich. Unten am Fuß des Hügels erhoben sich die Stadtmauern von Redfairne. Die Dämmerung brach heran. Gerade waren die Tore geöffnet worden. Schon bildete sich eine Schlange mit Händlerwagen, sie alle wollten in die Stadt. Hier hatte niemand Zeit zu verschenken.

Meine Knochen knackten, als ich mich aufrappelte. Ich kannte meinen Geburtstag nicht – als der alte Mann mich in den Straßen von Perith fand, schätzte er mich auf sechs Jahre, was bedeutete, dass ich nun ungefähr vierzehn war – aber wie auch immer: Ich war viel zu jung für knirschende Knochen.

Aber was will man erwarten nach zwei Wochen auf einem Erzfuhrwerk? Als ich aus Coulgen geflohen war, mit Bronwyns Halsschmuck in meinen Kleidern versteckt, hatte ich eine Mitfahrgelegenheit ergattert für eine dreihundert Meilen weite Fahrt über eine Straße mit drei Millionen Schlaglöchern nach Redfairne, meinem Zuhause. Oder zumindest dem, was einem Zuhause am nächsten kam.

Ich hätte zu gerne die Rolle des jungen adeligen Müßiggängers weitergespielt und wäre in einer gemütlich gepolsterten Kutsche gefahren. Aber der alte Mann hatte mir beigebracht, niemals ein Risiko einzugehen, wenn es nicht unbedingt nötig war. Und da Bronwyn möglicherweise bemerken würde, dass ich das Erbstück ihrer Familie gegen eine Fälschung ausgetauscht hatte, trug ich nun statt meiner Seidenhemden die einfache Wollkleidung eines Arbeiterjungen. Mit dem Rest meines Taschengeldes hatte ich den ersten fahrenden Händler bestochen, der mir in den Weg kam, damit er mich aus der Stadt schmuggelte.

Lange Rede, kurzer Sinn: Mir tat alles weh. Ich humpelte auf das Stadttor zu und versuchte dabei, wieder Gefühl in meine Beine zu massieren. Von meinem armen Hintern ganz zu schweigen; in den vergangenen vierzehn Tagen hatte er Bekanntschaft mit jedem Splitter gemacht, der aus dem Holz des Karrens herausstach. Es wäre mir recht gewesen, wenn mich ein anderer der vorbeifahrenden Händler mitgenommen hätte, aber keiner von ihnen wollte mich angesichts meines Aussehens in seiner Nähe dulden. Und vermutlich spielte mein Geruch dabei auch eine gewisse Rolle.

Dreihundert Meilen auf Rädern, die letzten paar zu Fuß. Kein Job ist erledigt, ehe er sich nicht ausgezahlt hat.

Der Uhrmacherladen befand sich im Vorderzimmer eines alten braunen Steingemäuers in einer zwielichtigen Gegend der Stadt. Über der Tür schaukelte quietschend ein Schild in der Brise.

GREYS FEINSTE UHRENHochwertige Zeitmesser für anspruchsvolle Gentlemen

Schon das Schild war für sich genommen ein Kunstwerk. Obwohl nur acht Worte darauf standen, hatte der Mann es geschafft, mindestens drei Lügen hineinzuquetschen. Mir fiel ein neues Loch im Holz auf, ein Kreis, der aus dem O in »Hochwertige« gestanzt war. Offenbar hatte jemand das Schild als Zielscheibe benutzt. Na ja, besser das Schild als den Uhrmacher, würde ich sagen.

Als ich eintrat, ertönte die Glocke, und die Hitze der Lampen erfüllte die Luft mit einem fischigen Gestank nach verbranntem Walfett. Wie auf dem Schild stand, gab es hier Uhren aus der Werkstatt eines Mr Grey zu kaufen, obwohl »feinste« nicht die passende Beschreibung dafür war. Aber GREYS HALBWEGS FUNKTIONSTÜCHTIGE UHREN hätte sich wohl auf dem Schild nicht allzu gut gemacht.

In Greys Laden gab es alle möglichen Uhren: Wanduhren mit langen schwingenden Pendeln; Kaminuhren mit Seitenwänden aus Glas, sodass man das Uhrwerk sehen konnte; versilberte oder vergoldete Taschenuhren. Das erste Stück, auf das der Blick der Kunden fiel, war in der Tat prächtig: eine herrliche Standuhr, mannshoch, mit Zahnrädern so groß wie mein Kopf. Das Ziffernblatt war aus Metall und bestand aus mehreren Schichten Zinn, die sich zusammen mit den Zeigern drehten, von einer Tagszene zu einer Nachtszene. Dazwischen bewegte sich ein vertrautes Paar: Artha die Bärin und Shuna die Füchsin. Sie jagten einander rund um das Zifferblatt. Artha trottete unter der Sonne des Tages, Shuna schlich nachts unter den Zwillingsmonden, in einem nie endenden Kreislauf.

Die Arbeit war von hoher Qualität – und ein Blendwerk, wie Grey selbst. Er hatte diese Uhr nicht gebaut, sondern sie in einem eleganten Laden in Carlow gekauft, in der Hauptstadt des Reichs, siebzig Meilen jenseits des Lake Galway nach Westen.

