Sommerküsse in der Toskana - Julia K. Rodeit - E-Book

Sommerküsse in der Toskana E-Book

Julia K. Rodeit

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Beschreibung

Sängerin Franzi entwickelt sich zum neuen Star am Pop-Himmel. Als ihr Freund ihr dann auch noch einen Heiratsantrag macht, scheint das Glück perfekt zu sein. Dann zwingt jedoch ein Kreislaufkollaps Franzi zu einer unfreiwilligen Pause. Im malerischen, aber renovierungsbedürftigen Hotel ihrer Nonna in der Toskana sucht sie eine Auszeit. Doch Ruhe und Entspannung sind gar nicht so einfach zu finden. Immer wieder gerät sie mit Alessio, dem Besitzer eines Olivenhains, aneinander, der ihr früher schon das Leben schwer gemacht hat. Aber schlägt ihr Herz nur aus Wut höher? Oder wirbelt Alessio ihr Leben noch aus ganz anderen Gründen durcheinander?

Mit leckeren italienischen Rezepten zum Nachkochen.

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Über das Buch

Sängerin Franzi entwickelt sich zum neuen Star am Pop-Himmel. Als ihr Freund ihr dann auch noch einen Heiratsantrag macht, scheint das Glück perfekt zu sein. Dann zwingt jedoch ein Kreislaufkollaps Franzi zu einer unfreiwilligen Pause. Im malerischen, aber renovierungsbedürftigen Hotel ihrer Nonna in der Toskana sucht sie eine Auszeit. Doch Ruhe und Entspannung sind gar nicht so einfach zu finden. Immer wieder gerät sie mit Alessio, dem Besitzer eines Olivenhains, aneinander, der ihr früher schon das Leben schwer gemacht hat.

Aber schlägt ihr Herz nur aus Wut höher? Oder wirbelt Alessio ihr Leben noch aus ganz anderen Gründen durcheinander?

Mit leckeren italienischen Rezepten zum Nachkochen

Über Julia K. Rodeit

Julia K. Rodeit ist das Pseudonym der Krimi-Autorin Katrin Rodeit, die mit ihrer Familie am Rande der Schwäbischen Alb wohnt.Weil das Ermorden von Menschen auf Dauer recht anstrengend und mitunter auch langweilig wurde, hat sie beschlossen, als Julia K. Rodeit ihre romantische Seite zum Vorschein zu bringen. Dabei entführt sie ihre Leserinnen und Leser an traumhafte Orte auf dieser Welt.

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Julia K. Rodeit

Sommerküsse in der Toskana

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Rezepte

Franzis Lieblingsgericht Ragù alla bolognese

Alessios Lieblingsgericht Rotes Pesto

Giulias große Schwäche Cannoli Für 12 Portionen

Impressum

Kapitel 1

Die Musik verstummte. Das Licht ging aus und hüllte sie in Dunkelheit. Einen Moment war es still, ehe Applaus und Jubel über sie hereinbrausten wie ein Orkan.

Franzi schloss die Augen und genoss alles: Die Begeisterung, die ihr aus der Menge entgegenschlug, die Dunkelheit und die Glücksgefühle, die ihren Körper fluteten. Sie hatte ein grandioses Konzert abgeliefert. Das Publikum hatte ihr gehört, sobald sie auf die Bühne getreten war und die ersten Töne von »Love my life« gesungen hatte. Dem Lied, das ihr zum Durchbruch verholfen hatte. Die Menschen hatten sie durch das Konzert getragen, hatten mitgesungen und sie mit Applaus überschüttet. Zeitweise hatte sie das Gefühl gehabt, dem größten Chor der Welt gegenüberzustehen, so vielstimmig schlug ihr aus tausenden von Kehlen der Refrain ihrer Lieder entgegen. Es war wie im Rausch gewesen.

Einen Augenblick war sie ganz für sich allein. Dann ging das Licht wieder an und die Helligkeit katapultierte sie zurück in die Wirklichkeit. Sie sah die Hände, die sich ihr entgegenstreckten, hörte die Rufe, die, von einem rhythmischen Klatschen begleitet, eine Zugabe verlangten.

Sie winkte, strahlte in die Menge und ging seitlich von der Bühne. Die Stimmen der Menschen dahinter, ihrer Crew, ihres Managers, drangen wie durch einen Nebel zu ihr durch.

»Du warst fantastisch«, rief Niko erfreut und drückte sie.

»Sie lieben dich!« Nadja, die Visagistin, überschlug sich beinahe vor Begeisterung.

Ein Techniker klopfte ihr anerkennend auf die Schulter und überprüfte das Mikrofon für die Zugabe.

»Du musst noch einmal raus.« Niko schob sie wieder in Richtung der Bühne.

Franzi nickte erschöpft und nahm automatisch das zweite Mikrofon entgegen, das man ihr reichte.

Die Endorphine verschwanden schneller aus ihrem Körper als früher. Plötzlich fühlte sie sich müde und wollte nur noch schlafen.

Drei Songs noch, ermutigte sie sich selbst. Das Publikum hat es verdient. Von draußen schallten noch immer Rufe nach einer Zugabe hinter die Bühne.

Sie knipste das Lächeln wieder an, von dem sie wusste, dass man sie dafür liebte, und trat erneut hinaus. Ihr »Geht es euch gut? Könnt ihr noch?« ging im Jubel der Massen unter.

Sie sang sogar noch vier Lieder, bevor sie das Mikrofon endgültig weglegte. Ein bisschen war es wieder wie früher, dachte sie mit einem Anflug von Traurigkeit, als ihr das Singen vor Publikum noch die Welt bedeutet hatte.

Vom Veranstalter bekam sie einen riesigen Blumenstrauß überreicht und wurde anschließend zusammen mit dem ganzen Team zur Party eingeladen. Lieber wäre sie in ihr Bett gegangen und hätte bis zum nächsten Mittag ohne Unterbrechung geschlafen.

Doch sie lächelte, lehnte die Cocktails ab und bat stattdessen um ein Glas Wasser. Zwei Stunden später entschied sie, dass sie nun gehen konnte, ohne jemanden zu brüskieren. Auch wenn sie die Erste war, die die Feier verließ, die ihr zu Ehren gegeben wurde.

Der Taxifahrer fuhr sie quer durch die Stadt und setzte sie vor ihrem Hotel ab. Mittlerweile hatte sie den Überblick verloren. Alle sahen auf eine bestimmte Weise gleich aus und wenn sie am nächsten Tag aufwachte, hatte sie mitunter Schwierigkeiten, sich zu erinnern, in welcher Stadt sie war.

Der Applaus rauschte noch in ihren Ohren, als sie in ihr Zimmer ging, sich der Kleidung entledigte und erschöpft ins Bad schlich. Selbst, als sie im Bett lag und Stille sich über sie senkte, meinte sie, ihn noch zu hören.

Trotz der bleiernen Müdigkeit hinderte sie die Erinnerung an den heutigen Abend am Einschlafen. Erst Stunden später fiel sie in einen unruhigen Schlaf.

Kapitel 2

»Unser heutiger Gast im Frühstücksprogramm ist Franzi Marino.« Die Stimme des Moderators überschlug sich beinahe bei der Ankündigung. »Einen wunderschönen guten Morgen, Franzi.«

»Guten Morgen.« Sie merkte selbst, wie rau sich ihre Stimme anhörte, und schenkte ihrem Gegenüber ein entschuldigendes Lächeln.

Ein Jingle wurde eingespielt, ehe das beliebteste Lied von Franzis erstem Album »Love my life« ertönte.

