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Was würdest du tun, wenn das Schicksal dir eine zweite Chance anbietet?
Nele ist schon immer in Josh verliebt. Doch Josh weiß nicht einmal, dass es Nele gibt. Das ändert sich auf einer Kreuzfahrt im Mittelmeer, auf der Josh zusammen mit seinen Ex-Bandkollegen, den Blossoms Four, ein letztes Mal vor seinen Fans auftreten darf.
Für Leadsänger Josh ist es eine Reise voller schmerzhafter Erinnerungen und bestürzender Erkenntnisse. Als er auf die lebenslustige Nele trifft, vergisst er für einen Moment die Dämonen seiner Vergangenheit. Er begehrt sie, auch wenn er weiß, dass sie tabu für ihn ist.
So unbekümmert wie Nele auf Josh zunächst wirkt, ist sie nicht. Auch sie kämpft bis heute mit einer bedrückenden Erfahrung.
Werden sie ihre Sorgen gemeinsam über Bord werfen können, um dem Leben und der Liebe eine neue Chance zu geben?
Bei "Sommer, Sonne, Strand und Liebe" handelt es sich um einen in sich abgeschlossenen Einzelroman.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Sommer, Sonne, Strand und Liebe
Nele & Josh
Über das Buch:
Nele gewinnt bei einem Preisausschreiben eine Reise auf einem Kreuzfahrtschiff quer durchs Mittelmeer. Der Urlaub verspricht Sommer, Sonne, Strand und Meer, und das Beste: Sie trifft dort die Jungs der Band Blossoms Four, ihrer Lieblingsband aus Teenietagen. Die Band gibt es nicht mehr, nachdem Josh, der Leadsänger der Gruppe, einen verhängnisvollen Fehler begangen hat.
Zehn Jahre nach ihrem Karriereaus dürfen die vier Jungs der Blossoms Four endlich wieder auf einer Bühne stehen und gemeinsam Musik machen. Doch schon bald ist es nicht mehr nur das, was Josh von ganzem Herzen begehrt. Nele stiehlt sich heimlich, still und leise in sein Herz, auch wenn er sich mit Händen und Füßen dagegen zu wehren versucht. Er ist nicht gut für sie. Sein Herz will das jedoch nicht wahrhaben.
So unbeschwert, wie der Ozeanriese durchs Meer gleitet, ist die Reise weder für Nele noch für Josh. Sie kommen sich näher, nur um zu spüren, dass die Dämonen ihrer Vergangenheit sie noch immer fest im Griff haben.
Über die Autorin:
Mila Summers, geboren 1984, lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern in Würzburg. Sie studierte Europäische Ethnologie, Geschichte und Öffentliches Recht. Nach einer plötzlichen Eingebung in der Schwangerschaft schreibt sie nun dramatische und humorvolle Liebesromane mit Happy End und erfreut sich am regen Austausch mit ihren LeserInnen.
Bisher von der Autorin erschienen:
»Liebe ist«-Reihe
Liebe ist nur mit Dir
Liebe ist ein Glücksfall
Liebe ist ganz nah
Liebe ist ein Wunder
Liebe ist nicht nur ein Gefühl
»Geschichten aus Port Isaac«
Der erste Sommer mit dir
Zuckersüßer Sommer
Weihnachten in Cornwall
Frühlingsküsse in Cornwall
Sommerküsse in Cornwall
»Manhattan-Love-Stories«
Irresponsible desire (Band 1)
Irrepressible desire (Band 2)
Irresistible desire (Band 3)
»Tales of Chicago«-Reihe
Küss mich wach (Band 1)
Vom Glück geküsst (Band 2)
Ein Frosch zum Küssen (Band 3)
Küsse in luftiger Höhe (Band 4)
Zum Küssen verführt (Band 5)
»Social-Web-Trilogie«
Instafame oder Gummistiefel in Acryl
Facebook Romance oder nach all den Jahren
Twinder oder die Irrungen und Wirrungen der Liebe
»Weihnachten im Ort der Wunder«
Küsse unter dem Mistelzweig
Liebe und andere Weihnachtswunder
Alle Teile sind in sich abgeschlossen und können unabhängig voneinander gelesen werden. Allerdings gibt es ein Wiedersehen mit den Protagonisten der vorhergehenden Bücher.
Weitere Bücher der Autorin:
Vielleicht klappt es ja morgen. Liebe in …
Rettung für die Liebe
Liebe lieber einzigartig
Auf einmal Liebe
Sommer, Sonne, Strand und Liebe – Nele & Josh
Ein zauberhaftes Weihnachtsgeschenk
Verloren sind wir nur allein
Ein Sommer in Schottland
Weihnachten in Cornwall
Mit dir bin ich unendlich
Wie das Leuchten von Bernstein (erschienen im Heyne-Verlag unter dem Pseudonym Nele Blohm)
Schneegestöber (Charity-Buchprojekt für die Stiftung Bärenherz in Wiesbaden)
MILA
SUMMERS
Sommer, Sonne, Strand und Liebe
Nele & Josh
Roman
Deutsche Erstauflage Juni 2018
Copyright © Mila Summers
Lektorat: Dorothea Kenneweg
Korrektorat: SW Korrekturen e.U.
Covergestaltung: Nadine Kapp
Covermotiv: Shutterstock © Kovalov Anatolii / EpicStockMedia / Evgeny Karandaev
Impressum: D. Hartung
Frankfurter Str. 22
97082 Würzburg
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder teilweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Menschen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Nele
»Meinst du wirklich, es ist eine gute Idee, gerade jetzt in den Urlaub zu fahren?«
Meine große Schwester sah mich mitleidig an, während ich meinen Koffer packte. Wahllos nahm ich stapelweise Shirts, kurze Hosen, Kleider und Unterwäsche aus dem Schrank zu meiner Rechten und legte sie auf das Bett.
