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Nach dem Überraschungserfolg ihres letzten Romans leidet Ella an einer handfesten Schreibblockade. Ausgerechnet jetzt soll sie zusammen mit einem anderen Schriftsteller ein gemeinsames Buch schreiben. Wie soll sie das nur jemals schaffen? Kurz entschlossen nimmt Ella das verlockende Angebot an, auf einer schottischen Burg ein Schreibseminar zu leiten. Im rauen Klima der Highlands gelingt es ihr schnell, auf andere Gedanken zu kommen. Das liegt nicht zuletzt an ihrem äußerst charmanten Schreibschüler Patrick, der nicht nur hervorragend schreiben kann, sondern auch noch ziemlich gut aussieht. Gelingt es ihm, Ella aus ihrer Krise zu helfen? Und welche Motive verfolgt er wirklich dabei?
Mit leckeren schottischen Rezepten zum Nachkochen.
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Seitenzahl: 279
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Nach dem Überraschungserfolg ihres letzten Romans leidet Ella an einer handfesten Schreibblockade. Ausgerechnet jetzt soll sie zusammen mit einem anderen Schriftsteller ein gemeinsames Buch schreiben. Wie soll sie das nur jemals schaffen?
Kurz entschlossen nimmt Ella das verlockende Angebot an, auf einer schottischen Burg ein Schreibseminar zu leiten. Im rauen Klima der Highlands gelingt es ihr schnell, auf andere Gedanken zu kommen. Das liegt nicht zuletzt an ihrem äußerst charmanten Schreibschüler Patrick, der nicht nur hervorragend schreiben kann, sondern auch noch ziemlich gut aussieht. Gelingt es ihm, Ella aus ihrer Krise zu helfen? Und welche Motive verfolgt er wirklich dabei?
Mit leckeren schottischen Rezepten zum Nachkochen
Über Julia K. Rodeit
Julia K. Rodeit ist das Pseudonym der Krimi-Autorin Katrin Rodeit, die mit ihrer Familie am Rande der Schwäbischen Alb wohnt.Weil das Ermorden von Menschen auf Dauer recht anstrengend und mitunter auch langweilig wurde, hat sie beschlossen, als Julia K. Rodeit ihre romantische Seite zum Vorschein zu bringen. Dabei entführt sie ihre Leserinnen und Leser an traumhafte Orte auf dieser Welt.
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Julia K. Rodeit
Sommerwind in den Highlands
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Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Rezepte
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Stew vom Angusrind
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Apple Crumble
Scottish Scones
Impressum
Ella holte tief Luft. Ihre Finger schwebten über der Tastatur ihres Laptops und plötzlich stellten sich die feinen Härchen auf ihrem Unterarm auf, obwohl es draußen angenehme zwanzig Grad hatte. Vorsichtig senkte sie ihre Hände, die Finger fanden ihre Position, und dann tippte sie langsam und genüsslich »Ende« unter ihr Manuskript. Selten hatte sich dieses Wort besser angefühlt.
Erst jetzt merkte sie, dass sie den Atem angehalten hatte. Einen Moment noch starrte sie auf den Bildschirm, dann lehnte sie sich mit einem erleichterten Seufzen zurück und schloss für einen Moment die Lider. Sie spürte ihre verspannte Rückenmuskulatur und den steifen Nacken und drehte probehalber den Kopf hin und her. Die mittlerweile ungewohnte Bewegung war schmerzhaft, tat aber gut. Sie atmete tief durch und öffnete die Augen, ehe sie sich eine Strähne ihres roten Haares aus dem Gesicht strich, die sich wieder einmal verselbstständigt hatte.
Feiern, war ihr einziger Gedanke. Sie musste das irgendwie feiern. Mit einem Glas Wein am Abend vielleicht. Aber allein? Das machte keinen Spaß. Entschlossen griff sie nach dem Telefon und wählte die Nummer ihrer Agentin, die gleichzeitig ihre Freundin war. Selina war sicher ebenso froh wie sie. Und zu einem Glas Wein musste sie nie überredet werden.
Doch zu Ellas Enttäuschung war der Anschluss besetzt. Dann musste sie eben warten. Sicher freute sich Selina auch über eine Mail. Mit einem liebevollen Lächeln betrachtete sie das eine Wort mit den vier Buchstaben, das sie noch nie so herbeigesehnt hatte wie diesmal, ehe sie das Dokument mit einem tiefen Gefühl der Erleichterung abspeicherte und anschließend doppelt sicherte. Sie wäre nicht die Erste, deren Schaffenskraft eines Tages oder mehrerer Wochen im Nirwana eines Computers verschwand.
Dann öffnete sie ihren E-Mail-Account und verfasste eine Mail an ihre Agentin. »Das müssen wir feiern!!!«, schrieb sie darunter. »Und zwar sofort! Also hör auf zu telefonieren!« Ella grinste, als sie sich Selinas Gesicht beim Lesen der Mail vorstellte, und hängte das Manuskript an. Ohne zu zögern, betätigte sie den Senden-Button. Nur weg damit und ja kein Blick zurück. Die Arbeit an diesem Buch war ein einziger Kampf gewesen.
Ein leises »Pling« verkündete eine neue Mail in ihrem elektronischen Postfach und verdutzt sah Ella auf. Hatte Selina ihr schon geantwortet?
