12,99 €
Shakespeare-Dramen in allen Variationen - neuübersetzt, nachgedichtet, bearbeitet, überschrieben, ganz gegen den Strich gelesen von den wichtigsten Stimmen des deutschsprachigen Gegenwartstheaters: Plinio Bachmann, Gabriella Bußacker, Nuran David Calis, Gesine Danckwart, Helmut Krausser, Albert Ostermaier, Jens Roselt, Roland Schimmelpfennig, Werner Schwab, Marlene Streeruwitz.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 885
Shakespeare
Variationen
Fischer e-books
Herausgegeben von Uwe B. Carstensen, Stefanie von Lieven und Bettina Walter
Deutsch von Roland Schimmelpfennig
Hamlet, Prinz von Dänemark
Geist, Hamlets Vater, der verstorbene König von Dänemark
König Claudius, der Bruder des verstorbenen Königs
Königin Gertrude, Hamlets Mutter
Polonius, Berater des Königs
Laertes, Polonius’ Sohn
Ophelia, Polonius’ Tochter
Reynaldo, Polonius’ Bedienter
Gefolgschaft des Laertes
Horatio, Hamlets Freund und Mitstudent
Rosenkranz, Güldenstern, weitere Studienkollegen
Voltemand, Cornelius, dänische Gesandte nach Norwegen
Barnardo, Francisco, Marcellus, Wächter
Osric, ein Höfling
Die Schauspieler als Prolog, König, Königin und Lucianus
Totengräber
Zweiter Mann
Priester
Lords
Edelmänner
Boten
Seeleute
Fortinbras, Prinz von Norwegen
Hauptmann
Gesandter
Trommler, Trompeter, Soldaten, Diener.
Auftritt Barnardo und Francisco, zwei Wachtposten.
BARNARDO
Wer ist da?
FRANCISCO
Nein, nein, du mußt mir antworten. Bleib stehen und zeig dich.
BARNARDO
Lang lebe der König!
FRANCISCO
Barnardo?
BARNARDO
Genau der –
FRANCISCO
Du trittst deine Stunde äußerst pünktlich an.
BARNARDO
Es hat gerade zwölf geschlagen. Geh ins Bett, Francisco.
FRANCISCO
Für die Ablösung vielen Dank. Es ist bitter kalt,
und mir ist schwer ums Herz.
BARNARDO
War deine Wache ruhig?
FRANCISCO
Nicht eine Maus hat sich gerührt.
BARNARDO
Dann gute Nacht.
Falls du Horatio und Marcellus triffst,
die mit mir Wache halten, bitt sie, sich zu beeilen.
Auftritt Horatio und Marcellus.
FRANCISCO
Ich glaube, ich höre sie.
Halt, stehenbleiben, wer da?
HORATIO
Freunde dieses Landes.
MARCELLUS
Und Lehnsmänner des Dänen.
FRANCISCO
Dann gute Nacht.
MARCELLUS
Leb wohl, tapferer Soldat, wer hat dich abgelöst?
FRANCISCO
Barnardo nahm meinen Platz ein. Gute Nacht. Ab.
MARCELLUS
Holla, Barnardo!
BARNARDO
Sprecht, was, ist Horatio da?
HORATIO
Ein Teil von ihm.
BARNARDO
Willkommen, Horatio, willkommen, guter Marcellus.
HORATIO
Und? Ist das Ding heute nacht wieder erschienen?
BARNARDO
Horatio sagt, wir haben zuviel Phantasie,
er weigert sich auch nur ein Wort
von dem entsetzlichen Anblick zu glauben,
der sich uns schon zweimal bot.
Deshalb habe ich ihn gebeten, zusammen mit uns
jede einzelne Minute dieser Nacht zu durchwachen,
damit – falls diese Erscheinung wiederkommt –
er unseren Augen endlich recht gibt
und er mit der Erscheinung spricht.
HORATIO
Ach was, es wird gar nichts erscheinen.
BARNARDO
Setzt Euch,
bestürmen wir noch einmal Eure Ohren,
die wie Festungsmauern
kein Wort von dem durchlassen,
was wir zwei Nächte hintereinander gesehen haben.
HORATIO
Gut, setzen wir uns, hören wir,
was Barnardo zu berichten hat.
BARNARDO
Erst letzte Nacht, als jener Stern
dort westlich des Polarsterns
seine Bahn gezogen hatte und genau
da am Himmel leuchtete, wo er jetzt brennt,
sahen Marcellus und ich,
die Glocke schlug gerade eins –
Auftritt Geist.
MARCELLUS
Still, nicht weiter, seht, da kommt es wieder!
BARNARDO
Es sieht genau aus wie der tote König!
MARCELLUS
Ihr habt studiert, sprecht Ihr mit ihm, Horatio.
BARNARDO
Sieht es nicht aus wie der König?
Seht Euch das an, Horatio.
HORATIO
Genau so. Es zieht eine Spur
des Grauens und Staunens über mich
wie eine Egge.
BARNARDO
Es möchte, daß wir mit ihm sprechen.
MARCELLUS
Sprecht Ihr mit ihm, Horatio.
HORATIO
Was bist du, daß du diese Stunde der Nacht usurpierst,
und noch dazu die stolze und kriegerische Gestalt,
in der die begrabene Majestät von Dänemark
einst marschierte? Beim Himmel, ich befehle: Sprich.
MARCELLUS
Es ist beleidigt.
BARNARDO
Seht, es schreitet davon.
HORATIO
Bleib hier, sprich, sprich,
ich befehle dir zu sprechen!
BARNARDO
Wie Ihr jetzt zittert, Horatio,
und wie blaß Ihr seid!
Ist das nicht etwas mehr als Phantasie?
Was haltet Ihr jetzt davon?
HORATIO
Bei meinem Gott,
ich würde es immer noch nicht glauben,
hätten meine eigenen Augen
es nicht selbst gesehen.
MARCELLUS
Sieht es nicht aus wie der König?
HORATIO
So wie Ihr wie Ihr ausseht.
Das war die Rüstung, die er trug,
als er mit dem gierigen Norweger kämpfte,
und so verzog er wütend das Gesicht,
als er die Polen mit ihren Schlitten
hinaus aufs Eis trieb,
es ist sonderbar.
MARCELLUS
Genau zu dieser toten Stunde
schritt er schon zweimal
in voller Rüstung so an uns vorbei.
HORATIO
Was das im Einzelnen zu bedeuten hat,
weiß ich nicht, aber im Ganzen
ist das nach meiner Einschätzung
der Vorbote einer ungeahnten Veränderung
unseres gesamten Staats.
MARCELLUS
Also gut, setzt euch,
und wer es weiß, der sage mir,
warum der Untertan dieses Landes
jetzt Nacht für Nacht Wache stehen muß,
warum jeden Tag mehr Kanonen gegossen werden,
warum wird jeden Tag
in der Fremde mehr Kriegsgerät gekauft,
warum der Druck auf die Werften,
wo die harte Arbeit
nicht mal mehr sonntags stillsteht?
Warum diese atemlose Eile,
daß jetzt sogar die Nacht
dem Tag zuarbeiten muß,
kann mir das jemand sagen?
HORATIO
Das kann ich.
Zumindest was man flüstert.
Unser letzter König,
dessen Ebenbild eben erst vor uns stand,
war, wie Ihr wißt, von Fortinbras von Norwegen –
den völliger Übermut dazu verleitet hatte –
zum Zweikampf gefordert worden,
in dem unser tapferer Hamlet
(denn als das galt er
auf dieser Seite der uns bekannten Welt)
diesen Fortinbras niederwarf,
woraufhin der gemäß besiegeltem Vertrag
und Sitte und Gesetz bei seinem Leben
all sein Land an den Sieger verlor;
so wie auch an Fortinbras,
wenn der gewonnen hätte,
nach demselben Artikel und Paragraphen des Vertrags
ein entsprechender Teil des Landes
unseres Königs gefallen wäre,
nach dem nun seins an Hamlet fiel.
Der junge Fortinbras aber,
unerfahren, unbeherrscht und heiß,
hat jetzt an den Grenzen Norwegens
gegen Brot und Geld
ein Heer gesetzloser Söldner
für eine Unternehmung angeheuert,
die es in sich hat und deren einziges
und für unseren Staat klar erkennbares Ziel es ist,
mit starker Hand und unter Anwendung von Gewalt
das Land, das sein Vater verloren hat,
von uns wieder zurückzuholen.
Und das ist, denke ich,
der Anlaß unserer Vorbereitungen,
der Grund für diese Wache
und die Ursache der Übereile
und der Unruhe im ganzen Land.
BARNARDO
Ich glaube, es kann nicht anders sein
als genau so.
Und das würde auch erklären,
warum hier vor uns Wachen
diese furchtbare Gestalt in Waffen aufmarschiert,
die dem König so ähnelt,
der der Grund für diese Kriege war und ist.
HORATIO
Es brennt wie Sand im Auge des Verstandes.
In der Blütezeit des großen Roms standen,
kurz bevor der mächtige Julius fiel,
die Gräber leer, und Tote in Leichentüchern
kreischten und heulten in den Straßen Roms.
Da waren Sterne mit Feuerschweifen
und Tau aus Blut,
die Sonne explodierte,
und der feuchte Stern,
der Neptuns Reich regiert,
verdunkelte sich krank
fast wie am Jüngsten Tag.
Und genau solch böse Vorzeichen,
die schon immer die Herolde des Omens waren
und Vorboten eines herannahenden Verhängnisses,
haben sich an Himmel und Erde
landauf landab unseren Landsleuten gezeigt.
Auftritt Geist.
Aber still, seht, da kommt es wieder.
Ich stell mich ihm in den Weg,
und wenn es mich vernichtet.
Bleib stehen, Trugbild –
Er breitet die Arme aus.
Und wenn du eine Stimme hast
und Töne von dir geben kannst,
dann sprich mit mir.
Wenn es irgend etwas gibt,
das dir Ruhe schafft und mir Ehre,
dann sprich mit mir.