»Nachdem du deinen Job verloren hast, wäre es doch sicher klüger, erst einen neuen zu finden, bevor du eine solch teure Reise unternimmst.«
Daher wehte der Wind. »Die Reise habe ich bei einem Preisausschreiben gewonnen. Wenn ich sie nicht antrete, dann ist der Gewinn futsch. Außerdem wäre Conny sicher böse, wenn ich plötzlich doch nicht mitfahren würde«, erklärte ich nüchtern.
Meinen eigentlichen Grund, an der Kreuzfahrt mit der MeinBoot festzuhalten, verheimlichte ich Sybille lieber. So freute ich mich nämlich nicht nur auf eine Woche Auszeit, sondern auch auf ein exklusives Meet & Greet mit der Band, die mich meine Jugend über begleitet hatte.
Zudem brauchte ich dringend einen Tapetenwechsel. Die Sache mit meiner Kündigung hing mir noch in den Knochen. Am liebsten würde ich diese ungute Angelegenheit weit, weit hinter mir lassen.
»Ruf doch noch mal bei der Reederei an. Vielleicht können die dir den Gewinn ja auszahlen. Die verstehen deine Lage bestimmt, und Conny hat doch noch andere Freundinnen, die mit ihr verreisen könnten.«
Ich lachte. »Sybille, da sitzen keine Gutmenschen, die nur darauf warten, dass jemand wie ich anruft und ihnen mein Leid klagt. Wenn ich nicht aufs Schiff gehe, dann ist mein Gewinn im Gesamtwert von dreitausend Euro weg.«
Seit meine große Schwester Kinder bekommen hatte, war sie nicht mehr verreist. Sybille war knapp zehn Jahre älter als ich, und ihr größter Sohn war gerade ins Gymnasium gewechselt. Sie selbst arbeitete seit der Geburt ihrer Kinder nicht mehr. Schließlich war es als Deutschlehrerin kaum möglich, neben dem Job und den Kindern auch noch zu Hause zu korrigieren. Ein Ding der Unmöglichkeit, das hatte ich mir in den letzten Jahren immer wieder von ihr sagen lassen.
Meine Eltern waren auch Lehrer und hatten sie stets in ihrer Entscheidung bekräftigt. Ich hingegen hatte mich für ein Wirtschaftsstudium mit Schwerpunkt Marketing entschieden und war nach der Uni vom Fleck weg von einer großen Druckerei engagiert worden. Alles war gut gewesen, bis zu diesem einen Tag, nach dem nichts mehr so war wie zuvor. Auch wenn man mich ließe, ich würde nie mehr in dieses Büro zurückkehren können.
»Dreitausend Euro?« Sybilles Stimme klang leicht hysterisch, während sich ihre Augen ungewöhnlich weiteten. »Das ist verdammt viel Geld.« Sie überlegte einen Moment. »Wenn du es irgendwie schaffen könntest, dass dir die Reederei das Geld ausbezahlt, könntest du demnächst vielleicht endlich in eine eigene Wohnung ziehen, dein Leben selbst in die Hand nehmen.« Freudestrahlend nickte sie mir zu wie ein Wackeldackel, der neben der gehäkelten Klopapierhaube auf der Rücksitzbank eines in die Jahre gekommenen Rentnerautos durchs Land fuhr.
Auf diesen Vorschlag hatte ich gerade noch gewartet. Der bildete an diesem bescheidenen Tag nur die Spitze des Eisberges. Eines Eisberges, der unter der Wasseroberfläche mindestens so hoch war wie der Kilimandscharo.
»Papa ist ganz froh, dass ich noch da bin. Er hat sonst keinen, der mit ihm Schach spielt. Mama geht lieber zu ihren Tupper- und Kirchenchorabenden, anstatt sich mit ihrem Mann zu beschäftigen.«
»Nele«, echauffierte sich meine Schwester und schloss die Tür in ihrem Rücken. Ihre Kinder spielten unten mit Opa. Ich kannte Sybille nur zu gut. Es wäre ihr mehr als unangenehm gewesen, wenn die beiden etwas von unserem Gespräch mitbekämen. »Was ist bloß los mit dir? So kenne ich dich ja gar nicht. Die Sache mit deiner Arbeit scheint dich ganz schön aus der Bahn geworfen zu haben.«
Ich schluckte, als die Bilder in meinem Kopf wieder aufflackerten, die ich seit Wochen zu verdrängen versuchte. »Nein, das ist es nicht. Ich muss einfach mal wieder raus, was anderes sehen, Abstand zu allem gewinnen.«
Zu allem und jedem, schoss es mir durch den Kopf. Natürlich musste ich mir auch Gedanken machen, was ich nach meiner Kündigung mit meinem Leben anfangen wollte. Die kleine Auszeit mit Conny würde mir dabei helfen, wieder klarer zu sehen.
Nun legte Sybille einfühlsam ihre Hand auf meine Schulter. »Ich bin für dich da, wenn du mich brauchst. Das weißt du.«
Ein kaum hörbarer Seufzer entfuhr meiner Kehle. Die Zeiten, in denen meine Schwester und ich uns nahegestanden hatten, waren lange vorbei. Sie war irgendwann gegangen, hatte geheiratet und Kinder bekommen, während ich in meinem Elternhaus, unweit von Frankfurt, geblieben war.
