Sieben Legenden - Gottfried Keller - E-Book

Sieben Legenden E-Book

Gottfried Keller

0,0

Beschreibung

Neue Deutsche Rechtschreibung Gottfried Keller (19.07.1819–15.07.1890) war ein Schweizer Dichter und Staatsbeamter. Man kann ohne Zweifel sagen, dass Gottfried Keller der wichtigste Autor der Schweiz im 19. Jahrhundert war. Wegen eines Dummejungenstreiches von einer höheren Schulbindung oder gar einem Studium ausgeschlossen, fand der Halbwaise über den Umweg der Lehre zum Landschaftsmaler doch noch zur Literatur. Er hinterlässt ein großes Werk an Gedichten, Dramen, Novellen und Romanen. Null Papier Verlag

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 126

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Gottfried Keller

Sieben Legenden

Erzählungen

Gottfried Keller

Sieben Legenden

Erzählungen

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected] 2. Auflage, ISBN 978-3-962812-60-7

null-papier.de/newsletter

Inhaltsverzeichnis

Vor­wort

Eu­ge­nia

Die Jung­frau und der Teu­fel

Die Jung­frau als Rit­ter

Die Jung­frau und die Non­ne

Der schlimm-hei­li­ge Vi­ta­lis

Do­ro­theas Blu­men­körb­chen

Das Tanz­le­gend­chen

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Klas­si­ker bei Null Pa­pier

Ali­ce im Wun­der­land

Anna Ka­re­ni­na

Der Graf von Mon­te Chri­sto

Die Schat­zin­sel

Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Newslet­ter abon­nie­ren

Der Newslet­ter in­for­miert Sie über:

die Neu­er­schei­nun­gen aus dem Pro­gramm

Neu­ig­kei­ten über un­se­re Au­to­ren

Vi­deos, Lese- und Hör­pro­ben

at­trak­ti­ve Ge­winn­spie­le, Ak­tio­nen und vie­les mehr

htt­ps://null-pa­pier.de/newslet­ter

Vorwort

Beim Le­sen ei­ner An­zahl Le­gen­den woll­te es dem Ur­he­ber vor­lie­gen­den Büch­leins schei­nen, als ob in der über­lie­fer­ten Mas­se die­ser Sa­gen nicht nur die kirch­li­che Fa­bu­lier­kunst sich gel­tend ma­che, son­dern wohl auch die Spu­ren ei­ner ehe­ma­li­gen mehr pro­fa­nen Er­zäh­lungs­lust oder No­vel­lis­tik zu be­mer­ken sei­en, wenn man auf­merk­sam hin­bli­cke.

Wie nun der Ma­ler durch ein frag­men­ta­ri­sches Wol­ken­bild, eine Ge­birgs­li­nie, durch das ra­dier­te Blätt­chen ei­nes ver­schol­le­nen Meis­ters zur Aus­fül­lung ei­nes Rah­mens ge­reizt wird, so ver­spür­te der Ver­fas­ser die Lust zu ei­ner Re­pro­duk­ti­on je­ner ab­ge­bro­chen schwe­ben­den Ge­bil­de, wo­bei ih­nen frei­lich zu­wei­len das Ant­litz nach ei­ner an­de­ren Him­mels­ge­gend hin­ge­wen­det wur­de, als nach wel­cher sie in der über­kom­me­nen Ge­stalt schau­en.

Der un­ge­heu­re Vor­rat des Stof­fes lie­ße ein Auss­pin­nen der Sa­che in brei­tes­tem Be­trie­be zu; al­lein nur bei ei­ner mä­ßi­gen Aus­deh­nung des harm­lo­sen Spie­les dürf­te dem­sel­ben der be­schei­de­ne Raum ger­ne ge­gönnt wer­den, den es in An­spruch nimmt.