Der Moderator, Chris Feierabend, nahm seinen Kopfhörer ab und bedeutete Franzi, ihren ebenfalls wegzulegen.

»Puh, das war gerade noch rechtzeitig.« Die Erleichterung war ihm deutlich anzuhören.

In der Tat.

Im Studio war es drückend heiß und sie fächelte sich mit einer Zeitschrift Luft zu.

»Möchtest du etwas trinken?«

»Ein Kaffee wäre eine hervorragende Idee.« Sie lächelte dankbar. »Wenn möglich einen Eimer.«

Nicht einmal dazu hatte die Zeit gereicht. Als sie aus dem Bett hochgeschossen war und registriert hatte, wie spät es war, hatte sie sich die nächstbesten Klamotten übergeworfen, die Zähne geputzt und ein bisschen Wimperntusche aufgelegt. Der Moderator konnte froh sein, dass sie es rechtzeitig geschafft hatte, wie aus dem Ei gepellt sah sie heute nicht aus.

Franzi konnte sich nicht erklären, wie das geschehen war. Sie war extra früh zu Bett gegangen, weil sie in den letzten Tagen so wenig geschlafen hatte. Doch zuerst hatte sie nicht einschlafen können und sich bis nach Mitternacht im Bett gewälzt. Gegen halb fünf war sie aufgewacht und hatte schon mit dem Gedanken gespielt, aufzustehen. Dabei musste sie wieder eingeschlafen sein und hatte den Wecker nicht gehört oder ihn im Halbschlaf ausgemacht, das ließ sich nicht mehr nachvollziehen. Als sie die Augen aufschlug, war es halb acht und damit hatte sie noch genau eine halbe Stunde Zeit, um zum Radiosender zu gelangen. Im morgendlichen Berufsverkehr von München. Es würde sie nicht wundern, wenn in den nächsten Tagen einige Strafzettel wegen zu schnellen Fahrens eintrudelten.

Eigentlich hatte sie früher da sein wollen, um entspannt den Sender und das Team kennenzulernen. Diesmal jedoch konnten alle froh sein, dass sie es zum Beginn der Sendung geschafft hatte. Das Team war sichtlich nervös gewesen, als sie endlich eintrudelte, und sie war augenblicklich mit einem Mikrofon versorgt worden. Glücklicherweise kannte sie die Abläufe in Fernseh- und Radiostudios mittlerweile gut genug, sodass sie kein Problem damit hatte, gleich anzufangen.

Die junge Assistentin stellte ihr eine Henkeltasse mit dem Logo des Senders vor die Nase und lächelte sie schüchtern an.

Dankbar nahm Franzi den Becher entgegen und trank einen ersten Schluck. Der Kaffee war keine Offenbarung, im Moment konnte sie sich aber nichts Besseres vorstellen.

Sie lehnte sich zurück und schloss kurz die Augen. Ein paarmal atmete sie tief ein und aus, dann öffnete sie die Lider und straffte sich.

»Alles gut bei dir?« Chris hörte sich besorgt an.

»Ja, ja, alles okay«, gab sie zurück und zwang ein Lächeln auf ihr Gesicht, das seine Wirkung nicht verfehlte, denn der Moderator strahlte sie an, als habe sie das Licht eingeschaltet. Er setzte den Kopfhörer wieder auf und Franzi griff ebenfalls nach ihrem.

Die letzten Töne des Liedes verklangen und Chris machte ihr ein Zeichen.

»Einen wunderschönen guten Morgen, ihr da draußen! Ich hoffe, ihr habt ausgeschlafen, denn unser heutiger Gast verdient unsere ganze Aufmerksamkeit. Ich freue mich riesig, dass ich heute Franzi Marino bei uns begrüßen darf.«

Franzi nickte und setzte ein professionelles Lächeln auf, von dem sie wusste, dass es nötig war, weil es sich auf ihre Stimme übertrug.

»Franzi, wir haben gerade deinen ersten Song ›Love my life‹ gespielt. Die Zuhörer lieben ihn. Aber wie ist es mit dir? Kannst du ihn überhaupt noch hören?«

Sie lachte. »Aber klar, Chris. Genau genommen ist das immer noch mein Lieblingssong. Mit ihm hat alles angefangen und es wird auch in Zukunft kein Konzert geben, in dem ich ihn nicht spiele. Selbst wenn ich ihn mittlerweile gefühlte tausend Mal gesungen habe.«

»Was magst du an dem Song?«

Diese Frage hatte sie schon öfter beantwortet. Doch die Antwort darauf fiel ihr zunehmend schwer. Auch jetzt zögerte sie.

»Nun«, begann sie schließlich, »er drückt aus, was ich fühle.«

Normalerweise erzählte sie, dass sie sich glücklich schätzen durfte, in ihrem Leben das zu machen, was sie wollte: singen. Das war es, was die Zuhörer erfahren wollten. Dass sie ihr Hobby zum Beruf gemacht und sich damit einen Traum erfüllt hatte.

»Ich liebe mein Leben, ganz einfach«, kürzte sie diesmal ab.

Der Moderator sah sie einen Augenblick irritiert an, war aber routiniert genug, die Hörer das nicht merken zu lassen.

»Wir wollen natürlich noch mehr über dich erfahren. Nach einer kurzen Pause geht es gleich weiter. Davor haben wir noch ein paar Verbraucherinformationen für euch und natürlich unser Verkehrs-Update. Wie immer bei uns schon um Viertel nach.«

Franzi trank einen weiteren Schluck Kaffee. Die müden Lebensgeister weckte das nur langsam. Chris entschuldigte sich und ließ Franzi allein zurück. Wieder fächelte sie sich Luft zu. Ihr Kreislauf war heute nicht der Beste. Kein Wunder, wenn man so aus dem Bett schoss und gezwungen war, gleich Vollgas zu geben.

Die schüchterne Assistentin kehrte zurück. »Noch einen Kaffee?«

»Das wäre großartig. Du bist ein Schatz.«

Wortlos nahm sie den leeren Becher mit und kehrte kurz darauf mit einem gefüllten zurück.

»Ich kann ohne Kaffee auch nicht leben«, meinte das Mädchen, von dem Franzi nicht wusste, wie es hieß. Unschlüssig blieb sie stehen.

»Darf ich vielleicht …« Sie führte den Satz nicht zu Ende und sah an Franzi vorbei.

»Ja?«

»Vielleicht … Wenn ich bitte ein Autogramm bekommen könnte?« So, wie sie errötete, hatte sie ihren ganzen Mut zusammennehmen müssen, um die Frage zu stellen.

»Aber sicher.« Franzi holte Autogrammkarten aus ihrer Handtasche. »Wie heißt du denn?«

»Julie. Mit ie am Ende, bitte.«

Franzi nahm einen Kugelschreiber, der auf dem Tisch herumlag, schrieb schwungvoll »Für Julie« auf die Karte und setzte ihre Unterschrift darunter.

»Danke«, flüsterte das Mädchen und verschwand hochrot, aber sichtlich erfreut nach draußen.

Der Moderator kehrte zurück.

»Hast du Lust auf eine Unplugged-Einlage am Ende?«

Bitte nicht das auch noch, dachte Franzi und stöhnte innerlich. Doch sie lächelte tapfer, weil sie wusste, dass das erwartet wurde und dazugehörte.

»Sicher.«

»Okay, dann wollen wir mal wieder.« Er setzte den Kopfhörer auf und wartete, bis die Töne des eingespielten Liedes verklungen waren. »Franzi, wir haben uns eben über deinen ersten Song unterhalten. Den wirst du sicher auch beim Sunset-Beach-Festival spielen.«

Franzi sah ihn mit gerunzelter Stirn an. Woher wusste er davon?