Ihr schlechtes Gewissen wuchs, als sie die Anzahl der unbeantworteten Mails überflog, die sich in ihrem Postfach angesammelt hatte. Sie war in den letzten Wochen zu nichts gekommen. Morgens um acht Uhr hatte sie sich an den Schreibtisch gesetzt und den verflixten Computer erst abends ausgeschaltet. Oft hatte sie nachts noch einmal versucht zu arbeiten, wenn sie keinen Schlaf gefunden hatte. Und mit welchem Ergebnis? Dass sie dem Roman zwei oder drei Seiten hinzugefügt hatte, weil sie um Worte gerungen und Sätze umgestellt und verworfen hatte. Nur, um sie am Ende ganz anders zu formulieren.
Die Nachricht hatte einen ihr unbekannten Absender. Nach SPAM sah sie aber nicht aus. Neugierig klickte sie darauf und las in den folgenden Minuten mit zunehmendem Staunen.
»Hihi, das geht nicht«, lachte sie schließlich und schüttelte den Kopf, ehe sie die Mail wegklickte. Da fragte tatsächlich der Veranstalter einer Schreibakademie an, ob sie kurzfristig bereit wäre, für ein Seminar über kreatives Schreiben einzuspringen – als Ersatz für einen Dozenten, der mit Blinddarmdurchbruch im Krankenhaus lag.
Eigentlich wäre das für Ella kein Problem. Das war ihr täglich Brot gewesen, als sie noch keine Bestsellerautorin gewesen war. Sie hatte für Schreibinteressierte Kurse gegeben, um ihnen etwas über Figurenpsychologie, das Drei-Akt-Modell oder Spannungsaufbau zu erzählen.
Aber im Moment konnte sie sich weder vorstellen, etwas zu tun, das auch nur im Geringsten mit dem Thema Schreiben zu tun hatte, noch hatte sie Lust, nach Schottland auf eine zugige Burg zu fahren und den Rest des Frühlings in der Heimat zu verpassen.
Das Läuten des Telefons unterbrach ihre Gedankengänge.
»Na, endlich!«, war das Erste, das Selina sagte, als Ella das Gespräch angenommen hatte. »Herzlichen Glückwunsch.«
»Das müssen wir feiern. Unbedingt!«, sprudelte Ella heraus. »Wir treffen uns im Café am Jungfernstieg. In einer Stunde.«
»Moment«, bremste ihre Agentin. »Ich kann doch nicht alles stehen und liegen lassen.«
»Oh doch, das kannst du. Wir feiern das gemeinsam. Hast du eine Ahnung, wie hart die letzten Wochen waren?«
»Du hast es mir nur beinahe jeden zweiten Tag unter die Nase gerieben«, gab Selina trocken zurück.
»Tut mir leid.« Ella war ehrlich zerknirscht.
»Ist nicht schlimm. Dazu sind Freundinnen da. Und Agentinnen auch.«
»Dann kommst du also?«
»Ich schaffe es vielleicht nicht ganz pünktlich. Aber in eineinhalb Stunden müsste ich da sein.«
»Fein, ich freue mich!«
Ella legte auf und schloss den Deckel des Laptops mit einem Seufzer der Erleichterung, der sicher noch zwei Straßen weiter zu hören war.
***
Wenig später bummelte Ella an der Alster entlang und saugte alles an Leben um sich herum auf, das sie zu fassen bekam. Sie hatte mehr Zeit als üblich auf das Aussuchen ihrer Kleidung verschwendet, was hauptsächlich daran lag, dass sie in den vergangenen Wochen kaum mehr als Jogginghosen und labbrige T-Shirts angehabt hatte.
Jetzt trug sie einen dunkelbraunen Rock mit breitem Ledergürtel, der mit Schnallen verziert war, die leise klimperten. Dazu eine weiße, eng anliegende Rüschenbluse mit tiefem Ausschnitt, deren Ärmel sie nach unten gezogen hatte, sodass ihre Schultern Sonne abbekamen. Ein leichter Wind blies durch ihr rotes, schulterlanges Haar, das sie nun offen trug. Eine Frisur ließ sich daraus nur schwer formen. Das war aber nicht weiter schlimm, denn die Brise frischte auf und tat ihr Übriges, jeden Versuch, ihr Haar zu bändigen, im Ansatz zu zerstören. Ihre Augen verbarg sie hinter einer getönten Brille und die Sonnenstrahlen wärmten ihre Haut.
Auf der Alster waren kleinere Schiffe und Boote unterwegs, dazwischen schwammen Enten und Schwäne, und die Bienen summten rund um die ersten Blüten in der Luft.
Sie lebte wieder und genoss es, unerkannt durch die Straßen zu bummeln. Das war das Schöne am Schreiben: Nicht der Mensch war das Kunstwerk, sondern das, was man geschaffen hatte. Natürlich ließ es sich nicht vermeiden, dass sie ab und zu erkannt wurde. Aber das hielt sich in erträglichen Grenzen.
Sie nahm die bewundernden Blicke der Männer wahr, die sie zweifellos auf sich zog. Wann hatte sie zum letzten Mal ungeniert geflirtet? Wann sich verliebt? Das musste in einem anderen Leben gewesen sein. Ihre letzte richtige und vor allem ehrliche Beziehung lag lange Zeit zurück.