Wenn du über das Schicksal deines Landes etwas weißt,
was glückliche Voraussicht noch verhindern könnte,
dann bitte, sprich.
Oder falls du, als du noch lebtest,
im Schoß der Erde
gestohlene Schätze angehortet hast –
weshalb ihr Geister oft im Tod umhergeht,
wie man sagt –
sag es uns, bleib stehen und sprich.
Der Hahn kräht.
Haltet es auf, Marcellus!
MARCELLUS
Soll ich nach ihm mit meiner Hellebarde schlagen?
HORATIO
Tut’s, wenn es nicht stehenbleibt.
BARNARDO
Jetzt ist es hier!
HORATIO
Jetzt hier!
Geist ab.
MARCELLUS
Es ist weg. Es ist nicht recht,
daß wir es in seiner Majestät
mit Gewalt bedrohen wollen,
denn es ist wie Luft, unverwundbar,
und unsere vergeblichen Hiebe sind bloß ein schlechter Witz.
BARNARDO
Als der Hahn krähte,
wollte es gerade anfangen zu sprechen.
HORATIO
Und dann erschrak es wie ein sündiges Ding,
das Angst davor hat, entdeckt zu werden,
weil ihm sonst eine fürchterliche Strafe droht.
Ich habe gehört, daß der Hahn,
der der Trompeter des Morgens ist,
mit seinem schrillen Schrei
den Gott des Tages weckt
und daß auf seine Warnung,
ob in der See oder im Feuer,
ob in der Erde oder der Luft
jeder umherschweifende und verirrte Geist
dorthin zurückeilt, wo er hingehört.
Und daß das wahr ist,
hat uns dieses Ding gerade bewiesen.
MARCELLUS
Er löste sich mit dem Krähen des Hahns
in Luft auf. Manche sagen,
daß immer, wenn die Zeit kommt,
in der wir die Geburt unseres Heilands feiern,
dieser Vogel des Morgens
die ganze Nacht lang singt,
und daß sich dann kein Geist zu rühren traut,
die Nächte sind geruhsam,
kein Stern sirrt,
keine Fee flüstert,
und keine Hexe kann einen verzaubern,
so heilig und voll Gnade ist die Zeit.
HORATIO
Das hab ich auch gehört
und glaube es zum Teil.
Aber seht, dort im Osten
läuft der Morgen in rotem Tuch
über den Tau jenes hohen Hügels.
Brechen wir die Wache ab, mein Rat ist,
daß wir dem jungen Hamlet anvertrauen,
was wir heut nacht gesehen haben, denn –
bei meinem Leben – für uns war der Geist stumm,
aber mit ihm wird er sprechen.
MARCELLUS
Tun wir das, bitte, ich weiß,
wo wir ihn heute morgen am besten finden werden.
Alle ab.
Fanfare. Auftritt Claudius, König von Dänemark, Gertrude, die Königin, Hofstaat – sowie Polonius, Laertes, Hamlet und andere (dabei Voltemand und Cornelius).
KÖNIG
Obwohl die Erinnerung an den Tod
unseres lieben Bruders Hamlet
noch lebendig ist und es sich ziemt,
daß wir in unseren Herzen Trauer tragen
und daß sich unser ganzes Königreich
zu einer einzigen Kummerfalte zusammenzieht,
so hat doch die Vernunft mit der Natur gerungen,
so daß wir nun mit bedachtem Schmerz seiner gedenken,
uns aber dabei auch noch an uns selbst erinnern.
Deshalb haben wir unsere frühere Schwester,
jetzt unsere Königin,
die königliche Erbin dieses kriegerischen Staates,
wie mit niedergeschlagener Freude,
mit einem frohen und mit einem feuchten Auge,
mit Heiterkeit am Grab und Totenmusik am Altar,
Schmerz und Entzücken
in gleichen Schalen gegeneinander abwiegend,
zur Ehefrau gemacht.
Auch Euren klugen Rat
haben wir hierbei nicht mißachtet,
der in der Sache frei mitging.
Für all das unseren Dank.
Jetzt folgt, was Ihr schon wißt:
Der junge Fortinbras hat entweder
eine schwache Vorstellung von unserer Stärke,
oder er denkt, daß unser Staat
durch den Tod unseres Bruders
aus den Fugen ist und zerfällt –
er träumt, er sei im Vorteil,
und folglich hat er nicht versäumt,
uns mit der Botschaft zu belästigen,
daß er die Aufgabe jener Ländereien verlangt,
die sein eigner Vater nach gültigem Recht
an unseren höchst tapferen Bruder verlor.
Soviel zu ihm.
Jetzt zu uns und unserer Zusammenkunft heute,
denn das ist unser Auftrag:
Wir haben an Norwegen geschrieben,
den Onkel des jungen Fortinbras –
der, schwach und an das Bett gefesselt,
wohl kaum etwas von dem Tun seines Neffen hört –,
er möge dessen weiteres Vorgehen in der Sache
unterbinden, schließlich kommen die Truppen,
die Kriegskasse und die ganze Ausrüstung
aus seinem Reich;
und wir entsenden jetzt Euch,
lieber Cornelius, und Euch, Voltemand,
mit diesem Gruß an den alten Norwegen,
aber Ihr habt keine persönliche Befugnis,
mit dem König mehr zu verhandeln,
als der Rahmen dieser Zeilen vorgibt.
Lebt wohl und möge Eile
sich Eurer Ergebenheit empfehlen.
CORNELIUS, VOLTEMAND
Hierin und in allem
werden wir unsere Ergebenheit beweisen.
KÖNIG
Wir zweifeln keinesfalls daran,
herzliches Lebewohl.
Voltemand und Cornelius ab.
Und nun, Laertes, was bringt Ihr?
Ihr sagtet uns, es gäbe da ein Gesuch –
worum geht es, Laertes?
Ihr könnt nicht dem Dänen mit Vernunft begegnen,
und Eure Stimme ginge unter.
Worum könntest du bitten, Laertes,
was ich nicht bereit wäre zu erfüllen?
Der Kopf ist nicht näher dem Herz verwandt,
die Hand dient nicht lieber dem Mund,
als der Thron von Dänemark deinem Vater.
Was möchtest du, Laertes?
LAERTES
Mein hoher Herr,
Eure Gnade und Erlaubnis,
nach Frankreich zurückzukehren,
von wo ich gerne zwar nach Dänemark kam,
um bei Eurer Krönung meine Ergebenheit zu beweisen,
muß ich doch jetzt gestehen,
daß, nachdem diese Pflicht erfüllt ist,
meine Gedanken und Wünsche sich nun wieder
nach Frankreich wenden,
und so erbitte ich gebeugten Haupts
Eure gütige Zustimmung und Gnade.
KÖNIG
Habt Ihr die Erlaubnis Eures Vaters?
Was sagt Polonius?
POLONIUS
Er hat, mein Herr, mir die zögernde Erlaubnis
mit langem Bitten mühsam abgerungen,
und schließlich setzte ich unter seinen Wunsch
mein hart erkämpftes Siegel.
Ich ersuche Euch, erteilt ihm die Erlaubnis zu reisen.
KÖNIG
Nutze die günstige Stunde, Laertes,
die Zeit sei dein,
verfüge über sie frei
und nach bestem Geschick.
Doch nun, mein Neffe Hamlet und mein Sohn –
HAMLET
Je näher man verwandt ist,
desto fremder wird man sich.
KÖNIG
Wie kommt es, daß immer noch
diese Wolken über Euch hängen?
HAMLET
Eher nicht, mein Herr,
mir ist hier zuviel Sonne.
KÖNIGIN
Lieber Hamlet, leg die Farbe der Nacht ab
und schau mit den Augen eines Freunds auf Dänemark.
Such nicht für immer mit gesenkten Lidern
nach deinem edlen Vater in dem Staub.
Du weißt, alles, was lebt, muß sterben,
wir reisen durch die Natur in die Ewigkeit,
so ist es einfach.
HAMLET
Ja, Madam, es ist einfach.
KÖNIGIN
Wenn es so ist,
warum scheint es dann bei dir so besonders?
HAMLET
»Scheint«, Madam – nein, es ist so,
»scheinen« kenne ich nicht.
Nicht der tintenfarbene Umhang, gute Mutter,
noch die Kleidung in ernstem Schwarz
oder das Seufzen beklemmten Atems,
nein, oder der breite Strom der Tränen
oder der niedergeschlagene Ausdruck des Gesichts
oder jede andere Art, Stimmung, Form von Trauer,
nichts davon beweist, wie es mir wirklich geht.
Das alles »scheint« in der Tat,
denn all das kann man spielen.
Aber was ich habe, geht über Theater weit hinaus,
das andere ist nur Maske und Kostüm der Trauer.
KÖNIG
Es ist lieb, und es adelt dein Wesen, Hamlet,
daß du in der Trauer
deinem Vater diese Pflicht erweist,
aber du mußt wissen,
daß auch dein Vater einst einen Vater verlor,
und der Vater verlor seinen.
Und der Überlebende soll,
wie es die Pflicht als Sohn gebietet,
für eine bestimmte Zeit angemessen trauern.
Aber in verbissenen Wehklagen zu verharren
ist ein Weg gottloser Verstocktheit,
es ist unmännlich, so zu trauern,
hier zeigt sich ein Wille,
der sich über den des Himmels stellt,
ein unbeherrschtes Herz oder ein entgrenztes Denken,
ein simpler und ungebildeter Verstand.
Denn wenn etwas sein muß, wie wir wissen,
und wenn etwas so einfach ist
wie das einfachste Ding der Welt,
warum sollen wir uns das dann noch
mit heftigem Widerstand zu Herzen nehmen?
Pfui, das ist ein Verbrechen gegen den Himmel,
ein Verbrechen gegen die Toten,
ein Verbrechen gegen die Natur,
absurd, da noch zu diskutieren,
deren simpelstes Thema der Tod der Väter ist
und die schon immer schrie,
vom ersten Leichnam bis zu dem, der heute starb:
»Das muß so sein.«
Wir bitten dich,
wirf diese sinnlose Trauer zu Boden
und betrachte uns als einen Vater,
denn es soll die ganze Welt wissen,
daß du unserem Thron der Nächste bist,
und nicht geringer ist die reine Liebe,
die ich für dich empfinde,
als die des liebsten Vaters zu seinem Sohn.
