Shirley (Deutsche Ausgabe) - Charlotte Brontë - E-Book

Shirley (Deutsche Ausgabe) E-Book

Charlotte Bronte

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Beschreibung

Charlotte Brontë: Shirley Roman | Neu editierte 2021er Ausgabe, mit aktualisierter Rechtschreibung und zahlreichen erklärenden Fußnoten | Yorkshire, zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Das Leben der jungen Caroline, die nach dem Tod des Vaters und dem Weggang der Mutter ohne Vermögen und Zukunftsperspektive in der Nähe ihres Cousins Robert lebt, erfährt eine Wendung, als Shirley Keeldar in ihr Leben tritt: Die junge Gutsbesitzerin, die von ihren Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt hat, ist selbstbewusst, unabhängig und unkonventionell, und stört sich nicht am spießigen Regelkodex ihrer Zeit. Die beiden jungen Frauen inspirieren sich gegenseitig und schmieden Zukunftspläne in denen auch Cousin Robert und dessen Bruder Louis wichtige Rollen zugedacht sind ...

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— INHALT —

Innentitel

Klappentext

ERSTES BUCH

I – Levitisch

II – Die Wagen

III – Mr. Yorke

IV – Mr. Yorke (Fortsetzung)

V – Hollows’s Cottage

VI – Coriolanus

VII – Die Hilfsgeistlichen beim Tee

VIII – Noah und Moses

IX – Briarmains

X – Alte Jungfern

XI – Fieldhead

ZWEITES BUCH

I – Shirley und Caroline

II – Weitere Geschäftsbriefe

III – Shirley versucht sich durch gute Werke zu retten

IV – Mr. Donnes Exodus

V – Pfingsten

VI – Das Schulfest

VII – Welches der Leser überschlagen möchte, da Personen niederen Standes darin auftreten

VIII – Eine Sommernacht

IX – Morgen

X – Mrs. Pryor

XI – Zwei Leben

XII – Ein Abend außer Haus

DRITTES BUCH

I – Und ob ich schon wanderte im finsteren Tal

II – Der Westwind weht

III – Alte Schulhefte

IV – Der erste Blaustrumpf

V – Phœbe

VI – Louise Moore

VII – Rushedge, ein Beichtstuhl

VIII – Onkel und Nichte

IX – Der Schuljunge und die Waldfee

X – Martins Ablenkungsmanöver

XI – Ein Fall von Glaubensverfolgung innerhalb der Familie

XII – Worin die Dinge einigen Fortschritt machen, doch keinen großen

XIII – Im Schulzimmer geschrieben

XIV – Abschluss

Über die Autorin

Impressum

Fußnoten

Klappentext

Yorkshire, zu Beginn des 19. Jahrhunderts: Das Leben der jungen Caroline, die nach dem Tod des Vaters und dem Weggang der Mutter ohne Vermögen und Zukunftsperspektive in der Nähe ihres Cousins Robert lebt, erfährt eine Wendung, als Shirley Keeldar in ihr Leben tritt: Die junge Gutsbesitzerin, die von ihren Eltern ein beträchtliches Vermögen geerbt hat, ist selbstbewusst, unabhängig und unkonventionell, und stört sich nicht am spießigen Regelkodex ihrer Zeit. Die beiden jungen Frauen inspirieren sich gegenseitig und schmieden Zukunftspläne – in denen auch Cousin Robert und dessen Bruder Louis wichtige Rollen zugedacht sind ...

Charlotte Brontë (1816–1855) war eine britische Schriftstellerin. Sie veröffentlichte ihre Romane unter dem Pseudonym Currer Bell und war eine der drei hochbegabten Brontë-Schwestern, von denen jede bleibende literarische Werke schuf.

Eine Kurzbiographie der Autorin finden Sie im Anhang.

ERSTES BUCH

I – Levitisch

In den letzten Jahren hat sich ein wahrer Sturzregen von Hilfsgeistlichen über den Norden Englands ergossen. Sie sind dicht über die Hügel verteilt. Jedes Kirchspiel hat einen oder mehrere. Sie sind jung genug, um sehr tatkräftig zu sein, und könnten viel Gutes bewirken. Doch nicht von den jüngsten Jahren reden wir, wir gehen zurück zum Anfang unseres Jahrhunderts. Späte Jahre, wie die gegenwärtigen, sind staubig, sonnenverbrannt, heiß, trocken. Wir wollen die Hitze vermeiden, sie in der Siesta vergessen, den Mittag im Schlummer verleben und von der Morgendämmerung träumen.

Lieber Leser, wenn du nach diesem Vorspiel glaubst, dass etwas wie eine Romanze vor dir ausgebreitet werden soll, so hast du dich gewaltig geirrt. Erwartest du Sentimentalität, Poesie und Träumerei? Hast du mit Leidenschaft, Aufregung und Melodramatik gerechnet? Mäßige deine Erwartungen, bringe sie auf einen geringeren Stand. Etwas Wirkliches, Kühles und Solides liegt vor dir, etwas ebenso unromantisches wie ein Montagmorgen, wenn alle, die zu arbeiten haben, mit dem Bewusstsein aufwachen, dass sie aufstehen und daran gehen müssen. Wir wollen nicht mit Sicherheit behaupten, dass du nicht vielleicht in der Mitte oder am Ende dieser Mahlzeit etwas Pikantes finden könntest, aber so viel ist gewiss: Der erste Gang, der auf die Tafel gesetzt wird, wird einer sein, den ein Katholik – ja sogar ein englischer Katholik – am Karfreitag essen kann. Kalte Erbsen und Essig ohne Öl, ungesäuertes Brot mit bitteren Kräutern und kein Lammbraten.

In den letzten Jahren, sagte ich, hat sich ein wahrer Sturzregen von Hilfsgeistlichen über den Norden Englands ergossen, aber um 1811, 1812 war derselbe noch nicht niedergegangen. Hilfsgeistliche waren selten. Es gab noch keine Seelsorge-Hilfe, keine Hilfsgeistlichen-Gesellschaft, die überarbeiteten alten Pfarrherren und Würdenträgern eine helfende Hand ausstreckte und ihnen Mittel verlieh, einen kräftigen, jungen Kollegen aus Oxford oder Cambridge zu bezahlen. Die jetzigen Nachfolger der Apostel, Schüler des Dr. Pursey und Werkzeuge der Propaganda, wurden damals noch in Wiegenbetten gehätschelt oder erlitten ihre Wiedergeburt durch die Nottaufe im Handbecken. Du hättest durchaus nicht vermuten können, wenn dir einer derselben vor die Augen gekommen wäre, dass die italienisch gebügelte Doppelkrause seines Haarnetzes die Augenbrauen eines präordinierten, ganz speziell geweihten Nachfolgers des heiligen Pauls, Peters oder Johannes umgebe, ebenso wenig, wie du in den Falten seiner langen Nachtjacke das weiße Chorhemd vermutet hättest, in welchem später die Seelen seiner Gemeinde aufs Grausamste eingeübt und sein altmodischer Vikar völlig in die Enge getrieben werden sollte, wenn das weitärmelige Gewand hoch oben auf einer Kanzel gehandhabt wurde, das zuvor nie höher als über das Lesepult ausgebreitet worden war. Aber selbst in jenen Tagen des Mangels gab es dennoch Hilfsgeistliche. Diese kostbare Pflanze war zwar selten, fand sich aber doch. Ein gewisser begünstigter Landstrich an der Westgrenze von Yorkshire konnte sich dreier Aaron-Stäbe rühmen, die in einem Umfang von zwanzig englischen Meilen blühten. Du sollst sie sehen, lieber Leser. Gehe in das nette Gartenhaus am Ende von Whinbury, tritt in den kleinen Salon – da sitzen sie bei Tisch. Vergönne mir, sie dir vorzustellen. Mr. Donne, Hilfsgeistlicher von Whinbury, Mr. Malone, desgleichen von Briarfield, Mr. Sweeting, ebenso von Nunnely. Dies ist Mr. Donnes Zimmer, zur Wohnung eines gewissen John Gale, eines kleinen Tuchmachers, gehörend. Mr. Donne hat seine Brüder freundlich eingeladen, mit ihm zu speisen. Du und ich, wir wollen ebenfalls dabei sein, sieh also, was zu sehen, und höre, was zu hören ist. Jetzt speisen sie aber noch und während sie dies tun, wollen wir zur Seite treten.

Diese Herren stehen in der Blüte der Jugend. Sie besitzen alle Tatkraft dieses interessanten Alters, eine Emsigkeit, die ihre abgestumpften alten Vikare gern in den Kanal ihrer Pastoralspflichten leiten, indem sie oft den Wunsch äußern, sie durch eine sorgfältige Überwachung der Schulen und fleißige Besuche bei ihren kranken Gemeindemitgliedern ausgedehnt zu wissen. Die jugendlichen Leviten halten dies jedoch für unnütz. Sie ziehen es vor, ihre Kräfte an eine Lebensweise zu verschwenden, die, wenn sie auch anderen Augen langweiliger und eintöniger als die Arbeit eines Webers an seinem Webstuhl erschiene, ihnen doch eine unabsehbare Menge von Vergnügen und Beschäftigung zu gewähren scheint.