Eugenia

Ein Weib soll nicht Manns­ge­rä­te tra­gen, und ein Mann soll nicht Wei­ber­klei­der an­tun; denn wer sol­ches tut, ist dem Herrn, dei­nem Gott, ein Gräu­el.

5. Mos. 22, 5

Wenn die Frau­en den Ehr­geiz der Schön­heit, An­mut und Weib­lich­keit hint­an­set­zen, um sich in an­dern Din­gen her­vor­zu­tun, so en­det die Sa­che oft­mals da­mit, dass sie sich in Män­ner­klei­der wer­fen und so da­hin­trol­len.

Die Sucht, den Mann zu spie­len, kommt so­gar schon in der from­men Le­gen­den­welt der ers­ten Chris­ten­zeit zum Vor­schein, und mehr als eine Hei­li­ge je­ner Tage war von dem Ver­lan­gen ge­trie­ben, sich vom Her­kom­men des Hau­ses und der Ge­sell­schaft zu be­frei­en.

Ein sol­ches Bei­spiel gab auch das fei­ne Rö­mer­mäd­chen Eu­ge­nia, frei­lich mit dem nicht un­ge­wöhn­li­chen En­dre­sul­tat, dass sie, in große Ver­le­gen­heit ge­ra­ten durch ihre männ­li­chen Lieb­ha­be­rei­en, schließ­lich doch die Hilfs­quel­len ih­res na­tür­li­chen Ge­schlech­tes an­ru­fen muss­te, um sich zu ret­ten.

Sie war die Toch­ter ei­nes an­ge­se­he­nen Rö­mers, der mit sei­ner Fa­mi­lie in Alex­an­dria leb­te, wo es von Phi­lo­so­phen und Ge­lehr­ten al­ler Art wim­mel­te. Dem­ge­mäß wur­de Eu­ge­nia sehr sorg­fäl­tig er­zo­gen und un­ter­rich­tet, und dies schlug ihr so wohl an, dass sie, so­bald sie nur ein we­nig in die Höhe schoss, alle Schu­len der Phi­lo­so­phen, Scho­li­as­ten und Rhe­to­ren be­such­te, wie ein Stu­dent, wo­bei sie stets eine Leib­wa­che von zwei nied­li­chen Kna­ben ih­res Al­ters bei sich hat­te. Dies wa­ren die Söh­ne von zwei Frei­ge­las­se­nen ih­res Va­ters, wel­che zur Ge­sell­schaft mit ihr er­zo­gen wa­ren und an all ih­ren Stu­di­en teil­neh­men muss­ten.

Mitt­ler­wei­le wur­de sie das schöns­te Mäd­chen, das zu fin­den war, und ihre Ju­gend­ge­nos­sen, wel­che selt­sa­mer­wei­se bei­de Hya­zin­thus hie­ßen, er­wuch­sen des­glei­chen zu zwei zier­li­chen Jüng­lings­blu­men, und wo die lieb­li­che Rose Eu­ge­nia zu se­hen war, da sah man al­le­zeit ihr zur Lin­ken und zur Rech­ten auch die bei­den Hya­zin­then säu­seln oder an­mu­tig hin­ter ihr her­ge­hen, in­des­sen die Her­rin rück­wärts mit ih­nen dis­pu­tier­te.

Und es gab nie zwei wohl­ge­zo­ge­ne­re Ge­nos­sen ei­nes Blaust­rümpf­chens; denn nie wa­ren sie an­de­rer Mei­nung als Eu­ge­nia, und im­mer blie­ben sie in ih­rem Wis­sen um einen Zoll hin­ter ihr zu­rück, so­dass sie stets recht be­hielt und nie be­fürch­ten muss­te, et­was Un­ge­schick­teres zu sa­gen als ihre Ge­spie­len.