»Wie uns brandheiß zugetragen wurde, hast du eine Anfrage bekommen, auf diesem wunderbaren Festival zu spielen. Das ist eine einmalige Auszeichnung und war schon für manchen jungen Künstler der große internationale Durchbruch. Was bedeutet es für dich, dort singen zu dürfen?«

»Darf ich überhaupt darüber reden?« Sie lachte verkrampft. Ihr Manager, Niko, hatte ihr erst gestern Abend von der Anfrage erzählt und bisher hatte sie nicht zugesagt.

»Natürlich«, erwiderte Chris und senkte verschwörerisch die Stimme. »Wir sind ja unter uns.« Er lachte über seinen Witz und Franzi nickte gequält.

»Als Kind bin ich einmal bei dem Festival gewesen«, spulte sie das übliche Programm ab. »Zufällig waren wir im Urlaub dort. Es war wunderschön und damals wollte ich nichts mehr, als einmal dort auf der Bühne zu stehen.«

»Wie es aussieht, erfüllt sich dieser Wunsch schon bald. Aber was kommt dann? Welche Ziele hast du als nächstes?«

Franzi schluckte. Was sollte sie sagen? Wie sollte sie ihm erklären, dass ihr die Antwort auf diese Frage schlaflose Nächte bescherte? Er würde es nicht verstehen. Das tat niemand. Nicht einmal sie selbst. Sie hatte in kurzer Zeit erreicht, wovon alle jungen Künstler träumten. Doch sie war damit nicht glücklich. Franzi beschloss, vage zu bleiben.

»Nun, ich hoffe natürlich, dass meine Fans mir treu bleiben, egal, wo mein Weg mich hinführt.«

»Das werden sie, da bin ich mir ganz sicher.«

Das wäre er vermutlich nicht mehr, wenn er wüsste, dass sie letzte Nacht mit dem Gedanken gespielt hatte, ihre Karriere an den Nagel zu hängen.

»Wir hören gleich einen weiteren Song von Franzis neuem Album ›Know the truth‹. Außerdem gibt es für unsere Zuhörer eine kleine Überraschung, denn Franzi performt live und unplugged für uns. Bleibt also unbedingt dran, es geht gleich weiter.«

Ein Werbeblock wurde eingespielt, anschließend ein weiterer Song von ihr. Franzi brachte den Rest des Interviews mit Anstand hinter sich. Der Moderator konnte ja nichts dafür, dass sie schlecht geschlafen hatte. Das Koffein tat langsam seine Wirkung und sie fühlte sich frischer. Selbst die Unplugged-Einlage gelang besser, als sie das erwartet hatte, und nun fragte sie sich wieder, warum sie in letzter Zeit so pessimistisch war. Der Gedanke an ein Karriereende war plötzlich so weit weg, dass sie sich fragte, wo er überhaupt hergekommen war. Seltsam, was einem so im Kopf herumspukte, wenn man nicht schlafen konnte.

Am Ende der Sendung erhielt sie als Dankeschön eine Tüte mit Pralinen und Küsschen links und rechts auf die Wange von dem Moderator, der sich überschwänglich für ihren Besuch bedankte.

Als sie auf die Straße trat, blinzelte Franzi in die Sonne. Ihr Auto, ein schnittiges Audi Cabriolet in Silbergrau, stand noch dort, wo sie es geparkt hatte. An der Windschutzscheibe haftete allerdings ein Strafzettel. Wenn das der einzige des heutigen Morgens blieb, konnte sie sich glücklich schätzen.

Urplötzlich wurde sie von Schwindel erfasst. Sie keuchte. Ihr Herz klopfte und ihre Beine fühlten sich an wie Pudding. Hilflos stützte sie sich am Auto ab und schloss die Lider. Franzi kam es vor wie eine Ewigkeit, bis das Rauschen in ihren Ohren nachließ und sie die Augen wieder öffnen konnte, ohne, dass sich alles drehte.

Erschrocken atmete sie durch. Was war das gewesen? Unsicher öffnete sie die Autotür und ließ sich auf den Sitz fallen. Dort blieb sie mehrere Minuten sitzen, bis sie sich in der Lage fühlte, am Straßenverkehr teilzunehmen, ohne ein Sicherheitsrisiko für andere zu sein.

Im Anschluss hatte sie einen Termin mit ihrem Personal Trainer im Fitnessstudio. Konnte sie überhaupt trainieren? Im Moment fühlte sie sich wieder normal. Was sollte sie tun, wenn der Schwindel sie erneut erfasste?

Vermutlich nur der Kreislauf, versuchte sie, sich selbst zu beruhigen. Es schadete sicher nicht, ihn ein bisschen in Schwung zu bringen. Kein Wunder, wenn man so aus dem Bett gerissen wurde. Und außer den beiden Tassen Kaffee hatte sie heute noch nichts zu sich genommen.

Love my life, dachte sie in einem Anflug von Ironie und startete den Motor.

***

Auf dem Weg ins Fitnessstudio hielt sie bei einer Bäckerei und holte sich eine Brezel. Sie musste dringend etwas essen, um ihren Blutzucker ein bisschen zu stabilisieren.

In den kommenden zwei Stunden ließ ihr Personal Trainer Tim sie ordentlich schwitzen. Zunächst schickte er sie für eine halbe Stunde auf den Crosstrainer und verlangte ihr bei dem eingestellten Programm sportliche Höchstleistungen ab. Anschließend arbeitete er an den Geräten mit ihr, wobei er Wert auf eine richtige Haltung legte, weniger auf ein hohes Gewicht. Aus Erfahrung wusste Franzi jedoch, dass das weit anstrengender sein konnte als hohe Widerstände. Gegen Ende keuchte sie und spürte bereits den herannahenden Muskelkater.

Sie stöhnte verhalten auf, doch Tim lachte nur.

»Das ist mein Job«, war sein gleichmütiger Kommentar.

Franzi presste die Lippen aufeinander. Glücklicherweise war ihr nicht mehr schwindelig geworden. Allerdings hatte sie sich auch gezwungen, mehr Wasser als sonst zu trinken.

Anschließend schlich sie in die Sauna und legte sich nach zwei Durchgängen in den Ruheraum auf eine Liege. Müde schloss sie die Augen, um sich auszuruhen. Es dauerte nicht lange und sie dämmerte weg. Sie schlief nicht tief und wachte nach einer halben Stunde von allein auf. Doch die Zeit hatte ihr gutgetan.

Das lag nur an der verdammten Schlaflosigkeit, mit der sie sich seit Wochen herumplagte. Mitten in der Nacht war sie schlagartig hellwach und dann kreisten ihre Gedanken unablässig. Um Dinge, die bei Tag betrachtet gar nicht so schlimm waren. Nach zwei oder drei Stunden schlief sie wieder ein und wenn der Wecker läutete, fühlte sie sich wie gerädert. Heute hatte sie sogar verschlafen.

Das musste endlich ein Ende haben. Letzte Woche war sie bei ihrem Hausarzt, Dr. Wagner, gewesen. Ihm hatte sie von ihren Problemen berichtet und er hatte sorgenvoll den Kopf geschüttelt und ihr Blut abgenommen. Blass sei sie, hatte er festgestellt, was angesichts der schlaflosen Nächte nicht verwunderlich war. Vielleicht stimmte etwas mit ihrer Schilddrüse nicht, mutmaßte er.