Ich meine nämlich damit ein stetes Hin- und Herwandern zwischen ihren Quartieren, keine Runde, sondern ein Dreieck von Besuchen, die sie sich das ganze Jahr hindurch, Winter und Frühling, Sommer und Herbst, abstatten. Jahreszeit und Witterung machen keinen Unterschied. Mit unermüdlichem Eifer trotzen sie Schnee und Hagel, Wind und Regen, Schlamm und Staub, um sich zu besuchen, Tee zu trinken und mittags und abends zu essen. Es ist schwer zu sagen, was sie so zueinander zieht. Freundschaft ist es nicht, denn sooft sie zusammenkommen, streiten sie sich. Religion ist es nicht, dieses Thema wird nie von ihnen berührt. Theologie mögen sie wohl gelegentlich besprechen, aber Frömmigkeit – nie. Auch ist es nicht Liebe zum Essen und Trinken, denn jeder könnte ebenso gut eine Hammelkeule und Pudding, ebenso starken Tee und saftigen Toast zu Hause haben, wie es ihm von seinen Brüdern vorgesetzt wird. Mrs. Gale, Mrs. Hogg und Mrs. Wipp, ihre jeweiligen Wirtinnen, versichern, dass sie es bloß deshalb tun, um anderen Leuten Unbequemlichkeiten zu bereiten. Unter den anderen Leuten verstehen die guten Damen sich selbst, denn sie werden allerdings durch dieses System gegenseitiger Einladung in steter Unruhe gehalten.

Mr. Donne und seine Gäste sitzen also beim Mittagsessen. Mrs. Gale wartet ihnen auf, aber ein Funke heißen Küchenfeuers funkelt in ihren Augen. Sie bedenkt, dass das Vorrecht, gelegentlich zu einem Mittagsmahl ohne viele Beschwerden einzuladen (ein Vorrecht, das in die Bedingungen mit aufgenommen worden ist, unter welchen sie vermietet hat), doch zuletzt völlig hinreichend ausgeübt worden ist. In dieser Woche ist es erst Donnerstag, und bereits am Montag ist Mr. Malone, der Hilfsgeistliche von Briarfield, zu Frühstück und Mittagsessen gekommen, Dienstag Mr. Malone und Mr. Sweeting aus Nunnely zum Tee, sie waren zum Abendessen geblieben, hatten das Gastbett eingenommen und sie mit ihrer Gesellschaft beim Frühstück am Mittwochmorgen beehrt und jetzt, am Donnerstag, waren sie beide zu Mittag hier und Mrs. Gale fest überzeugt, sie würden die ganze Nacht über verweilen. »C’en est trop!«1 würde sie gesagt haben, wenn sie Französisch sprechen könnte.

Mr. Sweeting zerschneidet die Scheibe Roastbeef auf seinem Teller und klagt, dass sie sehr zäh sei. Mr. Donne sagt, ihr Bier sei schal. Oh! Das ist das Schlimmste von allem. Wenn sie nur wenigstens höflich wären, würde Mrs. Gale es nicht so genau nehmen. Wenn sie nur wenigstens mit dem zufrieden zu sein schienen, was sie bekämen, würde sie es noch hingehen lassen, aber diese jungen Leute sind so vornehm und so hochmütig, sie setzen jedermann unter sich herab, sie behandeln sie sogar geradezu unhöflich, weil sie keine Magd hält, sondern alles im Haus selbst verrichtet, wie ihre Mutter es auch getan hat, und dann sprechen sie auch stets Böses von den Yorkshirer Straßen und Yorkshirer Leuten, sodass Mrs. Gale eben dadurch überzeugt wird, dass keiner von ihnen ein echter Gentleman oder von guter Herkunft sei. Der alte Pfarrer ist mehr wert, als das ganze Bündel von diesen Schulknaben. Er kennt die guten Sitten und ist freundlich gegen Hohe und Niedere.

»Mehr Brot!« schrie Mr. Malone in einem Ton, der, obgleich er nur um zwei Silben verlängert war, ihn doch sogleich als den Eingeborenen des Landes des Klees und der Erdäpfel kennzeichnete. Mrs. Gale hasst Mr. Malone mehr als jeden der anderen beiden, aber sie fürchtet ihn auch, denn er ist ein langer, kräftig gebauter Mann, mit wahrhaft irischen Beinen und Armen und einem ebensolchen Gesicht, nicht dem milesischen, nicht im Stil Daniel O’Connels, sondern der wilden, nordamerikanisch-indianischen Art von Gesicht, das einer gewissen Klasse der irischen Vornehmen eigen ist und ihm ein versteinertes und stolzes Ansehen gibt, wie es sich besser für den Besitzer einer Sklavenplantage, als den Landeigner unter freien Bauern eignet. Mr. Malones Vater nannte sich einen Gentleman, er war arm und verschuldet und von lächerlichem Stolz, und sein Sohn gleicht ihm vollkommen.

Mrs. Gale gab ihm das Brot.

»Schneiden Sie es, Frau!« sagte ihr Gast, und ›die Frau‹ schnitt es auch. Wäre sie ihrer Neigung gefolgt, würde sie auch den Pfarrer geschnitten haben. Ihr Yorkshire-Gemüt empörte sich heftig gegen diese Art zu befehlen.

Die Herren hatten guten Appetit, und wenn das Rindfleisch auch zäh war, aßen sie doch ein tüchtiges Stück davon. Sie tranken auch eine erträgliche Menge des ›schalen Biers‹, während eine Schüssel mit Yorkshire-Pudding und zwei mit Gemüse verschwanden, wie Blätter vor Heuschrecken. Auch der Käse bekam ausgezeichnete Spuren ihrer Aufmerksamkeit zu spüren und ein ›Gewürzkuchen‹, der als Dessert folgte, wurde unsichtbar wie eine Erscheinung, und seine Spur ward nicht mehr gefunden. In der Küche sang Abraham, Mrs. Gales Sohn und Erbe, ein Junge von sechs Sommern, dessen Elegie. Er hatte mit der Rückkehr desselben gerechnet, und als die Mutter den leeren Teller hereinbrachte, erhob er seine Stimme und weinte bitterlich.

Währenddessen saßen die Hilfsgeistlichen und tranken ihren Wein, ein Getränk anspruchsloser Lese, mäßig erheiternd. Mr. Malone hätte allerdings lieber Whisky gehabt, aber da Mr. Donne Engländer war, besaß er dieses Getränk nicht. Indem sie zechten, disputierten sie, nicht über Politik, noch weniger über Philosophie, am wenigsten über Literatur. Diese drei Gegenstände waren ohne jedes Interesse für sie. Selbst nicht über praktische oder wissenschaftliche Theologie, sondern über kleinliche Punkte der kirchlichen Disziplin; Frivolitäten, die allen anderen außer ihnen als bloße Seifenblasen vorkommen mussten. Mr. Malone, dem es glückte, zwei Gläser Wein zu trinken, während seine Mitbrüder sich mit einem begnügten, wurde nach und nach auf seine Weise lustig, das heißt, er wurde ein wenig grob, sagte rohe Dinge in anmaßendem Ton und lachte überlaut über seinen eigenen Witz.

Jeder seiner Gefährten wurde der Reihe nach seine Zielscheibe. Malone hatte eine Menge von Scherzreden zu ihren Diensten, die er bei gastlichen Gelegenheiten, wie der gegenwärtigen, regelmäßig servierte, doch selten veränderte. Das war aber auch kaum nötig, da er sich selbst nie für monoton hielt und sich auch nicht darum kümmerte, was andere dachten. Mr. Donne beglückte er durch Anspielungen auf dessen außerordentliche Magerkeit und Sticheleien über seine Stupsnase, besonders aber mit Sarkasmen auf einen gewissen fadenscheinigen schokoladenfarbenen Überrock, welchen dieser Gentleman gewohnt war, wenn es regnete oder Regen zu erwarten war, zu tragen, sowie mit Kritiken über einen ausgesuchten Vorrat gezierter Phrasen und Arten, die Worte auszusprechen, die Mr. Donne ganz eigen waren und wegen der Eleganz und Feinheit, die sie seinem Stil verliehen, wohl bemerkt zu werden verdienten.

Mr. Sweeting wurde wegen seines Wuchses aufgezogen. Er war ein kleiner Mann, ein wahrer Knabe an Größe und Stärke in Vergleich zu dem riesenhaften Malone. So scherzte dieser auch über dessen musikalische Kenntnisse. Er spielte die Flöte und sang Hymnen wie ein Seraph, wenigstens glaubten es einige junge Damen seiner Gemeinde. Ferner neckte er ihn als Liebling der Damen und verspottete ihn wegen seiner Mutter und Schwestern, nach denen der arme Sweeting sich oft sehnte und von denen er, töricht genug, manchmal in Gegenwart des geistlichen Lustigmachers sprach, bei dessen körperlichen Merkmalen das Ergänzen der natürlichen Zuneigung irgendwie vergessen worden war.

Die Schlachtopfer nahmen diese Angriffe jeder nach seiner eigenen Art und Weise auf. Mr. Donne mit einer vornehmen Selbstgefälligkeit und einer halb trotzigen Teilnahmslosigkeit, dem einzigen Zeichen seiner außerdem etwas verkrüppelten Würde, Mr. Sweeting mit der Gleichgültigkeit einer heiteren, leichten Laune, welche nie voraussetzte, dass sie irgendeine Würde aufrecht zu halten habe.

Wenn Malones Scherze zu derb wurden, was nicht selten geschah, vereinten sich beide, dieselben gegen ihn zu kehren, indem sie ihn fragten, wie viele Knaben ihm ›irischer Peter‹ (Malones Name war Peter, der hochwürdige Peter Augustus Malone) nachgerufen hätten, als er heute hierher unterwegs gewesen war. Auch baten sie ihn um Auskunft, ob es bei Geistlichen in Irland Mode sei, dass sie geladene Pistolen in den Taschen hätten und einen Prügel in den Händen, wenn sie Gemeindebesuche machten, und sie erkundigten sich ebenso nach der Bedeutung solcher Worte wie: vele, firrum, hellum und storrum (so sprach Malone nämlich stets veil [Schleier], firm [fest], helm [Ruder], storm [Sturm] aus) und wandten noch andere Methoden der Wiedervergeltung an, wie es ihnen ihre angeborenen Geisteskräfte erlaubten.

