Sonnenblumentanz - Annina Anderhalden - E-Book

Sonnenblumentanz E-Book

Annina Anderhalden

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Beschreibung

Für Jasmin gibt es zwei Dinge im Leben: ihre kleine Schwester und ihr Studium. Logisch, dass ihr daneben kaum Zeit für ihr eigenes Leben bleibt. Als eine Freundin sie dann noch überzeugt bei einem queeren Theater vorzusprechen, begreift sie, dass ihre Wünsche anders sind, als sie gedacht hat. Fabia steht kurz davor, ihr eigenes Theaterstück auf die Bühne zu bringen. Doch obwohl alles endlich ins Rollen zu kommen scheint, fallen auf einmal neue Hürden an. Und Fabia zweifelt immer mehr an sich selbst. Ist sie wirklich bereit, ihren Traum zu verwirklichen?

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Seitenzahl: 502

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Über die Autorin

Im Jahr 1997 wurde Annina Anderhalden in der wunderschönen Schweiz geboren und begeistert sich seit der ersten Klasse mit der Welt des Schreibens und Lesens. Schon früh war für sie klar, dass sie sich auch in ihrem beruflichen Leben mit der Kreativität beschäftigen möchte, weshalb sie ein Studium in Medien und Kommunikation abschloss. In ihren Geschichten erforscht Annina gerne die Ränder von Normen und versucht, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten zu zeigen.

Inhalt

Kapitel 1 8

Kapitel 2 17

Kapitel 3 25

Kapitel 4 38

Kapitel 5 46

Kapitel 6 48

Kapitel 7 57

Kapitel 8 66

Kapitel 9 71

Kapitel 10 81

Kapitel 11 88

Kapitel 12 96

Kapitel 13 106

Kapitel 14 117

Kapitel 15 134

Kapitel 16 147

Kapitel 17 162

Kapitel 18 173

Kapitel 19 188

Kapitel 20 197

Kapitel 21 208

Kapitel 22 216

Kapitel 23 222

Kapitel 24 234

Kapitel 25 241

Kapitel 26 247

Kapitel 27 259

Kapitel 28 272

Kapitel 29 285

Kapitel 30 289

Kapitel 31 293

Kapitel 32 299

Danksagung 305

WREADERS E-BOOK

Band 237

Dieser Titel ist auch als Taschenbuch erschienen

Vollständige E-Book-Ausgabe

Copyright © 2024 by Wreaders Verlag, Sassenberg

Verlagsleitung: Lena Weinert

Druck: BoD – Books on Demand, Norderstedt

Umschlaggestaltung: Theresa Wöll

Lektorat: Michél Schüler Alina Schunk

Satz: Annina Anderhalden

www.wreaders.de

Für alle, die ein bunteres Leben suchen

Für alle, die ihren Weg noch nicht gefunden haben

Für alle

Und vor allem für dich

Kapitel 1

Jasmin

Aua, du tust mir weh!« Aline windet sich in meinem Handgriff. Mit der anderen Hand versuche ich, mein Fahrrad vom Umkippen zu bewahren. Durch den eisigen Wind, der über die Straße fegt und uns beiden Schneeflocken ins Gesicht treibt, sind meine Hände beinahe eingefroren. Schon jetzt verfluche ich mich, nicht an meine Handschuhe gedacht zu haben. Wenigstens habe ich Alines eingepackt – Mama würde mir das sonst ewig vorenthalten. Aline stolpert und murrt lauter. »Ich bin schon acht, ich kann allein gehen.«

»Kannst du?« Meine Stimme ist schärfer als beabsichtigt, doch meine kleine Schwester zuckt nicht mal mit der Wimper. »Warum stehen wir dann immer noch hier?«

Das Fahrrad schwankt, als wir über den Bordstein gehen, und nur mit Mühe halte ich es fest. Wieder zerrt Aline an ihrem Arm und diesmal löst sie sich aus meinem Griff.

Sie bleibt stehen, verschränkt die Arme vor der Brust und zieht eine Schnute. »Unsere Lehrerin wartet immer, bis alle Kinder da sind.«

Ich seufze. Für einen Augenblick bin ich verleitet, sie einfach am Straßenrand stehenzulassen, damit eine von uns pünktlich ihren Tag beginnen kann. Lange haftet der Gedanke nicht. Mein Herz zieht sich zusammen, als ich in ihre dunklen Augen blicke.

»Frau Trentini hat mir gesagt, dass sie nicht immer auf dich warten möchte«, lüge ich und trete näher. Aline schaut zu Boden. »Biene, warum willst du nicht in die Schule?«

»Ich möchte in die Schule.«

»Dann sollten wir uns beeilen.« Ich strecke meine Hand aus, schließe und öffne sie, in der Erwartung, Aline würde sie ergreifen.

Doch das Mädchen schüttelt ihren Kopf und schiebt die Unterlippe vor. Mit ihren dunklen Locken und brauner Haut sagen viele Menschen, dass wir uns wie aus dem Gesicht geschnitten sind. Doch in Momenten wie diesen sehe ich keine Ähnlichkeit zu meiner Schwester. »Wir können nicht gehen.«

Ich verkneife mir ein Stöhnen. »Und warum das?«

Jetzt dreht sie ihren Kopf weg, blickt rüber zu unserem Wohnblock. Sie zuckt die Schultern, presst die Lippen aufeinander.

Ein Schauer läuft mir über den Rücken. Vorsichtig gehe ich vor ihr in die Hocke und strecke meine Hand aus, streiche ihr eine dunkle Locke aus dem Gesicht, damit ich sie betrachten kann. »Ist jemand gemein zu dir?«

»Nein!« Ihre Augen blitzen, als sie zu mir schaut. Sie schlägt meine Hand weg und runzelt die Stirn. »Niemand ist gemein zu mir. Wenn, dann bin ich gemein zu ihnen.«

»Aline, das ist nicht etwas, womit –«

»Ich habe meine Hausaufgaben nicht gemacht, zufrieden?« Wieder verschränkt sie die Arme vor der Brust und macht eine Schnute. »Frau Trentini wird wütend sein. Sie mag es nicht, wenn man die Aufgaben nicht macht.«

»Oh.« Etwas Besseres fällt mir nicht ein. Mit einer freien Hand verdecke ich mein Grinsen, die andere halte ich Aline wieder hin. »Das ist doch nicht schlimm. Warum hast du mir nicht gesagt, dass du Hausaufgaben hattest? Ich hätte dir helfen können.«

»Du hast doch genug zu tun.« Die blitzenden Augen werden weicher, als sie meine Hand nimmt. »Du musst immer einkaufen und kochen und putzen, da kann ich meine Hausaufgaben selbst machen.«

»Biene.« Ich widerstehe dem Drang, meine Schwester in eine Umarmung zu ziehen. Stattdessen stehe ich auf und streiche mir eine meiner Locken aus der Stirn. »Biene, du bist wichtiger als der Haushalt. Wenn du Hilfe brauchst, bin ich da, hörst du? Putzen und kochen kann ich immer, dir helfen aber nicht.«

»Meinst du das wirklich?« Aline zieht die Stirn kraus. «Sagst du das nicht nur, weil Mama dich dazu gezwungen hat?«

»Habe ich dich jemals angelogen?« Sanft lege ich ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich weiß, dass Mama heute Morgen echt ruppig war. Aber ich bin immer für dich da – auch wenn sie es mir nicht befiehlt. Glaubst du mir das?«

Anstatt einer Antwort nickt Aline. Überzeugt wirkt sie nicht. Eine kleine Falte zwischen ihren Augenbrauen.

»Was ist?«

»Was soll ich jetzt mit Frau Trentini machen? Die Hausaufgaben habe ich trotzdem nicht gemacht.«

Ich lache leicht und setze mich in Bewegung, Alines Hand fest im Griff. »Das ist etwas, das ich nicht ändern kann.«

»Ich habe immer Sternchen bekommen.« Alines vorher so laute Stimme zittert. Sie umklammert meine Hand, als wäre sie der einzige Halt in einem wirbelnden Sturm. »Jetzt wird sie enttäuscht sein.«

»Wird sie nicht.« Ich bleibe stehen und drehe mich zu meiner Schwester, um ihr fest in die dunklen Augen zu blicken. Mag sein, dass wir uns wie aus dem Gesicht geschnitten sind, doch die Augen zeigen, dass wir nicht dieselbe Person sind. So viel Intelligenz leuchtet mir entgegen, obwohl sie noch jung ist. »Sie wird nicht von dir enttäuscht sein, Biene. Weißt du, wie oft ich meine Hausaufgaben vergessen habe?«

»Ja, aber dafür machst du alles andere, damit niemand wütend auf dich ist.«

Innerlich zucke ich zusammen, lasse mir aber hoffentlich nichts vom Schmerz anmerken, den ihre Aussage in mir auslöst. »Das mache ich nicht.«

»Doch, das –«

»Ich sage nur«, fahre ich lauter fort, schaue sie an, »ich sage nur, dass du Fehler machen darfst. Frau Trentini wird es verstehen. Und wenn nicht, dann kommt deine große Schwester und schimpft mit ihr.«

Aline kichert. Die vorherige Dunkelheit verschwindet aus ihren Augen. Stattdessen fangen sie die Strahlen der Sonne ein, die sich nach der langen Winternacht über die weißen Hügel geschoben haben.