Franzi hoffte, dass er sich bald mit den Ergebnissen der Blutuntersuchung bei ihr meldete, damit dieser unsägliche Zustand endlich vorbei war. Mittlerweile lief sie herum wie ein Zombie.

Als sie aufstand, erfasste sie erneut Schwindel und sie ließ sich stöhnend auf die Liege fallen. Es dauerte, bis sie die Augen wieder öffnen konnte und sie auf die Beine kam. Hastig kippte sie zwei weitere Gläser Wasser hinunter, ehe sie zum Duschen ging. Sie musste sich beeilen, wenn sie nicht zu spät zum Mittagessen mit ihrer Mutter kommen wollte.

***

Franzi öffnete die Tür zu dem italienischen Café, in dem sie sich verabredet hatten. Augenblicklich wurde sie überwältigt vom Duft nach frischem Hefeteig, der ihr in die Nase stieg. Tief atmete sie ein.

Ihr Magen quittierte die Geruchsattacke mit einem tiefen Brummeln. Kein Wunder nach diesem Fitnessprogramm. Ihr lief das Wasser im Mund zusammen, als sie die tiefrote Tomatensoße sah, die der Pizzabäcker mit einer Schöpfkelle auf die fertigen Teiglinge gab und sie mit dem Boden des großen Löffels routiniert darauf verteilte. Sehnsüchtig starrte Franzi auf die Glasscheibe, hinter der ein italienischer Koch mit weißer Mütze wirbelte. Jetzt noch Käse, Rucola und Parmaschinken darauf und fertig war ihre Lieblingspizza.

Da gingen wieder einmal die italienischen Gene mit ihr durch. Sie löste den Blick von der Leckerei, die eben im Holzbackofen verschwand, und sah sich um. Ihre Mutter saß am Fenster, die schlanke Hand in die Höhe gereckt, um mit einem vornehm angedeuteten Winken auf sich aufmerksam zu machen.

Franzi lächelte, als sie sie sah. Eher wie eine ältere Schwester wirkte sie. Diana Gräber trug ihr blondes Haar in einem modisch kurzen Pagenschnitt mit seitlichem Scheitel. Allein das ließ sie höchstens wie Anfang vierzig aussehen, obwohl sie Mitte fünfzig war. Sie trug eine hellblaue Bluse mit raffiniertem Kragen, die eng geschnitten ihrer immer noch jugendlichen Figur schmeichelte. Beneidenswert, wie schlank sie war. Und dabei kostete sie das offenbar keine Mühe. Für ihre Mutter existierten Worte wie mangelnde Selbstkontrolle und Disziplinlosigkeit nicht.

An ihrem rechten Arm klimperten schmale goldene Armreifen, am linken Handgelenk trug sie eine Uhr, die zwar nicht mondän aussah, deren Luxus aber in der Schlichtheit wirkte.

Beim Näherkommen allerdings wurde sich Franzi der Menge an Make-up bewusst, mit der ihre Mutter versuchte, die Falten um Mund und Augen zu kaschieren. Dennoch hätte man auch aus der Nähe noch gut fünf bis zehn Jahre von ihrem tatsächlichen Alter abziehen können. Schon allein der leuchtend rote Lippenstift verlieh ihr einen Hauch von Jugendlichkeit.

Als ihre Tochter den Tisch erreichte, erhob sie sich mit graziler Leichtigkeit, als trüge sie Turnschuhe. Dabei steckten ihre Füße in Pumps mit schwindelerregend hohen Absätzen. Der Hauch eines teuren Parfüms hüllte Franzi ein, als ihre Mutter sie an den Oberarmen fasste und ihr links und rechts ein Küsschen auf die Wange hauchte.

»Meine Liebe, wie schön, dich zu sehen«, ließ sie mit angenehm heller Stimme vernehmen.

Franzi ließ sich stöhnend auf einen Stuhl sinken. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt und war froh, endlich sitzen zu können. Die Hetzerei durch die Stadt vom Fitnessstudio hierher war aufreibend gewesen. Von der Parkplatzsuche einmal abgesehen. In München eine Parkmöglichkeit in der Innenstadt zu finden, war wie die sprichwörtliche Suche nach der Nadel im Heuhaufen, und das Ergattern eines solchen glich einem Sechser im Lotto. Mit Zusatzzahl. Franzi hatte bald aufgegeben und das Parkhaus gewählt, mit dem Nachteil, dass sie etwas weiter laufen musste.

Am liebsten hätte sie sich auf ihr Sofa geworfen, die Beine hochgelegt und einen Mittagsschlaf gemacht. Nun, das konnte sie später immer noch machen.

»Erzähl, mein Kind, wie geht es dir?« Ihre Mutter sprach kultiviert und ließ keinen Hauch ihres Berliner Dialekts vernehmen. Franzi wusste, dass sie ihn sich mit Mühe und eiserner Disziplin abgewöhnt hatte. »Du bist ein wenig spät.«

»Tut mir leid, aber ich habe keinen Parkplatz gefunden.«

Der Kellner kam herbeigeeilt, um ihre Wünsche aufzunehmen.

»Ein Mineralwasser«, bat ihre Mutter und nickte ihm zu.

»Ich hätte gern einen großen Milchkaffee bitte.«

Diana quittierte die Bestellung mit gerümpfter Nase. »Der übermäßige Koffeingenuss lässt deine Haut vorzeitig altern.«

Franzi erwiderte nichts. »Außerdem nehme ich eine Pizza Parma. Eine kleine«, schob sie eilig hinterher, als sie den Blick ihrer Mutter auffing.

»Nein, danke, für mich nichts.«

Sie warteten, bis der Kellner sich entfernt hatte, ehe ihre Mutter weitersprach.

»Ich habe die Sendung heute Morgen verfolgt. Du warst gut.«

Wenn nicht einmal ihre Mutter bemerkt hatte, dass sie müde gewesen war, war das ein gutes Zeichen.

»Ist es wahr, dass du für das Sunset-Beach-Festival angefragt wurdest?«

Franzi zögerte kurz, dann beugte sie sich nach vorn und senkte die Stimme. Auch wenn das sinnlos war, immerhin hatte sich die Nachricht schon verbreitet, dafür hatte vorhin Chris Feierabend gesorgt. »Niko hat eine Anfrage bekommen. Ich weiß es auch erst seit gestern.«

»Das ist ja toll!« Diana Gräber fasste über den Tisch nach ihren Händen und drückte sie. An den leuchtenden Augen ihrer Mutter sah Franzi, wie sehr sie sich für ihre Tochter freute. »Nun hast du es wirklich geschafft! Dort ein Auftritt gleicht einem Ritterschlag. Jetzt wird niemand mehr an dir vorbeikönnen. Erinnerst du dich, als wir damals zugesehen haben?« Bei der Erinnerung begannen ihre Augen zu glänzen und für einen Moment tauchte sie ab in die Vergangenheit.

»Wie könnte ich den Tag jemals vergessen?« Franzi lächelte ihrer Mutter zu.

Das Sunset-Beach-Festival fand am kilometerlangen, breiten Strand von St. Peter-Ording statt. Mit dem Sand zwischen den Zehen, der strahlenden Sonne und dem Meer im Hintergrund war es ein Volksfest für jedermann. Die Stimmung war ausgelassen und nicht nur für die Zuschauer war es ein einmaliges Erlebnis gewesen.

