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Knapp nur hat Kommissarin Saga Bauer den letzten Einsatz überlebt. Bevor sie die Klinik verlassen kann, erreicht sie eine Postkarte: »Ich habe eine blutrote Pistole der Marke Makarow. Im Magazin stecken neun weiße Kugeln. Eine davon wartet auf Joona Linna. Die Einzige, die ihn retten kann, bist du.« Unterschrieben ist die Karte mit einem Anagramm des Serienmörders Jurek Walter. Der aber ist tot. Joona Linna ignoriert zunächst die Drohung. Dann jedoch werden mehrere Mordopfer neben weißen Patronenhülsen gefunden - abgelegt in einem Kokon, wie von einer Spinne. Eine gefährliche Jagd beginnt. Nur wenn es Joona Linna gelingt, groteske Rätsel zu lösen, wird er den Serienmörder stoppen können.
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Seitenzahl: 704
Knapp nur hat Kommissarin Saga Bauer den letzten Einsatz überlebt. Bevor sie endlich die Reha-Klinik verlassen kann, erreicht sie noch eine handgeschriebene Postkarte: »Eine blutrote Pistole liegt vor mir. In deren Magazin befinden sich neun weiße Kugeln. Eine dieser Kugeln ist für Joona Linna bestimmt. Die einzige Person, die ihn retten kann, bist du.« Unterschrieben ist die Karte mit einem Anagramm vom Serienmörder Jurek Walter. Als Saga von dieser Drohung Joona Linna erzählt, winkt der ab. Er ist sicher, dass Jurek Walter nicht mehr lebt. Doch bald wird klar, dass die Drohung ernst gemeint war. Und damit beginnt die gefährlichste Jagd auf einen Serienmörder, die Schweden je erlebt hat …
Lars Kepler ist das Pseudonym der Eheleute Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril. Jeder für sich hat bereits erfolgreich eigene Romane veröffentlicht, bis sie sich entschieden haben ihre ganze Energie und Kreativität in ein gemeinsames Schreibprojekt zu stecken. Der Hypnotiseur, ihr Krimidebüt, war sensationell erfolgreich und wurde in über 40 Sprachen übersetzt. Die folgenden Kriminalromane mit dem Ermittler Joona Linna (Paganinis Fluch, Flammenkinder, Der Sandmann und Ich jage Dich) setzten die Erfolgsgeschichte fort und standen allesamt auf Platz 1 der schwedischen Bestsellerliste. Allein in Schweden sind inzwischen über zwei Millionen Bücher des Autorenpaars verkauft. 2012 wurde Der Hypnotiseur von Lasse Hallström für das internationale Kino verfilmt.
Das Pseudonym Lars Kepler ist eine Hommage an zwei bekannte Persönlichkeiten. Der Vorname Lars wurde zu Ehren des Bestseller-Autors Stieg Larsson gewählt, während der Nachname Bezug auf den deutschen Wissenschaftler Johannes Kepler nimmt.
Als ihr erster gemeinsamer Kriminalroman im Jahr 2009 veröffentlicht wurde, war die Identität der beiden Schriftsteller hinter dem Pseudonym unbekannt, was eigentlich auch so bleiben sollte. Damit waren einige hartnäckige Journalisten allerdings nicht einverstanden. Nachdem eine Reihe Autoren jegliche Beteiligung an dem Pseudonym abgestritten hatte, gelang es der schwedischen Zeitung Aftonbladet, ausreichend Beweise in diesem Fall zu recherchieren und das Ehepaar Ahndoril als Lars Kepler zu entlarven.
Alexandra Coelho Ahndoril hat portugiesische Wurzeln und wurde 1966 in Schweden geboren. Sie wuchs in Helsingborg an der Südküste Schwedens auf und zog in den frühen 1990er Jahren nach Stockholm um Schauspielerin zu werden, was sie für das Schreiben aber aufgab. Neben den Lars-Kepler-Kriminalromanen schreibt Alexandra Coelho Ahndoril Bücher über historisch bedeutende Persönlichkeiten und ist Literaturkritikerin für die schwedischen Zeitungen Göteborgs-Posten und Dagens Nyheter.
Alexander Ahndroril wurde 1967 in Upplands Väsby, Stockholm geboren. Dort studierte er auch Philosophie, Religion und Film. Bereits in den 80er Jahren bewies er sein Können als Romanschriftsteller. Neben Romanen schreibt er Drehbücher, Radio-Skripte sowie Theaterstücke und gehört zu Schwedens originellsten Schriftstellern der jüngeren Generation.
Das Ehepaar lebt mit seinen drei Töchtern in Stockholm, nur einen Steinwurf vom schwedischen »Scotland Yard« entfernt.
LARS KEPLER
SPINNENNETZ
THRILLER
Übersetzung aus dem Schwedischen vonThorsten Alms und Susanne Dahmann
Vollständige eBook-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Dieser Titel ist auch als Hörbuch erschienen
Titel der schwedischen Originalausgabe:
»Spindeln«
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2022 by Lars Kepler
Published in German language by arrangement
with Salomonsson Agency, Stockholm, Sweden
Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2023/2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6–20, 51063 Köln
Textredaktion: Anja Lademacher, Bonn
Umschlaggestaltung: Kirstin Osenau und Guter Punkt, München
Umschlagmotiv: © Ingrid Michel / plainpicture; © Dima Aslanian / Shutterstock; Guter Punkt
eBook-Produktion: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-7517-2803-4
luebbe.de
lesejury.de
Lars Kepler möchte darauf hinweisen, dass in Spinnennetz gewisse Ereignisse aus dem Band Lazarus und einzelne Details aus dem Band Der Sandmann enthüllt werden.
Es gab einmal einen Serienmörder in Schweden, der hieß Jurek Walter. Er ermordete mehr Menschen und war grausamer als alle Mörder, die es in Nordeuropa je gegeben hat.
Und es war Kommissar Joona Linna, der ihn am Ende zur Strecke brachte.
Weil Joona nicht an das angeborene oder metaphysische Böse glaubt, würde er eher sagen, dass Jurek im Laufe der Jahre den Teil seiner Seele verlor, der es dem Menschen ermöglicht, menschlich zu sein.
Von den wenigen, die von Jureks Existenz wissen, würde die Mehrheit wohl behaupten, dass die Welt ohne ihn ein besserer Ort ist.
Jurek Walter ist tot, aber nichts auf dieser Welt verschwindet so vollständig, als hätte es nie existiert. Vieles wechselt einfach seinen Ort, und das, was es nicht mehr gibt, hinterlässt eine gefährliche Leerstelle, die auf die eine oder andere Weise gefüllt werden wird.
Margot Silverman hört, wie die Hufe des Pferdes über die Holzspäne donnern, während sie über den beleuchteten Waldweg galoppiert.
Der Himmel ist schwarz und der Augustabend kühl.
Die Bäume gleiten vorbei und werden dunkler, verschwinden ganz und fangen dann das erste Licht der nächsten Laterne.
Margot ist die Chefin der NOA, der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei. Sie reitet viermal in der Woche auf Värmdö, um den Kopf freizubekommen und zu sich selbst zu finden.
Ihr Puls wird von dem rasanten Tempo hochgetrieben.
Das Pferd schießt auf dem schmalen Weg voran.
Teile der Peripherie schnellen vorbei wie von Blitzlicht beleuchtet: entwurzelte Bäume, überwachsene Grenzmarkierungen im Wald und ein nasses Hemd mit einem Smiley auf einer Wegschranke.
Sie beugt sich vor und spürt den Gegenwind in den Augen und auf den Lippen.
Im Galopp ist der Rücken des Pferdes asymmetrisch, die innere Flanke höher als die äußere.
Am Ende jeder Triole stößt sich das rechte Vorderbein ab, und der Kontakt zum Boden geht verloren.
Die Sekunden, in denen sie fliegen, lösen ein Kribbeln in ihrem Unterleib aus.
Catullus ist ein schwedischer Warmblutwallach mit langen Beinen und kräftigem Nacken. Margot muss das äußere Bein nur ein Stück zurücknehmen und die Hüfte nach vorn bewegen, um ihn anzugaloppieren.