»Wenn du in die Schule gehst, holen wir am Nachmittag geröstete Kastanien. Klingt das gut?« Ich nicke in die Richtung des unförmigen Gebäudes, das Alines Schule ist. »Frau Trentini wird dir sicher nicht böse sein, und wenn, dann hältst du das sicher aus. Immerhin bist du ein großes Mädchen.«

Aline verdreht die Augen und folgt meinem Blick. Für einige Herzschläge zögert sie. So lange, dass ich befürchte, sie würde mein Angebot ausschlagen. Dann nickt sie. »Aber ich darf eine eigene Tüte haben.«

»Das darfst du.« Wie sehr das ins Portemonnaie gehen wird, will ich mir gar nicht vorstellen. Doch das Strahlen ihrer Augen ist das Geld und das Versprechen wert.

Wieder will ich mich in Bewegung setzen, um Aline das letzte Stück zur Schule zu begleiten, doch sie stellt sich mir in den Weg und schüttelt den Kopf. »Das schaffe ich allein. Ich bin schließlich schon groß.«

»Das wirst du mir jetzt immer vorhalten, nicht wahr?«

Sie grinst und zeigt die Zahnlücke, wo ihr Milchzahn ausgefallen ist. Kurz umarmt sie mich, so fest sie kann, dann löst sie sich. »Komm nicht zu spät. Sonst bist du den ganzen Tag schlecht gelaunt.«

Ich hebe die Hand, winke ihr hinterher, doch sie sieht die Geste nicht mehr. Leichtfüßig hüpft sie auf die Schule zu, die Haare bei jedem Schritt mitschwingend.

Ich lächle und schüttle den Kopf. Kaum zu glauben, wie sehr sie in der letzten Zeit gewachsen ist. Erst gerade eben, so scheint es, hat Mama verkündet, dass sie schwanger sei, und jetzt begleite ich das Baby in die Schule. Ich fühle mich fast wie ihre Mutter, obwohl ich nur zwölf Jahre älter als sie bin.

Obwohl ich selbst knapp kein Kind mehr bin.

Bei diesem Gedanken surrt mein Handy in der Jackentasche. Mit steifen Fingern klaube ich es heraus und entsperre es. Wenn man vom Teufel spricht. Um 15 Uhr kommt der Elektriker. Sei bitte Zuhause, damit du ihm die Türe öffnen kannst. Und denkst du daran, dass morgen Müllabfuhr ist? Und du noch einkaufen solltest? Ich habe Spätdienst, schau also, dass Aline ihre Hausaufgaben macht.

Mein Lächeln friert ein.

Natürlich hinterlässt sie kein Dankeswort. Es interessiert Mama nicht, was ich heute geplant habe.

Sofort schüttle ich den Kopf, um die Gedanken loszuwerden, die sich wie Dornen hineingebohrt haben. Es ist meine Pflicht, Mama zu helfen, wo immer ich kann.

»Und ich mache es gerne«, flüstere ich mir zu, während ich ein letztes Mal zu meiner Schwester blicke und mich dann auf mein Fahrrad schwinge. Das zweite Klingeln der Schulglocke begleitet mich auf dem Weg zur Uni.

Wie immer bin ich die Letzte, als ich mein Fahrrad in den Ständer stelle und es ankette. Mittlerweile hat sich die Sonne über die entfernten Gipfel der Alpen geschoben, die letzte Dunkelheit der Nacht aus der Welt verdrängt. Es verspricht, ein schöner Tag zu werden.

Einen Herzschlag lang gestatte ich mir, die Gipfel zu betrachten, die der Winter puderzuckerähnlich mit Schnee bestäubt hat. Die fast greifbare Mächtigkeit, mit der sie uns überragen, löst einen Knoten in meiner Brust. Frei wie die Tauben, die über die Dächer der Stadt fliegen, hinauf zum Hausberg. Manchmal wünsche ich, ich könnte auch so sein. Ungebunden, ungezwungen, losgelöst …

»Jasmin, was machst du?« Eine laute Stimme reißt mich aus den Gedanken.

»Ich …« Ich schüttle den Kopf, ehe ich mich zu Morsal umdrehe, die mit verschränkten Armen neben meinem Fahrrad steht. Ihre dunklen Augenbrauen verschwinden beinahe in ihrem Haaransatz, während sie mich so mustert, als hätte sie mich noch nie gesehen. »Ich bin …«

»… sehr unpünktlich«, vervollständigt sie meinen Satz und nimmt einen Zug ihrer Zigarette. Heute streckt sie mir nicht wie gewöhnlich die Faust zur Begrüßung hin. Mir ist es recht, es ist ohnehin viel zu kalt dafür. Ich stopfe die Hände in die Jackentaschen und trete näher. »Wir haben schon gewettet, ob du überhaupt kommst.«

»Wir?« Ich blicke mich um, doch niemand sonst ist auf dem Vorplatz.

»Leonie ist schon drin. Sie reserviert uns Plätze. Und schuldet mir jetzt offensichtlich zehn Franken. Nicht einmal du würdest eine Vorlesung ausfallen lassen.« Morsal grinst und streicht sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Letzte Woche hat sie ihre Haare, die ihr bis in die Mitte des Rückens gefallen sind, abgeschnitten. Jetzt erreichen sie knapp ihren Kiefer und tanzen wie Federn um Morsals helles Gesicht. Wieder nimmt sie einen Zug und nickt zum Unigebäude. »Kommst du?«

Einen Augenblick will ich verneinen. Bei diesem Wetter, an diesem Tag, gibt es Besseres, als mich mit Studierenden in einen engen Raum zu zwängen, einer Vorlesung zu lauschen, die nicht relevant für mein berufliches Leben sein wird. Ich könnte mein Buch fertig lesen, ich könnte endlich das Bild für Mamas Geburtstag fertigstellen, ich könnte …

»Ich komme«, sagt mein Mund, ehe mein Kopf mir weitere Möglichkeiten vorschlagen kann. Träumen und malen kann ich, wenn ich alt bin. Ich darf mir nicht erlauben, zu fehlen. Schlechte Noten zu schreiben. Sonst könnte ich genauso gut einen Job suchen und Mama finanziell unterstützen.

Der Vorlesungssaal ist gerappelt voll, als wir durch die Tür treten. Anzeichen dafür, dass das Semester gerade begonnen hat. Durch die großen Fenster im hinteren Bereich des Raums fällt die frühe Wintersonne herein und blendet mich, sodass ich den Saal nur schemenhaft ausmachen kann. Noch ist das Dozentenpult samt altmodischer Kreidetafel leer. Die Wände sind in einem abgenutzten Grün gehalten, das sich stark von den dunklen Sitzbänken abhebt. Blinzelnd halte ich Ausschau nach Leonies pinkem Haarschopf und entdecke sie an unserem Stammplatz in der vierten Reihe. Nicht zu weit vorne, um aufgerufen zu werden, nicht zu weit hinten, um etwas zu verpassen.

Zielstrebig drängelt sich Morsal an den Studierenden in der Reihe vorbei zu unserer gemeinsamen Freundin. Vorsichtiger folge ich ihr, Entschuldigungen auf den Lippen, ein kleines Lächeln, wann immer mich jemand anschaut. Deshalb mag ich es nicht, wenn ich zu spät komme.

Ich atme auf, als ich mich neben Leonie auf die harte Bank fallen lasse. Die Wärme steht in starkem Kontrast zur Kälte draußen, doch ich heiße sie willkommen. Durch die Fahrradfahrt sind meine Finger eingefroren.

»Wo warst du?« Sie hebt die Augenbrauen, während sie mir die Faust zur Begrüßung hinstreckt. Ich drücke meine Faust leicht gegen ihre. »Wir haben gewettet, ob du überhaupt kommst.«

»Hat mir Morsal schon gesagt. Tut mir leid, dass ich unseren Frühstückskaffee ausfallen lassen musste«, entgegne ich, während ich meinen Laptop aus der Tasche ziehe. Ich gebe Leonie keine Zeit, um auf meine rhetorische Frage zu antworten. »Ich musste Aline in die Schule begleiten.«

»Wieso bist immer du dafür zuständig?« Auch Morsal hat ihren Laptop hingestellt, ihn aber noch nicht geöffnet. Stattdessen blickt sie zu mir, die Stirn gerunzelt. »Ist sie nicht bereits zehn? Das sollte sie–«

»Sie ist acht«, korrigiere ich sie. »Und der Schulweg führt über zwei dicht befahrene Straßen. Mama ist es lieber, wenn sie diesen Weg nicht allein geht.«

»Dann soll deine Mutter sie doch begleiten.«

Alles in mir spannt sich an, als hätte Morsal mir einen Schlag in die Magengrube versetzt. Meine Zunge brennt von der Erwiderung, die ich ihr entgegenwerfen will. Statt einer Antwort richte ich meinen Blick auf die Vorlesungsnotizen, die Lippen fest zusammengepresst. Keine Antwort, kein falsches Wort. Kein Konflikt. Es lohnt sich nicht, mit Morsal oder sonst wem zu streiten. Sie können es nicht verstehen. Ich habe die Verantwortung, auf meine Schwester aufzupassen, das hat Mama gesagt, als Aline auf die Welt kam. Das ist meine Pflicht als große Schwester.

Einige Sekunden verharren wir in Stille, während Morsal mich mit blitzenden Augen fixiert. Ich schlucke hart und knibble an einem losen Stück Haut am Finger.