Dies half aber jetzt nichts. Malone, der weder gutmütig noch teilnahmslos war, befand sich jetzt in einer erregten Stimmung. Er schrie, er gestikulierte. Donne und Sweeting lachten. Er schmähte sie als Sachsen und Pöbel in den kräftigsten Ausdrücken seiner hohen keltischen Stimme. Sie neckten ihn damit, dass er in einem eroberten Land geboren sei. Er drohte mit Rebellion im Namen seines Vaterlandes und goss seinen Hass gegen die englische Herrschaft aus, sie aber sprachen von Lumpen, Bettlern und Pestilenz. Das kleine Zimmer war in Aufruhr. Man hätte glauben sollen, auf solche gewaltigen Reden müsse ein Duell folgen; zu verwundern war es nur, dass Mr. und Mrs. Gale bei dem Lärmen keine Angst bekamen und sie nicht nach dem Constabler schickten, um Frieden zu stiften. Sie waren jedoch an solche Demonstrationen gewöhnt und wussten recht gut, dass die Hilfsgeistlichen nie ohne ähnliche Übung miteinander speisten oder Tee tranken, daher waren sie wegen der Folgen völlig beruhigt, davon überzeugt, dass diese klerikalen Streitigkeiten ebenso harmlos wie geräuschvoll wären, sich in ein Nichts auflösen würden und in welcher Weise auch jene Herren zur Nacht auseinandergingen, sie doch gewiss des anderen Morgens als die besten Freunde wieder zusammenkommen würden.

Als nun das würdige Paar so an seinem Küchenfeuer saß und auf die wiederholten und hell klingenden Berührungen von Malones Faust mit der Mahagoniplatte des Speisetisches und folglich auf das Klirren und Klingen der Flaschen und Gläser, das jedem Anfall folgte, horchte sowie auf das Spottgelächter der vereinten englischen Disputanten und die stammelnde Deklamation des einzelnen Iren, vernahmen sie an der äußeren Tür Fußtritte und dann erklang der Klopfer rasch an ihr.

Mr. Gale ging und öffnete.

»Wer ist oben bei Ihnen im Salon?« fragte eine Stimme, eine sehr merkwürdige Stimme, mit näselndem und abgehackten Unterton.

»Oh, Mr. Helstone, sind Sie es, Sir? Ich konnte Sie in der Dunkelheit kaum erkennen. Wollen Sie nicht hereinkommen?«

»Ich muss erst wissen, ob es der Mühe wert ist. Wen habt ihr oben?«

»Die Hilfsgeistlichen, Sir.«

»Wie? Alle zusammen?«

»Ja, Sir.«

»Und sie speisen hier?«

»Ja, Sir.«

»Gut!«

Mit diesen Worten trat eine Person ein – ein Mann mittleren Alters, schwarz gekleidet. Er ging geradewegs durch die Küche an die innere Tür, öffnete diese, streckte den Kopf vorwärts und horchte. Es gab auch etwas zu horchen, denn der Lärm oben war lauter denn je.

»Aha!« sprach er zu sich selbst, dann aber an Mr. Gale gewandt: »Haben Sie oft solche Auftritte?«

Mr. Gale war Kirchenvorsteher gewesen und daher nachsichtig gegen die Priester.

»Es sind junge Leute, Sir! Sie wissen es ja – junge Leute!« sagte er vermittelnd.

»Jung! Sie brauchen noch Schläge. Die abscheulichen Buben! – Und wenn Sie ein Dissenter2 wären, John Gale, statt ein guter Anglikaner zu sein, würden sie dasselbe tun – Sie würden sich selbst preisgeben, aber ich will –«

Und als Ende dieser Bemerkung ging er durch jene Tür, machte sie hinter sich zu und stieg die Treppe hinauf. Hier hörte er wieder einige Minuten am oberen Zimmer zu. Als er nun ohne anzuklopfen eintrat, stand er vor den Hilfsgeistlichen.

Und sie waren stumm, sie waren ergriffen, und so war es der Eintretende auch. Dieser, ein von Statur kleiner, aber kräftiger Mann, der auf breiten Schultern einen Habichtskopf und dergleichen Auge und Nase trug, über welchem ein Rheoboam oder Schaufelhut saß, den er in der Gegenwart derer, vor denen er eben stand, abzunehmen oder zu lüften nicht für nötig hielt, faltete seine Arme über seine Brust und musterte seine jungen Freunde, wenn man sie so nennen konnte, ausgiebig.

»Wie?« begann er und sprach nun nicht mehr in einem näselnden, sondern in einem tiefen Ton – mehr als tief – einem Ton, den er absichtlich hohl und dumpf erschallen ließ: »Wie? Ist das Pfingstwunder hier wieder erneuert worden? Sind die fremden Zungen wieder zurückgekehrt? Wo sind sie? Ihr Ton füllte das ganze Haus. Ich hörte die Sprachen in voller Lautstärke, Parther, Meder und Elamiter, welche in Mesopotamien wohnen und in Judäa und Kappadokien, in Pontus und Asien, Phrygien und Pamphylien, in Ägypten und in den Ländern Libyens um Kyrene, Fremde aus Rom, Juden und Proseliten, Kreter und Araber, jeder von ihnen musste vor zwei Minuten seinen Repräsentanten in diesem Zimmer gehabt haben.«

»Ich bitte um Vergebung, Mr. Helstone«, begann Mr. Donne, »haben Sie die Güte sich zu setzen. Befehlen Sie ein Glas Wein?«

Seine Höflichkeiten erhielten keine Antwort. Der Habicht im schwarzen Rock fuhr fort:

»Was spreche ich denn von der Gabe der Sprache? Eine Gabe in der Tat! Ich verwechselte das Kapitel, das Buch, das Testament! Evangelium statt Gesetz, Apostelgeschichte statt Genesis, Jerusalem statt der Ebene von Schinar.

Es war nicht die Gabe, sondern die Verwirrung der Sprachen, die mich mit ihrem Geschnatter stocktaub werden ließ. Ihr Apostel! Was? Ihr drei! Auf keinen Fall! – Drei hochmütige babylonische Maurer – nicht mehr und nicht weniger!«

»Ich versichere Ihnen, Sir, wir haben bloß bei einem Glas Wein, nach einem freundlichen Mahl miteinander geschwatzt – die Dissenters zu bekehren.«

»Oh! Die Dissenters bekehren! – Sie! – Malone, der die Dissenters bekehrt?! Es klang mir vielmehr, als wollte er seine Mit-Apostel bekehren. Ihr strittet euch untereinander und machtet – Ihr drei allein ungefähr ebenso viel Lärm wie Moses Barraclough, der predigende Schneider, und alle seine Hörer in ihrer methodistischen Kapelle dort machen, wenn sie mitten in der Wiedererneuerung stecken. Ich weiß, wessen Fehler das ist … Ihr Fehler, Malone.«

»Meiner? Sir?«

»Ja, Ihrer Sir. Donne und Sweeting waren ruhig, bevor Sie kamen und würden ruhig sein, wenn Sie gingen. Ich wünschte, Sie hätten, als sie über den Kanal fuhren, Ihre irischen Gewohnheiten hinter sich gelassen. Dubliner Studenten-Art taugt hier nichts. Ein Benehmen, das in einem wilden Morast und in einer bergigen Gegend in Connaught unbemerkt bleiben würde, lädt in einer anständigen englischen Kirchengemeinde Missgunst auf diejenigen, die es sich zuschulden kommen lassen, und was noch viel schlimmer ist, auf das heilige Amt selbst, dessen demütiges Anhängsel sie nur sind.«

Es lag eine gewisse Würde in der Art des kleinen ältlichen Mannes diese jungen Leute zurechtzuweisen, obgleich es vielleicht nicht die für diese Gelegenheit geeignetste war. Mr. Helstone, aufrecht stehend wie ein Baumstamm und scharf aussehend wie Geier, hatte trotz seines klerikalen Huts, des schwarzen Rocks und der Gamaschen, eher das Aussehen eines militärischen Veteranen, der seine Subalternen maßregelt, als eines ehrwürdigen Priesters, der seine Söhne zum Glauben ermahnt. Evangelische Milde, apostolische Güte schienen nie ihren Einfluss über dieses aufgeregte braune Gesicht ausgeübt, sondern Festigkeit die Züge versteinert und Scharfsinn seine eigentümlichen Linien darauf eingegraben zu haben.

»Ich begegnete Supplehough«, fuhr er fort, »als er in dieser feuchten Nacht durch den Schlamm watete, um in der Werkstatt der Gegner in Milldean zu predigen. Wie ich Ihnen sagte, hörte ich Barraclough mitten in einem Konventikel wie einen wütenden Stier brüllen, und finde Sie, meine Herren, bei Ihrer halben Kanne trüben Portweins sitzen und wie bissige alte Weiber zanken. Kein Wunder, dass Supplehough sechzehn erwachsene Konvertiten an einem Tag taufte, wie er es vor vierzehn Tagen tat, kein Wunder, dass Barraclough, als ein Heuchler und Feigling der er ist, dennoch all die Webermädchen mit ihren Blumen und Bändern herbeizieht, um zu erfahren, um wie viel härter seine Knöchel sind, als der hölzerne Rand seines Kübels, und ebenso kein Wunder, dass Sie, wenn Sie sich selbst überlassen sind, ohne Ihre Priester – mich, Hall und Boulthy – um Ihnen beizustehen, viel zu oft das heilige Amt unserer Kirche vor leeren Bänken halten und Ihren kurzen, trockenen Vortrag vor dem Küster, dem Organist und dem Büttel ableiern. Doch genug davon! Ich suchte Malone auf. Ich habe einen Auftrag für Sie.«

»Was betrifft er?« fragte Malone verdrießlich, »um diese Tageszeit kann es noch kein Begräbnis geben?«

»Sind Sie armiert?«

»Armiert, Sir? Ja, und auch mit Beinen versehen«, und damit streckte er seine gewaltigen Glieder aus.