Alle Bü­cher­wür­mer von Alex­an­dri­en mach­ten Ele­gi­en und Sinn­ge­dich­te auf die mu­sen­haf­te Er­schei­nung, und die gu­ten Hya­zin­then muss­ten die­se Ver­se sorg­fäl­tig in gol­de­ne Schreib­ta­feln schrei­ben und hin­ter ihr her­tra­gen.

Mit je­dem hal­b­en Jah­re wur­de sie nun schö­ner und ge­lehr­ter, und be­reits lust­wan­del­te sie in den ge­heim­nis­vol­len Irr­gär­ten der neu­pla­to­ni­schen Leh­ren, als der jun­ge Pro­kon­sul Aqui­li­nus sich in Eu­ge­nia ver­lieb­te und sie von ih­rem Va­ter zum Wei­be be­gehr­te. Die­ser emp­fand aber einen sol­chen Re­spekt vor sei­ner Toch­ter, dass er trotz des rö­mi­schen Va­ter­rech­tes nicht wag­te, ihr den min­des­ten Vor­schlag zu ma­chen, und den Frei­er an ih­ren ei­ge­nen Wil­len ver­wies, ob­gleich kein Ei­dam ihm will­kom­me­ner war als Aqui­li­nus.

Aber auch Eu­ge­nia hat­te seit man­chen schö­nen Ta­gen heim­lich das Auge auf ihn ge­wor­fen, da er der statt­lichs­te, an­ge­se­hens­te und rit­ter­lichs­te Mann in Alex­an­dri­en war, der über­dies für einen Mann von Geist und Herz galt.

Doch emp­fing sie den ver­lieb­ten Kon­sul in vol­ler Ruhe und Wür­de, um­ge­ben von Per­ga­men­trol­len und ihre Hya­zin­then hin­ter dem Ses­sel. Der eine trug ein azur­blau­es Ge­wand, der an­de­re ein ro­sen­far­bi­ges und sie selbst ein blen­dend wei­ßes, und ein Fremd­ling wäre un­ge­wiss ge­we­sen, ob er drei schö­ne zar­te Kna­ben oder drei frisch blü­hen­de Jung­frau­en vor sich sehe.

Vor die­ses Tri­bu­nal trat nun der männ­li­che Aqui­li­nus in ein­fa­cher wür­di­ger Toga und hät­te am liebs­ten in trau­li­cher und zärt­li­cher Wei­se sei­ner Lei­den­schaft Wor­te ge­ge­ben; da er aber sah, dass Eu­ge­nia die Jüng­lin­ge nicht fort­schick­te, so ließ er sich ihr ge­gen­über auf einen Stuhl nie­der und tat ihr sei­ne Be­wer­bung in we­ni­gen fes­ten Wor­ten kund, wo­bei er sich selbst be­zwin­gen muss­te, weil er sei­ne Au­gen un­ver­wandt auf sie ge­rich­tet hielt und ih­ren großen Lieb­reiz sah.

Eu­ge­nia lä­chel­te un­merk­lich und er­rö­te­te nicht ein­mal, so sehr hat­te ihre Wis­sen­schaft und Geis­tes­bil­dung alle fei­nern Re­gun­gen des ge­wöhn­li­chen Le­bens in ihr ge­bun­den. Da­für nahm sie ein erns­tes, tief­sin­ni­ges Aus­se­hen an und er­wi­der­te ihm: »Dein Wunsch, o Aqui­li­nus, mich zur Gat­tin zu neh­men, ehrt mich in ho­hem Gra­de, kann mich aber nicht zu ei­ner Un­weis­heit hin­rei­ßen; und eine sol­che wäre es zu nen­nen, wenn wir, ohne uns zu prü­fen, dem ers­ten ro­hen An­trie­be fol­gen wür­den. Die ers­te Be­din­gung, wel­che ich von ei­nem et­wai­gen Ge­mahl for­dern müss­te, ist, dass er mein Geis­tes­le­ben und Stre­ben ver­steht und ehrt und an dem­sel­ben teil­nimmt! So bist du mir denn will­kom­men, wenn du öf­ter um mich sein und im Wett­ei­fer mit die­sen mei­nen Ju­gend­ge­nos­sen dich üben magst, mit mir nach den höchs­ten Din­gen zu for­schen. Da­bei wer­den wir dann nicht er­man­geln, zu ler­nen, ob wir für­ein­an­der be­stimmt sind oder nicht, und wir wer­den uns nach ei­ner Zeit ge­mein­sa­mer geis­ti­ger Tä­tig­keit so er­ken­nen, wie es gott­ge­schaf­fe­nen We­sen ge­ziemt, die nicht im Dun­kel, son­dern im Lich­te wan­deln sol­len!«

