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Die Taten und Erfahrungen der Menschen sind vom Spiel des Zufalls bestimmt – und das fordert Bewährung. Flora de Barral glaubt, nicht geliebt, kaum gerettet werden zu können. Doch der noble Kapitän Anthony rettet sie und sorgt für ihren Vater, glaubt aber nicht, selbst Anspruch auf Liebe erheben zu dürfen, glaubt nicht geliebt zu werden. Ein lebensfremder Idealismus erlegt den Gefühlen Zwang auf. Erst der dramatische Moment höchster Gefährdung und Erprobung löst den Bann und den Krampf. Während das Gute scheinbar im Prinzip, in einer abstrakten Lebenshaltung verharren muss, scheint das Böse sein Spiel treiben zu können. Böse ist nicht nur der Betrüger de Barral, dessen Tochter so spät erst vom Leid und zur wirklichen, wirkenden Liebe befreit wird. Böse ist die ganze englische Gesellschaft, böse der Suffragettenkampf um die Rechte der Frau. Und sarkastisch sind Kapitän Marlows Kommentare zum Geschehen, doch hinter dem Sarkasmus steht der Sinn fürs Rechte.
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Seitenzahl: 687
Joseph Conrad
Spiel des Zufalls
Eine Geschichte in zwei Teilen
Aus dem Englischen von Fritz Lorch
FISCHER E-Books
Die englische Originalausgabe erschien 1913 unter dem Titel »Chance. A Tale in two parts«
Die da behaupteten, alle Dinge seien vom Schicksal regiert, hätten nicht geirrt, wären sie hier nicht stehengeblieben.
Sir Thomas Browne
Für Sir Hugh Clifford, K. C. M. G. dessen standhafte Freundschaft Schuld hat an der Existenz dieser Seiten.
Wie mancher meiner Romane wurde »Spiel des Zufalls«, kaum begonnen, für ein paar Monate wieder beiseite gelegt. Ungestüm ansetzend wie ein forscher Ruderer, der früh des Morgens aufbricht, gelangte ich sehr bald an eine Gabelung des Wasserlaufes und sah mich genötigt, dort zu verweilen und ernsthaft über die einzuschlagende Richtung nachzudenken. Jede besaß für mich gleiche Faszination, zumindest an der Oberfläche, und aus diesem Grunde dehnte sich mein Zaudern über viele Tage. Ich ließ mich in dem ruhigen Gewässer angenehmer Spekulation treiben, zwischen den auseinanderlaufenden Strömungen widerstreitender Impulse, in der behaglichen aber vollkommen unvernünftigen Überzeugung, keiner dieser Ströme werde mich zum Scheitern bringen. Da meine Sympathien gleichmäßig verteilt und die beiden wirkenden Kräfte gleich groß waren, liegt es auf der Hand, daß am Ende nichts als reiner Zufall meine Entscheidung bestimmte. Er ist eine gewaltige Kraft, dieser reine Zufall; ganz und gar unwiderstehlich, zeigt er sich indessen oft in zartester Gestalt – beispielsweise im Zauber, im wahren oder trügerischen, eines menschlichen Wesens. Es ist sehr schwierig, den Finger auf Unwägbares zu legen, aber ich wage die Behauptung, Flora de Barral sei es doch wohl gewesen, die für diesen Roman verantwortlich ist, der ja die Geschichte ihres Lebens erzählt.
Im kritischen Moment meiner Unentschlossenheit glitt Flora de Barral an mir vorüber, aber so geschwind, daß ich anfangs ihrer nicht habhaft zu werden vermochte. Obschon nicht willens, sie aufzugeben, sah ich doch nicht deutlich, wie ihr beizukommen sei, und war schon im Begriff, den Mut zu verlieren, als mir meine durchaus verständliche Liebe für Kapitän Anthony eine Hilfe bot. Ich sagte mir, da dieser Mann so versessen darauf war, einen »Nebelstreif« zu erhaschen, mochte es auch für mich das Beste sein, mich ihm anzuschließen bei diesem höchst praktischen und löblichen Abenteuer. Ich folgte einfach Kapitän Anthony. Jeder von uns war darauf aus, seinen Traum einzufangen. Der Leser mag beurteilen, wie erfolgreich wir dabei waren.
Kapitän Anthonys Versessenheit führte ihn einen weiten, gewundenen Weg, und das ist der Grund, weshalb dieses Buch ein so langes Buch geworden ist. Daß der Weg nach meiner eigenen Wahl verläuft, will ich nicht leugnen. Ein Kritiker meinte, bei einer anderen Kompositionsweise und mit etwas mehr Eifer wäre die ganze Geschichte auf knapp zweihundert Seiten zu erzählen gewesen. Ich gestehe, nicht genau die Zielrichtung dieser Kritik oder auch nur den Zweck solch einer Bemerkung wahrnehmen zu können. Keine Frage, daß sich unter Anwendung der entsprechenden Erzählweise und bei gehöriger Sorgfalt die ganze Geschichte auf ein Zigarettenpapier hätte niederschreiben lassen. Was das anlangt, wäre auch die Geschichte der Menschheit in diesem Format unterzubringen, wenn sie nur aus genügender Distanz betrachtet würde. Die Geschichte der Menschen auf dieser Erde von aller Zeiten Anfang an wäre in einem Satz von schneidender Schärfe zusammenzufassen: Sie wurden geboren, sie litten, sie starben … Und doch eine große Geschichte! Aber bei den verschwindend kleinen Geschichten von einzelnen Männern und Frauen, die mir mitzuteilen beschieden ist, vermag ich mich nicht solcher Distanziertheit zu befleißigen.
Nach wie vor denkwürdig an dem Buch ist für mich, abgesehen von der natürlichen Zärtlichkeit, die man der eigenen Schöpfung entgegenbringt, sein Widerhall. Das große Publikum sprach auf das Buch an, so ausgiebig wie auf kein anderes meiner Bücher und in der Weise, in der allein das große Publikum ansprechen kann: es kauft eine gewisse Anzahl von Exemplaren. Das bereitete mir nicht geringe Freude, denn am meisten habe ich mich stets davor gefürchtet, unbewußt in die Lage eines Schriftstellers für exklusive Kreise zu geraten; eine Position, die mir darum so widerwärtig gewesen wäre, weil sie die Festigkeit meines Glaubens an die Solidarität der ganzen Menschheit in schlichten Ideen und aufrichtigen Empfindungen hätte fragwürdig werden lassen. Als kritischen Befund betrachtet (denn es wäre schändlich, dem großen Publikum kritisches Bewußtsein absprechen zu wollen) war die Aufnahme des Buches höchst befriedigend. Ich sah, daß ich mit ihm eine Anzahl Menschen zu erfreuen vermocht hatte, die sonst nur emsig mit der Regelung ihrer eigenen sehr realen Angelegenheiten befaßt waren. Zu denken, man verstehe zu erfreuen, ist sehr angenehm. Von jenen Geistern, deren Geschäft es ist, eben diese dem Erfreuen geltende Anstrengung zu kritisieren, wurde dem Buch eine solche Fülle von Besprechungen und tiefschürfenden Analysen zuteil, wie sie meiner persönlichen, mit dem Rest der Menschheit geteilten Eitelkeit nur schmeicheln konnten; aber sie rührten auch an ein tieferes Gefühl in mir und weckten mein freudiges Interesse. Die unbezweifelbare Sympathie, von der die verschiedenen Beurteilungen des Buches getragen waren, bedeutete, so bilde ich mir gerne ein, eine Anerkennung des von mir in die Ausübung meiner Kunst gesetzten Glaubens – meiner Kunst, das heißt der Kunst des Romanschriftstellers, über die ein angesehener französischer Schriftsteller am Ende einer erfolgreichen Laufbahn geklagt hat, sie sei: Trop difficile! In der Tat, sie ist gar zu beschwerlich, steht doch der mit ihr allemal verbundene Kraftaufwand in so gar keinem vernünftigen Verhältnis zum absehbaren Ergebnis. Bei dieser mir vorherbestimmten Tätigkeit, die auf ihre Art auch eine sehr einsame ist, wird Teilnahme zu etwas Unschätzbarem. Sie kann auch die härteste Kritik willkommen machen. Zu hören, wie viel Besseres von einem erwartet worden sei, ist insofern beruhigend, als man selbst viel Besseres von sich erwartet hat in dieser Kunst, die heutzutage nicht mehr durch den Anspruch eines irgendwo und irgendwie in ihr aufgehobenen didaktischen Zweckes zu rechtfertigen ist.
Das soll nicht heißen, man hätte mir das Unrecht zugefügt (nicht die Beleidigung, sondern das Unrecht), auch nur einer meiner Buchseiten einen didaktischen Zweck zu unterlegen. Aber jedes Thema in der Region des Verstandes und Gefühls muß eine eigene Moral haben, wenn es überhaupt aufrichtig abzuhandeln ist; und auch der verschmitzteste Schriftsteller wird sich (und seine Moral) in ungefähr jedem dritten Satz zu erkennen geben. Die Moralschattierungen, die in meinen Büchern festgestellt wurden, sind sehr zahlreich. Keine jedoch hat feindselige Äußerungen herausgefordert. Verstöße gegen den guten Geschmack mögen mir gelegentlich unterlaufen sein; aber offensichtlich habe ich mich nie gegen die Grundgefühle und elementaren Überzeugungen vergangen, die für die große Masse der Menschheit das Leben erst möglich machen und sie durch Stiftung eines Urteilsmaßstabes für deren Idealismus erst befähigen, Ausschau zu halten nach offeneren Wegen, höheren Gefühlen, tieferen Zwecken.
