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Die sinnlichen Küsse des geheimnisvollen Brasilianers Diego Cazorra sind so verlockend wie verboten für Clare. Denn sie hat sich als Nonne verkleidet, um ihre entführte Schwester zu retten. Da kann sie wohl schlecht eine Liebesaffäre beginnen! Sosehr sie Diego auch begehrt …
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Seitenzahl: 177
IMPRESSUM
Sinnliche Blicke aus saphirblauen Augen erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2016 by Chantelle Shaw Originaltitel: „Master of Her Innocence“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA EXTRA, Band 426 Übersetzung: Dorothea Ghasemi
Umschlagsmotive: g-stockstudio, VTT Studio / GettyImages
Veröffentlicht im ePub Format in 2/2022
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751513708
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„Muss ich wirklich Tracht tragen, Schwester Ann?“ Zweifelnd blickte Clare Marchant die Mutter Oberin an. „Ich fühle mich wie eine Hochstaplerin, wenn ich so tue, als würde ich dem Heiligen Orden Herz Jesu angehören.“
„Mein Kind, ich rate Ihnen dringend, sich um Ihrer eigenen Sicherheit willen als Nonne zu verkleiden. Torrente ist einer der gefährlichsten Orte überhaupt in Brasilien. Wegen seiner Nähe zur kolumbianischen Grenze sind Drogen- und Menschenschmuggel dort an der Tagesordnung, und angeblich hat man junge Frauen in der Stadt zur Prostitution gezwungen. Es ist ein Ort ohne Gesetz, den sogar die Polizei meidet. Die Bosse der Drogenkartelle haben wenig Achtung vor dem Leben, aber wenigstens noch einen gewissen Respekt vor der Kirche.“
Freundlich lächelte die Mutter Oberin die junge Engländerin an. Sie sah ihr an, wie mitgenommen sie war. Die Schatten unter ihren Augen zeugten von vielen schlaflosen Nächten.
„Sie sind nach Brasilien gekommen, um Ihre Schwester zu suchen und das Lösegeld zu zahlen, das ihre Kidnapper verlangen. Sie sind bereit, sich in Gefahr zu begeben, um jemandem zu helfen, den Sie lieben, und zumindest die Kirche kann Ihnen ein gewisses Maß an Schutz gewähren.“ Schwester Anns Miene wurde ernst. „Ich muss Sie bestimmt nicht daran erinnern, dass die Männer, die Becky entführt haben, völlig skrupellos sind.“
Clare folgte dem Blick der Nonne zu der Schatulle auf dem Schreibtisch, und ihr wurde übel, als sie an den Inhalt dachte. Denk nicht daran, ermahnte sie sich. Trotzdem sah sie das abgeschnittene und in Papiertaschentücher eingewickelte Ohrläppchen vor sich. Sie hoffte, es stammte nicht von Becky. Man hatte ihre wunderschöne Schwester während eines Fotoshootings auf der Straße vor dem Fünf-Sterne-Hotel in Rio de Janeiro entführt, und die Vorstellung, dass die Entführer sie verstümmelt hatten, war unerträglich.
Clare riss den Blick von der Schatulle los und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, der an der Wand im Büro der Mutter Oberin hing. Die graue Tracht reichte ihr bis zu den Knöcheln, dazu trug sie flache schwarze Schnürschuhe. Zu guter Letzt setzte die Mutter Oberin ihr einen Schleier auf. Jetzt, da ihr rotbraunes Haar bedeckt war, wirkte sie eleganter, ja, kultivierter, so wie Becky. Nur die Sommersprossen auf ihrer Nase passten nicht so ganz dazu.
„Der weiße Schleier wird von Novizinnen getragen, bevor sie das Gelübde ablegen und den schwarzen bekommen“, erklärte Schwester Ann. „Sie brauchen also kein schlechtes Gewissen zu haben, denn Sie wirken nun wie eine junge Frau, die mit dem Gedanken an ein religiöses Leben spielt. Außerdem haben Sie Trost in der Kapelle der Heiligen Jungfrau Maria gesucht, als Sie in Rio de Janeiro eingetroffen sind.“
Das Keuschheitsgebot erfülle ich auf jeden Fall, denn ich bin mit vierundzwanzig immer noch Jungfrau, dachte Clare ironisch. Mark hatte sie sogar als prüde bezeichnet, doch sie hatte nur sichergehen wollen, dass er der Richtige für sie war.
