Sieben Mal - Frank Malkusch - E-Book

Sieben Mal E-Book

Frank Malkusch

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Beschreibung

Eine einfache Geschichte über Missbrauch, Verzweiflung, Liebe und Vertrauen

Das E-Book Sieben Mal wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Missbrauch, Liebe, Selbstmord, Suizid, Kindesmissbrauch

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Wenn darum ein Glied leidet, leiden alle Glieder mit Korinther 12,26

Inhaltsverzeichnis

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Epilog

1.

Es geht um Georg, genannt Schorsch, dem Knecht vom Wallerbauern. Ein Querkopf, sagen die Gutwilligen. Ein Depp, sagen die weniger Gutwilligen. Über Schorsch reden auch die Stammtischbrüder gerne, mit denen der Wallerbauer zusammen in der Wirtschaft „Goldener Hase“ Sonntag für Sonntag zusammenhockt:

„Ein Kleiderschrank von Mann, vom vielen Arbeiten nichts als Muskel, selbst im Hirn“, sagt der Wallerbauer.

„Immer noch besser als nur Luft oder Wasser“, sagt sein Spezi, der in letzter Zeit sehr in die Breite gegangene Lohnerbauer.

Der Wallerbauer zwirbelt dazu seinen Schnurrbart, schmunzelt und freut sich insgeheim, schon seit etlichen Jahren den Schorsch nur gegen Kost und Logis sowie ein dürftig bemessenes Taschengeld zu beschäftigen. Tag und Nacht. Wobei sich das Logis auf eine zugige und nicht beheizbare Kammer oberhalb des Stalls bezieht. Billiger kann man es wirklich nicht mehr haben. Und das dazu noch in Zeiten, da nicht nur Arbeitskräfte allgemein, sondern vor allem die besonders guten wie der Schorsch kaum mehr zu kriegen sind.

Der Urteile über Georg sind viele am Stammtisch: Ein plumper Felsbrocken. Dumm wie Bohnenstroh. Ein unbehauener, in die Erde gerammter Pflock. Nichts als ein stumm glotzender Fisch.

Wozu der Wallerbauer nur meint:

„Hauptsache, es ist meine Erde, in dem dieser Pflock steckt, werkelt, Tag und Nacht funktioniert und den Hof am Laufen hält. Aber unterschätzt ihn ja nicht. Stille Wasser sind tief.“

Der Lohnerbauer fügt an:

„Und stumme Wasser sind abgrundtief. Mit dem erleben wir alle noch unsere Überraschung, sage ich euch.“

Zufrieden mit sich und der Welt blickt der Wallerbauer zu Georg hinüber. Der sitzt, wie jeden Sonntag nach dem Kirchgang, allein auf der Ofenbank in der Ecke der Wirtsstube und starrt in die Luft. Die Milch, die schon seit ewigen Zeiten vor ihm steht, hat er noch nicht angerührt. Wohin starrt er nur? Sein Kopf bewegt sich ganz leicht in kleinen Kreisen, sonst rührt er sich nicht.

Der Wallerbauer versteht: Es sind die Stubenfliegen, denen der Schorsch nachguckt. Stundenlang, ohne auf die Unterhaltung am Tisch zu achten. Dabei hätte er gerade da etwas lernen können! Doch was soll dieses hirnlose Etwas auch lernen? Melken, Ausmisten, Säen und Unkraut rupfen lernen, das kann er, der Schorsch. Besser noch als die Magd Elsbeth. Aber die hat dafür andere Dinge zu bieten.

Bei diesem Gedanken grinst der Wallerbauer verschmitzt in sich hinein.

Aber jetzt, wo die Bäuerin mit diesem Hundskrippel von Knecht durchgebrannt ist, will die Elsbeth unbedingt hier Bäuerin werden. Da kann sie lange warten! Nicht mit ihm!

Der Bauer runzelt bei der Erinnerung an die Schmach, die ihm die Bäuerin beigebracht hat, wütend die Stirn. Es wurde zwar über ihn hinter vorgehaltener Hand sowie die Hörner, die ihm die Schlampe aufgesetzt hat, geredet, aber niemand im Dorf würde sich trauen, ihn offen zu verhöhnen. Er hat es, um sein Gesicht zu wahren, auch so hingestellt, als ob er die Bäuerin rausgeworfen habe:

„Sie ist zu alt, zu fett und zu langsam geworden. Es war nicht mehr zum Aushalten mit ihr. Ich brauche etwas Jüngeres, Knackiges. Eine, die noch richtig anpacken kann, nicht nur im Stall.“ So hat er am Stammtisch getönt und dabei grölend gelacht. Und die anderen haben so getan, als ob sie ihm glaubten und mit gelacht.

Verstohlen, ohne dass es die Anderen merken, schaut er immer wieder zu Georg hinüber. Niemals würde der sich zu ihnen an den Stammtisch setzen. Nicht nur, weil sie ihn noch nie dazu aufgefordert hatten. Deshalb, weil sie ihn dort auch nicht haben wollten. Weil man schließlich unter sich bleiben will. Weil er zudem auch noch verstockt ist. Er redet nichts, kein Wort. Niemals.

Der Pfarrer hat ihn angebracht. Damals, nach der Messe, stand plötzlich der Pfarrer vor dem Wallerbauer und fragte mit einem schiefen Lächeln, ob er nicht Verwendung für den Buben hätte.

„Wallerbauer“ hat er gesagt, „für Georg lege ich meine Hand ins Feuer. Der Bub ist zwar stumm, aber nicht dumm. Dass er stumm ist, kann auch durchaus seine Vorteile haben. Gutmütig dazu ist er. Er kann keiner Fliege etwas zu Leide tun. Seine Mutter ist im Sanatorium und wird wohl nicht mehr zurückkommen – Schwindsucht. Lange geht`s nicht mehr gut mit ihr.“

Als der Pfarrer merkte, wie der Wallerbauer zusammenzuckte, beeilte er sich hinzuzufügen:

„ Keine Angst, der Bub ist gesund. Ich hab ihn untersuchen lassen. Da brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“

Als Arbeitstier wäre er ideal. Das sagte er zwar nicht dazu, der Herr Pfarrer mit seinen teigigen Händen und der schmalzigen Stimme. Dazu ist er viel zu fein. Aber genauso meinte er es. Da hatte ein Blick genügt, um sich zu verstehen. Und so ist es auch. Ein sich irgendwie verloren gegangenes Stück Mensch, das er da aufgegabelt hat und ihm die einzige Therapie verordnet, die ihm gut tut: Arbeit, Arbeit und nochmals Arbeit.