Denn auch das hatte sie lernen müssen: In den vergangenen eineinhalb Jahren hatte sie viele Menschen getroffen, die es nicht immer ehrlich mit ihr gemeint hatten. Die Harmlosesten waren die, die sich in ihrem Glanz zu sonnen versuchten und etwas vom Ruhm abstauben wollten. Die weniger Netten waren wie Mario gewesen, dachte sie mit einem Anflug von Bitterkeit.
Als sie das Café erreichte, setzte sie sich in die Sonne und legte den Kopf in den Nacken. Die Strahlen streichelten ihre Haut und sie spürte, wie die Energie zurückkehrte, die irgendwo zwischen Seite zweihundertachtzig und dreihundertsechsundneunzig ihres neuen Romans auf der Strecke geblieben war. Genau genommen ab dem Zeitpunkt, als ihre Lektorin in die Geschichte eingegriffen und eine Änderung vorgeschlagen hatte.
Im Nachhinein ärgerte sie sich, dass sie dem zugestimmt hatte. Die Dame hatte so überzeugend geklungen und Ella war davon ausgegangen, ihrem Manuskript etwas Gutes zu tun. Doch das sollte sich bald als Trugschluss erweisen und Ella verwünschte den Tag, an dem sie den Vorschlägen zugestimmt hatte.
»Hey, du wirkst so nachdenklich. Ich dachte, es gibt etwas zu feiern.« Unbemerkt war Selina an den Tisch getreten und legte eine Hand auf Ellas Schulter.
»Ich grüble nicht, ich bin nur unsäglich erleichtert«, erwiderte Ella und stand auf, um ihre Freundin zu umarmen.
»Wenn du meinst.« Selina schien nicht überzeugt zu sein.
»Lass uns einen Eisbecher bestellen. Und Prosecco dazu.«
Selina lachte und setzte sich Ella gegenüber. »Du bist fertig, du bestimmst.«
»So soll es sein.« Ella schob die Karte über den Tisch und grinste. »Ich weiß schon, was ich nehme: den Schokoladenbecher.«
»Und für mich ein Bananensplit.« Auch Selina lehnte sich zurück. »Das war eine gute Idee von dir. Ein bisschen Sonne schadet nicht.«
»Ich weiß.« Ella grinste. »Du verstaubst sonst in deinem Büro. Genau wie ich.«
»War es wirklich so schlimm?« Mit einem Mal wurde Selina ernst.
Doch ehe Ella etwas erwidern konnte, eilte die Kellnerin an ihren Tisch und nahm ihre Bestellung auf.
»Es war fürchterlich«, nahm Ella den Faden wieder auf und dachte mit Schaudern an die letzte Zeit zurück. »Früher habe ich unbekümmert drauflos geschrieben.«
»Da warst du auch noch nicht bekannt«, wandte Selina ein.
Ella schwieg. Ihre Agentin hatte recht. Damals hatte sie einen Roman geschrieben und dann gehofft, damit bei einem Verlag unterzukommen. Wie hatte sie sich über ihren ersten Vertrag gefreut, den Selina an Land gezogen hatte! Die Änderungswünsche hatten sich in überschaubaren Grenzen gehalten und Ella hatte nie das Gefühl gehabt, ihre Geschichte aus der Hand zu geben. Auch die folgenden waren ähnlich glatt über die Bühne gegangen. Aber Selina hatte recht. Damit hatte sie sich kaum über Wasser halten können.
»Ich weiß.« Sie seufzte. »Ich klinge furchtbar undankbar. Das bin ich aber nicht, glaub mir. Ich habe nur das Gefühl, dass auf einmal alle an mir und meinem Roman herumzerren. So lange, bis es sich nicht mehr nach meiner Geschichte anfühlt.«
Unglücklich sah Ella auf. Im vergangenen Jahr war es schon einmal so weit gewesen. Ihre Lektorin hatte so lange auf sie eingeredet, dass sie am Ende ihr ganzes Manuskript in einer Trotzreaktion gelöscht hatte und überstürzt und ohne Ziel mit dem Auto aufgebrochen war.
Ihre Fahrt hatte sie in die Toskana geführt und dort hatte sie nicht nur wunderbare Menschen wie Franzi Marino, die berühmte Sängerin, kennengelernt, sie hatte auch die Freude am Schreiben wiedergefunden. Dass sie einen gänzlich anderen Roman entworfen hatte, hatte nicht nur Selina Sorgenfalten auf die Stirn getrieben. Im Verlag war man alles andere als begeistert gewesen, hatte sich schließlich aber darauf eingelassen.
Trotzdem konnte Ella nicht verhindern, dass ihre Lektorin ihre Wünsche einbrachte. Subtil zunächst und Ella hatte nach einigem Zögern mitgespielt. Doch dann war ihr die Geschichte wieder entglitten, ohne dass sie es bemerkt hatte. Und als sie es erkannte, war es zu spät gewesen. Am Ende war es wieder nicht der Roman gewesen, den sie hatte schreiben wollen.
»Beim nächsten Buch wird alles besser«, tröstete ihre Agentin sie.
Ella sah sie entsetzt an. »Beim nächsten Buch? Ich brauche jetzt erst einmal Pause.«
»Ja, sicher. Ich meine ja nur für die Zukunft.«
Ella betrachtete ihre Freundin, die versonnen lächelte, als die Kellnerin das bestellte Eis und die Getränke brachte.