England und ihre Trennung von ihm schienen zu einem anderen Leben zu gehören. Am Montagmorgen war sie wie immer pünktlich in der Agentur ihrer Eltern, A-Star PR, erschienen und hatte jenen schicksalhaften Anruf ihres Vaters erhalten.
„Im Schreiben der Entführer steht, dass sie Becky töten, wenn ich ihre Anweisungen nicht befolge“, hatte Rory Marchant mit bebender Stimme hinzugefügt. „Ich soll das Lösegeld persönlich überbringen, aber ich kann deine Mutter nicht allein lassen, und ich wage ihr nicht zu sagen, dass Becky in Lebensgefahr schwebt. Wir müssen jede Art von Stress von Tammi fernhalten, denn ein zweiter Schlaganfall könnte tödlich sein.“ Dann hatte er die Fassung verloren. „Clare, ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich möchte meine geliebte Tochter retten, aber ich will meine Frau nicht verlieren.“
Sofort hatte sie sich bereit erklärt, nach Brasilien zu fliegen und das Lösegeld zu übergeben. Dabei hatte sie zu verdrängen versucht, dass ihr Vater sie nie als seine geliebte Tochter bezeichnet hatte. Ihre Schwester hatte für die beiden immer an erster Stelle gestanden, was allerdings nicht verwunderlich war, weil sie als Kind schwer erkrankt war und fast gestorben wäre. Außerdem liebte sie Becky und mochte sich gar nicht ausmalen, was sie gerade durchmachte.
Clare blinzelte die plötzlich aufsteigenden Tränen weg und wandte sich zu der Mutter Oberin um. „Vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie sind alle so nett zu mir. Ich hatte Angst und habe mich schrecklich allein gefühlt, als Schwester Carmelita mich in der Kapelle ansprach.“
Sie dachte an ihre Ankunft vor zwei Tagen in Rio de Janeiro. Den Anweisungen der Kidnapper folgend, hatte sie in einem heruntergekommenen Motel eingecheckt und dort auf einen Anruf oder ein Schreiben gewartet. Zu ihrem Entsetzen hatte sie jedoch die Schatulle mit dem abgeschnittenen Ohrläppchen erhalten. Auf der beiliegenden Notiz wies man sie an, nach Torrente zu fahren, das, wie sie herausfand, im äußersten Westen von Brasilien lag, im tiefsten Regenwald und mehr als dreitausend Kilometer von Rio entfernt. In ihrer großen Verzweiflung hatte sie die Kapelle in der Nähe ihres Motels aufgesucht und sich Schwester Carmelita anvertraut. Diese hatte ihr einen Flug nach Manáus im Norden gebucht, und gleich nach ihrer Ankunft vor vierundzwanzig Stunden hatte Schwester Ann alles für ihre Weiterreise nach Torrente in die Wege geleitet.
„Ich wünschte, Sie würden doch zur Polizei gehen“, sagte Schwester Ann besorgt.
„Ich kann nicht. Die Kidnapper sagten, sie würden Becky umbringen, wenn ich irgendjemandem von der Entführung erzähle. Es war schon sehr riskant, mich an Ihren Orden zu wenden.“
Das Motorengeräusch eines Wagens, der in den Hof fuhr, veranlasste die Mutter Oberin, ans Fenster zu treten. „Senhor Cazorra ist da.“
Clare hob ihren Rucksack hoch. „Der Goldsucher, der mich nach Torrente bringt, kennt den Grund für meine Reise nicht, stimmt’s?“
„Keine Sorge, Ihr Geheimnis bleibt innerhalb der Klostermauern. Ich habe Diego erzählt, dass Sie einen Job in der Sonntagsschule antreten und bis zum Wochenende dort sein müssen.“
Clares Magen krampfte sich zusammen. Am Sonntag wollten die Kidnapper ihr mitteilen, wo die Lösegeldübergabe stattfinden sollte. Sie nahm ihre Aktentasche vom Schreibtisch, die fünfhunderttausend Pfund enthielt.
„Ich muss Sie vor dem Goldsucher warnen“, sagte Schwester Ann.
„Warnen?“ Clares Anspannung verstärkte sich. „Sie sagten doch, ich könnte ihm vertrauen.“
„Er wird Sie sicher nach Torrente bringen, denn er kennt den Regenwald wie kein anderer. Er ist ein guter Mann, der den Schwestern schon oft geholfen hat, aber er gilt als …“ Nach einer Pause fügte die Nonne vorsichtig hinzu: „Na ja, er ist gern mit Frauen zusammen. Er ist sehr charmant.“
„Sie meinen, er ist ein Casanova?“ Das wäre einer ihrer geringsten Sorgen, denn sie konnte nur an ihre Schwester denken. „Ich komme schon mit ihm zurecht“, fuhr Clare grimmig fort, während sie der Mutter Oberin in den Hof folgte.
