Sommersprossen im Winter - Kerstin King - E-Book

Sommersprossen im Winter E-Book

Kerstin King

4,5

Beschreibung

Welche Frau wünscht sich nicht die eine beste Freundin, die bedingungslos für sie da ist und mit der sie alles teilen kann? Alexandra Marquardt, Inhaberin einer Werbeagentur in Hamburg, glaubt nicht daran, dass so eine tiefe Freundschaft möglich ist. Bis eines Tages Emilia Maier in ihrer Agentur anheuert und ihr Leben samt ihrer Ehe mit Robert auf den Kopf stellt. Die Freundschaft zwischen Alexandra und Emilia spitzt sich zu - sie streiten immer häufiger, bis Emilia in der Agentur kündigt. Erst in Wyk auf Föhr, wo Alexandra einen Zweitwohnsitz hat, treffen beide wieder aufeinander. Doch dann wird Emilia lebensgefährlich verletzt. Wie jeder glaubt, von ihrem Freund Tom, doch diesmal war er unschuldig. Alexandra setzt alle Hebel in Bewegung um Emilia zu schützen und sieht sich einem Balanceakt zwischen Freundschaft und Karriere ausgesetzt. Wenig davon begeistert ist Alexandras langjähriger Mitarbeiter und bester Freund Marvin Hover. Kann auch er nicht über seine wahren Gefühle sprechen?

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Kerstin King ist Ende dreißig und lebt mit ihrem Mann Achim in einem kleinen Ort in der Vorderpfalz. Wenn sie nicht schreibt, arbeitet sie in einer großen Leasinggesellschaft in Stuttgart. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten in Wyk auf Föhr. „Sommersprossen im Winter“ ist ihr erster Roman. Eine Veröffentlichung ihrer Kurzgeschichten über Katzen ist in Vorbereitung.

Weitere Informationen zur Autorin finden Sie unter: www.kerstinking.de

Inhaltsverzeichnis

Prolog

Kapitel

Kapitel

Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Kapitel

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Prolog

Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die die Hoffnung auf eine beste Freundin noch nicht aufgegeben haben.

Mein Name ist Alexandra Marquardt, ich bin 39 Jahre alt und Inhaberin der Werbeagentur Maxfield.

Getreu dem Motto: Von nichts und niemand werde ich mich von meinem Weg abbringen lassen. Nur der Weg ist das Ziel!

Zugegebenermaßen muss ich mir eingestehen, dass auch ich als Unternehmerin viel dazulernen musste, um zu verstehen, Karriere ist nicht alles im Leben.

Auch wenn ich oft garstig bin und meine Gefühle nicht nach außen transportieren kann, bin ich doch im Inneren ein Seelenmensch.

Lass es mich dir beweisen!

Tauche mit mir ein in den Wellengang der Gefühle und Emotionen.

1. Kapitel

Ich hasste es, wenn ich am frühen Morgen durch den einen kleinen Spalt, den der Vorhang freigab, von der Sonne geweckt wurde. Aber auch nur, weil ich um diese Zeit endlich mal schlafen konnte. Ich blinzelte in den Lichtstrahl, drehte meinen Kopf nach links und sah meinen schlafenden Ehemann Robert auf der anderen Seite des Bettes. Endlich mal nicht schnarchend, lag er ausgestreckt neben mir. Seine dunkelbraunen Haare schimmerten in der Sonne und seine 45 Jahre sah man ihm überhaupt nicht an. Ein Dreitagebart zierte sein markantes Gesicht.

Ich rekelte mich und blieb erst mal auf der Bettkante sitzen, um meine Füße in aller Ruhe zu betrachten. Noch ziemlich müde, raffte ich mich letztendlich auf, streckte mich bis in die Fingerspitzen und schlurfte in meiner weiten Pyjamahose und dem viel zu großen Kuschelpulli ins Badezimmer. Im Spiegel sah ich in ein zerknittertes Gesicht und meine blonden Haare fielen wie Stroh auf die Schultern.

Ich griff nach meiner Zahnbürste und fing an, mir die Zähne zu putzen. Mein Blick blieb auf dem Spiegel haften. Eigentlich gab ich eine ganz passable Figur ab. Gut, ich war mit meinen 1,80 Metern ziemlich hochgewachsen für eine Frau, ich hatte keine Taille und ein Allerweltsgesicht. Zum Model hat es nie gereicht. Trotzdem mochte ich mich irgendwie, zumindest an den meisten Tagen. Und für meine 39 Jahre habe ich mich, bis auf ein paar Fältchen um die Augen, doch ganz gut gehalten. »Pppppppffffffffff ......«, spritzte ich das Zahnpastawasser gegen den Spiegel.

»Was machst du da?«, beäugte mich Robert skeptisch, der in der Zwischenzeit im Bad aufgetaucht war und mich fragend musterte.

»Nichts«, stieß ich hervor, »das siehst du doch.«

»Na, wenn das nichts sein soll, dann weiß ich aber nicht, wie das mit dir weitergehen soll.«

»Robert, lass diese Kommentare«, schnaubte ich ihm genervt entgegen, »nicht am frühen Morgen!«

Ich verließ das Badezimmer, zog mich an, schnappte mir meine Autoschlüssel und zog die Tür hinter mir zu.

2. Kapitel

Ich fuhr wie jeden Morgen in meinem Audi RS 5 in meine Werbeagentur, die den Namen Maxfield trug. Mein ganzes Herzblut steckte ich in diese Firma, weil es eigentlich das Einzige war, was mich noch am Leben hielt. Mein Mann Robert und ich fuhren jeden Morgen getrennt zur Arbeit, da er es als Miteigentümer der Firma nicht einsah, vor 10 Uhr die heiligen Hallen zu betreten. Nicht nur in diesem Punkt waren wir komplett unterschiedlich.