Auf die­se hoch­tra­gen­de Zu­mu­tung er­wi­der­te Aqui­li­nus, nicht ohne ein ge­hei­mes Auf­wal­len, doch mit stol­zer Ruhe: »Wenn ich dich nicht kenn­te, Eu­ge­nia, so wür­de ich dich nicht zum Wei­be be­geh­ren, und mich kennt das große Rom so­wohl wie die­se Pro­vinz! Wenn da­her dein Wis­sen nicht aus­reicht, schon jetzt zu er­ken­nen, was ich bin, so wird es, fürch­te ich, nie aus­rei­chen. Auch bin ich nicht ge­kom­men, noch­mals in die Schu­le zu ge­hen, son­dern eine Ehe­ge­nos­sin zu ho­len; und was die­se bei­den Kin­der be­trifft, so wäre es, wenn du mir dei­ne Hand ver­gönn­test, mein ers­ter Wunsch, dass du sie end­lich ent­las­sen und ih­ren El­tern zu­rück­ge­ben möch­test, da­mit sie den­sel­ben bei­ste­hen und nütz­lich sein könn­ten. Nun bit­te ich dich, mir Be­scheid zu ge­ben, nicht als ein Ge­lehr­ter, son­dern als ein Weib von Fleisch und Blut!«

Jetzt war die schö­ne Phi­lo­so­phin doch rot ge­wor­den, und zwar wie eine Pur­pur­nel­ke, und sie sag­te, wäh­rend ihr das Herz klopf­te: »Mein Be­scheid ist bald ge­ge­ben, da ich aus dei­nen Wor­ten ent­neh­me, dass du mich nicht liebst, o Aqui­li­nus! Die­ses könn­te mir gleich­gül­tig sein, wenn es nicht be­lei­di­gend wäre für die Toch­ter ei­nes ed­len Rö­mers, an­ge­lo­gen zu wer­den!«

»Ich lüge nie!« sag­te Aqui­li­nus kalt; »lebe wohl!«

Eu­ge­nia wand­te sich ab, ohne sei­nen Ab­schied zu er­wi­dern, und Aqui­li­nus schritt lang­sam aus dem Hau­se nach sei­ner Woh­nung. Jene woll­te, als ob nichts ge­sche­hen wäre, ihre Bü­cher vor­neh­men; al­lein die Schrift ver­wirr­te sich vor ih­ren Au­gen, und die Hya­zin­then muss­ten ihr vor­le­sen, in­des­sen sie voll hei­ßen Är­gers mit ih­ren Ge­dan­ken an­der­wärts schweif­te.

Denn wenn sie bis auf die­sen Tag den Kon­sul als den­je­ni­gen be­trach­tet hat­te, den sie al­lein un­ter al­len Frei­ern zum Ge­mahl ha­ben möch­te, wenn es ihr al­len­falls ge­fie­le, so war er ihr jetzt ein Stein des An­sto­ßes ge­wor­den, über den sie nicht hin­weg­kom­men konn­te.

Aqui­li­nus sei­ner­seits ver­wal­te­te ru­hig sei­ne Ge­schäf­te und seufz­te heim­lich über sei­ne ei­ge­ne Tor­heit, wel­che ihn die pe­dan­ti­sche Schö­ne nicht ver­ges­sen ließ.