»Pah! Haben Sie Waffen, meine ich.«

»Die Pistolen habe ich, die Sie mir selbst gaben. Ich gehe nie ohne sie aus. Sie liegen stets gesichert auf einem Stuhl an meinem Bett bei Nacht. Außerdem habe ich meinen Knüppel.«

»Sehr gut. Wollen Sie nach Hollow’s Mill gehen?«

»Was gibt es denn dort?«

»Jetzt noch nichts, vielleicht auch später nicht, aber Moore ist allein dort. Er hat alle Arbeitsleute, auf die er sich verlassen kann, nach Stillbro’ geschickt, bloß zwei Weiber sind zu Hause geblieben. Es würde für seine Freunde eine leichte Sache sein, ihm einen Besuch abzustatten, wenn sie wüssten, wie bequem er ihnen der Weg dazu gemacht hat.«

»Ich bin keiner seiner Freunde, Sir, und kümmere mich nicht um ihn.«

»Oh, Malone! Sie fürchten sich?«

»Dazu kennen Sie mich besser. Glaubte ich wirklich, dass dort eine Rauferei vorfallen könnte, würde ich gehen, aber Moore ist ein sonderbarer, scheuer Mann, den zu verstehen ich mir nicht anmaße, um dessen angenehmer Gesellschaft allein willen ich aber auch keinen Schritt gehen möchte.«

»Aber es könnte dort eine Rauferei stattfinden, wenn auch keine richtige Revolte, wozu ich allerdings noch keine Anzeichen erkenne. Zweifellos wird diese Nacht nicht ruhig vorübergehen. Sie wissen, dass Moore entschlossen ist, die neue Maschine zu beschaffen, und so erwartet er noch heute Abend zwei Wagen voll Holz- und Eisenwerk aus Stillbro’. Der Aufseher Scott und einige Leute mit Piken holen sie.«

»Sie werden sie ruhig und sicher einbringen.«

»Moore sagt das auch und versichert, dass er niemanden braucht. Einige Personen muss er aber doch haben, und sei es auch nur für den Fall, um wenn etwas geschähe, Zeugnis abzulegen. Er ist zu unvorsichtig. Er sitzt in seinem Kontor ohne die Fensterläden zu schließen. Er geht nach Einbruch der Nacht hierhin und dahin, in den Hohlweg hinauf, nach Fieldhead Lane hinunter und in den Pflanzungen herum, als ob er das Schoßkind der ganzen Nachbarschaft oder, wie es in den Märchenbüchern heißt, ›gefeit‹ wäre. Er lässt sich das Schicksal von Pearson und Armitage keine Warnung sein, von denen der eine in seinem eigenen Haus, der andere in der Heide erschossen wurde.«

»Aber er sollte sich warnen und zur Vorsicht bewegen lassen«, unterbrach Mr. Sweeting, »und würde es auch, wenn er hörte, was ich neulich gehört habe.«

»Was hörten Sie denn?«

»Sie kennen Mike Hartley, Sir?«

»Den antinomistischen3Weber?«

»Ja.«

»Wenn Mike einige Wochen hintereinander getrunken hat, endet er gewöhnlich damit, bei einem Besuch in der Nunnely-Vikarei Mr. Hall einen Teil seiner Gedanken über dessen Predigten zu sagen, ihm die furchtbare Tendenz seiner Lehre von den guten Werken vorzuhalten und ihn zu warnen, dass er und all seine Zuhörer in der tiefsten Finsternis säßen.«

»Ganz recht. Das hat aber nichts mit Moore zu tun.«

»Außer der Tatsache dass er ein Antinomist ist, ist er auch ein gewaltiger Jakobiner und Gleichmacher, Sir.«

»Das weiß ich. Wenn er tüchtig betrunken ist, kreisen seine Gedanken stets um Königsmord. Mike ist nicht unerfahren in der Geschichte und es ist merkwürdig, ihn die Liste von Tyrannen hersagen zu hören, von denen, wie er sich ausdrückt, ›der Bluträcher Rechenschaft gefordert hat‹. Der Bursche hat seine größte Freude an Mordtaten, die an gekrönten Häuptern oder an anderen Personen aus politischen Ursachen verübt worden sind. Ich habe schon sagen hören, dass er eine wunderliche Sehnsucht nach Moore haben soll. Spielen Sie darauf an, Sweeting?«

»Sie bedienen sich des richtigen Ausdrucks, Sir. Mr. Hall glaubt, dass Mike keinen persönlichen Hass gegen Moore habe. Er sagt, er spräche sogar gern mit ihm, und gehe ihm nach, aber er habe eine Sehnsucht, dass ein Exempel an ihm statuiert werde. Neulich rühmte er ihn gegenüber Mr. Hall als den Fabrikbesitzer, der in Yorkshire den meisten Verstand habe, und deswegen könnte er eben, sagte er, als ein Opfer ausgewählt werden, ein Opfer voll süßen Geruchs. Glauben Sie denn, dass Mike Hartley noch bei Verstand ist, Sir?« fragte Sweeting unbefangen.

»Das kann ich nicht sagen, ob er verrückt ist oder vielleicht bloß verschlagen oder vielleicht etwas von beidem.«

»Er will auch Erscheinungen sehen.«

»Ei! Er ist ein wahrer Ezechiel oder Daniel in Visionen. Vorige Freitagnacht kam er gerade, als ich zu Bett ging und beschrieb mir eine, die ihm in Nunnely Park denselben Nachmittag offenbart wurde.«

»Oh, erzählen Sie sie uns doch!« drängte Sweeting.

»Du hast einen enormen Sinn für Wunder an deinem Schädel, David. Malone hat keinen, wie ihr seht. Weder Mordtaten noch Visionen interessieren ihn. Seht nur, ob er in diesem Augenblick nicht wie gewaltiger, gedankenloser Saph aussieht?«

»Saph! Wer war Saph, Sir?«

»Ich dachte mir, dass Ihr es nicht wüsstet. Ihr mögt es nachschlagen, es steht in der Bibel. Ich weiß weiter nichts von ihm als seinen Namen und Geschlecht, aber seit meinen Knabenjahren habe ich mit Saph eine gewisse Persönlichkeit verbunden. Übrigens war er redlich, schwerfällig und unglücklich. Er fiel zu Gob durch Sibbochais Hand.«

»Aber die Vision, Sir?«

»Du sollst sie hören, David. Donne kaut an den Nägeln und Malone gähnt, daher will ich sie nur dir erzählen. Mike ist unglücklicherweise arbeitslos, wie viele andere. Mr. Grame, Sir Philipp Nunnelys Verwalter, gab ihm etwas an der Priorei zu tun. Da war er nun mit Einzäunen spät nachmittags beschäftigt, aber noch ehe es finster wurde, hörte er etwas, das er von Weitem für einen Trupp Soldaten hielt, mit Jagdhörnern, Pfeifen und Trompeten. Der Ton kam vom Wald her, und er wunderte sich, dass es dort Musik gab. Da schaute er sich um und sah, dass sich etwas zwischen den Bäumen bewegte, rot wie Mohn oder weiß wie Hagedorn. Der ganze Wald war voll davon. Nun kamen sie hervor und füllten den Park. Jetzt sah er, dass es Soldaten waren, Tausende und Zehntausende, aber sie machten nicht mehr Lärm als ein Mückenschwarm an einem Sommerabend. Er behauptete nun, dass sie sich in Ordnung aufgestellt hätten und marschiert seien, Regiment auf Regiment durch den Park. Er folgte ihnen bis in die Gemeinde Nunnely. Die Musik spielte noch immer sanft und in der Ferne. Dort sah er nun, wie sie eine Menge Übungen in Formation machten, um einen in scharlachrot gekleideten Mann, der in ihrer Mitte stand und sie befehligte. Sie erstreckten sich, wie er sagte, wohl über fünfzig Acker Landes. Eine halbe Stunde lang waren sie zu sehen, dann marschierten sie ganz still ab, und man hörte weder Stimmen noch Schritte, nichts als die sanfte Musik, die einen feierlichen Marsch spielte.«

»Wo gingen sie denn hin, Sir?«

»Nach Briarfield, Mike folgte ihnen. Sie schienen durch Fieldhead zu marschieren, wo eine Rauchwolke, wie von einem Artilleriepark, geräuschlos über die Felder, die Straße und die Gemeinde zog und, wie er sagte, blau und trübe bis zu seinen Füßen reichte. Als sie sich wieder verzog, blickte er sich nach den Soldaten um, sie waren jedoch verschwunden und er sah sie nicht mehr. Mike erzählte nicht nur die Vision, sondern gab als weiser Daniel auch eine Auslegung derselben. Er gab nämlich zu verstehen, dass sie Blutvergießen und Bürgerkrieg anzeige.«

»Glauben Sie das, Sir?« fragte Sweeting.