Ich fuhr direkt auf meinen angestammten Parkplatz und sah eine Weile auf die davor begrünte Wandfläche, bevor ich schwerfällig ausstieg und hineinging.

»Guten Morgen, Alexandra!«, rief mir Marvin Hover, mein bester Freund und langjähriger Mitarbeiter der Agentur zu. Er verkörperte den absoluten Traummann. Großgewachsen, dunkelhaarig, 42 Jahre jung und durchtrainiert. Er behauptete ja immer, sein perfekter Body sei auf seine guten Gene zurückzuführen. Aber das nahm ich ihm nicht ab. Ich glaube, er war sehr eitel und tat für sein Äußeres alles.

»Hey! Guten Morgen!«, rief ich ihm weniger gut gelaunt entgegen.

»Heute ist mal wieder kein guter Tag, oder?«, guckte er mich fragend an, die Augenbrauen nach oben gezogen.

»Nein, heute ist kein guter Tag und das liegt ganz bestimmt nicht daran, dass heute Montag ist und mein Göttergatte mich schon am frühen Morgen genervt hat.«

Ich atmete tief aus und klopfte Marvin auf die Schulter. Wir fuhren zusammen in den vierten Stock, wo er mich kurz vor meinem Büro verabschiedete, um in seines zu gelangen, das sich auf der anderen Seite des Ganges befand. Ich legte meine Tasche auf dem runden Besprechungstisch ab und ging zum Fenster. Der Raum hatte bodentiefe Fenster, die den Blick auf die schöne Hamburger Elbe freigaben. Ich liebte dieses Fleckchen sehr.

»Frau Marquardt, einen schönen guten Morgen! Möchten Sie Ihren Tee heute schon vor der Besprechung oder lieber danach zu sich nehmen?«, fragte mich Frau Cooper, die treue Seele des Hauses, oder genauer gesagt, meine Sekretärin. Viele Jahre bereits bei meinem Onkel tätig gewesen, sah man ihr immer noch den Biss in den Augen an, alles schaffen zu können, was man sich vornimmt.

«Vielen Dank, Frau Cooper, aber ich verzichte heute ganz auf Tee.«

»Ist etwas passiert, Frau Marquardt?«, fragte sie sichtlich irritiert.

»Nein, es ist alles in Ordnung, wie immer Frau Cooper. Sie können jetzt gehen, danke!«

Ich konnte diese ständige Fragerei einfach nicht ertragen. Es führte doch zu nichts, aber das war wohl die gute Erziehung, die man früh in die Wiege gelegt bekommt. Schließlich war Frau Cooper bereits 58 Jahre alt, aber ich mochte sie wirklich sehr.

»Bist du soweit?«, hörte ich Marvin, der an der Tür zu meinem Büro stand. Erschrocken fuhr ich herum.

»Ja, klar, ich komme.«

Mit den wichtigsten Unterlagen unter dem Arm ging ich mit Marvin wieder zurück zum Fahrstuhl, der uns zu unserem wöchentlichen Meeting brachte. Dort angekommen, waren bereits alle Mitarbeiter, darunter auch die Vertriebskollegen, versammelt und folgten zugleich zu ihren Stühlen, als wir den Raum betraten. »Wo ist Herr Marquardt?«, fragte Frau Hauck.

»Im Moment nicht im Haus«, gab ich genervt zur Antwort. Marvin schaute mich an und machte eine auf- und abwärtsführende Handbewegung, die mich runterbringen sollte. Keiner wusste so gut wie er, dass diese Person mich zur Weißglut treiben konnte. Es war mir auch schleierhaft, warum sie ständig nach Robert fragte.

»Ich begrüße Sie alle recht herzlich zu unserem Meeting und möchte direkt einsteigen. Sie wissen ja bereits, dass für uns dieses Jahr alles daran hängt, unseren schärfsten Konkurrenten abzuschütteln. Wir müssen alle, und damit meine ich auch ausnahmslos alle, über unsere Grenzen gehen und alles daran setzen, Maxfield vor die konkurrierende Werbeagentur Fire on Ice zu bringen. Ich erwarte vollen Einsatz von jedem Einzelnen und werde vor keinen Konsequenzen zurückschrecken, wenn ich merken sollte, dass sich jemand auf den anderen ausruht. Ich hoffe, Sie haben mich verstanden. Die Einzelheiten gebe ich Ihnen direkt nach unserem Meeting per Mail bekannt.«

Die Mitarbeiter waren sichtlich angespannt. Es ging jetzt um alles. Nachdem wir noch weitere Themen durchgesprochen hatten, entließ ich alle Mitarbeiter wieder an ihre Arbeit und zog mich in mein Büro zurück.

Auch ich war so tief in eines meiner Projekte versunken, dass ich die mir durchaus bekannte Stimme gar nicht vernahm. »Hallo, mein Engel!«, rief mir Robert zu. Ich saß an meinen Schreibtisch, der über und über mit Akten und Bergen von Notizen überhäuft war und richtete daher nur meine Augen auf ihn, ohne meinen Kopf anzuheben.

»Du bist ganz schön spät!«, sagte ich gereizt. »Du weißt doch, dass wir montags immer um 10 Uhr Meeting haben. Kannst du nicht wenigstens dort pünktlich erscheinen?« Ich stand auf, drehte mich zur Fensterfront und ließ den Blick schweifen.

»Aber Liebling, das kannst du doch alles viel besser als ich«, murmelte er mir von hinten ins Ohr, seine Arme auf meine Schultern gelegt.

»Lass das bitte, ich bin jetzt nicht in Stimmung«, sagte ich wütend. Ich schlang mich aus seiner Umklammerung und ging zur anderen Seite des Raumes.