Offensichtlich bin ich nicht die Einzige, die die Spannung in der Luft spürt. Leonie rutscht auf ihrem Stuhl nach hinten und zieht ihren Rucksack zwischen den Beinen nach oben. Sie stellt ihn zwischen Morsal und mir auf den Tisch und wühlt lautstark darin herum. Sowohl Morsal als auch ich schauen sie an. »Ich habe etwas, das dir gefallen könnte, Jasmin.«

Die Worte sind zu hoch für ihre Stimme und ihre hellen Wangen gerötet, als ich widerwillig meinen Blick von meinem Laptop löse und sie anschaue. Mein Blut pocht immer noch, aber ich schaffe es, Leonie ein kleines Lächeln zu schenken. Es ist nicht immer leicht mit Morsal, aber bei ihr und Leonie bin ich mehr als nur eine Schwester.

»Mir gefallen?« Die Worte dringen gepresst zwischen meinen Lippen hervor, doch falls Leonie das bemerkt, geht sie nicht darauf ein.

Stattdessen kramt sie in ihrem Rucksack und zieht ein zerknittertes Stück Papier hervor. »Das.«

»Und was ist das?« Morsal lehnt sich vor. »Wenn das wieder ein Flyer für einen Poetryslam ist, dann schwöre ich –«

»Es ist für Jasmin, nicht für dich.« Leonie klopft mit dem Finger auf das Papier und schaut zu mir, ein leichtes Lächeln auf den Lippen. »Theater Kunterbunt.«

»Kunterbunt«, wiederhole ich stumpf.

Statt einer Erklärung schiebt sie mir den Flyer über den Tisch. Passend zum Namen ist ein Regenbogen über das Papier gekrakelt, sodass er zu großen Teilen den eigentlichen Text überdeckt. Er zeugt nicht gerade gestalterischem Talent. Ich hätte ihn auf jeden Fall besser zeichnen können. Ein Lächeln huscht mir über die Lippen. Aline hätte ihn besser zeichnen können. Leonie zuliebe hebe ich ihn hoch und überfliege die Beschreibung.

»Was soll das denn sein?« Jetzt neigt sich Morsal doch näher, um einen Blick zu erhaschen. »Kindergartenarbeit?«

»Sei nicht fies, so schlimm ist es nicht«, erwidere ich, stimme ihr im Stillen aber zu. Regenbogen und Texte sind etwas, das ich auf meinem Kunst-Instagram-Account oft mache. Noch einmal überfliege ich den Text, während mein Körper zu kribbeln beginnt.

»Eine queere Theatergruppe. Habe ich gestern gefunden.« Leonies helle Augen blitzen. »Du hast immer gesagt, dass du das ausprobieren willst.«

»Theaterspielen?« Beim Wort schlägt mein Herz heftiger. Kurz schaue ich zu Leonie, dann wieder auf das Papier. Ich kann nur schwer das Lächeln unterdrücken, das sich auf meinen Lippen ausbreiten möchte. »Ich und Theater?«

»Talent hättest du.« Morsal neigt den Kopf und ein diebisches Funkeln taucht in ihren Augen auf. »Du täuschst jeden Tag vor, dass es dir nichts ausmacht, Kindermädchen zu spielen.«

»Was ist heute los mit dir?« Leonie boxt Morsal in die Schulter. »Schlecht geschlafen?«

Doch diesmal nehme ich Morsals Worte kaum wahr. Vorsichtig streiche ich über den Flyer, lese erneut den Text, mit dem das Theaterstück beschrieben wird. Ein Pulsieren erfüllt meinen Körper und unwillkürlich taucht ein Lächeln auf meinen Lippen auf. Wälder, Elfen und Drachen – und das alles in queer. Es klingt nach purer Magie. Nach etwas, wo ich vielleicht einen Platz finden kann.

»Und?« Ich spüre Leonies Blick auf mir, bevor ich den Kopf hebe. »Das Casting ist morgen und ich gehe. Vielleicht willst du mitkommen? Und du, Morsal, natürlich auch.«

Morsal schnaubt, doch schlägt die Augen nieder, leichte Röte auf ihren Wangen. Auf einmal ist ihr Laptop spannender als wir »Ich bin lieber Support als auf der Bühne. Aber wenn ihr mitmacht, schaue ich es mir vielleicht an.«

»Es klingt nicht schlecht.« Ich drehe das Papier in meinen Händen, doch es ist nur einseitig bedruckt. Erneut überfliege ich die Beschreibung. »Aber … du weißt, dass ich neben Studium und meiner Schwester kaum Zeit habe.«

Leonie hebt die Augenbrauen, ihre Augen so schneidend wie Morsals Blick, wenn sie mich eines Besseren belehren möchte. »Wie lange hast du uns in den Ohren gelegen, dass du schauspielern möchtest?« Ihre Stimme trieft vor Sarkasmus.

Ich beiße mir auf die Lippen und weiche ihrem Blick aus.

»Siehst du?« Sie stupst mir mit dem Ellbogen in die Seite, die Stimme nun sanfter. »Du musst nicht zusagen, du kannst einfach mitkommen und schauen, wie die Stimmung ist.«

»Sind es nur queere Personen?« Mein Lächeln verbreitert sich, während ich erneut die Beschreibung der Gruppe überfliege. Beinahe scheint mein Körper zu vibrieren.

»Natürlich dürfen auch Heteros kommen.«

»Du weißt, dass ich kein Hetero bin.« Ich spreche so laut, dass sich die Studierenden in der Reihe vor uns umdrehen. Hitze steigt in meine Wangen, doch ich halte den Kopf hoch erhoben. »Dafür finde ich Frauen viel zu attraktiv.«

Leonie grinst das Grinsen jeder queeren Person, die sich mit der Aussage identifizieren kann. »Komm mit. Du wirst es bereuen, wenn nicht.«

»Und vielleicht nehmen sie dich auch nicht, dann musst du dich nicht zwischen Pflicht und Träumen entscheiden.«

»Morsal!«

»Ist doch wahr.«

Das leise Streitgespräch zwischen meinen Freundinnen vermischt sich mit dem Lärm der Studierenden um uns, während ich erneut den Flyer betrachte. Mein Herz pocht so heftig, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Vielleicht ist sie es. Die Gelegenheit, etwas anderes zu machen, als mich um den Haushalt und meine Schwester zu kümmern. Etwas zu machen, das ich in meinem Leben wirklich möchte.

Es ist fies, so zu denken. Schließlich mache ich es gerne, das Kümmern, das Kochen und Putzen und Einkaufen.

»Wenn wir nun endlich beginnen können.« Ich bin so auf den Regenbogenflyer und die Theatergruppe fixiert gewesen, dass ich nicht gemerkt habe, wie die Dozentin eingetreten ist. Mit verschränkten Armen schaut sie in unsere Richtung. Hastig klappen Morsal und Leonie ihre Laptops auf, richten ihre Blicke nach vorne, bereit, der Vorlesung zu lauschen.

Nur ich schaffe es nicht, mich vom Regenbogen zu lösen. Das Lächeln und das Kribbeln in mir zu unterdrücken.

Erst, als Leonie mir den Ellbogen in die Seite stupst, löse ich meinen Blick und tue so, als würde ich zuhören. Den Flyer lasse ich jedoch nicht los. Die ganze Stunde nicht.

Kapitel 2

Fabia

Die Welt um mich verschwindet. Nur der Wald, mein Podcast und ich scheinen zu existieren. Alles andere ist klein geworden, unscheinbar. Beinahe nichtig.

Ich springe über eine Wurzel, laufe dann regelmäßig weiter. Mein Atem dampft in kleinen Wolken aus meinem Mund, tanzt um mich. Längst laufe ich automatisch, denke nicht darüber nach, wohin mich der nächste Schritt bringt. Jeden kleinen Ast, jede Abzweigung und jede Person, die mit ihrem Hund spazieren geht, kenne ich. Dieselbe Strecke wie jeden Morgen, den Hausberg hinauf, über die Wiese, im Wald zurück zum Haus meiner Familie.

Ich werde langsamer, als ich den Wald verlasse und der Straße zurück in den Vorort folge. Leben summt mir entgegen. Um diese Uhrzeit sind die meisten normalerweise noch in ihren Betten verkrochen, um den freien Samstag zu genießen. Als ich um die Ecke biege, um Croissants für das Familienfrühstück zu holen, ist die Bäckerei bereits geöffnet. Einige Menschen warten draußen, um den kleinen Laden nicht zu überfüllen.

Keuchend bleibe ich stehen und werfe überrascht einen Blick auf meine Armbanduhr. Heute bin ich langsamer gewesen als sonst. Kein Wunder, dass die Menschen bereits Kolonne stehen.

Ich verziehe mein Gesicht und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meiner Flechtfrisur gelöst hat. Meine Brust wird eng und ich wippe auf den Fußballen. Hastig rechne ich aus, wie viel Zeit mir bleibt, bis ich in der Mehrzweckhalle erscheinen muss. Es sind weniger als drei Stunden, ehe ich mein Theaterstück ins Licht der Welt bringe.

Verdammt. Ein kalter Schauer überläuft meinen Rücken, obwohl ich immer noch schwitze. Vielleicht hätte ich doch das Manuskript priorisieren sollen. Joggen kann ich jeden Tag, Schauspielende für mein Theaterstück suchen jedoch nicht. Und dafür brauche ich ein überzeugendes Manuskript.

Rückgängig machen kann ich es jetzt aber nicht mehr. Deshalb stelle ich mich hinter eine Mutter mit Kinderwagen und fokussiere mich auf meinen Atem, der immer noch viel zu schnell geht.