Es ver­gin­gen bei­na­he zwei Jah­re, wäh­rend wel­cher Eu­ge­nia wo­mög­lich im­mer merk­wür­di­ger und eine wahr­haft glän­zen­de Per­son wur­de, in­des­sen die Hya­zin­then all­be­reits zwei star­ke Ben­gel vor­stell­ten, de­nen der Bart wuchs. Ob­gleich man jetzt von al­len Sei­ten an­fing, sich über dies selt­sa­me Ver­hält­nis auf­zu­hal­ten, und an­statt der be­wun­dern­den Epi­gram­me sa­ti­ri­sche Pro­ben die­ser Art auf­zut­au­chen be­gan­nen, so konn­te sie sich doch nicht ent­schlie­ßen, ihre Leib­gar­de zu ver­ab­schie­den; denn noch war ja Aqui­li­nus da, der ihr die­sel­be hat­te ver­bie­ten wol­len. Er ging ru­hig sei­nen Weg fort und schi­en sich um sie nicht wei­ter zu be­küm­mern; aber er sah auch kein an­de­res Weib an, und man hör­te von kei­ner Be­wer­bung mehr, so­dass auch er ge­ta­delt wur­de, als ein so ho­her Be­am­ter un­be­weibt fort­zu­le­ben.

Um so mehr hü­te­te sich die ei­gen­sin­ni­ge Eu­ge­nia, ihm durch Ent­fer­nung der an­stö­ßi­gen Ge­sel­len schein­bar ein Zei­chen der An­nä­he­rung zu ge­ben. Über­dies reiz­te es sie, der all­ge­mei­nen Sit­te und der öf­fent­li­chen Mei­nung zum Trotz nur sich al­lein Re­chen­schaft zu ge­ben und un­ter Um­stän­den, wel­che für alle an­dern Frau­en ge­fähr­lich und un­tun­lich ge­we­sen wä­ren, das Be­wusst­sein ei­nes rei­nen Le­bens zu be­wah­ren.

Sol­che Wun­der­lich­kei­ten la­gen da­zu­mal eben in der Luft.

Mitt­ler­wei­le be­fand sich Eu­ge­nia doch nicht wohl und zu­frie­den; ihre ge­schul­ten Die­ner muss­ten Him­mel, Erde und Höl­le durch­phi­lo­so­phie­ren, um plötz­lich un­ter­bro­chen zu wer­den und stun­den­weit mit ihr im Feld her­um­zu­lau­fen, ohne ei­nes Wor­tes ge­wür­digt zu sein. Ei­nes Mor­gens ver­lang­te sie auf ein Land­gut hin­aus­zu­fah­ren; sie lenk­te selbst den Wa­gen und war lieb­li­cher Lau­ne; denn es war ein kla­rer Früh­lings­tag und die Luft mit Bal­sam­düf­ten er­füllt. Die Hya­zin­then freu­ten sich der Fröh­lich­keit, und so fuh­ren sie durch eine länd­li­che Vor­stadt, wo es den Chris­ten er­laubt war, ih­ren Got­tes­dienst zu hal­ten. Sie fei­er­ten eben den Sonn­tag, aus der Kir­che ei­nes Mönchs­klos­ters er­tön­te ein from­mer Ge­sang, Eu­ge­nia hielt die Pfer­de an, um zu hö­ren, und ver­nahm die Wor­te des Psal­mes: »Wie eine Hin­din nach den Was­ser­quel­len, so lech­zet mei­ne See­le, o Gott! nach dir! Mei­ne See­le dürs­tet nach dem le­ben­di­gen Gott!«