Der Gruberhannes, der mit seinen tief liegenden und dunkel umrandeten Augen und seiner Habichtsnase wie „der Tod sein Spion“ aussieht, haut dem Wallerbauern derb auf die Schulter, reißt ihn damit aus seinen Gedanken heraus und lacht dazu so schallend, dass ihm dabei Speichelfetzen aus dem Mund fliegen:

„Was ist denn nur los mit dir, Wallerbauer? So trübsinnig? Bereust du, dass du dein Weib rausgeworfen hast? Sei doch froh, die alte Bissgurken endlich los zu sein! Dafür hast du doch jetzt die Elsbeth. Die wärmt dir doch nur zu gern das Bett. Und dazu hast du noch dein unermüdliches Arbeitstier dort in der Ecke. Der sich mindestens für Zwei abschuftet! Besser konntest du es gar nicht treffen! Alle Sorgen bist du auf einen Schlag los!“

Der Lohnerbauer fällt spöttisch mit ein:

„Oder willst du dich gleich mit zu dem Deppen dort hinsetzen und mit ihm gemeinsam den Fliegen zugucken, wie sie ihre Runden drehen?“

Der Wallerbauer lacht, steht auf, klopft an seinen Humpen und bringt einen seiner beliebten Trinksprüche aus. Auf die Ernte oder die festen Waden der neuen Magd oder sonst irgendetwas. Jedenfalls weiß er es so vorzubringen, dass alle am Tisch etwas zum Lachen haben. Außer Georg, der viel zu gebannt auf die Schleifen starrt, die die Stubenfliegen über seinem Kopf kreuz und quer durch den Raum ziehen und diesen dadurch in Scheiben zerschneiden.

Was der Schorsch denkt, interessiert niemanden, auch nicht, dass er auf dem Gymnasium war und daher nicht immer stumm gewesen sein konnte. Was aber war nun mit dem Bub passiert? Keiner der Stammtischbrüder macht sich darüber auch nur die geringsten Gedanken.

Aber wieso macht der Bub nie Anstalten, sich mit zu ihnen zu setzen? Es könnte durchaus noch ein Stuhl zum Stammtisch dazugestellt werden. Nicht, dass sie es deshalb auch gleich gutheißen würden. Aber sie könnten über sein dummes Gesicht lachen, wenn sie ihn dann abweisen und wieder in seine Ecke schicken würden. Und lachen wollen sie doch alle. Dazu hockt man schließlich zusammen und kaut alles beim Kartenspiel gemeinsam durch, was so während der Woche vorgefallen ist. Langsam, mühsam, schwerfällig, behäbig und in sich ruhend. Mit vielen Wiederholungen, bis auch der Letzte am Tisch begriffen hat, worum es geht.

Thema Nummer Eins ist heute wieder einmal der Pfarrer und seine Haushälterin. Der Wallerbauer trumpft wie immer auf, es besser zu wissen, dass der Pfarrer nichts mit ihr hat. Ja, nicht nur dies, sondern dass der Pfarrer gar nichts mit ihr haben kann. Doch er hütet sich, auch nur ein Wort mehr darüber zu verlieren. Das geht ihn schließlich nichts an. Außerdem hat er selbst keine Kinder, also auch keine Buben. Noch nicht zumindest. Dann wäre es allerdings etwas Anderes. Zudem ist ihm dadurch der Georg, sozusagen wie eine reife Frucht, in den Schoß gefallen. Sehr zufrieden mit den Umständen schmunzelt er in sich hinein und zieht genüsslich an seiner Pfeife.

Trotzdem wundert er sich immer wieder über seinen neuen Knecht. Ein Mensch wie er und doch so ganz anders. Wie die Kühe im Stall eben auch, die alle gut im Futter stehen. Jede hat ihren eigenen Charakter. Doch als Rinderschmorbraten schmecken sie dann alle gleich gut. Dank dem Schorsch ist es damals mit der Geburt bei seiner besten, aber auch störrischsten Kuh im Stall, der Bessy, noch gerade einmal gut gegangen. Fast zerrissen hätte er sie mit dem an den Bulldozer gehängten Geburtshelfer, wenn der Schorsch nicht rechtzeitig dazwischen gekommen wäre und ihn, den Wallerbauern, einfach von seiner Lieblingskuh weg geschoben hätte. Der Schorsch hatte ja Recht. Er hätte es besser gleich sein lassen sollen. Sturzbesoffen ein Kalb mit dieser Maschine herauszuziehen, dann noch den Bully mit den vielen PS dranhängen zu wollen! Nein, das wäre sicher schief gelaufen. Auch, wenn er damals eine Sauwut auf den Kerl geschoben und ihm einen so derben Schlag auf den Rücken versetzt hatte, dass er voll mit dem Gesicht in den Mist gestürzt war. Was war das für ein Gelächter unter den herbei geeilten Nachbarbauern! Doch den Schorsch kümmerte das nicht weiter. Er wischte sich mit dem Ärmel den Mist aus dem Gesicht und übernahm einfach weiter das, was dringend zu tun war. Mit dem Ergebnis, dass Kuh und Kalb unverletzt blieben und nicht das Kalb tot war, und die innerlich zerrissene Kuh zum Schlachthof geschickt werden musste, wie es schon einmal geschehen war. Vor der Zeit vom Schorsch. Der kann schon was und weiß, wie und wo er hinlangen muss.

So lässt er ihn sein, wie er ist. Aber auch nur deshalb, weil er seine Sache gut macht. Und wenn er allein hier für sich hocken will, dann soll er es doch in Gottes Namen. Noch dazu kein Bier zu saufen, sondern Milch! Möglich, dass er einfach nur froh ist, auf diese Weise seine Unterhaltung, aber auch gleichzeitig seine Ruhe zu haben. Schließlich weiß er, dass sie ihn doch nur wieder aufziehen würden. Dem entgeht kein Wort, das am Tisch gesprochen wird. Das sieht er ihm an der Nasenspitze an, wenn der so manches Mal über das Geschehen am Stammtisch in sich hineinlächelt.

Mit nichts und niemanden lässt sich der Schorsch ein. Außer mit den Tieren. Vor Allem mit dieser Bessy, die ihn, den Bauern, seit damals gar nicht mehr an sich heran lässt, ohne auszuschlagen. Mistvieh elendes! Noch ein, zwei Kälber und dann geht es ab mit ihr zum Schlachten!