Diego Cazorra beobachtete, wie das Sonnenlicht, das von dem Buntglasfenster des Klosters reflektiert wurde, Regenbogenfarben auf den Boden im Hof zauberte. Seltsam, oft findet man Schönheit in den einfachsten Dingen, dachte er. In der Diamantmine, die er zusammen mit seinem engen Freund und Geschäftspartner Cruz Delgado besaß, hatte er ein paar der wertvollsten Diamanten gefunden, die man je in Brasilien geschürft hatte. Aber die Reinheit des Sonnenlichts rührte ihn in einer Art und Weise an, wie es funkelnde Juwelen nie vermochten.
Die zwei Jahre, die er in einem der berüchtigten Gefängnisse Brasiliens verbracht hatte, hatten ihn gelehrt, die einfachen Dinge im Leben wertzuschätzen – das Gefühl der warmen Sonne im Gesicht, wenn er aus einem Minenschacht kam, oder der Anblick des wolkenlosen blauen Himmels, den er während seiner Haft so vermisst hatte.
Die Erinnerungen daran, was ihm als Teenager widerfahren war, waren nie verblasst, aber Diego hatte gelernt, die Vergangenheit auszublenden. Nur gegen die Albträume war er machtlos. Nun rief er sich den Grund für seinen Besuch hier im Kloster am Rand von Manáus, der Hauptstadt des Bundesstaats Amazonas, ins Gedächtnis. Am Vortag hatte die Mutter Oberin ihn angerufen und ihn gebeten, eine der Nonnen in eine Stadt an der Grenze zu Kolumbien zu bringen.
Diego runzelte die Stirn. Torrente war ein gottverlassenes Dreckloch mit einer hohen Kriminalitätsrate, in der selbst eine ganze Schar von Nonnen vermutlich nichts hätten ausrichten können. Die Favela, in der er seine Kindheit verbracht hatte, war genauso schlimm gewesen, und er hatte keine Lust, an einen Ort zu fahren, der ihn an seine Vergangenheit erinnerte. Doch er würde nie vergessen, dass der einzige Mensch, der ihm damals geholfen hatte, ein Priester gewesen war, Pater Vincenzi. Obwohl er nicht religiös war, fühlte er sich eng der Kirche verbunden, die ihn buchstäblich aus dem Gefängnis geholt und ihm sein Leben zurückgegeben hatte.
Er musste nächste Woche nach Rio fliegen, um in dem Nachtclub, der ihm gehörte, nach dem Rechten zu sehen. Danach stand ein Geschäftstreffen mit Cruz in Europa an, weil sie über seine Beteiligung in dem gemeinsamen Unternehmen Delgado Diamonds und der Diamantmine, die sie die Alte Betsy getauft hatten, sprechen wollten. Aber er konnte sich ein paar Tage freinehmen. Vielleicht hätte er sogar Gelegenheit, sich eine Mine anzusehen, in der es geologischen Gutachten zufolge Diamantvorkommen gab.
Als Diego aus dem Jeep stieg und seinen ramponierten Lederhut zurechtrückte, beobachtete er, wie die Tür zum Kloster aufschwang.
Die Mutter Oberin eilte auf ihn zu, wobei ihr schwarzer Schleier und ihre graue Tracht in der Brise wehten. „Wie schön, Sie zu sehen, Diego“, begrüßte sie ihn auf Englisch, was seltsam war, denn normalerweise unterhielten sie sich in ihrer Muttersprache Portugiesisch. „Ich möchte Ihnen Schwester Clare aus England vorstellen, die kürzlich unserem Orden beigetreten ist.“
Das löste also ein Geheimnis. Umso unerklärlicher war allerdings die Tatsache, dass sein Herz plötzlich zu rasen begann. Starr betrachtete Diego die zierliche Gestalt, die ebenfalls eine graue Tracht trug und Schwester Ann folgte. Ihr weißer Schleier rahmte ein herzförmiges Gesicht mit den blauesten Augen, die er je gesehen hatte. Sie hatten die Intensität eines Saphirs, was durch ihre helle makellose Haut noch hervorgehoben wurde.