Die Kolonne schiebt sich vorwärts, viel zu langsam. Vor mir stehen noch drei andere Parteien, die ebenso hungrig auf die Brötchen warten. Ich seufze und werfe erneut einen Blick auf die Uhr an meinem Handgelenk. Doch die Zeit hat sich in den paar Minuten nicht verändert.

Kurz spiele ich mit dem Gedanken, die Buttergipfel sein zu lassen und mit leeren Händen heimzukehren, als sich eine Hand auf meine Schulter legt. Ich zucke zusammen und wirble herum, der Herzschlag fast so laut wie zuvor im Wald.

Auf den ersten Blick hätte ich sie fast nicht erkannt. Innerlich sehe ich sie immer noch mit denselben karamellbraunen Haaren wie meinen vor mir. Jetzt, mit einem Blau, das dem Thunersee an schönen Sommertagen gleicht, wirkt sie wie Anfang zwanzig, obwohl sie erst sechzehn ist.

»Wir wussten nicht, ob du zur Bäckerei gehst, deshalb bin ich gegangen.« Meine Schwester grinst. »Scheinbar haben wir falsch gedacht.«

»Habt ihr.« Ich ziehe die Kopfhörer aus den Ohren und verschränke die Arme. Ich will mir den vorherigen Schrecken nicht anmerken lassen, doch offensichtlich gelingt es mir nicht.

Natalies Augen blitzen auf, während sie mich mustert. »Hast du dich verlaufen?«

»Ich verlaufe mich nie.« Ich runzle die Stirn und richte meine Brille. »Habe nur eine längere Strecke gemacht.«

»Und du drückst dich ganz bestimmt nicht vor dem Casting für dein Theaterstück.« Sie formuliert es als Frage, doch hebt die Stimme am Schluss nicht. Natalie kennt mich zu gut.

»Wieso sollte ich?« Ich rücke vor, während sich die zwei Personen vor uns ins Innere begeben. Während des Joggens habe ich es nicht bemerkt, doch je länger der Duft von frischem Brot um meine Nase weht, desto mehr wehrt sich mein Magen gegen das Loch in ihm.

»Nur so.« Sie grinst breiter und stupst mir mit dem Ellbogen in die Seite. »Fabia, die Theaterregisseurin.«

»Dramatikerin.« Ein warmes Kribbeln breitet sich in meinem Körper aus, als sie die Worte sagt. Ich muss mich immer wieder kneifen, um mir zu versichern, dass es wahr ist. Ich habe ein Stück geschrieben. Und heute suche ich Schauspielende, die es in die Welt tragen. Ein Lächeln breitet sich auf meinen Lippen aus.

»Ja, genau. Eine Dramaqueen bist du auch.« Natalie zwinkert mir zu, schiebt sich an mir vorbei in die Bäckerei. Sie steuert den Tresen an und ich überlasse ihr die Führung. Die Hitze umhüllt mich und meine Brille beschlägt. Während sie vier Croissants und ein Knusperbrot bestellt, werfe ich erneut einen Blick auf meine Armbanduhr. Sofort ersetzt ein eisiger Stein das warme Gefühl in meinem Körper.

Ich beiße auf meine Unterlippe. Wenn wir so weitermachen, habe ich kaum Zeit zu duschen, ehe ich los muss. Wäre peinlich, wenn die Dramatikerin als Letzte erscheint. Bei der Vorstellung, dass mich alle misstrauisch beäugen, schmecke ich Galle.

Glücklicherweise zahlt Natalie und schnappt sich die Tüten. Als sie sich zu mir umdreht, berührt sie mich sanft am Arm und schenkt mir ein Lächeln. Mit einem Nicken deutet sie zur Tür, die Hand immer noch sanft auf meinem Arm. »Wollen wir?«

Etwas zu schnell nicke ich und gehe ins Freie, wo die Kälte mir so hart ins Gesicht schlägt, dass mir kurz die Luft wegbleibt. Eine dicke Wolkendecke hängt am Himmel, lässt nur vereinzelte Sonnenstrahlen heraus. Wo zuvor Schweiß über meinen Rücken gelaufen ist, breitet sich Gänsehaut aus. Meine Sportkleidung ist klamm-klebrig, meine Zähne klappern. Ich verschränke die Arme und beschleunige meinen Schritt. Vor dem Frühstück brauche ich eine Dusche, sonst wird der Tag gar nichts. Und wenn ich heute nichts leisten kann, können wir das Theaterstück gleich vergessen.

Schnee schimmert auf dem roten Hausdach unseres Elternhauses, als Natalie und ich in die Straße einbiegen und uns einen Weg durch den Vorgarten zur Haustür bahnen. Kurz hält meine Schwester beim Briefkasten inne, den wir als Kinder pink bemalt haben, und schaut nach der Post. Um nicht noch mehr Zeit zu verlieren, ziehe ich die Hausschlüssel aus meiner Bauchtasche. Dabei berühre ich mein Handy. Während meiner Joggingrunde hat es die ganze Zeit gesurrt. Bestimmt Nachrichten von Jan und Darina, die sich nach meinem Wohlbefinden erkunden. Genau wie Natalie wissen die beiden nur zu gut, dass ich letzte Nacht vermutlich kaum geschlafen habe. Ich seufze.

»Freust du dich gar nicht auf heute?« Das leise Geräusch ist nicht ungehört an Natalie vorbeigegangen.

Unwillkürlich greife ich die Schlüssel fester, sodass sich das Metall in meine Handfläche drückt. Mit gerunzelter Stirn drehe ich mich um, der Herzschlag zu schnell und zu laut, als dass ich so tun könnte, als hätte mich die Frage nicht berührt. »Wie-wie kommst du darauf?«

Sie zuckt mit den Schultern und verlagert das Gewicht auf den anderen Fuß. Ihre dunklen Augen blicken mir entgegen, so ruhig, dass ich mich frage, ob sie nicht doch die ältere von uns ist. »Du wirkst neben der Spur, gestresst und unruhig. Du musst es nicht machen, wenn du nicht willst.«

»Ich will es aber.«

Natalie reagiert nicht auf die Heftigkeit, mit der ich die Worte ausspreche. Erneut zuckt sie mit den Schultern, wendet die Augen aber nicht ab. »Du weißt, dass du dich nicht überarbeiten musst. Manchmal ist es gut, wenn du Hilfe von anderen annimmst.«

Ich schnaube. Um ihrem Blick auszuweichen, schließe ich die Tür auf. »Ich habe gewusst, dass es viel Arbeit ist, ein Theaterstück zu produzieren und gleichzeitig fünf Seminare zu besuchen. Aber ich will mein Studium und ich will das Theaterstück. Schlaf wird eh überbewertet.«

»Schlaf wird nicht überbewertet. Vor allem bei deiner Vorgeschichte.« Sie sagt es scharf, doch ich höre die Sorge, die in den Worten mitschwingt. Sie presst die Kiefermuskeln zusammen. »Wenn du schon so viel machst, Studium und Schreiben, dann … mach doch wenigstens nicht so viel … Sport.«

»Ich habe es im Griff«, erwidere ich, doch weiß selbst nicht genau, ob ich meinen Worten Glauben schenke. Auch Natalie zieht die Augenbrauen hoch. Ich schlucke hart und kämpfe gegen das Brennen in meinen Augen an. Diesmal stammt die Kälte in mir nicht vom Schnee und der Erschöpfung. Ich schniefe. »Ich esse und trinke und schlafe. Mehr kann ich nicht tun. Und ich brauche den Sport, um ein wenig abzuschalten. Das weißt du.«

»Und das darfst du auch. Aber …« Meine Schwester macht eine kleine Bewegung, als wolle sie meinen Arm nehmen. Ich ziehe ihn weg, bevor sie ihn erreicht. Wenn sie mich jetzt berührt, komme ich nicht mehr gegen das Brennen meiner Augen an. Und der Tag wäre gelaufen. Erschlagen lässt Natalie die Hand sinken. »Aber ich will nicht, dass es so wird wie in deinem letzten Schuljahr. Du warst nicht du selbst. Und … ich hatte echt Angst um dich.«

Zur Kälte mischt sich Wärme. Jetzt bin ich es, die die Hand ausstreckt, sie aber trotzdem nicht berührt. Stattdessen versuche ich mich an einem Lächeln, das mir nur fahrig gelingt. »Das musst du nicht haben, Nat. Echt nicht. Diesmal habe ich es im Griff.«

»Wenn ich dir nur glauben könnte.« Ohne auf meine Reaktion zu warten, lässt sie mich stehen und verschwindet in die Küche. Schon viel zu oft haben wir über genau das Thema gesprochen

Ich unterdrücke ein Schniefen. Ein kühler Schauer bricht über mich herein. Einige Sekunden bin ich verleitet, sie in eine Umarmung zu ziehen. Das Surren meines Handys lenkt mich ab. Grummelnd ziehe ich das Gerät doch aus meiner Bauchtasche, werfe einen Blick auf all die Nachrichten, die Darina und Jan in der letzten Stunde geschrieben haben.

nur noch drei stunden. mensch ich bin so aufgeregt. Darina hat einige Emojis angefügt, die meinen Gemütszustand treffend beschreiben. Peinlich berührt, Herzaugen, Partyhut, Äffchen, das sich das Gesicht verdeckt.