Ich kann nicht sagen, diesem Roman sei ein besonderes moralisches Gepräge eigen; aber ich glaube nicht, daß irgend jemand eine schlechte Absicht in ihm entdeckt hat. Und nur für ihre Absichten sind Menschen verantwortlich zu machen. Die letzten Auswirkungen alles dessen, was sie tun, entzieht sich ganz und gar ihrem Einfluß. Beim Zustandebringen dieses Buches war es meine Absicht, andere Menschen an meiner Vision von den Dingen zu interessieren, die unlöslich verbunden ist mit dem Stil, in welchem eben diese Vision zum Ausdruck kommt. Mit anderen Worten, ich wollte eine Anzahl Prosaseiten schreiben, was, strenggenommen, mein Geschäft ist. Diesem habe ich gewissenhaft obgelegen in der Hoffnung, meine Leser zu unterhalten oder sie doch nicht unerträglich zu langweilen. Ich kann nicht nachdrücklich genug beteuern, daß meine Absichten, wenn ich mich zum Schreiben hinsetze, stets untadelig sind, wie beklagenswert auch die Auswirkungen dieses Tuns schließlich sein mögen.
1920
J. C.
Ich glaube, er hatte uns durch das Fenster gesehen, als wir zum Essen in dem Dingi der Vierzehn-Tonnen-Segeljolle herüberkamen, die Marlow gehörte, meinem Gastgeber und Kapitän. Wir halfen dem Schiffsjungen, den wir mitgenommen hatten, das Dingi den Bootslip hinaufzuziehen, bevor wir uns zu der Schenke am Ufer begaben, in welcher wir unseren neuen Bekannten vorfanden. Er speiste dort in würdiger Einsamkeit zu Abend, am Kopfende eines langen Tisches, der weiß gedeckt und so wenig einladend war wie eine Schneeverwehung.
Die rote Färbung seines scharf geschnittenen Gesichtes mit dem gepflegten, kurzgeschorenen schwarzen Backenbart unter einer Haube lockigen, eisgrauen Haares war der einzige warme Fleck in der Schmierigkeit des Lokals, dem das freudlose Tischtuch überdies etwas Frostiges verlieh. Wir kannten ihn schon vom Sehen als den Besitzer eines kleinen Fünf-Tonnen-Kutters, den er anscheinend ganz allein segelte – wie wir ein Segler, aus der schlichten Schar von Fanatikern, die draußen vor der Themsemündung kreuzen. Doch als er dann den Kellner schroff mit »Steward« anredete, wußten wir sogleich, daß er nicht nur Segler, sondern Seemann war.
Kurz darauf nahm er Anlaß, eben jenen Kellner wegen der liederlichen Art zu rügen, in der er das Essen auftrug. Er tat es mit nicht geringer Vehemenz und wandte sich dann uns zu.
»Wenn wir auf See«, erklärte er, »unsere Arbeit so verrichteten wie die Leute an Land – Hoch und Nieder – die ihre, wir brächten es nie zu etwas. Kein Mensch würde uns anstellen. Und vor allem würde kein Schiff, das man so gedankenlos steuert und segelt, wie die Leute an Land ihre Geschäfte betreiben, je seinen Hafen erreichen.«
Seitdem er sich aus dem Seedienst zurückgezogen, habe er zu seinem Erstaunen feststellen müssen, daß die Gebildeten da nicht viel besser seien als die anderen. Niemand scheine seinen Stolz in das zu setzen, was er tue: angefangen bei den Klempnern, die schlichtweg Diebe seien, bis hin, sagen wir, zu den Presseleuten (er hielt sie möglicherweise für eine besonders geistvolle Klasse), die auch von der simpelsten Begebenheit nie und nimmer einen korrekten Bericht erstatteten. Die grenzenlose Untüchtigkeit des ›Packs an Land‹, wie er das nannte, schrieb er allgemein dem Mangel an Verantwortungsbewußtsein und einem Gefühl der Sicherheit zu.
»Die sehen«, fuhr er fort, »daß, gleichgültig, was sie tun, diese solide kleine Insel nicht kentert oder leck wird und auf Grund läuft mitsamt Frauen und Kindern.«
Von diesem Punkt an nahm die Unterhaltung eine besondere Wendung und kehrte sich dem Leben auf See zu. Mit welchem Thema er alsbald Marlows Interesse ansprach, der zu seiner Zeit selbst zur See gefahren war. Munter tauschten sie Erinnerungen aus, und ich hörte zu. Sie waren einer Meinung darin, daß die glücklichste Zeit ihres Lebens jene gewesen sei, die sie als jüngste Offiziere auf guten Schiffen verbracht hatten, ohne eine andere Sorge auf der Welt als die, keine Freiwache unter Deck zu versäumen und nicht eine Minute, wenn es, solange sie in Häfen lagen, galt, nach den Dienststunden an Land zu gehen. Sie waren auch einer Meinung darin, welches für sie der stolzeste Augenblick in jenem Beruf gewesen sei, der nie auf Grund irgendwelcher rationaler oder praktischer Erwägungen ergriffen wird, sondern wegen des Zaubers, der von seinen romantischen Verheißungen ausstrahlt. Es war der Augenblick, da sie erfolgreich ihre erste Prüfung absolviert und den Examinator mit dem kostbaren kleinen Fetzen blauen Papieres in der Hand verlassen hatten.
»An jenem Tag hätte ich auch auf die Verwandtschaft mit der Königin gepfiffen«, erklärte unser neuer Bekannter enthusiastisch.
Damals fanden die Prüfungen der Schiffahrtsbehörde im St. Katherine Docks House auf dem Tower Hill statt, und er berichtete uns, er habe seither eine Schwäche für diese historische Lokalität, mit den Tower Gardens zur Linken und der Fassade der Royal Mint zur Rechten, mit den elenden baufälligen kleinen Häusern in weiterer Ferne, dem Droschkenstand, den am Straßenrand sitzenden Schuhputzern und den zwei großen Gendarmen, die mit überlegener Miene die Türen des Wirtshauses zum Black Horse auf der anderen Straßenseite anstarrten. Es sei der Teil der Welt gewesen, so sagte er, auf den sein erster Blick fiel an diesem schönsten Tag seines Lebens. Er war soeben aus dem Hauptportal des St. Katherine Docks House getreten, ein frischgebackener Zweiter Offizier, nachdem er die ungemütlichsten Augenblicke seines Lebens mit jenem Kapitän R – – verbracht hatte, dem gefürchtetsten der drei Prüfer, die damals im Hafen von London für die Zulassung der Offiziere der Handelsmarine verantwortlich waren.
»Uns allen, die wir uns auf die Prüfung vorbereiteten, pflegte das Herz in die Hose zu sinken beim Gedanken, vor diesem Manne erscheinen zu müssen. Er behielt mich ein und eine halbe Stunde in der Folterkammer und benahm sich, als sei ich ihm verhaßt. Mit der einen Hand beschattete er seine Augen. Plötzlich ließ er die Hand sinken und sagte: ›Sie sind geeignet!‹ Ehe ich begriffen hatte, was er meinte, schob er mir über den Tisch hinweg den blauen Zettel zu. Ich sprang auf, als hätte der Stuhl unter mir Feuer gefangen.
›Danke, Sir‹, sagte ich und riß das Papier an mich.
›Guten Morgen, und viel Glück‹, brummte er.
Der allte Portier kam eilfertig mit meinem Hut aus der Garderobe. Das tun sie immer. Aber er sah mich gespannt an, ehe er wagte, mit einem gleichsam schüchternen Flüstern die Frage vorzubringen: ›Wirklich bestanden, Sir?‹ Statt jeder Antwort drückte ich ihm eine Half-crown in die weiche, breite Hand. ›Sehen Sie‹, sagte er mit einem plötzlichen Grinsen von einem Ohr zum andern, ›ich habe noch nie erlebt, daß er einen von Ihnen so lange bei sich behielt. Er ließ heute morgen zwei Anwärter durch fallen, ehe Sie an die Reihe kamen. Nach weniger als zwanzig Minuten: das ist so die übliche Zeit bei ihm.‹ Ich fand mich unten auf der Straße wieder, ohne mir der Stufen bewußt geworden zu sein, über die ich geschritten war, gleichsam, als sei ich die Treppe hinabgeflogen. Der schönste Tag meines Lebens. Der Tag, da Sie Ihr erstes Kommando bekommen, ist nichts dagegen. Einmal ist man da nicht mehr so jung, und dann, wissen Sie, haben wir auch nicht viel mehr zu erwarten. Ja, der schönste Tag des Lebens, zweifellos, aber eben doch nur ein Tag und nicht mehr. Was danach kommt, ist vielleicht das Unangenehmste für einen jungen Burschen – nämlich die Suche nach einer Steuermannsstelle, ohne daß man sonst viel vorzuweisen hätte als ein nagelneues Zeugnis. Es ist erstaunlich, wie nutzlos man dieses Stück Eselshaut findet, um das man solch ein Theater gemacht hat. Es wollte mir damals nicht in den Kopf, daß ein Zeugnis des Handelsministeriums noch keinen Steuermann macht, noch lange keinen. Aber die Schiffskapitäne, die ich damals mit meinen Anfragen behelligte, wußten das sehr gut. Jetzt wundere ich mich nicht mehr über sie, mache ihnen auch keinen Vorwurf. Doch dieses ›sich Bemühen, ein Schiff zu bekommen‹, ist für einen jungen Burschen schon eine arge Plage …«
Er erzählte uns dann, wie müde er gewesen und wie entmutigt von dieser ernüchternden Lektion, die da so rasch auf den schönsten Tag seines Lebens gefolgt war. Er berichtete, wie er in den Büros sämtlicher Schiffseigner der City vorgesprochen, wo ihm dann jeweils ein Kanzleidiener Bewerbungsformulare ausgehändigt habe, die er mit nach Hause nahm, um sie abends auszufüllen. Er pflegte noch kurz vor Mitternacht auf die Straße hinauszurennen, um sie bei der nächsten Briefkasten-Säule einzuwerfen. Und dabei blieb es dann. Mit anderen Worten: Er hätte sie ebensogut, sauber adressiert und frankiert, zwischen die Stäbe eines Kanalabflusses stecken können.