Grey selbst stand wie üblich hinter dem Tresen. Er war ein Mann in den späten mittleren Jahren und hatte eine stämmige Weichheit an sich, wie man sie gelegentlich beobachten kann, wenn die Jugend vergangen ist und sich der Betreffende gehen lässt. Obwohl mir auffiel, dass er ein bisschen abgenommen hatte, während ich weg war. Seine Weste spannte nicht mehr so stark über dem Bauch.

Heute war ein kleines Wunder geschehen: Grey hatte einen Kunden. Er beugte sich gerade über den Tresen, den Unterleib gegen die Holzkante gepresst, und zeigte einem Mann in einem Mantel seine Ware. Der Uhrmacher warf mir einen Blick zu und zuckte zusammen. Der Kunde bemerkte es, drehte sich um und riss die Augen auf.

Ich stand da und blinzelte sie durch den getrockneten Schlamm zwischen meinen Wimpern an.

Grey sagte mit seinem breiten Akzent: »Ähm … die Kohlenlieferung, richtig?«

Ich nickte.

Er ruckte mit dem Daumen. »Hintenrum.«

Ich humpelte hinaus zur Gasse, die hinter dem Haus verlief, während sich der Uhrmacher wieder dem Kunden zuwandte. An der Hintertür wartete ich, während meine Knie nachzugeben drohten, bis der Riegel klackte und die Tür aufging.

Grey musterte mich von oben bis unten. Und fing an zu lachen.

Ich lehnte meinen Kopf gegen die Wand. Ich war zu müde, um mich mit ihm zu streiten. Als er nach Luft schnappen musste, fragte ich: »Bist du fertig?«

»Ach, hör sich einer den Miesepeter an«, sagte Grey. »Komm rein, Jungelchen. Machen wir dich erst mal sauber.« Er kicherte. »Falls das möglich ist.«

Grey wohnte über seinem Laden, und in den vergangenen sechs Monaten war das auch meine Unterkunft gewesen, wenn ich nicht irgendwo unterwegs war und einen Job erledigte.

Mein Zimmer war nichts Besonderes; es war nicht einmal ein Zimmer, nur eine Rumpelkammer mit einem Feldbett und einer Lampe, die an einem Haken baumelte. Aber Grey schuldete mir nichts, und er verlangte keine Miete, und wenn er mich auch manchmal zur Weißglut trieb, war ich dankbar für das Dach über meinem Kopf.

Als ich mich auf mein Bett fallen lassen wollte, hielt mich der Uhrmacher zurück. »Nicht so schnell, Jungelchen, wenn du nicht deinen eigenen Dreck aufwischen willst. Zuerst geht’s in die Wanne.«

Grey hatte im Waschraum Leitungen legen lassen, damit er die Wasserträger nicht dafür bezahlen musste, jede Woche frisches Wasser herbeizuschleppen. Er hatte sogar ein gewisses Maß an handwerklichem Geschick bewiesen, als er eine der Leitungen hinten um seine Esse herumgelegt hatte, sodass er heißes Wasser zapfen konnte, solange das Feuer in der Esse brannte. Aus der Leitung ertönte das vertraute Klappern, als ich den Hahn öffnete. Dann quoll in Schwällen das Wasser heraus.

Grey wartete mit vor der Brust verschränkten Armen an der Tür.

»Baden ist Privatsache«, erklärte ich.

Er zog die Augenbrauen hoch. »Hast du nicht was vergessen, Jungelchen?«

Ach ja. Richtig. »Es ist unter …« Ich deutete auf meine dreckverkrustete Kleidung, weil ich zu müde war, um den Satz zu Ende zu sprechen.

»Na, dann runter damit.«

Ich zögerte. Ich wollte ihm nicht meine Narben zeigen. Aber er würde erst dann gehen, wenn ich ihm aushändigte, worauf er wartete. Meine Hosenträger befanden sich unter meinem Hemd, und es war mühsam, sie auszuhaken, ohne das Hemd so weit hochzuziehen, dass meine Haut sichtbar wurde.

Schließlich gelang es mir. Meine Hosen rutschten nach unten und entblößten die »Tränen des Ozeans«, die um meinen Oberschenkel geschlungen waren. Wenn Bronwyn mich jetzt so sehen könnte.

Grey grinste, als ich ihm den Halsschmuck reichte. »Gut gemacht, Jungelchen. Dein Anteil liegt im Laden.«

Ich wartete, bis ich ihn die Treppe hinunterstapfen hörte. Erst dann zog ich mein Hemd aus. Im Waschraum gab es keinen Spiegel, also konnte ich meinen Rücken nicht betrachten, jedenfalls nicht den schlimmsten Teil. Aber es blieben immer noch genug Narben, die ich sehen konnte. Sie zogen sich über meine Schulter, um meine Hüften, und ein hässlicher Tentakel schlang sich quer über meinen Bauch.

Ich weiß nicht, warum ich sie unbedingt ansehen musste. Sie hatten sich in den vergangenen acht Jahren kein bisschen verändert. Und selbst wenn ich nie wieder in den Spiegel würde blicken müssen, würde ich immer wissen, dass sie da waren. Sie taten weh. Jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde taten sie weh.