Ich antworte mit einem Reaktions-Gif eines Mädchens, das auf der Stelle hüpft, um darzustellen, wie nervös ich bin, schlüpfe dann endlich aus meinen Joggingschuhen. In der Wärme bemerke ich meine schmerzenden Glieder. Und die Tatsache, dass ich nur zwei Stunden geschlafen habe. Ich unterdrücke ein Gähnen

»Ich gehe duschen, wartet bitte auf mich mit dem Essen«, rufe ich in die Küche, ehe ich die Treppe hoch eile und mir die Sportkleidung über den Kopf ziehe, um sie im Badezimmer in den Korb zu werfen. Mit einem hastigen Blick auf die Armbanduhr springe ich unter die Dusche und stelle das Wasser an, wobei ich die Temperatur voll aufdrehe. Es ist eine Wohltat, nachdem sich mein Körper durch die Kälte und den Schweiß ausgekühlt hat. Trotzdem lässt sich mein heftig klopfendes Herz nicht beruhigen. Noch immer hängen Natalies Sorgen wie eine Wolke über mir, vermischt sich mit meinem schlechten Gewissen und bringt meine Augen erneut zum Brennen. Klar, dass sie sich um meine Gesundheit Gedanken macht. Würde ich an ihrer Stelle auch. Nach allem, was passiert ist.

Ich lache auf, trocken und freudlos. Wasser läuft in meinen Mund und beinahe verschlucke mich.

»Diesmal habe ich es im Griff. Ich kenne die Zeichen, und es ist alles gut. Es wird nicht so wie damals.« Ich sage die Worte zu mir selbst. Als Bestärkung, Bestätigung. Denn noch einmal so leiden wie damals will ich echt nicht.

Meine Eile hat sich gelohnt. Mit einem Apfel zwischen den Zähnen – den mir Natalie als Ermahnung mitgegeben hat – trete ich ins Innere des Mehrzweckraums. Der Raum kann von allen Linken und Queeren Gruppen der Stadt zur Benutzung gebucht werden. Auf der Seite, die im Rücken des Publikums ist, prangen mehrere Regenbogenflaggen. Obwohl ich ihn bereits mehrmals besucht habe, bin ich wieder überrascht, wie klein er ist. Er hat kaum Platz für die Bühne, die eine Seite des Raums ausfüllt. Er ist deutlich länger als breit. Das Publikum wird sich Knie an Knie am Theaterstück erfreuen müssen. Doch die verschiedenen Regenbogenflaggen und die Flyer, die unterschiedliche Gruppen jeweils am Informationsboard aufhängen, sind mehr als Bestätigung, dass mein Theaterstück perfekt hierher passt. Bunt, queer und divers – genau die Menschen, die ich dafür begeistern möchte.

In wenigen Schritten durchquere ich ihn und stehe vor der Bühne, auf der in einem halben Jahr mein erstes Stück aufgeführt wird. Nur noch genügend Flyer aufhängen und vielleicht sogar auf Social Media Werbung schalten, dann werden sich die Tickets von selbst verkaufen. Das alles bedeutet zwar mehr Organisation und Arbeit für mich – aber damit habe ich ja gerechnet. Damit komme ich zurecht.

Meine Beine wollen nicht mehr stillstehen. Ich drehe mich einmal um die eigene Achse, immer noch breit lächelnd. Nicht mehr lange und dann beginnen die Proben. Dann wird mein erstes richtiges Theaterstück aufgeführt – professionell. Mit allem drum und dran.

»Träumst du schon davon, wie du dich bei der Derniere bei allen bedankst?« Ein Lachen schwingt durch den kleinen Raum.

Ich drehe mich um und lächle, als ich Darina und Jan im Eingang erblicke. Mein Herz hüpft in der Brust. Gleich geht es los. Hastig springe ich runter und eile zu den beiden, um ihnen um den Hals zu fallen. Gemeinsam gehen wir zu den Tischen hinten im Raum, um die Taschen abzustellen. Vor lauter Aufregung habe ich komplett vergessen, meinen Rucksack auszuziehen.

»Hätte nicht gedacht, dass du zuerst da bist.« Darina streicht sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und zieht eine Augenbraue hoch. Wie immer überragt sie mich fast zwei Köpfe und kann mich dadurch noch kritischer mustern. Sie stellt zwei Taschen und ihre Jutebeutel auf den Tisch, ehe sie mich wieder beäugt. »Du hast aber geschlafen und gegessen?«

»Wenn nicht, Martin hat uns Muffins gebacken.« Jan hebt eine Tüte hoch. »Dann können wir uns aufs Casting fokussieren und müssen uns nicht um die Verpflegung kümmern.«

»Verpflegung?« Stumpf blicke ich ihn an. Daran habe ich nicht gedacht. Ich greife den Apfel in meinen Händen fester und schlucke. Mir wird kalt. »Meint er, dass das Casting so lange dauert?«

»Hast du Instagram nicht gecheckt? Mehrere queere Gruppen haben unseren Beitrag geteilt.« Darina zuckt mit den Schultern. »Viele positive Reaktionen. Ich würde mit einigen rechnen.«

»Ihr habt es schon auf Instagram gepostet?« Ich fühle mich wie eine defekte Schallplatte, doch ich schaffe es nicht, meine Zunge mit meinem Gehirn zu verbinden. »Warum hat mir das niemand gesagt?«

Oder haben sie es mir gesagt und ich habe es durch die vielen Aufgaben vergessen? Vielleicht hat Natalie recht gehabt. Vielleicht mute ich mir zu viel zu. Vielleicht falle ich schon in alte Muster, ohne es zu wollen. Ich mustere den Apfel in der Hand. Obwohl er zuvor noch verlockend ausgesehen hat, wirkt er jetzt auf einmal fad …

»Komm schon, Fabia, wir schaffen das zusammen.« Jan stupst mich in die Seite und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. Mach dir nicht zu viele Gedanken, lass uns das Casting einfach genießen.«

»Hmpf.«

»Elender Miesepeter.« Er stupst mich erneut in die Seite, das Grinsen noch breiter. Er macht einen Schritt auf mich zu, so nahe, dass ich die feinen Linien des Handpoke-Tattoos an seinem Hals sehe, das sich durch seine dunkelbraune Haut drückt. »Was sollen die Bewerbenden von dir halten, wenn du so schlecht gelaunt bist?«

»Mieseheidi für dich.« Ich weiche seinem nächsten Ellbogenstoß aus. »Und von mir haben sie nichts zu halten. Wenn sie nicht mitmachen wollen, müssen sie nicht.«

»So spricht also unsere Dramatikerin hinter unseren Rücken.« Hinter Darina treten drei weitere Menschen ein: Michael, Rahel und Jean-Luc, alle wie Jan beladen mit Taschen, in denen vermutlich ebenfalls Verpflegung verstaut ist.

Wieso habe ich bloß nicht daran gedacht?

Hitze schießt in meine Wangen. Es ist schon echt gut, dass ihr mitmachen wollt.«

Meine Worte klingen zu schwach und müde, für das, was ich empfinde, aber Michael lacht nur. »Gern geschehen. Und jetzt stellen wir besser willentlich die Stühle auf. Mindestens dreißig.«

»Dreißig?« Ich schaue zu Jan, der zuständig für die Kommunikation ist. Als er nickt, beschleunigt sich mein Herzschlag und ich habe Mühe, ruhig stehen zu bleiben. Die Müdigkeit, die zuhause noch an meinen Knochen genagt hat, ist weggeblasen. Adrenalin ist die beste Medizin – und besser als jeder Kaffee.

Ich grinse und drehe mich zu den anderen um. »Dann zeigen wir, was wir draufhaben.«

Kapitel 3

Jasmin

Pass auf dich auf.« Ich drücke Aline ein Kuss auf die Stirn. »Ich komme um fünf wieder.«

Aline schüttelt mich ab und streckt mir die Zunge raus. »Beeil dich nicht. Malias Mama macht bessere Snacks als du.«

»Wenn du meinst. Dann wünsche ich einen guten Appetit.«

»Und dir viel Spaß bei deinem Unizeugs.«

Lachend schaue ich meiner Schwester hinterher, als sie zu ihrer Freundin rennt, die bereits am Ecken wartet. Lange währt das Lachen nicht. Kälte umschließt mein Herz wie eine Faust. Ich hasse es, Aline anzulügen. Aber diesmal muss die Universität als Ausrede dienen.

Etwas Besseres ist mir nicht eingefallen. Aline zum Treffen des Theater Kunterbunt mitzunehmen, ist keine Option. Geheimnisse sind bei ihr nicht sicher, vor allem wenn Mama nichts davon erfahren darf.

Wieder überprüfe ich den Standort des Theaters in der Karten-App meines Handys, obwohl ich die Strecke auswendig kenne. Sogar zum Einschlafen habe ich sie mir gestern Abend in Gedanken vorgestellt. Habe mir vorgespielt, wie ich in den Raum gehe, meinen Auftritt habe. Vielleicht bin ich eine der ersten. Dann werde ich Smalltalk mit dem Organisationsteam halten müssen, ehe andere eintreffen. Wenn sich alle Bewerbenden eingefunden haben, geht dann einer nach dem anderen auf die Bühne. Jeder wird einen Text vortragen, dann warten, bis uns eine Rolle zugeteilt wird – oder eben nicht.

Ich habe mir lange überlegt, welche Rolle mich interessiert. Vielleicht eine Protagonistin. Oder lieber ein Nebencharakter. Vielleicht keine Darstellerin auf der Bühne. Im Flyer haben sie geschrieben, dass sie Personen für Make-up und Kostüm suchen. So könnte ich mitmachen, ohne mich in den Vordergrund zu drängen.