Bei jedem Bodenkontakt wippt Margots Zopf auf ihrem Rücken.
Ein Reh läuft über eine Lichtung mit wogendem Farn.
Die Laternen am Ende der Strecke funktionieren nicht, und Margot kann den Boden vor sich nicht mehr erkennen. Sie schließt die Augen, verlässt sich auf Catullus’ Nachtsicht und lässt sich von den perfekten, wogenden Bewegungen mittragen.
Als sie die Augen wieder öffnet, sieht sie das Licht des Stalls zwischen den Bäumen, pariert durch und geht über in einen starken Trab.
Margot schwitzt zwischen den Brüsten und am Rücken, und in den Oberschenkeln und den Waden bildet sich nach einer Stunde Intervalltraining Milchsäure.
Sie reitet im Schritt durch die Tore und sitzt ab.
Es ist fast elf Uhr, und Margots silbergrauer Citroën ist das einzige Auto, das noch auf dem Parkplatz steht.
Sie führt Catullus durch die Dunkelheit zum Stall. Die Trense rasselt, und die Hufe stoßen dumpf auf das trockene, zertrampelte Gras.
Das Geräusch fester Tritte dringt durch die Wände einer der Boxen.
Catullus bleibt plötzlich stehen, hebt den Kopf und weicht ein kleines Stück zurück.
»Was ist denn?«, fragt Margot und blickt in die Dunkelheit beim Traktor und den Brennnesseln.
Das Pferd hat Angst und schnaubt durch die Nüstern. Sie streicht ihm über den Hals und versucht, ihn weiter auf die Stalltür zuzubewegen, aber er weigert sich.
»Kleiner, was ist denn los?«
Er zittert bis ins Mark und weicht dann heftig zur Seite aus, als würde er gleich durchgehen.
»Wo-ho-o«, sagt sie beruhigend.
Margot hält mit den Zügeln dagegen und führt ihn entschlossen in einem Halbkreis herum, durch das hohe Wiesengras und auf den knirschenden Schotterplatz.
Die drei Lampen an der Fassade verleihen jedem Gegenstand drei scharfe Schatten.
Catullus schnaubt und senkt den Kopf.
Margot sieht in die Dunkelheit vor dem Giebel und schaudert, obwohl sie nichts erkennen kann.
Erst als sie den erleuchteten Stall betreten, setzt sie den Helm ab. Ihre Nasenspitze ist rot, und der blonde Zopf liegt schwer auf dem Steppmuster der Jacke. Die Reithose ist oberhalb der hohen Stiefel verschmutzt.
Es riecht intensiv nach Heu und Mist.
Die Pferde stehen still in ihren Boxen.
Sie führt Catullus durch die Stallgasse bis zum Waschplatz, nimmt ihm den Sattel ab und hängt ihn in der vorgewärmten Kammer auf.
Ein paar Steigbügel klimpern an der Bretterwand.
Margot will Catullus abspritzen, ihm die Stalldecke überwerfen, in der Box füttern, ein bisschen zusätzliches Salz geben, das Licht ausschalten und nach Hause fahren.
Sie fühlt in der Jackentasche nach, um zu kontrollieren, ob sie den alten, silbernen Flachmann ihres Vaters dabeihat. Er ist mit Desinfektionsmittel gefüllt, nicht, weil das besonders praktisch ist, sondern weil er ihr Glück bringt und ein bisschen als Running Gag dient.
Die Tür zum Schotterplatz knirscht.
Margot beschleicht ein unangenehmes Gefühl. Sie kehrt zur Stallgasse zurück und betrachtet die Tür.
Catullus tänzelt unruhig im Waschplatz. Es tropft langsam aus dem Wasserschlauch, und ein dunkles Rinnsal sucht sich einen Weg um das Schweißmesser herum zum Bodenablauf.
Ein paar Pferde weiter hinten im Stall beginnen zu schnauben. Hufe stoßen auf den Boden. Der Sicherungskasten an der Wand brummt.
»Hallo?«, sagt Margot.
Sie hält die Luft an, steht still und richtet den Blick für eine Weile auf die Tür und die Dunkelheit vor den Fenstern, bevor sie sich wieder Catullus zuwendet. Die Deckenlampe spiegelt sich in dem schwarzen, gewölbten Pferdeauge.
Sie zögert eine Sekunde, dann holt sie ihr Handy heraus und ruft zu Hause bei Johanna an. Als niemand das Gespräch annimmt, beginnt die Angst in der Magengrube zu wirbeln. Seit zwei Wochen fühlt Margot sich beobachtet, und sie hat sich sogar gefragt, ob die Internen Ermittlungen oder der Staatsschutz Säpo sie aus irgendeinem Grund überwachen. Sie ist alles andere als paranoid, aber eine Reihe anonymer Telefonanrufe und ein Paar verschwundene Ohrhänger haben sie selbst und Johanna zu der Überlegung veranlasst, dass ihre Familie vielleicht von einem Stalker verfolgt wird.
Margot versucht es erneut, die Signale kommen an, fallen aber wie ein Lot durch tiefes Wasser. Kurz bevor sie zur Mailbox durchgestellt wird, knistert es.
»Patschnass und nackt«, meldet sich Johanna.
»Wie kann es sein, dass ich dich immer dann anrufe, wenn du gerade duschst?«, sagt Margot mit einem Lächeln.
»Warte, ich schalte den Lautsprecher an …«
Es raschelt ein bisschen, und dann verändert sich die Raumakustik. Margot denkt gerade daran, wie Johanna unbekleidet in ihrem hell erleuchteten Schlafzimmer steht, sodass man sie vom Apfelgarten aus sehen kann.
»Hallo?«
»Ich trockne mich ab«, sagt Johanna. »Bist du auf dem Weg nach Hause?«
»Ich muss den Kleinen Onkel noch abspritzen.«
»Fahr vorsichtig.«
Margot hört, dass Johanna sich mit einem Badelaken abtrocknet, während sie sich unterhalten.
»Zieh bitte die Gardinen zu und sieh nach, ob die Tür wirklich abgeschlossen ist.«
»Das klingt ja wie eine Zeile aus Scream«, sagt Johanna. »In Wirklichkeit stehst du im Garten und beobachtest mich, und bevor ich abschließen kann, bist du schon in der Wohnung.«
»Das ist überhaupt nicht lustig.«
»Okay, Chefin.«
»Ich möchte nicht einmal mehr Chefin sein, ich kann das nicht gut, als Kommissarin habe ich funktioniert, auch wenn ich ein bisschen überheblich war, aber als Chefin …«
»Hör auf«, unterbricht sie Johanna. »Ich hätte dich gerne als Chefin.«
»Oh, là, là«, lacht Margot und bekommt ein wenig bessere Laune.
Johanna lässt das Rollo hinunter, und die Zugschnur klirrt gegen den Heizkörper.
»Schalte jetzt einfach das Blaulicht an und komm nach Hause«, sagt sie ein Stück vom Handy entfernt.
»Hast du die Mädchen gut ins Bett bekommen?«
»Alva fragt, ob du dein Pferd lieber magst als sie.«
»Oh je«, lacht Margot.
Sobald sie das Gespräch beendet haben, stellt sich das unangenehme Gefühl bei Margot wieder ein. Das klirrende Geräusch an der Heizung ist noch eine Zeit lang zu hören, bevor es verstummt. Es muss von hier aus dem Stall gekommen sein, denkt Margot. Es klingt oft so, wenn die Geschirre, die im Gang hängen, gegeneinanderschlagen.
Eines der Pferde legt sich mit der Flanke und dem Schenkel an die Wand, bis es knackt.
Sie dreht sich zur Tür um.
Es sieht aus, als würde sich ein groß gewachsener Mensch im Schatten neben der Futterkammer verstecken.
Dann bemerkt sie, dass es der Schrank für die Besen, Schaufeln und Mistgabeln sein muss, obwohl es so aussieht, als würde er weiter vorstehen als sonst.
Der Wind fegt über das Zinkdach und lässt die Fenster an ihren Haken rattern.
Sie geht durch die Stallgasse. Die Gitter vor den Boxen flimmern in den Augenwinkeln vorbei, schwere Pferdeköpfe glänzen im Schein der Deckenlampe.