Bei dem Klan­ge die­ser Wor­te, aus from­men de­mü­ti­gen Keh­len ge­sun­gen, ver­ein­fach­te sich end­lich ihr künst­li­ches We­sen, ihr Herz ward ge­trof­fen und schi­en zu wis­sen, was es wol­le, und lang­sam, ohne zu spre­chen, fuhr sie wei­ter nach dem Land­gu­te. Dort zog sie ins­ge­heim männ­li­che Klei­der an, wink­te die Hya­zin­then zu sich und ver­ließ das Haus mit ih­nen, ohne von dem Ge­sin­de ge­se­hen zu wer­den. Und sie kehr­te nach dem Klos­ter zu­rück, klopf­te an der Pfor­te und stell­te sich und ihre Beglei­ter dem Abt als drei jun­ge Män­ner vor, wel­che be­gehr­ten, in das Klos­ter auf­ge­nom­men zu wer­den, um von der Welt ab­zu­schei­den und dem Ewi­gen zu le­ben. Sie wuss­te, da sie wohl­un­ter­rich­tet war, auf die prü­fen­den Fra­gen des Ab­tes so treff­lich zu ant­wor­ten, dass er alle drei, die er für fei­ne und vor­neh­me Leu­te hal­ten muss­te, in das Klos­ter auf­nahm und den geist­li­chen Ha­bit an­zie­hen ließ.

Eu­ge­nia war ein schö­ner, fast en­gel­glei­cher Mönch und hieß der Bru­der Eu­ge­ni­us, und die Hya­zin­then sa­hen sich wohl oder übel des­glei­chen in Mön­che ver­wan­delt, da sie gar nicht ge­fragt wor­den wa­ren und sich längst dar­an ge­wöhnt hat­ten, nicht an­ders zu le­ben, als durch den Wil­len ih­res weib­li­chen Vor­bil­des. Doch be­kam ih­nen das Mönchs­le­ben nicht übel, in­dem sie un­gleich ru­hi­ge­re Tage ge­nos­sen, nicht mehr zu stu­die­ren brauch­ten und sich gänz­lich ei­nem lei­den­den Ge­hor­sam hin­ge­ben konn­ten.

Der Bru­der Eu­ge­ni­us hin­ge­gen ras­te­te nicht, son­dern wur­de ein be­rühm­ter Mönch, weiß wie Mar­mor im Ge­sicht, aber mit glü­hen­den Au­gen und dem An­stand ei­nes Erz­en­gels. Er be­kehr­te vie­le Hei­den, pfleg­te die Kran­ken und Elen­den, ver­tief­te sich in die Schrift, pre­dig­te mit gol­de­ner Glo­cken­stim­me und ward so­gar, als der Abt starb, zu des­sen Nach­fol­ger er­wählt, al­so­dass nun die fei­ne Eu­ge­nia ein Abt war über sie­ben­zig gute Mön­che, klei­ne und große.

Wäh­rend der Zeit, als sie so un­er­klär­lich ver­schwun­den blieb mit ih­ren Ge­fähr­ten und nir­gends mehr auf­zu­fin­den, hat­te ihr Va­ter ein Ora­kel be­fra­gen las­sen, was aus sei­ner Toch­ter ge­wor­den sei, und die­ses ver­kün­de­te, Eu­ge­nia sei von den Göt­tern ent­rückt und un­ter die Ster­ne ver­setzt wor­den. Denn die Pries­ter be­nutz­ten das Er­eig­nis, um den Chris­ten ge­gen­über ein Mi­ra­kel auf­zu­wei­sen, wäh­rend die­se den Ha­sen längst in der Kü­che hat­ten. Man be­zeich­ne­te so­gar einen Stern am Fir­ma­ment mit zwei klei­ne­ren Ne­ben­schnüpp­chen als das neue Stern­bild, und die Alex­an­dri­ner stan­den auf den Stra­ßen und den Zin­nen ih­rer Häu­ser und schau­ten hin­auf, und man­cher, der sie einst hat­te her­um­ge­hen se­hen und sich ih­rer Schön­heit er­in­ner­te, ver­lieb­te sich nach­träg­lich in sie und guck­te mit feuch­ten Au­gen in den Stern, der ru­hig im dun­keln Blau schwamm.