Ich stieg in die Wanne. Das Wasser schien kochend heiß und färbte meine Haut dunkelrosa – bis auf die Narben. Sie schmerzten sogar noch schlimmer im Badewasser, stachen von der Hitze wie Brandwunden. Aber sie wechselten nicht die Farbe. Sie blieben immer weiß.

Ich war zu müde, um nach sauberen Sachen zu suchen, deshalb wickelte ich mich nur in ein großes Handtuch und ging mit nassen Haaren nach unten. Grey hatte den Laden abgeschlossen und die Vorhänge vor das Schaufenster gezogen. Der Raum wurde nun durch die Öllampen erhellt, die er immer brennen ließ, sommers wie winters. Vermutlich hatte er sich an den Geruch gewöhnt.

Bronwyns Halskette lag auf dem Tresen. Grey stand daneben und kritzelte mit einer Schreibfeder Zahlen in ein Kontobuch. Und neben den »Tränen des Ozeans«, den Schwanz um die Pfoten gelegt, saß das, was mir in dem Laden das Liebste war: Krummbuckel der Kater.

Krumm war kein echter Kater. Sein Körper bestand aus Ton, der von einem Weber verzaubert worden war, damit er sich bewegen konnte, als wäre er lebendig. Grey hatte Krumm vor ein paar Jahren als Bezahlung angenommen und ließ ihn immer wieder neu verzaubern, weil er seine Gesellschaft mochte.

Mir ging es ebenso. Obwohl er von Menschen gemacht worden war, benahm sich Krumm wie eine richtige Katze. Er gab ein merkwürdiges, gedämpft klingendes Schnurren von sich und sprang überall hoch – wenigstens versuchte er es, denn der Weber, der ihn gebaut hatte, war kein besonders geschickter Handwerker gewesen. Die Beine waren ihm ein Stück in den tönernen Leib gesackt, sodass der Kater sich leicht nach links neigte und immer im Kreis lief, wenn man ihn nicht daran hinderte. Es war ein bemitleidenswertes Ding, zu nichts zu gebrauchen, aber aus irgendeinem Grund mochte ich ihn mehr, als wenn er richtig lebendig gewesen wäre.

Als er mich erblickte, stand er auf und tapste unbeholfen zu mir her, während das Schnurren seine Brust zum Vibrieren brachte. Ich musste ihn auffangen, weil er ansonsten umgekippt wäre.

Anders als bei einer echten Katze war es ihm egal, dass aus meinen nassen Haaren Tropfen auf ihn regneten. Wenn der alte Mann noch da gewesen wäre, hätte er mir geraten, mich von dem Ding fernzuhalten. Nur ein Dummkopf mischt sich in die Angelegenheiten der Natur und so weiter und so fort. Aber er war nicht da, also hielt ich Krumm fest, bis ich die Geldscheine sah, die am Ende des Tresens lagen. »Was ist das?«

»Die Unterhosen des Hohen Webers«, gab Grey zurück. »Was denkst du denn? Das ist dein Anteil.«

Ich setzte Krumm auf den Boden und starrte den jämmerlich kleinen Stapel Geldscheine an. Jeder Schein war hundert Kronen wert. Der Stapel bestand aus fünf Scheinen. »Soll das ein Witz sein?«

»Lache ich vielleicht?«

»Du sagtest, dass wir dreißigtausend für Bronwyns Kette bekommen. Und mein Anteil beträgt die Hälfte.«

»Die Hälfte nach Abzug der Ausgaben, Jungelchen. Du solltest nur drei Wochen in Coulgen bleiben. Aber du hast drei Monate gebraucht.«

»Das ist nicht meine Schuld! Es war dein Mann, der mich der Prinzessin vorstellen sollte!«

»Ja, ich weiß. Er hat’s vermasselt, und er kriegt nichts für seine Mühe, außer einem anständigen Fußtritt. Aber das ändert nichts an den Tatsachen.« Grey klopfte auf sein Kontobuch. »Du weißt, wie viel es kostet, das Leben eines Adeligen zu führen, nicht wahr? Elegante Kleidung, feines Essen, luxuriöse Hotels … Wir haben die Hälfte des Erlöses allein für Unterkunft und Verpflegung ausgegeben. Von der funkelnden Kette, die ich für dich besorgen sollte, ganz zu schweigen. Und der Job hat so lange gedauert, dass ein Stein seine Kraft verloren hat! Also musste ich den Weber doppelt bezahlen, und noch mal das Zweifache, damit er die Klappe hält.«

Ich traute meinen Ohren nicht. »Aber … das … es kann doch nicht so wenig sein.«

»Lies selbst, Jungelchen.« Grey schob das Kontobuch über den Tresen zu mir hin. »Ausgaben insgesamt: 29.151 Kronen und 54 Septe. Profit: 848,6. Ich habe auf fünfhundert aufgerundet, was mehr als dein Anteil ist. Also hör gefälligst auf zu meckern.«

In meinem Kopf hämmerte es. Drei Monate. Dafür hatte ich drei Monate vergeudet. Drei Monate mit den nutzlosesten Faulenzern auf der Welt, unter der Fuchtel dieser verdorbenen Göre. Dafür.