Sie zwingt sich, nicht schon wieder Johanna anzurufen und ihr zu sagen, dass sie die Küchentür kontrollieren soll, weil die Kinder Schwierigkeiten haben, sie richtig zu schließen.
Das Einzige, was sie tun muss, ist, Catullus zu versorgen und nach Hause zu fahren, zu duschen, in das warme Bett zu kriechen und zu schlafen.
Das Licht flackert und wird schwächer.
Sie bleibt stehen und lauscht, sieht am Waschplatz vorbei zum Umkleideraum.
Alles ist still, und dann ertönt ein schnelles Ticken.
Wie ein Ball aus dünnen Silberdrähten, der über den Boden rollt.
Als Margot sich umdreht, verstummt das Geräusch sofort. Es ist unmöglich, seinen Ursprung festzustellen.
Sie stützt sich mit einer Hand an einer Boxentür ab und sieht erneut zur Tür.
Das Ticken nähert sich hastig von hinten.
Catullus hebt unruhig den Kopf, während Margot einen kräftigen Schlag auf den Rücken spürt. Sie denkt noch, dass sie von einem Pferd getreten worden ist, während sie nach vorne fällt.
Die Welt verschwindet in einem Zwinkern.
Es dröhnt im Kopf.
Margot liegt auf dem Bauch und hat sich die Lippen und die Stirn auf dem Betonboden aufgeschlagen. Es brennt und drückt seltsam im Rücken.
Ein bitterer Duft hängt in der Luft.
In dem Augenblick, in dem sie begreift, dass eine Pistole auf sie abgefeuert wurde, beginnt ein lauter Ton in den Ohren zu klingeln. Die Pferde haben Angst, alle bewegen sich in ihren Boxen, gehen unruhig herum und atmen stoßweise durch die Nüstern.
Margot weiß sofort, dass sie angeschossen wurde. Sie blutet kräftig, und ihr Herz schlägt viel zu schnell.
»Du lieber, Gott, du lieber Gott …«
Sie denkt, dass sie aufstehen und nach Hause fahren sollte, um ihren Töchtern zu erklären, dass sie sie über alles liebt.
Jemand nähert sich, und plötzlich hat Margot Angst davor zu sterben.
Ein knirschendes Geräusch ist zu hören, gefolgt von einem Klirren am Heizkörper.
Sie spürt ihren Unterkörper nicht mehr, merkt aber, dass jemand sie an den Beinen zur Tür schleppt.
Der Hüftknochen scharrt über den Boden.
Margot versucht, sich an einem Trog mit Grobfutter festzuhalten, aber sie ist zu schwach.
Ein Eimer fällt um und rollt ein Stück.
Die Jacke und das Unterhemd rutschen hoch.
Sie atmet schnell und weiß, dass der Schuss direkt ins Rückgrat gegangen ist. Der Schmerz stößt immer wieder aus dem Bauch nach oben.
Er ist wie Axthiebe, die nur eine Richtung kennen.
Margot wird weggeschleppt wie ein Schlachttier, wird vom Strom gefangen wie ein Rindenboot, schwebt wie ein Zeppelin über die Äcker.
Die Gedanken werden langsam wunderlich.
Sie weiß, dass sie nicht aufgeben darf, dass sie weiterkämpfen muss, aber sie ist so schwach, dass sie den Kopf nicht länger hochhalten kann.
Nase, Mund und Kinn werden vom Beton zerkratzt.
Das Letzte, was Margot wahrnimmt, bevor sie das Bewusstsein verliert, ist die glänzende Blutspur, die sie auf dem Boden hinter sich herzieht.
Lisa steht mit dem Rücken zum Fenster, ihre Hand, in der sie einen Longdrink in einem beschlagenen Glas hält, ruht auf dem Fensterbrett.
Sie befindet sich mitten in der Nacht in einem einstöckigen Haus in Rimbo, gemeinsam mit zwei Männern.
Der eine ist fünfzig Jahre alt, trägt einen Anzug und ein hellblaues Hemd, hat kurz geschnittenes Haar, graue Schläfen und wirkt ein bisschen steif im Nacken. Er wirft die leere Eiswürfelform in die Spüle, schenkt Gin in die Karaffe und füllt sie mit Tonicwater auf.
Der andere Mann ist gerade zwanzig, breitschultrig und groß gewachsen. Er hat einen rasierten Schädel, kalkweiße Handflächen und steht rauchend unter dem Dunstabzug in der Küche.
Lisa sagt etwas und hält die Hand vor den Mund, als sie lacht.
Der ältere Mann verlässt die Küche, und nach ein paar Sekunden wird das Licht im Badezimmer eingeschaltet. Von außen kann man seinen Schatten durch die dünnen Gardinen erahnen.
Lisa ist gerade neunundzwanzig geworden, trägt einen Plissee-Rock und eine silbergraue Bluse, die über den Brüsten spannt, das dunkle Haar ist gekämmt und glänzt.
Sie wurde mit einer Hasenscharte geboren, die weiße Narbe auf der Oberlippe ist noch zu sehen.
Der junge Mann lässt den Rest der Zigarette in eine Bierdose fallen, geht zu Lisa und zeigt ihr etwas auf seinem Handy. Er nimmt ihre Reaktion mit einem Lächeln zur Kenntnis, sagt leise etwas und streicht ein Haar von ihrer Wange.
Sie begegnet seinem Blick, stellt sich auf die Zehenspitzen und küsst ihn kurz auf den Mund. Er wird ernst, sieht zum Flur und beugt sich dann zu ihr hinunter, um sie intensiv zu küssen.
Saga Bauer beobachtet sie über das Display der Kamera, sieht, wie der jüngere Mann die Hand unter Lisas Rock steckt und sie durch die Strumpfhose und den Slip zwischen den Beinen streichelt.
Es ist mitten in der Nacht, und in der kleinen Ferienhaussiedlung ist es still.
Vor einer Stunde hat Saga die Schubkarre des Nachbarn gegen den hohen Zaun gelehnt und ist hinaufgeklettert.
Von dort aus hat sie durch die großen Fenster auf der Gartenseite beobachtet, was im Haus geschieht. Das Licht aus der Küche und dem Wohnzimmer fällt auf die nackten Stämme der Kiefern und die Zapfen auf dem trockenen Rasen.
Der ältere Mann kommt zurück und bleibt in der Tür zur Küche stehen. Die beiden anderen hören auf, sich zu küssen, und gehen zu ihm.
Saga lässt das Teleobjektiv der Kamera auf der Oberkante des Zauns ruhen, um ein stabiles Bild zu bekommen, aber die drei haben sich bereits in den Flur bewegt.
Lisas Mann war gemeinsam mit Saga auf der Polizeihochschule und landete ziemlich früh in der Wache Norrmalm in Stockholm. Er hat den Verdacht, dass seine Frau ihn betrügt, wenn er in der Nachtschicht ist, hat sie aber noch nicht zur Rede gestellt.
Stattdessen nahm er Kontakt zum Detektivbüro auf, in dem Saga zurzeit arbeitet. Obwohl sie ihn im Erstgespräch darauf hinwies, dass man die Wahrheit oft gar nicht wirklich wissen möchte, entschied er sich dafür, sie anzuheuern.
Lisa befindet sich jetzt zusammen mit den beiden Männern direkt vor dem dunklen Schlafzimmer. Es ist nicht zu erkennen, was sie dort tun, aber ihre Schatten bewegen sich über die Leisten und die geöffnete Tür.
Saga kontrolliert, dass die Filmkamera wirklich läuft.
Das Display ist schwarz, bis einer der Männer die Stehlampe am Nachttisch einschaltet. Alle drei haben sich fast vollständig entkleidet. Lisa steht mit dem Rücken zum Fenster, zieht den Slip herunter, steigt aus ihm heraus und kratzt sich am rechten Oberschenkel.
An der Taille hat sie Spuren von der Naht der Strumpfhose und auf einer Wade blaue Flecken.
Die Wände sind honigfarben, und das große Bett hat ein gewundenes Kopfteil aus Messing.
Die Lampe glänzt im Glas einer gerahmten Fotografie des Boxers George Foreman, das an der Wand hängt.
