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Nachdem er vor einer Vergangenheit geflohen ist, die ihn hätte töten sollen, hält sich Snow auf der Straße versteckt. Verrate niemandem deinen Namen. Erzähle niemandem deine Geheimnisse. Vertraue niemandem! So lauten die Regeln auf der Straße. Sein ganzes Leben ändert sich, als er einen achtjährigen Jungen vor einem gewaltsamen Ende bewahrt. Christopher Manos ist einer der mächtigsten Verbrecherbosse des Landes. Bitte niemanden, etwas zu tun, was du nicht selbst tun würdest. Geheimnisse können dich umbringen. Vertraue niemandem! Das sind die Regeln, nach denen er lebt. Als sein achtjähriger Neffe verschwindet, rechnet er nicht damit, dass der Retter des Jungen am Ende sein eigener ist. Ein Mann mit einer gefährlichen Vergangenheit und ein Mann mit einer gefährlichen Zukunft finden inmitten von Mord und Chaos ihre Liebe. Aber wenn Snows Leben auf Schritt und Tritt bedroht ist, wird Christophers Bestes ausreichen, um Snow zu beschützen?
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Seitenzahl: 301
Davidson King
© dead soft verlag, Mettingen 2022
http://www.deadsoft.de
© the author
Titel der Originalausgabe: Snow Falling (Haven Hart 1)
Übersetzung: Sophie Ruhnke
Cover: Irene Repp
http://www.daylinart.webnode.com
Bildrechte:
© Kiselev Andrey Valerevich – shutterstock.com
© Andriy Blokhin – shutterstock.com
1. Auflage
ISBN 978-3-96089-534-3
ISBN 978-3-96089-535-0 (epub)
Nachdem er vor einer Vergangenheit geflohen ist, die ihn hätte töten sollen, hält sich Snow auf der Straße versteckt.
Verrate niemandem deinen Namen.
Erzähle niemandem deine Geheimnisse.
Vertraue niemandem!
So lauten die Regeln auf der Straße.
Sein ganzes Leben ändert sich, als er einen achtjährigen Jungen vor einem gewaltsamen Ende bewahrt.
Christopher Manos ist einer der mächtigsten Verbrecherbosse des Landes.
Bitte niemanden, etwas zu tun, was du nicht selbst tun würdest.
Geheimnisse können dich umbringen.
Vertraue niemandem!
Das sind die Regeln, nach denen er lebt.
Dieses Buch ist all den Menschen gewidmet, die meinten, dass ich es nicht schaffen könne.
SNOW
»Verdammte Scheiße!«, brüllte Weezer. »Hey, verpisst euch, ihr Scheißkerle. Er ist nur ein Kind.« Ich neigte den Kopf, um in die Gasse blicken zu können, und sah, wie sich Roy und Bill mit einem kleinen Etwas anlegten. Das Kind sah nicht älter aus als zehn, wenn man großzügig war.
»Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß, Weezer, oder ich komme rüber und hole das Geld ab, das du mir schuldest.«
Weezer schrumpfte sofort hinter dem heruntergekommenen Müllcontainer zusammen, den er und ich derzeit unser Zuhause nannten. Ich hingegen schuldete weder Roy noch Bill irgendetwas, und obwohl ich wusste, dass ich gleich eine Tracht Prügel bekommen würde, konnte ich nicht zusehen, wie ein kleines Kind misshandelt wurde. »Nun, ich schulde euch einen Scheiß, also nehmt eure Finger von dem Kind!« Ohne nachzudenken, ging ich auf die beiden zu. Sie waren weit über einen Meter achtzig groß. Als ich direkt vor Roy stand, wirkte er deutlich größer als ich mit meinen knapp ein Meter siebzig.
»Wenn du nicht eine Woche lang komisch laufen willst, verschwindest du lieber, Snow«, knurrte Roy bedrohlich.
Ich hatte diesen Spitznamen nie gemocht, aber so war das nun mal mit Spitznamen: Man kann sich den eigenen selten aussuchen. Als ich vor fünf Jahren mit meinem weißblonden Haar, meinen eisblauen Augen und meiner hellen Haut auf der Straße landete, behaupteten die Leute, ich würde mit dem Schnee verschmelzen. Und auf keinen Fall hatte ich jemandem meinen richtigen Namen verraten. Das war auf der Straße nie sicher. Schon gar nicht für mich. »Das bedeutet ein paar Tage im Krankenhaus. Ein warmes Bett, Essen.« Ich zuckte mit den Schultern, um meine Angst zu überspielen, und fügte hinzu: »Klingt nach einem fairen Deal. Lasst ihn gehen, Roy.« Zum ersten Mal sah ich den Jungen, den Bill festhielt, wirklich an. Er hatte dunkles Haar und dunkle Augen. Sein Caban war locker fünfhundert Dollar wert, genau wie seine Schuhe.
Was zur Hölle macht der Junge hier draußen nachts und im tiefsten Winter?