»Bei Shunas Zähnen!« Ich zerknüllte die Geldscheine und warf sie quer über den Tresen.

Grey sah ihnen nach, wie sie zu Boden trudelten. »Dadurch wird es auch nicht mehr.«

»Ich brauche dieses Geld!«, sagte ich.

Grey schnaubte höhnisch. Ich hatte noch nie mit ihm über Geld geredet, aber er wusste, dass ich von dem alten Mann keine Bezahlung bekommen hatte. Bei jedem Job, den wir gemeinsam durchgezogen hatten, war der Gewinn in seine Taschen gewandert. Das ist der Preis für eine kostenlose Ausbildung, hatte er immer wegwerfend gesagt, wenn ich mich beklagte.

»Wofür brauchst du denn Geld?«, fragte Grey. »Willst du Urlaub machen?«

Ich trat nach dem nächsten Geldschein und warf mich auf den Stuhl neben den Auslagen.

»Callan«, sagte Grey.

Ich ignorierte ihn.

»Callan. Schau mich an, Junge.«

Ich gehorchte mit zusammengepressten Lippen.

»Steckst du in Schwierigkeiten?«

»Nein.«

»Wofür dann das Geld?«

Krumm kam auf mich zugewatschelt. Er schubste einen zerknüllten Geldschein hin und her und rumste dann gegen mein Bein. Ich hob ihn hoch und hielt ihn fest, fühlte das leise Surren des Zaubers in seinem Körper.

»Daphna meinte, sie könnte mir bei etwas helfen«, sagte ich.

Greys Augen wurden schmal. Daphna war die Kontaktperson des Uhrmachers zu den Kreisen der Weber. Sie selbst war keine Weberin, mehr eine Mittelsfrau. Sie war es, die den verzauberten Halsschmuck besorgt hatte, mit dem ich Bronwyn hereinlegte.

»Was willst du denn mit der?«, fragte Grey barsch.

Ich winkte ab. »Du hast doch ständig mit Daphna zu tun.«

»Ja. Aber ich traue ihr nicht mal bis zur Spitze meines kleinen Fingers. Was hat sie dir eingebrockt?«

»Nichts.«

»Junge«, sagte er warnend.

»Es ist nichts. Wirklich nicht.« Krumm verlagerte sein Gewicht auf meinem Schoß. »Sie meinte, sie könnte mir helfen. Mit …« Ich wedelte in Richtung meines Rückens.

Schweigend setzte sich Grey auf seinen Stuhl. Er hatte meine Narben nie gesehen – niemand außer dem alten Mann konnte das von sich behaupten –, aber er schien immer gewusst zu haben, dass sie da waren. Ich war mir nicht sicher, ob der alte Mann ihm davon erzählt hatte oder ob Grey aufgefallen war, dass ich immer darauf achtete, angekleidet zu sein, selbst wenn es brütend heiß war. Aber wenn er wusste, dass es sie gab, dann wusste er auch, wo ich sie herhatte. Und er wusste, was sie bedeuteten.

Meine Narben waren die sichtbaren Zeichen einer Bestrafung, zu der ich vor langer Zeit verurteilt worden war. Das knotige, wulstige Fleisch kennzeichnete mich als Dieb.

»Hast du Schmerzen?«, fragte Grey.

Ich zuckte mit den Schultern. »Ich kann damit leben.« Hatte ich ja die vergangenen acht Jahre. Der beständige Schmerz, das gelegentliche Stechen im Rücken, das war etwas, woran ich mich gewöhnt hatte. Es gab Menschen, die es schlimmer getroffen hatten. Menschen, die durch die Hände der Stockmänner den Tod gefunden hatten. Mir wäre es ebenso ergangen, wenn mich der alte Mann danach nicht bei sich aufgenommen hätte.

»Wenn es nicht so schlimm ist«, sagte Grey, »warum dann die Mühe …? Ah.« Er verstummte, als ihm klar wurde, worauf ich es wirklich abgesehen hatte.

Wie ich schon sagte, die Narben wiesen mich als Dieb aus. Und einmal ein Dieb, immer ein Dieb. Wenn ich ein Leben haben wollte, einen Job – einen richtigen Job, nicht nur Äpfel an Passanten verkaufen, die ich vorher im Obstgarten eines Bauern geklaut hatte – dann musste ich von einer Gilde aufgenommen werden. Das Problem war, dass keine Gilde jemandem einen Lehrvertrag gab, ohne ihn auf Fehlbildungen oder Ähnliches zu untersuchen. Und keine Gilde würde mich aufnehmen, wenn man die Narben auf meinem Rücken sah.

Ich hatte schon nach einem Ausweg gesucht. Vor einem Jahr, während der alte Mann irgendwo außerhalb der Stadt zu tun hatte, war ich in Greys Laden gegangen und hatte ihn gefragt, ob er mir beibringen würde, Uhren zu reparieren.

Es dauerte eine Weile, bis ich eine Antwort von ihm bekam. Schließlich sagte er: »Ich weiß nicht, ob das eine so gute Idee ist, Jungelchen.«

Grey war ein grottenschlechter Uhrmacher. Der Hehler, der Diebesgut verkaufte, lag ihm viel mehr im Blut als der Handwerker. Er arbeitete mit Typen wie dem alten Mann zusammen und ließ junge Diebe – mich – in seinem Haus übernachten. Er war es also gewohnt, gegen die Regeln zu verstoßen. Aber selbst Grey wagte es nicht, sich den Zorn der Gilden zuzuziehen.