Ich rang mich zu einem Lächeln durch und blickte meiner Schwester in ihre großen grünen Augen. Sie war das krasse Gegenteil von mir: groß, schlank, heller Teint, Sommersprossen, rotes, langes, glänzendes Haar. Um Sybille in die Augen blicken zu können, musste ich meinen Kopf ein ganzes Stück in den Nacken legen. Meine blonden, langen Haare standen morgens in alle Richtungen ab. Ich brauchte eine halbe Ewigkeit, um sie in Form zu bringen. Dagegen wirkte meine große Schwester immer wie aus dem Ei gepellt.
»Klar doch«, erwiderte ich so überzeugend, wie es mir möglich war.
Sybille lächelte. Augenscheinlich war es mir geglückt, sie von meinen Worten zu überzeugen.
Dennoch nahm sie ihre Hand wieder von meiner Schulter. In unserer Familie war man nie besonders herzlich miteinander umgegangen. Während andere Kinder nach Klassenfahrten von der Umarmung ihrer Eltern beinahe vor Liebe zerquetscht worden waren, hatte Mama sich lediglich zu einem behutsamen Tätscheln der Schulter hinreißen lassen, und Papa hatte seine Mundwinkel kaum merklich angehoben.
Neidisch hatte ich dann immer meine Mitschüler beobachtet, die mit so viel Liebe überschüttet wurden und es nicht einmal bemerkten. Aber das lag hinter mir. Genau wie das Leben in der Druckerei. Es gab nichts, was mich länger hier hielt.
Mein Flug ging in knapp fünf Stunden. Bis dahin musste ich noch packen, Mama erklären, wie man ihr neues Tablet bediente, das sie heute von Papa zum Geburtstag bekommen hatte, und ein paar Romane auf meinen E-Reader laden.
Papa hatte es wie immer nur gut gemeint, als er meiner Mutter das Tablet geschenkt hatte. Dumm nur, dass er solchen Medien überaus skeptisch gegenüberstand und damit auch keine Ahnung von der Materie hatte. So lag es mal wieder an mir, Mama diese neue technische Errungenschaft näherzubringen. Für gewöhnlich half ich wirklich gerne, aber im Moment blieb mir kaum Zeit dafür.
»Sybille, sag mal, könntest du Mama nicht erklären, wie ihr Tablet funktioniert?« Meine große Schwester war aus Düsseldorf mit ihrer Familie zum Kaffee und Kuchenessen angereist. Zumindest an den Geburtstagen unserer Eltern und zu Weihnachten und Ostern ließ sie sich hier noch blicken.
»Ich weiß nicht.« Seit sie ausgezogen war, blieben diese leidigen Techniksachen immer an mir hängen. »Du kannst das bestimmt viel besser. Schließlich arbeitest du doch viel mehr mit diesen neuen Medien und dem ganzen Kram.«
»Welchen Kram meinst du?« Irritiert starrte ich Sybille an, die immer das neueste iPhone besaß und über zweitausend Follower auf Instagram hatte. Wahnsinn, wie interessiert die Leute an einer einfachen Hausfrau waren, die ab und an ein Bild aus ihrem Alltag hochlud und vorwiegend Naturfotos postete.
»Na, hier, dieses …« Sybille schnippte mit den Fingern. »Du weißt schon …«
Ich blickte sie fragend an. Wenn meine große Schwester nicht weiterwusste, dann begann sie, sich in abgehackte Sätze zu flüchten in der Hoffnung, man würde von ihr ablassen und zu einem neuen Thema übergehen. Doch so leicht würde ich es ihr dieses Mal nicht machen.
»Komm schon, Sybille, eben sagst du noch, du bist immer für mich da, und dann lässt du mich doch wieder hängen. Du kannst ruhig auch mal was für unsere Eltern machen. Ich bin immer diejenige, die sich um die Neuanschaffungen kümmern muss, die Papa vorzugsweise an Weihnachten und Mamas Geburtstagen anschleppt.«
Sie lächelte. »Weil du nun mal diejenige von uns beiden bist, die das besonders gut kann.«
Die Tour wieder. Ich war es so leid, dass jeder glaubte, die gute Nele wäre für alle da und konnte schamlos ausgenutzt werden. Schließlich hatte ich ja keinen Partner oder gar Kinder, um die ich mich sorgen musste. Gleich würde sie wieder Finn und Lisbeth ins Rennen schicken.
»Ich bin so froh, einmal nichts machen zu müssen. Finn ist gerade in der Pubertät, und Lisbeth hat einen imaginären Freund, den sie immer und überall mit hinnehmen will.«
Ich seufzte. Diesmal so laut, dass es meine Schwester auch hören konnte. »Finn ist gerade einmal zehn Jahre alt, und erklär mir doch bitte, inwieweit dich Lisbeths Geist beansprucht.«
Sybille schnaubte. »Hast du eine Ahnung. Finn ist in der Vorpubertät. Er hört nicht mehr auf mich, macht nur noch das, worauf er Lust hat. Derweil treibt mich seine kleine Schwester mit ihrem Arthur in den Wahnsinn – so nennt sie ihren unsichtbaren Freund. Gestern erst meinte sie, wir müssten heute auf den Friedhof fahren und eine Grabstelle für mich aussuchen. Arthur hätte ihr zugeflüstert, dass ich bald das Zeitliche segnen würde und damit dringend eine letzte Ruhestätte bräuchte. Das muss man sich einmal vorstellen.« Theatralisch ließ sie sich auf mein Bett plumpsen und setzte sich dabei, ohne mit der Wimper zu zucken, auf das Cocktailkleid, das ich extra für das Meet & Greet in die Reinigung gebracht hatte.