»Du bist ein Klugscheißer, Snow! Verpiss dich.« Roy schubste mich, aber ich hatte damit gerechnet und bewegte mich kaum. »Du willst ein Held sein? Na schön. Du kannst den Jungen haben, aber ich bekomme etwas dafür im Gegenzug.«
Es war nie gut, hier draußen um etwas zu handeln. Alles hatte seinen Preis. Man verlor mehr als nur einen Penny. Es war immer etwas, das man vermisste und nie zurückbekam. Aber es ging hier um ein Kind. Ich musste das Risiko eingehen. »Was willst du, Roy?«
Er ließ seine Hand über meinen Rücken gleiten und stoppte bei meinem Hintern. Als er zudrückte, tat es weh. »Ich bekomme den hier. Du beschützt ihn wie den Heiligen Gral. Ich will ihn. Du bekommst den Jungen, ich bekomme dich.«
Wenn ich dem zustimmte, hatte ich zwei Möglichkeiten: Zustimmen, mein Wort halten und innerlich ein bisschen sterben oder zustimmen, das Kind in Sicherheit bringen und davonrennen. Weit käme ich nicht, aber Roy war nicht gerade für sein Bettgeflüster und seine sanften Streicheleinheiten bekannt. Dieser Mann war dafür bekannt, seine Geschlechtspartner vor Schmerzen schreien zu lassen. Das Alter spielte für ihn keine Rolle. Wenn du schwach warst und ein Loch hattest, warst du sein Typ. »Gut. Aber erst, nachdem ich das Kind zu seiner Familie zurückgebracht habe.« Ich versuchte, die Angst in meiner Stimme zu verbergen.
Er starrte mich eine Minute lang an. »Eine Woche. Du triffst mich hier. Zur selben Zeit am selben Ort. Wenn du das nicht tust, Snow, werde ich dich finden und du wirst dir wünschen, nie geboren worden zu sein. Verstanden?«
Bill ließ den Jungen los, nachdem ich genickt hatte. Roy und Bill warfen mir einen letzten Blick zu, bevor sie gingen.
Ich versuchte, nicht an mein drohendes Unheil zu denken. Ich sah den Jungen an, der gerade mein Leben auf den Kopf gestellt hatte. Ich setzte ein Lächeln auf und fragte: »Was zur Hölle machst du hier draußen? Wo ist deine Familie?«
Er zuckte mit den Schultern.
»Du hast doch Eltern, oder?«
Er nickte.
»Kennst du deine Adresse?«
Wieder ein Nicken.
Habe ich einen Wackeldackel gerettet?
»Kannst du mir deine Adresse nennen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Warum nicht?«
Endlich sprach er. »Du bist ein Fremder. Papa sagt, ich dürfe nicht mit Fremden reden und ihnen nie sagen, wo ich wohne, weil ich so bin, wie ich bin. Die Leute würden mich wollen und ich sei zu süß. Er sagt, ich sei wie für eine Entführung geschaffen.«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. »Du bist süß, das muss ich dir lassen. Kannst du mir sagen, wie alt du bist?«
»Acht.«
»Ich habe dich auf zehn geschätzt. Du bist groß für dein Alter. Okay, Eight, ich bin Snow.«
»Mein Name ist nicht Eight. Das ist mein Alter, nur auf Englisch«, sagte er mit einem niedlichen Stirnrunzeln.
Ich kniete mich hin, um mich auf einer Höhe mit ihm zu befinden, und fragte: »Verrätst du mir deinen Namen?«
Er schüttelte den Kopf.
»Weil ich ein Fremder bin?«
Er nickte.
»Also heißt du jetzt Eight.« Ich hielt ihm meine Hand hin und war schockiert, dass er sie nahm. »Wir gehen jetzt zur Polizei und dann werden wir herausfinden, wo du hingehörst.«
»Papa mag die Polizei nicht. Aber sie sind keine Fremden, oder?«
Sein Vater klang wie ein weiser Mann. »Ich mag die Polizei auch nicht, aber du willst mir nichts über dich erzählen. Es ist schei…, schön kalt hier draußen und du musst nach Hause zu deinen Eltern.«
»Nur zu meinem Papa, er ist mein Onkel. Meine Mutter war die Schwester meines Papas. Sie starb, als ich noch ein kleines Baby war. Er kümmert sich um mich.« Er klang nicht traurig darüber, sondern einfach nur neutral. Wenigstens bekam ich ein paar Informationen von ihm.
»Hast du eine Stieftante oder so?«
Er schüttelte den Kopf.
»Okay, nun, ein paar Blocks weiter nördlich gibt es eine Polizeiwache. Die werden dich nach Hause bringen.« Er zog an meinem Arm, als ich mich zum Gehen wandte. »Was ist los, Kumpel?«
»Und die gemeinen Jungs?« Seine Lippen zitterten leicht und ich konnte die Angst in seinen Augen sehen.
»Sie werden dich nicht mehr belästigen.«
Nur mich.
»Aber sie werden dir wehtun. In einer Woche. Genau hier. Du musst es der Polizei sagen, wenn wir dort ankommen. Okay?« Er sah mich flehend an.
War ich jemals so unschuldig? Ich kann mich nicht daran erinnern.
»Sicher. Wenn du bei deinem Papa bist, werde ich es ihnen sagen, ja?«
»Versprochen?« Er hielt seine andere Hand hoch und streckte den kleinen Finger aus.
Scheiße.
»Ich verspreche es.« Als ich einen Schritt nach hinten trat, zog er mich wieder zurück.
»Du musst den kleinen Finger einhaken und du darfst das Versprechen niemals brechen. Papa sagt, wenn du ein Versprechen brichst, bei dem die kleinen Finger verhakt waren, findet der Weihnachtsmann das heraus und du bekommst keine Geschenke.«
Verdammte Scheiße.
»Gut, ja, okay.« Schnell verhakte ich meinen kleinen Finger mit seinem. »Versprochen. Und jetzt lass uns gehen. Es wird bald schneien.«
Eight gluckste. »Snow. Das ist dein Name. Hat dein Papa dich so genannt?«
Das war einfach nur lustig. Mein Vater hatte mir viel gegeben: Prügel, blaue Flecken, Albträume und einen Tritt in den Arsch. »Nein, ich habe ihn von meinen Freunden. Es ist ein Spitzname. So wie Eight deiner ist.«
CHRISTOPHER
Ich befand mich in einer Besprechung mit meinen Geschäftspartnern, als mich Tom, mein neuer Fahrer, unterbrach, um mir mitzuteilen, dass mein Neffe verschwunden wäre.