Deine Absicht, zurück nach Wittenberg zu gehen,
widerspricht im höchsten Maße unseren Wünschen,
und wir ersuchen dich, darauf zu verzichten
und hier zu bleiben zur Freude
und zum Trost unseres Auges
als unser erster Hofmann, Neffe, und unser Sohn.
KÖNIGIN
Laß deine Mutter nicht umsonst beten, Hamlet.
Ich bitte dich, bleib bei uns,
geh nicht nach Wittenberg.
HAMLET
Ich werde Euch mit bestem Willen gehorchen, Madam.
KÖNIG
Nun, was für eine liebevolle und schöne Antwort.
Bleib wie wir selbst in Dänemark. Madam, kommt –
diese sanfte und ungezwungene Zustimmung Hamlets
füllt mein Herz mit Freude,
und zum Dank soll heute jedes Mal,
wenn Dänemark froh in die Runde prostet,
die große Kanone es den Wolken sagen,
so daß des Königs Trinkspruch
als Echo irdischen Donners
vom Himmel widerhallen soll.
Kommt fort von hier.
Fanfare. Alle ab außer Hamlet.
HAMLET
O könnte dieses so feste Fleisch
doch einfach schmelzen,
zerfließen und sich dann in Tau auflösen,
oder hätte der Ewige nicht verboten,
sich selbst umzubringen.
O Gott, o Gott,
wie zermürbend, schal, hohl und sinnlos
erscheint mir alles auf dieser Welt!
Pfui darauf, ja, pfui,
sie ist ein ungejäteter Garten,
und die Saat geht auf,
überall wächst widerliches, ekelhaftes Zeug.
Daß es so kommen konnte:
Gerade zwei Monate tot –
nein, nicht so lang, nicht zwei –
ein so vortrefflicher König,
der gegen diesen Satyr wie Hyperion war,
so liebevoll zu meiner Mutter,
daß er es nicht einmal duldete,
wenn die Winde des Himmels
zu rauh ihr Gesicht berührten.
Himmel und Erde, muß ich immer daran denken?
Und, ja, sie hing an ihm,
als ob ihr Hunger mehr und mehr wuchs,
je mehr sie von ihm hatte.
Und trotzdem innerhalb eines Monats
(Laß mich nicht daran denken –
Schwäche, dein Name ist Frau),
ein kleiner Monat,
die Schuhe sind noch nicht abgetragen,
in denen sie dem Leichnam
meines armen Vaters folgte,
wie Niobe, ganz in Tränen. Aber sie –
O Gott, ein Tier ohne jeden Verstand
hätte länger getrauert –,
verheiratet mit meinem Onkel,
dem Bruder meines Vaters
(der aber nicht mehr meinem Vater gleicht
als ich dem Herkules).
Innerhalb eines Monats, ehe noch das Salz
ihrer vollkommen verlogenen Tränen
aus den geröteten Augen ganz verschwunden war,
hat sie geheiratet.
Was für ein äußerst verräterisches Tempo!
So zielsicher in blutschänderische Laken zu springen
kann nichts und wird auch nichts Gutes bringen;
doch halt, mein Herz, ich muß meine Zunge zügeln.
Auftritt Horatio, Marcellus, Barnardo.
HORATIO
Gegrüßt sei Eure Hoheit.
HAMLET
Ich freue mich, Euch wohlauf zu sehen –
Horatio, oder vergesse ich mich selbst?
HORATIO
Genau der, mein Herr,
und für immer Euer ergebener Diener.
HAMLET
Herr, mein guter Freund, die Bezeichnung
werden wir von nun an ändern,
was macht Ihr hier fern von Wittenberg, Horatio?
Marcellus!
MARCELLUS
Mein guter Herr!
HAMLET
Ich freue mich, Euch zu sehen.
Zu Barnardo Guten Tag, Sir. –
Aber im Ernst, was machst du hier
fern von Wittenberg?
HORATIO
Ein Hang zum Müßiggang, mein guter Herr.
HAMLET
Das würde nicht mal dein Feind von dir sagen,
und du wirst meinem Ohr nicht die Gewalt antun,
was du da gegen dich selbst vorbringst, zu glauben.
Ich weiß, du bist kein Müßiggänger;
also was hast du in Helsingör zu tun?
Wir werden dir noch beibringen,
wie man trinkt, bevor du wieder fährst.
HORATIO
Mein Herr, ich kam zu der Beerdigung Eures Vaters.
HAMLET
Ich bitte dich, Kommilitone,
mach dich nicht über mich lustig,
ich glaube, du kamst zur Hochzeit meiner Mutter.
HORATIO
In der Tat, die folgte gleich darauf.
HAMLET
Sparen, sparen, Horatio,
was für die Beerdigung warm aus dem Ofen kam,
blieb für die Hochzeit
einfach als kalte Speise auf dem Tisch.
Lieber hätte ich im Himmel
meinen schlimmsten Feind getroffen
als den Tag gesehen, Horatio.
Mein Vater, ich glaube, ich sehe meinen Vater.
HORATIO
Wo, mein Herr?
HAMLET
In meiner Vorstellung, Horatio.
HORATIO
Ich sah ihn einmal – er war ein großer König.
HAMLET
Er war ein Mensch, in allem, was er war,
ich werde seinesgleichen nicht mehr sehen.
HORATIO
Mein Herr, ich glaube, ich sah ihn letzte Nacht.
HAMLET
Wen – wen hast du gesehen?
HORATIO
Mein Herr, den König, Euren Vater.
HAMLET
Den König, meinen Vater?
HORATIO
Hört mir trotz Eures Erstaunens
nur für einen Moment aufmerksam zu,
und ich werde Euch mit diesen Herren als Zeugen
von dem Wunder berichten.
HAMLET
Bei Gottes Liebe, laßt mich hören!
HORATIO
Zwei Nächte hintereinander
ist diesen beiden Herren, Marcellus und Barnardo,
bei ihrer Wache mitten in der totenstillen Nacht
Folgendes begegnet:
Eine Gestalt wie Euer Vater,
von Kopf bis Fuß in voller Rüstung,
erscheint vor ihnen
und zieht in feierlichem Marsch
langsam und herrschaftlich an ihnen vorbei;
dreimal ging er an ihren fassungslosen,
furchterfüllten Augen vorbei,
nur eine Länge seines Stabs entfernt,
während die beiden vor Furcht
zu zitterndem Gallert wurden,
stumm dastanden und ihn nicht ansprachen.
Dies vertrauten sie mir
in ängstlicher Heimlichkeit an,
und ich hielt mit ihnen
in der dritten Nacht Wache,
in der sich jedes Wort von ihnen bewahrheitet,
die Stunde und Form des Dings, alles,
die Erscheinung kommt.
Ich kannte Euren Vater.
Diese Hände gleichen sich nicht mehr.
HAMLET
Aber wo war das?
MARCELLUS
Mein Herr, oben auf der Festungsmauer,
wo wir Wache halten.
HAMLET
Habt ihr nicht mit ihm gesprochen?
HORATIO
Mein Herr, ich tat’s, aber es gab keine Antwort.
Doch einmal kam es mir so vor,
als höbe es den Kopf,
um anzusetzen und zu sprechen.
Aber genau da krähte laut der Morgenhahn,
und bei dem Ton schreckte es hastig zurück
und verschwand aus unseren Blicken.
HAMLET
Das ist sehr sonderbar.
HORATIO
Bei meinem Leben, mein hochverehrter Herr,
es ist wahr, und wir dachten,
es sei unsere Pflicht, Euch dies zu melden.
HAMLET
In der Tat, ihr Herren,
aber das macht mir Sorge.
Haltet ihr heute nacht wieder Wache?
HORATIO, MARCELLUS, BARNARDO
Das tun wir, mein Herr.
HAMLET
In voller Rüstung, sagt ihr?
HORATIO, MARCELLUS, BARNARDO
In voller Rüstung, mein Herr.
HAMLET
Vom Scheitel bis zum Zeh?
HORATIO, MARCELLUS, BARNARDO
Mein Herr, von Kopf bis Fuß.
HAMLET
Dann saht ihr gar nicht sein Gesicht.
HORATIO
O doch, mein Herr, er trug das Visier offen.
HAMLET
Wie sah er aus – wütend?
HORATIO
Der Ausdruck war eher der von Sorge als von Zorn.
HAMLET
Blaß oder rot?
HORATIO
Nein, nein, sehr blaß.
HAMLET
Und er heftete seinen Blick auf euch?
HORATIO
Die ganze Zeit.
HAMLET
Wäre ich doch nur dort gewesen.
HORATIO
Es hätte Euch sehr erstaunt.
HAMLET
Offenbar.
Blieb es lang?
HORATIO
So lang, wie man nicht zu schnell
bis hundert zählt.
MARCELLUS, BARNARDO
Nein, länger, länger.
HORATIO
Nicht, als ich es sah.
HAMLET
Sein Bart war grau, nein?
HORATIO
Er war so, wie ich ihn gesehen hatte, als er lebte: schwarz-silber.
HAMLET
Ich werde heute nacht Wache halten.
Vielleicht kommt es wieder.
HORATIO
Ich bin sicher, daß es wiederkommt.
HAMLET
Wenn es die Gestalt meines edlen Vaters annimmt,
werd ich es ansprechen,
und tut sich auch die Hölle auf
und befiehlt mir zu schweigen.
Ich bitte euch alle,
wenn ihr bis hierher
eure Entdeckung verheimlicht habt,
bewahrt noch weiter Schweigen,
und was auch noch heute nacht geschehen mag,
sei für Augen und Ohren, aber nicht für die Zunge.
Ich werde eure Liebe belohnen. Dann lebt wohl.
Auf der Mauer zwischen elf und zwölf
werde ich euch besuchen.
HORATIO, MARCELLUS, BARNARDO
Unsere Ergebenheit sei ganz Euer Ehren.