Außerdem konnte man als Singlefrau auf Reisen ja nie wissen, wem man über den Weg lief. Vielleicht war unter Umständen sogar der Mann fürs Leben dabei. Wobei ich überhaupt keine Lust hatte, irgendwelche Männer zu daten. Es war anstrengend, kräftezehrend und meist nur von wenig bis gar keinem Erfolg gekrönt.
»Ich denke nicht, dass Lisbeth es so gemeint hat. Die Kinder schnappen im Kindergarten so viele merkwürdige Dinge auf.« Dabei hatte ich überhaupt keine Ahnung, was die heutigen Kinder im Kindergarten so aufschnappten. Schließlich hatte ich ja noch keine eigenen.
Plötzlich und ohne Vorwarnung begann meine große Schwester zu weinen. »Sie hasst mich«, schluchzte sie. »Ich weiß es, sie hasst mich.«
Genervt verdrehte ich die Augen. Sybille war schon immer eine blendende Schauspielerin gewesen, und wenn sie nicht bekam, was sie wollte, dann drückte sie eben auf die Tränendrüse.
»Sie hasst dich nicht. Warum sollte sie?«, versuchte ich sie zu beruhigen, während Sybille lautstark in ein Taschentuch schnäuzte.
Besorgt blickte ich derweil auf meine Armbanduhr, deren Zeiger unnachgiebig voranschritten und mir damit für die Bewältigung meiner Aufgaben immer weniger Zeit ließen.
»Gut, dass du fragst«, holte Sybille in diesem Moment aus, und ich wusste, dass ich ihr in die Falle gegangen war. Jetzt würde sie mir alles haarklein erzählen und nicht eher Ruhe geben, bis ich ihrer Ansicht war. Mein Ohr blutete allein schon beim Gedanken daran.
»Sybille, ich würde dir wirklich unglaublich gerne zuhören …« Hilfe suchend blickte ich mich nach dem rettenden Strohhalm um, der mich aus dieser Situation befreien konnte. »Aber ich muss Mama ja noch das Tablet erklären und meine Sachen packen.« Erst zu spät begriff ich, dass es genau das war, worauf meine Schwester hinauswollte.
»Da kann man nichts machen.« Freudestrahlend sprang sie von meinem Bett auf und lief zur Tür. »Ach, übrigens, die weiten Shirts und die wenig vorteilhaft geschnittenen Hosen, die du für deine Reise ausgesucht hast, werden dir sicher nicht sonderlich behilflich sein, wenn du dich unterwegs auf die Suche nach dem Partner fürs Leben machst.« Schließlich hielt sie inne. »Wenn du einen Mann von dir überzeugen möchtest, dann solltest du auf deine optischen Reize setzen. Du hast so ein schönes Gesicht. Für deine hohen Wangenknochen, deine üppigen Lippen und die großen blauen Kulleraugen beneidet dich jede Frau. Und dann erst deine weibliche Figur.« Dabei ließ sie ihren Blick über meinen Körper gleiten, hielt an meinem schwarz-weiß gestreiften, bauchfreien Top und meiner weiten Jeanshose inne. »Wusste gar nicht, dass man wieder bauchfrei trägt. Ist doch ziemlich Neunziger. Findest du nicht? Du solltest dringend über dein Äußeres nachdenken. So kriegt man ganz sicher keinen Mann ab. Zumindest keinen, der es ernst mit dir meint. Der Heiratsmarkt ist stark umkämpft. Es gibt unzählige junge, begabte und wunderschöne Frauen in deinem Alter, die dir Konkurrenz machen. Ehe du dichs versiehst, bist du die Letzte, die noch übrig geblieben ist, und dann ist guter Rat teuer. Willst du denn so enden wie Tante Irmtraut?«
Papas Schwester war fast sechzig. Sie war nie verheiratet gewesen, und man munkelte, sie wäre noch immer Jungfrau. Wenn ich da an die wenigen, nicht besonders erregenden Male zurückdachte, die ich mit einem Mann Sex gehabt hatte, fehlte mir für diesen Umstand jedoch jegliches Bedauern.
Im Grunde war meine Tante zu beneiden. Anstatt sich darüber verrückt zu machen, als Einzige leer ausgegangen zu sein, hatte sie ihr Leben selbst in die Hand genommen, war als Geschäftsführerin einer Modekette sehr erfolgreich gewesen, lebte ihr Leben, wie sie es wollte, verreiste viel und war niemandem Rechenschaft schuldig.
»Warum nicht?«, erwiderte ich trocken und lachte innerlich auf, als ich den irritierten Gesichtsausdruck meiner Schwester erblickte.
Sie zögerte, legte eine Hand auf die Klinke. »Also gut, ich werde nach unten gehen und Mama das Tablet, so gut es mir möglich ist, erklären. Du hast jetzt wichtigere Dinge zu tun. Pack auch ausreichend Kosmetika in den Koffer. Ein bisschen Farbe kann nicht schaden. Wer weiß, vielleicht lernst du auf der Reise ja einen Millionär kennen, der dich vom Fleck weg heiraten will.«
»Oder einen Scheich, der noch einen Platz in seinem Harem frei hat«, witzelte ich.