Feierlich hob sie ihr Glas. »Darauf, dass dieses Manuskript endlich fertig ist und ich mir eine Auszeit verdient habe.«
»Darauf, dass es ein neuer Bestseller wird und der folgende Roman das Buch noch in den Schatten stellt. Du sicherst unser Überleben.«
Die Gläser klirrten aneinander und der Prosecco perlte auf ihrer Zunge und hinterließ ein angenehm kribbelndes Gefühl auf ihrem Gaumen und im Hals.
»Selina, mir ist es ernst.«
Ihre Freundin erwiderte ihren Blick aufmerksam.
»Ich möchte im Moment kein neues Manuskript anfangen. Es wird wieder nicht mein eigenes sein.«
Selina schwieg einen Moment und trank einen weiteren Schluck, ehe sie den Löffel in das Bananensplit tauchte.
»Nimm dir eine kleine Auszeit. Ein paar Tage oder Wochen müssten schon drin sein. Ich rede mit dem Verlag. Und dann kannst du frisch erholt wieder ans Werk gehen.«
Ella biss sich auf die Unterlippe und war sich plötzlich sicher, dass das mit ein paar Tagen oder Wochen nicht getan war. Sie hatte wunderschöne Geschichten im Kopf. Doch wenn sie nur daran dachte, den Computer einzuschalten, sträubte sich alles in ihr. Warum verstand Selina das nicht?
Da legte sich plötzlich ein Schatten auf sie und das Cover ihres eigenen Buches schob sich in ihr Blickfeld. Zwischen ihr Gesicht und das Eis. Ella sah mit gerunzelter Stirn auf. Neben ihr stand eine Frau in mittleren Jahren, die einen Einkaufskorb trug. Dem Inhalt nach zu urteilen, war sie auf dem Markt gewesen und hatte zu Hause eine Großfamilie zu versorgen.
»Sie sind doch …?«, begann die Dame, brachte den Satz aber nicht zu Ende. Röte zog sich über ihr Gesicht, auf dem ein verlegenes Lächeln lag. »Entschuldigen Sie bitte die Störung«, hauchte sie an Selina gewandt.
Ella grummelte. Ab und zu passierte es dann doch. Sie wurde von wildfremden Menschen angesprochen, die sie erkannten und nach einem Autogramm fragten. Oder sie wurde gebeten, ihr Buch zu signieren.
»Ja, bin ich wohl.« Seufzend kramte sie in ihrer Handtasche nach einem Stift und warf Selina einen vielsagenden Blick zu. Sie konnte es sowieso nicht ändern.
»Für wen darf ich das Buch denn signieren?«
»Für mich«, erwiderte die Frau mit freudigem Lächeln und Ella stöhnte innerlich auf. Eine Standardantwort auf diese Frage.
»Mein Name ist Katarina«, beeilte die Frau sich zu sagen und hängte den Korb an den anderen Arm.
»Mit h oder ohne?«
»Ohne bitte.«
Ella schrieb »Für Katarina, viel Freude beim Lesen!« auf die erste Seite des Buches, unterschrieb schwungvoll und setzte das Datum dazu. Dann gab sie der Frau ihren Roman zurück.
»Ich wünsche Ihnen viel Spaß damit!«, sagte sie und meinte es ehrlich. Das waren ihre Leser. Ohne die hätte sie nicht diesen Erfolg.
Das Buch verschwand zwischen einer Ananas und mehreren lose im Korb liegenden Kartoffeln, und Katarina ohne h zog zufrieden ab.
Ella steckte den Kugelschreiber nachdenklich zurück in die Handtasche.
»Du möchtest das doch alles gar nicht aufgeben«, meinte Selina sanft und fasste nach ihrer Hand, um sie zu drücken.
»Das sage ich ja gar nicht.«
»Eben.«
»Ich brauche einfach eine Pause. Ich kann jetzt kein neues Buch anfangen.«
»Das verstehe ich. Nimm dir ein bisschen Zeit und dann sehen wir in Ruhe weiter. Okay?« Freundschaftlich zwinkerte Selina ihr zu und griff nach ihrem Glas, um es erneut zu heben. »Und jetzt lass uns noch einmal anstoßen. Auf die Katarinas dieser Welt. Mit oder ohne h, ganz egal!« Übermütig stieß sie ihr Glas gegen Ellas. »Denn das sind die, für die du schreibst.«
Ella nippte an ihrem Getränk. Ihre Agentin hatte recht. Es war nicht der Verlag, für den sie ihre Bücher schrieb. Es waren die Leserinnen und Leser. Und die würden sicher verstehen, wenn sie sich eine kleine Auszeit gönnte.
Patrick Röder wischte sich mit einem Handtuch den Schweiß von der Stirn und grinste, als er sah, wie Linus neben ihm nach Atem rang. Obwohl sein Herzschlag auch deutlich erhöht war, schlug er seinem Kumpel auf die Schulter.
»Tut mir leid, dass ich dich fertiggemacht habe.«
Linus stand neben ihm, die Hände auf die Knie gelegt, und sah ermattet auf. Um seinen Hals lag ein zusammengerolltes Handtuch.