Wenn es wo hakt, wird als Erstes immer der Schorsch gerufen. Der ist immer zur Stelle. Schon einmal, weil er nie betrunken ist, so, wie der Knecht vor ihm, mit dem seine Elsa… Sei`s drum! Die hat ohnehin nichts im Bett getaugt. Ständig gab es nur eine einzige Keiferei und ein ewiges Herumgeschimpfe. Da ist diese Marie, die erst seit ein paar Wochen an seinen Hof gekommen ist, schon aus anderem Holz geschnitzt. Wenn die sich nur nicht so zieren würde. Aber das wird schon noch mit der. Denn mit der Magd, der Elsbeth, wäre es letztlich nur wieder das Gleiche wie mit der Bäuerin. Das braucht er nicht noch einmal. Aber diese Marie, die macht so richtig etwas her! Da geht jedem hier am Tisch nicht nur das Herz, sondern zugleich auch das Messer in der Hose auf!

Er kichert vor sich hin, sodass der Lohnerbauer ihn scheel ansieht und fragt, ob er jetzt langsam auch deppert wird. Soll er nur! Nur kein Neid! Zufrieden schmunzelt er und nimmt einen tiefen Schluck vom Bier aus der heimischen Brauerei. Jetzt ist der Bürgermeister dran, seinen Bericht für die nächste Gemeinderatssitzung vorzubringen. Reichlich langweilig wie immer schiebt er aus seinem verhangenen Sackgesicht die Worte hervor. Da braucht er gar nicht erst zuzuhören. Das alles interessiert ihn nicht. Er spielt lieber mit seiner Uhrkette und hängt dabei weiter seinen Gedanken nach.

Inzwischen leiht er seinen Schorsch sogar in die Umgebung aus, wenn bei einem Bauern eine Geburt losgeht. In der Hinsicht spart man mit ihm so gut wie jeden Tierarztbesuch ein. Unter Garantie. Unglaublich, wie der Kerl da hinlangt. Gar nicht einmal durch Kraft, über die er durchaus verfügt, sondern rein durch Geschicklichkeit versteht er es, jedes Kalb herauszuholen. Da weiß er genau, wann und wie er zu drehen und zu ziehen hat und wann und wie nicht. Hut ab. Nur zu gern gibt er ihn für ein paar Stunden her. Und nimmt die dafür spendierte Flasche Korn sowie den Korb mit Schinken und Eiern genauso gern aus den Händen von Schorsch im Empfang, der zum Glück nicht trinkt. Der vorige Knecht, dieser elende Brunzkopf der, hätte ihm natürlich die Flasche unterschlagen. Unter Garantie. Aber diese Zeiten sind zum Glück vorbei.

Während er seine Pfeife schmaucht, schaut der Wallerbauer immer wieder unauffällig zu seinem Knecht. Er sieht, wie dieser die Fliegen in ihrem Flug verfolgt und sich gibt, als könnte er kein Wässerchen trüben. Dabei wäre er glatt fähig, sieben von ihnen auf einen Streich zu erschlagen, so reaktionsschnell ist er. Aber er weiß: Der Bub würde keiner Fliege auch nur ein Beinchen krümmen.

Jeder weiß doch im Ort, was damals ablief, als der Schorsch noch Messdiener beim Pfarrer war. Und dass er seitdem nicht mehr spricht. Das ist zwar bedauerlich, aber auch durchaus praktisch. Ansonsten wäre er ein fescher Kerl, nach dem sich so manches Maderl die Augen ausschauen würde. Gut gebaut, kernige Statur, hübsches Gesicht. Auch seine neue Praktikantin, die Marie ist nicht unbeeindruckt vom Schorsch geblieben, wie er sehr wohl bemerkt hat. Er kann nur froh sein, dass der Schorsch stumm ist, sonst würde ihm irgendwann dieser Kerl auch noch mit ihr durchgehen. Auf und davon wäre er. Wie seine Frau mit dem Knecht! Schwamm drüber! Und um die Marie kümmert er sich schon selber! Das wäre doch gelacht! Die paar Jährchen Altersunterschied, was macht das schon großartig aus? Dafür hat er ihr ordentlich etwas zu bieten!

Der Wallerbauer verscheucht mit den Fliegen die ihn umschwirren, sämtliche weiteren lästigen Gedanken. Dabei beugt er sich vor, um genauer zu sehen, was der Schorsch macht. Er täuscht sich nicht. Jetzt legt der Kerl doch glatt den Fliegen einzelne Brotkrumen hin! Das kann doch wirklich nicht normal sein! Neulich hat ihn die Wirtin schon ausgescholten, als er den Fliegenfänger, an dem die lästigen Fliegen im Raum hängen bleiben, von der Decke abnehmen wollte. Geschrien hatte sie sogar und dabei mit hochrotem Gesicht die Arme in die Seiten gestemmt:

„Nichts da! Alles bleibt so, wie es ist! Wenn es dir hier nicht passt, Schorsch, dann trinkst du mir eben deine Milch wieder draußen vor der Tür! So wie früher auch!“

Und der Lohnerbauer war gleich auf seine gehässige Art mit eingefallen:

„Du kannst aber auch gleich im Stall bleiben und dort die Milch deiner Bessy mit dem Mund aus ihrer Zitze herauszutzeln. Mal sehen, ob ihr das nicht sogar gefällt! Ihr beide seid doch schließlich schon so gut wie ein Paar! Hat das letzte Kalb von ihr nicht genau deine Augenfarbe und denselben verträumten Blick?“

Ein richtiger Hund, dieser Lohnerbauer! Der hat die Lacher immer auf seiner Seite! Der Schorsch war daraufhin einfach nur in sich zusammengesunken auf der Ofenbank gesessen, bis sie alle zusammen heimgegangen sind, um dann wie ein geprügelter Esel zwei Schritte hinter dem Wallerbauer herzutrotteln.