Sybille sah mich besorgt an. Zum Lachen war ihr gar nicht mehr zumute. »Ich denke, du solltest wirklich dringend mal rauskommen. Die letzten Jahre hast du mehr am Computer gesessen, als gut für dich war.« Dann blickte sie sich in meinem Zimmer um. »Und warum hängen hier eigentlich noch immer die Poster der Boybands aus deiner Jugend? Sag bitte nicht, dass du immer noch eine Schwäche für den Leadsänger der Blossoms Four hast. Der Typ ist mittlerweile bestimmt fett oder verheiratet. Oder beides.« Sie machte kurz Pause, um anschließend rasant Anlauf zu nehmen und mir noch weitere ihrer lehrreichen Sinnsprüche um die Ohren zu schleudern.
»Urlaub ist sicher genau das Richtige für dich, um mal etwas anderes zu sehen. Nimm dir Zeit, deine Ziele neu auszuloten und den Weg dorthin festzumachen.«
Genervt verdrehte ich meine Augen. »Sybille, hör auf, mich zu belehren. Ich bin eine erwachsene Frau, die sehr wohl weiß, was sie vom Leben will.« Das stimmte so zwar nicht ganz, allerdings war meine Schwester die letzte Person auf Erden, der ich das anvertraut hätte.
Mit meinen vierundzwanzig Jahren stand ich an einem Punkt in meinem Leben, von dem aus ich nicht wusste, wo es langging. Geradeaus? Oder doch lieber wieder zurück? Links oder rechts?
Eins stand jedoch für mich außer Frage: Ich wollte verreisen, um etwas von der Welt zu sehen, und nicht, um mir einen Mann zu angeln. Das Thema befand sich auf meiner Agenda an unterster Stelle. Viel zu enttäuschend waren da die wenigen Bekanntschaften gewesen, die ich bisher in meinem Leben gemacht hatte. Erst recht nach dem unsäglichen Vorfall neulich im Büro …
Nun war es an meiner Schwester, genervt dreinzublicken. »Nele, sei mir nicht böse, aber du hast in den letzten fünf Jahren drei Typen gedatet und bist mit keinem länger als fünf Monate zusammen gewesen. Du kannst gar nicht wissen, was du vom Leben willst, weil du nicht einmal ahnst, was du vermissen wirst, wenn du eine Familie und Kinder kategorisch ausschließt.«
»Das habe ich so nie gesagt. Nur gerade im Moment haben eben andere Dinge Priorität.« Trotzig verschränkte ich die Arme vor der Brust.
Sybille gab nicht nach. »Eines Tages wirst du eine Familie wollen, und dann klappt es nicht mehr, weil deine biologische Uhr einfach den Geist aufgegeben hat. Willst du das? Jede Frau verspürt irgendwann den Drang, Kinder zu haben, sich um sie zu sorgen.«
»Außer Tante Irmtraud«, gab ich zu bedenken, während ich abermals auf meine Armbanduhr schielte.
»Außer Tante Irmtraud. Okay. Eins zu null für dich. Dann nimm aber wenigstens noch das kurze, rote Chiffonkleid mit dem weiten Ausschnitt mit. Ja? Darin kommen deine großen Brüste und deine schmale Taille besonders gut zur Geltung.«
»Sybille!« Ich warf eines meiner Shirts nach ihr.
Sie lachte. »Ist doch wahr. Du geizt viel zu sehr mit deinen Reizen. Ich gäbe alles dafür, noch mal so straffe Brüste zu haben wie du, glaube mir.«
Nun begann auch ich zu lachen. »Ich nehme das Kleid mit, wenn es dich beruhigt. Sonst noch etwas?«
Meine große Schwester lief einige Schritte auf mich zu. »Genieße die Zeit und komm gesund wieder.« Daraufhin nahm sie mich ohne Vorwarnung in den Arm.
»Keine Sorge. Ich kann ganz gut auf mich aufpassen«, sagte ich, und im selben Augenblick sprang mich die Erinnerung mit der Wucht eines herabstürzenden Wasserfalls an.
Es stimmte nicht. Es war mir nicht immer gelungen, auf mich aufzupassen. Ein Mal hatte ich die Kontrolle verloren.
Josh
»Fuck.« Genervt schlug ich mit der Faust gegen den Getränkeautomaten.
»Alter, was ist los mit dir?«, fragte Sam hinter mir, als ich auch noch mit dem Fuß gegen den Metallkasten vor mir zu kicken begann.
»Der verdammte Automat hat mein letztes Zwei-Euro-Stück geschluckt.« Nun schlug ich mit beiden Händen dagegen und ließ dabei die Dose nicht aus den Augen, die sich in der Ausgabenspirale verfangen hatte.
Sam legte beruhigend eine Hand auf meine Schulter und zog mich ein Stück beiseite, ehe er mir ins Gewissen redete. »Josh, krieg dich wieder ein! Die Leute schauen schon.« Er hatte recht. Die Leute in der Schlange, die sich hinter uns gebildet hatte, sahen mich mit großen Augen an, ganz so, als warteten sie nur darauf, dass ich so richtig ausrastete. »Ich kauf dir deine beschissene Coke da drüben im Laden. Wenn du so weitermachst, dann kriegen wir noch richtig Ärger. Und wenn es dumm läuft, dann nimmt uns die Airline später nicht mit, und Phil feiert am Ende seinen Junggesellenabschied allein mit Mitch. Kannst du das verantworten?«
Nein, das konnte ich nicht. »Ist ja schon gut.« Abwehrend hob ich die Hände in die Höhe.
Doch Sam redete immer weiter auf mich ein. »Ich sag dir, wenn du uns diese Sache hier verdirbst, dann rede ich nie wieder auch nur ein Wort mit dir.« Drohend erhob er den Finger und blickte mir dabei tief in die Augen. »Das ist unsere zweite Chance, vielleicht unsere letzte, und die werde ich mir von dir nicht vermasseln lassen.«
Wir beide wussten nur zu genau, worauf Sam anspielte.