»Warst du überhaupt schon mal in Stimmung?«, fragte er in einem Ton, der mich frösteln ließ. Ich drehte mich zu ihm um. Meine Augen funkelten und ich hatte meine Hände zu Fäusten geballt. Ich stockte zunächst und atmete dann tief durch.

»Frau Hauck hat nach dir gefragt. Ich wüsste zu gerne, was diese Frau ständig von dir will.«

»Eifersüchtig, mein Liebling?«

»Raus jetzt, Robert, lass mich einfach weiterarbeiten! Du weißt ganz genau, was dieses Jahr auf dem Spiel steht. Während du dich mit deinen Freunden auf dem Golfplatz vergnügst, gibt es hier noch jede Menge Arbeit, die immer an mir hängen bleibt. Oder meinst du etwa, mir macht es Spaß, das alles alleine bewerkstelligen zu müssen?«, rief ich ihm aufgebracht hinterher.

Bereits an der Tür angekommen, drehte er sich zu mir um. »Wenn du dich wieder beruhigt hast, mein Liebling, können wir gerne weiterreden.«

Händeringend suchte ich nach einem Gegenstand auf meinem Schreibtisch, den ich ihm hinterherwerfen könnte. Mir blieb nur der Locher. Ohne zu zögern, griff ich danach und warf ihn mit voller Wucht in seine Richtung. Der Mistkerl duckte sich geschickt und der Locher flog durch die bereits geöffnete Tür in Marvins Richtung. Schnaubend verließ Robert den Raum und Marvin kam verwundert mit dem Locher in der Hand hinein.

»Alles ok?«

Ich kämpfte gegen aufsteigende Tränen und schmiegte mich an Marvins Schulter. Er strich mir sanft über meinen Rücken und gab mir den Halt, den ich bei Robert seit Jahren vermisste.

3. Kapitel

Nachdem der gestrige Abend, wie eigentlich fast jeder Abend, vor sich hingeplätschert war, fand ich mich wieder Punkt 9 Uhr in der Werbeagentur in der Hafencity ein. Wo Robert den Abend verbracht hatte, wusste ich nicht. Ich fing auch langsam an, mich zu fragen, ob mich das überhaupt noch interessierte.

Meine Bürotür wurde einen Spalt geöffnet und Marvin schaute lächelnd herein. »Guten Morgen, schöne Frau! Ich hoffe, du hast heute einen angenehmen Arbeitstag und wollte nur kurz fragen, ob du mir heute Abend die Ehre erteilst, mit mir schick essen zu gehen?«

Er zwinkerte mir zu und stand erwartungsvoll in der Tür.

»Ich weiß nicht, Marvin, es ist hier doch so viel zu tun und ich wollte daher heute länger arbeiten«, sagte ich geknickt in seine Richtung.

»Die Ausrede lasse ich nicht durchgehen. Du arbeitest doch jeden Tag bis spät in die Nacht. Die Abwechslung wird dir guttun. Ich hole dich um 20 Uhr ab, ok?«

Ich ließ meinen Blick aus dem Fenster auf meine geliebte Elbe und wieder zurück zu Marvin wandern.

»Ok. Um 20 Uhr hier im Büro.«

»Super, ich freu mich«, sagte er zufrieden. »Ich muss auch gleich weiter, hab noch eine Besprechung. Bis heute Abend.« Zufrieden schloss er die Tür und ich war wieder alleine mit den ganzen Problemen und Sorgen ob privat oder geschäftlich. Aber was nützte es zu jammern, es hörte doch sowieso niemand.

Bevor Marvin mich abholte, war ich doch noch schnell nach Hause gefahren, um mich frisch zu machen und mich schick anzuziehen. Seine Einladungen waren immer legendär und das war tatsächlich das, was ich jetzt brauchte, um einfach mal abzuschalten und runterzukommen.

»Du gehst noch aus?«, tönte Roberts Stimme durch das Wohnzimmer.

Ich folgte dem Ruf und konnte ihn schon von Weitem rauchend und mit einem Glas Rotwein in der Hand sehen.

»Ja«, sagte ich mit erhobenem Kopf. »Was dagegen?«

»Nein, ich wundere mich nur, da du ja angeblich so viel Arbeit in der Agentur hast und es jetzt um alles geht. Dass du dann noch Zeit zum Ausgehen hast, finde ich schon beachtlich, mein Liebling.«

Ich schnaufte zum wiederholten Male, bevor ich ansetzte. »Nachdem du es heute nicht mal für nötig befunden hast, überhaupt in der Agentur zu erscheinen von arbeiten möchte ich gar nicht erst sprechen, das wäre jetzt doch etwas übertrieben - wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mich in Zukunft mit solchen Sätzen verschonen würdest. Ich wünsche dir einen schönen Abend.«

»Danke, mein Schatz, den werde ich haben. Vielleicht kommt Frau Hauck noch vorbei. Selbstverständlich zum Arbeiten«, rief er mir lachend hinterher.

Ich blieb stehen und drehte mich zu ihm um.

»Diese Person betritt nicht mein Haus! Es reicht schon, dass ich sie in der Firma ertragen muss. Hast du mich verstanden, Robert?«

»Ich weiß, dass das dein Haus ist, dein Auto, dein Leben, aber die Agentur gehört dir nicht alleine«, schnaubte er zornig.

»Du vergisst, dass ich die meisten Anteile der Agentur besitze und du ohne mich keine Entscheidungen treffen kannst. Wenigstens das habe ich richtig gemacht«, murmelte ich leise. Ich nahm meinen Mantel und verließ das Haus.

4. Kapitel

Angekommen im Restaurant »Seehof« konnte ich mich endlich entspannen, nachdem ich die ganze Autofahrt über den Ärger von zu Hause noch mal habe Revue passieren lassen. Zum Nachteil von Marvin, der sofort merkte, dass wieder etwas vorgefallen sein musste. Er war mein bester Freund.