Dann eines Tages begegnete ihm, als er gerade auf seinem trostlosen Weg zum Hafen war, vor der Station Fenchurch Street ein etwas älterer Freund und früherer Schiffskamerad.
Er sehnte sich nach Mitgefühl, aber sein Freund hatte soeben »ein Schiff bekommen«, an diesem Morgen, und eilte nach Hause in einem Zustand äußeren Jubels und innerer Beklommenheit, wie er üblich ist bei einem Seemann, der nach langem Warten plötzlich eine Stelle erhält. Der Freund hatte nur wenig Zeit, ihm sein Beileid auszudrücken. Er mußte weiter. Dann, als er schon davonlief, rief er ihm noch schnell, gleichsam über die Schulter zu: »Sprich doch einmal mit Mr. Powell im Seemannsamt.« Unser Freund erwiderte, er kenne ja Mr. Powell gar nicht. Und der andere, der schon beinahe um die nächste Straßenecke war, rief zurück: »Tritt bei der Privattür des Seemannsamtes ein und geh stracks auf ihn zu. Sein Tisch ist der am Fenster. Stell dich keck vor ihn hin und sag, ich hätte dich geschickt.«
Unser neuer Bekannter meinte, während er von einem zum anderen blickte: »Wahrhaftig, so verzweifelt war ich, daß ich auch vor den Teufel hingetreten wäre, hätte mir einer gesagt, er habe die Stelle eines Zweiten Steuermanns zu vergeben.«
Hier unterbrach er, ohne uns aus den Augen zu lassen, den Fluß seiner Rede, um sich eine Pfeife anzuzünden, und fragte dann, ob wir Powell gekannt hätten. Marlow murmelte mit einem leise gedankenvollen Lächeln, er erinnere sich seiner sehr wohl.
Dann entstand eine Pause. Unserem neuen Bekannten bereitete die Pfeife argen Verdruß, da sie unversehens das in sie gesetzte Vertrauen enttäuschte und ihm den erhofften Genuß verdarb. Um den Ball wieder ins Rollen zu bringen, fragte ich Marlow, ob dieser Powell irgendwie bemerkenswert gewesen sei.
»Er war nicht eigentlich bemerkenswert«, antwortete Marlow mit seiner gewohnten Nonchalance. »Gemeinhin ist es sehr schwierig, sich überhaupt bemerkbar zu machen. Die Menschen geben zu wenig auf einander acht, wissen Sie. An Powell erinnere ich mich einfach darum so gut, weil er mich als einer der Seemannsamts-Kommissare im Hafen von London zu mehreren langen Etappen meiner seemännischen Pilgerschaft aufs Meer hinaussandte. Er glich Sokrates. Ich meine, er glich ihm äußerlich: wie aus dem Gesicht geschnitten. Der philosophische Verstand ist nur ein Akzidens. Er gab genau die bekannte Büste des unsterblichen Weisen ab, wenn sie sich diese Büste mit einem hohen, weit nach hinten geschobenen Zylinderhut und einem schwarzen Paletot um die Schultern vorstellen. Da ich ihn nie anders sah als hinter dem langen Amtsschalter, der die fünf Schreibtische der fünf Seemannsamts-Kommissare umgab, blieb Mr. Powell für mich eine Büste.«
Unser neuer Bekannter trat nun vom Kamin herüber mit der wieder ziehenden Pfeife.
»Das Bemerkenswerteste an Powell war«, ließ er sich in dogmatischem Ton vernehmen, während sich sein Kopf mit einer Rauchwolke umhüllte, »daß er eben diesen Namen trug. Wissen Sie, ich heiße zufällig auch Powell.«
Es war klar, daß diese Mitteilung nicht den gesellschaftlichen Zweck einer Vorstellung verfolgte. Sie sah keine Erwiderung vor. Wir blickten ihn daraufhin nur erwartungsvoll an.
Schweigend überließ er sich ein, zwei Minuten lang dem lebhaften Genuß seiner Pfeife. Dann nahm er den Faden seiner Geschichte wieder auf und erzählte uns, wie er sich schnurstracks nach Tower Hill begeben habe. Er sei nicht mehr in dieser Gegend gewesen seit dem Tag seiner Prüfung – dem schönsten seines Lebens –, dem Tag übermütigsten Stolzes. Jetzt war alles ganz anders. Zwar hätte er noch immer auf die Verwandtschaft mit der Königin gepfiffen, diesmal aber aus einem Gefühl tiefer Mutlosigkeit heraus. Für keines Menschen Verwandtschaft schien er zu taugen. Er beneidete den rotnasigen alten Droschenkutscher an seinem Stand, die Schuhputzer am Straßenrand, die beiden riesigen Bobbies, die im Bewußtsein ihrer Machtvollkommenheit langsam am Gitter der Tower Gardens hinschritten, und auch die beiden leuchtend roten Schildwachen, die vor der Royal Mint forsch auf- und abmarschierten. Er neidete ihnen ihren Platz im Gefüge dieser Welt. Und er beneidete auch die elenden, bläßlichen, hohlwangigen Herumtreiber, die dreist in die Gegend blinzelten und die Schultern ihrer speckigen Jacken am Türpfosten des Black Horse rieben, weil es schon zu weit mit ihnen gekommen war, als daß sie sich noch ihrer Erniedrigung bewußt geworden wären.
Ich muß dem Mann zugestehen, daß er es vorzüglich verstand, uns das Gefühl seiner jugendlichen Hoffnungslosigkeit zu vermitteln, seines Erstaunens darüber, keinen Platz für sich unter der Sonne zu finden und keine Anerkennung seines Rechts auf Leben.
Er ging die Freitreppe zu dem St. Katherine Docks House hinauf, die selben Stufen, von denen aus er sechs Wochen zuvor den Droschkenstand, die Gebäude, die Polizisten, die Schuhputzer, den Anstrich, die Vergoldung und die Scheiben in der Schenke zum Black Horse mit dem Auge eines Eroberers überblickt hatte. Damals war er im Grunde seines Herzens verwundert gewesen, daß all diese Dinge ihn nicht mit Pauken und Trompeten begrüßt hatten; jetzt aber (er machte keinen Hehl daraus) betrat er das Haus gleichsam verstohlen, sich an dem Glasschalter des Pförtners vorüberdrückend. »Ich verfügte nicht mehr über Half-crowns für Trinkgelder«, bemerkte er grimmig. Der Mann jedoch rannte ihm nach und fragte: »Was wünschen Sie?« Aber er stürmte, einen dankbaren Blick zum ersten Stockwerk hinaufwerfend in Erinnerung an Kapitän R – – s Prüfungsraum (wie leicht und ersprießlich war das alles gewesen), die Treppe zum Souterrain hinunter und befand sich alsbald an einem düsteren, geheimnisvollen Ort mit vielen Türen. Er hatte Angst gehabt, man werde ihm mit irgendeiner den Eintritt verwehrenden Vorschrift in den Weg treten. Doch wurde er nicht verfolgt.
Das Untergeschoß des St. Katherine Docks House ist riesig in seinen Ausmaßen und verwirrend in seiner Anlage. Bleiche Lichtbündel fallen schräg von oben in die Düsternis der frostigen Korridore. Powell wanderte auf und ab wie ein frühchristlicher Flüchtling in den Katakomben; und was er noch an leiser Hoffnung auf Erfolg seiner Unternehmung besessen haben mochte, verebbte nach und nach. An einer dunklen Biegung unter einer Wandlampe, deren Gasflämmchen halb herabgeschraubt war, ließ ihn sein Selbstvertrauen vollends im Stich.
»Ich blieb stehen, um mich ein wenig zu bedenken«, sagte er. »Überaus töricht von mir, denn selbstverständlich beschlich mich Angst. Was war auch anderes zu erwarten? Man muß schon Nerven haben, um einen Fremden wegen einer Gefälligkeit anzugehen. Ich wünschte, mein Namensvetter Powell wäre der Teufel persönlich gewesen. Ich hatte das Gefühl, die Sache wäre dann einfacher gewesen. Sehen Sie, ich glaubte nie fest genug an den Teufel, um mich vor ihm besonders zu fürchten; aber ein Mensch kann einem doch sehr unangenehm werden. Ich starrte eine Menge Türen an, die alle fest verschlossen waren, und die Überzeugung wuchs in mir, daß ich niemals den Mut fände, eine von ihnen zu öffnen. Denken macht schwach im Herzen. Ich kam zu dem Entschluß, die ganze Sache aufzugeben. Aber ich gab am Ende doch nicht auf, und ich will Ihnen sagen, was mich davon abhielt. Es war die Erinnerung an den verdammten Pförtner, der mir nachgerufen hatte. Ich hatte das sichere Gefühl, der Bursche werde am oberen Ende der Treppe nach mir Ausschau halten. Hätte er mich, wozu er berechtigt war, gefragt, was ich da unten suchte, mir wäre keine Antwort eingefallen, es sei denn eine, die mich zum Narren oder Schlimmerem gestempelt hätte. Mir wurde heiß. Es gab keine Möglichkeit, sich einfach davonzustehlen.