Eine Gemeinschaft gab es, der ich mich anschließen konnte. Das Haus der Brecher, die Gilde der Diebe und Bettler, konnte immer einen guten Trickbetrüger wie mich gebrauchen. Aber wenn das alles war, was mich erwartete, blieb ich lieber allein. Warum sollte ich für Fremde arbeiten? Die Gegenleistung war nicht der Rede wert. Der alte Mann hatte mir alles beigebracht, was ich wissen musste. Und noch eine letzte Sache, bevor er ging.

Vertraue niemandem. Nicht einmal dem Mann, der dich großgezogen hat.

»Aha«, sagte Grey leise. »Du hast also Ruhm und Ehre satt, was?«

Beinahe hätte ich gelacht. »Verrückt, stimmt’s?«

»Was möchtest du stattdessen tun?«

»Ich dachte an Uhrmacher. Kennst du jemanden, der’s mir beibringen würde?«

Er warf mir einen Lumpen an den Kopf. »Du hast eine scharfe Zunge für einen Tagedieb, der nicht weiß, wo er hin soll. Was hat Daphna dir versprochen? Einen Heiler?«

Ich nickte. Ich hatte sie schon gefragt, bevor ich nach Coulgen aufbrach, ob Weber Narben heilen konnten. Sie sagte, das könnten sie, es gebe Zauberer, die diese Art von Magie webten. Aber sie waren selten – und alles andere als billig.

»Und wie viel«, fragte Grey, »soll dieses herzerwärmende Wunder kosten?«

»Fünfzigtausend Kronen.«

»Fünfzigtausend!«, entfuhr es ihm. »Und mich nennt man einen Halsabschneider.«

Er hatte nicht Unrecht. Es war eine ungeheuerliche Summe. Der Coulgen-Job hätte mir – ohne die Ausgaben – schon ein kleines Vermögen bescheren sollen, nämlich fünfzehntausend Kronen. Und das wäre nicht einmal ein Drittel gewesen. Und doch … wenn ich sparte … und viel arbeitete … dann vielleicht. Nur vielleicht.

Vielleicht könnte ich frei sein.

Grey hatte mich gefragt, was ich tun würde. Der Gilde der Luftschiffer beitreten, dachte ich. Auf den Wolken reiten. Mein ganzes Leben lang. Doch das würde ich ihm nie verraten. Meine Träume gehörten allein mir.

Trotzdem bemerkte ich, dass Grey mich mit einem seltsamen Blick musterte. Man musste kein Experte im Lesen von Gesichtsausdrücken sein, um zu wissen, dass er etwas verschwieg – und ich war ein Experte. Der alte Mann hatte mich dazu gemacht.

»Was ist los? Spuck’s aus!«

»Na ja …« Er zögerte, als wollte er seine Worte abwägen. »Ich hätte da vielleicht einen Job, der so viel wert ist … und noch mehr.«

Kapitel 3

Früher hatte sich der alte Mann um unsere Jobs gekümmert. Angebote kamen anonym per Post an Greys Uhrengeschäft, adressiert an einen »Mr Brantworth, Architekt«. Ich hatte keine Ahnung, wie der alte Mann hieß – ich nannte ihn immer nur »alter Mann«, und das schien ihm recht zu sein –, aber ich war mir sicher, dass sein Name nicht Brantworth lautete.

In den ersten Monaten nach seinem Verschwinden trafen immer noch Briefe ein. Grey las sie und überließ mir die Jobs, von denen er glaubte, dass ich sie allein erledigen konnte. Sie brachten etwas Geld ein, nicht viel, aber immerhin. Doch schon bald versiegte diese Quelle. Die Sache in Coulgen war der letzte Auftrag, den wir bekommen hatten, und das war vor vier Monaten gewesen.

»Hast du einen neuen Brief erhalten?«, fragte ich.

»Nein«, antwortete Grey. »Aber du.«

Der Uhrmacher holte unter dem Tresen einen Umschlag hervor und ließ ihn über die polierte Platte zu mir schlittern. Und ausnahmsweise bewies Krumm ein solches Maß an Geschick, dass er ihn mit der Pfote vom Tresen schnickte, bevor ich ihn auffangen konnte. Ich musste mich bücken und ihn vom Boden aufheben.

Der Umschlag bestand aus erstklassigem Papier, versehen mit einer Goldkante. Grey hatte ihn bereits mit einem Messer geöffnet. Auf der Vorderseite prangte in eleganten geschwungenen Buchstaben mein Name.

Meister Callan aus Perith

c/o »Greys Feinste Uhren«, Redfairne

Callan aus Perith. Das bin ich. Bemerkenswert daran war nur, dass außer dem alten Mann, Grey und Daphna niemand meinen Namen kannte. Und weder Grey noch Daphna wussten, dass der alte Mann mich in Perith gefunden hatte.

Mein Herz hämmerte in meiner Brust. Er hat mir einen Brief geschrieben, dachte ich. Aber die Handschrift auf dem Umschlag war nicht die des alten Mannes. Der Brief stammte nicht von ihm.