»Bro, mach dich mal locker. Keiner hat vor, den Gig aufs Spiel zu setzen.« Vor allem ich nicht. Ich brauchte die Kohle so dringend. Wenn ich nicht zusah, dass es bald wieder in der Kasse klingelte, stellten mir die Typen von den Stadtwerken Strom und Gas ab.
Sam kniff die Augen verbissen zusammen. »Nenn mich nicht deinen Bro! Die Zeiten sind lange vorbei. Wenn der Auftritt gelaufen ist und Phil seinen Wunschjunggesellenabschied hatte, dann sehen wir uns hoffentlich nie wieder, Bro.« Bei diesen Worten stieß er ohne Vorwarnung mit den Handflächen gegen meine Brust, sodass ich ins Taumeln geriet.
Ohne es zu wollen, erinnerte ich mich an eine ganz ähnliche Situation zurück. Wir waren noch keine zwanzig, hatten eine steile Karriere vor uns und jede Nacht eine andere Schönheit im Bett. Das Leben war geil, hemmungslos und flog wie im Rausch an uns vorbei. Bis zu jenem Tag, an dem ich die Kontrolle verloren und damit auch meinen Bandkollegen die Chance auf eine rosige Zukunft verbaut hatte, glaubten wir, es würde ewig so weitergehen.
Die Medien hatten ihre ganz eigene Story daraus gemacht, einen Elefanten aus einer winzigen Mücke. Nachdem sich die Geschichte über mich und dieses Mädchen in Windeseile verselbstständigt hatte, bekam unser Management kalte Füße und servierte uns eiskalt ab. Das war’s dann gewesen. Long story short.
»Glotz nicht so blöd durch die Gegend, Josh. Wir müssen zum Gate. Der Flieger geht gleich«, unterbrach Sam meinen Gedankengang.
Ich schluckte die Widerworte in meiner Kehle runter. Schließlich hatte er ja recht. Wenn ich damals nicht diese Scheiße verzapft hätte, dann wären wir sicher noch heute dick im Geschäft. »Ist ja schon gut. Ich komme.«
»Mann, wo bleibt ihr denn so lange?«, fragte Mitch, der gerade dabei war, den Reißverschluss seines Umhängebeutels zu schließen, den er wie ein Zwölfjähriger um den Hals trug.
Sam warf einen wütenden Seitenblick auf mich. »Josh hat eine halbe Ewigkeit nach seinem Ticket gesucht. Fast hätte ich ihn an der Sicherheitskontrolle zurückgelassen und wäre ohne ihn weitergegangen.« Dabei ließ er sich schwer auf einen der grauen Plastikstühle im Wartebereich des Gates fallen. Genau in diesem Moment verkündete eine Dame über das Mikrofon am Pult vor dem Einstieg, welche Flugreihen in den Flieger einsteigen dürften.
»Jetzt bleibt doch alle mal locker. Ihr führt euch auf, als wärt ihr eine Horde Rentnerinnen, die sehnsüchtig auf den Bus zu einer Kaffeefahrt warten. Es gab Zeiten, da waren wir jeden Tag in einer anderen Stadt, was sag ich, in einem anderen Land. Ich bin routiniert, was das Reisen anbelangt«, wehrte ich mich.
Phil lachte. »Klar, Josh. Wenn wir dir nicht schon damals alles hinterhergetragen hätten, dann wärst du manches Mal allein an irgendeinem Flughafen zurückgeblieben.« Dabei schlug er mir kumpelhaft auf die Schulter. »Gut für dich, dass du so ein begnadeter Sänger warst und dir die Teenies massenhaft ihre nassen Slips auf die Bühne geworfen haben. Wer weiß, ob wir uns sonst so um dich gekümmert hätten.«
Alle lachten. Außer mir. »Lass das«, wandte ich ein und befreite mich von Phils Hand. »Damals war ich noch ein halbes Kind.«
Nun mischte sich auch Mitch in die Unterhaltung ein. »Als ein halbes Kind kann man einen Neunzehnjährigen wohl kaum bezeichnen.« Dabei schob sich der alte Klugscheißer die Brille auf der Nase zurecht.
»Mitch, es ist auch mir eine Freude, dich nach all der Zeit wiederzusehen.« Ich verzog meinen Mund zu einem gequälten Lächeln, während Mitch sich nicht beirren ließ. »Also, was ist jetzt? Sind wir alle so weit?« Dann blickte er auf seine Armbanduhr. »In fünfunddreißig Minuten hebt der Flieger ab. Muss noch jemand aufs Klo?«
Ich verdrehte die Augen. »Nein, Mitch. Ich war schon auf dem Töpfchen und habe danach auch brav meine Hände gewaschen. Sonst noch was? Oder können wir endlich in diesen beschissenen Flieger einsteigen?«
Mitch hob abwehrend die Hände. »Ist ja schon gut.« Dann senkte er seine Arme wieder, kam auf mich zu und legte seine Hand einfühlsam auf meine Schulter. »Hast du schlecht geschlafen? Momentan ist ja wieder Vollmond. Es gibt nachweislich sehr viele Menschen, die bei Vollmond ausgesprochen schlecht schlafen können. Du bist also nicht allein. Ich habe mir angewöhnt, dann immer eine heiße Milch mit Honig vor dem Zubettgehen zu trinken, und …«
Phil ging dazwischen, als er bemerkte, dass ich kurz vor einem Wutausbruch stand. »Ich glaube, unsere Reihen wurden eben aufgerufen. Wir sollten jetzt besser in den Flieger steigen, bevor die noch ohne uns starten«, äußerte er diplomatisch.