Ich hatte dort unten irgendwie die Richtung verloren. Von den vielen Türen verschiedener Größe rechts und links hatten ein gut Teil oben Milchglasfenster; einige jedoch müssen bloß in Abstellräume oder Ähnliches geführt haben, denn als ich mich überwand, es mit der einen oder anderen von ihnen zu versuchen, stellte ich zu meiner Verwirrung fest, daß sie verriegelt waren. Ich stand unentschlossen und verstört da wie ein genarrter Dieb. Das verdammte Untergeschoß war still wie ein Grab, und ich spürte meine Herzschläge. Ein höchst unangenehmes Gefühl. Ist mir zuvor oder seitdem nie wieder vorgekommen. Eine größere Tür zu meiner Linken, mit einer dicken Messingklinke mochte vielleicht in das Seemannsamt führen. Ich versuchte es mit ihr und biß die Zähne zusammen. ›Los geht’s!‹
Sie öffnete sich ganz leicht. Und siehe da! Das Zimmer, in das sie führte, war kaum größer als ein Geschirrschrank. Bestimmt maß es nicht mehr als zehn mal zwölf Zoll; und da ich gleichsam damit gerechnet hatte, auf den großen, düsteren, kellerartigen Raum des Seemannsamtes zu stoßen, in dem ich schon ein-, zweimal zuvor gewesen, war mein Staunen nicht gering. Eine Gaslampe hing von der Mitte der Decke über einen dunklen, armseligen Schreibtisch herab, auf dem sich vergilbte, staubige Dokumente häuften. Unter der Flamme des einen Glühstrumpfes, die den Raum mit hellem Licht erfüllte, war ein rundlicher, kleiner Mann emsig mit Schreiben beschäftigt, die Nase sehr tief über dem Tisch. Sein Schädel war vollkommen kahl und hatte ungefähr die selbe gelblich-braune Tönung wie das Papier. Auch er wirkte verstaubt.
Ich gab nicht acht, ob überdies Spinnweben an ihm hingen; es hätte mich nicht gewundert, denn er sah aus, als wäre er schon Jahr und Tag in diesem Loch eingesperrt gewesen. Die Art, wie er seinen Federhalter fallen ließ und mir entgegenblinzelte, verwirrte mich sehr. Und es war heiß und muffig in seinem Verließ; es roch nach Gas und Schimmel, und es schien hundertzwanzig Zoll tief unter der Erdoberfläche zu liegen. Mächtige, schwere Papierstöße füllten die Winkel des Zimmers und reichten halb zur Decke hinauf. Und als mich der Gedanke durchfuhr, dies sei das Gebäude des Marineamtes und jener Mann müsse auf irgendeine Weise mit Schiffen und Seeleuten und dem Meer zu tun haben, verschlug es mir vor Staunen den Atem. Man konnte sich nicht vorstellen, warum das Marineamt jenes kahlköpfige, feiste Wesen dort unten Fronarbeit leisten lasse. Aus irgendeinem Grund dauerte mich der Mann, und ich schämte mich, ihn in dieser elenden Knechtschaft aufgestöbert zu haben. Ich fragte sanft und bekümmert: ›Das Seemannsamt, bitte.‹
Er hub mit verächtlicher, piepsender Stimme, die mich rasend machte, zu sprechen an: ›Nicht hier. Suchen Sie im Korridor auf der anderen Seite. Der Straßenseite. Das hier ist die Dockseite. Sie haben sich verlaufen …‹
Er sprach in so gehässigem Ton, daß ich dachte, er werde seine Rede mit den Worten schließen: ›Sie Tölpel …‹ Und vielleicht hatte er das auch im Sinn. Was er indessen abschließend mit Schroffheit sagte, war nur: ›Schließen Sie die Tür leise hinter sich.‹
Und ich schloß sie leise – das können Sie mir glauben. Schnell und leise. Der unbezähmbare Geist dieses Burschen beeindruckte mich. Ich frage mich bisweilen, ob es ihm noch gelungen ist, sich mit seiner Schreiberei die Freiheit zu erringen samt einer Pension, oder ob er aus dem gaserleuchteten Grab geradenwegs in jenes andere dunklere überwechseln mußte, in dem ihn niemand würde stören wollen. Im Grunde meines menschenfreundlichen Herzens freute es mich, zu sehen, daß ihm noch so viel Schneid geblieben war, doch beruhigt war ich keineswegs. Es fiel mir ein, daß, wenn Mr. Powell von ähnlichem Temperament war … Ich ließ mir indessen keine Zeit zum Nachdenken, sondern hastete am unteren Ende der Treppe vorüber in den anderen Korridor, in den man mich verwiesen hatte. Und ich trat gleich durch die erste Tür, an die ich kam, ohne mich lange zu besinnen, denn eine laut vom Vestibül herabtönende verwunderte und entrüstete Stimme wollte wissen, was ich da unten triebe. ›Wissen Sie nicht, daß nach dieser Seite jeder Zutritt untersagt ist?‹ brüllte der Mann. Aber wenn noch irgend etwas folgte, so sperrte ich mich dagegen mit Hilfe einer Tür, an der außen Privat stand. Sie öffnete sich in einen sechs Zoll breiten, zwischen einem langen Schaltertisch und der Wand dahinführenden Gang, der zu einem weitläufigen, gewölbten Raum gehörte mit einem vergitterten Fenster und einer Glastür am hinteren Ende, durch die das Tageslicht fiel. Als erstes, unmittelbar vor mir, erblickte ich drei ältere Herren, die in einer Art Balgerei begriffen zu sein schienen rings um einen vierten Mann mit einem dünnen, langen Hals und hängenden Schultern, der an einem der Tische stand und auf einen großen Bogen Papier etwas schrieb, wobei er still vor sich hinlächelte und sich nicht weiter um die anderen kümmerte. Sie reagierten recht säuerlich, als sie mit einem Mal meiner ansichtig wurden. Ich hörte einen von ihnen murmeln: ›Oh! Was ist denn das?‹
›Ich möchte, bitte, Mr. Powell sprechen‹, sagte ich sehr höflich und mit fester Stimme. Jetzt sollte mich nichts mehr vertreiben. Dies hier war jedenfalls das Seemannsamt. Es war nach drei Uhr, und die Geschäfte schienen für diesen Tag erledigt. Der Mann mit dem langen Hals fuhr ruhig fort zu schreiben. Ich bemerkte, daß er nicht mehr lächelte. Die anderen drehten allesamt die Köpfe nach dem entfernten Ende des Raumes herum, wo ein fünfter von einem hohen Hocker aus ihren Possen zugesehen hatte. Ich schritt so keck auf ihn zu, als wäre er der Teufel persönlich. Den einen Fuß hatte er hochgezogen und auf die Querstange seines Hockers gestellt, den anderen, nicht bis zu den Steinfliesen des Bodens reichenden ließ er unablässig hin- und herbaumeln. Er hatte seine Weste oben aufgeknöpft, und seinen Zylinder trug er sehr weit im Genick. Er hatte ein volles, faltenloses Gesicht und so helle, strahlende Augen, daß sein grauer Bart wie zu Verkleidungszwecken angeklebt wirkte. Sie sagten soeben, er habe Sokrates geähnelt – nicht wahr? Ich kann das nicht beurteilen. Dieser Sokrates war doch, glaube ich, ein weiser Mann?«
»Das war er«, bestätigte Marlow. »Und ein rechter Freund der Jugend. Er unterwies sie auf seltsame, Ärgernis erregende Weise. Das war so seine Eigenheit.«
»Da lob ich mir Powell«, erklärte unser neuer Bekannter eigensinnig. »Er unterwies mich auf gar keine Weise. Er nicht. Er sagte sehr freundlich auf mein Gemurmel: ›Sehr angenehm.‹ Dann sah er mich durchdringend an und meinte: ›Ich glaube nicht, daß ich Sie kenne – oder?‹
›Nein, Sir‹, antwortete ich, und das Herz sank mir in die Hosen, da es doch gerade gegolten hätte, allen Mut zusammenzunehmen. Nichts auf der Welt ist erbärmlicher als Frechheit, die nicht ans Ziel gelangt. Aus Furcht, zimperlich zu erscheinen, gebärdete ich mich danach so munter und unbekümmert, daß ich beinahe selbst erschrak. Er hörte mir eine Weile zu, sah mir erstaunt und neugierig ins Gesicht und hielt dann seine Hand hoch. Ich war recht froh, endlich meinen Mund halten zu können, das muß ich schon sagen.
›Sie sind mir ja ein geriebener Bursche‹, sagte er. ›Und Ihr Freund auch. Er plagte mich zwei Wochen lang mit seinen Besuchen, Tag für Tag, bis ein Kapitän, mit dem ich bekannt bin, die Freundlichkeit besaß, ihm eine Stelle zu geben. Und kaum ist er versorgt, tauchen Sie auf. Euch Burschen scheint es nicht darauf anzukommen, einen Mann in Schwierigkeiten zu bringen.‹
Nun war ich es, der ihn überrascht und neugierig anstarrte. Er hatte schon vorher nicht laut gesprochen, aber nun senkte er die Stimme noch mehr.