»In einem anderen Leben, Mann. Du weißt schon, dass ich dich da drinnen so an deine Grenzen gebracht habe, dass du der bist, der morgen vor Muskelkater nicht mehr laufen kann.«
Patrick fuhr sich mit der Hand über das Kinn und runzelte gespielt die Stirn, als denke er angestrengt nach. »Wie ging noch gleich der letzte Satz aus?« Seine Miene erhellte sich, als er auf den Squash-Court blickte, in dem eben das Licht ausging. »Neunzehn zu siebzehn, wenn mich nicht alles täuscht. Oder war es achtzehn zu sechzehn? Ich kann mich nicht mehr richtig erinnern. Das ging irgendwie in deinem Gejammer unter.«
Linus kam ächzend in die Senkrechte. »Das mache ich später wieder wett.«
»Klar, beim Bierglasheben«, spottete Patrick. »Komm, lass uns eine Runde in die Sauna gehen. Ich gebe es nur ungern zu, aber ich werde morgen wirklich kaum noch laufen können.«
»Das beruhigt mich irgendwie.«
Die Sauna war leer, was daran liegen mochte, dass sie zu einer Uhrzeit hier waren, zu der das Studio normalerweise nicht besonders gut besucht war. Wer konnte sich den Luxus schon leisten, morgens um elf in einen Fitnesstempel zu gehen?
Sie hatten längst vorgehabt, das neu eröffnete Studio in Augenschein zu nehmen. Bisher waren sie aber aus Zeitmangel gescheitert. Jetzt jedoch hatte Linus seinen ersten Urlaubstag und Patrick hatte sich selbst eine Auszeit verordnet, nachdem er sein neues Manuskript abgeliefert hatte.
»Verträgst du noch ein bisschen?« Patrick deutete auf den Holzeimer mit dem Saunaaufguss und sah Linus fragend an.
»Wir sind ja nicht zum Spaß hier.«
Patrick gab es nur ungern zu, aber ihn kostete es Mühe, von der obersten Bank hinunterzuklettern, und einen Schöpfer Wasser auf die heißen Steine zu geben. Es zischte lang anhaltend, dann war die Luft erfüllt von Dampf und vom Duft nach nordischer Birke, wie er zuvor auf dem Schild der Flasche gelesen hatte.
Linus stöhnte auf und auch Patrick wischte sich den Schweiß von der Stirn, ehe er wieder hinaufstieg und sich neben seinen Freund setzte.
»Erzähl, was gibt es Neues am Schriftstellerhimmel?«, wollte Linus wissen.
Linus war Patricks bester Freund. Sein einziger, wenn man so wollte.
Er war im Internat groß geworden und von Anfang an hatte ihm eine Bande von rabiaten Halbstarken das Leben zur Hölle gemacht. Patrick war ein typisches Opferkind gewesen. Orientierungslos in der Masse wie eine Nussschale auf hoher See, die hilflos hin und her trieb. Er ertrug weggezogene Stühle, kaputte Hefte und Suppe im Bett. Als er aber eine Nacht in einem Schrank im Keller hatte verbringen müssen, in den ihn der Anführer der Bande eingesperrt hatte, lief das Fass über. Wie von der Tarantel gestochen hatte er sich am nächsten Morgen aus dem Schrank gestürzt, direkt auf seinen Widersacher. Ehe der sich versah, hatte ihm Patrick die Nase gebrochen und einen Haken in den Bauch versetzt, der ihm die Luft genommen und ihn vorübergehend außer Gefecht gesetzt hatte. Die vom Schulleiter aufgebrummte Strafe ertrug er mit stoischer Ruhe und in dem Wissen, seinen Standpunkt klargemacht zu haben.
Es kam zu einer weiteren Konfrontation auf dem Sportplatz und Patrick wusste instinktiv, wenn er die verlor, war das Spiel aus. Er nahm all seinen Mut zusammen und kämpfte wie ein Besessener. Die körperliche Unterlegenheit machte er durch Gewitztheit wett. Ab da genoss er den Respekt der Größeren. Man ging ihm aus dem Weg und ließ ihn in Ruhe.
Linus war ein Jahr später auf die Schule gekommen. Körperlich war er schwächer als Patrick und auf dem besten Weg, ebenso zum Opfer zu werden. Doch Patrick erinnerte sich noch zu gut, wie es ihm ergangen war. Er wäre froh gewesen, hätte es damals jemanden gegeben, der für ihn eingestanden wäre. Außerdem war der Neue gar nicht so übel und ein Ass in Mathe.
Die beiden hatten es noch immer nicht einfach gehabt, aber das Wissen, einen Verbündeten zu haben, hatte sie zusammengeschweißt. Später war eine Freundschaft daraus entstanden, die so eng war, dass kein Blatt Papier zwischen die beiden passte.
So kam es, dass Linus der einzige Mensch aus seinem privaten Umfeld war, der wusste, dass Patrick Röder ein berühmter Schriftsteller war. Selbst seine Eltern ahnten nichts. Was nicht weiter verwunderte, denn Patrick hatte den Kontakt vor langer Zeit abgebrochen.
Wenn ihn jemand aus seinem weitläufigen Bekanntenkreis fragte, was er beruflich machte, antwortete er vage, dass er mit Computern und Programmieren zu tun hatte und selbstständig war. Wenn er dann noch mit ein paar Fachbegriffen um sich warf, so war zumindest seine Erfahrung, ließen es seine Mitmenschen meist darauf beruhen.