Auch Aqui­li­nus sah hin­auf; aber er schüt­tel­te den Kopf, und die Sa­che woll­te ihm nicht ein­leuch­ten. De­sto fes­ter glaub­te der Va­ter der Ver­schwun­de­nen dar­an, fühl­te sich nicht we­nig er­ho­ben und wuss­te es mit Hil­fe der Pries­ter durch­zu­set­zen, dass Eu­ge­ni­en eine Bild­säu­le er­rich­tet und gött­li­che Ehren er­wie­sen wur­den. Aqui­li­nus, der die ob­rig­keit­li­che Be­wil­li­gung er­tei­len muss­te, tat es un­ter der Be­din­gung, dass das Bild der Ent­rück­ten ähn­lich ge­macht wür­de; das war leicht zu be­werk­stel­li­gen, da es eine gan­ze Men­ge Büs­ten und Bild­chen von ihr gab, und so wur­de ihre Mar­mor­sta­tue in der Vor­hal­le des Mi­ner­ven­tem­pels auf­ge­stellt und durf­te sich se­hen las­sen vor den Göt­tern und Men­schen, da es un­be­scha­det der spre­chen­den Ähn­lich­keit ein Ide­al­werk war in Kopf, Hal­tung und Ge­wän­dern.

Die sie­ben­zig Mön­che des Klos­ters, als die­se Neu­ig­keit dort ver­han­delt wur­de, är­ger­ten sich höch­lich über den Trumpf, der von heid­nischer Sei­te aus­ge­spielt wor­den, über die Er­rich­tung ei­nes neu­en Göt­zen­bil­des und die fre­che An­be­tung ei­nes sterb­li­chen Wei­bes. Am hef­tigs­ten schal­ten sie über das Weib sel­ber als über eine Land­läu­fe­rin und be­trü­ge­ri­sche Gauk­le­rin, und sie mach­ten wäh­rend des Mit­tags­mah­les einen ganz un­ge­wöhn­li­chen Lärm. Die Hya­zin­then, wel­che zwei gut­mü­ti­ge Pfäff­lein ge­wor­den und das Ge­heim­nis des Ab­tes in der Brust be­gra­ben hiel­ten, sa­hen die­sen be­deu­tungs­voll an; aber er wink­te ih­nen zu schwei­gen und ließ das Schel­ten und To­ben über sich er­ge­hen als Stra­fe für sei­ne frü­he­re heid­nische Sün­den­zeit.

In der Nacht aber, als die Hälf­te der­sel­ben vor­über war, er­hob sich Eu­ge­nia von ih­rem La­ger, nahm einen star­ken Ham­mer und ging lei­se aus dem Klos­ter, um das Bild auf­zu­su­chen und zu zer­schla­gen. Leicht fand sie den mar­morglän­zen­den Stadt­teil, wo die Tem­pel und öf­fent­li­chen Ge­bäu­de la­gen und sie ihre Ju­gend­zeit zu­ge­bracht hat­te. Kei­ne See­le rühr­te sich in der stil­len Stein­welt; als der weib­li­che Mönch die Stu­fen zum Tem­pel hin­auf­ging, er­hob sich eben der Mond über die Schat­ten der Stadt und warf sein taghel­les Licht zwi­schen die Säu­len der Vor­hal­le hin­ein. Da sah Eu­ge­nia ihr Bild, weiß wie der ge­fal­le­ne Schnee, in wun­der­ba­rer An­mut und Schön­heit da­ste­hen, die fein­fal­ti­gen Ge­wän­der sit­tig um die Schul­tern ge­zo­gen, mit be­geis­ter­tem Blick und leis lä­cheln­dem Mun­de vor sich hin­se­hend.