HAMLET
Eure Liebe,
so wie die meine ganz eure sei, lebt wohl.
Alle ab außer Hamlet.
Der Geist meines Vaters – in Waffen!
Das alles ist nicht gut;
ich fürchte falsches Spiel.
Wäre die Nacht schon da!
Bis dahin halt still, meine Seele –
Üble Taten kommen eines Tags ans Licht,
und auch das tiefste Loch versteckt sie nicht.
Auftritt Laertes und Ophelia, seine Schwester.
LAERTES
Meine Sachen sind bereits an Bord. Leb wohl.
Und, Schwester, wenn die Winde günstig stehen
und sich ein Überbringer findet, schlaf nicht
und laß von dir hören.
OPHELIA
Zweifelst du daran?
LAERTES
Was Hamlet angeht und seine angebliche Zuneigung,
nimm es als eine Laune, als ein Spiel des Bluts,
ein frühlingshaftes Veilchen der Jugend,
vorwitzig, ohne Beständigkeit, süß, nicht von Dauer,
der Duft und das Vergnügen einer Minute,
nicht mehr.
OPHELIA
Nicht mehr als das.
LAERTES
Halt’s nicht für mehr.
Denn die Natur nimmt, wenn sie wächst,
nicht nur an Muskeln und an Masse zu,
sondern während dieser Tempel größer wird,
erweitert sich auch die innere Gemeinde
von Geist und Seele.
Vielleicht liebt er dich jetzt,
und jetzt beschmutzt kein Fleck
und keine Falschheit seinen tugendhaften Willen;
aber du darfst nicht vergessen,
bei seiner Stellung ist sein Wille
nicht sein eigener.
Er darf nicht, wie Leute ohne Rang es tun,
sich nehmen, was er will, denn von seiner Wahl
hängt die Sicherheit und das Wohl des ganzen Staates ab,
und deshalb muß seine Wahl sich der Stimme
und der Zustimmung des Körpers unterordnen,
dessen Kopf er ist.
Denn wenn er also sagt, daß er dich liebt,
dann ist es eine Frage deiner Klugheit
zu glauben, ob er bei seiner besonderen Aufgabe
und Stellung auch halten kann, was er verspricht,
was nicht mehr sein kann,
als es die ganze Stimme Dänemark täte.
Dann wäge ab, welchen Schaden
deine Ehre nehmen kann,
wenn du mit zu leichtgläubigem Ohr
seine Lieder anhörst oder dein Herz verlierst
oder den Schatz deiner Keuschheit
seinem unbeherrschten Drängen öffnest.
Fürchte es, Ophelia,
fürchte es, meine liebe Schwester,
bleib trotz deiner Zuneigung im Hintergrund
außerhalb der Schußweite und der Gefahr
des Verlangens.
Das vorsichtigste Mädchen
ist schon freizügig genug,
wenn es dem Mond seine Schönheit enthüllt.
Auch die Tugend selbst
ist nicht vor Verleumdung sicher.
Der Wurm frißt oft die Kinder des Frühlings,
noch bevor sich die Knospen öffnen können,
und gerade im frischen Morgentau der Jugend
trägt der Wind Gefahren mit sich.
Sei vorsichtig: Nur Furcht bringt Sicherheit,
die Jugend lehnt sich immer auf,
auch ohne Gegner weit und breit.
OPHELIA
Ich werde diese gute Lehre
als Wächter meines Herzens bewahren.
Aber, mein guter Bruder,
zeig mir nicht wie manch gottvergessner Pastor
den steilen und dornigen Weg zum Himmel,
während er selbst,
ein aufgedunsener und rücksichtsloser Wüstling,
den mit Blüten bestreuten Weg der Verdammnis geht
und seiner eigenen Rede spottet.
LAERTES
Oh, fürchte nicht um mich.
Ich bleibe schon zu lange.
Auftritt Polonius.
Aber hier kommt mein Vater.
Ein zweiter Segen heißt zweifaches Glück.
Ein zweiter Abschied läßt die Fügung lächeln.
POLONIUS
Immer noch hier, Laertes? An Bord, verflixt,
an Bord!
Der Wind sitzt schon deinem Segel im Rücken,
und du wirst längst erwartet. Hier mein Segen,
und diese wenigen Regeln
präge dir gut im Gedächtnis ein:
Gib deinen Gedanken keine Zunge
und schlechten Gedanken kein Tun.
Sei freundlich, aber nicht zu jedem.
Die Freunde von dir,
die wirklich wahre Freunde sind,
binde mit stählernen Reifen an dein Herz,
aber schone deine Hand und reiche sie
nicht jedem frisch geschlüpften Typen.
Hüte dich, in Streitereien zu geraten,
aber sieh zu, daß, wenn du erst mal reingeraten bist,
dein Gegner sich vor dir hütet.
Leih jedem Mann dein Ohr,
aber nur wenigen deine Stimme.
Nimm von jedem Rat an,
aber sei sparsam mit deinem Urteil.
Deine Kleidung sei so teuer,
wie es dein Geldbeutel zahlen kann,
aber nicht zu ausgefallen – reich, nicht protzig;
denn die Erscheinung kündigt oft den Mann an,
und gerade jene in Frankreich von Rang und Stand
sind hierbei sehr bedacht und von besonderer Klasse.
Sei weder Borger noch Verleiher, Junge,
denn mit dem Verliehenen verliert man oft
auch noch den Freund, und Borgen
macht die Schneide der Sparsamkeit stumpf.
Vor allem aber, bleib dir selbst treu,
denn dann folgt wie die Nacht dem Tag,
daß du auch gegen niemand sonst falsch sein kannst.
Lebe wohl, und möge die Saat meines Segens
reifend in dir aufgehen.
LAERTES
In tiefster Ergebenheit nehme ich Abschied, mein Herr.
POLONIUS
Die Zeit drängt. Geh, deine Diener warten.
LAERTES
Leb wohl, Ophelia, und behalte gut,
was ich dir gesagt habe.
OPHELIA
Es ist in meiner Erinnerung fest verschlossen,
und du sollst selbst den Schlüssel verwahren.
LAERTES
Leb wohl. Ab.
POLONIUS
Was war es denn, Ophelia, was er dir sagte?
OPHELIA
Wenn es Euch zufriedenstellt, etwas,
was den Prinz Hamlet betraf.
POLONIUS
Nun ja, gut bedacht: Ich höre,
er hat dir in der letzten Zeit
viel seiner freien Zeit gewidmet,
und du selbst hast das auch
frei und großzügig zugelassen.
Wenn das so ist – wie man mir zuträgt,
und zwar, um mich zu warnen –,
muß ich dir sagen, daß du dich
nicht so klar verstehst,
wie es sich für meine Tochter
und deine Ehre gehört.
Was ist da zwischen euch?
Rück mit der Wahrheit raus.
OPHELIA
Er hat, mein Herr, mir in der letzten Zeit
stark seine Zuneigung beteuert.
POLONIUS
Zuneigung? Pah, du sprichst wie ein Grünschnabel,
du bist doch in einer so gefährlichen Lage
völlig unerfahren. Glaubst du diesen Beteuerungen,
wie du sie nennst?
OPHELIA
Ich weiß nicht, mein Herr, was ich denken soll.
POLONIUS
Na was, das will ich dir beibringen: Denk,
daß du dumm bist, weil du diese Beteuerungen
für bare Münze genommen hast,
obwohl sie keinen Pfennig wert sind.
Dafür sei dir selbst zu teuer – oder,
ohne das arme Wortspiel überspannen zu wollen
und damit alles zu verhunzen,
es wird dich teuer zu stehen kommen.
OPHELIA
Mein Herr, er hat mich
in sehr ehrbarem Stil mit Liebe bestürmt.
POLONIUS
O ja, »Stil« paßt. Hör auf, hör auf.
OPHELIA
Und er hat seine Worte beglaubigt, mein Herr,
mit fast allen heiligen Schwüren des Himmels.
POLONIUS
Ach, Schnepfen fängt man mit Schlingen,
ich weiß, wie großzügig das Herz
der Zunge Schwüre leiht, wenn das Blut heiß ist.
Diese Flammen, Tochter, leuchten mehr,
als daß sie wärmen, und sie sind,
während das Versprechen noch gemacht wird,
schon wieder erloschen. Halte sie nicht für Feuer.
Von nun an sei etwas geiziger
mit deiner jungfräulichen Gegenwart.
Setz den Preis deiner Begehrtschaft höher an,
sei nicht ständig verfügbar.
Und was Prinz Hamlet angeht,
trau ihm nur so weit:
Er ist jung, und er geht sicher
an einer längeren Leine als du.
Kurz, Ophelia,
schenk seinen Schwüren keinen Glauben,
das sind Kuppler, die nicht das sind,
was die Farbe ihres Kostüms verspricht,
sondern in Wahrheit Fürsprecher sündiger Wünsche,
die nur zur besseren Täuschung
mit jedem Atemzug fromme Gelübde
von sich geben. Ein für allemal:
Ich will, um mich klar auszudrücken,
daß du ab sofort
keine Sekunde deiner Zeit mehr damit verschwendest,
mit Prinz Hamlet zu reden
oder auch nur ein Wort zu wechseln.
Sieh dich vor, ich befehle es, und jetzt geh.
Beide ab.
Auftritt Hamlet, Horatio und Marcellus.
HAMLET
Die Luft beißt heftig; es ist wirklich kalt.
HORATIO
Beißend kalt, und die Luft ist scharf.
HAMLET
Wie spät ist es jetzt?
HORATIO
Gleich zwölf, glaube ich.
MARCELLUS
Nein, es hat schon geschlagen.
HORATIO
Wirklich? Das hab ich nicht gehört.
Dann nähert sich die Zeit,
zu der der Geist sonst umherging.
Eine Fanfare und zwei Kanonenschüsse.
Was bedeutet das, mein Herr?
HAMLET
Der König macht heute nacht durch und säuft,
ein Trinkspruch folgt dem nächsten,
und dann tanzt er,
stolpernd und grölend,
und wenn er seinen Becher Rheinwein runtergekippt hat,
verkünden Pauke und Trompete
plärrend diese triumphale Tat.