Der junge Mann setzt sich auf die Bettkante und verdeckt mit seinem Körper den Großteil des Lichts, das von der Lampe ausgeht.
Der Ältere legt sich hin und nimmt ein Kondom aus der obersten Schublade des Nachttischs. Lisa nähert sich, setzt sich rittlings auf seine Schienbeine und wartet, bis er bereit ist.
Sie sagt etwas, und er nimmt ein gelbes Zierkissen vom Boden und schiebt es unter seinen Hintern.
Lisa kriecht zu ihm hinauf und küsst ihn auf die Brust und den Mund. Kurz bevor sie ihn in sich aufnimmt, verschwindet ihr Gesicht wieder im Schatten.
Der Jüngere sitzt immer noch auf der Bettkante und versucht, ausreichend steif zu werden, damit er sich ein Kondom überziehen kann.
Die schnellen Stöße des Geschlechtsverkehrs setzen sich bis zur Stehlampe fort, sodass die Fransen unter dem Schirm zittern.
Saga wartet darauf, dass Lisas Gesicht wieder sichtbar wird.
Solange ihr Gesicht beim Geschlechtsakt selbst nicht auf dem Film zu erkennen ist, kann sie die Untreue leugnen. Sie könnte es später bereuen, einen anderen Mann geküsst zu haben, und behaupten, dass sie das Haus in dem Augenblick verließ, als eine andere Frau kam.
Die Mechanismen des Leugners gehen Hand in Hand mit denen des Lügners.
In dem Haus hinter Saga wird eine Lampe eingeschaltet.
Lisa hält inne, legt eine Hand auf den Rücken des jungen Manns und sagt etwas. Er greift nach einer Flasche mit Öl, die auf dem anderen Nachttisch steht.
Sie sitzt immer noch rittlings auf den Hüften des älteren Manns und beugt sich vor, als der jüngere sich hinter sie kniet.
Lisas Schenkel zittern vor Schmerz, als er anal in sie eindringt. Die drei sind für einen Augenblick regungslos, bevor die beiden Männer vorsichtig zu stoßen beginnen.
Das Licht ist immer noch zu schlecht.
Saga hört, wie jemand hinter ihr über die Rasenfläche geht, sieht hastig über die Schulter und vermutet, dass der Nachbar sie entdeckt hat.
»Das hier ist ein privates Grundstück«, sagt er. »Sie können nicht einfach …«
»Polizeieinsatz«, fällt sie ihm ins Wort und sieht ihn an. »Halten Sie bitte Abstand.«
Der Mann mit dem weißen Schnurrbart und der Jägerweste nähert sich ihr mit gestresstem Blick.
»Darf ich Ihren Ausweis sehen?«
»Gleich«, antwortet Saga und sieht wieder in die Kamera.
Das Gegenlicht fällt an den drei Personen auf dem Bett vorbei und wirft einen Schatten auf das verstaubte Glas des Fensters. Manchmal ist das Gesicht des jüngeren Manns im Profil zu erkennen, die Nase und der gespannte Mund. Ein nasses Körperteil glitzert im Lichtschein auf, schaukelnde Hinterteile, ein gekrümmter Nacken und angestrengte Oberschenkel.
»Ich rufe die Polizei«, sagt der Nachbar.
Einer der drei stößt zufällig gegen den Nachttisch, sodass die Stehlampe umfällt und gegen den Sessel gelehnt liegen bleibt.
Plötzlich ist Lisas Gesicht vollständig beleuchtet. Ihr Mund ist offen und die Wangen rot. Sie sagt etwas und schließt die Augen, die weißen Brüste schwingen, und das Haar schaukelt vor ihrem Gesicht.
Saga filmt eine Weile weiter, beendet dann die Aufnahme, befestigt den Linsenschutz und klettert von der Schubkarre herunter. Der Nachbar weicht vor ihr zurück und drückt das Handy ans Ohr. Sie zeigt ihren abgelaufenen Dienstausweis der Säpo, als der Mann gerade jemanden bei der Notrufzentrale erreicht.
Saga überquert seinen Rasen, klettert über den Zaun und folgt der Straße bis zum Badesteg. Ihr Motorrad steht auf dem Parkplatz neben den Mülltonnen.
Nachdem sie die Kamera in ihrem Rucksack untergebracht hat, ruft sie ihren Chef an und blickt auf die flachen Klippen und das dunkle Wasser hinaus.
»Henry Kent«, meldet er sich.
»Entschuldige, dass ich so spät noch anrufe, aber du wolltest, dass ich direkt Bericht erstatte …«
»So sind die Regeln«, unterbricht er sie.
»Okay, bin jetzt auf jeden Fall fertig hier, und alles ist im Film festgehalten.«
»Gut.«
Sagas blondes Haar ist zu einem langen Pferdeschwanz gebunden, und trotz der dunklen Ringe unter den Augen und der tiefen, senkrechten Furche in der Stirn ist sie nach wie vor einzigartig schön.
»Ich frage mich nur … kann ich die Kamera vielleicht erst morgen im Büro abgeben? Es ist schon so spät.«
»Die Kamera muss sofort abgegeben werden«, antwortet er.
»Es ist nur so, dass ich früh aufstehen muss und …«
»Was ist denn daran so schwer zu begreifen?«, fällt er ihr mit lauter Stimme ins Wort.
»Nichts, ich wollte nur …«
Sie verstummt, als sie merkt, dass er das Gespräch beendet hat, seufzt und steckt das Handy in die Innentasche der Jacke, zieht den Reißverschluss hoch, setzt den Helm auf und steigt auf ihr Motorrad. Sie rollt vom Parkplatz und fährt die Straße zwischen den Wochenendhäusern entlang.
Nach ihrer langen Krankschreibung wollte Saga nicht auf ihre Stelle bei der Säpo zurückkehren, sondern schickte eine Bewerbung an die NOA. Die Personalchefin antwortete, dass es gerade keine freien Stellen gebe, aber sie natürlich ihre Kompetenz sehr schätzten und an ihr interessiert seien. Sie versprach, mit der Führungsebene über ihre Bewerbung zu sprechen.
Schließlich hieß es, dass Saga, obwohl sie sich fit genug fühlte, wieder als Polizistin zu arbeiten, erst eine Freigabe von der Betriebspsychologin des Krisen- und Traumazentrums benötige, bevor sie eingestellt werden könne.
Bis die Genehmigung vorliegen würde, arbeitet Saga weiter für das Detektivbüro Kent GmbH, deckt Seitensprünge auf und macht Background-Checks. Abgesehen von der Detektivarbeit verbringt sie fast ihre ganze freie Zeit als Begleitperson für zwei Kinder mit Down-Syndrom.
Saga lebt allein, hat aber eine sexuelle Beziehung mit dem Anästhesisten, der vor über drei Jahren die Narkose bei ihrer Halbschwester im Karolinska-Krankenhaus in Huddinge durchgeführt hat.
Es ist halb vier Uhr morgens, als sie vor der Tür des Detektivbüros in der Norra Stationsgatan steht, den Türcode eingibt, mit dem Fahrstuhl in den dritten Stock fährt, aufschließt und die Alarmanlage deaktiviert.
Saga kontrolliert routinemäßig die Post im Plastikkorb hinter der Tür und findet einen mit Klebeband verschlossenen Karton, auf dem ihr Name steht. Sie nimmt ihn mit zu ihrem Arbeitsplatz, legt ihn auf den Schreibtisch. Nachdem sie sich in den Computer eingeloggt hat, nimmt sie die Speicherkarte aus der Kamera, drückt sie in den Kartenleser, lädt den Film herunter und speichert ihn.
Saga ist müde im Kopf, und ihr Blick verliert sich hinter dem Fenster im nächtlichen Verkehr von Norrtull, auf den Wegen, Brücken und den leuchtenden Öffnungen der Straßentunnel.
Als die Festplatte des Computers zu knarren beginnt, wird sie aus ihren Träumereien gerissen und steht auf, nimmt die Kamera, schließt sie im Tresor ein und kehrt an ihren Arbeitsplatz zurück.