Als wir unsere Plätze einnahmen, eilte schon der Kellner mit den Speisekarten herbei. Die Auswahl war riesig und es erschien mir alles sehr verlockend. Wenigstens mal den Gaumen erfreuen, das war doch schon mal ein Anfang. Nachdem wir bestellt und auf unseren gemeinsamen Abend angestoßen hatten, sah ich Marvin erwartungsvoll an. Ich merkte, dass er etwas verlegen war, um ein passendes Gespräch zu beginnen. Als wir beide schließlich gleichzeitig den Versuch starteten, stockten wir und mussten loslachen.

»Wir verstehen uns doch auch so, oder Marvin?«, lächelte ich ihn an.

»Willst du über deinen Ärger von vorhin sprechen oder ertränkst du ihn lieber in Alkohol?«, sah mich Marvin fragend an.

»Nein, lass uns über etwas anderes sprechen. Ich möchte nicht, dass auch noch dieser Abend vergiftet wird.«

»Also, du möchtest dieses Jahr so stark angreifen, dass wir die Nummer Eins am Werbehimmel werden?«

»Ja, selbstverständlich!«, kam es aus mir heraus. Überrascht von meiner eigenen Antwort hielt ich die Luft an. Ich senkte meinen Kopf und hob nur meine Augen in die Richtung von Marvin, der mich erwartungsvoll ansah.

»Ich weiß, dass es schwer wird, aber wir können es schaffen«, setzte ich nach.

»Vor allem mit der tatkräftigen Unterstützung von deinem Mann Robert, der so viel Zeit und Energie in die Agentur einbringt, dass man vor Neid erblassen könnte.«

»Wir schaffen das auch ohne ihn«, korrigierte ich Marvin.

»Du hast definitiv zu wenige Mitarbeiter. Du musst aufstocken, meine Schöne, ob du willst oder nicht.«

Einmal mehr lamentierte ich über zu hohe Personalkosten, was Marvin offenbar nicht überzeugte.

»Du bist die einzige Unternehmerin, die ich kenne, die es fertigbringt, nicht in Personal zu investieren, obwohl du es dir locker leisten könntest. Alexandra, warum investierst du nicht in neue Mitarbeiter?« Fragend sah er mich an.

»Es gibt einfach keine guten Fachleute, das weißt du doch!«, konterte ich.

»Was du brauchst, ist kein neuer Mitarbeiter für die Disposition, für die Auslandsrecherchen oder für die Personalabteilung. Nein! Was du brauchst, das ist einfach frischer Wind. Geschäftlich wie privat.«

Mit großen Augen sah ich Marvin an. »Frischer Wind«, wiederholte ich seine Worte.

»Ich hätte da vielleicht jemanden für dich.«

»Wer soll das denn bitte sein?«, beäugte ich ihn skeptisch. »Sie heißt Emilia Maier, ist 22 Jahre alt und hat Marketing studiert. Ja, leider abgebrochen, aber nicht, weil sie zu blöd war, sondern weil sie sich einfach oft verzettelt und immer wieder was Neues anfangen will. Aber sie ist wirklich gut auf ihrem Gebiet«, schwärmte er.

»Im Verzetteln oder im etwas Neues anzufangen?« Ich hob skeptisch meine Augenbrauen.

Marvin stöhnte und senkte den Kopf.

»Warum willst du unbedingt, dass sie bei uns anfängt? Jetzt weiß ich es«, sagte ich grinsend und beugte mich über den Tisch zu Marvin. »Sie ist eine deiner Verflossenen?!«

»Nein, ist sie nicht. Die ist doch viel zu jung«, wehrte er sich. »Sie ist die Tochter einer weitläufigen Bekannten meiner Mutter, sonst nichts.«

»Ach, sonst nichts«, grinste ich ihm entgegen.

Es folgte eine Stille am Tisch und der Kellner servierte unser Essen. Es duftete lecker nach gutem Fleisch, Gemüse und meinen Lieblingskartoffelklößen. Wann hatte ich die das letzte Mal gegessen? War es vergangenes Jahr zu Weihnachten oder war es doch schon viel länger her? Klar, an so etwas konnte ich mich mal wieder nicht erinnern.

Nachdem ich den halben Teller aufgegessen hatte, legte ich das Besteck zur Seite, tupfte meinen Mund mit der Serviette ab, trank einen Schluck von meinem Spätburgunder Edition und sah zu Marvin rüber. »Also gut, mach einen Termin mit ihr!«, sagte ich in einem schnellen, beinahe nebensächlichen Satz. »Ich weiß zwar ehrlich gesagt nicht, wo ich sie bei diesen überragenden Fähigkeiten einsetzen soll, aber bitte.«

»Sie wird dir guttun. Vertrau mir!«, versuchte Marvin mich zu beruhigen.

Mit dem Zeigefinger winkte ich Marvin dichter zu mir über den Tisch.

»Du glaubst nicht ernsthaft, dass ich noch einem Mann vertrauen werde.« Messerscharf grinste ich ihm entgegen, was ihn sichtlich störte. Um die Situation nicht noch mehr zu reizen, versuchte ich wieder, zu einem sachlichen Ton überzugehen.

»Was meinst du, wann kann sie vorbeikommen?«

»Ich werde sie gleich morgen anrufen. Wenn wir Glück haben und sie Zeit hat, geht es bestimmt kurzfristig«, sagte Marvin erleichtert.

Ja, Glück konnte ich dringend mal wieder gebrauchen, dachte ich mir und betrachtete Marvin. Er versuchte immer, mir zu helfen, wo er konnte. Er war wirklich ein guter Freund.