»Was soll das heißen, du hast ihn verloren?« Ich war wie betäubt, als ich realisierte, was er mir gerade sagte. Wut brodelte direkt unter der Oberfläche.
»Er wollte Eiscreme. Es war arschkalt, also sagte ich, er solle im Auto warten, und ging zu Molly’s. Als ich zurückkam, war er nicht da.«
Das Pochen in meinen Schläfen war in meinem Beruf nichts Neues, aber der plötzliche Schmerz in meiner Brust schon. »Und du bist sofort hierher zurückgekommen, als du das bemerkt hast?«
Auf Tom wirkte ich ruhig. Frank und Donny, die seit Jahren für mich arbeiteten, wussten es besser. Beide traten einen Schritt zurück.
»Ja, Boss. Natürlich.«
Idiot.
Es war nicht leicht, einen Schreibtisch umzukippen, aber ich war zwei Meter groß. Ich war ein Riese. Durch meine Adern flossen griechisches und italienisches Blut. Er hätte festgenagelt sein können und ich hätte den Scheißtisch trotzdem umgeworfen. Der Computer, eine Lampe, alles fiel zu Boden. Das meiste davon traf Tom. »Du dummes Stück Scheiße! Du hast ein Handy. Du solltest auf der Straße sein und nach ihm suchen. Du rufst an, ich schicke Männer, so läuft das hier, du wertloser, verdammter Hurensohn.« Ich spürte, wie die Wut über Toms Unfähigkeit meinen Körper durchströmte.
Die Angst, die Tom gerade empfand, ließ sich nicht verbergen. Sein Gesicht färbte sich knallrot und Schweiß trat auf seine Stirn. »Boss, ich … Sie sagen immer, ich solle zu Ihnen kommen und …« Er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. Ein Schlag traf ihn und ließ ihn gut einen Meter durch den Raum fliegen.
»Helft ihm auf.«
Donny tat sofort, wie geheißen.
»Das letzte Mal, dass du ihn gesehen hast, war bei Molly’s?«
Tom nickte.
»Benutze Wörter, Tom.«
»Ja. Ja, Boss.«
»Frank, nimm dir ein paar Männer. Bringt meinen Neffen zurück.« Ohne eine Sekunde zu zögern, legte ich meine Hand um Toms Hals. »Wenn er stirbt, stirbst du. So oder so bist du erledigt! Schafft ihn mir aus den Augen. Er verlässt das Haus nicht.«
»Verstanden.« Donny zerrte einen murmelnden Tom aus meinem Arbeitszimmer.
Maggie, meine Köchin, kam mit Kaffee herein, warf einen Blick auf das Chaos auf dem Boden und schaute mich besorgt an. »Oh, Mr. Manos. Sie haben eine ziemliches Durcheinander angerichtet.« Sie zwinkerte mir zu. »Ich bringe das in Ordnung.«
»Ich mach das schon, Maggie. Lass einfach den Kaffee hier.« Nachdem ich den Schreibtisch wieder an seinen Platz gestellt hatte, lehnte ich mich gegen das Bücherregal und rieb mir die Schläfen.
Maggie berührte sanft meinen Arm. Ich konnte nicht sagen, wie lange ich schon dort stand. Als ich den Kopf hob, sah ich, dass sie die meisten meiner Papiere wieder auf meinen Schreibtisch gelegt hatte. »Können Sie mir sagen, was passiert ist, oder ist das einer dieser Ich-darf-es-nicht-wissen-Momente?«
Maggie war seit über dreißig Jahren in meiner Familie. Als meine Schwester gestorben war, hatte sie getrauert, als hätte sie ihre eigene Tochter verloren. Als ich Simon bei mir aufgenommen hatte, liebte sie ihn, als wäre er ihr Enkelkind. Sie hatte ein Recht darauf, es zu erfahren.
»Simon wird vermisst.« Meine Stimme war eher ein Flüstern, aber ihrem Gesichtsausdruck nach, hätte man meinen können, ich hätte es ihr ins Gesicht geschrien. Es hielt nur einen Moment an, dann schloss sie die Augen, holte tief Luft und sah mich an.
»Sie werden ihn finden, Mr. Manos. Simon ist ein kluger Junge. Wahrscheinlich ist er gleich zur Polizei gegangen.«
Zur Polizei. Natürlich!
»Du hast recht. Er ist der beste Junge. Wahrscheinlich hat er genau das getan.«
Maggie beugte sich vor und legte die letzten Papiere auf den Schreibtisch. Ich ließ sie gewähren, sie musste das tun. Es war ihre Art, Liebe und Fürsorge zu zeigen. Typisch Maggie. Sie drückte mich ein letztes Mal, lächelte und verließ das Arbeitszimmer.
Ich schickte Frank eine SMS, damit er die nächste Polizeiwache in der Nähe von Molly’s überprüfte. Zehn lange Minuten später schrieb er zurück und informierte mich, dass ein Penner einen gut gekleideten Jungen gesehen hatte, der von ein paar Arschlöchern belästigt worden war. Offenbar war ein kleiner Typ dazwischengegangen und hatte das Kind mitgenommen.
Dieser Wichser! Ich werde ihn in Stücke reißen.