Von selbst führen mich meine Füße über die Straße zu dem Stadtteil, auf welchem sich die Mehrzweckräume befinden. Kurz bin ich mir unsicher, wohin ich gehen muss. Im Gegensatz zu Leonie bin ich erst einmal dort gewesen – und das war vor zwei Jahren.

Leonie werde ich jedoch erst beim Theater treffen. Eigentlich hat sie mich gefragt, ob wir zusammen dorthin gehen wollen, aber ich habe Aline als Ausrede benutzt. Immer noch nicht bin ich mir sicher, ob ich wirklich vorsprechen will.

Jetzt bereue ich die Entscheidung. Mit gerunzelter Stirn drehe ich mich um meine eigene Achse und zupfe an einer losen Haarsträhne. Alles sieht so schrecklich gleich aus. Obwohl mehrere Türen vom Vorplatz weg in verschiedene Innenräume führen, kann ich nicht ausmachen, durch welche ich gehen soll. Die Wände sind allesamt mit Graffiti vollgesprayt, genauso wie die Bänke, die auf dem Vorplatz verteilt sind. Vereinzelte Bäume strecken ihre kahlen Äste in den grauen Himmel. Ich presse die Lippen aufeinander. Ein Zeichen, dass ich umkehren soll? Einige Sekunden spiele ich mit dem Gedanken, nun doch Leonie anzurufen, um sie um Hilfe zu bitten. Doch dann entdecke ich eine Regenbogenflagge an einer Tür drei Häuser weiter. Vor dieser steht eine kleine Gruppe, die raucht.

Mein Herz macht einen Satz. Ich schlucke hart und balle die Hand zu einer Faust. Plötzlich ist meine Winterjacke viel zu heiß, trotz des Windes. Ich werfe einen Blick über die Schultern, vom Gebäude weg, zurück zur Straße. Noch kann ich umkehren und gehen. Niemand würde wissen, dass ich hier gewesen bin. Dass ich wirklich mit dem Gedanken gespielt habe, über meinen Schatten zu springen und etwas für mich zu tun. Leonie könnte ich sagen, dass die Sache mit Aline länger gedauert hat und es mir nicht reichte, um zu kommen.

»Du bist überpünktlich.« Eine vertraute Stimme reißt mich aus den Gedanken und als ich den Kopf nach vorne drehe, steht Leonie vor mir. »Hast du schon lange gewartet?«

»Bin gerade erst gekommen.« Ich beiße mir auf die Lippen.

»Ich friere nie.« Sie grinst und lässt das Piercing aufblitzen. Die dicke Winterjacke, die gestrickte Wollmütze und die bunten Handschuhe unterstreichen ihre Worte. Mit einem Grinsen hebt sie die Augenbrauen. »Aline hast du nicht mitgenommen?«

»Die ist bei einer Freundin.« Ich verlagere das Gewicht auf den anderen Fuß und betrachte meine Stiefel im Schnee, um Leonies Blick auszuweichen. Dass sie ein wenig breiter lächelt als gewöhnlich, entgeht mir aber nicht.

»Dann kommst du jetzt also?« Sie hakt sich bei mir unter und zieht mich zielstrebig zur Tür mit der Regenbogenflagge. Im Vorbeigehen begrüßt sie die Rauchenden vor dem Eingang, ehe sie die Tür öffnet. Hinter ihr trete ich ins Innere und bleibe kurz stehen.

Die Tür öffnet sich zu einem Eingangsraum mit einer Garderobe, die überhängt von dicken Jacken und Pullovern ist. Bereits hier hängt ein Board mit Flyern, die über die verschiedenen Aktivitäten hier im Raum Auskunft geben. Einer zeigt einen farbigen Regenschirm, der scheinbar eine Gesprächsgruppe über queere Themen verkündet, daneben hängt der Flyer des Theaterstücks.

»Kommst du?« Leonie dreht sich bei der Doppeltür um und hebt die Augenbrauen. »Hier drin geht der Spaß erst los.«

Ohne auf meine Antwort zu warten, öffnet sie die Tür schwungvoll und verschwindet darin. Ich beeile mich, ihr nachzukommen. Nicht, dass ich mich noch anders entscheiden würde.

Passend zu den Jacken an der Garderobe ist der Saal genauso überfüllt. Die Vorsprechenden sitzen und stehen herum und plaudern gemütlich miteinander. Die meisten halten Getränke in den Händen, offensichtlich von den angerichteten Tischen, die über und über mit Leckereien beladen sind.

Ausnahmsweise habe ich keinen Hunger.

Leonie hat mein Zögern bemerkt und wendet sich wieder mir zu, ein Lächeln auf ihren Lippen. »Alles gut?«

»Könnte nicht besser sein.« Meine Stimme schwankt bei den Worten und ich schlucke gegen den Kloß an. »Ich habe nur nicht gedacht, dass … dass es so viele sein werden.«

Meine Freundin grinst und hakt sich erneut bei mir unter. »Und es werden noch mehr, wenn du auf der Bühne deine Rolle spielen wirst. Stell dir vor.«

Ich gehorche. Und obwohl mein Herz beim Gedanken einen Schlag aussetzt und in doppelter Geschwindigkeit weiterschlägt, schleicht sich ein Lächeln auf mein Gesicht. Auf der Bühne wirkt jede Menschenmenge unscheinbar. Das habe ich schon während dem Theater in der fünften Klasse gemerkt. Auf der Bühne gibt es nur mich und das Stück. Mich und meine Rolle.

»Komm, ich stell dir ein paar Leute vor. Dann wirkt es gleich weniger beängstigend.« Behutsam führt mich Leonie durch die Menge zu zwei jungen Männern, die an den Tischen stehen und plaudern.

Sie fällt beiden um den Hals, dreht sich dann zu mir um und schiebt mich auf sie zu. »Das ist Jasmin. Und das sind Jan und Martin.«

Zu meiner Erleichterung halten sie mir beide die Faust hin, damit ich sie ohne Körperkontakt begrüßen kann. »Freut mich.«

»Mich ebenso.« Jans dunkelbraune Haut glänzt von Schweiß durch die Hitze, die sich im Raum festklammert. Er lächelt mir zu und hält mir einen leeren Becher hin. »Willst du was?«

Ich erwidere sein Lächeln. »Habt ihr Johannisbeersaft?«

»Sehr spezifischer Wunsch.« Er lacht auf. »Haben wir. Fabia, unsere Dramatikerin, kann davon nie genug haben.«

Er reicht mir die Flasche und will etwas anfügen, doch aus der Menge ertönt sein Name. Mit einer Entschuldigung lässt er uns zurück.

»Und?« Leonie blickt grinsend von mir zu Martin. »Ist der Hammer, dass das geklappt hat. Ihr redet schon so lange darüber, dass ihr ein Theaterstück aufführen wollt.«

Martin nickt. »Ich glaube es aber erst, wenn wir Tickets verkaufen. Im Moment ist alles noch weit weg.«

Leonies Antwort geht im Lärm unter. Mit dem Becher in den Händen blicke ich mich um, der Herzschlag in meinen eigenen Ohren viel zu laut. Obwohl sich der ohnehin volle Saal noch mehr füllt, fühle ich mich nicht fehl am Platz. Ich betrachte die Menschen, die Ausschau nach freien Stühlen halten, um die beste Sicht auf die Bühne zu haben, und mir wird warm ums Herz.

Nie hätte ich mir zu träumen gewagt, dass ich irgendwann in einer solch bunten Menge stehe. Teil von etwas bin, wo ich ich selbst sein kann. Bunt, mutig. Lesbisch.

Ich nehme einen Schluck des Johannisbeersafts und verkneife mir ein Lächeln. Aline würde sich hier wohlfühlen. Genau wie ich liebt sie das Eintauchen in fremde Welten. Ob sie Talent im Schauspielern hat, weiß ich nicht. Den Text würde sie auf jeden Fall vergessen.

»Bist du froh, dass du gekommen bist?« Leonie hat sich aus der Unterhaltung von Martin gelöst und zu mir gestellt.

Ich nicke, obwohl ich nicht weiß, ob es der Wahrheit entspricht. Um einer Erklärung auszuweichen, nehme ich einen Schluck meines Getränks.

»Mach nicht so ein Gesicht.« Leonie kennt mich wirklich besser als ich mich selbst. »Für mich ist es am Anfang auch viel gewesen, aber die Menschen hier sind lieb. Du findest dich hier schnell ein.«

Das entlockt mir ein Lachen. Die Schwere hebt sich von meinen Schultern, macht dem Kribbeln Platz, als ich meinen Blick über die Menge gleiten lasse. Die meisten sitzen jetzt, immer noch in Gespräche vertieft, doch ruhiger als zuvor.

Mit einem großen Schluck leere ich den restlichen Saft und deute mit einem Nicken auf einige freie Stühle. »Wollen wir uns auch setzen? Ich denke, bald geht’s los.«

Meine Intuition hat sich nicht getäuscht. Kaum, dass Leonie und ich in der vordersten Reihe Platz genommen haben, verdunkelt sich der Raum und einzelne Scheinwerfer erhellen die Bühne. Auch wenn ich noch nicht hinaufsteigen muss, beschleunigt sich mein Herzschlag. Trotz des kühlen Getränks staut sich Hitze in mir an. Meine Hände sind schweißnass. Kurz werfe ich einen Blick über die Schulter, zu der Tür, die hinaus in die Freiheit führt. Doch wir sind in der ersten Reihe. Während Leonie sich auf ein Gespräch mit ihrer Nachbarin – einer Schwarzen Frau mit hochgesteckten Curls – einlässt, achte ich nicht auf die beiden jungen Männer neben mir, die leise tuscheln. Um ein angenehmes Gespräch führen zu können, schlägt mein Herz viel zu heftig. Ich rutsche auf dem Stuhl, drehe an meiner losen Haarsträhne und recke den Hals.