»Und Sie, David? Aber, Malone, warum sind Sie noch nicht fort?«

»Ich wundere mich nur, dass Sie nicht selbst bei Moore bleiben, Sir. Sie lieben solche Sachen.«

»Das würde auch geschehen sein, hätte ich nicht unglücklicherweise Boultby auf seiner Rückkehr von der Bibelgesellschaft in Nunnely zum Mittagsessen bei mir eingeladen. Ich versprach daher, Sie als meinen Substituten zu ihm zu senden, wofür er mir nicht einmal dankte, denn er hätte viel lieber mich gehabt als Sie, Peter. Wäre aber wirklich Hilfe nötig, so käme ich doch auch noch. Läuten Sie nur mit der Fabrikglocke. Also gehen Sie nur, wenn nicht«, und damit wandte er sich plötzlich an Sweeting und Donne, »wenn nicht David Sweeting und Joseph Donne es vorziehen, selbst zu gehen. Was meinen Sie dazu, Gentlemen? Der Auftrag ist ein ehrenvoller und nicht ohne den Beigeschmack einer kleinen wirklichen Gefahr, denn die ganze Gegend ist, wie Sie alle wissen, sehr unruhig und Moore und seine Fabrik und seine Maschinen nicht eben sehr beliebt. Ich zweifle nicht daran, dass unter Ihren Westen ritterliche Gefühle und hochschlagender Mut wohnen. Vielleicht bin ich zu parteiisch für meinen Liebling Peter; der kleine David könnte wohl auch der Ritter sein, oder der untadelige Joseph. Malone, Sie sind bei alledem nur ein stammelnder Saul, bloß dazu gut, Ihre Waffen herzugeben. Heraus also mit Ihren Pistolen, holen Sie Ihren Knüppel, er steht dort im Winkel.«

Malone holte mit einem bedeutsamen Grinsen seine Pistolen hervor und bot sie seinen Mitbrüdern an. Diese griffen jedoch nicht eben sehr eifrig danach. Jeder trat mit höflicher Bescheidenheit einen Schritt von der dargebotenen Waffe zurück.

»Ich rühre sie nicht an! So etwas habe ich noch nie getan«, sagte Mr. Donne.

»Ich bin Mr. Moore gänzlich unbekannt«, murmelte Sweeting.

»Wenn Sie nie eine Pistole berührten, so versuchen Sie dieses Gefühl jetzt, großer Statthalter von Ägypten. Was den kleinen Sänger dort betrifft, so zieht er es zweifellos vor, die Philister mit keiner anderen Waffe als seiner Flöte zu schlagen. Geben Sie ihnen ihre Hüte, Peter. Sie wollen beide gehen.«

»Nein, Sir. Nein, Mr. Helstone, meiner Mutter wird es nicht recht sein«, entschuldigte sich Sweeting.

»Und ich habe es mir zur Regel gemacht, mich nie in solche Angelegenheiten einzumischen«, bemerkte Donne.

Helstone lächelte höhnisch, Malone überlaut. Dann nahm er seine Waffen wieder, seinen Hut und seinen Prügel, und versicherte, dass er sich noch nie so sehr zu einer Prügelei aufgelegt gefühlt habe und nur wünschte, ein Dutzend schmieriger Tuchmachergesellen möchten heute vor Moores Quartier rücken. Darauf sprang er mit zwei Sätzen die Treppe hinunter und warf die Haustür so heftig hinter sich zu, dass das ganze Gebäude krachte.

II – Die Wagen

Der Abend war pechschwarz, Sterne und Mond waren hinter grauen Regenwolken erloschen – grau würden sie bei Tag gewesen sein, bei Nacht aber sahen sie schwarz aus. Malone war kein Mann für Beobachtungen der Natur. Ihre Veränderungen gingen größtenteils unbemerkt an ihm vorüber. Er konnte meilenweit an einem unbeständigen Apriltag gehen und nie das schöne Getändel von Erde und Himmel sehen, nie bemerken, wie jetzt ein Sonnenstrahl die Spitzen der Hügel küsste und sie im grünen Licht lächeln ließ und dann ein Regenschauer über ihnen weinte und ihre Gipfel mit den tief herabhängenden, zerstreuten Locken einer Wolke bedeckte. Es fiel ihm daher nicht ein, den Himmel, wie er jetzt erschien – ein verhülltes, strömendes Gewölbe, ganz schwarz, außer wo gegen Westen hin die Öfen der Eisenwerke von Stilbro’ einen zitternden, schwarzgelben Schimmer auf den Horizont warfen – mit demselben Himmel in einer wolkenlosen kalten Nacht zu vergleichen. Es fiel ihm nicht ein, zu fragen, wo die Planeten und Fixsterne hergekommen waren, oder die dunkelblaue Reinheit des Luftozeans zu vermissen, in der jene weißen Inselchen funkelten und welche ein anderer Ozean von schwererem und dichterem Element jetzt verbarg. Er ging mürrisch seinen Weg, ein wenig nach vorn gebeugt und den Hut auf dem Hinterkopf tragend, wie es seine irische Gewohnheit war. Trapp, trapp ging er den Fußweg entlang, solange die Straße den Vorteil dieser Bequemlichkeit aufwies, patsch, patsch durch die schlammgefüllten Wagenfurchen, wo sich statt der Steine weicher Schlick zeigte. Er sah sich nur nach gewissen Landmarken um, dem Kirchturm von Briarfield und den Lichtern von ›Red House Inn‹. Dies war ein Gasthof, und als er ihn erreichte, hätte bald die Glut eines Feuers hinter einem halbverhängten Fenster, der Anblick von Gläsern auf einem runden Tisch und Zechender auf einer eichenen Bank den Geistlichen von seinem Weg abgelenkt. Er dachte sehnsüchtig an einen Tummler mit Whisky und Wasser. An einem fremden Ort würde er seinen Traum sogleich verwirklicht haben, aber die in dieser Gaststube versammelte Gesellschaft bestand aus Mr. Helstones eigenen Gemeindemitgliedern. Sie kannten ihn alle. Er seufzte und ging vorüber.

Jetzt musste er die Heerstraße verlassen, da man den restlichen Weg nach Hollow’s Mill durch einen Querweg über die Felder bedeutend verkürzen konnte. Diese Felder waren eben und monoton. Malone ging geradeaus durch dieselben, und sprang über Hecken und Mauern. Nur an einem Gebäude kam er vorbei und dieses schien ihm groß und anständig, obgleich unregelmäßig. Man konnte einen hohen Giebel erkennen, dann eine lange Fassade, dann wieder einen niedrigen Giebel und zuletzt eine starke und hohe Reihe von Schornsteinen, dahinter einige Bäume. Es war finster, kein einziges Licht schien aus einem der Fenster. Ganz still war es auch. Der Regen rann aus den Dachrinnen und das ziemlich stürmische, aber doch sehr leise Flüstern des Windes um die Schornsteine und durch die Äste war das einzige Geräusch.

Hinter diesem Gebäude senkten sich die bis dahin flachen Felder schnell abwärts. Offenbar lag ein Tal da unten, und man konnte Wasser durch dasselbe rauschen hören. Ein Licht flimmerte aus der Tiefe. Auf dieses Leuchtsignal steuerte Malone zu.

Er gelangte zu einem kleines weißen Haus – dass es weiß war, konnte man selbst durch die dichte Finsternis sehen – und klopfte an die Tür. Eine rotwangige Magd öffnete. Durch ein Licht, das sie hielt, wurde ein enger Gang sichtbar, der an einer ebensolchen Treppe endete. Zwei mit rotem Filz verkleidete Türen und ein Streifen roten Teppichs die Treppen hinab stachen von den weiß gestrichenen Wänden und der weißen Diele ab, wodurch der kleine Raum hell und freundlich aussah.

»Mr. Moore ist daheim, wie ich hoffe.«

»Ja, Sir, aber nicht hier.«

»Nicht hier! Wo ist er denn?«

»In der Fabrik, im Kontor.«

Hier öffnete sich eine der roten Türen.

»Sind die Wagen da, Sarah?« fragte eine Frauenstimme und zugleich ließ sich ein Frauenkopf sehen. Der Kopf einer Göttin war es freilich nicht, denn ein gedrehter papierener Haarwickel auf jeder Seite der Schläfe ließ diese Annahme nicht zu, aber es war auch nicht der einer Gorgone4. Dennoch schien Malone ihn im letzten Licht für eine solche zu halten. So stark und groß wie er war, schreckte er bei diesem Anblick schüchtern in den Regen zurück und eilte mit den Worten: »Ich will zu ihm gehen«, in anscheinender Hast eine kurze Strecke fort über einen dunklen Hof zu einem großen, schwarzen Fabrikgebäude.

Die Arbeitsstunden waren vorüber, die Werkleute fortgegangen, die Maschinerie stand still, die Fabrik war verschlossen.

Malone ging um dieselbe herum. An ihrer breiten, rußigen Seite sah er endlich ein Licht blinken. Er klopfte wieder an eine Tür, wozu er sich des dicken Endes seines Knüppels bediente und damit ein lautes Geräusch machte. Ein Schlüssel wurde gedreht und die Tür geöffnet.

»Ist es Joe Scott? Wie steht’s mit den Wagen, Joe?«

»Nein, ich bin es. Mr. Helstone hat mich hergeschickt.«

»Oh, Mr. Malone!« Als die Stimme diesen Namen sprach, lag einiger Verdruss darin, doch so wenig wie möglich. Nach einer augenblicklichen Pause fuhr sie höflich, doch etwas förmlich fort:

»Haben Sie doch die Güte, hereinzukommen, Mr. Malone. Ich bedauere sehr, dass Mr. Helstone es für notwendig erachtet hat, Sie so weit hierher zu bemühen. Es wäre gar nicht nötig gewesen. Ich sagte es ihm auch – und in einer solchen Nacht – doch kommen Sie herein!«

Malone folgte durch ein dunkles, nicht näher zu erkennendes Gemach dem Sprecher in einen hellen und glänzenden inneren Raum. Hell und glänzend kam er den Augen allerdings vor, die sich seit einer Stunde bemüht hatten, die doppelte Finsternis von Nacht und Nebel zu durchdringen. Abgesehen von einem vortrefflichen Feuer und einer elegantem Lampe, die auf einem Tisch einen munteren Schein verbreitete, war jedoch alles sehr einfach gehalten. Die hölzerne Diele war ohne Teppich, die drei bis vier steiflehnigen, grün lackierten Stühle schienen ehemals in die Küche einer Pächterwohnung gehört zu haben. Ein Tisch von starker, solider Form, der vorhin erwähnte, und einige eingerahmte Bilder an den steinfarbig gestrichenen Wänden, Pläne zu Gebäuden und Gärten, sowie Muster zu Maschinen usw. darstellend, vervollständigten die Möblierung.