Die Augen brennen vor Müdigkeit, als sie das braune Paketband abreißt, den Karton öffnet und unter die Lampe hält. Sie steckt die rechte Hand hinein und holt etwas heraus, das in eine zerknitterte Kinderzeichnung gewickelt ist.
Über der Schreibtischplatte faltet sie die Zeichnung auseinander. Ein kleines Bündel aus weißem Leinenstoff mit Spitzenrand kommt zum Vorschein.
Sie nimmt einen Stift und faltet den dünnen Stoff auseinander, der sich um einen grauen Gegenstand geschlossen hat.
Es ist eine Zinnfigur – nicht größer als zwei Zentimeter.
Das Licht glänzt auf dem grauen Metall.
Sie dreht die Lampe und sieht, dass es sich bei der kleinen Zinnfigur um einen Mann mit Vollbart handelt, dessen schmale Schultern in einen Mantel gehüllt sind.
Die Glasscherben auf dem Teppichboden zerbrechen unter Joona Linnas Sohlen, als er langsam durch das Hotelzimmer geht.
Der Mann mit dem faltigen Gesicht hängt mit gebrochenem Nacken in einer Schlinge und schaukelt knirschend in der Fensteröffnung hin und her.
Die Vorderseite des Hemds ist getränkt von dem Blut, das aus der tiefen Furche getreten ist, die das Seil hinterlassen hat.
Kleine Glasstücke fallen klirrend auf den Blechsims unter ihm.
Sein letztes Flüstern hallt in Joona nach.
Die Worte winden sich wie eine Schlange durch seinen Körper, ohne einen Weg zu finden oder nach draußen zu gelangen.
Joona weiß, dass der hängende Mann tot ist, dass sein Genick gebrochen ist, aber er ist trotzdem gezwungen, seinen Puls zu fühlen.
Vorsichtig streckt er die Hand nach ihm aus, als plötzlich das Handy klingelt.
Joona öffnet die Augen, nimmt das Telefon vom Nachttisch und meldet sich mit gedämpfter Stimme, bevor das zweite Klingeln ertönt.
»Entschuldigen Sie, dass ich so spät anrufe«, sagt ein Mann.
Joona verlässt das Bett, sieht, dass Valeria ihre verschlafenen Augen öffnet, tätschelt ihr die Wange und geht mit dem Handy in die Küche.
»Worum geht es?«, fragt er leise.
»Mein Name ist Valid Mohammed, ich arbeite im Polizeibezirk Stockholm Süd. Folgendes ist passiert: Um halb eins ging ein Notruf von Margot Silvermans Frau Johanna ein … Margot war um neun Uhr herum zum Gestüt Beatelund in der Nähe von Gustavsberg auf Värmdö gefahren und hätte längst wieder zu Hause sein sollen. Johanna konnte die Kinder nicht alleine zu Hause lassen, machte sich aber Sorgen, dass Margot ein Unglück zugestoßen sein könnte, also schickte die Einsatzleitstelle eine Einheit … und gerade haben die Kollegen Bericht erstattet … Sie haben Margot nicht gefunden, aber sehr viel Blut auf dem Boden, im Stall … Ich weiß nicht, aber ich kann mir vorstellen, dass Sie das interessiert.«
»Danke, ich fahre direkt dorthin«, antwortet Joona. »Können Sie dafür sorgen, dass niemand etwas berührt? Es ist wichtig, bitten Sie die Kollegen vor Ort, dass sich niemand bewegt, bis ich komme. Ich übernehme den Fall, und ich bringe meinen eigenen Techniker mit.«
Joona beendet das Gespräch, ruft seinen alten Freund Erixon an und berichtet ihm von den Umständen.
Es ist jetzt fünf Minuten nach zwei.
Der Streifenwagen ist vor einer Dreiviertelstunde am Tatort eingetroffen.
Es sind fünfundneunzig Minuten vergangen, seit Johanna die 112 angerufen hat.
Es wäre sinnlos, jetzt noch Straßensperren einzurichten. Sie können nur noch den Tatort untersuchen, um herauszufinden, was sich dort abgespielt hat.
»Okay«, flüstert Erixon.
»Ich weiß, dass du Probleme mit dem Rücken hast, aber ich …«
»Keine Sorge.«
»Ich brauche den besten Techniker, den wir haben«, erklärt Joona.
»Aber weil er um diese Uhrzeit nicht ans Telefon ging, hast du mich stattdessen angerufen«, scherzt Erixon in einem Versuch, seine Besorgnis zu überspielen.
Sobald sie verabredet haben, sich an der Einfahrt zum Stall zu treffen, kehrt Joona ins Schlafzimmer zurück und beginnt sich anzuziehen. Valeria verlässt das Bett in ihrem dünnen Nachthemd und zieht eine Strickjacke über.
»Was ist denn los?«, fragt sie.
Joona bindet sich hastig die Armbanduhr um, ein Geschenk von seiner Tochter Lumi. Sie meinte, das Ziffernblatt habe dieselbe graue Farbe wie seine Augen.
»Ein Kollege hat angerufen«, antwortet er und knöpft die Hose zu. »Ich muss los, es ist …«
Er verstummt, und sie begegnet seinem Blick.
»Jemand, den du kennst«, beendet sie seinen Satz.
»Ja, es geht um Margot, sie ist vom Reiten nicht nach Hause gekommen«, antwortet er und zieht sich das Hemd an.
»Was sagen die Einsatzkräfte, die zuerst vor Ort waren?«
»Sie haben ihr Auto gefunden und im Stall ihr Blut«, antwortet er.
»Du lieber Gott …«
»Ich weiß.«
Er eilt zum Waffenschrank, gibt die Zahlenkombination ein, holt seinen Colt Combat heraus, hängt sich das Holster über die Schulter und zieht auf dem Weg in den Flur die Riemen fest. Valeria folgt ihm, küsst ihn hastig und schließt die Tür ab, als er zu den Fahrstühlen läuft.
Während die Garagentore sich zur Seite öffnen, denkt Joona an Margot und wie sie sich kennengelernt haben. Sie war hochschwanger, war gerade zur Kommissarin befördert worden und ließ ihn an ihren Ermittlungen teilnehmen, obwohl er kein Polizist mehr war.
Er fährt die Rampe hinauf und in die schmale Nebengasse, biegt nach links in den Sveavägen ab und beschleunigt auf dem Weg zum Klaratunnel.
Zu dieser Zeit herrscht so gut wie kein Verkehr.
Stockholm verschwindet hinter ihm. Hochhäuser und erleuchtete Einkaufszentren gleiten vorbei, Industriegebäude, Eigenheimsiedlungen und schließlich schwindelerregende Brücken über Meeresarme und Buchten.
Joona Linna ist Kommissar in der Nationalen Operativen Abteilung der Polizei. Er hat mehr komplizierte Mordfälle gelöst als irgendein anderer Polizist in Nordeuropa. Er lebt seit sechs Jahren mit Valeria de Castro zusammen und hat eine erwachsene Tochter aus seiner ersten Ehe.
Zwei Streifenwagen stehen links und rechts von der Zufahrtsstraße zum Stall.
Das Blaulicht kreist über die Bäume und den Asphalt. Es sieht aus, als würde Wasser von kräftigen Windböen über den Boden getrieben.
Erixons Kastenwagen parkt auf der anderen Seite der Straße. Er wohnt in Gustavsberg, nur fünf Minuten von hier entfernt.
Joona fährt an den Straßenrand und hält an, geht zu den Kollegen, begrüßt sie und bittet sie dann, die Zufahrt abzusperren.
Die Nachtluft ist frisch.
Alles ist still und dunkel – abgesehen vom Pferdehof gibt es hier keine Bebauung, nur Wald und Wiesen.
Erixons mächtiger Körper bewegt sich im Scheinwerferlicht des Kastenwagens.
Er steht vor den Reifenspuren, die Autos im Sand hinterlassen haben, als sie die Ausfahrt zum Ingarövägen geschnitten haben. Er füllt flüssigen Gips in jeden Abdruck und sorgt dafür, dass die Reifen in der ganzen Umdrehung abgebildet werden.
»Lass uns hoffen, dass das alles nur ein Irrtum ist«, sagt er leise.
»Ja«, antwortet Joona.