HORATIO
Ist das so Brauch?
HAMLET
Ja, nun ja, aber ich denke,
obwohl ich von hier bin
und das schon von Geburt an kenne,
daß das ein Brauch ist,
den man am besten ehrt, wenn man ihn bricht.
Dieses stumpfköpfige Gebecher läßt in Ost und West
die Völker auf uns niederblicken. Man nennt uns Säufer
und beschmutzt mit säuischem Zeug unseren Namen,
und tatsächlich schädigt das unsern Ruf
trotz all unserer Errungenschaften
auf der Höhe der Zeit, tief im Kern.
So ist es doch bei manchen Menschen,
daß wegen irgendeinem bösen Brandmal der Natur
von ihrer Geburt an, an der sie keine Schuld tragen,
(denn die Natur hat bei der Abstammung keine Wahl),
etwas in ihnen wuchert,
das alle Schranken und Grenzen der Vernunft niederbricht,
oder daß wegen irgendeiner Unart,
die allgemein anerkannte Manier hinter sich läßt –
daß diese Menschen, sage ich,
die den Stempel eines einzigen Fehlers tragen,
sei es, weil die Natur
oder ihr Schicksalsstern es so wollte,
all seine anderen Tugenden,
seien sie noch so edel und so gut,
so unendlich wie der Mensch überhaupt nur sein kann,
in ihrer Gesamtheit von diesem einen bestimmten Fehler alle beschädigt werden:
Der Gran des Übels birgt das ganze edle Wesen
vom Zweifel bis zur Schande.
Auftritt Geist.
HORATIO
Seht, mein Prinz, es kommt!
HAMLET
Engel und Gnadenbringer des Himmels steht uns bei!
Du magst ein Geist des Guten sein
oder ein verdammter Teufel,
du magst die Luft des Himmels mit dir bringen
oder die Feuer der Hölle,
ob du in böser oder guter Absicht kommst,
so wie du kommst, schreist du nach Fragen,
und darum spreche ich dich an.
Ich rufe dich, Hamlet, König, Vater,
königlicher Däne, antworte mir,
laß mich nicht vor Fragen bersten, sondern sag mir,
warum deine gesegneten und tot begrabenen Knochen
das Leichentuch zerrissen haben,
warum die Gruft, in der du still beerdigt wurdest,
ihre schweren Kiefer aus Marmor geöffnet hat,
um dich wieder auszuspeien?
Was soll das bedeuten,
daß du, toter Körper, wieder in vollem Stahl,
uns im fahlen Schein des Mondes aufsuchst,
die Nacht zum Schrecken machst
und uns arme Narren dieser Welt
so entsetzlich mit Gedanken
jenseits der Grenzen unseres Verstandes erschütterst?
Sag, warum bist du hier? Wofür? Was sollen wir tun?
Der Geist winkt.
HORATIO
Es winkt Euch zu, mit ihm zu gehen,
als ob es nur Euch etwas allein sagen wollte.
MARCELLUS
Seht, mit was für einer höflichen Geste
es Euch zu einer abgelegeneren Stelle winkt,
aber geht nicht mit ihm.
HORATIO
Nein, auf keinen Fall.
HAMLET
Es will nicht sprechen, also werde ich ihm folgen.
HORATIO
Tut es nicht, mein Herr.
HAMLET
Warum, was gibt es da zu fürchten?
Mein Leben ist nicht einmal eine Nadel wert,
und was meine Seele angeht –
die ist unsterblich wie es selbst,
was kann es der schon antun?
Es winkt mich wieder fort. Ich werde ihm folgen.
HORATIO
Was, wenn es Euch zur Brandung lockt, mein Prinz,
oder auf die schreckliche Spitze des Kliffs,
das weit aufs Meer über sich selbst hinausragt,
und was, wenn es dort
irgendeine andere Gestalt annimmt,
die Euch den Verstand verwirrt
und Euch in den Wahnsinn reißt?
Denkt doch! An der Stelle kommen jedem Kopf,
wenn er soviel Faden tief hinab zum Meer sieht
und von unten das Tosen hört,
auch ohne jeden Grund Gedanken der Verzweiflung.
HAMLET
Es winkt mir immer noch. Geh vor, ich folge dir.
MARCELLUS
Ihr dürft nicht gehen, mein Herr.
HAMLET
Nehmt Eure Hände weg!
HORATIO
Laßt Euch befehlen, Ihr dürft nicht gehen.
HAMLET
Mein Schicksal ruft
und macht jede kleinste Ader dieses Körpers
so mächtig wie die Muskeln des nemeischen Löwen.
Ich werde immer noch gerufen –
laßt mich los, ihr Herren – bei Gott,
ich mache den zum Geist, der mich aufhält!
Weg, sag ich! – Geh vor, ich folge dir!
Geist und Hamlet ab.
HORATIO
Das Trugbild wird ihn um den Verstand bringen.
MARCELLUS
Folgen wir ihm. Es ist nicht richtig,
daß wir ihm gehorchen.
HORATIO
Ihm nach. Wozu wird all das führen?
MARCELLUS
Etwas ist faul im Staat von Dänemark.
HORATIO
Der Himmel wird es lenken.
MARCELLUS
Nein, laßt uns ihm folgen.
Alle ab.
Auftritt Geist und Hamlet.
HAMLET
Wohin führst du mich? Sprich!
Ich gehe nicht weiter.
GEIST
Hör mir zu.
HAMLET
Das werde ich.
GEIST
Die Stunde ist fast da,
in der ich zurück in die schwefligen Flammen muß.
HAMLET
Ach, armer Geist.
GEIST
Hab kein Mitleid, sondern hör genau,
was ich jetzt offenbaren werde.
HAMLET
Sprich, dich anzuhören, bin ich dir schuldig.
GEIST
Und Rache zu üben, wenn du mich gehört hast.
HAMLET
Was?
GEIST
Ich bin der Geist deines Vaters,
und ich bin dazu verdammt,
bei Nacht umherzuwandern
und bei Tag in den Feuern zu hungern,
bis die Sünden meiner irdischen Tage
verbrannt und im Fegefeuer abgebüßt sind.
Wäre es mir nicht verboten,
die Geheimnisse meines Kerkers zu verraten,
könnte ich eine Geschichte erzählen,
von der schon das leiseste Wort
deine Seele so quälen würde,
daß dein junges Blut zu Eis erstarrt,
deine zwei Augen würden wie Sterne
aus ihren Bahnen springen,
deine geknüpften und gebundenen Locken gingen auf,
und jedes einzelne Haar sträubte sich dir
wie die Borsten des gereizten Stachelschweins –
aber diese höllische Kunde
dürfen Ohren aus Fleisch und Blut niemals hören.
Hör, hör, o höre,
wenn du deinen zärtlichen Vater jemals liebtest –
HAMLET
O Gott!
GEIST
Dann räche seine feige
und mehr als abartige Ermordung!
HAMLET
Mord!
GEIST
Ein feiger Mord – so feige,
wie er nur feige sein kann,
ungeheuerlich und gegen jede Natur.
HAMLET
Sag mir schnell, was geschehen ist,
damit ich mit so geschwinden Schwingen
wie die Gedanken der Liebe zu meiner Rache fliege.
GEIST
Ich sehe, du bist bereit.
Du müßtest auch dumpfer
als das fleischige Unkraut sein,
das an Lethes Ufern träge festgewachsen ist,
wenn dich dies nicht aufrütteln würde.
Jetzt, Hamlet, höre:
Man hat verbreiten lassen, mich hätte,
als ich im Garten schlief, eine Schlange gebissen.
So wird das Ohr ganz Dänemarks
mit der erlogenen Geschichte meines Todes
schwer getäuscht.
Denn wisse, edler Junge, die Schlange,
die deinen Vater tödlich biß,
trägt heute seine Krone.
HAMLET
Oh, meine Vorahnung! Mein Onkel!
GEIST
Ja, dieses blutschänderische und ehebrecherische Vieh,
gewann mit Hexerei des Geists
und mit der nötigen Begabung zum Verrat –
aber was für ein böser Geist
und was für Gaben können so mächtig
und so verführerisch sein –
zu seinem schändlichen Begehren den Willen
meiner scheinbar ehrbaren Königin.
O Hamlet, was für ein Verrat,
an mir, dessen erhabene Liebe
immer Hand in Hand mit dem Schwur ging,
den ich ihr bei der Hochzeit gab,
was für ein Abstieg zu so einem Verbrecher,
dessen Wesen so armselig ist gegen meines.
Aber so wie die wahre Tugend
sich niemals verführen läßt,
auch wenn das Laster in himmlischer Gestalt
um sie wirbt, wird die Wollust,
und sei sie auch
mit einem strahlenden Engel verbunden,
ein himmelsgleiches Bett bald satt haben
und sich lieber von Müll ernähren.
Aber still, ich glaube, ich wittere schon
die Morgenluft. Ich muß kurz sein:
Ich schlief im Garten,
wie ich es jeden Nachmittag sorglos tat –
als dein Onkel sich mit einem Fläschchen
voll vom Saft der verfluchten Eibe anschlich
und es in die Vorhallen meiner Ohren goß.
Das lepröse Gebräu hat auf das Blut des Menschen
eine so feindliche Wirkung, daß es schnell wie Quecksilber
durch alle Tore und Gassen des Körpers rast
und wie ein einziger saurer Tropfen in der Milch
plötzlich das ganze dünne und gesunde Blut
gerinnen läßt.
Und das tat es auch mit meinem,
und nur einen Moment später schälte sich
meine weiche Haut wie bei Lazarus
mit einer schlimmen und ekelhaften Kruste.
So wurde ich im Schlaf durch die Hand
des eigenen Bruders auf einen Schlag
ums Leben, um die Krone, um die Königin gebracht,
weggerafft in der Blüte meiner Sünden,
ohne Sakramente, ohne Vorbereitung,
ohne letzte Ölung, ohne Schlußrechnung
werde ich mit all meinen Fehlern
zur Rechenschaft gezogen.