So einfach es auch war, so schien es doch Malone zu befriedigen, der, als er seinen durchnässten Oberrock und Hut aufgehängt hatte, einen der rheumatisch aussehenden Stühle an den Kamin zog und seine Knie fast ganz innerhalb der Stangen des roten Rostes stellte.

»Sie wohnen hier recht hübsch, Mr. Moore, und so ganz sich selbst gehörend.«

»Allerdings, aber meiner Schwester würde es sehr angenehm sein, Sie zu sehen, wenn Sie lieber in das Haus gehen wollten.«

»Ach nein! Die Damen sind am besten allein. Ich war nie ein großer Damenfreund. Sie halten mich doch nicht etwa für meinen Freund Sweeting, Mr. Moore?«

»Sweeting? Welcher ist denn das? Der Herr in dem schokoladenfarbenen Oberrock oder der kleine Herr?«

»Der kleine, der aus Nunnely, der Ritter der Misses Sykes, in welche alle sechs er verliebt ist, ha, ha, ha!«

»Besser, im Allgemeinen in alle, als im Speziellen in eine, sollte ich in dieser Beziehung glauben.«

»Aber er ist auch speziell in eine verliebt, denn als ich und Donne in ihn drangen, eine Auswahl unter der schönen Schar zu treffen, so nannte er – wen denken Sie wohl?«

Mit einem sonderbaren ruhigen Lächeln entgegnete Mr. Moore: »Dora gewiss, oder Harriet?«

»Ha, ha, ha! Sie können vortrefflich raten. Aber warum kommen Sie gerade auf diese beiden?«

»Weil sie die größten, die schönsten sind. Dora ist wenigstens die ansehnlichste, und da Ihr Freund, Mr. Sweeting, nur klein und mager ist, schloss ich daraus, nach einer in solchen Fällen oft vorkommenden Regel, dass er seinen Kontrast vorzieht.«

»Sie haben recht, Dora ist es. Aber er hat keine Aussicht, nicht wahr, Moore?«

»Was hat denn Mr. Sweeting außer seiner Stelle als Hilfsgeistlicher?«

Diese Frage schien Malone erstaunlich zu beunruhigen. Er lachte länger als drei Minuten und antwortete dann:

»Was Sweeting hat? Nun, David hat seine Harfe oder Flöte, was auf eines hinausläuft. Auch hat er noch eine Art von Talmi-Uhr, gleichfalls einen Ring sowie eine Lorgnette. Das ist es, was er hat.«

»Wie könnte er denn da Miss Sykes nur allein mit Unterröcken ausstatten?«

»Ha, ha, ha! Vortrefflich! Ich frage ihn dazu, sobald ich ihn sehe. Ich will ihn wegen seiner Anmaßung schon auf den Rost legen. Aber zweifellos hofft er, der alte Christoph Sykes werde ihm etwas entgegenkommen. Er ist reich, nicht wahr? Er wohnt in einem großen Haus.«

»Sykes leben auf großem Fuß.«

»Daher muss er vermögend sein, Sir?«

»Daher muss er mit seinem Vermögen frei schalten können, und in diesen Zeiten würde es ebenso gut sein, Geld damit verdienen zu wollen, seinen Töchtern Ausstattungen zu geben, als wenn ich diese Hütte hier niederrisse, um mir auf ihren Ruinen ein Haus zu bauen, so groß wie Fieldhead.«

»Wissen Sie, was ich neulich hörte, Moore?«

»Nein. Vielleicht, dass ich im Begriff stünde, so etwas zu tun? Ihre Briarfield’schen Klatschbasen sind imstande, so etwas und vielleicht noch tolleres Zeug zu schwatzen.«

»Dass Sie Fieldhead pachten wollten – nebenbei gesagt, kam es mir, als ich heute Nacht vorüberging, sehr unfreundlich vor – und dass es Ihre Absicht sei, eine Miss Sykes dort als Gebieterin einzuführen, kurz, sich zu verheiraten, ha, ha, ha! Nun, welche ist es? Dora gewiss. Sie sagten ja, dass sie die schönste sei.«

»Ich möchte nur wissen, wie oft ich schon für verlobt erklärt wurde, seit ich nach Briarfield kam! Sie haben mir jedes heiratsfähige Frauenzimmer reihum offeriert. Vorher waren es die zwei Misses Wynn, erst die braunhaarige, dann die blonde, dann die rothaarige Miss Armitage, ferner die sehr reife Anna Pearson. Jetzt bringen Sie mir den ganzen Stamm der Misses Sykes auf den Hals. Gott weiß, was an all dem Geschwätz Schuld ist. Ich besuche niemand – ich suche weibliche Gesellschaft beinahe ebenso eifrig auf wie Sie, Mr. Malone. Gehe ich einmal nach Whinbury, dann geschieht es bloß, um Sykes oder Pearson einmal in ihren Kontoren zu besuchen, wo wir von ganz anderen Dingen als vom Heiraten sprechen und an ganz andere Sachen als Werbungen, Einrichtungen und Ausstattungen zu denken haben. Das Tuch, das wir verkaufen, die Arbeiter, die wir anstellen, die Fabriken, die wir nicht betreiben können, der schlechte Stand der Dinge im Allgemeinen, den wir nicht ändern können, beschäftigen uns völlig und lassen uns durchaus nicht an solche Luftgebilde von Liebeswerben und dergleichen denken.«

»Da bin ich ganz mit Ihnen einverstanden, Moore. Wenn es irgendetwas gibt, das ich mehr hasse als alles andere, so ist es die Vorstellung des Heiratens. Ich meine nämlich Heiraten im gewöhnlichen Sinne als eine bloße Sache des Gefühls. Zwei bettelarme Narren verständigen sich darauf, ihre Armut durch eine fantastische Albernheit von Empfindung zu vereinen – Dummheit! Aber eine vorteilhafte Verbindung, eine solche, die man in Übereinstimmung mit würdigen Aussichten und dauernden soliden Interessen schließen kann, ist nicht so übel – he?«

»Nein!« antwortete Moore ziemlich abwesend. Der Gegenstand schien kein Interesse für ihn zu haben. Er verfolgte ihn also nicht. Nachdem er mit beschäftigter Miene einige Zeit dagesessen und ins Feuer geblickt hatte, wandte er plötzlich den Kopf.

»Hören Sie!« sagte er. »Hörten Sie nicht Räder?« Er stand auf und ging ans Fenster, öffnete es und horchte. Es dauerte nicht lange, und er schloss es wieder.

»Es ist nur das Geräusch des stärker werdenden Windes«, bemerkte er, »und des etwas angeschwollenen Baches, der das Tal herab kommt. Ich erwartete die Wagen um sechs, und es ist jetzt bald neun.«

»Glauben Sie wirklich, dass die Inbetriebnahme dieser neuen Maschinen Ihnen Gefahr bringen wird?« fragte Malone.

»Helstone scheint es zu denken.«

»Ich wünschte bloß, dass die Maschinen – die Rahmen – sicher hier wären und in der Fabrik untergebracht. Einmal aufgestellt, trotze ich den Zerstörern. Sie mögen mir nur einen Besuch abstatten und die Folgen zu spüren bekommen. Meine Fabrik ist meine Festung.«

»Man braucht solches Gesindel nicht zu fürchten«, bemerkte Malone in tiefes Nachdenken geratend. »Ich wollte nur, dass solch eine Schar heute Nacht bei Ihnen vorspräche! Aber die Straße schien, als ich kam, außerordentlich still. Ich sah nichts Beunruhigendes.«

»Sie kamen beim roten Haus vorbei?«

»Ja.«

»Da konnte nichts auf der Straße zu sehen sein. Die Gefahr droht aus der Richtung von Stilbro’.«

»Sie glauben also doch, dass von dort Gefahr besteht?«

»Was diese Schurken anderen angetan haben, können sie auch mir antun. Dabei besteht nur der Unterschied, dass viele Fabrikanten ganz außer sich zu sein scheinen, wenn sie angegriffen werden. Sykes zum Beispiel tat keinen Schritt, um die Bösewichter zu überführen oder zu bestrafen, als seine Zurichterei in Brand gesteckt und bis auf den Grund abgebrannt wurde, als man die Tücher von den Rahmen riss und in Fetzen auf den Feldern liegen ließ. Er gab sich ganz friedlich drein, wie ein Kaninchen unter die Zähne eines Wiesels. Ich aber, so weit ich mich kenne, würde standhaft bei meinem Handel, meiner Fabrik und meinen Maschinen stehen.«

»Helstone sagt, diese drei seien Ihre Götter, die Kabinettsbefehle wären Ihnen gleichbedeutend mit den sieben Todsünden, Castlereagh sei Ihr Antichrist, und die Kriegspartei seine Legionen.«

»Ja, ich hasse all dies, weil es mich zugrunde richtet. Es steht mir im Weg. Ich komme nicht vorwärts und kann deshalb meine Pläne nicht ausführen. Ich sehe mich durch dessen entgegengesetzten Einfluss in allem gehindert.«

»Aber Sie sind reich und betriebsam, Moore?«

»Ich bin sehr reich an Tuch, kann es aber nicht verkaufen. Sie sollten nur einmal dort in meine Lagerhäuser kommen und sehen, wie sie bis unters Dach vollgestopft sind. Roakes und Pearson sind in derselben Lage. Amerika war ihr Markt, aber die Kabinettsbefehle haben ihn abgeschnitten.« Malone schien nicht geneigt, eine solche Unterhaltung lebhaft fortzusetzen, er fing also an, die Absätze seiner Stiefeln zusammenzuschlagen und zu gähnen.