Sie setzen sich in Erixons Wagen und fahren das kurze Stück zum eigentlichen Stall. Die Scheinwerfer öffnen in der Dunkelheit einen Tunnel aus weißen Baumstämmen und Wiesengras.
Der Schotter knirscht unter den Reifen.
Sie kommen an Weiden mit einer Reihe von Futterautomaten und einem zertrampelten Paddock vorbei, bevor sie Margots Auto auf dem Parkplatz entdecken.
Erixon fährt an den Rand und hält an.
Noch gibt es nichts zu sagen. Sie ziehen die Einwegoveralls über und gehen zum Auto, fotografieren es und leuchten mit ihren Taschenlampen in die Fenster.
Das Licht wird vom Glas reflektiert und fällt schließlich in den Innenraum: Lenkrad und Sitze, eine Dose mit einem Energydrink im Handschuhfach, Süßigkeitenverpackungen und ein dicker Ordner von der NOA.
Sie gehen weiter zum Stall.
Die Scheinwerfer des ersten Streifenwagens vor Ort beleuchten einen Traktor und einen Brennnesselstreifen vor einem roten Hausgiebel.
Drei Dohlen krächzen nervös über einer Baumgruppe.
Erixon fotografiert, sprüht Fixativ in alle Fuß- und Reifenspuren, markiert sie mit Nummernzetteln und trägt Notizen in das Protokoll ein.
Ein Kollege in Uniform steht regungslos im Licht des geöffneten Kofferraums des Streifenwagens und hält eine Rolle mit Absperrband in der Hand.
»Wo ist dein Partner?«, fragt Joona.
»Drinnen im Stall«, antwortet er mit einer müden Geste.
»Bleib hier stehen«, sagt Erixon und beginnt die Spuren um ihn herum zu sichern.
Joona weiß, es ist eine Binsenweisheit, wenn man sagt, dass das Wahrscheinliche oft der Wahrheit entspricht, aber manchmal muss man es sich trotzdem noch einmal vor Augen führen, wenn die Hoffnung in die eigenen Gedanken einsickert.
Er kann die Vorstellung noch nicht akzeptieren, dass er vermutlich zu Johanna und den Kindern nach Hause fahren und ihnen berichten muss, dass Margot tot ist.
Erixon und Joona nähern sich dem Stall mit vorsichtigen Schritten. Die Außenbeleuchtung ist ausgeschaltet, aber das Licht dringt durch die Spalten an der Tür nach draußen, und man sieht, dass ein Teil des Bodens verschmutzt ist.
»Kannst du es mit Infrarot ausleuchten?«, fragt Joona.
»Das sollte ich wohl«, seufzt Erixon.
Er geht zu seinem Kastenwagen und holt die Ausrüstung auf einem Wägelchen, packt die Lampe aus und schaltet sie an.
»Jesus …«
Der Schotter vor der Tür verblasst in dem unsichtbaren Licht, während das Blut in schwarzen, strähnigen Flecken scharf hervortritt.
Obwohl der Boden gereinigt worden ist, sieht man große Mengen von Blut in einer deutlichen Linie, die von der Tür aus in gerader Richtung nach draußen führt und nach zwei Metern aufhört.
Erixon fotografiert und schaufelt den verschmutzten Schotter von fünf unterschiedlichen Stellen in fünf einzelne Pappschachteln.
»Ich muss hineingehen«, sagt Joona.
Erixon geht zum Stall, sucht nach Fingerabdrücken auf dem Handgriff, auf allen Seiten der Tür, auf dem Türrahmen und auf den benachbarten Wänden.
»Mein Mentor hat immer Gummibänder an den Schuhen befestigt, und ich verschwende hier Trittplatten«, sagt er und reißt die Plastikfolie von einem Stapel Platten auf.
Er öffnet die Tür, legt die erste Platte schnaufend auf die Schwelle und zieht sich Überschuhe an.
Joona folgt ihm in den Stall.
Die Gitter der Boxen glänzen im gelben Licht der Deckenlampen. Der andere Polizist steht regungslos vor der Sattelkammer.
Eine große Blutlache befindet sich mitten auf dem Betonboden der Stallgasse. Von der Lache läuft eine lange Schleppspur bis zu dem Platz, an dem der Boden gereinigt worden ist.
Parallele Blutstreifen von den Rändern des Schrubbers sind auf dem ganzen Weg zur Tür zu erkennen.
Der Täter ist rückwärtsgegangen und hat die Fußspuren hinter sich beseitigt.
»Joona Linna«, sagt der Polizist. »Ich hatte schon fast geglaubt, es würde dich in Wirklichkeit gar nicht geben, aber dann dachte ich, dass … dass es genauso gut ist, ganz still zu stehen, wenn du trotzdem existierst.«
»Danke.«
Während Erixon Trittplatten verlegt, betrachtet Joona den Tatort. Alle Pferde dösen in ihren Boxen, abgesehen von einem schwarzen Wallach, der sich unruhig auf dem Waschplatz bewegt.
Der Täter wollte das Verbrechen nicht verbergen, denkt Joona. Er wollte nur die Spuren seiner eigenen Schuhe von der Unterlage entfernen.
Erixon beleuchtet den Boden mit einer kräftigen Handlampe, aber es befinden sich keine Fußspuren auf der Stallgasse. Er seufzt, probiert einen anderen Einfallswinkel aus, bevor er aufgibt.
»Es gibt keine Fußspuren … und der Türgriff ist abgewischt«, sagt er.
Joona schreitet auf den Trittplatten voran.
Der Großteil der ursprünglichen Blutlache ist mittlerweile getrocknet, aber in der Mitte hat sich ein schleimiges Koagel gebildet.
Kein verspritztes Blut, keine auffällige Rückstreuung.
Margot wurde mit einer Einhandwaffe erschossen.
Eine Pistole mit einer relativ langsamen Austrittsgeschwindigkeit und Hohlspitzmunition, weil die Patrone in ihrem Körper stecken blieb.
Erixon feuchtet einen Tupfer nach dem anderen mit Natriumchloridlösung an, nimmt trockenes Blut auf und legt es in Verpackungen für biologische Stoffe.
Joonas Blick ist konzentriert, als er sich langsam vorwärtsbewegt und von den Schatten durchströmt wird, die diese Abdrücke hinterlassen haben.
Es ist viel Blut, aber wie lange sie hier gelegen hat, ist nicht leicht festzustellen. Das Blut floss jedenfalls noch aus ihrem Körper, ohne zu koagulieren, als sie weggeschleppt wurde.
Ein schwarzer Futtertrog steht schief, und eine etwa zehn Zentimeter lange Spur aus abgeriebenem Kunststoff ist auf dem Boden zu erkennen.
»Was denkst du?«, fragt Erixon, der Joonas Blick gefolgt ist.
»Kannst du Bluestar um die Lache herum versprühen?«, antwortet dieser.
Erixon holt die Flasche und besprüht alle Oberflächen, auf denen kein sichtbares Blut zu erkennen ist.
Die chemischen Substanzen im Spray verleihen dem Blut eine vorübergehende Lumineszenz. Auch der kleinste Tropfen beginnt in einem eisblauen Licht zu strahlen.
Joona steht regungslos da und versucht den Tatort mit größerer Genauigkeit zu lesen, jetzt, da jeder Spritzer Blut sichtbar ist.
Er registriert die Form jedes noch so kleinen Tropfens in Abhängigkeit vom Untergrund und der Schwerkraft.
Fünfunddreißig Zentimeter von der Lache entfernt leuchtet ihm der kalte Schein einiger schwacher Flecken entgegen.
Joona geht über die Trittplatten dorthin und beugt sich vor.
Reste von rosa Lippenstift sind neben den Blutflecken auf dem Beton zu erkennen.
Ihr Gesicht prallte hart auf den Boden, als sie fiel.
Erixon fotografiert, und Joona geht weiter auf die andere Seite, beugt sich hinunter und betrachtet eine Reihe von sechs selbstleuchtenden Blutstropfen auf der rechten Seite der Lache.
Weil Blut eine höhere Oberflächenspannung hat als Wasser, zerplatzen Tropfen nicht, die auf eine halbwegs ebene Oberfläche fallen, sondern behalten ihre geraden Ränder, genau wie diese Tropfenreihe auf dem geglätteten Betonboden.