Jetzt aber sitzt der Schorsch wieder wie immer auf der Ofenbank und beobachtet die Fliegen. Wie sich seine kleinen Freunde die Flügelchen mit den Füßchen putzen. Wie sie sich mit den Brotkrümeln beschäftigen. Der Lohnerbauern dreht sich lachend zu ihm hin:

„Na, Schorsch? Erzählst du deinen Fliegen wieder Geschichten? Hör nur gut zu, wenn sie dir berichten, wie das mit dem Fliegen geht. Dann könnten wir dich am nächsten Sonntag um die Kirchturmspitze kreisen und dem Pfarrer dabei auf den Kopf spucken sehen. Das würdest du doch nur zu gerne, dem Pfarrer auf den Kopf spucken – oder?“

Alle lachen sie wieder, zwinkern sich zweideutig zu, schlagen dazu mit flachen Händen auf die Tischplatte und wiederholen mit tränengefüllten Augen seine Worte. Georg kümmert das nicht. Seine Fliegen verstehen ihn. Wie auch die anderen Tiere. Das reicht ihm aus. Nur die Wirtin schimpft:

„Hört schon auf, ihr damischen Mannsbilder! Ist es denn nicht schon genug, wie übel das Schicksal dem Schorsch mitgespielt hat? Keinen Vater mehr und die Mutter im Sanatorium! Was für ein Elend!“

Dass Georg anders und nicht ganz richtig im Kopf ist, das steht für alle fest. Irgendwie wird er trotzdem akzeptiert. Schon einmal, weil er stets einen willkommenen Anlass bietet, um ihn so richtig nach Strich und Faden aufzuziehen. Ein Anderer wäre längst schon aufgestanden und hätte unmissverständlich mit dem Kopf zur Tür hin gewunken, alles Weitere draußen auszutragen. Mit den Fäusten, wie es sich für ein gestandenes Mannsbild gehört. Georg nicht. Seltsam dabei ist nur, dass er stets zufrieden wirkt. Niemals mürrisch. Nur verstockt. Doch das täuscht.

2.

Wenn einer zuverlässig ist, dann ist es Georg. Wie oft schon hat der Wallerbauer zur spindeldürren Elsbeth, seiner Magd, gesagt:

„Ohne den Schorsch kann ich mir das hier auf dem Hof gar nicht mehr vorstellen.“

Elsbeth war jedes Mal tief gekränkt gewesen, weil er sie nicht ebenso unersetzlich fand. Sie arbeitete von früh bis spät, bis ihr der Rücken weh tat und sorgte dann auch noch für seine Entspannung im Bett! Und was ist der Dank? Als sie ihn neulich fragte, wann sie nun heiraten und sie Bäuerin werden würde, hat er nur schallend gelacht. Und jetzt noch dazu diese Marie! Wie er sie anschaut, sie mit den Augen auszieht und wie sie es versteht, kokett vor ihm rumzuschwänzeln! Sie legt es doch regelrecht darauf an, dass er sie packt! Dabei ist er mindestens 20 Jahre älter als sie. Klar, der Hof macht gehörig was her und wirft auch was ab. Darauf hat sie es natürlich abgesehen. Diese aus der Stadt hergelaufene Göre hat selbst nichts und will Bäuerin werden! Und der Bauer fällt auch noch darauf rein. Hat er doch gestern zu ihr gesagt:

„Ein Jahr, was ist das schon! Willst du nicht doch länger bei mir bleiben, wenn das Praktikum vorbei ist? Bei besserer Bezahlung? Überlege es dir! Ich kann dich gut gebrauchen.“

In den letzten Tagen war Marie sehr niedergeschlagen. Ihr Freund, der in der Stadt wohnt und den sie nun während des Praktikums nur selten besuchen kann, hatte ihr gesagt, dass er das ewige Warten auf sie längst satt und sich inzwischen anderweitig orientiert habe. Genauso hat er sich ausgedrückt. Anderweitig orientiert! Wie gestelzt das klang. Im Klartext heißt das für sie: Er hat eine Andere und alle ihre Zukunftspläne sind zerplatzt. Gleich nach dem Praktikum wollten sie eigentlich heiraten und sie hatten sogar schon über Kinder gesprochen, wie viele, ob Bub oder Mädel zuerst und wie sie heißen sollten. Wie weh das tut! Und jetzt? Was soll sie tun? Das Angebot des Bauern klingt jedenfalls verlockend.

„Ich werde darüber nachdenken“ sagt sie daher und will aus der Stube gehen. Doch dann dreht sie sich nochmal um und fragt:

„Was ist eigentlich mit diesem Georg los? War der eigentlich immer schon hier auf dem Hof?“

Der Wallerbauer überlegt eine Weile, was er ihr sagen will und was nicht. Immerhin ist sie erst vor kurzer Zeit zu ihm auf den Hof gekommen, um so etwas wie ein praktisches Jahr abzulegen. Der Grund dazu ist ihm egal. Hauptsache, sie ist da. Und er wird sie schon noch herumkriegen, dass sie ganz bei ihm bleibt. Ein sauberes Maderl, fesch, mit Biss, die kräftig mit anzupacken versteht und mit ihren blonden Haaren wie auch sonst in jeder Hinsicht etwas hermacht. Da Georg nirgends zu sehen ist, beugt er sich zu ihr vor:

„Ganz plötzlich ist es gekommen, dass er da war, der Schorsch. Sozusagen wie aus dem nichts heraus stand er hier. Genau da, wo du jetzt stehst. Stand vor mir mit einem Briefumschlag in der Hand. Dabei sprach er kein einziges Wort. Ich wusste natürlich, dass er kommen würde. Der Pfarrer hatte ihn mir doch höchstpersönlich bei mir angemeldet.“

Sie nickt nur dazu und fühlt sich seit Tagen das erste Mal weniger verlassen und verzweifelt. Dann meint sie:

„Ach, so war das also? Wie einst bei diesem Kaspar Hauser?“

Der Bauer runzelt die Stirn. Es gefällt ihm nicht, wenn sie ihm mit ihrer Bildung kommen will. Das muss er ihr auch noch austreiben. Wenn er sie erst einmal fest im Griff hat. Mürrisch grunzt er:

„Du mit deinem Realschulabschluss! Den kannst du hier vergessen, sag ich dir! Diesen Kerl kenn ich nicht. Ist auch schließlich egal. Der Brief war von Schorschs Mutter Er muss noch irgendwo hier im Schub herumliegen.“

Er beugt sich so dicht an ihr vorbei, dass er prüfend mit dem Oberarm an ihrer weißen Bluse vorbeiwischt. Auch da ist alles fest und proper gebaut. Gut. Sie taugt wirklich etwas! Er schiebt die Schublade des Buffets auf, kramt eine Zeitlang in ihr herum und zieht einen Umschlag heraus.