Eine Hand berührt mich sanft und ich zucke zusammen, entspanne mich aber gleich, als merke, dass es nur Leonie war. Mit einer leisen Entschuldigung hebt sie die Hand gleich wieder. Selbst in der Dunkelheit erkenne ich ihr Lächeln. Sanft drückt sie ihren Oberschenkel gegen meinen und hebt die Augenbrauen. Die Frage muss sie gar nicht erst stellen. Dass ich mich auf dem Stuhl kaum ruhig halten kann und die ganze Zeit mit meinen Haaren spiele, ist Antwort genug.

Ein Murmeln geht durch die Menge, als das fahle Licht komplett ausgeschaltet wird. Auf der Bühne bewegt sich etwas. Mein Herz macht einen Satz in der Brust und automatisch rolle ich die Schultern zurück. Setze mich aufrechter hin. Zittrig stoße ich die Luft aus. Keine Angst. Ich schaffe das.

Erneut stupst mir Leonie in die Seite und zieht die Augenbrauen hoch. Ich hebe den Daumen, zeige ein Lächeln, von dem ich nicht sagen kann, ob es echt ist. Für Leonie scheint das Zeichen zu genügen, denn sie nickt und hält ihrerseits den Daumen hoch.

Ein lautes Pfeifen lässt die letzten Gespräche verstummen. Die Person auf der Bühne lacht ins Mikrofon und macht einige Schritte zurück, wobei das kratzende Feedbackgeräusch verstummt. Prüfend klopft sie einige Male darauf »Besser so?«

Bejahendes Gemurmel, was ihr ein Lachen entlockt. Sie streicht sich durch die blonden Haare und schirmt mit einer Hand die Augen ab, damit sie die Menge unter sich betrachten kann. »Krass! Ich hätte nicht gedacht, dass so viele kommen. Und ihr wollt wirklich alle mitmachen? Weiß gar nicht, ob wir Arbeit für alle haben.«

Die Worte lassen das Blut in meinem Körper gefrieren. Ich bin so aufgeregt gewesen, überhaupt vorzusprechen, dass ich gar nicht daran gedacht habe, dass es eine Bewerbung ist. Dass die Möglichkeit besteht, nicht ausgewählt zu werden. Plötzlich schmecke ich Galle.

»Wir können alle brauchen, Darina«, ruft eine junge Frau dazwischen. »Je mehr, desto besser.«

Ich drehe meinen Kopf in die Richtung der Stimme. Sie steht am Rand der Bühne, neben Jan und Martin. Ihre Brille spiegelt das Licht der Scheinwerfer so wider, dass ihre ganze Erscheinung etwas Übernatürliches an sich hat.

Die Angesprochene lacht ins Mikrofon. »Da habt ihr es von unserer Dramatikerin Fabia höchstpersönlich.« Mit einer Geste deutet Darina auf sie. »Willst du uns mit deiner Anwesenheit beehren oder nur Zwischenrufe machen?«

Es ist klar, dass es keine Frage ist. Irgendjemand in der hinteren Reihe klatscht und bald ist der Applaus im ganzen Raum. Ich beneide Fabia nicht. Gezwungen zu werden, auf eine Bühne zu treten, ist kein schönes Gefühl.

Doch als sie sich auf die Bühne schwingt und neben Darina ins Licht tritt, umspielt ein breites Lächeln ihre Lippen. Sie trägt eine lockere Latzhose, darunter ein ärmelloses Trägershirt, das ihre tätowierten und muskulösen Arme präsentiert. Mein Herz klopft heftiger und auch als Darina weiterspricht, schaffe ich es nicht, meinen Blick von Fabia zu lösen.

Irgendetwas löst sie in mir aus, das mein Herz schneller schlagen lässt. Wie sie ihre Freundin mit einem schiefen Lächeln betrachtet, wie sie mit ihrer Brille spielt, um etwas mit den Händen zu tun zu haben. Wie sie so auf ihren Fußballen wippt, sodass ihr hoher Pferdeschwanz mitwippt.

Dass ich nach ganz vorne auf dem Stuhl gerutscht bin, merke ich erst, als sich der Geräuschpegel hebt. Jan drückt einer Person, die am Rand sitzt, einen Stapel Papiere in die Hand, um eins zu nehmen, den Rest weiterzureichen.

»Da hat sich wer verguckt.« Leonies Stimme dringt wie durch eine Blase zu mir und reißt mich aus meiner Trance.

Leicht schüttle ich den Kopf und blicke meine Freundin an, die ein noch breiteres Grinsen auf den Lippen hat, als ich es für möglich gehalten hätte. »Habe ich nicht, ich wollte bloß aufpassen.«

»Klar doch. Und du kannst mir bestimmt sagen, was ansteht.«

»Ich … ähm.« Hitze steigt in meine Wangen. Ich weiche Leonies Blick aus und nehme den Papierstapel entgegen. Kurz überfliege ich den Flyer, bleibe am Titel, dann an der Charakterliste hängen. Leonies Flyer hat weder das eine noch das andere verlauten lassen. Das Herz des Drachens, darunter eine Liste mit allen Charakteren.

Erst als Leonie mich in die Seite stupst, merke ich, dass ich den Stapel noch immer in den Fingern halte. Hastig nehme ich einen und gebe die restlichen ihr weiter. Leonie reicht ihn direkt der Person neben sich.

»Willst du keinen?« Ich wedle mit dem Stück Papier, damit Leonie begreift, wovon ich spreche.

»Hättest du wirklich aufgepasst, würdest du wissen, dass nur die Vorsprechenden einen nehmen sollen. Sonst reicht es nicht für alle«, gibt sie die Worte wieder.

Ich runzle die Stirn. »Du willst nicht auftreten?«

Das entlockt ihr ein Lachen. »Kannst du dir vorstellen? Ich auf der Bühne? Ich verlege schon meinen Kopf, da soll ich etwas auswendig lernen? Nein, danke.«

»Was machst du dann?« Während ich Leonie zuhöre, überfliege ich die Liste der Charaktere und die kurze Synopsis, die am Anfang des Textes steht. Die Geschichte, auch wenn die Zusammenfassung echt kurz und vage gehalten ist, klingt fantastisch. Ein Fantasy-Stück, von dem ich eine ganze Reihe lesen würde.

Leonies Antwort geht im Feedback des Mikrofons unter.

»Tschuldigung.« Fabia hält das Mikrofon von ihrem Mund weg und schneidet eine Grimasse. Ich unterdrücke ein Schmunzeln. »Ich denke, jetzt haben alle eine Liste.« Sie wartet gar nicht auf bejahendes Gemurmel, sondern spricht weiter. »Die, die keine haben, können bei den anderen schauen.«

Gehorsam halte ich sie Leonie hin, doch die hat sich bereits zur Person neben sich gelehnt. Auch gut.

»Herz des Drachens.« Fabia macht eine Pause und lässt ihren Blick über die Menge gleiten. Ihre Stimme ist klar und fest, trotzdem warm und freundlich. Für Personen in den hinteren Reihen mag sie selbstbewusst klingen, doch ich sitze genügend nahe, um zu sehen, dass sie mit der freien Hand an einem losen Häutchen an ihren Fingern knibbelt. »Ich denke, euch ist klar, worum es beim Stück geht.«

»Drachen.«

»Elfen.«

»Magische Personen.«

Fabias Lachen jagt mir ein Kribbeln über den Rücken. Sie schiebt ihre Brille zurück, holt tief Luft. »Keine Frage, aber danke für die Antworten. Und genau. Es geht um Drachen, Elfen, magische Personen. Queere Liebe und Familie, die man an Orten finden, an denen man es nicht erwartet. Es ist nicht das Blut, das eine Familie ausmacht – in Fantasiewelten nicht und im echten Leben genauso wenig.« Mit einem Lächeln auf den Lippen wartet Fabia ab, bis die zustimmenden Rufe verstummen, ehe sie weiterspricht. »Ich gebe euch eine kurze Zusammenfassung zum Stück. Dann können die, die vorsprechen wollen, hierbleiben, der Rest darf sich mit Rahel und Michael absprechen, ob sie sich hinter der Bühne engagieren wollen. Schließlich brauchen wir Kostüme, Make-up, Bühnenbild und alles Drum und Dran.«

Wäre mein ganzer Körper nicht schon angespannt gewesen, hätten spätestens jetzt meine Muskeln zu brennen begonnen. Das Papier zwischen meinen Fingern ist zerknüllt, doch ich habe nur Augen für die Dramatikerin auf der Bühne. Gebannt lausche ich jedem ihrer Worte.