Es war schön, mit ihrer Mutter über diese Dinge zu sprechen. Auch sie hatte als junge Frau die Chance auf eine Karriere als Sängerin gehabt. Damals allerdings waren Schlager das Maß aller Dinge gewesen. Über das Talent verfügte sie zweifellos. Der große Durchbruch war ihr, warum auch immer, verwehrt geblieben. Vielleicht hatte nur einfach das letzte Quäntchen Glück gefehlt. Als sie unerwartet schwanger wurde, hatte sie ihren Traum endgültig begraben. Franzi wusste davon, und manchmal fragte sie sich, ob ihre Mutter ihr den Erfolg neidete. Oder, schlimmer noch, ihr die Schuld am Scheitern ihrer Karriere gab. Dann schalt sie sich für ihre Gedanken. Diana tat alles, um ihre Tochter zu unterstützen.

»Das könnte sogar dein internationaler Durchbruch sein.«

Franzi nickte und fragte sich gleichzeitig, warum sie sich nicht darüber freuen konnte. Vielleicht lag es einfach daran, dass sie sich erschöpft fühlte. Außerdem hatte sie langsam Hunger.

Als der Kaffee gebracht wurde, nahm sie einen großen Schluck. In Gedanken versunken zog sie die Pralinen vom Radiosender aus der Tasche und löste den Clip der Cellophanverpackung.

»Kind, das sind doch nicht etwa Pralinen?«, vernahm sie die entsetzten Worte ihrer Mutter.

»Doch, sind es«, sagte sie, nachdem sie die erste hinuntergeschluckt hatte. »Mir hängt der Magen in den Kniekehlen.«

»Aber das ganze Training. Das ist dann völlig umsonst. Hast du wieder zugenommen?«

»Nein, habe ich nicht. Im Gegenteil. Dr. Wagner meinte letzte Woche, ich sei zu dünn.«

»Papperlapapp! Der Mann wird alt.« Wieder griff Diana nach ihrer Hand. »Liebes, ich meine es nicht böse, das weißt du.«

Franzi nickte ergeben.

»Du musst fit sein, wenn du auf Dauer dieses Tempo gehen möchtest. Und das musst du, wenn du deine Karriere vorantreiben willst. Das Sunset-Beach-Festival ist eine einmalige Chance.«

»Ich weiß«, gab Franzi resigniert zurück.

Erleichterung breitete sich in ihr aus, als der Kellner die Pizza brachte. Die angebrochene Pralinenpackung steckte sie zurück in ihre Tasche.

Verschiedene Aromen drangen an ihre Nase und ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. Während sie aß, lauschte sie den Ausführungen ihrer Mutter. Wie immer drehte sich bei ihren Gesprächen beinahe alles um die Musik.

»Freust du dich auf die Feier heute Abend?«, fragte Diana übergangslos und lächelte, als Franzi den letzten Bissen hinuntergeschluckt hatte.

Das Klingeln ihres Telefons enthob sie einer Antwort. Franzi zog ihr Handy aus der Tasche und runzelte die Stirn. Sie hoffte, dass ihr Hausarzt Neuigkeiten für sie hatte.

Dr. Wagner war ihr Arzt, seit sie denken konnte. Natürlich hatte sie zuvor einen Kinderarzt gehabt. An den konnte sie sich aber kaum noch erinnern. Hängen geblieben war einzig, dass er Mundgeruch gehabt hatte. Damals war sie froh gewesen, als ihre Mutter sie zu Dr. Wagner mitgenommen hatte und der sich bereit erklärte, auch ihre Betreuung zu übernehmen. Aus diesem Grund duzte er sie noch heute und nannte sie beim Vornamen, während sie ihn nach wie vor brav mit Dr. Wagner ansprach und »Sie« zu ihm sagte.

Da sie damals ein Kind gewesen und für ihn der Umgang mit so jungen Patienten ungewöhnlich war, verhielt er sich ihr gegenüber immer väterlich und zuvorkommend. Das hielt auch heute, gut zwanzig Jahre später, noch an. Stets machte er sich Sorgen um das kleine Mädchen und hatte Angst, dass ihr alles zu viel werden könnte. Dabei vergaß er, dass sie mit ihren achtundzwanzig Jahren eine erwachsene Frau war und mitten im Leben stand. Während er beinahe schon in Rente ging und sich den Luxus leistete, nur noch ausgewählte Patienten zu behandeln.

Manchmal konnte Franzi den Impuls, ihm um den Hals zu fallen, kaum unterdrücken. Wie man es bei einem Vater tat, den man beruhigen wollte. Bei ihrem eigenen hatte sie kaum Gelegenheit dazu, denn ihre Eltern hatten sich getrennt, da war sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen, und er wohnte nicht eben um die Ecke.

»Hallo Francesca.«

Franzi sah ihn förmlich vor sich, wie er hinter seinem großen Schreibtisch über den Papieren thronte. Sein weißer Schnurrbart zitterte, wenn er sprach.

Er war einer der wenigen, der sie bei ihrem richtigen Namen nannte, und das auch nur, wenn er eindringlich wurde. Gerade das war es, was Franzi misstrauisch machte.

»Haben Sie Neuigkeiten für mich?« War bei der Untersuchung am Ende etwas Besorgniserregendes herausgekommen?

»Wie man es nimmt.«

Franzi wartete bang darauf, dass er weitersprach. Während ihre Mutter sie mit Argusaugen beobachtete.

»An der Schilddrüse liegt es auf jeden Fall nicht«, beschwichtigte er sie.

»Was ist dann?«

Sein Seufzen drang deutlich aus dem Hörer.

»Francesca, was ich dir jetzt sage, wird dir vermutlich nicht gefallen.«

Franzi spürte, wie ihr das Blut in die Beine sackte. Sie war froh, dass sie saß, sonst hätten ihre Knie nachgegeben.

»Du leidest an einem Zustand akuter Erschöpfung. Und wenn du nicht aufpasst, wirst du früher oder später zusammenklappen.«

Einen Augenblick lang wusste sie nicht, was sie sagen sollte. Dann begann sie zaghaft zu lachen, doch es klang hysterisch.

»Ist das alles?«, fragte sie erleichtert, als sie wieder sprechen konnte. Sie hatte sich bereits mit einem Bein im Grab stehen sehen.

»Francesca, damit ist nicht zu spaßen.« Die Stimme des Arztes klang eindringlich. »Du wärst nicht die Erste, die sich zu viel zumutet und dann zusammenbricht. Die Anzeichen sind eindeutig vorhanden. Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Konzentrationsmangel. Du musst kürzertreten.«

»Wie stellen Sie sich das vor? Ich habe Verpflichtungen.«

»Francesca, du spielst ernsthaft mit deiner Gesundheit. Ich rate dir dringend, einen längeren Urlaub zu machen.«

Franzi schwieg. Sie war sich der aufmerksamen Blicke ihrer Mutter durchaus bewusst.

»Ich denke darüber nach«, versprach sie und wusste nicht, ob die Erleichterung überwog, dass sie nicht schwer erkrankt war, oder das Entsetzen, dass ihr Arzt ihr eine Pause verordnet hatte.

»Lass dir nicht zu lange Zeit mit der Entscheidung. Du weißt, ich mag dich.«

Franzi bedankte sich und steckte das Smartphone zurück in die Tasche.

Diana hob fragend die Brauen.

»Das war Dr. Wagner«, sagte Franzi widerstrebend.

»Ist etwas Schlimmes?« Diana sah sie erschrocken an.

»Er hat mir zu einer längeren Pause geraten, weil er meint, dass ich kurz vor einem Zusammenbruch stehe.«

»So ein Blödsinn«, brauste Diana auf. »Du bist doch fit.«

»Na ja, ganz wohl fühle ich mich im Moment nicht. Ich schlafe schlecht und ab und zu wird mir schwindelig.«

»Franzi, das kannst du nicht machen. Nicht jetzt, wo das Sunset-Beach-Festival ansteht. Davon hängt deine weitere Karriere ab.«

»Ich weiß«, erwiderte sie leise.