»Du wirst es nicht bereuen, Alexandra, das ist sicher!«

Marvin erhob sein Glas zum Anstoßen. Ich zögerte kurz, aber dann gab ich alle Widerstände auf und beschloss, nun einfach zu genießen. Als ich den Wein am Gaumen verspürte, schwelgte ich in Erinnerungen. Der feine langanhaltende Abgang erinnerte mich an eine meiner Geschäftsreisen. Ich berichtete Marvin davon, wie ich vor ungefähr sechs Jahren durch Kallstadt an der Weinstraße gefahren war. Besonders aufgefallen war mir die Winzergenossenschaft. Es war gerade Erntezeit und die Trauben waren zur weiteren Bearbeitung angeliefert worden. Der Geruch von Trester und das landwirtschaftliche Treiben erinnerten mich an meine Kindheit. So entschied ich mich kurzerhand einen Blick hineinzuwerfen und hatte einen Spätburgunder Edition verkostet. Da man dort jedes Wochenende nicht nur Wein probieren, sondern auch kaufen konnte, hatte ich es mir nicht nehmen lassen, meinen Lagerbestand für zuhause aufzufüllen. »Vielleicht sollte ich dort mal wieder vorbeischauen«, philosophierte ich bei einem weiteren Glas Wein. Marvin pflichtete mir bei. Wie ließen den Abend mit einer leckeren Mousse au Chocolat ausklingen.

Dann brachte Marvin mich nach Hause. Ich fiel erschöpft aber voller Zuversicht in mein Bett. Dass Robert nicht da war, interessierte mich in dem Moment überhaupt nicht. Ich schlief endlich mal wieder halbwegs zufrieden ein.

5. Kapitel

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Ich arbeitete wie eine Verrückte, nahm verschiedenste Termine wahr und versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen. Mein Leben lief praktisch nur noch in der Agentur ab. Mein Mann Robert vergnügte sich währenddessen auf dem Golfplatz oder hielt hier und dort ein Schwätzchen mit den Mitarbeitern. Das war unter anderem das, was er mir auch ständig vorhielt. Ich müsse mehr Interesse an meinen Mitarbeitern zeigen, den persönlichen Empfindungen nachgehen, um schnell und konstruktiv eingreifen zu können, wenn es mal Probleme auch zwischen den Kollegen untereinander geben würde. Wenn ich etwas in den vergangenen Jahren meines Chefdaseins gelernt hatte, dann, dass man von sich nicht zu viel preisgeben und der Unterschied zwischen Vorgesetzte und Mitarbeiter erkennbar sein sollte.

Ich stutze kurz. Wenn ich so in mich hinein hörte, würde ich gar nicht merken, dass ich von mir sprach. Hatte ich mich inzwischen so verändert? Oder war es doch Angst, dem Druck nicht mehr Stand halten zu können? Ich hatte schon seit längerer Zeit das Gefühl, alle erwarteten von mir Unmögliches und ich versuchte krampfhaft, dem gerecht zu werden. Manchmal bereute ich meine Aussagen, die ich gegenüber Marvin oder den anderen Mitarbeitern getätigt hatte. Mir fehlte so oft eine direkte Bezugsperson, mit der ich meine Probleme oder aber auch das Erlebte vom Tag erzählen konnte. Mit Marvin konnte ich mich nicht so austauschen, wie ich es mit einer besten Freundin machen könnte und von Robert wollte ich gar nicht erst sprechen. Ich schmunzelte, als ich in diesem Zusammenhang an meine Grundschulzeit denken musste. Sie hieß Sandra und wir wurden zur gleichen Zeit eingeschult. Wir waren uns schnell sympathisch, da wir die gleiche Schultüte hatten. Von da an machten wir alles zusammen. Niemand konnte sich zwischen uns stellen. Bis wir voneinander getrennt wurden. Sie ging nach der Grundschule auf die Realschule und ich besuchte das Gymnasium. Da wir nicht mehr viel Zeit miteinander verbringen konnten und sie dann letztendlich auch noch mit ihren Eltern weggezogen war, verloren wir uns aus den Augen. Das Letzte, was ich von ihr mitbekommen hatte, war, dass sie glücklich verheiratet mit drei zuckersüßen Kindern, einem Hund und mit ihrem Mann auf dem Land wohnte, wo dieser sich als Arzt niedergelassen hatte. Wenn ich bei mir Bilanz zog, war ich davon weit entfernt. Finanziell war ich zwar unabhängig und ich hätte sofort aufhören können zu arbeiten. Aber war das alles, was ich mir von meinem Leben versprochen hatte?

Ich lehnte mich auf meinem Bürostuhl zurück, atmete tief ein, als mir ein Prospekt ins Auge fiel. “Yoga von und mit Clara Steinhauser“ stand fett gedruckt über einer abgebildeten Frau, die im Schneidersitz auf einer bunten Matte saß. Yoga, murmelte ich vor mich hin. Das wollte ich schon immer mal ausprobieren, obwohl ich nicht wirklich an die angeblich umfassend positive Wirkung glaubte. Ich nahm den Flyer und legte ihn in die Schublade. Es reichte schon, dass Robert sich den ganzen Tag vergnügte.

Wo ist er eigentlich schon wieder, fragte ich mich und auch, ob es mir mittlerweile nicht viel besser ging, wenn er nicht da war. Also versuchte ich diese Gedankenverschwendung sein zu lassen. Ich stand auf, trat in den Flur und lief mit festen Schritten an mehreren offenen Bürotüren vorbei, wo hier und dort ein privates Gespräch zu hören war. Ich blieb an einer Tür stehen und lauschte den gedämpften Tönen von Susan Hauck, die sich mit einer Disponentin offenbar über ihr letztes Wochenende unterhielt. »Jetzt stell dir bitte mal vor, Anja, was wir für ein tolles Leben führen könnten. Ich vergöttere ihn so sehr und er hat es so schwer bei ihr. Die lässt ihm doch keine Luft zum Atmen. Letzte Woche hat er mich abgeholt und wir haben eine tolle Nacht im Landhaus Laura auf Föhr verbracht. Ist das nicht herrlich?«, schwelgte Susan Hauck in frischen Erinnerungen.