»Wann ist der gekommen?«, fragte ich.

»Gestern.«

Auch das Briefpapier war von guter, schwerer Qualität, mit einem Wasserzeichen, das im Lampenlicht deutlich sichtbar war. Es roch ganz leicht nach Kohle. Ich las, was darauf stand.

Am 17. Neutag, Wiedergeburt 4211

Meister Callan,

ich hoffe, Sie sind wohlauf. Ich benötige dringend einen jungen Mann mit einigen ganz speziellen Talenten – Talente, über die (so erfuhr ich aus zuverlässiger Quelle) Sie verfügen.

Wenn Sie Interesse an einem Auftrag haben, lade ich Sie zu mir nach Hause ein, nach Carlow. Natürlich werde ich für Ihre Kosten aufkommen und Sie für die Zeit, die Sie diesem Besuch opfern, entlohnen. Ich kann Ihnen zweitausend Kronen anbieten, sofern Sie gewillt sind, mit mir zu reden. Dazu kommt noch eine deutlich höhere Bezahlung, sollten Sie den Auftrag annehmen.

Überrascht blickte ich auf. »Steht da wirklich, was ich denke, dass da steht?«

»Zweitausend Kronen, nur um sich mit dem Kerl zu unterhalten? Du hast richtig gelesen.«

Niemand hatte den alten Mann jemals bloß für eine Unterhaltung bezahlt. Ich las weiter.

Wie ich bereits erwähnte, ist dies eine Angelegenheit von einiger Dringlichkeit. Unser Treffen muss am 20. Neutag stattfinden. Um den Termin einhalten zu können, habe ich mir bereits erlaubt, für Sie eine Passage auf der »Malley« zu buchen. Das Flugticket, das diesem Brief beiliegt, kann an jedem beliebigen Tag bis zum Morgen des 20. eingelöst werden.

Wenn meine Bedingungen für Sie akzeptabel sind, erwarte ich Sie an diesem Tag um zehn Uhr vormittags in der Remlin Street Nr. 144 in Carlow, wo ich hoffe, Ihre Bekanntschaft zu machen.

Mit ehrerbietigen Grüßen

Mr Solomon

Ich drehte den Umschlag auf den Kopf und schüttelte ihn. Eine schmale, längliche Karte fiel in meine Handfläche, auch sie goldumrandet. Wie versprochen war es eine Tageskarte (einfacher Flug) von Redfairne nach Carlow mit dem Luftschiff Malley. Erste Klasse.

Ich schubste den Kater von meinem Schoß und fing an, im Laden auf und ab zu marschieren. Zwei Dinge gingen mir im Kopf herum.

Erstens: ein Luftschiff. Er schickt mir ein Ticket für ein Luftschiff.

Zweitens: zweitausend Kronen – für ein Treffen?

Das war viermal so viel wie das, was ich mit dem Diebstahl von Bronwyns Halskette verdient hatte. Bei Shunas Pfoten, allein schon das Flugticket war teurer.

Mehr noch: Wenn dieser Mr Solomon zweitausend Kronen für ein Treffen lockermachte, was würde dann der eigentliche Job einbringen? Zehnmal so viel? Zwanzigmal?

Fünfzigtausend Kronen, dachte ich. Fünfzigtausend, mit denen ich Daphna bezahlen kann. Und wenn ich noch ein bisschen feilsche …

Grey, der mich nicht aus den Augen ließ, sagte nichts. Aber es war mir nicht entgangen, wie er gezögert hatte, als er mir den Brief überreichte. »Du denkst, es ist eine Falle«, sagte ich.

Er zog eine Augenbraue hoch. »Du nicht?«

Es fühlte sich tatsächlich so an. Tatsächlich war dies eine der ersten Lektionen, die ich von dem alten Mann gelernt hatte. Nach der Sache mit dem Schlangenkorb hatten wir den Stockmännern ein Schnippchen geschlagen und waren aus Perith entkommen. Die Nacht verbrachten wir hinten auf einem Karren, den ein Bauer am Rand seines Feldes stehen gelassen hatte. Der Wagen hatte Kartoffeln geladen, und ich baute mir in einer Ecke daraus eine Art Festung.

Der alte Mann lag auf einem Kartoffelhaufen außerhalb meiner Festungsmauern und schaute hinauf in den Nachthimmel. Ich weiß noch, dass die Sterne heller und lebendiger strahlten, als ich es je in der Stadt erlebt hatte. Die Zwillingsmonde standen als schmale Sicheln kurz über dem Horizont. Der Alte paffte seine Pfeife und malte mit dem Rauch kleine Muster in die Luft, als ob er die Sternbilder mit den Fingern nachfahren würde.

Also, Junge, sagte er in diesem Ton, bei dem ich später jedes Mal wusste, dass er mir etwas Wichtiges beibringen würde. Wie stellst du es an, dass dir die Zielperson ins Netz geht?

Ich seufzte. Ich war müde. Erschöpft von dem Job, von der Rennerei, von der ständigen Angst. Und heute Abend war mein Bauch ausnahmsweise voll mit gekochten Kartoffeln. Ich wollte nichts weiter als schlafen.