›Wissen Sie nicht, daß es gegen das Gesetz ist?‹
Ich überlegte, worauf er wohl hinauswolle, bis mir einfiel, daß die Vermittlung von Schiffsstellen an Seeleute ein nach dem Gesetz zu ahndendes Vergehen war. Diese Klausel richtete sich selbstverständlich gegen die schwindlerischen Machenschaften der Anwerber in Wirtshäusern. Nie war mir zu Bewußtsein gekommen, daß sie für jedermann Geltung hatte, ungeachtet der Motive, die ihn bewegten; denn ich glaubte damals noch, die Menschen an Land gingen ihrer Arbeit mit Sorgfalt und Weitblick nach.
Der Gedanke verwirrte mich; aber Mr. Powell öffnete mir alsbald die Augen für den Umstand, daß ein Parlamentsbeschluß keineswegs von sich aus sinnvoll ist. Er habe vielmehr nur den Sinn, der in ihn hineingelegt werde; und das sei bisweilen recht wenig. Er scheue sich nicht, dann und wann einem jungen Mann zu einem Schiff zu verhelfen, doch wenn wir beständig gelaufen kämen, werde es bald heißen, er tue es für Geld.
›Eine schöne Bescherung wäre das – wenn der Erste Seemannsamts-Kommissar im Hafen von London vor ein Polizeigericht gezerrt würde und eine Geldbuße von fünfzig Pfund auferlegt bekäme‹, sagte er. ›Ich habe noch vier Jahre zu dienen, ehe ich meine Pension bekomme. Das hier könnte mir sehr schwarz angekreidet werden, dessen dürfen Sie versichert sein.‹
Und die ganze Zeit ließ er das eine Bein weiter baumeln, während er das andere hochgezogen hatte, wie ein auf einem Torflügel sitzender Junge. Und er sah mich sehr direkt aus seinen strahlenden Augen an. Ich war betroffen, das kann ich Ihnen sagen. Mir drehte sich der Magen um bei diesem Hinweis, es könnte jemand ihn denunzieren.
›Oh!‹ rief ich voll Entrüstung, ›wer würde Ihnen solch einen niederträchtigen Streich spielen, Sir?‹ Ich war beinahe empört über ihn, daß er an so etwas auch nur denken konnte.
›Wer?‹ fragte er und sprach sehr leise. ›Jeder. Einer der Kanzleiboten vielleicht. Ich bin zum Vorsteher in diesem Amt aufgestiegen, und wir sind hier sehr gute Freunde; aber meinen Sie nicht, daß mein Kollege, der mir zunächst sitzt, gerne schon vier Jahre vor der regulären Zeit zu diesem Tisch am Fenster aufrücken würde? Oder auch nur ein Jahr, was das anlangt. Es ist nur menschlich.‹
Ich konnte mich nicht enthalten, den Kopf umzuwenden. Die drei Gesellen, die umhergetollt waren, als ich hereinkam, sprachen nun sehr nüchtern miteinander, und der Bursche mit dem langen Hals schrieb noch immer. Er erschien mir als der gefährlichste aus der Schar. Ich sah ihn im Profil, und seine Lippen waren sehr fest aufeinandergepreßt. Ich hatte die Menschheit noch nie zuvor in diesem Licht betrachtet. Wenn man jung ist, erschüttert einen die menschliche Natur. Doch am meisten erstaunt war ich, als ich die Tür, durch die ich eingetreten war, sich langsam öffnen und darin einen Kopf mit der Uniformmütze und der Plakette des Handelsministeriums auftauchen sah. Es war der verwünschte alte Portier aus dem Vestibül. Er hatte mich endlich aufgestöbert und gedachte, mich ans Licht zu ziehen. Er schritt mit schlauem Grinsen, die Mütze in der Hand, durch das Zimmer auf uns zu.
›Was ist, Symons?‹ fragte Mr. Powell.
›Ich hatte mir nur Gedanken gemacht, wo dieser Herr hingegangen sei, Sir. Er schlüpfte oben an mir vorbei, Sir.‹
Ich fühlte mich nicht wenig unbehaglich.
›Schon gut, Symons. Ich kenne den Herren‹, sagte Mr. Powell ernst wie ein Richter.
›Ja, Sir. Gewiß doch. Nur, ich sah den Herren wie der Wind so mir nichts, dir nichts, hier hinunterlaufen, da dachte ich …‹
›Es ist gut, sage ich‹, und Mr. Powell unterbrach ihn mit einer abwinkenden Handbewegung; dann, als sich der arglistige alte Kerl getrollt hatte, hob er den Blick zu mir auf. Ich wußte nicht, was ich tun sollte: stehen bleiben, oder verschwinden, oder um Entschuldigung bitten.
›Also denn‹, sagte er, ›wie war doch Ihr Name?‹
Nun, sehen Sie, ich hatte mich noch nicht einmal vorgestellt, und seine Frage brachte mich ein wenig in Verlegenheit. Irgendwie wollte es mir nicht passend erscheinen, ihm gewissermaßen seinen eigenen Namen entgegenzuschleudern. So zog ich nur mein neues Steuermannszeugnis heraus und legte es ihm aufgefaltet in die Hand, so daß er den auf der Urkunde sehr deutlich ausgeschriebenen Namen Charles Powell lesen konnte.
Er senkte seinen Blick auf das Zeugnis und legte es nach einer Weile still neben sich auf den Tisch. Ich wußte nicht, ob er eine Bemerkung zu dieser Übereinstimmung der Namen machen wollte. Ehe er Zeit hatte, irgend etwas zu sagen, wurde die Glastüre krachend aufgestoßen und ein hochgewachsener, energischer Mann kam mit großen Schritten hereingestürmt. Sein Gesicht war gerötet unter dem hohen Zylinderhut. Man sah auf den ersten Blick, daß er der Kapitän eines großen Schiffes war.
Mr. Powell redete ihn, nachdem er mir mit verhaltener Stimme zu warten bedeutet hatte, freundlich an.
›Ich habe mir schon gedacht, Kapitän, daß Sie jeden Augenblick kommen würden, um Ihre Heuerverträge abzuholen. Hier sind sie, fix und fertig für Sie zum Mitnehmen.‹ Er wandte sich einem Stapel Verträge zu, die neben ihm lagen, und nahm den obersten. Von meinem Platz aus konnte ich die in großen runden Buchstaben auf die erste Seite geschriebenen Worte: ›Schiff Ferndale‹ lesen.
›Nein, Mr. Powell, sie sind bedauerlicherweise noch nicht fertig‹, sagte der Kapitän. ›Ich muß Sie bitten, den Namen meines Zweiten Steuermanns zu streichen.‹ Er wirkte aufgeregt und verstimmt. Er berichtete, sein Zweiter Steuermann habe den ganzen Vormittag an Bord gearbeitet. Um ein Uhr sei er fortgegangen, um etwas zu Mittag zu essen, und um zwei Uhr nicht wieder zurück gewesen, wie er es hätte sein sollen. Statt seiner sei ein Bote vom Hospital gekommen mit einer vom Arzt unterzeichneten Mitteilung. Schlüsselbein und Arm gebrochen. Habe sich von einem Pferdewagen umfahren lassen, als er die Straße vor dem Hafentor überquerte, als hätte er keine Augen und Ohren im Kopf. Und das Schiff klar, um morgen früh, sechs Uhr, den Hafen zu verlassen!
Mr. Powell tunkte seine Feder ein und begann die Heuerverträge durchzublättern. ›Wir müssen also seinen Namen streichen‹, sagte er mit unbeteiligt leiernder Stimme.
›Was soll ich nur tun?‹ platzte der Kapitän heraus. ›Diese Kanzlei schließt um vier Uhr. In einer halben Stunde finde ich doch keinen Mann mehr.‹
›Diese Kanzlei schließt um vier‹, wiederholte Mr. Powell, überflog die Seiten und zog hier und da mit vollendetem Gleichmut einen Buchstaben nach.
›Auch wenn ich heute noch einen Mann auftriebe, der sich so kurzfristig bereitfände mitzukommen, könnte ich ihn hier doch gar nicht mehr regulär anheuern – nicht wahr?‹
Mr. Powell war damit beschäftigt, die Eintragungen durchzustreichen, die sich auf jenen unglücklichen Zweiten Steuermann bezogen, und eine Bemerkung an den Rand zu schreiben.
›Sie könnten ihn an Bord selbst in Vertrag nehmen‹, sagte er, ohne aufzublicken. ›Aber Sie werden wohl nicht so leicht einen Steuermann finden, der sich von einer auf die nächste Minute verpflichten läßt.‹
Auf diese Auskunft hin zeigte sich der stattliche Kapitän sehr bekümmert. Das Schiff dürfe die Flut morgen früh nicht versäumen. Er müsse weiter flußabwärts vierzig Tonnen Dynamit und hundertzwanzig Tonnen Schießpulver aufnehmen, ehe er hinausfahre. Es sei alles für den nächsten Tag verabredet. Es werde unendliche Scherereien und Komplikationen geben, wenn das Schiff nicht rechtzeitig eintreffe … Ich konnte nicht umhin, all das mitanzuhören, während ich wünschte, er möge sich verziehen, weil ich wissen wollte, warum mir Mr. Powell bedeutet hatte, ich solle warten. Nach allem, was er mir gesagt, hatte es offensichtlich keinen Sinn, hier länger herumzustehen. Hätte ich mein Zeugnis in der Tasche gehabt, ich hätte versucht, mich still hinauszustehlen; doch Mr. Powell hatte sich herumgedreht, saß nun wieder so da, wie ich ihn anfangs gefunden hatte, und ließ sein eines Bein baumeln. Mein entfaltetes Zeugnis lag unter seinem linken Ellbogen, und ich konnte nicht gut hingehen und es fortziehen.