Der Name Manos war ein Synonym für Verbrechen. Mein Vater nannte es immer intelligente Verbrechen. Keiner hatte bisher auch nur einen Tag hinter Gittern gesessen. Der Name Manos war sehr bekannt. Meine einzige Hoffnung war, dass Simon sich daran erinnerte, was ich ihm über Fremde gesagt hatte, und niemandem erzählte, wer er war. Den Neffen von Christopher Manos zu haben, war ein Sechser im Lotto. Er könnte an meine Feinde verkauft werden.
Lösegeld. Gott, was, wenn jemand, den ich verärgert habe, ihn hat? Würden sie ein Kind verletzen, um an mich ranzukommen? Natürlich würden sie das. Man braucht nur die Nachrichten einzuschalten und sieht allein in den ersten zwanzig Minuten zehn Berichte über Kinder.
Zum ersten Mal, seit meine Schwester auf dem Sterbebett gelegen hatte, betete ich. Damals hatte Gott mich nicht erhört, aber ich hoffte, dass er es diesmal tat.
SNOW
»Niemals. Du machst wohl Witze! Captain America ist nicht cooler als Iron Man.«
Eight und ich hatten uns auf einer Bank auf der Wache niedergelassen. Einer der Polizisten hatte versucht, ihn dazu zu bringen, in einem Raum zu warten, aber er hatte gesagt, er wollte mit mir auf der Bank warten, bis sein Papa käme.
»Er steht auf der richtigen Seite der Gerechtigkeit!« Eight hob die Faust.
»Iron Man auch! Ihre Ansichten sind etwas unterschiedlich, aber ihr Ziel ist das gleiche.«
Eight lachte.
»Außerdem ist Robert Downey Junior heißer.«
Als Eight aufhörte zu lachen und mich einfach nur anstarrte, wurde mir klar, was ich gesagt hatte. »Bist du schwul?«, fragte er, als ob er sich nach dem Wetter erkundigte.
»Das bin ich.«
Er lächelte.
Ich wusste nicht, warum, aber offenbar fand er mein Schwulsein amüsant. Ich kam nicht dazu, ihn zu fragen, weil Eights Aufmerksamkeit auf die Tür gelenkt wurde. Als ich über die Schulter blickte, sah ich einen riesigen Kerl, der von drei anderen ebenso großen Männern flankiert war.
»Frank!«, rief Eight und rannte auf den großen Mann an der Spitze zu. »Du hast mich gefunden.«
»Oh, Gott sei Dank«, sagte Frank sichtlich erleichtert. Er umarmte Eight, küsste ihn auf den Kopf und sah auf.
Ich lächelte über das Wiedersehen, aber der Blick, den Frank mir zuwarf, war eher mörderisch als dankbar.
»Wer zum Teufel bist du? Geilst du dich etwa an kleinen Jungs auf, du kranker …?«
»Woah.« Ich wich zurück und hob beschwichtigend die Hände. »Wir sind hier auf einer Polizeiwache. Denken Sie nach, bevor Sie handeln.«
Frank sah sich um. »Du kommst mit mir mit.« Er griff nach mir, aber ich wich noch weiter zurück.
»Auf keinen Fall, Balu. Ich bleibe hier.«
»Oh, stimmt ja«, sagte Eight, als er hinter zwei der Typen hervorlugte. »Er muss mit der Polizei über die bösen Männer reden. In einer Woche werden sie ihm wehtun.«
Frank schaute zu Eight und dann wieder zu mir. »Welche Männer? Wovon redet Simon?«
Simon. »Ha!« Ich zeigte auf Eight. »Ich weiß jetzt, wie du heißt.« Die Zunge herauszustrecken, war nicht sehr erwachsen, aber es brachte Simon zum Lachen.
»Genug!«, bellte Frank. Der Polizist am Schreibtisch schaute herüber, aber mit einer Handbewegung von Frank konzentrierte er sich wieder auf seine Arbeit.
Wer ist dieser Typ?
»Ich frage noch einmal: welche Männer? Wovon redet Simon?«
»Keine Ahnung.« Ich sah zu Simon.
Dieser hielt seinen kleinen Finger hoch. »Du hast es versprochen, Snow!« Er zog an Franks Mantel. »Zwei Männer haben versucht, mich zu entführen. Snow ist dazwischengegangen und hat mich gerettet wie Captain America …«
»Iron Man«, meinte ich.
»Wie Captain America«, fuhr er fort, als hätte ich ihn nicht korrigiert. »Und sie sagten, dass sie ihn in einer Woche zur gleichen Zeit und am gleichen Ort treffen würden und dass Snow ihnen etwas geben müsse.«
Frank schaute mich kurz an, dann wieder zu Simon. »Ihnen was geben?«
Simon zuckte mit den Schultern. »Weiß ich nicht, aber es ist in seiner Hose, glaube ich.«
So peinlich.
»Keine Sorge. Ich habe, was sie brauchen. Ich komme schon klar. Eight, sei brav. Renn nicht mehr einfach so durch die Stadt. Frank, freut mich, Sie kennengelernt zu haben. Sie haben ein tolles Kind.«
Ich hätte wissen müssen, dass ich nicht weit kommen würde. Frank packte mich am Arm. »Er ist nicht mein Kind. Sein Papa wird sicherlich gerne mit dir sprechen wollen. Irgendetwas sagt mir, dass du dich aus dem Staub machen wirst, wenn du durch diese Tür gehst, und ich habe keine Zeit, nach dir zu suchen. Deshalb denke ich, dass du erst einmal mit uns kommen wirst.« Sein ernster Ton machte deutlich, dass es keine Bitte war.