Er war schockiert über seine Reaktion auf die englische Nonne und überrascht, weil sie noch so jung war, schätzungsweise Anfang zwanzig und damit nur wenige Jahre älter als er, als er ins Staatsgefängnis von Belo Horizonte gekommen war. Er konnte nicht begreifen, warum eine so schöne junge Frau diesen Weg wählte.
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Senhor Cazorra.“ Ihre Stimme klang sehr melodiös.
„Schwester …“ Diego nahm seinen Hut ab und streckte ihr die andere Hand entgegen. Ihre Hand verschwand förmlich in seiner, und ihm wurde bewusst, wie zart sie war und wie schwielig seine. Plötzlich stellte er sich vor, wie Schwester Clare seinen nackten Körper streichelte. Er fragte sich, wie sie wohl unter der formlosen Tracht aussehen mochte, unter der sich trotzdem ihre festen, runden Brüste abzeichneten.
Sofort rief er sich zur Ordnung, denn sie war eine Nonne und selbst für einen Frauenheld wie ihn tabu. Im Gegensatz zu ihm hatten die Drogenbosse in Torrente allerdings kein Gewissen und würden ihre Unschuld bestimmt nicht respektieren.
„Sie wollen sicher aufbrechen, bevor das Unwetter aufzieht, Diego“, riss Schwester Anns Stimme ihn aus seinen Gedanken. „Wann werden Sie voraussichtlich in Torrente eintreffen?“
Da er die junge Nonne nicht in eine Stadt bringen wollte, wo ihre Sicherheit nicht garantiert wäre, traf er schnell eine Entscheidung. „Leider kann ich die Fahrt nicht antreten. Wie Sie wissen, hat die Regenzeit in diesem Jahr früh eingesetzt, und die heftigen Niederschläge, die für die nächsten Tage vorausgesagt sind, werden die Straßen unpassierbar machen.“
„Aber wir müssen fahren.“ Schwester Clare kam auf ihn zu und blieb vor ihm stehen. Da sie so zierlich war, musste sie zu ihm aufblicken. „Sie haben sich bereit erklärt, mich hinzubringen.“ Ihre Stimme klang jetzt fordernd. „Ich muss bis Sonntag in Torrente sein.“
Diego runzelte die Stirn. „Nichts für ungut, Schwester, aber Sie werden dort an einer Sonntagsschule unterrichten. Es geht nicht um Leben und Tod, und ich möchte nicht Wochen oder gar Monate in Torrente festsitzen. Die Straße an der Grenze verwandelt sich bei Regen in eine Schlammpiste.“ Energisch setzte er seinen Hut wieder auf, bevor er zu seinem Jeep zurückkehrte. „Tut mir leid, Sie müssen Ihren Job im Frühjahr antreten.“
Doch als er gerade einsteigen wollte, packte sie ihn erstaunlich fest am Arm.
„Wenn Sie sich Sorgen wegen der Niederschläge machen, können Sie mir Ihren Wagen leihen? Dann fahre ich selbst.“
„Der Regen hier in Amazonas ist nicht mit dem in England vergleichbar. Es sind wahre Wolkenbrüche, die oft Überflutungen und Erdrutsche nach sich ziehen. Ich leihe niemandem meinen Wagen, Schwester. Und selbst wenn ich es machen würde, wie wollen Sie ihn mir zurückbringen?“
Clare biss sich auf die Lippe, als sie ihren Fehler bemerkte. „Bestimmt finde ich jemanden, der ihn Ihnen zurückbringt.“ Ihr Mut sank, als der Goldsucher den Kopf schüttelte, denn er war ihre einzige Hoffnung, ihre Schwester zu retten. „Bitte, Senhor Cazorra. Ich muss nach Torrente.“
Diego fluchte leise, als er die Tränen in ihren Augen schimmern sah. Er konnte einem hübschen Gesicht nie widerstehen. „Ist der Job Ihnen denn so wichtig?“
Ihre blauen Augen schienen noch dunkler zu werden. „Man … hat mich nach Torrente berufen“, erwiderte sie bewegt.
Hilfesuchend wandte er sich an Schwester Ann. „Es ist ein gefährlicher Ort, vor allem für eine junge Frau.“
„Manchmal müssen wir Courage zeigen, so wie der Priester, der Ihnen damals geholfen hat“, erinnerte diese ihn.
„Verdammt“, stieß er hervor. Es stimmte, wäre Pater Vincenzi nicht so mutig gewesen, die Rolle des Gefängnispfarrers anzunehmen, würde er immer noch in einer Zelle verrotten oder wäre längst tot.