Ihre Mutter biss sich auf die Unterlippe und dachte angestrengt nach. »Okay, ich verstehe das natürlich.« Doch Franzi hörte die Panik in ihrer Stimme. »Du musst durchhalten bis zum Festival. Anschließend kannst du Urlaub machen. Gern auch einen längeren. Aber so eine Chance bekommst du nie wieder. Damit steht und fällt deine Zukunft.«

Franzi nickte bedrückt. Im Moment schossen ihr tausend Gedanken durch den Kopf, aber sie war nicht in der Lage, sie zu sortieren.

»Versprich mir, dass du darüber nachdenkst.« Eindringlich sah ihre Mutter sie an und schließlich nickte Franzi zögernd, was Diana einen erleichterten Seufzer entlockte.

»Also, die Party heute Abend«, nahm sie den Faden auf, als wäre nichts gewesen. Franzi war froh über die Ablenkung. »Freust du dich darauf?«

Philip hatte Geburtstag und es sollte eine große Feier werden, denn ihr Lebensgefährte beabsichtigte, für den Posten des Landrats zu kandidieren. Er wäre damit der jüngste in der Geschichte und Parteifreunde sagten ihm bereits eine große Karriere voraus. Es wurde gar gemunkelt, dass er als Kanzlerkandidat aufgebaut werden sollte. Das brachte mit sich, dass nicht nur Bekannte und Parteifreunde eingeladen waren, sondern auch einflussreiche Größen aus der Wirtschaft.

Das würde sicher ein langer und anstrengender Abend werden. Franzi hätte etwas Ruhigeres vorgezogen. Aber es war Philips Geburtstag und er hatte jedes Recht, ihn so zu feiern, wie er sich das wünschte.

»Was wirst du anziehen?«

Franzi zuckte mit der Schulter. »Keine Ahnung. Jeans und T-Shirt?«

Ihrer Mutter entgleisten prompt die Gesichtszüge. »Das kannst du nicht machen! Nicht heute Abend.«

Franzi lachte hellauf. »Natürlich nicht. Aber das kleine Schwarze muss es nun auch nicht sein, oder?«

»Nicht unbedingt«, lenkte ihre Mutter ein und schnitt eine Grimasse. »Aber stell dir nur vor, all die bedeutenden Gäste.«

Franzi hegte den Verdacht, dass ihre Mutter die Party nutzen würde, um Kontakte zu knüpfen. So, wie sie es gern tat, wenn sich die Gelegenheit bot, einflussreiche Menschen kennenzulernen. Man konnte schließlich nie wissen, wofür eine Bekanntschaft einmal gut war.

Manchmal fragte sie sich, warum ihrer Mutter das so wichtig war. Das Gesangstalent hatte sie ihrer Tochter vererbt. Den Wunsch, sich mit bedeutenden Personen zu umgeben, definitiv nicht. Franzi hätte lieber mit einem Stadtstreicher auf einer Parkbank gesessen statt mit einem Bürgermeister beim Dinner. Da musste sie wenigstens keine Angst haben, das falsche Besteck zu benutzen. Ihre Mutter beherrschte die vorgeschriebene Etikette zur Perfektion.

»Du solltest dich anständig kleiden.« Diana klang nun ernsthaft bestürzt und warf ihr einen sorgenvollen Blick zu.

Franzi wunderte sich, dass ihrer Mutter das so wichtig war. »Warum? Kommt der Kaiser von China?«

Sie bestellte einen Espresso macchiato, was ihr einen weiteren strafenden Blick eintrug, den sie aber tapfer ignorierte.

»Nein. Aber dem Anlass wäre es angemessen, wenn du dich vornehm kleiden würdest.«

»Ist ja gut, Mama. Ich habe mir ein rotes Sommerkleid gekauft, das passen müsste. Damit brüskiere ich bestimmt niemanden.«

Mit einem geheimnisvollen Lächeln lehnte sich ihre Mutter zurück. »Dann wird das sicher ein unvergesslicher Abend werden.«

Franzi nickte und fragte sich, was diese Worte bedeuteten. Unwillkürlich hatte sie das Gefühl, dass sich etwas hinter ihrem Rücken zusammenbraute, das ihr nicht behagte. Die Überraschungen, die man in letzter Zeit für sie bereitgehalten hatte, waren meist mit viel Arbeit und Stress für sie verbunden gewesen.

***

Als sie zu Hause ankam, war sie in ihren Überlegungen keinen Schritt weiter. Dr. Wagners Worte nagten an ihr. Ebenso auch die eindringliche Warnung ihrer Mutter. Sie steckte in einer verdammten Zwickmühle und hatte keine Ahnung, was sie tun sollte.

Sie parkte vor dem Haus mit ihrer Maisonette-Wohnung und sah auf die Uhr. Viel Zeit blieb ihr nicht mehr, um sich für die Geburtstagsfeier zurechtzumachen.

Ausnahmsweise fuhr Franzi mit dem Fahrstuhl in den vierten Stock. Heute fühlte sie sich zu schlapp, um noch mehr sportliche Höchstleistungen zu bringen. Definitiv hatte sie sich beim Fitnesstraining am Morgen übernommen. Zwar waren weitere Schwindelanfälle ausgeblieben, aber sie ahnte, dass ihr Körper ihr seine Grenzen aufzeigte.

Sie öffnete die Tür und trat ein. Die Wohnung gehörte ihr noch nicht lange, und manchmal fühlte es sich an wie ein Traum. Sie hatte sie gekauft, als abzusehen war, dass der Erfolg ein langfristiger werden könnte und sich nicht als Eintagsfliege entpuppte.

Großzügig sollte ihr Heim sein, war ihre Vorstellung gewesen. Und hell natürlich. Mit einer modernen Einrichtung.

Der Makler hatte bei ihren Wünschen glänzende Augen bekommen und sich eifrig ans Werk gemacht, ihr luxuriöse Wohnungen herauszusuchen. Zunächst schluckte Franzi, als sie die Preise sah. Aber ihre Mutter hatte die Zweifel mit dem berechtigten Hinweis, sie könne es sich leisten, vom Tisch gefegt. Mit Sicherheit stimmte das, dachte Franzi. Doch es erschien ihr dekadent, ihr hart erarbeitetes Geld für vier so luxuriöse Wände auf den Kopf zu hauen. Noch hatte sie sich nicht daran gewöhnt, und manchmal rieb sie sich die Augen, wenn sie sah, was auf ihren Kontoauszügen für Summen standen.

Schließlich hatte sie sich für eine der kleineren Wohnungen entschieden. Sie war immer noch teuer genug. Hätte man ihr vor fünf Jahren gesagt, dass sie jemals so viel Geld für ein Dach über dem Kopf ausgeben würde, hätte sie demjenigen den Vogel gezeigt.

Die Wohnung war freundlich und geräumig und bot mit der ausladenden Dachterrasse einen herrlichen Blick über die Dächer Münchens. Ein bisschen verwildert und eingewachsen war sie. Aber mit den Loungemöbeln eine Oase der Ruhe und Erholung.

Doch dafür hatte Franzi heute keinen Sinn. Ihre momentane Situation zehrte an ihren Nerven. Sie wusste, dass sie die Entscheidung, ob sie beim Festival singen wollte, nicht ewig hinauszögern konnte. Im Moment fühlte sie sich dazu nicht in der Lage.