„Da. Lies selbst. Schließlich bist du ja gebildet und kannst das besser als ich.“

Marie streicht ihr unter dem Kopftuch vorgefallenes strohblondes Haar zurück, nimmt das zerknitterte Blatt und glättet es an ihrer Schürze:

„Sehr geehrter Herr Wallerbauer! Ich habe gehört, Sie brauchen einen Knecht. Nehmen Sie meinen Buben bei sich auf. Der Pfarrer hat Sie mir empfohlen. Ich weiß nicht, was mit dem Georg los ist. Er spricht seit einiger Zeit nicht mehr. Aber er ist kräftig und ein guter Kerl. Mit Brot und Logis ist er zufrieden und ich will es auch sein. Seit mein Mann nicht mehr bei uns ist, ist alles sehr schwer für mich geworden. Und jetzt muss ich auf unbestimmte Zeit von hier fort und möchte den Georg gut aufgehoben wissen. Gott beschütze Sie, das Vieh, den Hof und meinen armen Buben.“

Marie blickt auf und legt das Blatt auf den Tisch:

„Was ist denn da nur geschehen? Das war also nicht immer schon so, dass er kein einziges Wort spricht?“

Der Bauer schüttelt unwillig den Kopf. Üblicherweise hätte er sich nicht dazu hergegeben, diesem Weib Rede und Antwort zu stehen. Aber bei ihr geht es schließlich um etwas. Eigentlich um Alles. So erwidert er und bemüht sich dabei, auch noch betrübt zu blicken:

„Es heißt unter anderem, das mit seinem Vater hätte er nicht verkraftet. Genaueres weiß man natürlich nicht.“

„Wieso? Was ist denn mit seinem Vater passiert?“

Wütend blickt der Bauer sie an, weil ihr seine Erklärung noch immer nicht ausreicht.

Aber sein Blick auf ihre Figur reicht aus, ihn zugleich wieder zu besänftigen:

„Neugierig bist du wohl gar nicht? Aber du sollst wissen, wie es gewesen ist. Der Schorsch hat ihn gefunden. Die Polizei hat dann gemeint, er soll auch gleich noch die Sauerei mit aufwischen. Sein Vater hat sich erschossen. Überall auf dem Boden, den Wänden und der Decke war Blut und verspritztes Hirn. Na ja, und dazu kam dann später noch die Sache mit dem Pfarrer dazu.“

Erschrocken sieht sie ihn an:

„Er hat das weggeputzt? Vor seinem toten Vater? Und das haben sie ihn machen lassen? Wie schrecklich, sich das auch nur vorzustellen!“

„Was man ihm sagt, das macht er auch. Das hast du doch auch schon gemerkt. Wenn ich ihm sagen würde: „Schorsch, spring in die Misten!“ – ich lege meine Hand ins Feuer, dass er es auf der Stelle täte.“

Der Bauer grinst breit bei der Vorstellung, während Marie nachdenklich nickt:

„Ja, so ist er eben. Bis auf das, was Tiere anbelangt. Da hat er seinen ganz eigenen Kopf.“

Will sie etwa jetzt auf die Sache mit der Bessy und der Geburt anspielen? Es ist zu früh, sie anzuschreien oder sie gar deswegen zu schlagen. Er muss sich noch zusammennehmen! Erst braucht er ihr Jawort. Dann wird er ihr schon zeigen, wer der Herr im Haus ist. Diese weiße Haut! Ganz weich wird ihm zu Mute, wenn er auf den Ausschnitt ihrer Bluse sieht. Und überhaupt! Eine Frau muss wieder ins Haus! Diese dürre Elsbeth, die kann ihm auf Dauer kein Ersatz sein. Obwohl sie durchaus auch ihre Qualitäten hat!

„Ich habe ihn jedenfalls bei mir aufgenommen. Und habe es auch nicht bereut. Keinen einzigen Tag. Auch wenn es schon seltsam war, wie er so dastand und vor sich hinglotzte, während ich den Zettel las. Wie er eben nach wie vor immer noch seltsam ist. So völlig anders.“

„Ich würde es gern wissen, was so manchmal in seinem Kopf vor sich geht. Und mit dem Pfarrer? Was hat es denn da gegeben?“

Der Bauer lacht kurz auf, winkt dann aber gleich ab:

„Was soll in seinem Kopf sein? Nichts! Alles hohl darin! Höchstens ein paar Gedankenfürze neben den Fliegen, die dort ihre einsamen Bahnen ziehen! Das mit dem Pfarrer, das weiß niemand so genau. Irgendetwas muss da wohl geschehen sein. Gemunkelt wird Vieles im Dorf. Seitdem jedenfalls ist das so mit seinem Schweigen. Vielleicht ist er nur verstockt. Das ist jedenfalls die Meinung des Pfarrers dazu.“

Georg kommt zur Tür herein und bleibt auf dem Türstock stehen. Der Bauer verstummt schlagartig und fährt ihn grob an:

„Wehe, du kommst mir mit deinen Drecksschuhen auch nur einen Schritt in die gute Stube! Ist alles fertig? Auch der Hühnerstall?“

Georg nickt, blickt Marie an, die ihm freundlich zulächelt, und geht daraufhin wieder, nachdem ihm der Bauer noch einen neuen Auftrag erteilt hat.

Marie flüstert:

„Ja, das ist schon ein seltsames Stück Mensch.“

„Was kümmert es mich? Seltsame Vögel gibt es schließlich genug im Land. So lange er seine Arbeit macht und noch dazu sein Maul hält, kann es mir nur Recht sein.“

Der Bauer schaut sich besorgt um, als hätte er Angst, belauscht zu werden:

„Aber vorsichtig mit solchen Reden. Vor allem, wenn er in der Nähe ist. Denn hören kann er wie ein Luchs. Und ich will nicht, dass ich ihn wegen ein paar unvorsichtiger Worte auch noch verliere. So einen wie ihn, der Hof, Ställe, Felder und alles sonst im Griff hat, finde ich mit Sicherheit nicht wieder.“

Schon geht die Tür wieder auf und verwundert sieht Marie, dass der Bauer zusammenzuckt. Gibt es da etwas, das er ihr verschweigt? Doch es ist jetzt einer der Nachbarn, der Lohnerbauer, der mit schwer stapfendem Schritt herein kommt und sich auf einen Stuhl fallen lässt. Die letzten Worte des Bauern hat er mit angehört:

„Grüßt euch miteinander! So traut zusammen? Was für eine Idylle! Die Marie, wäre das nichts für den Schorsch? Da könntest du dir sicher sein, dass er dir für immer bleibt. Die beiden übernehmen den Hof und du setzt dich endlich zur Ruhe.“