Als ich mich auf der Polizeiwache umsah, war ich schockiert, dass sich keine Polizisten einmischten, obwohl das hier definitiv eine Entführung war. Ich sollte nicht allzu überrascht sein. Schließlich war die Polizei, meiner Meinung nach, nicht gerade dafür bekannt, das Richtige zu tun. »Gefahr durch Fremde!«, rief ich, was Simon nur zum Lachen brachte.
»Nein, Snow, wir sind keine Fremden mehr. Du kommst mit nach Hause und mein Papa wird dich beschützen. Das ist sein Job.«
Wer zur Hölle ist sein Vater?
Das Überleben hing stark davon ab, die richten Kämpfe zu wählen. Als ich mich auf der Wache umsah, war mir klar, dass ich mit meiner Wahl nicht gewinnen würde. Frank und seine Schläger würden mich nicht gehen lassen. Falls ich entkäme, wären Roy und diese Typen hinter mir her. »Ich glaube nicht, dass ich eine Wahl habe, oder?«
Frank schüttelte den Kopf.
»Okay, na dann. Vorwärts, mein Lieber!«
Wenn die Limousine nicht schon ein Hinweis darauf war, dass Simons Vater unglaublich reich war, dann war es die riesige Villa mit dem Eisentor. Zwei große Ms waren in das Eisen eingearbeitet. Das Haus sah mittelalterlich aus. In der Mitte der kreisförmigen Einfahrt standen ein Brunnen und ein paar Wasserspeier, die Wasser aus ihren Mündern spuckten … Oder waren es Augen? Grauer Stein, Eisen und Dunkelheit formten dieses Haus. Wer auch immer dieser Kerl war, er war nicht nur reich, sondern auch mächtig. Ich beugte mich nach vorn und flüsterte in Simons Ohr: »Ist dein Papa Tony Stark?«
Simon gluckste. »Nein, du Dummkopf, er ist Christopher Manos.«
Christopher Manos? Oh, verdammte Scheiße. Wenigstens steht Iron Man auf der richtigen Seite der Gerechtigkeit.
»Komm, Snow, du kannst meinen Papa kennenlernen!« Simon nahm meine Hand und zog mich mit aller Kraft aus der Limousine.
Als wir die Steintreppe erreichten und ich aufblickte, stand ich nicht nur dem gefährlichsten Mann der Stadt gegenüber, sondern auch dem attraktivsten. Er war breit gebaut und ich konnte die Muskeln in seinen Armen und Beinen sogar durch seinen teuren Anzug hindurch sehen. Er hatte mitternachtsschwarzes Haar und obsidianfarbene Augen. Es bestand kein Zweifel, dass er und Simon verwandt waren.
»Papa!« Simon rannte ihm in die Arme.
Der Mann fing ihn sofort auf und hob ihn hoch, ohne seinen Blick von mir abzuwenden.
»Das ist Snow. Er hat mich gerettet.«
»Mr. Manos, es freut mich, Sie kennenzulernen. Ich muss Ihnen sagen, dass ich nicht hierherkommen wollte. Ich wurde gezwungen. Sie haben ein wunderschönes Haus und ein großartiges Kind, und ich würde gern nach Hause, also wenn Sie mich einfach gehen lassen würden …«
Er starrte mich kalt an. »Sie wissen nicht, dass mein Haus schön ist. Sie haben es gar nicht gesehen. Lassen Sie uns das ändern. Kommen Sie herein.« Er drehte sich um und ging hinein.
Der Stupser von Frank war wahrscheinlich die einzige Ermutigung, die ich bekommen würde.
Hoffentlich sterbe ich nicht.
CHRISTOPHER
»Maggie, würdest du bitte Dr. Harris anrufen, damit er sich Simon ansieht? Ich will sichergehen, dass es ihm gutgeht.«
Maggie lächelte Simon an und neigte dann den Kopf, um etwas hinter mir zu betrachten. Wahrscheinlich den weißhaarigen Typen.
»Kannst du auch Kaffee und Saft in mein Arbeitszimmer bringen?« Ich sah Simon an und fragte: »Hast du Hunger?«
Sein Lächeln war breit. »Mir geht’s gut, Papa, vielleicht eine Kleinigkeit.« Er sah Maggie an, die nur lächelte und wegging, um Simon Kekse oder etwas Ähnliches zu holen. »Du musst Snow helfen. Mir geht es gut, niemand hat mir wehgetan. Na ja, nicht niemand …«
Ich war nicht für meine ruhige Art bekannt. Als Simon sagte, dass ihm jemand wehgetan hätte, drehte ich mich um und packte diesen Snow mit einer Hand am Kragen. »Sie haben ihn angefasst?«
Die Augen des Mannes weiteten sich, seine Angst war offensichtlich. »Ich habe seine Hand gehalten. Beruhigen Sie sich. Er meinte nicht mich. Warum lassen Sie ihn nicht alles erzählen, bevor Sie mir eine reinhauen?« Er zog eine perfekte, schimmernde weiße Augenbraue hoch. Der verängstigte Kerl von vor wenigen Augenblicken begann zu verschwinden.
»Papa, das war nicht Snow. Er ist ein guter Kerl. Er hat die bösen Männer davon abgehalten, mir wehzutun, aber sie werden ihm wehtun. Du musst ihm helfen. Bitte.« Ich schaute zu Simon und sah, wie sein Kinn zitterte. »Sie werden ihm wehtun, Papa. Ganz doll.«
Ich ließ Snow sofort los und hockte mich hin, um Simon zu umarmen. »Keine Sorge, Kumpel. Nicht weinen. Du bist in Sicherheit und wir werden eine Lösung finden. Okay?«
Er nickte an meiner Schulter.