Jetzt winkte er ab. »Ich habe mir Urlaub verordnet.«
»Dann gibt es also nichts spektakulär Neues? Du bist nicht für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen worden oder so?«
Patrick lachte laut auf. »Im Leben nicht. Dafür reicht es niemals.«
»Und ich dachte schon, ich könnte mich künftig damit brüsten, einen berühmten Menschen zu kennen.«
»Dann solltest du lieber zur Fashionweek gehen. Da stehen die Chancen besser, einen Promi kennenzulernen.«
»Hast du das Versteckspielen nicht langsam satt? Die ganze Welt rätselt, wer sich hinter dem Pseudonym Max Heinemann verbirgt.«
»Solange er lebt, wird das auch so bleiben.« Patrick hörte selbst, wie geringschätzig er klang. Mit »er« meinte er seinen Stiefvater, dem er den Aufenthalt im Internat und die seiner Meinung nach verpasste Jugend zu verdanken hatte. »Außerdem weißt du, dass es nicht meine Idee war, daraus so ein Geheimnis zu machen. Habe ich dir erzählt, dass kürzlich irgendwo in der Presse zu lesen war, ich sei eine Frau?« Er lachte über diese Erfindung und fragte sich, wie die Journalisten darauf gekommen waren. »Eine Zeitung schrieb sogar, Max Heinemann sei das neue Pseudonym von Joanne K. Rowling, weil sie sich jetzt als Deutsche ausgäbe. Was für ein Blödsinn!«
»Dann ziehst du das also weiter durch?«
Patrick zuckte mit der Schulter. »Mir tut es nicht weh. Ich bin kein Marketingmensch und kann nicht einschätzen, was gut ist und was nicht. Fakt ist, dass es angenehm ist, Geld zu verdienen. Und wenn ich dazu in Deckung bleiben muss, soll mir das recht sein. Ich habe gesehen, wie Kollegen im letzten Jahr über die Buchmesse gehetzt wurden. Verfolgt von Kamerateams und Presseleuten. Da weiß ich die Ruhe zu schätzen.«
Natürlich war ihm bewusst, dass er unglaubliches Glück mit seinem Verlag gehabt hatte. Andere hatten nicht an ihn und seine Geschichte geglaubt und er hatte sich eine Absage nach der anderen eingefangen. Von Leuten, die sich nach seinem kometenhaften Aufstieg jetzt hoffentlich in den Allerwertesten bissen. Nicht vielen Schriftstellern gelang es, mit ihrem Debüt so durchzustarten.
»Deine Sorgen möchte ich haben«, brummte Linus.
Patrick grinste und wischte sich erneut mit dem Handrücken über die Stirn. »Ich hätte da aber schon eine Idee, was ich jetzt machen möchte.«
Linus sah auf. »Erzähl.«
Patrick wusste, dass Linus diese Geschichten gern hörte, wenn er auch nicht müde wurde, den Kopf über so manchen Spleen zu schütteln.
»Ich möchte ein Buch mit einer anderen Schriftstellerin zusammen schreiben.«
Linus sah ihn skeptisch an. »Und wie soll das funktionieren? Du einen Satz und sie einen Satz?«
Patrick lachte. »Nein, das wäre wohl ziemlich umständlich. Das müsste man vorher natürlich genau besprechen. Aber da fällt uns bestimmt etwas ein.«
»Und wie willst du dann deine Geheimhaltung wahren? Ziehst du dir einen Sack über den Kopf, wenn ihr zusammen schreibt?« Linus legte die Stirn in Falten. »Diese Branche ist eine der bescheuertsten, von der ich je gehört habe.«
Patrick hob mahnend den Finger. »Aber sie bezahlt meine Brötchen und im Zweifel auch das Bier, auf das ich dich heute Abend einlade.«
Linus nickte. »Womit habe ich das verdient?«
»Als Trostpflaster für deine Niederlage.«
»Danke, dann bezahle ich selbst, Mann.«
Langsam wurde die Hitze unangenehm und sie beschlossen, den Durchgang zu beenden und in den Ruheraum zu gehen. Nachdem sie im Eiswasser gebadet und sich in flauschige Bademäntel gehüllt hatten, ließen sie sich wenig später ächzend auf die Liegen fallen.
»Wer ist denn die Glückliche?«, nahm Linus den Faden wieder auf.
Patrick grinste in sich hinein, schwieg aber. Er fühlte sich wohl in dem angenehm temperierten Raum. Die Topfpflanzen und die gedeckten Farben ließen Mittelmeerflair aufkommen.
»Mach es nicht so spannend, Mann.« Linus sah zu ihm herüber. Dann erhellte ein Lächeln sein Gesicht. »Doch nicht etwa die Kleine von damals.«
»Ich habe keine Ahnung, welche Kleine du meinst.«
»Na die, auf deren Lesung du warst. Wie war das? Du hast dich nicht getraut, sie anzusprechen, weil sie damals schon berühmt war. Wie hieß sie noch gleich? Ich erinnere mich, dass du wochenlang wie ferngesteuert herumgelaufen bist und einen ziemlich debilen Gesichtsausdruck hattest. Hat sie nicht auch Krimis geschrieben?«
»Liebesromane. Sie schreibt Liebesromane. Aber keine so seichten, sondern welche mit richtig Gefühl, die zum Nachdenken anregen.«
»Ich hatte also recht.«
Patrick antwortete nicht.