Unbeobachtet wagte ich mich einen weiteren Schritt näher.

»Meinst du nicht, dass er sich doch mal von ihr scheiden lassen würde?«, fragte Anja neugierig, während sie sich ein großes Stück Kuchen in den Mund schob. Die Beine hatte sie dabei ausgestreckt auf dem Schreibtisch liegen.

Beneidenswert, dachte ich mir, wenn man so glücklich ist. Aber nicht auf meine Kosten! Schon gar nicht, wo es dieses Jahr um alles ging.

»Ich glaube, ich sehe und höre nicht richtig, meine Damen!«, warf ich lautstark in den Raum.

»Frau Marquardt!«, riefen beide vor Schreck. Anja Bensheimer sprang so schnell auf, dass ihr ein Stück Kuchen direkt auf den Boden fiel und Susan Hauck lief feuerrot an.

»Haben Sie nichts zu tun, dass Sie sich hier über ihr Privatleben auslassen müssen? Verlegen Sie das bitte in die Mittagspause oder nach Feierabend. Wir haben keine überschüssige Zeit. Und, wenn Sie für heute mit Ihrer Arbeit durch sind, unterstützen Sie bitte Ihre Kollegen.«

»Ja, natürlich«, sagten beide fast gleichzeitig.

Mit schweren Schritten ging ich in die Kaffeeküche.

»Hallo, Alexandra! Jetzt arbeiten wir in einer Agentur und haben uns trotzdem 2 Tage nicht gesehen«, blickte mir Marvin etwas enttäuscht entgegen. »Alles ok bei dir? Du siehst müde aus.«

»Mir geht es wie immer, Marvin und ja, ich habe mich die letzten Tage sozusagen in meinem Büro eingeschlossen, um das Unmögliche möglich zu machen. Daher sind wir uns wohl auch nicht begegnet.«

»Du hättest trotzdem mal vorbeischauen können«, sagte Marvin mit hochgezogenen Augenbrauen, »oder nicht?«

»Das hättest du selbst auch tun können, mein Lieber«, lächelte ich ihn kurz an. »Sag mal, was ist eigentlich aus deiner Emilia Maier geworden, die du mir so angepriesen hast?«

»Ach ja, Emilia«, sagte Marvin, »der habe ich auf die Mailbox gequatscht.«

»So, so, auf die Mailbox gequatscht«, sagte ich genervt, »wann war das denn?«

»Gleich am Morgen nach unserem Abendessen im Seehof, wie versprochen«, gab er zur Antwort.

»Das ist jetzt vier Tage her!«, entgegnete ich ihm zornig und runzelte die Stirn. »Dafür, dass sie so toll sein soll, wie du sagst, fehlt es ihr aber gewaltig an Disziplin!«

»Das kannst du ihr ja noch beibringen, Alexandra«, grinste Marvin spöttisch.

»Bist du verrückt?! Ich möchte keine Angestellte, die ich noch erziehen muss, davon habe ich bereits genug in meiner Agentur sitzen. Ich habe eben ein Gespräch zwischen Susan und Anja mitbekommen. Susan muss einen Geliebten haben, wusstest du das?«

»Äh, nein, das wusste ich nicht«, sagte er etwas kleinlaut. »Na ja, so hat jeder seine Problemchen, nicht nur du, Alexandra«, grinste er mich an und drehte sich zum kochenden Wasserkessel um.

»Ruf sie bitte noch mal an, Marvin.«

»Wen? Emilia?«, fragte er noch mal nach.

»Ja, natürlich Emilia«, sagte ich gereizt. Ihr Name gefiel mir. Wenigstens das schon mal. Während er seine Teetasse mit dem kochenden Wasser auffüllte, drehte ich mich auf dem Absatz um und lief in Richtung meines Büros.

6. Kapitel

Das Wochenende verabschiedete sich so, wie es angefangen hatte. Trostlos und ohne die Wärme, die ich so dringend gebraucht hätte. Ich verbrachte die meiste Zeit arbeitend auf der Couch mit meinem Laptop auf dem Schoß, eingekuschelt in eine Decke, in meinem lilafarbenen Kuschelpulli, den ich mir aus meinem Lieblingsgeschäft »Traumstück« auf Föhr mitgebracht hatte. Ja, Föhr. Dort, wo ich einst Robert kennen und lieben gelernt hatte. Dort, wo wir ein kleines, reetgedecktes Haus gekauft und liebevoll nach unserem Geschmack eingerichtet hatten. Mindestens vier Mal im Jahr wollten wir dort hinfahren und, wenn es die Zeit erlaubte, auch mal an den Wochenenden. Inzwischen war es schon 6 Monate her, dass ich das letzte Mal dort gewesen war. Robert fuhr zwischendurch vorbei, um nach dem Rechten zu sehen. Wenigstens dafür war er zu gebrauchen. Den Rest übernahm unsere treue Haushälterin Frau Blume, die wirklich ein Schatz war und sich immer sofort meldete, wenn etwas nicht in Ordnung war.

Der Bordcomputer meines Audi zeigte mir mit einem schrillen Ton an, dass es Zeit für die nächste Inspektion war. Auch darum würde ich mich wohl selbst kümmern müssen. Aber ich war ja gekonnt darin, alles zu meistern. Warum nicht auch das?