„Hock dich nur mit her zu mir, Lohnerbauer! Aber deine blöden Witze kannst du dir gleich irgendwohin stecken. Wir sind hier nicht in der Wirtschaft, wo jeder reden kann, wie ihm das Maul gewachsen ist. Schön, dass du endlich kommst. Wir haben noch was zu regeln. Marie, holst du eine Brotzeit her? Aber von dem guten Schinken, du weißt schon.“

Marie huscht hinaus und beide Männer sehen ihr begehrlich hinterher. Als sie die Tür hinter sich zugezogen hat, zischt ihm der Bauer mit unterdrückter Stimme zu:

„Was redest du da? Die Marie und dieser Depp? Spinnst du jetzt total? Die habe ich ganz allein für mich reserviert, dass du es nur weißt! Das gilt auch für dich! Finger weg, auch wenn dir bei ihr noch so die Augen aus dem Kopf fallen und das Wasser in deinem dreckigen Maul zusammenläuft.“

Der Lohnerbauer schnäuzt sich in sein schmutziges Stofftaschentuch hinein:

„Weiß sie denn Bescheid wegen der Sache mit dem Pfarrer und dem Schorsch?

Darüber hattet ihr es doch gerade, oder?“

„Wieso sollte sie das denn? Das braucht sie nicht zu wissen. Wir wissen schließlich auch nichts. Offiziell. So soll es auch bleiben. Bis in alle Ewigkeit. Amen.“

Der Wallerbauer führt mit dem Zeigefinger ein Kreuz über die Brust aus. Nur malt er den Längsbalken deutlich weiter nach unten zu seiner Hose hin aus. Beide zwinkern sich dabei mit einem wissenden Grinsen zu. Der Lohnerbauer sieht das noch auf dem Tisch liegende Papier, greift danach und liest es durch:

„Das ist alles, was du von dem Schorsch hast?“

„Danach hat mir seine Mutter noch seine Zeugnisse geschickt. Da war schon alles ausgemacht mit ihr. Zum Glück, denn ein paar Wochen später war sie schon tot. So ein Zeugnis hast du noch nicht gesehen! Das wäre glatt ein Studierter geworden, wenn das nicht passiert wäre. Erst die Sache mit dem Vater und dann das! Das mit dem Pfarrer hat ihm wohl den Rest gegeben, denn er hat damals einfach von heute auf morgen die Schule geschmissen und von da an kein Wort mehr gesagt.“

Der Wallerbauer nimmt ihm den Zettel aus der Hand und legt ihn in die Schublade zurück, die er wieder sorgfältig verschließt:

„Mir kann es schließlich egal sein. Ein Knecht ist ein Knecht. Und da der Ulli mit der Else… Na, du weißt schon. Der Schorsch kam mir genau zur rechten Zeit, um die Lücke hier wieder aufzufüllen. Er und jetzt noch die Marie dazu. Etwas Besseres hat mir gar nicht passieren können. Etwas für die Arbeit im Stall und etwas für die Arbeit im Bett.“

Er lacht, dass sein weit über den Hosenbund vorstehender Bauch wabert. Der Lohnerbauer bleibt jedoch ernst.

„Siehst du nicht, was sich da abspielt? Pass nur auf, dass es dir nicht wieder so ergeht! Sonst nehmen dir die Beiden erneut die schönen Seiten dieser Arbeit ab!“

Marie kommt zur Tür herein und bringt die Brotzeit sowie zwei Flaschen Bier. Sie stellt alles auf den Tisch. Beide Männer folgen jeder ihrer flinken Bewegungen mit unverhohlener Gier. Auf einen Wink des Bauern verlässt sie sofort wieder den Raum:

„Der Schorsch, der ist nicht so. Ohnehin ist doch die Frage die, ob der für Frauen überhaupt ein Interesse hat. Mit dem Pfarrer, das war doch kein Zufall, oder? Mit ihm kann ich es gar nicht besser getroffen haben: Trinkt nicht, raucht nicht, arbeitet nur. Keine Weibergeschichten, keine Raufereien, keine Schulden, so, wie es bei diesem Ulli gewesen war. Rein gar nichts. Die Zuverlässigkeit in Person. Und die Marie, die gehört nur mir, das hat der Schorsch schon verstanden. So ein sauberes Maderl! Allein schon diese kräftigen Schenkel! Die gefällt mir. Wer würde das nicht verstehen? Außer vielleicht unser Pfarrer? Ist es nicht so, Lohnerbauer, altes Schlitzohr? Jedem das seine, nicht wahr?“

Wie zwei Schuljungen prusten die Bauern los und die Augen des Gastes verschwinden dabei hinter vielen Lachfältchen:

„Ich hab schon kapiert: Die Marie ist für alle zu schade. Außer für dich natürlich.

Sozusagen reserviert.“

Seltsam leise und bedacht, fast schon bedrückt erwidert der Bauer:

„Du weißt eben nicht, wie es ist, wenn das Bett kalt und leer ist am Abend, wenn man sich nach der Arbeit allein hineinwirft. Bettdecke über den Kopf, Augen zu, das war es wieder mit dem Tag. Die Elsbeth, das ist doch nichts auf Dauer. Mal zur Not für zwischendurch, das mag gerade noch angehen. Aber keifig ist sie noch dazu. Ich will mir doch nicht dasselbe noch einmal antun, wo ich die Bäuerin gerade losgeworden bin. Nein, es ist höchste Zeit für eine neue Bettflasche. Doch gut Ding will Weile haben. Alles ist jedenfalls in der Hinsicht in Arbeit!“

Dann schnellt er auf einmal vor, wobei er den Lohnerbauer fest im Blick hält:

„Wie steht es nun? Hast du das Geld dabei, du elender Sauhund du?“

Der Lohnerbauer runzelt die Stirn und wird auf einen Schlag wieder ernst:

„Diesen Kuhhandel, den kannst du vergessen! Mit der Bessy, das wird nichts. Du hast doch selbst gesagt, sie lässt sich von keinem sonst als vom Schorsch melken. So etwas Hartmelkiges stell ich mir doch nicht erst in den Stall und zahl auch noch dafür! Soll der Kerl etwa künftig jeden Tag zweimal zu mir zum Melken vorbeikommen? Ja, wenn du mir dazu die Marie schicken würdest, das wäre allerdings schon etwas Anderes!“

Der Bauer schlägt mit der flachen Hand auf den Tisch:

„Du spinnst wohl. Außerdem kommt sie mit der Bessy auch nicht klar. Gut! Abgehakt! Vergessen! Dann bringt sie mir eben noch zwei Kälber und dann ab mit ihr zum Schlachthof! Ich bin es leid! Was für eine Zicke! Fast wie meine Frau! Aber sie bringt die besten Kälber. Das hat meine Frau nicht fertig gebracht! Und viel Milch! Wenigstens ein Stierkalb will ich noch von ihr. Mit dem sahne ich dann auf den Ausstellungen ab. Erstklassige Vererbung! Und du schaust dann mal wieder in die Röhre. Dein Pech!“

Der Lohnerbauer lässt sich nicht aus der Ruhe bringen:

„Lass dir das von mir in aller Freundschaft gesagt sein, Wallerbauer: Anscheinend halten es die Frauen nicht länger bei dir aus. Bei dir werden sie alle zickig, hartmelkig, wurzig, krautig. Die Elsbeth ist doch auch schon so. Pass nur auf, dass dir die Marie nicht nach kurzer Zeit ebenso wird. Und hinter der Magd davor warst du auch schon her, bis sie das Weite suchte. Weißt du nicht mehr?“

Der Wallerbauer schiebt seine Daumen unter die Hosenträger, lässt sie schnalzen und winkt ab:

„Die wäre doch auch nur etwas für Zwischendurch gewesen, wenn sie denn gespurt hätte. Nein, mit der Marie ist es mir so richtig ernst. Irgendwann muss man sich eben die Hörner abgestoßen haben. Das ist eine richtig Wilde, sag ich dir! Die hat Feuer, so harmlos brav sie sonst auch tun mag. Mit den Weibern, da kenn ich mich schließlich aus!“

„Dann pass nur auf, dass du dir bei ihr nicht auch noch dein letztes Horn abstößt!“

Beide lachen wieder und der Wallerbauer lässt sich jetzt gern etwas Schnupftabak reichen, während der Lohnerbauer kräftig bei der Brotzeit zulangt und kauend murmelt:

„Dein Schinken, Wallerbauer, ist einfach der Beste weit und breit!“

„Da lass ich auch nichts drauf kommen! Ich warte nur noch, bis mir die Marie auch noch ihre Schinken im Bett präsentiert! Denn die sind wirklich zum Reinbeißen!“

Wie herbeigerufen geht Marie an ihnen vorbei zum Fenster, um dort die Blumen zu gießen. Mit kennerischem Blick folgen die Männer dem wehenden Rock, sehen zu, wie sie sich bei ihrer Tätigkeit mit der Gießkanne vorbeugt und sich dabei der Stoff um ihre Hüften spannt. Sie zwinkern sich erneut feixend zu. Erst, als Marie wieder den Raum verlassen hat, meint der Wallerbauer mit einem tiefen Seufzer:

„Ja, sie ist geradezu ein Engel. Nicht so eine Hexe, wie ich sie vorher hatte. Zudem ein Engel, der mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Tatsachen steht. Die weiß genau, wo der Bartel seinen Most holt, sag ich dir! Aber ich weiß es schließlich auch!“

Der Lohnerbauer schmunzelt, während er mit dem Messer ein Stück Schinken aufspießt und im Mund, der von einem nikotingelben Bart umrandet ist, verschwinden lässt:

„Da musst du aber gut aufpassen, dass dir nicht ganz schnell wieder das Heft aus der Hand genommen wird. Wie bei deiner Letzten. Oder bei der Elsbeth, die dich auch schon ganz gut im Griff hat.“

„Da hast du allerdings Recht! Die fühlt sich schon halb als Herrin im Haus. Jedenfalls benimmt sie sich der Marie gegenüber so. Ja, das wird für sie wohl eine herbe Enttäuschung, wenn ich die Marie heirate. Da kann sie sich überlegen, ob sie bleibt und kuscht oder geht. Aber so ist es nun einmal im Leben. Angebot und Nachfrage. Der Herr gibt es und der Herr nimmt es…“

„Was ist denn mit dir los? Wirst du mir jetzt auf einmal erzkatholisch?“

„Das ist nur die Marie, die mir die ganze Zeit schon ganz gewaltig im Kopf herumspukt. Und das geht bereits so seit ihrem ersten Tag hier. Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt, wenn ständig so ein gestandenes Weibsbild vor dir herumtänzelt! Höchste Zeit, dass ich endlich Nägel mit Köpfen mache!“

„Na, dann nagle mal schön drauf los! Aber auch gut dabei zielen und nicht das falsche Loch erwischen!“

Das Gelächter der beiden Bauern dringt durch das ganze Haus über den Hof hinaus bis in den Stall, in dem Georg ausmistet. Verwundert hebt er den Kopf und sieht, dass Bessy ihn wiederkäuend genauso verwundert anblickt.

3.

Georg ist noch beim Melken, nachdem er die Schweine, Gänse, Hühner, Kühe gefüttert hat und alle Ställe ausgemistet sind. Natürlich ist seine Bessy die erste, die an die Reihe kommt. Seit drei Stunden ist er jetzt bereits auf und hat noch nicht einmal gefrühstückt. Wie jeden Morgen freut er sich schon auf sein Glas heiße Milch und seine Haferflocken mit Zimt und Zucker, die ihm wie immer die Magd Elsbeth in seine Kammer stellt. Er ist eben ein Süßer.

Die Stalltür geht auf. Georg hockt auf dem Melkschemel. Er braucht sich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer den Stall betritt. Es ist Marie, die kommt, um direkt von ihm die noch warme Milch für den Bauern zum Frühstück abzuholen. Für Georg ist das der Höhepunkt des Tages, denn sonst sieht er sie stets nur aus der Ferne. Wenn er versucht, sie auf dem Hof abzupassen, eilt sie schnell an ihm vorbei, ohne den Blick auf ihn zu richten. Vielleicht hat sie Angst vor dem Bauern, der meistens stirnrunzelnd grummelnd in der Nähe steht und sie beobachtet?

Allein schon an ihrem festen und doch federnden Schritt erkennt er sie. Der so ganz anders als bei den Leuten ist, mit denen er es sonst zu tun hat. Da es nicht allzu viele sind, ist es auch nicht so schwer, daraus ihren Schritt herauszuhören. Aber er ist sich sicher, dass er ihn auch aus Millionen anderer Schritte erkennen könnte. Selbst mitten in Peking in der Fußgängerzone. Er lacht lautlos vor sich hin und schüttelt den Kopf. Ob es dort überhaupt so etwas wie eine Fußgängerzone gibt?

Als er ihre Stimme hört, huscht ihm ein kribbelndes Frösteln über den Rücken und es stellen sich ihm zugleich die Nackenhaare auf.