Oh, entsetzlich, oh, entsetzlich, oh, wie entsetzlich!
Wenn in dir nur eine natürliche Regung ist,
dann nimm nicht hin, daß Dänemarks königliches Bett
ein Lager der Wollust und verfluchter Blutschande ist.
Aber wie du auch diese Tat verfolgst,
befleck nicht deine Seele,
laß dein Herz nichts gegen deine Mutter erdenken; überlaß sie dem Himmel, die Dornen in ihrem Busen sollen sie kratzen und stechen.
Nun schnell leb wohl:
Der Glühwurm kündigt den nahen Morgen an
und verlöscht langsam sein schwaches Feuer.
Adieu, adieu, adieu, vergiß mich nicht.
Ab.
HAMLET
O heiliger Himmel, o Erde – was noch? –
hänge ich noch die Hölle dran? Oh, pfui!
Halt, halt, mein Herz,
und ihr, meine Sehnen,
werdet nicht auf einen Schlag mürbe,
sondern tragt mich rasch weiter.
Dich nicht vergessen?
O ja, du trauriger Geist,
solange es auf diesem verwirrten Globus
noch Erinnerung gibt.
Dich nicht vergessen?
Nein, ich werde in meiner Erinnerung
jeden belanglosen, jeden blöden Eintrag löschen,
jeden klugen Spruch aus Büchern, jedes Bild,
das Jugend früher einmal beeindrucken konnte,
und dein Gebot allein soll
auf den Seiten meines Denkens stehenbleiben,
unvermischt mit jedem niederen Ding.
Ja, bei Gott,
o du höchst bösartige Frau,
o Verbrecher, Verbrecher,
verdammter lächelnder Verbrecher,
mein Buch! Das ist es wert,
daß ich es aufschreibe,
daß einer lächelt und lächelt
und trotzdem ein Verbrecher sein kann.
Wenigstens weiß ich jetzt,
daß es in Dänemark so sein kann,
denn, Onkel, da bist du.
Hier meine Losung! Sie heißt:
»Adieu, adieu, vergiß mich nicht.«
Ich habe es geschworen.
Auftritt Horatio und Marcellus.
HORATIO
Mein Prinz, mein Prinz!
MARCELLUS
Prinz Hamlet!
HORATIO
Der Himmel schütze ihn!
HAMLET
So soll es sein.
MARCELLUS
Hallo, ho, ho, mein Herr!
HAMLET
Hallo, ho, ho, komm, Kleiner, komm!
MARCELLUS
Wie steht es, mein edler Herr?
HORATIO
Was ist passiert, mein Herr?
HAMLET
Oh, wundervoll.
HORATIO
Mein guter Herr, erzählt.
HAMLET
Nein, ihr werdet es verraten.
HORATIO
Ich nicht, mein Herr, bei Gott.
MARCELLUS
Und ich auch nicht, mein Herr.
HAMLET
Was sagt ihr dann –
würde es ein Menschenherz jemals fassen? –
und ihr werdet wirklich schweigen?
HORATIO, MARCELLUS
Ja, beim Himmel.
HAMLET
Es gibt in ganz Dänemark keinen Verbrecher,
der nicht ein übler Bursche ist.
HORATIO
Es muß kein Geist, mein Herr,
aus dem Grab steigen, um uns das zu sagen.
HAMLET
Oh, richtig, du hast recht!
Und nun denke ich,
daß wir am besten ohne weitere Umstände
uns die Hände geben und gehen –
Ihr dorthin, wohin eure Pflichten
und Wünsche euch lenken,
(denn jeder Mensch hat Pflichten und Wünsche,
wie es aussieht)
und was meinen eigenen bescheidenen Teil angeht:
Ich werde beten gehen.
HORATIO
Das sind nur wirre und aufgeregte Worte, mein Herr.
HAMLET
Es tut mir leid, daß sie euch verletzen –
von ganzem Herzen,
ja, im Ernst, von ganzem Herzen.
HORATIO
Niemand wurde verletzt, mein Herr.
HAMLET
Doch, bei Sankt Patrick, doch, das ist so,
Horatio, und einer wurde sogar sehr verletzt.
Was die Erscheinung hier angeht,
das ist ein ehrlicher Geist –
soviel kann ich euch sagen.
Euer Verlangen zu wissen,
was zwischen uns gewesen ist,
müßt ihr so gut es geht beherrschen.
Und jetzt, gute Freunde, so ihr Freunde seid,
Studierte und Soldaten,
erfüllt mir eine kleine Bitte.
HORATIO
Was ist es, mein Herr? Wir werden’s tun.
HAMLET
Sagt niemals, was ihr heute nacht gesehen habt.
HORATIO, MARCELLUS
Mein Herr, das werden wir nicht.
HAMLET
Nein, nein, schwört es.
HORATIO
Bei Gott, mein Herr, ich werde es nicht tun.
MARCELLUS
Ich auch nicht, mein Herr, bei Gott.
HAMLET
Auf mein Schwert.
MARCELLUS
Mein Herr, wir haben schon geschworen.
HAMLET
In vollem Ernst, auf mein Schwert, im Ernst.
Geist ruft unter der Bühne.
GEIST
Schwört!
HAMLET
Ha, ha, Junge, sagst du’s auch?
Bist du da, ehrliche Haut?
Jetzt los, hört ihr den Kameraden im Kellergeschoß?
Ihr müßt schwören.
HORATIO
Sagt den Eid vor, mein Herr.
HAMLET
Schwört auf mein Schwert,
daß ihr niemals von dem sprechen werdet,
was ihr gesehen habt.
GEIST
Schwört!
HAMLET
Hic et ubique? Dann wechseln wir die Stelle.
Kommt hierher, meine Herren,
und legt eure Hände wieder auf mein Schwert.
Schwört auf mein Schwert, daß ihr niemals
von dem reden werdet, was ihr hier gehört habt.
GEIST
Schwört auf sein Schwert.
HAMLET
Gut gesprochen, alter Maulwurf,
gräbst du dich so schnell in die Erde?
Ein fleißiger Pionier!
Ziehen wir noch einmal um, gute Freunde.
HORATIO
O Tag und Nacht,
wie sonderbar und fremd das alles ist.
HAMLET
Dann heiß das alles
auch wie einen Fremden willkommen:
Es gibt mehr Dinge im Himmel und auf der Erde,
Horatio, als deine Philosophie sich träumen läßt.
Aber kommt, hier wie zuvor:
Niemals dürft ihr –
und helf euch dabei die Gnade Gottes –
so fremd und anders ich mich auch benehmen mag,
(und ich werde mir möglicherweise
von nun an eine wilde und sonderbare Art zulegen),
wenn ihr mich dann so seht,
dann dürft ihr nie
mit zum Beispiel so verschränkten Armen dastehen
oder so den Kopf schütteln
oder irgendwelche Andeutungen machen
wie »Ja, ja, wir wissen Bescheid«
oder »Wir könnten, wenn wir nur wollten«
oder »Wenn wir reden würden«
oder »Es soll ja da welche geben, die durchaus«,
oder mit anderen vielsagenden Dinge andeuten,
daß ihr etwas über mich wißt.
Das schwört, und die Gnade
und Barmherzigkeit Gottes steh euch bei.
GEIST
Schwört!
HAMLET
Ruhig, ruhig, aufgestörter Geist,
und nun, meine Herren, empfehle ich mich euch
mit all meiner Liebe,
und was ein armer Mann wie Hamlet tut,
um seine Liebe und Freundschaft auszudrücken,
dem wird Gottes Willen nicht fehlen.
Laßt uns gemeinsam hineingehen,
und immer die Finger auf den Lippen,
ich flehe euch an.
Die Zeit ist aus den Fugen,
was für ein Fluch,
daß ich jemals geboren wurde
und sie richten soll!
Nein, nein, kommt, gehen wir hinein.
Auftritt des alten Polonius mit einem seiner Männer (Reynaldo) oder zwei.
POLONIUS
Gib ihm dies Geld und diese Zeilen, Reynaldo.
REYNALDO
Das werde ich tun.
POLONIUS
Ihr tätet wunderbar klug daran, guter Reynaldo,
wenn Ihr, bevor Ihr ihn aufsucht,
herausfindet, wie er sich so benimmt.
REYNALDO
Mein Herr, das hatte ich vor.
POLONIUS
Nun ja, gut gesagt, sehr gut gesagt.
Aber wirklich, Sir, fragt zuerst,
was für Dänen noch in Paris sind, und warum,
und wer, wie wohlhabend, und wo sie wohnen,
in welcher Gesellschaft, mit welchen Ausgaben,
und wenn Ihr dann mittels dieser Vermessung
und Einkreisung durch Fragen feststellt,
daß man mit meinem Sohn bekannt ist,
kommt Ihr der Sache immer näher,
als Eure Fragen im Einzelnen erscheinen lassen;
gebt Euch, als wäret Ihr
nur entfernt mit ihm bekannt,
zum Beispiel mit einem Satz wie
»Ich kenne seinen Vater und seine Freunde
und ihn zum Teil« –
merkt Ihr Euch das, Reynaldo?
REYNALDO
Ja, sehr wohl, mein Herr.
POLONIUS
»Und ihn zum Teil, aber«, könntet Ihr sagen,
»nicht gut. Aber wenn es der ist, den ich meine,
dann ist er sehr wild, er mag gern das und das«,
und dann erfindet Ihr über ihn, was Ihr wollt,
nun ja, das heißt, nicht etwas so Schlimmes,
was ihn wirklich vollkommen entehren würde –
da seht Euch vor – aber, Sir, irgendwas
von den üblichen wilden und unbeherrschten Ausrutschern,
die so die bekannten und verbreiteten Begleiter
von Jugend und Freiheit sind.
REYNALDO
So was wie Glücksspiel, mein Herr.
POLONIUS
Ja, oder Trinken, Fechten, Fluchen, Schlägereien, Rumhuren – so weit könnt Ihr schon gehen.
REYNALDO
Gnädiger Herr, das würde ihn entehren.