»Ich bin mir sicher, Maggie hat alles für dich vorbereitet, also lass uns Kekse essen und Milch trinken.« Ich trug Simon ins Arbeitszimmer und vertraute darauf, dass Frank den Typen dazu brachte, uns zu folgen.
Während er uns beobachtete, setzte er sich auf die Couch, auf die Frank zeigte. Sein Blick schweifte durch den ganzen Raum und ich erwischte mich bei dem Gedanken, was ihm wohl durch den Kopf ging.
Maggie kam mit einem Tablett mit Kaffee, Saft, Milch und Keksen herein, worauf sich Simon sofort stürzte. Er reichte dem Typen einen Keks. »Iss, Snow. Die sind so gut. Maggie macht sie mit Erdnussbutter und Schokolade. Keine Walnüsse, davon bekomme ich ein Jucken im Hals. Hast du irgendwelche Allergien? Ich mag keine Walnüsse und Pfirsiche. Aber ich weiß nicht, ob es eine Allergie ist oder ich sie einfach nur hasse.« Simon plapperte weiter und weiter und meistens waren die Leute davon genervt, aber dieser Typ, Snow, lächelte Simon einfach an, nahm den Keks und knabberte daran, während Simon weitersprach. »Einmal habe ich einen Pfirsich gegessen und mich verschluckt. Ich glaube, das liegt an den Haaren, aber ich weiß es nicht genau. Deswegen halte ich mich einfach von ihnen fern, weißt du?«
Snow nickte.
»Also, hast du Allergien?«
»Nicht, dass ich wüsste. Als ich klein war, wurde mir mal von Marshmallows schlecht und jetzt kann ich sie nicht einmal mehr ansehen. Mein Magen dreht sich dabei sofort um. Aber das ist keine Allergie.«
Simon und Snow redeten eine Weile und ich ließ es zu, fasziniert davon, wie sehr Simon sich ihm gegenüber öffnete. Er redete mit jedem, der ihm einen Moment Zeit ließ, aber dass er Snow wie jemanden behandelte, den er schon ewig kannte, schockierte mich. Er hatte nicht viele Freunde in der Schule, was ich nicht verstand.
»Ich liebe S’mores. Da sind Marshmallows drin, also magst du sie wahrscheinlich nicht, oder?«
Snow zuckte mit den Schultern. »Vielleicht probiere ich sie mal. Vielleicht mag ich sie inzwischen wieder.«
Das brachte Simon zum Lächeln und er reichte Snow einen weiteren Keks.
»Simon.« Meine Stimme unterbrach das Gespräch der beiden. Simon und Snow sahen mich beide an. Es war fast komisch, als hätten sie vergessen, dass noch jemand da war. »Ich würde gerne mit Mr. Snow sprechen. Möchtest du duschen gehen, während Maggie dir einen Film vorbereitet?«
»Ähm …« Er schaute Snow an. »Wirst du morgen früh hier sein?«
Snow räusperte sich und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. »Wahrscheinlich nicht, Kleiner. Ich muss wieder los.«
»Aber …« Simon schniefte. »Diese Männer. Snow, bitte bleib hier. Nur bis Papa sich darum gekümmert hat. Bitte.« Er stürzte sich auf Snow und schluchzte in sein Hemd.
Ich ging auf ihn zu, bis Snows Worte mich aufhielten. »Ich bleibe bis zum Morgen.«
Ach, wird er das?
Das schien Simon zu beruhigen und er küsste Snow auf die Wange, umarmte mich und verließ mit Maggie das Arbeitszimmer.
»Ich werde nicht bleiben. Ich wollte nur nicht, dass er traurig ist, also keine Panik, dass ich hier übernachte.« Snows Reaktion war nicht überraschend. Mein Gesicht verriet wahrscheinlich die leichte Verärgerung, die ich empfand.
»Jetzt müssen Sie bleiben. Sie haben es Simon versprochen. Maggie wird dafür sorgen, dass Sie im Gästezimmer untergebracht werden. Aber hören Sie …« Als ich Snow gegenübersaß, sah ich, dass er ein wenig schmutzig war. Nicht ekelhaft, aber sein Haar war voller Staub oder etwas Ähnlichem. Seine Schuhe hatten oben ein Loch, aber seltsamerweise sah er glücklich aus. »Was ist heute Abend passiert?«
Snow blickte zur Decke und sammelte sich. »Eight war zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein paar Typen wollten ihm etwas antun. Ich bin dazwischengegangen, jetzt ist er in Sicherheit.«
Hat er Eight gesagt?
»Wer ist Eight?«
Snow lächelte und etwas in meinem Magen kribbelte. »Mein Spitzname für ihn. Er wollte mir seinen Namen nicht verraten, aber er hat mir sein Alter genannt. Ich wollte ihn nicht Kind oder so was nennen, also habe ich ihn Eight genannt.«
Niedlich.
»Aber dadurch, dass Sie Simon gerettet haben, sind Sie nicht mehr sicher?«
Snow zuckte mit den Schultern.
Ich sah Frank hilfesuchend an, aber auch er zuckte nur mit den Schultern. Na toll. »Von welcher Art von Ärger sprechen wir?«
Snow begegnete mir mit einem Blick, der Bände sprach. Er wirkte leicht und unbekümmert, aber hinter diesen kristallblauen Augen steckte Erfahrung. Er hatte Dinge gesehen und kannte die Spielregeln. »Ich werde tun, was ich tun muss, um zu überleben. So wie ich es immer getan habe.«
»In was für Schwierigkeiten stecken Sie? Ich frage Sie nicht noch einmal, Mr. Snow!« Ich stand auf und war schockiert, als er ebenfalls aufstand.