Durch Verlangen, antwortete ich und wiederholte das Erste, das der alte Mann mir beigebracht hatte. Man muss herausfinden, was die Zielperson begehrt, und dann hat man sie am Haken.

Ja, aber das Verlangen ist nur der Anfang. Er blies einen Rauchkringel in die Luft. Der Kringel breitete sich aus und verschwand im Himmel. Wenn man jemandem etwas anbietet, was er unbedingt haben will, wird er unwillkürlich danach greifen. Das ist ein ganz natürlicher Instinkt. Aber wenn man ihm das Ersehnte gibt, fängt er vielleicht an, nachzudenken. Was für ein Glück ich habe, wird er sich sagen, dass das, was ich unbedingt will, mir in den Schoß fällt! Was für ein Glück … was für ein Glück …

Manche werden ihr Glück nicht infrage stellen, denn tief in ihrem Inneren sind sie der Meinung, dass es gar kein Glück ist, sondern dass ihre eigene erfolgsorientierte Natur ihnen die Gelegenheit beschert hat. Dass sie es sich nicht nur verdient haben, sondern dass es ihr gutes Recht ist. Diese Menschen sind eine leichte Beute. Wenn man ihnen den Mond versprechen würde, Junge, würden sie glauben, dass sie ihn einfach vom Himmel pflücken könnten.

Er streckte die Hand aus und umfasste die Sichel von Mithil, dem Mond, der am höchsten am Himmel stand. Er hielt die Kostbarkeit zwischen seinen Fingern, und seine Augen glitzerten vor Stolz.

Dann ließ er wieder los. Ja, sprach er weiter, wenn jemand von sich überzeugt ist, hat man leichtes Spiel. Die Vorsichtigen dagegen könnten auf die Idee kommen, ihr Glück zu hinterfragen. Das ist zu schön, um wahr zu sein, werden sie denken – wenn du ihnen die Zeit dafür lässt. Wie sollen wir sie davon überzeugen, ihrem Verlangen nachzugeben?

Ich war nicht in der Stimmung zum Nachdenken. Halt ihnen einen Kläffer an die Rippen, brummte ich.

Eine Kartoffel segelte über meine Mauer, wie ein Stein von einem Katapult, und prallte gegen meinen Kopf – das Lieblingsziel des alten Mannes.

Noch mehr clevere Bemerkungen?

Ich schwieg.

Ich habe dir die Antwort schon gegeben, fuhr der alte Mann fort. Zweifel wachsen mit der Zeit. Also darf man ihnen keine Zeit lassen. Stell ihnen eine tickende Uhr vor die Nase. Oder eine Sanduhr. Lass sie die Sekunden sehen, die verrinnen. Und wenn die letzten Sandkörner durchgerieselt sind … Puff! Er spreizte die Finger. Dann ist die Gelegenheit vorbei.

Verstehst du?, sagte er. Zwinge sie zu einer Entscheidung, dann werden sie ihre Zweifel beiseiteschieben. Sie wollen, dass es wahr ist. Also werden sie sich einreden, dass es wahr ist.

Er trat sich die Schuhe von den Füßen, schlug ein Bein über das andere und wippte mit dem oberen bestrumpften Fuß auf und ab.

Verlangen. Gier. Und Zeitdruck, sagte er. Das, mein Junge, sind die drei Pfeiler eines erfolgreichen Bluffs.

Während ich jetzt den Brief noch einmal las, kehrte die Erinnerung an den alten Mann mit voller Wucht zurück. Dieser Mr Solomon lockte mit mich dem, was ich wollte: genug Geld, um Daphna und einen Heiler zu bezahlen, um meine Narben loszuwerden. Um mein Schicksal zu ändern. Und um das zu erreichen, musste ich mich bis morgen entscheiden.

Verlangen. Gier. Und Zeitdruck. Alles an diesem Brief schrie förmlich: Falle!

Aber … weswegen? Und von wem? Bronwyn konnte es nicht sein. Sie wusste zwar mittlerweile, dass sie hereingelegt worden war – die funkelnde Kette, die sie für mich »verwahren« wollte, hatte bereits vor Tagen ihren Zauber verloren –, aber sie wusste nicht, von wem. Ich hatte meine Spuren gut verwischt, da war ich mir sicher. Abgesehen von der Prinzessin hatte ich niemanden so übel betrogen, dass sich jemand solche Mühe machen würde, um mich zu schnappen. Alle anderen Bluffs, die ich durchgezogen hatte, gingen auf das Konto des alten Mannes. Und Geld war bei mir nicht zu holen.

Trotzdem, die Sache war merkwürdig. »Warum ich?«, fragte ich Grey. »Warum wendet sich dieser Mr Solomon nicht an die Brecher?« Tatsache war, dass man in einer Stadt wie Carlow gar nicht am Haus der Brecher vorbeikam. Wenn die Gilde einen Dieb erwischte, der auf eigene Rechnung einen Job erledigte, setzte es Prügel. Oder Schlimmeres.

»Du hast wohl noch nicht die Zeitung gelesen.« Grey zog ein Nachrichtenblatt unter dem Tresen hervor und warf es mir zu. Das Datum darauf, der 16. Neutag, verriet mir, dass die Zeitung drei Tage alt war. Ich musste nicht fragen, welchen Artikel er meinte; die Schlagzeile sprang mir förmlich ins Gesicht.