Sie startete den Kaffeevollautomaten in der Küche, der in die Schrankwand integriert war, und ließ ihre Tasse volllaufen. Im Schlafzimmer empfing sie angenehme Kühle. Dieser Raum war ihr fast der liebste im Haus. Entgegen den Ratschlägen ihrer Mutter, die auf Weiß bestand, hatte sie sich für kräftige Orangetöne an der Rückwand entschieden. Der Raum hatte die beruhigende Wirkung mediterranen Flairs. Erdig braune Möbel und auch die rotorange Bettwäsche vervollständigten den Eindruck.

Das musste ein Überbleibsel ihrer Wurzeln sein. Kein Wunder, dass ihre Mutter sich damit nicht hatte anfreunden können. Oder wollen. Sie grinste in sich hinein.

Franzi nahm das rote Sommerkleid aus dem Schrank und ging damit ins angrenzende Badezimmer. Der Makler hatte nicht aufgehört, in den höchsten Tönen davon zu schwärmen, wie luxuriös alles war. Die Regendusche sowie die Jacuzzi-Funktion in der Badewanne ließen keine Wünsche offen. Franzi schwirrte bald der Kopf. Sie hatte sich in die Farben und die Wärme verliebt, die der Raum ausstrahlte, nicht in die technischen Vorzüge.

Den Ausschlag gab schließlich die Dachterrasse, auf der einige Pflanzkübel herumstanden, für die der Makler sich mit einem verärgerten Stirnrunzeln entschuldigte. Eigentlich hätte der Hausmeister sie längst entsorgen müssen.

Franzi hingegen ging wie magisch angezogen zu den halb verkümmerten Rhododendren und begutachtete die Reste des mittlerweile vertrockneten Kräutergartens. Heimatliche Gefühle stiegen in ihr hoch, ohne dass sie wusste, woher, und instinktiv ahnte sie, dass ihr diese Wohnung ein Zuhause werden würde.

Nicht nur der Makler war überrascht, auch ihre Mutter warf ihr einen verwunderten Blick zu, als sie ausrief: »Die nehme ich«. Dabei hatte sie nicht einmal alles gesehen, geschweige denn eine Nacht über diese wichtige Entscheidung geschlafen. Sie war sich sicher gewesen wie selten im Leben, dass das ein gemütliches Heim werden würde. Deswegen ignorierte sie ausnahmsweise auch jeden wohlgemeinten Rat ihrer Mutter und blieb stur.

Franzi duschte ausgiebig, zog sich um und legte ein Make-up für den Abend auf, ehe sie den mittlerweile kalten Kaffee austrank und einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel warf. Sie war zufrieden mit dem Ergebnis und stellte erleichtert fest, dass sie deutlich frischer aussah als noch kurz zuvor. Vielleicht war alles doch nicht so schlimm. Probehalber verzog sie die Mundwinkel zu einem Grinsen, das zunächst noch etwas schief geriet. Dann erreichte das Strahlen ihre braunen Augen, die von langen Wimpern sanft umrahmt wurden. Ein bisschen wirkte es, als habe sie das Lächeln angeknipst. Aber es funktionierte und das war das Wichtigste. Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus und lachte leise auf.

Ihr Handy läutete und sie warf einen verärgerten Blick auf das Display. Doch als sie sah, wer störte, wurde ihr warm ums Herz.

»Ciao, Papà«, sagte sie.

»Ciao, piccola mia«, sagte er, und die lang gezogenen Buchstaben, mit denen er die Koseworte an sie richtete, sorgten für ein heimeliges Gefühl in ihrer Magengegend, und urplötzlich verspürte sie den beinahe überwältigenden Wunsch, sich an seine Brust zu werfen und den Kopf an seinem Hals zu vergraben, wie sie es als Kind gern getan hatte.

»Wie geht es dir?«

»Wenn du anrufst, immer gut«, lächelte sie in den Hörer und setzte sich auf den Rand der Badewanne.

»Erzähl! Von dir hört und sieht man nur noch im Fernsehen.«

»Ja, ist das nicht unglaublich? Ich kann es immer noch nicht fassen, was alles passiert.« Sie versuchte sich an einem lockeren Tonfall, weil sie nicht wollte, dass ihr Papa sich Sorgen machte. So wichtig war ihr, dass er stolz auf sie war. Und es wäre nicht fair gewesen, ihn mit ihren Nöten zu überfallen, wo er in Mailand viel zu weit entfernt war. Auch wenn sie im Moment nichts lieber getan hätte, als ihm ihr Herz auszuschütten.

»Sì, das ist fantastico. Aber, Francesca, wie geht es dir? In dir drin?«

Franzi biss sich auf die Unterlippe. Ein bisschen fühlte sie sich überrumpelt von den Antennen ihres Vaters.

Seit Franzi denken konnte, litt sie unter dem schlechten Verhältnis ihrer Eltern. Zunächst waren da die ständigen Streitereien gewesen, denen sie ausgesetzt gewesen war. Dann hatte ihre Mutter eines Tages die Reißleine gezogen und war zusammen mit ihr ausgezogen. Zwar hatte ihr Vater versucht, den Kontakt zu seiner Tochter zu halten, und war auch nur ihr zuliebe anfangs in Deutschland geblieben, aber es war schwer gewesen, weil Diana kein gutes Haar an ihm gelassen hatte. Als Kind glaubte Franzi alles, was ihre Mutter ihr sagte. Erst später lernte sie zu differenzieren und stellte fest, dass viel von dem, was sie ihr erzählte, übertrieben und ausschließlich auf deren verletzten Stolz zurückzuführen war. Wie sie sich ab und zu fragte, ob ihre Mutter ihr die Schuld am Scheitern der eigenen Karriere gab, so vermutete sie, dass diese die Frage auf ihren Vater bezogen, ohne mit der Wimper zu zucken, bejahen würde.

Für Franzi war es noch nie einfach gewesen, beiden gerecht zu werden. Auch ihr Vater schimpfte bisweilen auf die Mutter. Doch sie versuchte ihr Bestes, um zu beiden ein gutes Verhältnis zu pflegen. Schließlich war sie dazu übergegangen, nicht mehr über den anderen Elternteil zu sprechen, und seither schienen alle ihren Frieden gefunden zu haben.

»Mir geht es gut, Papà.«

Er schwieg einen Moment, und Franzi ahnte, dass er sich um sie sorgte.

»Möchtest du nicht einmal Urlaub machen?«, fragte er schließlich. »In Italien? Bei deiner Nonna? Du hast sie lange nicht gesehen und sie wird auch nicht jünger. Ihr Fleckchen Erde ist wirklich idyllisch.«

Franzi wusste, dass ihre Großmutter eine kleine Pension in der Toskana führte, und erinnerte sich gern an die zwei Sommer, die sie dort verbracht hatte.

Ob sie Philip dazu überreden konnte? Ein paar Tage in der Toskana hörten sich verlockend an. Es mussten nicht unbedingt Palmen und Sandstrand sein. Zwar wohnte ihr Vater weit entfernt in Mailand, aber sicher würde er auch zu Besuch kommen. Damit könnte sie zumindest die Zeit bis zum Festival überbrücken und sich anschließend einen längeren Urlaub gönnen. Das war die perfekte Lösung für ihr Problem.

»Ich werde mit Philip darüber reden«, versprach sie und nahm sich das für den Abend fest vor.

»Er gefällt dir wohl, dein Filippo«, meinte ihr Vater und lachte gutmütig.

»Er ist ein toller Mann«, schwärmte sie. »Natürlich nicht so toll wie mein Papà«, schob sie eilig hinterher.