Ich blinkte links, bog scharf auf das Gelände der Werbeagentur ein und fuhr direkt auf meinen Parkplatz. Nachdem ich den Motor abgestellt hatte, verfolgte ich das rege Treiben vor der Agentur. Es hatte sich in den vergangenen Jahren wirklich viel getan. Ich hatte inzwischen 42 Mitarbeiter, was mich stolz machte. Nachdenklich sah ich den Menschen hinterher. Plötzlich erkannte ich, wie unterschiedlich sie waren und wie sie sich von jedem Einzelnen abhoben. Die meisten von ihnen waren etliche Jahre bei uns, schon bei meinem Onkel hatten einige ihre Ausbildung absolviert. So schlecht kann es doch dann bei uns gar nicht sein, dachte ich. Selbst, seitdem ich die Leitung übernommen hatte, gab es keine Entlassungen. Weder von Mitarbeiterseite aus noch von unserer. Gedankenversunken stieg ich aus meinem Auto und betrat die Agentur. Viele Angestellte grüßten mich freundlich und hielten mir sogar die Tür auf.

In meinem Büro angekommen, eilte auch schon Frau Cooper mit meinem frisch aufgebrühten Tee herein. »Einen schönen, guten Morgen wünsche ich Ihnen, Frau Marquardt«, sagte sie in einem warmen und freudigen Ton. Sie lächelte dabei und goss mir die erste Tasse Tee ein.

»Guten Morgen, Frau Cooper! Hatten Sie ein schönes Wochenende?«, fragte ich anstandshalber nach.

»Es war sehr schön. Ich habe viel Neues erlebt und ich habe es mir richtig gutgehen lassen. Und, wissen Sie was, Frau Marquardt? Jetzt habe ich mich doch tatsächlich für einen Fotografie-Workshop angemeldet: Wie halte ich schöne Dinge gezielt fest? Es ist nicht ganz billig, aber dafür, dass eine Übernachtung in einem 4-Sterne Hotel mit Halbpension dabei ist und der Workshop über ganze zwei Tage andauert, habe ich mir gesagt: Annegret, das gönnst du dir jetzt mal. Man kann schließlich nicht nur arbeiten«, erklärte sie.

Ihr Blick senkte sich und sie war verunsichert, als sie meinen wehmütigen Gesichtsausdruck vernahm. Sichtlich irritiert verließ sie den Raum.

Selbst meine Sekretärin mit ihren 58 Jahren war lebensfroher als ich. Ich konnte es nicht fassen! Fotografie-Workshop. Darauf muss man erst mal kommen. Schwerfällig und geknickt ließ ich mich in meinen Bürosessel gleiten und drehte mich zur Fensterfront um, die direkt hinter meinem Schreibtisch war und starrte auf die Elbe.

Ich sah abends die vielen Menschen, die sich nach Feierabend mit Freunden trafen, um etwas zu erleben, um sich auszutauschen. Ich senkte den Kopf und hielt mir die Hände vor das Gesicht.

»Alles ok, Alexandra?«, tönte eine Stimme durch den Raum. »Marvin! Guten Morgen«, sagte ich etwas benommen.

»Guten Morgen! Was ist los? Du siehst nicht gut aus. Ist wieder etwas mit Robert oder gibt es in der Firma Probleme?«

»Nein, nein, alles in Ordnung«, brachte ich ihm genervt entgegen. »Alles in bester Ordnung.«

Er kam auf mich zu, kniete sich vor mir in die Hocke und nahm meine Hände in seine. »Du weißt«, fing er an, »dass du jederzeit mit mir über alles reden kannst. Hör bitte endlich damit auf, alles allein auf deinen Schultern tragen zu wollen! Das ist nicht gut, hörst du?«

Besorgt sah er mich an, bevor er sich erhob. Ich stand auf, nahm meine Unterlagen und ging zur Tür.

»Wir müssen! Die Mitarbeiter warten«, sagte ich leise zu Marvin, der mir bereits zur Tür gefolgt war.

»Mach keinen Fehler, Alexandra! Du wirst diese Kraft alleine nicht aufbringen können!«

Ich drückte die Türklinke nach unten und verließ den Raum. »Guten Morgen, allerseits!«, rief ich in die Runde. »Bitte nehmen Sie Platz, wir haben heute viel zu besprechen. Wir müssen« - ich unterbrach, als die Tür aufging und Robert hineinkam.

»Guten Morgen, zusammen!«, rief er freudestrahlend und mit bester Laune in den Raum.

»Schön, dass du uns auch mal wieder beehrst, Robert«, sagte ich erstaunt, als er sich zu mir gesellte.

»Neben mir ist noch ein Stuhl frei, Herr Marquardt. Frau Bensheimer hat sich für heute krankgemeldet«, grinste Susan Hauck Robert entgegen.

»Das lass ich mir doch nicht zwei Mal sagen, Frau Hauck. Immer nah dran an den Mitarbeitern, nicht wahr Liebling?«, lächelte mich Robert süffisant an, als er sich bereits auf den Weg zum Stuhl neben Susan gemacht hatte.

Ich kochte vor Wut. Und diese Liebkosungen mochte ich in der Agentur schon dreimal nicht. Immer nah dran an den Mitarbeitern. Mir kam es beinahe hoch. Ich sah die beiden genervt und misstrauisch an. Marvin blickte zu mir und gab mir zu verstehen, dass das hier jetzt kein guter Ort für eine Diskussion wäre. Ich sammelte mich und befolgte innerlich seinen Rat.

Wir sprachen mehrere Themen an, wälzten Probleme und die Mitarbeiter waren gut bei der Sache. Zum Glück verlief heute mal alles ohne größere Zwischenfälle. Seltsamerweise war Robert sehr gut informiert über die letzten Meetings, bei denen er gar nicht anwesend gewesen war. Womöglich stöberte er heimlich in meinen Unterlagen, um sich nicht ganz ins Abseits zu schießen. Oder hatte er vielleicht einen Spion hier sitzen?