»Und dann zu denken«, fuhr Mr. Moore fort, der zu sehr mit dem Fluss seiner eigenen Gedanken beschäftigt zu sein schien, als dass er die Anzeichen der Langeweile seines Gastes hätte bemerken können, »und dann zu denken, dass diese lächerlichen Klatschereien von Whinbury und Briarfield einen stets mit Heiratsgeschichten quälen! Als ob man im ganzen Leben weiter nichts zu tun hätte, als einer jungen Dame, wie Sie es nennen, Aufmerksamkeit zu zeigen, und dann zur Kirche mit ihr zu gehen, und dann eine Hochzeitsreise mit ihr zu machen, und dann eine Reihe von Besuchen abzustatten, und dann wohl sogar – eine kleine Familie zu haben! Oh, que le diable emporte!5«Er brach die Verwünschung, die er mit einer gewissen Leidenschaft noch auf den Lippen hatte, ab und setzte ruhiger hinzu: »Ich glaube, die Frauen sprechen und denken nur von solchen Dingen und meinen also, der Männer Sinn sei ebenfalls nur mit dergleichen beschäftigt.«

»Ja, ja, allerdings!« stimmte Malone ein. »Aber geben Sie nichts darauf.« Nun blickte er unruhig umher, als suche er etwas. Das bemerkte Moore und verstand recht gut, was er wollte.

»Mr. Malone«, sagte er also, »nach Ihrem nassen Weg werden Sie gewiss einer Erfrischung bedürfen. Ich war recht unaufmerksam.«

»Oh, ganz und gar nicht«, entgegnete Malone, sah aber dennoch so aus, als ob jener den Nagel auf den Kopf getroffen hätte. Moore stand also auf und öffnete einen Speiseschrank.

»Es ist meine Gewohnheit«, sagte er, »jede Bequemlichkeit hier zu haben, um nicht von den Weibspersonen im Haus dort wegen jedes Mundvolls, was ich esse, und jedes Tropfens, den ich trinke, abhängig zu sein. Ich bleibe oft den Abend hier, esse allein und schlafe mit Joe Scott in der Fabrik. Oft bin ich mein eigener Wächter. Ich brauche wenig Schlaf und wandere gern in einer schönen Nacht ein paar Stunden mit meiner Flinte im Tal herum. – Mr. Malone, können Sie Hammelrippchen braten?«

»Versuchen Sie es. Ich habe es hundertmal im College getan.«

»Da sind welche, und hier der Bratrost. Wenden Sie sie nur schnell um. Sie kennen doch das Geheimnis, wie der Saft darin bleibt?«

»Seien Sie ohne Sorge – Sie werden sehen! Geben Sie nur Messer und Gabeln her.«

Der Hilfsgeistliche schlug seine Aufschläge über und nahm sich eifrig des Kochens an. Der Fabrikant brachte Teller, einen Laib Brot, eine schwarze Flasche und zwei Tummler auf den Tisch. Dann nahm er einen kleinen kupfernen Kessel, ebenfalls aus dem gut ausgerüsteten Speiseschrank, füllte ihn mit Wasser aus einem großen steinernen Krug in einer Ecke, setzte ihn neben dem zischenden Bratrost aufs Feuer und holte Zitronen, Zucker und eine kleine Punschbowle aus Porzellan. Doch während er den Punsch braute, rief ihn ein Schlag an der Tür davon ab.

»Bist du es, Sarah?«

»Ja, Sir. Wollen Sie nicht zum Abendessen kommen?«

»Nein, ich komme diese Nacht nicht ins Haus. Ich werde hier in der Fabrik schlafen. Schließe also nur zu, und sag deiner Herrin, dass sie zu Bett gehen kann.« Darauf kam er wieder.

»Sie haben Ihren Haushalt in schönster Ordnung«, bemerkte Malone beifällig, als er mit seinem von den Kohlen, über die er sich beugte, hochgeröteten Gesicht die Hammelrippchen eifrig umwendete. »Sie stehen nicht unter Unterrockregierung wie der arme Sweeting. Ein Mann – oh weh! – wie das Fett spritzt! Ich habe mir die Hand verbrannt – ein Mann, der bestimmt ist, von Weibern beherrscht zu werden. Sie und ich, Moore – da ist eine recht braune für Sie, und recht saftig – Sie und ich werden keine grauen Stuten in unseren Ställen haben, wenn wir heiraten.«

»Das weiß ich nicht – ich denke nie daran, wenn aber die graue Stute schön und verständig ist, warum nicht?«

»Die Hammelrippchen sind fertig. Ist es der Punsch auch?«

»Da ist ein Glas voll. Kosten Sie ihn. Wenn Joe Scott und seine Männer nach Hause kommen, sollen sie etwas davon haben, vorausgesetzt, dass sie die Sachen unangetastet mitbringen.«

Malone war in der besten Laune beim Abendessen. Er lachte über Kleinigkeiten überlaut, machte schlechten Spaß und beklatschte sich dann selbst, kurz, er wurde unbescheiden lärmend. Dagegen blieb sein Wirt so ruhig wie zuvor.

Du aber, lieber Leser, musst doch eine Idee von dem Aussehen dieses Wirts erhalten. Ich will versuchen, sein Porträt zu entwerfen, wie er hier bei Tisch sitzt.

Er ist, wie du zweifellos auf den ersten Blick sagen würdest, ein sonderbar aussehender Mann, denn er ist mager, bleich, fremden Aussehens, mit dunklem Haar, das ihm ungeordnet über die Stirn hängt. Es scheint, als ob er wenig Zeit für seine Frisur verwende, sonst würde er sie wohl mit mehr Geschmack geordnet haben. Er scheint es nicht zu wissen, dass seine Züge schön sind und eine gewisse südländische Symmetrie, Reinheit und Regelmäßigkeit besitzen. Auch wird, wer ihn anschaut, dessen nicht eher gewahr, bis er ihn genau betrachtet hat, denn ein gewisser besorgter Ausdruck, eingefallene Wangen und gewisse verhärmte Züge verwandeln die Idee der Schönheit in die des Kummers. Seine Augen sind groß, ernst und grau. Ihr Ausdruck ist klug und nachdenklich, eher forschend als sanft, eher gedankenvoll als mild. Wenn er seine Lippen zu einem Lächeln öffnet, werden seine Züge angenehm, nicht dass sie selbst dann frei und freundlich wären, doch man empfindet den Einfluss eines gewissen ruhigen, verführerischen Reizes, ob wahr oder täuschend, von einer besonnenen, ja vielleicht wohlwollenden Natur, von Gefühlen, die daheim wohltätig wirken können, geduldigen, ertragenden, womöglich vertrauensvollen Gefühlen. Er ist noch jung – nicht älter als dreißig. Seine Gestalt ist schlank, sein Gesicht mager. Seine Art zu sprechen missfällt. Er hat einen ausländischen Akzent, der, ungeachtet einer studierten Sorglosigkeit in Aussprache und Redeweise, einem britischen Ohr, und insbesondere einem aus Yorkshire, wehtut.

Mr. Moore war in der Tat nur zur Hälfte Brite, und dies kaum. Er war von mütterlicher Seite her fremder Herkunft und selbst auf fremdem Boden geboren, ja zum Teil erzogen. Ein Mischling von Natur, besaß er auch zweifellos in vielen Beziehungen gemischte Gesinnungen, wenigstens in Bezug auf Patriotismus. Es ist wahrscheinlich, dass er unfähig war, sich an Parteien, Konfessionen, selbst Klimata und Gewohnheiten zu binden. Ebenso besaß er wohl auch eine Neigung, seine Individualität von aller Gemeinschaft, in welche sein Los temporär geworfen werden könnte, zu entfernen, und er hielt es für die größte Weisheit, die Geschäfte Robert Gérard Moores unter Ausschluss menschenfreundlicher Rücksichten auf allgemeine Interessen zu betreiben, denen er nach Ansicht besagten Robert Gérard Moores nicht verpflichtet zu sein glaubte. Handel war Mr. Moores ererbter Beruf.

Die Gérards aus Antwerpen waren seit zwei Jahrhunderten Kaufleute gewesen, ehemals reiche Kaufleute, aber Unsicherheiten und Geschäftsverwicklungen waren auch über sie gekommen, missglückte Spekulationen hatten nach und nach die Stützen ihres Kredits gelockert, das Haus hatte ein Dutzend Jahre lang auf schwankendem Grund gestanden und war endlich beim Anstoß der französischen Revolution in gänzlichen Ruin geraten. In den Fall desselben war die englische Firma Moores aus Yorkshire verwickelt worden, die mit dem Haus in Antwerpen in enger Verbindung stand und von welcher einer der in Antwerpen wohnenden Teilnehmer, Robert Moore, Hortense Gérard mit der Aussicht, dass sie ihres Vaters, Constantine Gérard, Teil an dem Geschäft erben werde, geheiratet hatte. Sie erbte jedoch, wie wir sahen, bloß ihren Anteil an den Verbindlichkeiten der Firma und diese übernahm, obgleich durch eine Übereinkunft mit den Kreditoren gänzlich beseitigt, ihr obengenannter Sohn Robert seinerseits als eine Erbschaft, die er eines Tages bei denselben zu tilgen und das gefallene Haus Gérard und Moore wieder in einen Zustand zu bringen strebte, der dessen früherer Größe wenigstens gleich käme. Wahrscheinlich nahm er sich die Vergangenheit sehr zu Herzen, und wenn eine an der Seite einer schwermütigen Mutter unter Ahnung kommenden Unglücks verlebte Jugend und Männerjahre durch das mitleidslose Hereinbrechen des Sturms verstört und entblättert und auf den Geist schmerzliche Eindrücke machen können, so war der seine wahrscheinlich nicht in goldenen Buchstaben geprägt.