›Ich weiß nicht‹, sagte er unbeteiligt zu dem ratlosen Kapitän und blickte dabei starr auf mich, jedoch mit einem Ausdruck, als sei ich Luft. ›Ich weiß nicht, ob ich Ihnen sagen soll, daß ich einen beschäftigungslosen Zweiten Steuermann zur Hand habe.‹
›Meinen Sie, hier?‹ ruft der andere und sieht sich in dem leeren, der Öffentlichkeit zugänglichen Teil des Zimmers mit einer Miene um, als sei er bereit, sich auf alles zu stürzen, was nach einem Zweiten Steuermann aussah. Er war so erfüllt von seinem Ungemach, daß er mich, glaube ich, bisher gar nicht bemerkt hatte. Oder vielleicht hatte er mich, da er mich hier drinnen sah, für irgendeinen Untergebenen gehalten, der zum Amt gehörte. Aber als Mr. Powell mit einem Kopfnicken auf mich wies, wurde er sehr ruhig und sah mich lange an. Er neigte sich zu Mr. Powells Ohr herab – vermutlich bildete er sich ein, er flüstere, aber ich verstand ihn deutlich.
›Sieht sehr anständig aus.‹
›Will ich meinen‹, sagte der Seemannsamts-Kommissar ungerührt, noch immer den Blick auf mich geheftet. ›Er heißt Powell.‹
›Oh, ich verstehe!‹ sagte der Kapitän, als falle es ihm wie Schuppen von den Augen. ›Aber ist er denn bereit, so schnell eine Stelle anzunehmen?‹
Das Bild meines Quartiers stieg vor mir auf – auch noch im Norden Londons, hinter Dalston, wo sich die Füchse gute Nacht sagen – mit all meinen Habseligkeiten verstreut umherliegend, und meiner leeren Seekiste in einem Schuppen, den meine guten Wirtsleute am Ende ihres rußigen Gartenstückes hatten. Ich hörte den Seemannsamts-Kommissar mit der größten Seelenruhe sagen:
›Er schläft heute nacht an Bord.‹
›Das wäre gut‹, sagte der Kapitän der Ferndale sehr geschäftsmäßig, als sei das Ganze schon abgemacht. Ich kann nicht sagen, daß ich vor Freude sprachlos gewesen wäre. Nicht die war es. Was mir die Sprache verschlug, war vielmehr die Geschwindigkeit, mit der sich alles zutrug. Es schien einfach nicht möglich, was sich da mit mir ereignete. Aber der Kapitän wurde, nachdem er sich eine Weile mit Mr. Powell so leise, daß ich nicht zuhören konnte, unterredet hatte, sichtlich verlegen.
Ich nehme an, er hatte erfahren, daß ich eben erst mein Zeugnis bekommen und noch keine Erfahrung als Steuermann gesammelt hatte, weil er sich umwandte und mich musterte, als stände ich zum Verkauf.
›Er ist jung‹, murmelte er. ›Macht aber einen aufgeweckten Eindruck … Sie sind doch aufgeweckt und anstellig (dies sehr unvermittelt und laut zu mir) und all das, nicht wahr?‹
Mir gelang es gerade noch, den Mund aufzumachen und wieder zu schließen; mehr nicht, da ich auf solch eine Frage nicht gefaßt war. Aber das genügte ihm. Er tat, als hätte ich ihn mit Beteuerungen meiner Aufgewecktheit und Anstelligkeit überschüttet.
›Gewiß, gewiß. Schon gut.‹ Und sich wieder dem Seemannsamts-Kommissar zuwendend, der noch dasaß und das Bein baumeln ließ, meinte er, selbstverständlich könne er ohne Zweiten Steuermann nicht in See gehen. Ich stand da, als begegne das alles einem anderen, den ich nur hierher begleitet hatte. Mr. Powell starrte mich mit seinen strahlenden Augen an. Aber dieser geplagte Kapitän wandte sich mir abermals zu, als wolle er mir den Kopf abreißen.
›Sie sind sich doch nicht zu gut, um sich etwas sagen zu lassen – wie? Sie müssen noch viel lernen, wenn Sie es auch nicht glauben wollen.‹
Ich hatte, um meine Würde zu wahren, nicht übel Lust, ihm zu erklären, wenn es sich um meine Seemannskunst handle, so möge er versichert sein, daß ich, der ich es überstanden hätte, von Kapitän R – – anderthalb Stunden lang um- und umgekrempelt zu werden, wohl den Anforderungen genügen würde, die sein alter Kahn an mein Können stelle. Er gab mir indessen keine Gelegenheit, einen Narren aus mir zu machen, weil er, ehe ich noch meinen Mund auftun konnte, bereits zu etwas anderem übergegangen war und sich nun wieder liebenswürdig an Mr. Powell wandte, der, noch immer mit dem Bein pendelnd, seinen Blick nicht von mir ließ.
›Ich nehme Ihren jungen Freund gerne an Bord, Mr. Powell. Wenn Sie mich ihn als Zweiten Steuermann anheuern lassen, stecke ich die Verträge gleich ein.‹
Mir dämmerte plötzlich, daß der ahnungslose Kapitän der Ferndale fest annahm, ich sei ein Verwandter des Seemannsamts-Kommissars! Ich war sehr erstaunt über diese Entdeckung, wiewohl der Irrtum begreiflich genug war unter den gegebenen Umständen. Was ich hätte bewundern sollen, war die Diskretion, mit der dieses Mißverständnis befördert und genutzt worden war. Aber ich war damals zu dumm, um irgend etwas zu bewundern. Mir kam es vor allem darauf an, diesen Irrtum aufzuklären. Ich war Esel genug, mich höchlich zu verwundern, weshalb Mr. Powell dieses Mißverständnis nicht bemerkte. Ich sah, wie bisweilen ein leises Zucken über sein Gesicht lief; aber anstatt den Irrtum zu berichtigen, drehte sich der Seemannsamts-Kommissar auf seinem Hocker herum und redete mich mit ›Charles‹ an. Ja, wirklich. Und ich bemerkte, daß er vorher rasch nach meinem Zeugnis schielte, weil er zweifellos bis dahin nicht sicher gewesen war, wie mein Vorname lautete. ›Nun also, komm an den Tisch, Charles‹, sagte er mit lauter Stimme.
Charles! Anfangs, sage ich Ihnen, hielt ich es für unmöglich, daß er mich meinte. Ich sah mich um nach jenem Charles; aber da war niemand hinter mir außer jenem noch immer emsig schreibenden Burschen mit dem langen Hals und den anderen drei Seemannsamts-Kommissaren, die nun ihre Röcke wechselten, nach ihren Hüten langten und sich anschickten heimzugehen. Der geschäftige Mann mit dem langen Hals war es, der, ohne den Federhalter niederzulegen, mit der linken Hand eine Klappe neben seinem Tisch hochhob und freundlich sagte: ›Hier hindurch.‹
Ich schritt wie in Trance dahin, trat vor Mr. Powell, der mich belehrte, wir führen zunächst nach Port Elizabeth, und unterschrieb dann den Heuervertrag des Schiffes Ferndale mit meinem Namen als Zweiter Offizier – die Reise sollte nicht länger als zwei Jahre dauern.
›Sie werden sich doch auch einfinden – nicht wahr?‹ sagte der Kapitän besorgt. ›Es würden sonst unendliche Schwierigkeiten und Kosten entstehen. Sie haben gut sechs Stunden Zeit, um Ihre Sachen zu packen, und dann haben Sie noch Zeit genug, um sich an Bord ein wenig auf’s Ohr zu legen, ehe die Mannschaft in der Frühe zutörnt.‹
Er hatte leicht reden, ich könne mich in sechs Stunden für eine Reise rüsten, die nicht länger als zwei Jahre dauern sollte. Er mußte dieses Kunststück ja nicht selber fertigbringen, hatte seine Seekiste nicht in einem verschlossenen Schuppen stehen, dessen Schlüssel schon seit einer Woche verlegt war, wie ich mich erinnerte. Aber auch ich scherte mich nicht viel darum. Der Gedanke, daß ich unwiderruflich am nächsten Morgen um sechs Uhr in See gehen sollte, wollte mir noch nicht recht in den Kopf. Alles war gar zu plötzlich gekommen.
Mr. Powell schob die Heuerverträge in ein langes Kuvert und sagte mit einer Art halben Lachens, ohne einen von uns anzublicken:
›Und mach dem Namen keine Unehre, hörst du, Charles!‹
Und der Kapitän stimmte freundlich ein:
›Er wird seine Sache schon gut machen, denke ich. Ich werde ein Auge auf ihn haben.‹
Hierauf packte er die Verträge, sprach davon, er wolle versuchen, noch auf eine Minute nach dem armen Teufel im Hospital zu sehen, und ging davon mit seinem schweren, schwingenden Schritt, nachdem er mich noch einmal streng ermahnt hatte: ›Und daß Sie mir nicht wie jener arme Tölpel über die Straße laufen und sich von einem Karren überfahren lassen, als hätten sie weder Augen noch Ohren im Kopf!‹
›Mr. Powell‹, sagte ich schüchtern (jetzt war nur noch der Mann mit dem dürren Hals außer uns im Zimmer, und der stand schon an der Tür, auf einem Bein, um sich den Hosensaum umzuschlagen, ehe er auf die Straße ging). ›Mr. Powell‹, sagte ich, ›ich glaube, der Kapitän der Ferndale dachte die ganze Zeit, ich sei ein Verwandter von Ihnen.‹
Ich ließ mir die Schicklichkeit dieser Sache sehr zu Herzen gehen, aber Mr. Powell schien sich deshalb nicht im mindestens zu bekümmern.