Die fünf ersten Tropfen sind ein wenig spitz aufgrund einer nach rechts gerichteten Bewegungsenergie, während der letzte vollkommen rund ist.
»Kannst du nach Überresten der Zündhütchen in diesen Tropfen suchen?«, sagt Joona und zeigt auf die Reihe.
»Das hat bisher noch nie jemand gewollt, aber natürlich kann ich das machen«, antwortet Erixon.
»Der Täter ist Rechtshänder und hat die Mündung von hinten gegen ihren Körper gedrückt, einen Schuss abgefeuert und die Bewegung ein Stück mitgemacht, als sie fiel, bevor er die Waffe ungefähr so schwang, ziemlich langsam, und dann innehielt.«
»Du denkst, dass diese Tropfen vom Lauf der Pistole stammen?«
»Margot stürzte nach vorn, mit der Kugel im Körper, traf mit dem Gesicht auf den Beton und schlug sich die Lippen auf.«
»Wir wissen nicht, ob es Margots Blut ist«, wendet Erixon ein.
»Aber es ist ihr Lippenstift.«
»Bist du dir sicher?«
»Ich kenne sogar die genaue Farbnuance.«
»Das ist eine schlechte Nachricht«, murmelt Erixon.
»Ja, Margot war noch am Leben, sie hat versucht, sich an dieser Wanne festzuhalten.«
»Ich versuche es mit Amidoschwarz.«
»Der Täter schleppte sie an den Füßen nach draußen, während sie noch lebte, hob sie ins Auto, fuhr ein Stück vor, ging zurück in den Stall und entfernte die Spuren, wischte die Klinke und die Tür ab, fegte dann den Schotter bis zum Auto glatt, nahm den Besen mit und fuhr weg.«
Der Sund liegt still wie ein Seidenlaken im diesigen Sonnenschein. Die kleine Gesellschaft macht ihr geliehenes Motorboot in einer Bucht an der westlichen Seite der Insel fest. Sie legen die Rettungswesten ab, packen aus und gehen die zehn Schritte über den Sandstrand hinauf bis zum Waldrand, wo sie Rast machen.
Emma stützt sich auf die Krücke und überlegt, ob sie den anderen sagen sollte, dass sie noch jung genug sind, um einen Spaziergang von hundert Metern zu schaffen.
Samir ist außer Atem und hustet in sein kariertes Taschentuch. Lennart klappt zitternd seinen Stuhl auf und setzt sich, während Sonja ihren gelborangen Mantel ein wenig anhebt, um sich auf einen Stein zu setzen und ihren Rucksack zu öffnen.
»Niemand fasst das Essen an, bevor wir da sind«, sagt Lennart.
»Ich werde nur ein paar Drogen zu mir nehmen«, antwortet sie und holt eine Pillendose heraus.
Sie haben gekochte Eier dabei, Kartoffelsalat, kalte Frikadellen mit Dijonsenf, Thunfischschnittchen und vier Bierflaschen, Pfannkuchenrollen mit Himbeermarmelade, Kaffee in einer Thermoskanne und eine kleine Flasche Cognac.
Emma zündet sich eine Zigarette an und blickt auf ihre Fußspuren im Sand zurück, die an Treibholz und Müll vorbeiführen, die hier an Land getrieben sind. Aus größerer Entfernung sieht es so aus, als hätte jemand vor nicht allzu langer Zeit etwas Schweres den ganzen Strand hinauf an den Waldrand geschleppt.
»Bernie, manchmal sehe ich alles wie durch eine Glasscherbe«, flüstert sie.
Obwohl ihr Mann Bernie verstorben ist, redet sie noch mit ihm. Manchmal öffnet sie den Kleiderschrank und spricht mit seinem Sommeranzug. Vor ihren Freunden behauptet sie, dass ihr die Freiheit gefällt, aber in Wirklichkeit vermisst sie Bernie jeden Tag.
»Wollen wir aufgeben und der jungen Generation den ganzen Spaß überlassen?«, fragt Samir.
»Nein, verdammt«, antwortet Lennart und steht auf.
Emma führt sie um die verwitternden Klippen herum in den windgepeinigten Wald. Ihre Krücke bleibt zwischen zwei Baumwurzeln stecken, die aus dem Boden ragen. Als sie versucht, sie loszureißen, fühlt es sich an, als würde jemand daran ziehen, direkt in den Boden hinein.
Kurz überlegt sie, den Ausflug abzubrechen, zu behaupten, dass sie sich nicht gut fühlt, aber dann geht sie doch ein bisschen näher an die Lichtung heran, bevor sie die Gesellschaft wieder rasten lässt.
Lennart klappt erneut seinen Stuhl auf, und Samir sagt mit einem Lächeln, dass vor seinen Augen Flecken herumschwirren.
»Ich spucke Blut«, murmelt Sonja.
Nachdem alle Freunde ihre Partner an den Tod verloren hatten, gründeten sie die Gesellschaft Okkulte Senioren. Ihr Motto: Unser Vorsprung ist der eine Fuß im Grab! Sie reisen zu Orten, die von Geistern heimgesucht werden, nehmen an Seancen teil und treffen sich mit Schamanen. Keiner von ihnen glaubt an Gespenster, aber alle finden es eine spannende Art, Zeit miteinander zu verbringen, und einige Male haben sie einen richtigen Schrecken bekommen.
»Hört mir mal zu«, sagt Emma und stellt sich vor die anderen drei. »Die Cholera hat im neunzehnten Jahrhundert in Europa ungefähr hundert Millionen Menschenleben gefordert.«
»Ich erinnere mich, als wäre es gestern gewesen«, witzelt Lennart.
»Marx behauptete daraufhin, dass die Geschichte sich wiederholt«, fährt Emma fort. »Zuerst als Tragödie, dann als Farce. Schwedische Behörden wollten die Seuche an den Grenzen aufhalten, und man richtete eine Quarantänestation für Schiffe aus Russland und Finnland auf einer Insel namens Fejan ein.«
»So muss es sein«, murmelt Sonja.
In der Ferne krächzt eine Krähe, als sich gerade eine Wolke vor die Sonne schiebt. Der ganze Wald bekommt plötzlich eine unfreundliche Atmosphäre.
»Fejan liegt ungefähr vier Kilometer ostwärts«, fährt Emma fort und zeigt mit der Krücke. »Und alle, die auf Fejan gestorben sind, wurden auf unbewohnten Inseln begraben … hier vorne liegt zum Beispiel einer der größten Cholerafriedhöfe in den Schäreninseln.«
Sie richten alle ihren Blick auf die Lichtung, die zwischen den Krüppelkiefern und den gebeugten Stämmen zu erahnen ist.
»Und hier spukt es?«, fragt Lennart.
»So wie die Hämorrhoiden in deinem Hintern«, murmelt Sonja.
»Ich kann dich leider nicht verstehen«, sagt er und dreht ihr das gesunde Ohr zu.
Sonja stellt seufzend die Picknicktasche auf den Boden und betritt die Lichtung. Das Heidelbeergestrüpp zittert hinter ihr, und Emma sieht ihren gelborangen Mantel zwischen den Bäumen verschwinden.
»Jetzt mal im Ernst«, fährt Emma fort. »Ich habe jede Menge Texte aus dem Volkskundearchiv und der Schärenstiftung gelesen … kein einziger Schärenbewohner würde freiwillig auf dieser Insel an Land gehen, aber …«
Sie verstummt, als sie plötzlich das Gefühl hat, eine Gestalt zwischen den Stämmen und Sträuchern zu sehen, direkt hinter Sonja. Es ist ein kurz gewachsener Mann, der Bernies Leinenanzug trägt. Er ist viel zu groß für ihn, und die Schultern sind seltsam schief.
»Kommt her«, ruft Sonja.
Die drei betreten die Lichtung und sehen, dass sie vor einem länglichen Paket steht, das auf dem Boden liegt und dessen schmaleres Ende an einen Birkenstamm gelehnt ist. Das Paket ist vielleicht zwei Meter lang und aus Baumwolltuch und Plastik hergestellt, das mit Schnüren umwickelt ist, die sich in den umliegenden Bäumen verheddert haben.