»Das wäre ja eine geradezu perfekte Verbindung«, spottete sein Freund. »Der hartgesottene Thrillerautor schreibt einen Roman zusammen mit einer Liebesromanautorin. Wie soll das funktionieren? Verliebt sich am Ende der Serienmörder? Oder bringt er das Liebespaar um?«
»Spar dir das Gespött. Die Idee schwebt mir schon lange vor. Ich sehe nicht die unterschiedlichen Genres, ich sehe die Ähnlichkeit in der Sprache. Das würde wunderbar harmonieren.«
»Eure Sprache oder ihr beiden?«, stichelte Linus, schenkte seinem Kumpel aber ein freundschaftliches Lachen.
Jetzt grinste auch Patrick. »Wenn alles gut geht, beides.«
»Ich wusste nicht, dass sie dir immer noch im Kopf herumspukt. Sie hat es dir wohl ziemlich angetan. Du kennst sie doch nicht einmal.«
»Eben. Wird Zeit, das zu ändern.«
Tatsächlich ging ihm Ella Sommerfeld seit jener denkwürdigen Begegnung nicht mehr aus dem Kopf. Während er damals einer Zusage für seinen Thriller entgegengefiebert hatte, war Ella bereits ein Star. Zu gern hätte er sie ein paar handwerkliche Dinge gefragt, sich in Anbetracht der langen Schlange vor ihrem Tisch aber nicht getraut. Unermüdlich hatte sie Bücher signiert und Fragen beantwortet. Für jeden ihrer Gäste hatte sie ein freundliches Wort übriggehabt. Als er an der Reihe war und ihr das zuvor gekaufte Buch überreichte, hatte sie ihn nach seinem Namen gefragt. Natürlich hatte er zuvor Bilder von ihr gesehen. Die wurden ihr aber nicht gerecht, denn in Wirklichkeit war es ihre natürliche Schönheit, die ihn verzauberte. Sie hatte ein freundliches Lächeln und wenn sie die Lippen verzog, ließ sie eine kleine Zahnlücke erkennen. Dabei strahlten ihre Augen auf unnachahmliche Weise. Ihr rotes Haar umrahmte ihr Gesicht und verstärkte den Eindruck der leicht chaotischen, aber kreativen Frau, die ihrem Beruf mit Herzblut nachging.
Er hatte sein Buch mit der Widmung in Empfang genommen, ohne zu lesen, was sie hineingeschrieben hatte. Stattdessen hatte er ein Dankeschön gestammelt und die Flucht ergriffen. Irritiert von sich selbst, dass der bloße Anblick einer Frau seine Welt erschütterte.
Das Zusammentreffen war kurz gewesen, aber es war ihm in Erinnerung geblieben. Zusammen mit dem Wunsch, sie näher kennenzulernen. Da kam ihm wie gerufen, dass sein Verlag nach einer außergewöhnlichen Idee verlangte. Der Einfall spukte ihm schon seit ein paar Tagen im Kopf herum. Genau genommen, seit er letzte Woche eine ausführliche Reportage in einer Zeitschrift über Ella gelesen hatte. Jene Begegnung von damals war wieder so präsent gewesen, als hätten sie sich erst gestern getroffen. Jetzt, da er seinem Freund davon erzählte, nahm sein Vorhaben konkrete Formen an.
In den letzten Tagen hatte er sich alle ihre Bücher besorgt. Nicht nur den Roman, der zum Bestseller avanciert war. Er hatte sich auch ihre früheren Werke besorgt, die keinen solchen Bekanntheitsgrad erlangt hatten. Sie waren fast noch besser gewesen. Ella Sommerfeld hatte einen puristischen Stil. Aber sie schaffte es, mit wenigen Federstrichen ein solches Kino im Kopf hervorzuzaubern, dass ihn das tief beeindruckt hatte.
»Hallo? Erde an Patrick? In welchem Kosmos bist du gerade?«
Patrick zuckte zusammen und sah zu seinem Freund hinüber.
»Ich fasse es nicht. Du bist verknallt. In eine Frau, die du nicht kennst.« Verwirrt schüttelte Linus den Kopf.
»Ich bin nicht verknallt. Ich möchte sie einfach nur näher kennenlernen. Und der Verlag wollte eine neue Idee. Voilà, das ist die Möglichkeit, beides miteinander zu verbinden. Das ist eine clevere Idee. Findest du nicht?«
Linus schüttelte den Kopf. »Wenn dir zu wohl wird, hast du lauter Schnapsideen. Wie willst du das denn anstellen? Willst du sie anrufen und sagen ›Hey, ich bin der, von dem niemand weiß, wie er heißt und wie er aussieht. Aber ich würde gern ein Buch mit dir zusammen schreiben, weil ich dich so toll finde.‹?«
»Lach du nur«, brummte Patrick und lehnte sich zurück. »Du wirst schon sehen.«
Linus lachte gutmütig. »Ist ja gut, Mann.« Er setzte sich auf. »Schaffst du noch einen Durchgang?«
»Sehe ich aus wie ein Schwächling?«
Patrick erhob sich ebenfalls. Da konnte ihn sein Freund aufziehen, wie er wollte. Er würde seinen Agenten anrufen und fragen, wie man das am geschicktesten in die Wege leitete.
***
Am frühen Nachmittag war Ella wieder zu Hause und beschloss, sich mit einem ausgiebigen Schaumbad zu belohnen. Wenig später glitt sie in das warme Badewasser und schloss genießerisch die Augen. Nach all den Strapazen der letzten Wochen, den durchwachten Nächten und den Kämpfen mit den Worten und Sätzen durfte sie sich das gönnen.