Er hat eine Geliebte, schoss es mir durch den Kopf! Im selben Augenblick ermahnte ich mich, den Gedanken schnell beiseite zu schieben. Das war doch völliger Blödsinn. Mein Gedankenkarussell stoppte, als die Mitarbeiter in lauter werdendes Gemurmel verfielen.

»Bitte! Bitte hören Sie auf, sich zu unterhalten, wir sind hier noch nicht fertig!«, rief ich laut in den Raum und schlug mehrmals mit dem Kugelschreiber an mein Glas, um wieder die Aufmerksamkeit meiner Mitarbeiter zu bekommen.

»Das hört sich ja an wie bei der Bundeswehr«, blödelte Robert in die Runde und hatte das Gelächter der anderen auf seiner Seite. Ich funkelte ihn böse an und holte tief Luft, um meine Ansprache fortzuführen, doch es klopfte an der Tür. Mitten im Meeting! Das darf doch nicht wahr sein, dachte ich mir. Die Tür öffnete sich und eine junge Frau betrat den Raum. Ich starrte sie an und das Getuschel ging wieder durch den Raum.

»Ruhe, bitte!«, rief ich den Mitarbeitern zu. Schnell wurde es ganz still. Ich erhob mich und ging zu der jungen Frau hinüber, die etwas unbeholfen an ihrem Rock zupfend sich ein paar Meter von der Tür wegbewegt hatte.

»Ja, bitte?«, stand ich ungeduldig fragend vor ihr. Sie war fast einen Kopf kleiner als ich, trug ein helles Oberteil und einen kurzen Rock. Für meinen Geschmack einen viel zu kurzen Rock aus irgendeinem Stoff, den ich bisher noch nicht gesehen hatte. Unter dem Rock trug sie glücklicherweise eine Strumpfhose. Wenn sie doch wenigstens einfarbig gewesen wäre. Aber nein, die Strumpfhose musste natürlich in den schrillsten Farben geringelt sein. Als ich meinen Blick nach unten gleiten ließ, sah ich, dass sie auf recht hohen Absatzschuhen vor mir stand. Also ist sie in Wirklichkeit noch kleiner, zumindest, wenn sie die Schuhe auszieht, schätzte ich ab. Ihre Wangen waren mit unzähligen Sommersprossen bestückt und ihre Stupsnase vollendete ihr märchenhaftes Gesicht. Ihre dunkelbraunen, langen Haare fielen ihr offen über die Schultern.

»Ja, bitte?«, wiederholte ich meine Frage und musterte sie ernst. »Wer sind Sie und was möchten Sie hier?«

Sie schaute mit einem suchenden Blick an mir vorbei in die Gruppe.

»Ah«, sagte sie plötzlich, »er kennt mich.« Ihre zarte Stimme ließ mir einen Schauer über den Rücken gleiten. Ich schaute über meine Schulter nach hinten und sah, wie Marvin uns zuwinkte. Nein, bitte nicht, dachte ich, als ich mich wieder zu der jungen Dame herumdrehte.

»Ich glaube, ich stelle mich erst mal vor. Ich bin Emilia Maier, die Neue!«, grinste sie mir ganz selbstverständlich entgegen.

Mir stockte der Atem und ich sah sie noch mal von oben bis unten an. Marvin, das kann jetzt nicht dein Ernst sein. Das war doch noch ein halbes Kind! Sie streckte mir ihre Hand entgegen. Ich zögerte. Dann riss ich mich zusammen, nahm ihre Hand und merkte, wie fest und warm ihr Händedruck war.

»Eine Neue? Das wüsste ich aber«, sagte Robert, der plötzlich neben mir aufgetaucht war. »Junge Dame, wir benötigen keine weiteren Mitarbeiter. Darf ich Sie zur Tür begleiten?«

»Robert!«, entgegnete ich gereizt, »das kläre ich und nicht du.«

»Was soll das, Alexandra? Du vergisst, dass mir auch ein Teil dieser Firma gehört.«

»Robert, können wir das bitte an anderer Stelle klären?«

»Ich habe heute nicht mit Ihnen gerechnet. Herr Hover sagte, er warte auf Ihren Rückruf.«

Irritiert drehte ich mich zu Marvin um. Er kam zu uns herüber und begrüßte Emilia Maier mit einem Küsschen links und rechts. Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust und sah beide kopfschüttelnd an. Sie fingen an, sich zu unterhalten, bevor ich dazwischen gehen konnte. »Frau Maier! Marvin, entschuldige bitte, das geht so nicht!«, unterbrach ich das Gespräch. »Wir sind hier mitten in einem Meeting.«

Robert sah mich schnaubend an und verließ sogleich den Raum.

»Frau Maier, gehen Sie bitte zu meiner Sekretärin, Frau Cooper, Zimmer 402, vierter Stock und lassen Sie sich dort einen Termin geben. Das wäre dann alles. Bitte!«

Ich zeigte mit einer Handbewegung in Richtung Tür. Frau Maier befolgte meine Anweisung nicht, sondern schaute Marvin fragend mit großen Augen an. Dieser zog mich unsanft am Arm an seine Seite.

»Alexandra, sie braucht doch jetzt nicht extra einen Termin bei Frau Cooper auszumachen, wenn sie doch jetzt schon mal da ist«, sagte Marvin eindringlich. »Du weißt doch ganz genau, dass du frühestens in drei Wochen Zeit hättest oder soll sie vielleicht zu Robert gehen? Der kann sie bestimmt zwischen zwei Golfterminen einschieben. Du kennst doch deinen Terminkalender am besten.«

»Ach! Typ Extrawurst!«, entgegnete ich.