»Du kannst ihm ausrichten, dass wir in Italien nicht viel reden, wenn es um das Glück unserer Töchter geht. Aber wir haben, wie sagt man, eine große Verwandtschaft für gute Alibis.«

Jetzt lachte Franzi lauthals los. Scherzhaft machte ihr Papa manchmal auf Mafioso, auch wenn er davon so weit entfernt war wie vom Mond. Doch er gefiel sich in der Rolle des Beschützers, obwohl er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte.

»Ich richte es ihm aus. Allerdings kann ich mich nicht daran erinnern, dass wir eine italienische Großfamilie haben. Philip hat heute übrigens Geburtstag und wenn ich nicht zu spät kommen möchte, muss ich mich langsam fertig machen.«

»Ah, sì, ich verstehe.«

»Ich rufe dich am Wochenende an, Papà. Und dann komme ich dich besuchen. Zusammen mit Philip.«

Sie verabschiedeten sich und Franzi legte mit einem Gefühl der Geborgenheit auf. Bei all dem Ruhm, den sie im Moment hatte, war es manchmal tröstlich zu wissen, wohin sie nach Hause kommen konnte. Heute Abend würde sie mit ihrem Lebensgefährten über den längst überfälligen Urlaub reden. Sie schlug zwei Fliegen mit einer Klappe und konnte sich nach dem Festival erholen.

Kapitel 3

Staunend ließ Franzi ihren Blick über die Menge unter ihr gleiten. Sie stand auf der Galerie in der Eingangshalle des Softwareunternehmens, in dem die Geburtstagsfeier stattfand. Der Geschäftsführer war ein Freund von Philip und hatte das Foyer für die Feierlichkeiten zur Verfügung gestellt.

Dass es gelungen war, das sterile Flair in ein behaglich gehobenes Partyambiente zu verwandeln, verwunderte sie. Sie hatte befürchtet, dass die Feier eine staubtrockene Angelegenheit inmitten einer Firmeneingangshalle werden würde. Jetzt war sie beruhigt. Die Angestellten des Partyservice hatten ganze Arbeit geleistet. Den Tag über waren sie damit beschäftigt gewesen, die große Halle in eine Art Ballsaal umzugestalten. Dort, wo sonst Geschäftsleute ein- und ausgingen, standen nun mit weißen Tüchern überzogene Stehtische. Kellner eilten mit Tabletts hin und her und begrüßten die Gäste mit einem Glas Sekt und Häppchen. Weiter hinten gab es runde Tische, an denen später diniert werden würde. Außerdem hatte Philip eine Band engagiert, die der Party den nötigen Schwung geben sollte.

»Wenn du mich fragst, ist das an Dekadenz kaum zu überbieten«, sagte Sarah, Nikos Assistentin und mittlerweile eine gute Freundin, spöttisch und schüttelte den Kopf beim Anblick der Menschenmenge. »Ist das eine Wahlkampfveranstaltung oder eine Geburtstagsparty?«

Franzi zuckte mit der Schulter. Es war Philips Fest. Er hatte das so gewollt und die Anwesenden waren seiner Einladung zahlreich und willig gefolgt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätten sie lieber in einem kleinen Restaurant gefeiert, bei leckerem Essen und einem hervorragenden Glas Wein. Sie hätte Philip in trauter Zweisamkeit ihr Präsent überreicht. Stattdessen war sie in seine Wohnung nach Grünwald gefahren und hatte ihm das Geschenk zwischen Tür und Angel überreicht, weil er schon auf dem Sprung zur Feier gewesen war. Gefreut hatte er sich dennoch, als er die Uhr in Augenschein genommen hatte, und sie in eine liebevolle Umarmung gezogen. Es war nicht nur eine einfache Armbanduhr, die sie ausgesucht hatte. Vielmehr zeigte sie zwei verschiedene Zeiten an. Damit er immer wusste, wie spät es zu Hause war. Denn oft genug war er im Ausland unterwegs.

»Du möchtest nur, dass ich dich nicht aus dem Schlaf reiße, weil ich mal wieder verschusselt habe, dass es bei dir mitten in der Nacht ist«, sagte er lachend und küsste sie. »Sie ist wunderschön. Das ist eine großartige Idee.«

Er legte den Schmuck an, ehe sie zur Party aufbrachen. Dort entschuldigte er sich jedoch, weil er nach dem Rechten hatte sehen wollen. Franzi war das nur lieb gewesen. Sie flüchtete sich auf die Galerie und beobachtete die eintreffenden Gäste, die gratulierten und gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten scherzten. Von oben entdeckte sie bekannte Persönlichkeiten. Hauptsächlich aus der Politik, es waren aber ebenso Unternehmer und Künstler darunter. Einige davon kannte sie, manche sogar näher. Andere hingegen sah sie heute zum ersten Mal. Wieder einmal wunderte sie sich, mit wie vielen Menschen Philip befreundet war. Und das offenbar gut.

»Wahnsinn, die Masse«, staunte Franzi. »Das müssen mindestens dreihundert Leute sein. Wenn du deinen Geburtstag so feierst, hast du es geschafft.« Obwohl sie lieber allein mit ihm gefeiert hätte, zollte sie ihm dennoch Respekt für dieses Fest.

»Du hast es doch auch geschafft.« Sarah warf ihr einen verwunderten Blick zu.

»Ich?«

»Deutschland liegt dir zu Füßen. Und wenn du beim Sunset-Beach-Festival auftrittst, bald die ganze Welt.«

»Ich stehe immer noch am Anfang.«

»Im Ernst, was sagt es aus, wie viele Menschen zu deiner Party kommen?«

Franzi schwieg und dachte über die Worte nach. »Zumindest heißt das, dass du beliebt bist.«

»Und was hast du davon? Wie viel ist echt?«

Die Frage wirkte wie ein Nadelstich.

»Was genau ist denn wirklich Glück?«

»Keine Ahnung.« Franzi zuckte mit der Schulter.

»Also ich für meinen Teil feiere lieber in kleinem Rahmen. Mit den fünf oder zehn besten Freunden. Die müssen aber mitten in der Nacht da sein, wenn ich sie anrufe und ihnen sage, dass ich ein Problem habe. Dann sollen sie zu mir kommen und mich unterstützen. Ohne lang darüber nachzudenken und egal, wie spät es ist.«

Franzi sog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. Hatte Sarah am Ende recht? In letzter Zeit fühlte sie sich zunehmend einsam, obwohl es wahrscheinlich auch ihr gelungen wäre, mit ihren Bekannten diesen Saal zu füllen. Aber wahre Freunde? So richtige? Da gab es nur Sarah. Selbst Babsi, mit der sie die Schulbank gedrückt hatte und von der sie geglaubt hatte, dass sie ihre beste Freundin war, hatte sich in ihrem Licht gesonnt und überall mit ihr angegeben. Zwar war der Kontakt nach wie vor vorhanden, mittlerweile aber nur noch sporadisch.

»Vielleicht hast du recht«, lenkte sie ein. Von diesen Gedanken wollte sie sich nicht den Abend verderben lassen. »Komm, wir feiern ein bisschen. Außerdem habe ich Hunger. Wir sollten uns beeilen und von den Häppchen kosten, bevor die Bande da unten alles weggefuttert hat.«

Gemeinsam mit Sarah versuchte Franzi, sich einen Weg zum Geburtstagskind zu bahnen, wurde jedoch immer wieder aufgehalten. Sie lachte und scherzte mit Philips Gästen und war überrascht, als er plötzlich neben ihr stand.