»Hören Sie mit dem Mr. auf! Und Sie sind niemand, der das Recht hat, mich herumzukommandieren. Sie haben den Jungen wieder, er ist in Sicherheit. Was kümmert es Sie, in was für Schwierigkeiten ich stecke?« Snows Hände ballten sich zu Fäusten. Seine Augen waren wie blaues Feuer.
Ich nahm sein indirekt angebotenes Du an. »Es kümmert mich nicht. Simon schon. Er gehört zu meiner Familie und er mag dich. Also werde ich dir helfen.« Mit einer Geste an Frank reichte er mir ein Tablet und einen Stift. »Wie heißen diese Typen und wie sehen sie aus?«
Snow brauchte eine Minute, bevor er sich wieder hinsetzte. »Ich werde die Stadt verlassen. Es spielt keine Rolle. Lass gut sein.« Über Snows Gesicht huschte ein Schatten der Niederlage.
»Das kann ich nicht. Ich werde dich nicht aufhalten, wenn du die Stadt verlassen willst. Nun, ich könnte, aber ich werde es nicht. Aber diese Kerle haben meinen Neffen angefasst. Das wird Konsequenzen haben. Also, wer sind sie?«
Snow starrte mich eine gute Minute lang an. Dann flackerte ein Hauch von Sanftheit in seinen Augen auf. »Eight ist ein toller Junge. Ich konnte nicht zulassen, dass sie ihm etwas antun. Niemand hat so ein Leben verdient, schon gar nicht ein Kind.«
Ich beobachtete Frank, den großen, harten Kerl, wie er Snow mit fast traurigem Blick ansah.
»Roy und Bill. Man findet sie meistens bei Axel’s Auto Body auf der Fünften. Die kaufen und verkaufen Metall und so. Ich war noch nie dort, aber es sollte nicht schwer zu finden sein. Ansonsten lauf durch die Straßen und such nach … na ja, du weißt schon.«
»Sie werden dir nichts antun, Snow.« Als er zu mir aufblickte, bestand kein Zweifel daran, dass er über die Freundlichkeit in meiner Stimme ebenso schockiert war wie ich selbst. »Bleib über Nacht. Meine Leute werden sie suchen. Willst du ihnen etwas sagen?«
»Deinen Leuten?« Snow sah Frank und die anderen vier Männer im Raum an. »Ähm … viel Glück da draußen. Seid stark. Trefft gute Entscheidungen?«
Frank lachte, woraufhin die anderen mitlachten.
»Nein.« Ich konnte meine Belustigung nicht verbergen. »Willst du Roy und Bill etwas sagen, sobald ich sie habe?«
»Warum?«, fragte Snow offensichtlich verwirrt über diesen Vorschlag.
»Snow, du weißt, wer ich bin, ja?«
Er nickte.
»Roy und Bill werden niemanden mehr belästigen. Ich biete dir an, mit ihnen abzuschließen. Willst du das?«
»Abschließen?« An Snows Gesichtsausdruck war zu erkennen, dass er darüber nachdachte. »Ich habe noch nie wirklich mit etwas abgeschlossen.« Er blinzelte mich an. »Wirst du sie töten?«
»Stell keine Fragen, deren Antworten dir nicht gefallen würden, Kleiner«, antwortete Frank für mich.
»Du darfst sie nicht umbringen.« Snow war jetzt panisch.
Interessant.
»Warum nicht?«
»Roys Vater ist der Chef der russischen Mafia«, antwortete Snow nervös.
»Moment. Roy ist Roman Sokolov, der Sohn von Boris Sokolov?«
Snow nickte.
»Warum hast du das nicht gleich gesagt und warum verkauft er Metall und treibt sich auf der Straße rum?«
»Weißt du, Informationen sind wie eine Währung auf der Straße. Ich habe nichts gesagt, weil ich dir nicht vertraut habe und es, ehrlich gesagt, immer noch nicht tue. Aber du scheinst das bessere von zwei Übeln zu sein und ich stecke in der Mitte fest. Weezer, mein Freund, sagte mir, dass Boris jeden sich von unten hocharbeiten lässt. Sohn oder nicht, Roy muss es auch. Er hasst es, aber er macht es, weil, na ja, du weißt schon. Ein Typ hat Roy mal geschlagen und seine Hände wurden in einem Müllschlucker entsorgt. Du verstehst also, warum ich die Stadt verlasse, oder? Wenn du Roy tötest, beginnst du einen Krieg.«
Frank rückte näher an mich heran. »Ruf Boris an. Ich will morgen ein Treffen mit ihm. Er soll seinen Sohn und den Freund seines Sohnes, diesen Bill, mitbringen. Wir müssen reden.«
Snow starrte ihn mit offenem Mund an.
»Du wirst auch da sein«, sagte ich, bevor ich mich wieder setzte.
SNOW
Als Kind lernt man, zu akzeptieren, dass Eltern, Lehrer und andere Autoritätspersonen einem sagen, wie die Dinge laufen. Auch wenn Christopher Manos ein Gangsterboss war, ich konnte nicht anders, als mich wie ein Zehnjähriger mit Hausarrest zu fühlen, der eine Auszeit brauchte. In diesem Fall wäre der Hausarrest für mich tödlich.
»Was meinst du damit, ich werde da sein? Das kann ich nicht. Ich reise gleich morgen früh ab.«
Christopher verengte die Augen. »Es wird keinen Ort geben, an dem du dich verstecken kannst, ohne dass die Familie Sokolov dich findet. Ihre Verbindungen reichen bis nach Russland. Wenn Roman etwas von dir will, wird er dich finden. Ich biete dir meine Hilfe an.«
Er musste mich für einen Idioten gehalten haben. »Nein, das tust du nicht. Du bist wütend, weil er etwas angefasst hat, das dir gehört, und du willst es ihm heimzahlen. Benutz mich nicht auf deinem Kreuzzug für die Gerechtigkeit.«
Schlau, den Gangsterboss zu verärgern.