›Wirklich?‹ sagte er. ›Das ist seltsam, denn auch mir kommt es so vor, als sei ich in letzter Zeit vielen von euch Jungen eine Art guter Onkel gewesen. Finden Sie nicht auch? Indessen, wenn Ihnen die Sache unangenehm ist, können Sie sie ja richtigstellen – sobald Sie auf See sind.‹ Hier beschlich mich ein etwas komisches Gefühl. Mr. Powell hatte mir einen sehr großen Dienst erwiesen: – denn es ist schon so: für uns Leute von der Handelsmarine ist die erste Fahrt als Steuermann der eigentliche Beginn des Lebens. Und nichts weniger als den hatte er mir ermöglicht. Ich sagte ihm mit Wärme, er habe für mich an diesem Tag mehr getan als je meine ganze Verwandtschaft.
›Oh, nein, nein‹, sagte er. ›Ich möchte meinen, es war diese weiter flußabwärts liegende Schiffsladung Sprengstoff, die das meiste für Sie getan hat. Vierzig Tonnen Dynamit sind heute Ihr bester Freund gewesen, junger Mann.‹
Das stimmte vielleicht. Jedenfalls sah ich deutlich genug, daß ich mir selber nichts zuzuschreiben hatte. Doch während ich versuchte, ihm zu danken, unterbrach er mein Gestammel.
›Haben Sie es nicht so eilig mit dem Danken‹, sagte er. ›Noch ist die Reise nicht beendet.‹«
Unser neuer Bekannter hielt inne, dann fügte er sinnend hinzu: »Sonderbarer Mann. Als hätte das etwas zu besagen gehabt. Sonderbarer Mann.«
»Es ist allerdings unklug, uns irgendwelche Verantwortung für unsere Handlungen zuzuschreiben, deren Auswirkungen wir doch nie abzusehen vermögen«, bemerkte Marlow beipflichtend. »Die Auswirkung seiner Handlung war, daß ich ein Schiff bekam«, sagte der andere. »Das konnte gewiß nichts schaden«, fügte er mit einem Lachen hinzu, das für seine wahrscheinlich unbewußte Verachtung allgemeiner Ideen sprach.
Aber Marlow ließ sich nicht zum Schweigen bringen. Er war geduldig und nachdenklich. Er war viele Jahre zur See gefahren, und ich glaube gar, er liebte darum das See-Leben so sehr, weil es, im Ganzen genommen, dem Nachdenken förderlich ist. Ich spreche von dem nun beinahe verschwundenen See-Leben unter Segeln. Die, welche über diese Behauptung erstaunt sind, möchte ich darauf hinweisen, daß dieses Leben dem Geist desjenigen, der es sich zum Beruf machte, die unschätzbaren Vorteile der Einsamkeit und Stille bot. Marlow hatte die Gewohnheit, allgemeine Ideen in einer besonderen Manier, zwischen Scherz und Ernst, fortzuspinnen.
»Oh, ich will nicht behaupten«, sagte er, »Ihr Namensvetter, Mr. Powell, der Seemannsamts-Kommissar, habe Ihnen viel Schaden zugefügt. Das wird kaum seine Absicht gewesen sein. Und auch wenn es seine Absicht gewesen wäre, er hätte doch nichts vermocht. Er war nur ein Mensch, und das Unvermögen, irgend etwas eindeutig Gutes oder Böses auszurichten, gehört mit zu unserem Erdenlos. Mittelmäßigkeit ist unser Kennzeichen. Und vielleicht ist’s recht so, da wir doch zumeist des Effekts unserer Handlungen nicht sicher sind.«
»Ich weiß nichts von einem Effekt«, erwiderte der andere mannhaft. »Welchen Effekt erwarten Sie übrigens? Ich sage Ihnen, er tat etwas ausnehmend Freundliches.«
»Er tat, was er konnte«, erwiderte Marlow sacht, »und nach seinen eigenen Worten war dies nicht gar viel. Ich kann mir nicht helfen, aber ich muß denken, in der Art und Weise, wie er die Gelegenheit ergriff, Ihnen nützlich zu sein, sei etwas von Bosheit gewesen. Es gelang ihm, Sie in Verlegenheit zu bringen. Sie wollten zur See gehen, und er ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, Ihrem Verlangen gleichsam mit einem Racheakt nachzukommen. Ich bin geneigt zu behaupten, daß Ihre Keckheit ihn beunruhigte. Und dies war eine vorzügliche Gelegenheit, Sie abzuschütteln. Denn wenn Sie die Stelle annahmen, war er Sie unter Wahrung des Anscheins höchster Menschenfreundlichkeit los, und wenn Sie Einwände erhoben (nachdem Sie ihn, wohlgemerkt, zuvor um Beistand gebeten hatten), stand es ihm frei, Sie als eine Art Hochstapler fallen zu lassen. Sie hätten diese Stelle aus sehr triftigen Gründen ausschlagen können. Aus schierer Notwendigkeit gar. Die Frist war schon ungewöhnlich kurz. Aber unter den gegebenen Umständen hätten Sie Schande auf sich geladen.«
Unser neuer Freund klopfte die Asche aus.
»Da sind Sie sehr im Irrtum«, sagte er. »Ich bin nicht der Mann, der etwas ausschlägt, wiewohl ich zugeben muß, daß es beinahe war, als wenn man zu jemandem sagt, man nähme gern ein Bad, und wird daraufhin unverzüglich über Bord gestoßen, man möge schwimmen oder untergehen, mit allen Kleidern am Leib. Indessen, zunächst hatte ich gar nicht das Gefühl, als schwämme ich in tiefem Wasser. Ruhig verließ ich das Seemannsamt und schlenderte eine Weile so gemächlich die Straße entlang, als hätte ich Wochen vor mir, um mich auszurüsten. Doch nach und nach kam mir zum Bewußtsein, daß die gesteckte Frist noch kürzer war, als es den Anschein hatte. Der Nachmittag war schon fortgeschritten; ich mußte mir einige Sachen besorgen, eine Menge kleiner Dinge erledigen, ein, zwei Personen besuchen. Eine davon war eine Tante, meine einzige Verwandte, die sich mit meinem Vater, solange dieser lebte, beständig wegen einer albernen Sache, bei der es weder Falsch noch Richtig gab, gezankt hatte. Sie vermachte mir ihr Geld, als sie starb. Aus Höflichkeit pflegte ich ihr stets einen Besuch abzustatten. Ich hatte vor Abend noch so viel zu tun, daß ich nicht wußte, wo anfangen. Am liebsten hätte ich mich an den Bordstein gehockt und den Kopf in den Händen vergraben. Es war, als sei eine Maschine in meinem Schädel in Gang gekommen. Schließlich setzte ich mich in die erste Droschke, die mir begegnete, und es kam mich hart genug an, das kann ich Ihnen sagen, ruhig sitzen zu bleiben, während wir straßauf, straßab rollten, hier anhielten und dort, während sich die Pakete um mich häuften und die Maschine in meinem Kopf mit jeder Minute schneller lief. Die Seelenruhe der Menschen auf den Bürgersteigen war aufreizend, und was die Menschen in den Läden betraf, so wirkten sie wie gelähmt, mehr als nur halb erstarrt – blödsinnig. Komisch, wie Ihnen solch eine ungewöhnliche Geistesverfassung zusetzt: jeder, der der Erregung, in der man sich befindet, nicht Rechnung trägt, erscheint einem so verdammt unfreundlich. Und meine Geistesverfassung war ja bei der Hetze, der Unruhe und dem wachsenden Jubel in mir ungewöhnlich genug. Diese Maschine in meinem Schädel lief nun stundenlang schon auf vollen Touren, bis sie gegen elf Uhr abends, vor der Einfahrt zum Hafen an einem großen Eisentor in einer kahlen Wand, plötzlich stehen blieb.«
Das Tor war geschlossen und verriegelt. Der Droschkenkutscher fuhr davon, nachdem er die auf dem Dach der Kutsche verstauten Sachen dem jungen Powell in die Arme geworfen hatte, und ließ diesen allein zurück mit seiner Seekiste, einem Segeltuchsack und einigen Paketen rings um ihn her. Es war eine dunkle, enge Durchfahrt, erzählte er uns. Eine Reihe elender Häuser auf der anderen Seite wirkte unbewohnt: nicht der kleinste Lichtschimmer war in ihnen zu sehen. Vor dem gleißenden Schein aus einer Schnapskneipe in einiger Entfernung wirkte das dazwischenliegende Straßenstück kohlschwarz. Einige menschliche Gestalten, die geheimnisvoll auftauchten, wie aus dem dunklen Boden gewachsen, mieden den schwachen Lichtschein, den die Laternen an der Einfahrt aussandten. Diese Figuren waren behutsam in ihren Bewegungen und in ihrem Gang absolut lautlos, wie Raubtiere, die um ein Lagerfeuer schleichen. Powell las seine Habseligkeiten zusammen und hütete sie wie eine Henne ihre Brut. Eine brummig aufdringliche Stimme sagte:
»Lassen Sie uns mal Ihre Sachen ’reintragen, Käpt’n! Hab noch meinen Kumpan dabei.«
Es war ein großer, hagerer, grauhaariger Halsabschneider mit einem Bullenbeißer-Kinn, in zerrissenem Kattunhemd und Hosen aus Moleskin. Der Schatten seiner genagelten Stiefel war riesig, sargähnlich. Sein Kumpan, der ihm nur eben bis zum Ellbogen reichte, trat vor und zeigte ein blasses Gesicht mit einer langen hängenden Nase und einem Kinn, das nicht der Rede wert war. Er schien sich gerade aus einem Mülleimer herausgewunden zu haben in seiner runden Schottenmütze und einem zerschlissenen, viel zu langen Soldatenrock. Da er so totenbleich war, wirkte er wie ein gräßlich verschmutzter Invalide in einem zerlumpten Morgenrock. Dieser Rock klaffte vorne, und die übrige Bekleidung kam zum Vorschein. Sie bestand aus einem einzigen, schräg über seine nackte, knochige Brust laufenden Hosenträger und einem Paar Hosen. Er blinzelte heftig, als sei er geblendet von dem schwachen Lichtschein, während sein Patron, der alte Bandit, den jungen Powell unter buschigen Augenbrauen hervor finster anblickte.