POLONIUS
Nein, wirklich, je nachdem
wie Ihr die Unterstellungen dosiert.
Ihr sollt ihm keinen abwegigen Klatsch anhängen,
wie, daß er völlig haltlos wäre,
das meine ich nicht, sondern deutet seine Fehler
so kunstvoll an,
daß sie wie Flecken der Freiheit scheinen,
blitzartige Ausbrüche eines feurigen Geists,
die Wildheit des ungezähmten Bluts,
wie sie die meisten packt.
REYNALDO
Aber, mein guter Herr –
POLONIUS
Warum Ihr das tun sollt?
REYNALDO
Ja, mein Herr, das würde ich gerne wissen.
POLONIUS
Nun ja, Sir, mein Ziel ist dies –
und ich glaube, diese Strategie ist perfekt –,
in dem Ihr meinen Sohn so leicht befleckt,
als wäre er ein Ding,
das bei der Arbeit schmutzig wird,
paßt gut auf, wird Euer Gegenüber,
also der, den Ihr aushorcht,
falls er den Jungen je
bei den zuvor erwähnten Verbrechen gesehen hat,
die Ihr ihm andeutungsweise angehängt habt,
wird er Euch schließlich Folgendes anvertrauen:
»Guter Mann« oder so, oder »Freund« oder »Edler Herr«, je nach Ausdrucksweise, Titel, Land und Person.
REYNALDO
Sehr gut, mein Herr.
POLONIUS
Und dann, Sir, wird er dann, wird er –
was wollte ich gerade sagen –
heiliger Bimbam – ich wollte doch
gerade etwas sagen, wo war ich stehengeblieben?
REYNALDO
Bei »Folgendes anvertrauen«.
POLONIUS
Bei »Folgendes anvertrauen«, ja, nun ja,
er vertraut Euch Folgendes an:
»Ich kenne den Herren, ich sah ihn gestern
oder den andern Tag, oder dann, oder dann,
mit dem und dem, und wie Ihr sagt: Ja,
da wurde gespielt, da wurde bis zum Anschlag getrunken, da gab es Streit beim Tennis,
oder vielleicht »Ich habe gesehen,
wie er in so ein Haus der Käuflichkeiten ging« –
was heißen soll, in ein Bordell, oder so weiter.
Seht Ihr, Euer Köder der Lüge
fängt einen Karpfen der Wahrheit,
und so finden wir klugen und vorausschauenden Leute Haken schlagend und auf krummer Bahn
über Umwege das Ziel:
Und so soll es nach meinem Vortrag und diesen Hinweisen auch bei Euch und meinem Sohn sein.
Habt Ihr verstanden, was ich sage, oder nicht?
REYNALDO
Das habe ich, mein Herr.
POLONIUS
Gott mit Euch, gute Fahrt.
REYNALDO
Gut, mein Herr. Will gehen.
POLONIUS
Beobachtet auch selbst, auf was für einem Weg er ist.
REYNALDO
Das werde ich, mein Herr.
POLONIUS
Und er soll seine Musik weiter pflegen.
REYNALDO
Sehr wohl, mein Herr.
POLONIUS
Lebt wohl.
Auftritt Ophelia.
Wie nun, Ophelia, was ist passiert?
OPHELIA
O mein Herr, mein Herr, ich wurde so in Angst versetzt.
POLONIUS
Wovon, in Gottes Namen?
OPHELIA
Mein Herr, ich war in meinem Zimmer und nähte,
als Prinz Hamlet zu mir kommt,
mit offenem Wams und ohne Hut auf seinem Kopf,
mit verdreckten Strümpfen, die ihm lose
bis zu den Knöcheln runtergerutscht waren,
blaß wie sein Hemd, mit schlotternden Knien
und mit einem Ausdruck in den Augen,
der so herzzerreißend war, als wäre er
gerade aus der Hölle freigelassen worden,
um von dem Grauen dort zu berichten.
POLONIUS
Verrückt vor Liebe zu dir?
OPHELIA
Herr, ich weiß es nicht,
aber ich fürchte es sehr.
POLONIUS
Was sagte er?
OPHELIA
Er nahm mich am Handgelenk und hielt mich fest,
dann geht er auf den Abstand seines Arms zurück,
und mit der anderen Hand so auf seiner Stirn
verfällt er in ein regloses Betrachten
meines Gesichts, als ob er es zeichnen wollte.
So blieb er lange;
dann, schließlich, schüttelte er leicht meinen Arm
und hob und senkte dreimal seinen Kopf,
und dabei stieß er einen so herzzerreißenden
und tiefen Seufzer aus, der seinen ganzen Körper
zu erschüttern und sein Leben zu beenden schien.
Danach läßt er mich los und schien,
den Kopf über die Schulter zurückgedreht,
ohne seine Augen den Weg zu finden,
denn er ging ohne ihre Hilfe durch die Tür
und warf bis zuletzt ihr Licht auf mich.
POLONIUS
Komm, geh mit mir: Ich werde den König suchen.
Das ist genau die Raserei der Liebe,
deren gewaltige Wucht sich selbst vernichtet
und die den Verstand zu Verzweiflungstaten treibt,
so wie jede Leidenschaft unter dem Himmel,
die unsere Gefühle beherrscht. Es tut mir leid –
was, bist du ihm in der letzten Zeit
mit harten Worten begegnet?
OPHELIA
Nein, mein guter Herr, aber wie Ihr verlangt habt,
habe ich seine Briefe abgelehnt
und ihm den Zutritt zu mir verboten.
POLONIUS
Das hat ihm den Verstand geraubt.
Es tut mir leid, daß ich ihn nicht gleich
mit mehr Vorsicht und Bedacht beurteilt habe.
Ich fürchtete, er spiele nur,
um dich dann zu vernichten –
aber Schande auf meinen Argwohn –
Beim Himmel, wir Alten
können uns in unserer Meinung genauso versteigen,
wie die jungen Leute es an Vorsicht fehlen lassen. Komm, gehen wir zum König.
Dies muß ans Licht, denn weiter verborgen,
bereitet das Verschweigen größere Sorgen,
als durch das Geständnis zu fürchten bliebe,
daß man mit Haß begegnet dieser Liebe.
Beide ab.
Fanfare. Auftritt König und Königin, Rosenkranz und Güldenstern (und andere Hofleute).
KÖNIG
Willkommen, lieber Rosenkranz und lieber Güldenstern,
nicht nur, weil wir uns danach sehnten,
euch zu sehen, ließen wir in dieser Eile
nach euch schicken, sondern weil wir
eure Dienste dringend brauchen.
Etwas habt ihr sicher schon
von Hamlets Verwandlung gehört –
nennen wir es so, denn weder der äußere
noch der innere Mensch gleicht dem noch,
was er einmal war.
Was es sein könnte, was ihn,
außer dem Tod seines Vaters,
so weit von dem Verständnis
seiner selbst gebracht hat,
kann ich mir in meinen kühnsten Träumen
nicht erklären. Ich bitte euch beide, die ihr
von früher Kindheit an mit ihm aufgewachsen seid
und ihm in Jugend und Gewohnheiten nahesteht,
daß ihr uns gewährt, daß ihr
eine kurze Zeit hier an unserem Hof bleibt,
um ihn durch eure Gesellschaft zu erfreuen
und dabei, soviel Gelegenheit es zuläßt, zusammentragt,
ob ihn etwas uns Unbekanntes quält,
das wir, wenn es erst offen daliegt,
heilen könnten.
KÖNIGIN
Liebe Herren, er hat viel von euch gesprochen,
und ich bin sicher,
es gibt keine zwei anderen Menschen,
an denen er mehr hängt.
Wenn es euch beliebt,
uns den Edelmut und guten Willen zu erweisen
und euren Aufenthalt bei uns
für eine Weile zu verlängern,
als Unterstützung und Gewinn für unsere Hoffnung,
dann soll euer Besuch den Dank erhalten,
der der Erinnerung eines Königs angemessen ist.
ROSENKRANZ
Eure beiden Majestäten könnten
bei dem hochherrschaftlichen Recht,
mit dem sie über uns verfügen,
ihren strengen Willen als Befehl äußern
und nicht als Bitte.
GÜLDENSTERN
Aber wir gehorchen beide
und legen euch in tiefster Verbeugung
unsere Dienste zu Füßen,
euch zu Befehl.
KÖNIG
Danke, Rosenkranz, und lieber Güldenstern.
KÖNIGIN
Danke, Güldenstern, und lieber Rosenkranz.
Und ich ersuche euch, sogleich
meinen so sehr veränderten Sohn aufzusuchen.
Begleite jemand sie und bringe diese Herren dorthin,
wo Hamlet ist.
GÜLDENSTERN
Der Himmel gebe,
daß unsere Anwesenheit und Versuche
ihm angenehm und hilfreich seien.
KÖNIGIN
Ja, amen.
Rosenkranz, Güldenstern und einer oder mehrere Hofleute ab.
Auftritt Polonius.
POLONIUS
Die Gesandten von Norwegen, mein guter Herr,
sind froh wieder zurückgekehrt.
KÖNIG
Du warst schon immer der Vater guter Neuigkeiten.
POLONIUS
War ich das, mein Herr? Ich versichere Euch,
guter Lehnsherr, ich halte auf meine Pflicht
wie ich auf meine Seele halte,
gegen meinen Gott und meinen gnädigen König;
und ich glaube tatsächlich,
oder dieser mein Verstand jagt
nicht mehr so sicher auf der Fährte der Vernunft,
wie er es früher tat, daß ich den wahren Grund
für Hamlets Wahnsinn gefunden habe.
KÖNIG
Oh, erzähl, das möchte ich gerne hören.
POLONIUS
Erlaubt erst den Gesandten einzutreten.
Meine Nachrichten sollen dann das Dessert
nach dem großen Festessen sein.
KÖNIG
Erweise ihnen selbst die Ehre und geleite sie herein.
Er sagt mir, meine liebe Gertrude,
daß er Quelle und Ursache der Verstimmung
Eures Sohnes gefunden hat.