„Also gut, ich bringe Sie hin“, sagte er zu der englischen Nonne. „Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt. Wir fahren sofort los, und mit etwas Glück entkommen wir dem Unwetter.“
„Danke.“ Ihr engelsgleiches Lächeln bewirkte, dass sein Herz sich zusammenkrampfte. Als sein Blick erneut zu ihren Brüsten schweifte, reagierte er noch auf eine ganz andere Weise. Anscheinend lebe ich schon zu lange enthaltsam, sagte er sich zynisch. Sobald er wieder in Rio wäre, würde er eine seiner Geliebten besuchen, von denen viele als Tänzerinnen in seinem Nachtclub arbeiteten.
Sein Leben als reicher Unternehmer war ganz anders als das entbehrungsreiche Dasein seiner Kindheit. Seine Mutter war drogenabhängig gewesen und hatte ihn vernachlässigt. So war er schon als kleiner Junge in der Favela umhergestreift und hatte Dinge gesehen, die nicht für Kinderaugen bestimmt waren. Manchmal, wenn er richtig Angst gehabt hatte, hatte er Zuflucht bei seinem Freund Cruz Delgado gesucht. Als Teenager war er gegen das Leben im Slum abgehärtet gewesen. Doch als er seine Mutter eines Nachts schwer verletzt vorgefunden hatte, zusammengeschlagen von ihrem Dealer, weil sie Schulden bei ihm hatte, war er ausgerastet – mit katastrophalen Folgen.
Schnell schüttelte Diego die Erinnerungen ab und blickte zu der Mutter Oberin, die im Kloster verschwunden war und nun mit einer Kiste Mineralwasser zurückkehrte. „Sie brauchen genug zu trinken für die Reise“, erklärte sie.
Er zuckte die Schultern. „Stellen Sie das Wasser in den Kofferraum“, wies er Schwester Clare an. „Ich inspiziere noch mal den Motor.“
Mit zittrigen Händen nahm Clare die Kiste entgegen. Als sie hinten in den Jeep kletterte, sank sie auf die Knie, unendlich erleichtert, weil sie den Goldsucher überredet hatte, sie nach Torrente zu bringen. Das Herz klopfte ihr zum Zerspringen, aber nicht nur aus Angst vor dem, was vor ihr lag.
Diego Cazorra war der fantastischste Mann, dem sie je begegnet war. Während ihrer Tätigkeit für die Agentur ihrer Eltern war sie Hunderten gutaussehender Typen begegnet, doch keiner von ihnen, Mark eingeschlossen, reichte an den verführerischen Brasilianer heran.
Sie betrachtete ihn durch die Fensterscheibe. Zuerst war ihr seine Größe aufgefallen. Er maß gut einsneunzig, hatte schmale Hüften und trug verwaschene Jeans und derbe Lederstiefel. Das enge schwarze T-Shirt betonte seine breiten Schultern und seinen muskulösen Oberkörper.
Am meisten hatte sie allerdings der Anblick seines dunkelblonden Haars überrascht, als er den Hut abnahm. Die silbergrauen Augen unterstrichen sein nordisches Erscheinungsbild, und die markanten Wangenknochen, das energische Kinn, der sinnliche Mund und der Dreitagebart verliehen ihm etwas Verwegenes. Das Funkeln in seinen Augen, als sein Blick auf ihren Brüsten ruhte, hatte sie verlegen gemacht.
Er war ein gefallener Engel mit einem überwältigenden Sexappeal, doch ihre Reaktion auf ihn entsetzte sie, weil sie nur an Becky denken durfte. Selbst wenn Schwester Ann sie nicht gewarnt hätte, dass er ein Frauenheld war, hätte sie es an seinen Blicken gemerkt. Noch immer verspürte sie ein sinnliches Prickeln, doch zum Glück zeichneten sich ihre harten Spitzen nicht unter der weiten Tracht ab.
Als die Motorhaube zugeschlagen wurde, zuckte Clare zusammen und blickte sich um, um einen Platz für die Flaschen zu finden. Im hinteren Teil des Jeeps gab es nur eine Sitzbank auf einer Seite, einen Campingkocher und Geschirr sowie ein paar zusammengerollte Schlafsäcke. Hinter den Sitzen stand bereits eine Kiste Bier. Clare schob sie zur Seite, um Platz für das Wasser zu machen, und entdeckte einen Stapel Bücher. Erstaunt stellte sie fest, dass sich auch ihr Lieblingsbuch, Große Erwartungen von Charles Dickens, darunter befand, außerdem andere klassische Romane von Orwell, Steinbeck und Tolstoi. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass der toughe Goldsucher Liebesgeschichten wie Anna Karenina oder Gedichte von John Keats las.