Das Wasser war angenehm temperiert und der prickelnde Schaum hüllte sie ein wie ein seidener Mantel. Tief atmete sie den exotischen Duft von Orchideen ein. Sie spürte, wie sich ihre verkrampfte Rückenmuskulatur lockerte, und ließ sich fallen. Endlich konnte sie abschalten.
Eigentlich hatte sie bei einem Glas erfrischenden Weißwein einem guten Roman lesen wollen. Das hatte sie schon lange nicht mehr mit Genuss getan, weil das schlechte Gewissen sie stets begleitet hatte. Dabei lagen so viele gute Bücher ungelesen auf ihrem Nachttisch.
Aber nun, da sie sich schwerelos im warmen Wasser fühlte und wohltuende Ruhe sich auf sie senkte, lag der Roman bei dem Glas Wein unangetastet auf dem Hocker neben der Wanne.
Das Klingeln des Telefons zerriss die Stille im Badezimmer, die nur ab und zu vom sanften Plätschern des Wassers unterbrochen wurde. Sie wandte den Kopf in Richtung ihres Smartphones, das neben dem Buch und dem Weißweinglas lag und unschuldig läutete.
Ella überlegte, das Bimmeln zu ignorieren. Aber der Anrufer war ausdauernd und schließlich nervte sie das Geräusch.
Was, wenn etwas mit meiner Mutter geschehen ist?, dachte sie plötzlich. Sie war nicht mehr die Jüngste und lebte seit der Trennung von Ellas Vater allein. Ella fuhr hoch und trocknete die Hände hastig am Handtuch ab, ehe sie nach dem Hörer griff.
»Moin, meine Liebe!«, trällerte Selina.
Ella setzte sich auf. »Habe ich etwas vergessen? Wir haben uns eben erst verabschiedet.«
Ihre Agentin lachte. »Nein.«
»Du hattest Sehnsucht nach mir.«
»Noch mal nein.«
»Nicht?« Jetzt schmunzelte auch Ella.
»Ich habe etwas viel Besseres.«
Selinas geheimnisvoller Tonfall ließ Ella vorsichtig werden. Wenn sie so flötete, führte sie etwas im Schilde. Und Ella ahnte, dass ihr das nicht gefallen würde.
»Es ist etwas so Tolles passiert, das glaubst du gar nicht!«
Ella hörte die unterdrückte Erregung in der Stimme ihrer Agentin und spätestens jetzt war sie sich sicher, dass sie den Anruf lieber nicht angenommen hätte.
»Dann lass mal hören«, sagte sie, weil sie wusste, wie sehr Selina darauf brannte, Neuigkeiten loszuwerden. Sie griff nach ihrem Glas und trank einen Schluck.
»Du wirst es mir nie glauben …«
»Selina, bitte.«
»Okay, okay. Ich wollte es nur spannend machen.« Sie seufzte resigniert, ehe sie tief Luft holte. »Also ...«
»Selina!«
»Die Agentur von Max Heinemann ist an mich herangetreten. Ebenso der Verlag. Und jetzt halte dich fest: Sie wollen, dass ihr zusammen ein Buch schreibt! Ist das nicht fantastisch?« Ihre Stimme war gegen Ende eine Oktave höher geworden.
Es war ruhig in der Leitung und auch die Welt hatte offenbar aufgehört, sich zu drehen. Zumindest in Ellas Kopf stand die Zeit still.
»Ist das nicht fantastisch? Stell dir vor, zwei aufstrebende Jungautoren tun sich zusammen und schreiben ein gemeinsames Buch. Die mediale Aufmerksamkeit ist euch während des Schreibens schon sicher. Man könnte eine Art Blog machen, wie die Zusammenarbeit vorangeht. Vielleicht eine Homestory. Das ist so toll! Stell dir vor, was da alles folgt: Interviews, Fernsehauftritte, Lesereisen. Du wirst auf Jahre davon profitieren, wenn wir das geschickt anstellen und vermarkten.«
Ella schwieg und starrte in das Badewasser, dessen prickelnder Schaum sich langsam auflöste. Sie strich sich mit der rechten Hand die Haare aus der Stirn. Wassertropfen klatschten überlaut ins Wasser.
»Hast du mir vorhin nicht zugehört?« Ella konnte nicht verhindern, dass sich Ärger in ihre Stimme schlich.
»Warum? Ihr sollt euch gleich nächste Woche treffen. Ich konnte sogar aushandeln, dass Heinemann mit seinem Agenten hierher kommt. Zu dir.« Selinas Stimme klang plötzlich verunsichert. »Du weißt schon, wer Heinemann ist, oder?«
Der Typ, der sein Gesicht versteckt, lag es Ella auf der Zunge zu sagen, aber kein Ton kam über ihre Lippen. Sie hatte seinen Roman nicht gelesen, obwohl ihm im vergangenen Jahr ein beachtliches Debüt gelungen war. Manuskript, neuer Roman, hämmerte es unaufhörlich hinter ihrer Stirn.
»Auf jeden Fall kommt er am Dienstag hierher, damit ihr euch kennenlernen könnt. Im Anschluss folgt ein Treffen mit dem Verlag und beiden Agenten wegen gemeinsamer Besprechung. Das ist so toll, das ist der endgültige Durchbruch. Wir haben es geschafft!«
»Nein«, unterbrach sie den Wortschwall ihrer Agentin mit erstaunlich fester Stimme. »Stopp!«