Sam hatte derweil ein fettes Grinsen im Gesicht.
»Was?«, blaffte ich ihn an, während ich mich nach meinem Rucksack bückte, den ich vor mir auf dem Boden abgestellt hatte.
Sam grinste noch immer. »Ach … nichts. Ich freue mich nur auf diese Woche. Das Kreuzfahrtschiff, mit dem wir fahren werden, hat die besten Kritiken überhaupt. Die Route durchs Mittelmeer ist einfach nur mega. Beim Gedanken an Barcelona, Palma und Marseille geht mir fast einer ab. Und dann auch noch mit euch Pappnasen mal wieder auf der Bühne zu stehen und gleichzeitig ausgelassen zu feiern, das hat was, wie ich finde.«
Dabei klopfte er mir kumpelhaft auf die Schulter. Offenbar hatte er die Bilder der Vergangenheit bereits wieder in einem Karton in den hinteren Reihen seines Gedächtnisses verstaut. Zum Glück war er noch nie sonderlich nachtragend gewesen. Sollte mir recht sein, auch wenn ich für meinen Geschmack eindeutig schon zu viel männlichen Körperkontakt für einen einzigen Tag gehabt hatte.
Ich schüttelte seine Hand ab. »Muss ich nicht unbedingt mitbekommen, wie dir einer abgeht, Sam. Lass mal stecken.«
Er lachte herzhaft auf. »Du wieder. Früher haben wir sogar die Weiber brüderlich miteinander geteilt. Erinnerst du dich noch? Da hattest du auch keine Berührungsängste.«
»Nur sehr vage«, erwiderte ich zähneknirschend. »Können wir jetzt endlich in dieses verfickte Flugzeug steigen?«
Mitch öffnete abermals den Reißverschluss seines Umhängebeutels und zog sein Ticket und den Pass daraus hervor. »Du fluchst noch immer wie ein Rockstar. Mal sehen, ob du es auch noch in anderen Bereichen draufhast. Singst du denn noch immer in einer Band?«
Der ehemalige Schlagzeuger der Blossoms Four sah mich neugierig an, während er seine Dokumente wie einen Schutzschild vor sich hielt. Auch jetzt wirkte er mit der viel zu großen Brille und dem dämlichen Hundeblick wie ein geistig Zurückgebliebener. Ein geistig Zurückgebliebener, der einst ein verdammt guter Schlagzeuger gewesen war und dem ich durch meinen Fehltritt sicher alle Chancen genommen hatte, ein namhafter Star zu werden.
»Ich habe nie wieder in einer Band gesungen.«
So schrecklich es sich auch anhören mochte, aber so war es nun mal. Nachdem meine Bandmitglieder ihre Koffer gepackt hatten und jeder in eine andere Richtung aufgebrochen war, hatte ich mir verboten, das, was mir das Liebste im Leben gewesen war, weiterzuverfolgen.
Schließlich war es meine verdammte Schuld gewesen, dass der Traum, den wir alle bereits als Kinder hatten und eine Zeit lang tatsächlich leben durften, über Nacht wie eine Seifenblase zerplatzt war.
Gone by the wind. Gestern noch dick im Geschäft, krähte schon am Folgetag kein Hahn mehr nach uns. Aber so war das in dem Business. Die Fans hatten sich bald neue Lieblingsbands gesucht, ihre Platten gekauft und ihre Unterwäsche nun bei deren Konzerten auf die Bühne geworfen. Die Erde drehte sich immer weiter, auch wenn ich an dem Tag, als unsere Band definitiv am Ende war, geglaubt hatte, sie würde für immer stillstehen.
Eine bedrückende Stille hatte sich zwischen uns niedergelassen, ehe Phil das Wort erhob. »Scheißegal, was war und was noch kommen wird. In dieser Woche möchte ich mit meinen ältesten Freunden eine echt geile Zeit verleben und das machen, was wir am besten können: feiern und Musik. Denn darum ist es uns immer gegangen: ums Musikmachen. Alles andere, und damit meine ich die letzten zehn nichtssagenden Jahre, blenden wir einfach aus. Okay?«
Damit streckte er seine rechte Hand aus und sah uns erwartungsvoll an. Wir anderen drei tauschten unsichere Blicke, ehe auch wir nach und nach unsere Hände in die Mitte gaben. Mit einem lauten »Blossoms Four for life« ließen wir unsere Arme wieder in die Lüfte sausen und lachten. Fast wie damals.
Phil hatte recht. Wir kannten uns schon beinahe unser ganzes Leben lang, hatten in Sams Garage unsere Band gegründet, eigene Musik geschrieben und gespielt. Wir waren mehr als das, was in den Zeilen einiger Schundblätter stand, die uns als Nullachtfünfzehn-Boyband verschrien hatten. Wir waren so viel mehr. Vielleicht würden wir das einst auch wieder sein.
Nele
»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?« Jeder Korridor und jede Tür sah wie die andere aus. Für gewöhnlich hatte ich einen recht guten Orientierungssinn. An Bord dieses riesigen Schiffes schien mein integriertes GPS-System jedoch zu streiken.
Conny blickte krampfhaft auf das Display ihres Handys, auf dem ein Lageplan des Schiffes zu sehen war. Auch dort sah alles gleich aus, sodass ich es bald aufgegeben hatte, mich zurechtfinden zu wollen. Nun lag es an meiner besten Freundin, uns heil durch die Flure zu manövrieren.