»Du hast eine große Klappe.« Er nippte an seinem Kaffee, bevor er wieder sprach. »Du hast mir eine Menge Arbeit erspart. Ich bin dir dankbar. Ich kann bekommen, was ich will, und du kannst bekommen, was du willst.«
Was ich wollte. Das war lustig. »Nichts für ungut, aber du weißt nicht, was ich will.«
Christopher starrte mich an wie jemand, der versuchte, einen Zauberwürfel zu lösen. »Was willst du denn?«
Das fragte mich niemand mehr. Ich erinnerte mich daran, wie mir dieser alte Mann auf der Straße einmal von den Regeln erzählt hatte. Von den Wegen, um zu überleben: Verrate nie jemandem deinen richtigen Namen. Und verrate nie jemandem, was du dir am meisten auf der Welt wünschst. Beides macht dich verwundbar. »Danke, dass ich hier übernachten darf. Ich bleibe nicht bis zu deinem Treffen. Ich will nicht, dass Roy, Bill oder Boris wissen, dass ich etwas damit zu tun habe.«
Christopher holte tief Luft, stellte seine Tasse ab und stützte sich mit den Ellbogen auf die Knie. »Du bist Teil davon. Roy wird wissen, dass du etwas damit zu tun hast, sobald das Treffen beginnt. Hör zu«, er klopfte sich auf die Knie und stand auf, »ich will dich nicht gegen deinen Willen hierbehalten, aber ich werde es tun.«
Scheiße, so viel dazu, dass er gesagt hatte, er würde es nicht tun. »Du willst mich zwingen, zu bleiben?« Dieser Typ war es gewohnt, zu bekommen, was er wollte. Ich nicht, aber ich hatte herausgefunden, wie man überlebte. Es gab keine Möglichkeit, ihm das auszureden.
»Wenn ich es muss. Du kannst mit mir oder gegen mich arbeiten.«
Es war kein Nachdenken erforderlich. Die Entscheidung lag nicht bei mir, aber er brauchte nicht zu wissen, dass ich so schnell zustimmte. Ich sagte das ABC in meinem Kopf auf, bevor ich antwortete. »Gut. Aber wenn ich sterbe, werde ich dich bis in alle Ewigkeit heimsuchen.«
Christopher lächelte überraschenderweise. »Ich verstehe, warum Simon dich mag.«
Hochmütig fragte ich: »Weil ich toll bin?«
»Nein, weil du dich aufführst, als wärst du fünf.«
Ich hatte keine Gelegenheit, mich zu verteidigen.
»Frank, kannst du Snow zeigen, wo sein Zimmer ist?« Schnell verließ Christopher den Raum und Frank stellte sich neben mich.
»Okay, Balu, zeig mir meine Zelle.« Das einzige Anzeichen dafür, dass er mich gehört hatte, war ein Kichern. »Wird die Tür von außen verriegelt sein, damit ich nicht ausbrechen kann?«
»Du wirst nicht weglaufen.« Sein Ton war ernst. Er war sich seiner Sache sicher.
»Dann kennst du mich nicht besonders gut.« Der skeptische Blick, den Frank mir zuwarf, war nichts Neues. Ich wurde immer falsch eingeschätzt. Ich zwinkerte.
»Mach keinen Ärger. Mein Boss mag dich. Wenn du abhaust, erschießt er dich persönlich.«
Nun, jetzt werde ich keine schönen Träume mehr haben.
»Warum persönlich? Ist das nicht dein Job?«, versuchte ich, zu scherzen, weil es in der Vergangenheit funktioniert hatte, aber Frank hielt inne und funkelte mich an.
»Er hat eine Regel. Er bittet niemanden, etwas zu tun, was er nicht selbst tun würde. Er behält dich aus persönlichem Interesse hier. Wenn es sein muss, wird er dich selbst bestrafen. Gib ihm keinen Grund dazu. Du hast heute Abend etwas Gutes getan. Hör auf, gegen ihn zu kämpfen.«
Ich war von seinen Worten verblüfft.
Wir gingen den Rest des Weges schweigend. Als wir anhielten, sprach Frank wieder. »Es lässt sich weder von außen noch von innen abschließen. Du kannst dich frei bewegen. Wenn du Hunger hast, geh in die Küche. Du bist kein Gefangener, Mr. Snow.«
»Nur Snow«, murmelte ich.
»Gut, Snow. Fühl dich wie zu Hause.« Er öffnete die Tür und ließ mich allein.
Als ich eintrat, gingen automatisch ein paar Lichter an der Decke und neben dem Bett an und erhellten den Raum. Es war ein wunderschönes Zimmer mit einem riesigen Bett aus dunklem Holz und mit frischen weißen Laken.
Verdammt, da will ich draufspringen! Was soll’s?
Ich blieb dreißig Zentimeter vor dem Bett stehen und merkte, wie schmutzig ich war. Wenn ich draufspringen würde, würde ich es dreckig machen. In diesem Moment klopfte jemand an die Tür. »Herein.«
Eine kleine Frau, vielleicht Anfang zwanzig, trat mit Kleidung und einem Paar Arbeitsstiefel in der Hand ein. »Hallo, Mr. Snow, ich bin Lisa. Mr. Manos hat mich gebeten, mich um Sie zu kümmern, solange Sie hier sind.«
Ich muss in der Twilight Zone sein.