„So vergnügt heute früh, Georg? Wie schön. Sonst bist du immer so missmutig und grantelig. Grad fürchten könnt man sich vor dir, wenn ich dich nicht inzwischen besser kennen tät.“

Sie streichelt Bessy, die sich das von ihr inzwischen auch gefallen lässt. Er sieht nicht zu ihr auf, sondern blickt nur auf ihre Waden, die oberhalb der Gummistiefel bis zum Saum der Schürze zum Vorschein kommen. Die Strümpfe sind heruntergerutscht. Diese weiße Haut! Die zwei Blechkannen scheppern gegeneinander, als sie sie abstellt. Bessy muht freundlich und gar nicht erschreckt wie sonst, wenn jemand in den Stall kommt. Sie mag Marie, auch wenn sie niemanden sonst auf dem Hof leiden kann. Außer ihn. Zur Sicherheit streichelt er Bessy jedoch mit, um sie ruhig zu halten und klopft sanft gegen ihren Bauch. Nicht, dass sie noch austritt und Marie verletzt.

Marie steht nun direkt neben Schorsch und reicht ihm die Kanne, die er mit der frischen Milch aus dem Melkeimer füllen soll. Der Eimer stößt scheppernd an

die Kanne, wodurch Bessy nun doch zusammenzuckt. Marie spricht leise zu der Kuh, um sie zu beruhigen:

„Entschuldige, Bessy. Ich wollte dich nicht erschrecken. Es ist ja nur der tägliche Milchtransport in die Küche! Ich würde dich sonst auch gerne melken. Aber du lässt ja niemanden an dich heran. Außer deinen Georg.“

Georg blickt auf die Kanne, die sie ihm reicht. Und auf ihre Hand. Er lenkt den Milchstrahl von der Zitze direkt in die Kanne. Marie lacht:

„Direkter geht es gar nicht! Da wird sich der Bauer aber freuen. Nichts geht über noch warme Kuhmilch. So sagt er immer. Wie er jeden Tag dasselbe sagt.“

Aus einer plötzlichen Eingebung heraus handelt Schorsch. Niemals sonst hätte er sich das getraut. Vor Schreck über seinen Mut hält er den Atem an und spürt, wie dabei auch sein Gesicht hochrot wird. Er nimmt sanft Maries Hand und führt sie zur Zitze hin und lässt sie weitermelken, während er selbst vom Schemel aufsteht, aber gebückt dicht neben Marie stehen bleibt und ihr so den Platz freigibt, um sich hinzusetzen. Erst zögert Marie kurz, doch dann setzt sie sich hin und melkt weiter. Bessy spürt zwar den veränderten Griff und blickt sich verwundert im Wiederkäuen um. Aber sie lässt es geschehen, da Georg sie dabei an den Stellen, an denen sie es besonders mag, streichelt.

Eine ganze Zeit lang melkt Marie weiter. Erst, als die zweite Kanne fast voll ist, steht sie auf und streicht sich die Schürze glatt.

„Wieso hast du mich jetzt melken lassen? Hattest du denn keine Angst, dass die Bessy verrücktspielt und austritt?“

Schorsch schüttelt nur leicht den Kopf und schaut sie dabei das erste Mal direkt an. Ihre Augen treffen sich und er glaubt, sie versteht seine Antwort. Sie nickt nur mehrmals kurz hintereinander, ohne dazu etwas zu sagen. In ihren Augen stehen Tränen. Sie nimmt den Melkeimer auf, schüttet nun auch die zweite Kanne voll und geht schwer schleppend zur Stalltür. Dort dreht sie sich nochmals um:

„ Danke, Georg, für dein Vertrauen. In Bessy. Und auch in mich.“

Am nächsten Tag wiederholt sich das Spiel. Jetzt bleibt Marie länger auf dem Schemel sitzen und melkt zwei Viertel des Euters aus, während Schorsch Bessy streichelt. Er traut der Kuh noch nicht so ganz, denn er kennt ihre Launen gut genug. Marie plappert so gutgelaunt und gelöst, dass er sich wünscht, Bessys Euterinhalt reiche gleich für fünf weitere Kannen Milch aus:

„Schön, dass du mich das jetzt machen lässt. Ich weiß das wirklich zu schätzen. Immer nur sehe ich dich bei unserer Bessy. Mich wundert, dass meine Namensvetterin hier im Stall, die Marie, wie auch die Liesl, die Erna und die anderen Kühe deshalb nicht eifersüchtig sind. Wenn ich Kuh wäre, ich wäre es mit Sicherheit.“

Sie lacht dabei hell und klar, ohne mit dem Melken aufzuhören. Georg lächelt und blickt auf ihr blondes, strohiges Haar, das sie zu einem dicken Zopf geflochten hat. Würde sie jetzt zu ihm aufblicken, dann wäre sie sicher über seinen bewundernden und sehnsüchtigen Blick irritiert. Georg beugt sich zu ihr herunter und zeigt ihr, wie sie die Zitzen mit etwas weniger Druck noch viel sanfter ausstreichen kann. Wie Bessy es eben mag. Dabei riecht er aus Maries Halsausschnitt die Frische von Kernseife aufsteigen. Benommen richtet er sich schnell wieder auf, denn er merkt, dass das zu viel auf einmal für ihn ist. Er schließt die Augen und zieht langsam die Luft ein. Es ist jetzt dieselbe Luft, die sie gebückt und vornüber gebeugt dicht unter ihm ausatmet und die ihren Duft weiter zu ihm empor trägt.

Fast wäre er erschrocken zusammengezuckt, so sehr ist er von diesen ganzen Reizen betäubt, als sie fragt:

„Ist es gut so, Georg? Mag sie es so? Ich will doch alles richtig machen, falls ich dich mal bei Bessy vertreten muss. So war es doch von dir gemeint, oder?“

Er nickt zwar, wendet sich aber dabei ganz schnell von ihr ab, damit sie seine Verwirrung nicht bemerkt. Marie plappert weiter:

„Wie schade, dass du nicht redest. Der Bauer kann heilfroh sein, dass er dich hat. Du bist die tragende Säule hier. Wie gern würde ich mit dir über alles reden, Georg. Es ist auch für mich nicht einfach. Nicht nur hier auf dem Hof, sondern auch sonst.“

Ihre Worte treffen ihn tief. Sein Blick fordert sie auf:

„So rede doch weiter mit mir! Über alles, was immer du willst! Ich höre dir zu! Ich verstehe dich! Bei mir geht kein einziges deiner Worte verloren! Niemals!“