Wie sie davon erzählt, dass das Stück einem jungen trans Prinzen Corello im Königreich Succeria folgt. Mit der Hilfe seines Zimmermädchens Uriella gelingt es ihm, von seinem Schicksal als Königin zu flüchten und die magische Welt zu entdecken. Schnell bemerken sie, dass nicht die Elfen die Bösen sind, sondern diese von den Menschen – allen voran von seiner Mutter – unterdrückt werden. Mithilfe des Elfenheilers Klenke entdeckt Uriella ihre magischen Fähigkeiten. Währenddessen findet Corello die Wahrheit über seine Herkunft heraus: Die totgeglaubte Königin, Corellos andere Mutter, lebt hier im Elfendorf. Um ihn zu zeugen, haben sie einen Pakt mit dem Drachenkönig gemacht – und dieser beeinflusst nun die Menschenkönigin, mit dem Ziel, die Elfen weiterhin von ihrer Macht abzuhalten. Mithilfe von ihren Vertrauten gelingt es Uriella und Corello, diese vom Drachenkönig zu lösen und sie zurückzubringen, um die Ungerechtigkeiten im Königreich wiedergutzumachen.

Drachen, Elfen, Magie. Und queer. Fabia hat nicht gelogen. Fast bin ich traurig, als ihre Erzählung endet.

Mein Herz wummert. Immer noch habe ich keine Ahnung, für welche Rolle ich vorsprechen will. Alle klingen verlockend, spannend. Erneut überfliege ich die Zusammenfassung. Erst als helles Licht die Zeilen erhellt, stelle ich fest, dass Fabia von der Bühne gesprungen ist und sich zu den Menschen am Rand gesellt hat. Der Geräuschpegel ist gestiegen, Leonie neben mir wippt auf ihrem Stuhl.

»Wen willst du spielen? Ich sehe dich voll als Uriella oder Hilla.« Sie grinst. »Oder als Königin Laprie.«

»Ich hätte an einen Nebencharakter gedacht.« Die Worte sind meinen Lippen entwichen, bevor ich sie überdenkt habe. »Hauptcharaktere sind viel Arbeit, und ich habe keine Ahnung, ob ich neben Aline und Studium Zeit–«

»Du bist echt hierher gekommen, damit du nur etwas Kleines spielen kannst?« Leonie reißt die Augen auf. »Ich glaub’s nicht, Jasmin.«

Ich rutsche auf dem Stuhl zurück, das Papier in meinen Fingern als Schutzschild vor meiner Freundin. »Es gibt genügend, die sich für eine dieser Rollen interessieren. Ich bin nicht gut genug.«

Sogar in meinen Ohren klingt die Ausrede schwach, und so nehme ich es Leonie nicht übel, als sie auflacht. »Ich trage dich bei Uriella ein, keine Widerrede.«

»Und was, wenn ich –«

»Hier gibt es kein Was, Wenn.« Um ihre Worte zu unterstreichen, packt mich Leonie am Handgelenk und zieht mich mit sich. Stolpernd folge ich ihr zu Fabia und Darina, die vor der Bühne warten. Wir sind nicht die ersten, doch schnell haben sich die Personen vor uns eingetragen, sodass ich mich innerhalb eines Wimpernschlags gegenüber von Fabia wiederfinde.

Aus der Nähe erblicke ich ihre hellen Augen, die nicht mehr von den Brillengläsern versteckt werden. Tattoos zieren nicht nur ihre Arme, sondern tummeln sich auch an ihrem Hals. Eine Mischung aus Mustern und Symbolen, die ich im fahlen Licht nicht komplett erkenne.

»Wollt ihr vorsprechen?« Ohne Mikrofon ist ihre Stimme leiser, doch so warm, dass sich mein pochendes Herz ein wenig verlangsamt.

Ich muss sie angestarrt haben, denn Leonie stupst mich in die Seite. Es gelingt mir, mich aus der Starre zu lösen. »Für … für Uriella.«

Ein Lächeln huscht über ihre Lippen und lässt ihre Augen aufleuchten. »Wie schön. Die ist heute echt beliebt.« Sie schnappt sich das Clipboard, schaut mich an, so intensiv, dass ich fürchte, sie sieht mehr von mir, als mir lieb ist. »Wie heißt du?«

»Jasmin. Jasmin Lötscher.«

»Freut mich.« Fabia kritzelt meinen Namen in die Spalte, hebt ihren Kopf, das Lächeln immer noch auf ihren Lippen. »Du kannst dir etwas zu trinken holen oder frische Luft schnappen. Uriella kommt um halb vier dran.«

Leonie stupst mir in die Seite und lächelt breit. »Na, aufgeregt?«

Ich weiß, dass ihre Frage rein hypothetisch ist. Zu sehr zittern meine Hände, zu unruhig bin ich in den letzten Augenblicken, in denen die Person vor mir noch auf der Bühne vorgesprochen hat, auf dem Stuhl herausgerutscht, das Skript fest umklammert. Mein Herz wummert in meiner Brust und obwohl ich genügend Johannisbeersaft getrunken habe, ist mein Mund ausgedörrt. Ich schlucke trocken.

»Ich finde es echt mutig, dass du das machst.« Leonie drückt meine Hand kurz und blinzelt mir zu. »Mutig und richtig.«

Mutig und richtig. Wieder schlucke ich trocken und will meiner Freundin etwas erwidern, vielleicht, dass ich doch nicht teilnehmen möchte. Doch die Worte bleiben mir im Hals stecken, als Fabia auf die Bühne klettert und sich von meiner Vorgängerin verabschiedet. Von ihrem Auftritt habe ich nichts wahrgenommen, zu sehr bin ich in meine eigenen Gedanken und Sorgen vertieft gewesen.

»Vielen Dank, Laura. Du darfst dich zu den anderen setzen.« Fabia schenkt der jungen Frau ein Lächeln, die dieses kurz erwidert, ehe sie von der Bühne klettert. Einige Sekunden lang versinkt der Raum in Stille, jeder lässt den kurzen Auftritt noch einmal am inneren Auge vorbeiziehen. In mir drin ist es jedoch alles andere als still. Mein Herz klopft so heftig in der Brust, dass ich meine, sogar Fabia auf der Bühne müsse es hören. Ich knülle das Papier fester in meiner Hand und zwinge mich, den Blick auf sie gerichtet zu lassen. Meinen Namen wird sie als Nächstes aufrufen. Als hätte sie meine Gedanken gehört, richtet Fabia nach einem kurzen Blick auf die Liste in ihren Händen ihre Augen auf mich. Hinter ihren Brillengläsern blitzen die Augen auf und das Lächeln auf den Lippen verbreitet sich. »Die nächste, die für Uriella vorsprechen wird, ist Jasmin. Willst du auf die Bühne kommen?«

Zuerst will etwas, tief, tief in mir drin »nein« rufen. Nein, ich will nicht auf die Bühne kommen. Nein, ich will nach Hause, zu Aline. Nein, ich schaffe es nicht. Nein, ich will nicht riskieren, dass ich Aline enttäusche.

Doch Leonie scheint mein Zögern gespürt zu haben. Irgendwie. Erneut stupst sie mich in die Seite und nickt in Richtung der Bühne.

»Hast du es dir anders überlegt?« Fabias Frage klingt nicht vorwurfsvoll, das Lächeln liegt immer noch auf ihren Lippen. Aber irgendetwas in mir regt sich dabei.

Ich rolle die Schultern zurück und stehe fast automatisch auf. Bevor ich mir selbst die Chance gebe, meine Handlung noch einmal zu hinterfragen, stehe ich schon neben ihr auf der Bühne.

Es ist anders, den Raum von dieser Position aus zu sehen. Nur als Zuschauerin hat der Mehrzweckraum kleiner gewirkt. Die Wände, die über und über mit Zetteln, Flyern und Ausschreibungen überhängt sind, drücken sich fast eng ins Gesichtsfeld. Doch von der Bühne aus wirkt er doppelt so groß. Dem Theaterstück Platz zu machen, das bald auf ihm aufgeführt wird.

Mein Blick gleitet von den Gesichtern, die aufmerksam auf Fabia und mich gerichtet sind, weiter nach hinten, wo jemand eine Regenbogenflagge aufgehängt hat. Nur der Anblick dieser beruhigt meinen heftigen Herzschlag ein wenig. Ich atme ein und schaue zu Fabia.

Sie lächelt immer noch, jetzt wo ich neben ihr stehe, vielleicht sogar ein wenig breiter. Vorsichtig lehnt sie sich vor und ich atme den Geruch ihres Parfüms ein – Apfel und Zimt. »Alles gut?«, fragt sie so leise, dass nur ich es hören kann.

Ich bringe nur ein Nicken zustande, zu sehr bin ich in ihren Augen gefangen, die mich aufmerksam fixiert haben.

»Dann lasse ich dich mal alleine.« Sie hebt ihre Hand, verharrt einige Sekunden in der Position, als wolle sie mich am Oberarm berühren. Irgendwie bin ich traurig und erleichtert gleichzeitig, als sie sie wieder sinken lässt und mir stattdessen ein weiteres Lächeln schenkt.

Zu schnell ist sie von der Bühne gesprungen und ich bin alleine.

Oft habe ich noch nicht vorgesprochen. Nur ein-, zweimal, als ich noch im Gymnasium gewesen bin. Damals, als Aline noch tagsüber in die Kindertagesstätte gehen durfte. Damals, als ich noch nicht jede freie Sekunde auf sie aufpassen musste.

Es scheint Jahrzehnte her zu sein, obwohl nur vier Jahre vergangen sind. Jetzt … jetzt verlassen sich Mama und Aline auf mich.

Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein. Morsal und Leonie hätten mich nicht überzeugen sollen. Entscheide ich mich nicht falsch?