„Beten Sie etwa, Schwester?“, rief er im nächsten Moment ungeduldig. „Lassen Sie uns aufbrechen!“
Clare stieg aus und lief nach vorn. Ihr Herz krampfte sich zusammen, als sie feststellte, dass die Aktentasche mit dem Lösegeld nicht mehr auf dem Boden stand.
„Wo ist meine Aktentasche?“, fragte sie in einem Anflug von Panik.
„Ich habe sie auf den Vordersitz gestellt.“ Forschend betrachtete sie der Goldsucher. „Bleiben Sie locker! Was ist denn da so Wertvolles drin? Die Kronjuwelen?“
Sie schluckte. „Bücher für die Sonntagsschule.“ Das war nicht einmal gelogen. Schwester Ann hatte ihr ein paar Gebetsbücher für Pater Roberto, den Priester in Torrente, mitgegeben.
Gerade als sie ihre Tracht zusammenraffte, um einzusteigen, umfasste Diego von hinten ihre Taille und hob sie hoch. Einen atemlosen Moment lang war sie sich seiner Kraft bewusst und glaubte, seine Finger durch den Stoff zu spüren. Der Duft von Sandelholz und sein ureigener männlicher Geruch betörten ihre Sinne. Sie verspürte den unerklärlichen Drang, den Kopf zu wenden und die Lippen auf seine raue Wange zu pressen.
„Danke, Senhor Cazorra“, sagte sie leise, als er sie auf den Sitz verfrachtet hatte. Ihr brannten die Wangen.
„Jederzeit“, meinte er lakonisch. „Ich heiße Diego. Da wir die nächsten achtundzwanzig Stunden miteinander verbringen werden, sollten wir die Förmlichkeiten lassen.“
„Heißt das, wir schaffen es heute nicht mehr nach Torrente?“ Starr betrachtete sie ihn. „Und wo verbringen wir dann die Nacht?“
„Ich schlafe normalerweise im Kofferraum. Es ist zwar nicht besonders bequem, aber für einige Nächte geht es.“
„Ich kann nicht mit Ihnen im Jeep schlafen.“
Im Stillen musste er ihr Recht geben. Es gab nur einen Grund, warum er die Nacht mit einer Frau verbringen würde, nämlich nicht, um zu schlafen. Die unpassenden Gedanken waren ihm durch den Kopf gegangen, als er Schwester Clare in den Jeep gehoben hatte. Er hatte ihre schmale Taille fast umspannt und ihre Hüften gespürt. Er musste seine Fantasie unbedingt zügeln, wenn er nicht die ganze gut achthundert Kilometer lange Fahrt nach Torrente erregt sein wollte.
„Wir machen Rast in einer kleinen Siedlung. Die Dorfbewohner bieten einfache Unterkünfte für Touristen an, die den Regenwald erkunden wollen.“
Während er den Motor anließ, verabschiedete sich die Mutter Oberin von Clare. „Viel Glück, meine Liebe. Ich werde für Ihr Wohlergehen und für Ihre Seele beten.“
Als der Jeep das Anwesen verließ, stieg Angst in Clare auf, weil sie bald den Kidnappern begegnen würde. Und sie war traurig, die Nonnen verlassen zu müssen, weil sie sie wohl kaum wiedersehen würde.
„Viel Glück?“, wiederholte Diego. „Wenn die Mutter Oberin für Sie beten muss, ist Torrente sicher noch schlimmer als bei meinem letzten Besuch.“
Er blickte seine Beifahrerin an und fragte sich, warum sie errötete. Es betonte ihre zarten Züge und machte sie noch hübscher. Aber irgendetwas kam ihm seltsam vor. Durch seine langjährige Erfahrung in der Favela und im Gefängnis konnte er Ärger förmlich wittern. Und ich bin ein Zyniker, gestand er sich ein. Was konnte an einer so schönen jungen Nonne verdächtig sein?
Arglos erwiderte sie seinen Blick. „Bestimmt betet sie für alle Seelen, auch für Ihre, Senhor Cazorra.“
Diego verdrängte das seltsame Gefühl, dass sie nicht das war, was sie zu sein schien, und lächelte jungenhaft. „Dann hat sie aber eine Menge zu tun.“