GILDE DER BRECHER IN CARLOW ZERSCHLAGEN

Die Metropolitan Police in Carlow gab bekannt, dass man den ruchlosen Untaten der Bruderschaft der Diebe – besser bekannt als die Gilde der »Brecher« – ein für allemal einen Riegel vorgeschoben habe. In einer Reihe von gewagten Razzien am frühen Morgen gelang es der Polizei, das Rückgrat der Gilde zu zerschlagen und alle bekannten Mitglieder im Stadtgebiet entweder zu verhaften oder zu töten. Die Übeltäter (verschieden) sind:

Es folgte eine lange Liste mit Namen, die ich nicht kannte. Der alte Mann hatte um die Brecher immer einen genauso großen Bogen gemacht wie um die Weber.

Aber das hier … das war einfach verrückt. »Wie ist das passiert?«

Grey zuckte mit den Schultern. »Ich würde mal vermuten, dass die Brecher jemanden in Carlow so richtig wütend gemacht haben.«

In meinem Kopf wirbelten die Gedanken. Der Brief datierte vom 17., dem Tag, nachdem die Polizei die Gilde der Brecher aufgerieben hatte. Was bedeutete, dass dieser Mr Solomon ganz dringend einen Dieb brauchte. Das würde auch das großzügige Angebot erklären.

Ich glaubte im Grunde genommen nicht, dass es sich um eine Falle handelte. Und wenn doch: Der alte Mann hatte mir beigebracht, einen Hinterhalt auf eine Meile zu riechen. Wenn Mr Solomon oder sonst irgendjemand versuchte, meiner habhaft zu werden, würde ich es kommen sehen. Außerdem – was für eine Wahl hatte ich? Ich konnte mich ja nicht ewig in Greys Uhrenladen verstecken.

Ich warf ihm die Zeitung wieder zu. »Ich brauche was Neues zum Anziehen.«

Kapitel 4

Alles sah so klein aus.

Ich beugte mich über das Geländer der Malley und starrte mit offenem Mund zum Lake Galway hinab. Aus viertausend Fuß Höhe sah der Konvoi aus Galeonen aus wie eine Reihe von Spielzeugschiffen. Selbst der Bolcanathair, der Vulkan nördlich von Carlow, kam mir nicht mehr so riesig vor.

Ich konnte mich nicht erinnern, schon jemals so aufgeregt gewesen zu sein. Mr Solomons Angebot hin oder her, das Flugticket hätte ich in jedem Fall benutzt. Der alte Mann und ich waren ständig von einer Stadt zur anderen geflohen, aber immer nur auf der Erde. Manchmal auch darunter, durch die Kanalisation, wenn die Sache zu heiß wurde.

Aber der Himmel? Nur in meinen Träumen.

Ich fragte ihn einmal, warum wir nie ein Luftschiff nahmen. Wir ritten auf einem gestohlenen Pferd aus Donlagh, ich vor dem Sattel, der alte Mann hinter mich gequetscht. Wir hatten zwei Tage nicht geschlafen, also lehnte ich mich an ihn, und er hielt mich fest, während ich döste, damit ich nicht vom Pferd fiel.

Können wir mit dem Ballon fliegen?, fragte ich ihn, halb träumend, halb wünschend.

Nein, sagte er.

Warum nicht? Ich habe bestimmt keine Angst, versprochen.

Er seufzte. Ich konnte mich nicht erinnern, ihn schon jemals seufzen gehört zu haben. Ich mache mir nichts aus dem Fliegen, sagte er. Irgendwie klang er traurig. Jetzt schlaf.

Ich dachte an ihn, als ich an Deck des mächtigen Luftschiffes stand. Ich wünschte, du wärst jetzt hier, alter Mann.

Es war eigentlich spöttisch gemeint, aber es fühlte sich wehmütig an. Ärger verknotete sich in meinen Eingeweiden. Er war nicht hier, weil er mich im Stich gelassen hatte. Wehmut war etwas, das er nicht verdiente.

Ich schüttelte den Kopf, um die Trübsal zu vertreiben, und schaute nach unten, bis sich das Staunen wieder einstellte. Ich streckte die Hand zu der Dampfmaschine unter uns aus, wie ein kleines Kind, als ob ich sie packen und damit spielen könnte. Ich hatte mir immer vorgestellt, dass ich mich so hoch oben frei fühlen würde. Als ob ich in Wahrheit in den Himmel gehörte. Jetzt, da ich wirklich und wahrhaftig hier war, fühlte es sich … richtig an. Ganz und gar richtig. Und das verursachte mir ein Kribbeln im Bauch. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut gefühlt hatte.

Der alte Mann kam mir wieder in den Sinn.

Ich weiß, ich weiß, sagte ich. Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben.

Du hast mir ja tatsächlich zugehört, sagte er sarkastisch. Ich bin gerührt.

Ich runzelte die Stirn, hauptsächlich deshalb, weil er recht hatte. Ich schob ihn in den hintersten Winkel meines Geistes und fuhr fort, den Flug zu genießen.