»Ich hab es gleich. Zweimal links und einmal rechts, dann müssten wir angekommen sein.« Conny marschierte immer schneller auf das vermeintliche Ziel zu. Das Klackern ihrer Flipflops hallte unnachgiebig durch die enge Röhre, durch die wir uns wie Mäuse in einem Versuchslabyrinth hindurchschlängelten.
Einige der Koffer der ankommenden Gäste waren schon vor die Kabinen gestellt worden, was gleichsam eine Art Parcours für uns darstellte. »Conny?«, fragte ich, als mir eines der Gepäckstücke irgendwie bekannt vorkam. Sind wir nicht gerade eben erst an diesem Koffer vorbeigelaufen? »Ich glaube, wir waren hier schon mal. Das rot-schwarz gestreifte Kofferband kommt mir bekannt vor.«
Meine Freundin hielt in der Bewegung so abrupt inne, dass ich ihr hinten auflief. »Aua, pass doch auf!«, schimpfte Conny.
»Vielleicht fragen wir einfach einen der Kabinenstuarts, die hier auf der Etage unterwegs sind.« Als sich der Unmut über meinen Vorschlag in Connys Gesicht widerspiegelte, beschwichtigte ich sie. »Es ist unser erstes Mal auf einem Kreuzfahrtschiff. Wir sind übermüdet und haben einen langen Flug hinter uns. Da kann man ruhig mal jemanden nach dem Weg fragen, finde ich.«
»Wenn du meinst. Ich war mir so sicher, dass es dahinten in den Spa-Bereich gehen müsste.« Wieder scrollte sie über die Ansicht auf ihrem Handy.
»Vielleicht ist die Karte veraltet oder man hat das Spa nachträglich in einen anderen Teil des Schiffes verlegt.« Ich wusste selbst, dass meine Argumentation nicht sonderlich schlüssig war. Das Schiff war noch kein Jahr alt und so mir nichts, dir nichts änderte man sicher nicht den Standort einer Einrichtung auf solch einem penibel genau geplanten stählernen Koloss. Aber ich wollte den Urlaub mit meiner besten Freundin in vollen Zügen genießen und sie nicht schon zu Beginn verärgern.
Nur ihr zuliebe war ich bereit gewesen, so schnell wie möglich nach der Ankunft auf der MeinBoot in den Wellnessbereich des Schiffes zu gehen. Conny hatte sich vor unserer Reise durch die Foren im Internet gelesen und die besten Tipps und Tricks für uns in Erfahrung gebracht. Dazu zählte eben auch, gleich am ersten Tag so schnell wie möglich in das Spa zu gehen, da es zu dieser Zeit noch menschenleer war. Etwas, was es so an den kommenden Tagen, insbesondere an den Seetagen, sicher nicht mehr geben würde.
»Wir probieren es da vorne an der Tür noch mal. Falls das auch wieder eine Niete sein sollte, dann fragen wir jemanden. Okay?« So schnell wollte meine beste Freundin offensichtlich nicht aufgeben.
Schon während der Schulzeit war Conny von uns beiden die Zielstrebigere gewesen. Bereits in der achten Klasse wusste sie, dass sie einmal Ärztin werden wollte, und arbeitete emsig auf diesen Berufswunsch hin.
Bei mir stand nur fest, was ich auf keinen Fall werden wollte: Lehrerin. Somit war der Druck nicht ganz so groß, einen bestimmten Schnitt im Abitur haben zu müssen, um dem Numerus Clausus der angepeilten Universität zu genügen.
Ich seufzte innerlich, nickte Conny jedoch zu. Nichts lag mir ferner, als mich mit ihr zu streiten. Nicht wegen so einer Belanglosigkeit. Im Gegensatz zu Conny hätte ich mich viel lieber oben an den Pool gelegt, mir einen Cocktail bringen lassen und ein Eis gegessen. Aber was nicht war, konnte ja noch werden. Vor allem dann, wenn wir nicht bald fündig wurden.
Siegessicher eilte Conny auf das Ende des Flurs zu. Dort war eine Tür zu finden, die jedoch auf den ersten Blick genauso aussah wie die übrigen, die wir in den schier endlos erscheinenden Korridoren passiert hatten.
Ich hetzte ihr hinterher, musste jedoch kurz innehalten, als sich der Gürtel meines Bademantels zu lösen begann. Da der Spa-Bereich textilfreie Zone war, hatten Conny und ich unsere Klamotten kurzerhand in der Kabine gelassen. Um dem Rentnerehepaar, das uns freudig nickend entgegenkam, nicht mehr von mir zu offenbaren, als mir lieb war, unterbrach ich den Hürdenlauf neben einem schwarzen, mittelgroßen Koffer.
Als ich meine Blöße wieder hinreichend bedeckt hatte, stand Conny schon vor dem vermeintlichen Ziel. Ich näherte mich ebenfalls der Tür, wunderte mich allerdings darüber, dass nichts an dieser darauf schließen ließ, dass sich dahinter das Spa befand. Für mich sah es vielmehr so aus, als wäre es einfach eine weitere Passagierkabine.
»Conny, warte!«
Doch meine Freundin hatte sich etwas in den Kopf gesetzt und war nicht mehr von ihrem Plan abzubringen. Ehe ich ihr meine Vermutung mitteilen konnte, hob sie schon ihre Hand, um an der Tür zu klopfen.
Als ich bei ihr ankam, schien auch Conny endlich kapiert zu haben, dass hinter diesem Zugang definitiv nicht das erhoffte Spaerlebnis wartete.
»Sam, komm mal!«, sagte der Hüne mit der übergroßen Brille vor uns, der mit seinem Kopf schon fast am Türrahmen anstieß.