KÖNIGIN
Ich zweifle, daß etwas anderes der Grund ist,
als der Tod seines Vaters und unsere hastige Heirat.
KÖNIG
Nun, wir werden ihn befragen.
Auftritt Voltemand und Cornelius.
Willkommen, meine guten Freunde.
Sagt, Voltemand, was gibt es
von unserem Bruder Norwegen?
VOLTEMAND
Allerbeste Erwiderung aller Grüße und Wünsche.
Auf unser Erstes ließ er
die Truppenwerbungen seines Neffen verbieten,
die er für eine Vorbereitung
gegen den Polen gehalten hatte;
aber, genauer untersucht, fand er wahrhaftig heraus,
daß es gegen Eure Hoheit ging;
wonach er, voll Kummer, daß seine Krankheit,
sein Alter und seine Schwäche
mit solcher Falschheit hintergangen worden waren,
Haftbefehl gegen Fortinbras erteilen läßt,
dem dieser sich in Kürze beugt,
woraufhin er von Norwegen gerügt wird
und er schließlich vor seinem Onkel
den Schwur ablegt, nie mehr zu versuchen,
gegen Eure Majestät zu den Waffen zu greifen.
Worauf der alte Norwegen überfroh
ihm dreitausend Kronen Jahresgehalt gibt
und die Erlaubnis, die so geworbenen Soldaten
gegen den Polen zu benutzen,
mit dem Gesuch, wie hier genauer ausgeführt,
ob Ihr geruhen würdet, diesem Unternehmen
stillen Durchmarsch durch Euer Herrschaftsgebiet zu gestatten,
unter bestimmten die Sicherheit und Bedingungen betreffenden Punkten, wie hier festgelegt.
KÖNIG
Das gefällt uns sehr.
Und wir werden, wenn dafür mehr Zeit ist,
in Ruhe lesen, antworten
und die Angelegenheit bedenken;
in der Zwischenzeit danken wir euch
für eure gute Arbeit.
Ruht euch jetzt aus,
zur Nacht wollen wir zusammen feiern.
Herzlich willkommen zu Hause.
Voltemand, Cornelius ab.
POLONIUS
Dieses Geschäft ist gut ausgegangen.
Mein Lehnsherr und Madam, hier zu debattieren,
was Majestät sein soll, was Pflicht ist,
warum Tag Tag ist, und Nacht Nacht,
und Zeit Zeit ist, hieße nichts anderes,
als Nacht, Tag und Zeit zu verschwenden.
Deshalb, Kürze ist die Seele der Weisheit,
und Weitschweifigkeit ihr Körper und äußerlicher Putz, werde ich kurz sein:
Euer edler Sohn ist wahnsinnig.
Wahnsinnig nenne ich es,
denn um wirklichen Wahnsinn zu definieren,
woraus bestünde der, außer darin,
daß man nichts anderes als wahnsinnig ist?
Aber lassen wir das beiseite.
KÖNIGIN
Mehr Inhalt und weniger Kunst.
POLONIUS
Madam, ich schwöre, ich bemühe
überhaupt keine Kunst.
Daß er wahnsinnig ist, ist wahr,
es ist wahr, daß es schade ist,
und schade ist es, daß es wahr ist.
Was für eine dumme Drehung!
Aber sie lebe wohl, denn ich bemühe keine Kunst.
Wir halten ihn also für wahnsinnig,
und jetzt verbleibt uns,
den Grund dieses Effekts herausfinden –
oder nennen wir es lieber den Grund dieses Defekts,
denn dieser defekte Effekt hat einen Grund.
So verbleibt es, und das ist das Verbliebene.
Seht Ihr, ich habe eine Tochter –
habe sie, solang sie mein ist –,
die in ihrer Pflicht und in ihrem Gehorsam,
seht, mir dies gegeben hat.
Und nun überlegt und zieht dann Eure eigenen Schlüsse.
Er liest vor.
»An die Himmlische und das Götterbild meiner Seele,
die allererschönste Ophelia –
Das ist ein schiefer Satz, das ist ein falscher Satz, »erschönste« ist falsch, aber hört weiter –
»da in ihrem trefflichen weißen Busen, diese, etc.«
KÖNIGIN
Sie bekam das von Hamlet?
POLONIUS
Gnädige Frau, wartet noch einen Moment:
Ich werde alles treu berichten:
Liest.
»Zweifelst Du auch an der Sterne Feuer,
zweifelst Du auch an des Sonnenwagens Steuer,
zweifelst Du, ob nicht die Wahrheit lüge,
doch zweifle niemals, daß ich liebe.
O liebe Ophelia, ich kann einfach keine Verse schreiben. Ich kann nicht kunstvoll meine Seufzer aufzählen, aber daß ich Dich über alles liebe, über alles, das glaube mir. Adieu. Für immer der Deine, Allerliebste, solange diese Maschine mir gehört. Hamlet.«
Dies hat mir meine Tochter voll Gehorsam gezeigt
und hat zudem Zeit, Mittel und Ort
jedes seiner Anträge mir ans Ohr gebracht.
KÖNIG
Aber wie hat sie seine Liebe aufgenommen?
POLONIUS
Wofür haltet Ihr mich?
KÖNIG
Für einen treuen und ehrenwerten Mann.
POLONIUS
Das würde ich gerne beweisen.
Denn was glaubt Ihr, was ich tat,
als ich diese glühende Liebe
herbeifliegen sah, bevor es noch,
(das muß ich Euch sagen), meine Tochter mir sagte,
was glaubt Ihr
oder meine hochverehrte Majestät,
Eure Königin hier, glaubt Ihr,
ich hätte nur Pult und Notizbuch gespielt
oder meinem Herz befohlen,
sich stumm und taub zu stellen,
oder diese Liebe mit untätigem Blick betrachtet,
was glaubt Ihr? Nein, ich ging sofort
die Sache an und sprach so
mit meinem jungen Fräulein:
»Lord Hamlet ist ein Prinz jenseits deiner Sphäre.
Dies darf nicht sein.«
Und dann gab ich ihr Anweisung,
daß sie seiner Gesellschaft fernbleiben solle
und keine Boten vorlassen
und keine Pfänder mehr annehmen dürfe.
Woraufhin sie die Früchte meines Ratschlags erntete,
und er, zurückgewiesen, um es kurz zu machen,
in Traurigkeit verfiel, dann in ein Fasten,
darauf in Schlaflosigkeit, dann in Schwäche,
darauf in Benommenheit und dieser Bahn folgend
in den Wahnsinn, der ihn jetzt rasen läßt
und der uns alle bekümmert.
KÖNIG
Meint Ihr, das ist es?
KÖNIGIN
Es kann wohl sein, gut möglich.
POLONIUS
War es je so – das würde ich gerne wissen –,
daß ich mit Sicherheit gesagt habe: So ist es,
und es dann anders war?
KÖNIG
Nicht, daß ich wüßte.
POLONIUS
Trennt dies von dem, wenn es anders ist.
Wenn die Hinweise mich richtig leiten,
werde ich finden, wo die Wahrheit sich versteckt,
und sei sie auch mitten im Zentrum versteckt.
KÖNIG
Wie sollen wir dies weiter untersuchen?
POLONIUS
Ihr wißt, manchmal geht er für Stunden
hier in der Halle auf und ab.
KÖNIGIN
Das tut er in der Tat.
POLONIUS
Bei einer solchen Gelegenheit
will ich meine Tochter zu ihm lassen.
Ihr und ich – dann hinter einem Wandteppich –
verfolgen die Begegnung: Wenn er sie nicht liebt
und nicht deshalb den Verstand verloren hat,
dann laßt mich kein Sekretär bei Hof mehr sein,
sondern ein Bauer oder Fuhrmann.
KÖNIG
Wir werden es versuchen.
Auftritt Hamlet.
KÖNIGIN
Seht doch, wie traurig der arme Kerl geht und liest.
POLONIUS
Fort, ich bitte euch beide, fort.
Ich mache mich gleich an ihn heran. Oh, erlaubt!
König und Königin ab.
Wie geht es meinem guten Prinz Hamlet?
HAMLET
Gut, Gott sei mit Euch.
POLONIUS
Kennt Ihr mich, mein Prinz?
HAMLET
Sehr gut sogar, Ihr seid ein Fischhändler.
POLONIUS
Das bin ich nicht, mein Prinz.
HAMLET
Dann hoffe ich, daß Ihr ein genauso ehrlicher Mann seid.
POLONIUS
Ehrlich, mein Prinz?
HAMLET
Ja, Herr, ehrlich zu sein, bedeutet nach dem Lauf der Welt, allein unter Zehntausenden zu sein.
POLONIUS
Das ist sehr wahr, mein Prinz.
HAMLET
Denn wenn die Sonne Maden in einem toten Hund ausbrütet, küßt sie doch wie ein Gott das Aas,
und – habt Ihr eine Tochter?
POLONIUS
Das habe ich, mein Prinz.
HAMLET
Laßt sie nicht in der Sonne gehen:
Empfänglich zu sein, ist ein Segen, aber da Eure Tochter empfangen könnte – Freund, paßt gut auf.
POLONIUS beiseite
Was sagt man dazu? Immer geht es um meine Tochter. Trotzdem erkennt er mich erst nicht und sagt, ich wäre ein Fischhändler! Er ist weit jenseits, und wahrhaftig, in meiner Jugend ließ mich die Liebe auch oft entsetzlich leiden, fast genauso. Ich werde ihn noch einmal ansprechen. – Was lest Ihr da, mein Prinz?
HAMLET
Worte, Worte, Worte.
POLONIUS
Aber worum geht es, mein Prinz?
HAMLET
Zwischen wem?
POLONIUS
Ich meine, was ist der Inhalt des Buchs, mein Prinz.
HAMLET
Verleumdungen. Dieser satirische Kerl behauptet hier, daß alte Männer graue Bärte haben, daß ihre Gesichter runzlig sind, daß Bernstein und Harz langsam aus ihren Augen tropfen und daß sie einen erheblichen Mangel an Witz haben, neben ausgesprochen schwachen Lenden –