Obgleich er nun Aussicht auf eine große Wiederherstellung hatte, stand es doch nicht in seinem Vermögen, große Mittel zu deren Verwirklichung aufzuwenden. Er war genötigt, mit dem Fortschritt kleiner Dinge zufrieden zu sein. Als er nach Yorkshire kam, er, dessen Vorfahren eigene Lagerhäuser in diesem Seehafen und Werkstätten in der inneren Stadt gehabt hatten, sah er keinen Weg für sich offen, als eine Tuchfabrik in einem abgelegenen Winkel einer abgelegenen Region zu mieten, eine nahegelegene Hütte zu seiner Wohnung zu nehmen und als Weide für sein Pferd und Raum für seine Tuchrahmen zu seinen Besitzungen noch einige wenige Acker steilen, steinigen Landes, das die Schlucht begrenzte, durch die sein Mühlstrom brauste. All dies hatte er nur für eine hohe Pacht (denn die Kriegszeiten waren hart und alles war teuer) von den Vormündern der fieldhead’schen Besitzungen, die damals einer Unmündigen gehörten, erhalten.

Zu der Zeit, in der diese Erzählung beginnt, hatte er erst zwei Jahre in dieser Gegend gelebt. Während dieser Periode hatte er sich zumindest als ein ungemein tatkräftiger Mann erwiesen. Die schmutzige Hütte war in eine ordentliche, geschmackvolle Wohnung verwandelt worden. Aus einem Teil des rauen Bodens hatte er Gartenland gemacht, das er mit ganz besonderer, ja, flämischer Sorgfalt und Genauigkeit bebaute. Was die Fabrik betraf, ein altes Gebäude mit alter Maschinerie, die jetzt unwirksam und unzeitgemäß geworden war, hatte er sogleich die größte Verachtung gegen all ihre Einrichtungen und Zubehör gezeigt und sich bemüht, sie von Grund auf umzugestalten, was er denn auch, so weit sein sehr beschränktes Kapital es ihm gestattete, in die Tat umgesetzt hatte, und eben die Beschränktheit dieses Kapitals und eben deshalb dieses Hindernis bei seinem Vorhaben war etwas, was seinen Geist sehr ängstigte und bekümmerte. Moore musste immer beschäftigt sein. ›Vorwärts!‹ war die in seine Seele geprägte Inschrift, doch Armut beugte ihn. Manchmal schäumte er mit dem Mund (im übertragenen Sinne), wenn die Zügel zu scharf angezogen wurden.

Man kann nicht erwarten, dass er bei dieser Gesinnungsweise lange darüber nachdachte, ob sein Vorwärtskommen für andere von Nachteil sei oder nicht. Da er in der Nachbarschaft weder geboren, noch für lange Zeit dort heimisch war, kümmerte es ihn kaum, wenn die neuen Erfindungen die alten Werkleuten um ihre Arbeit brachten. Er fragte sich nicht lange, woher die, denen er nicht länger den Wochenlohn bezahlte, ihren Unterhalt nähmen, und glich in diesem Unbekümmertsein bloß Tausenden, an welche der notleidende Arme in Yorkshire noch berechtigte Forderungen stellte.

Die Periode, von der hier die Rede ist, war in der britischen Geschichte, und im Besonderen in jener der nördlichen Provinzen, eine sehr traurige. Der Krieg war damals auf dem Höhepunkt, ganz Europa war darin verwickelt. England war, wenn nicht ermüdet, doch durch langen Widerstand zerrüttet, ja, und doch war die Hälfte der Bevölkerung überdrüssig, und rief nach Frieden um jeden Preis. Nationalehre war ein bloßer leerer Name in vieler Augen geworden, weil ihr Blick durch Hunger verdüstert war, und für ein Stück Brot würden sie ihr Geburtsrecht verkauft haben.

Die Kabinettsbefehle, hervorgerufen durch Napoleons Mailänder und Berliner Dekrete, die neutralen Mächten untersagten mit Frankreich zu handeln, hatten, indem sie Amerika beleidigten, den Hauptmarkt für den yorkshire’schen Wollhandel verschlossen und diesen an den Rand des Ruins gebracht. Kleinere ausländische Märkte waren überfüllt und nahmen nichts mehr an. Brasilien, Portugal, Sizilien waren für einen fast zweijährigen Verbrauch versorgt. In dieser Krise wurden gewisse Maschinerie-Erfindungen in den einzelnen Fabriken des Nordens eingeführt, die, indem sie die Zahl der benötigten Arbeiter gewaltig reduzierten, Tausende arbeitslos machten und sie der redlichen Mittel beraubten, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Dazu kam eine schlechte Ernte. Die Not wurde immer größer. Grenzenloser Mangel streckte dem Aufruhr die brüderliche Hand zu. Unter den Hügeln der nördlichen Grafschaften fühlte man die sich erhebenden Geburtswehen einer Art moralischen Erdbebens.

Wie es aber in solchen Fällen zu geschehen pflegt, achtete niemand darauf. Wenn ein Nahrungsaufruhr in einer Fabrikstadt ausbrach, wenn eine Wagenfabrik niedergebrannt oder das Haus eines Fabrikanten angegriffen, Gerätschaften auf die Straße geworfen und die Familie gezwungen wurde, ihr Leben durch die Flucht zu retten, wurden von den Lokalobrigkeiten keineswegs die nötigen Maßregeln getroffen. Ein Verursacher wurde entdeckt, oder weitaus öfter, ihm gestattet, sich der Entdeckung zu entziehen, in den Zeitungen wurden Aufsätze darüber geschrieben, und dabei blieb es. Was die Leidenden betraf, deren einzige Erbschaft Arbeit war, und diejenigen, die diese Erbschaft verloren hatten, die keine Arbeit bekommen konnten und daher auch keinen Lohn und kein Brot, so überließ man sie dem Elend. Vielleicht unvermeidlich! Man konnte doch den Fortschritt der Erfindungen nicht aufhalten, konnte der Wissenschaft keinen Nachteil zufügen, indem man ihre Verbesserung verzögerte. Der Krieg konnte nicht beendet werden, wirksame Hilfe war nicht zu gewähren. So musste denn alles gehen, wie es nun ging, und die unbeschäftigten Arbeiter blieben ihrem Schicksal überlassen, aßen ihr Brot und tranken ihr Wasser der Not.

Elend erzeugt Hass. Die Leidenden hassten die Maschinen, weil sie glaubten, diese entzögen ihnen das Brot. Sie hassten die Gebäude, welche die Maschinen enthielten; sie hassten die Fabrikanten, denen diese Gebäude gehörten. In dem Kirchenspiel Briarfield, mit dem wir es jetzt zu tun haben, war Hollow’s Mill der Ort, den man am meisten hasste, Gérard Moore, in seiner doppelten Eigenschaft als halber Fremder und ausgezeichneter Fabrikant, der Mann, den man am meisten verabscheute. Und es stimmte beinahe mit Moores Temperament überein, sich so gehasst zu wissen, besonders da er das, weshalb er gehasst wurde, für sein Recht und für etwas Tüchtiges hielt, und so saß er in einer Art kriegerischer Aufregung auch in der heutigen Nacht im Kontor und wartete auf die Ankunft seiner Wagen mit den Maschinen. Malones Ankunft und Gesellschaft waren ihm daher höchst ungelegen und er hätte weit lieber allein gesessen, denn er war zu stiller, düsterer, unheimlicher Einsamkeit geneigt. Die Flinte seines Wächters wäre für ihn Gesellschaft genug gewesen und der stark strömende Bach in der Schlucht das beste Gespräch.

*

Mit der verdrießlichsten Miene der Welt hatte der Fabrikant seit zehn Minuten den irischen Hilfsgeistlichen bei seiner Punschheiterkeit beobachtet, als sich plötzlich sein starres, graues Auge änderte, als trete eine andere Erscheinung zwischen ihn und Malone. Er erhob die Hand.

»Chut!« sagte er auf seine französische Art, da Malone ein Geräusch mit seinem Glas machte. Er lauschte einen Augenblick, stand dann auf, setzte den Hut auf und ging aus der Kontor-Tür.

Die Nacht war still, dunkel und schwer. Nur das Wasser rauschte voll und weit. Sein Fall glich in der gänzlichen Stille fast einem Strom. Dennoch vernahm Moores Ohr einen anderen Laut sehr weit entfernt, aber sehr davon verschieden – abgehackt und rau, kurz, einen Ton von schweren Rädern, die auf einem steinigen Weg knarrten. Als er in das Kontor zurückkam, zündete er eine Laterne an, mit der er in den Fabrikhof hinabging, um die Pforte zu öffnen. Der schwere Wagen fuhr herein. Man hörte die schweren Hufe der Zugpferde in Schlamm und Wasser planschen. Moore rief ihnen zu:

»He! Joe Scott! Ist alles in Ordnung?«

Zweifellos war Joe noch zu weit entfernt, um diese Frage zu hören, denn er antwortete nicht.

»Ich frage, ob alles in Ordnung ist?« erklang es wieder seitens Moores, als die grauen Nüstern des Vorderpferdes fast sein Gesicht berührten.

Jemand sprang vom vordersten Wagen auf die Straße. Eine Stimme rief: »Ja, ja, zum Teufel, es ist alles in Ordnung! Wir haben sie überwältigt!«

Und nun gab es ein Durcheinander. Die Wagen standen still. Niemand war mehr darin.

»Joe Scott!« Kein Joe Scott antwortete. »Murgatroyd! Pighills! Sykes!« Keine Antwort. Mr. Moore hob seine Laterne in die Höhe und sah in die Wagen. Weder Menschen noch Maschine waren darin. Sie waren leer und verlassen.

Nun liebte aber Mr. Moore seine Maschinen. Er hatte sein ganzes noch übriges Vermögen für den Ankauf dieser Rahmen und Schermaschinen verwendet, die er in der heutigen Nacht erwartete. Höchst wichtige Spekulationen hingen für ihn von den Resultaten ab, die er damit erzielen wollte. Wo waren sie nun?