»Nur zu, Käp’tn. Der Bobby läßt uns schon rein. Er kennt uns.« »Ich gab ihm keine Antwort«, fuhr Mr. Powell fort. »Ich lauschte auf Schritte von der anderen Seite des Hafentors, Schritte, die von den Mauern der Speicherhäuser widerhallten, als kämen sie aus einer unbewohnten Stadt, in der es nur hohe, vom Keller bis zum Dachboden in Finsternis getauchte Gebäude gab. Man konnte sich nicht vorstellen, daß einen Steinwurf entfernt offenes Wasser war, auf dem große Schiffe schwammen. Die wenigen Gaslaternen, die hier und dort ein Stück Backstein-Mauerwerk beschienen, wirkten in der Schwärze der Nacht wie Kerzenflämmchen in einer Flucht von Kellergewölben – und die einsamen Schritte kamen näher: tapp, tapp. Schließlich trat ein Hafenpolizist, sehr breit in der Brust und mit strengem Blick, auf der anderen Seite des Tores in den Schein der Lampe.
›Holla! Was gibt’s?‹
Er war wirklich überrascht, aber nach einigem Gerede ließ er mich zusammen mit den beiden Strolchen hinein, die mein Gepäck trugen. Er knurrte sie jedoch sehr wenig freundlich an und schlug das Tor mit lautem Krachen zu. Ich war erstaunt zu sehen, wie viele nächtliche Herumtreiber sich in solch kurzer Zeit dort in der Dunkelheit der Straße versammelt hatten, ohne daß ich sie wahrgenommen hatte. Sogleich, als wir durch das Tor waren, brandeten sie gegen die Gitterstäbe, schweigend, wie ein Haufe scheußlicher Gespenster. Aber plötzlich entstand irgendwo weiter oben in der Straße, vielleicht in der Nähe jener Schenke, eine Schlägerei, gleichsam als wäre eine Schar Tollhäusler ausgebrochen: Rufe, Gekreisch, ein furchtbar schriller Schrei – und bei diesem Geräusch verschwanden all diese Köpfe hinter den Stäben.
›Sehen Sie sich das an‹, sagte der Gendarm staunend. ›Ich muß mich nur wundern, daß die Kerle sich nicht mit Ihren Sachen davongemacht haben, während Sie draußen warteten.‹
›Ich hätte schon aufgepaßt‹, sagte ich trotzig. Aber der Gendarm schien wenig beeindruckt.
›Was Sie nicht sagen. Der Sack wäre um die eine Ecke verschwunden; die Kiste um die andere. Hätten Sie in zwei Richtungen auf einmal laufen können? Und in jedem Fall wäre Ihnen ein Bein gestellt worden, hätte man sich auf sie gestürzt, noch ehe Sie drei Meter gerannt wären. Ich sage Ihnen, Sie hatten außerordentliches Glück, daß keiner von den richtigen Burschen heute um den Weg war, dort auf der High Street, und Ihre beladene Droschke vorbeifahren sah. Ted hier ist ehrlich … Nicht wahr, Ted, du bist doch einer von den Ehrlichen?‹
›Immer schon gewesen, Wachtmeister‹, sagte der große Kerl mit Gefühl. Das andere schmächtige Geschöpf schien stumm zu sein und hopste nur umher, wobei sein Uniformrock auf dem Boden schleifte.
›Oh, ja, das will ich meinen‹, sagte der Gendarm. ›Los denn, vorwärts, marsch … Er ist nur ehrlich, weil er zu anderem nicht taugt‹, vertraute er mir. ›Er hat nicht den Mut dazu. Aber ich werde die beiden nicht aus den Augen lassen, bis sie wieder vor dem Tor sind. Dieser kleine Kerl ist ein Teufel. Der wäre zu allem fähig, nur hat er nicht die Muskeln. Nun! Nun! Immerhin hat es der Zufall gewollt, daß Sie mit heiler Haut und mit allen Ihren Sachen hereingekommen sind.‹
Ich wollte das nicht recht glauben. Es schien mir unmöglich, daß ich, nachdem ich mich mit soviel Eile und unter so beschwerlichen Umständen reisefertig gemacht hatte, die Gelegenheit zu meinem ersten Schritt ins Leben aus solch einem Grund hätte verpassen sollen. Ich fragte:
›Kommt denn derlei häufig vor, hier so dicht am Hafentor?‹
›Häufig! Nein! Natürlich nicht häufig. Aber es geschieht auch nicht häufig, daß ein Mann zu dieser nächtlichen Stunde mit einer Droschke voll Gepäck vorgefahren kommt, um auf sein Schiff zu gehen. Ich bin seit dreizehn Jahren bei der Hafenpolizei, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.‹
Währenddessen folgten wir meiner Seekiste, die durch eine Art tiefe, enge, zwei hohe Speicher voneinander trennende Gasse hinuntergetragen wurde von dem ehrlichen Ted und seinem Kumpan, dem kleinen Teufel, der sich im Trab bewegen mußte, um mit dem anderen Schritt zu halten. Die flatternden Schöße seines Soldatenrocks fegten hinter ihm dicht über den Boden, so daß es aussah, als laufe er auf Rollen. Am Ende der düsteren Passage ragte dicht an einem eisernen Laternenpfahl ein Klüverbaum mit Takelung und einer in einer Speerspitze endenden Delphinharpune in die Nacht. Es war der Kai. Sie setzten in dem Lichtschein ihre Last ab, und der ehrliche Ted fragte heiser:
›Wo ist Ihr Schiff, Kommandant?‹
Ich wußte es nicht. Der Gendarm nahm meine Unwissenheit mit Interesse zur Kenntnis.
›Wissen nicht, wo Ihr Schiff liegt?‹ fragte er neugierig. ›Und sind der Zweite Steuermann! Haben Sie denn nicht an Bord gearbeitet?‹
Ich konnte ihm nicht erklären, daß die einzige Arbeit, die es im Zusammenhang mit meiner Anheuerung dort gab, das Werk des Zufalls war. Ich sagte ihm mit wenigen Worten, daß ich das Schiff nicht im mindesten kenne. Hierauf bemerkte er:
›Das sehe ich. Hier liegt es, gerade vor Ihnen. Das ist das Schiff.‹
Sogleich weckte das Kopfgeschirr, das da in dem Gaslicht sichtbar wurde, mein Interesse und meine Achtung; die Spieren waren lang, die Ketten und Trossen stark, und das Ganze machte einen kraftvollen und vertrauenswürdigen Eindruck. Kaum vom Licht berührt, hob sich der Bug undeutlich über den schmalen Kai; der Rest des Schiffes war ein schwarzer Fleck in der Dunkelheit. Hier stand ich Auge in Auge mit dem Anfang meines Lebens. Zusammen gingen wir einige Schritte auf dem glitschigen Pflaster weiter zwischen der Bordwand des Schiffes und der hoch aufragenden Mauer eines Speicherhauses, und ich schlug mir elend die Schienbeine am Ende des Fallrepps an. Der Gendarm rief das Schiff mit ruhiger, verhaltener Baßstimme an: ›Ferndale dort!‹ Ein schwacher und trauriger Ton, so ungefähr in der Art eines summenden Stöhnens, antwortete hinter der Reling.
Ich erkannte verschwommen einen unregelmäßig runden, auf der Reling aufliegenden Kopf, der aus Holz hätte sein können. Er bewegte sich nicht im geringsten; aber da ein weiteres erschöpftes Gesumm, gleich dem leiseren Echo des ersten traurigen Tones von ihm ausging, schloß ich, dies müsse der Kopf des Wachtmanns sein. Der stramme Gendarm rief in spöttischem, gespielten Amtston:
›Zweiter Steuermann kommt an Bord. Bitte sich ein wenig zu beeilen.‹
Die Richtigkeit dieser Darstellung meines Falles traf mich in der Magengrube (Sie wissen ja, das ist der Punkt, an dem einem Gefühle zusetzen), denn mir kam so recht zum Bewußtsein, daß ich für diesen Gendarmen wahrhaftig Zweiter Steuermann eines Schiffes war so gut wie jeder andere Zweite Steuermann auch. Mich erschütterte dieser schlagende Beweis meiner neuen Würde. Nur beleidigte mich sein Ton. Nichtsdestoweniger gab ich ihm das Trinkgeld, das er sich erhoffte. Hiernach verlor er alles Interesse an mir, belustigtes oder welches sonst, und ging seines Weges, mit strenger Miene den ehrlichen, wie ein hungriger Menschenfresser brummenden Ted vor sich hertreibend, zusammen mit seinem abscheulichen, stummen, kleinen Kumpan, der in seinem langen Soldatenrock vom ersten bis zum letzten Augenblick nicht den leisesten Laut von sich gegeben hatte.
Es war sehr dunkel auf dem Quarterdeck der Ferndale