»Was soll das denn sein?«
Emma wird klar, dass es genau das ist, was sie für eine Gestalt zwischen den Bäumen in Sonjas Rücken gehalten hat. Sie fragt sich, ob es während eines Sturms hierhergeweht sein könnte. Vielleicht handelt es sich um Schwimmwesten oder Fender, die in altes Segeltuch gewickelt sind.
»Ein Kunstprojekt?«, fragt Samir mit einem Lächeln.
Emma drückt mit der Krücke auf das Paket und spürt, dass es weich ist wie ein Kuheuter und gleichzeitig viel zu schwer, um vom Wind verweht worden zu sein.
Lennart murmelt vor sich hin, öffnet sein Klappmesser und tritt heran.
»Wir lassen lieber die Finger davon«, sagt Emma. »Es kommt mir …«
Sie verstummt, als er einen tiefen Schnitt in den dicksten Teil des Pakets macht. Aus der Öffnung quillt ein grauer Brei mit braunroten Streifen und fällt in Klumpen auf das Gras. Ein stechender, chemischer Geruch lässt sie zurückweichen. Als der wässerigste Schleim im Boden versickert ist, erkennen sie einen zur Hälfte aufgelösten Fuß im Gras, umgeben von Klumpen aus braunem Gelee.
*
Die Ermittlungen zum Verschwinden von Margot Silverman beschäftigen zurzeit dreiunddreißig Polizisten in Vollzeit sowie fünfzehn Experten beim Nationalen Forensischen Zentrum.
Als Kommandoraum für das gesamte Unterfangen dient der große Konferenzraum der Nationalen Operativen Abteilung.
Fünf Kriminalkommissare sitzen an dem großen Tisch, auf dem sich Wassergläser, Kaffeebecher, Computer, Notizblöcke, Stifte und Lesebrillen befinden.
Es fällt ihnen nicht leicht, sich während dieser Ermittlungen professionell und neutral zu verhalten. Schon mehrere Male ist der Stress in Auseinandersetzungen aufgeflammt.
»Verdammt, wir reden hier über Margot, unsere Margot«, hat Petter Näslund geschrien, bevor er den Raum verließ.
Dieser innere Kreis wird von Kommissar Manvir Rai geleitet. Seine Eltern stammen aus Goa, und er betont gerne, dass er keinerlei Vorurteile gegenüber Menschen kennt, die keine Portugiesen sind.
Er ist sprachgewandt und scharfsinnig, hat die Stirn stets in Falten gelegt und trägt einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schmale schwarze Krawatte.
Er hat ein kurzes Briefing vorbereitet mit Fotos aus dem Reitstall von Beatelund auf Värmdö.
Staubpartikel bewegen sich in glitzernden Strömen durch das Licht des Projektors.
Abschließend geht Manvir denkbare Bedrohungsszenarien durch, Ermittlungen, für die Margot verantwortlich war, sowie Drohungen, die sich gegen den Polizeiapparat als solchen richten.
»Wir haben ein Team, das heute Abend einen ersten Bericht vorlegen wird. Sie checken Personen, die aus den Haftanstalten entlassen worden sind oder Hafturlaub haben«, beschließt Manvir seinen Vortrag und überlässt Joona das Wort.
Joona steht auf, lässt sein Jackett auf der Rückenlehne hängen und stellt sich vor die anderen Kommissare.
Sein Hemdkragen ist geöffnet und die Ärmel aufgekrempelt, er sieht erschöpft aus, beinahe fiebrig, aber die Augen sind intensiv grau wie geschliffenes Titan.
Obwohl er viel Zeit vor dem Computer in seinem Büro verbringt, berichten seine Muskeln und seine zahlreichen Narben von den vielen Jahren, die er als Polizist im Feld war, und von seiner militärischen Nahkampfausbildung.
»Wie ihr wisst, konnte das Nationale Forensische Zentrum bestätigen, dass es Margots Blut war, das sich auf dem Boden befand, dass es ihr Urin und ihr Rückenmark und ihre Cerebrospinalflüssigkeit waren«, beginnt er. »Es wird mit voller Kraft daran gearbeitet, die Fußspuren und Fingerabdrücke mit den üblichen Besuchern des Stalls abzugleichen. Es handelt sich um zweitausendachthundert Abdrücke, aber es ist eher unwahrscheinlich, dass wir darunter eine Spur des Täters finden.«
»Er ist vorsichtig, aber kein Profi«, wirft Manvir ein.
»Wir haben Reifenspuren eines leichten Lastkraftwagens an der Ausfahrt zum Ingarövägen, die mit keinem der Fahrzeuge übereinstimmen, die den Ort regelmäßig besuchen – möglicherweise stammen sie von dem Auto, das wir suchen.«
»Und was sind die nächsten Schritte?«, fragt Greta Jackson.
Greta ist Profilerin und hat einen Doktor in Verhaltenswissenschaften und Kriminologie.
Sie hat hellblaue Augen und kurze, mit Grau durchsetzte Haare, trägt enge Hosen und eine blassrosa Samtjacke.
»Wir warten immer noch auf mehrere Analysen«, antwortet Joona. »Und ich habe gerade erst bestätigt bekommen, dass der Handabdruck auf dem Trog für Grobfutter, den ihr auf dem Bild gesehen habt, von Margot stammt, was bedeutet, dass sie lebte, als sie hinausgeschleppt wurde … ich wiederhole das hier noch einmal, damit klar ist, dass eine Möglichkeit bestehen könnte, ihr Leben zu retten … Ich weiß, dass ihr alle bereit seid, alles zu geben, aber ich möchte trotzdem betonen, dass wir es extrem eilig haben, weil der Schuss sie ins Rückgrat getroffen hat.«
»Wissen wir mit Sicherheit, dass sie angeschossen wurde?«, fragt Greta.
»Ich kann das Blutbild auf keine andere Weise deuten«, antwortet Joona. Kurz darauf wird an die Tür geklopft.
Saga Bauers ehemaliger Freund Randy Young betritt den Konferenzraum, in der Hand hält er sein Diensttelefon. Er trägt eine Jeans, einen dunkelblauen, gestrickten Pullover und eine Brille mit schwarzem Gestell. Randy hat sich vor vierzehn Monaten von der Dienststelle für interne Ermittlungen zur NOA versetzen lassen.
»Joona, du hast einen Anruf von Stockholm Nord, ich glaube, es ist wichtig«, sagt Randy und gibt ihm das Handy.
»Linna«, meldet er sich und hört einen hastigen Atemzug.
»Hallo, ich wollte nur sagen, dass … dass … Wir haben die Ereignisse um Margot Silverman ja verfolgt, über den Einsatzkanal«, sagt ein Mann mit brüchiger Stimme. »Und ich glaube, dass wir jetzt … Man kann es nicht bestätigen, aber … du lieber Gott, ich …«
»Mit wem rede ich denn gerade?«, fragt Joona.
»Entschuldigung, Rickard Svenbro aus Norrtälje, Kriminalinspektor.«
Es wird wieder still, und Joona hört ein leises Wimmern. Der Kollege steht offensichtlich unter Schock und hat Schwierigkeiten, zusammenhängende Sätze zu bilden.
»Okay, Rickard, ich höre dir zu, lass dir Zeit«, sagt Joona leise.
»Also, wir haben die Überreste gefunden, von einem Menschen, glauben wir, man kann es nicht beschreiben, das ist alles verdammt widerwärtig, vollkommen widerwärtig.«
»Wo befinden sich diese Überreste?«
»Wo? Auf dem Boden … auf einer kleinen Insel direkt vor dem Hafen von Kapellskär.«
»Kannst du mir sagen, auf welche Weise sie widerwärtig sind?«
»Es ist ein aufgelöster Körper, mit Säure, nehme ich an … aber mitten in diesem Schleim lag ein Flachmann, der Name Ernest Silverman ist darauf eingraviert.«
Joona sitzt im Freizeitbereich der Enskede-Schule und wartet, gemeinsam mit Astrid, einem der Kinder mit Down-Syndrom, für die Saga als Begleitperson arbeitet.
Astrid ist elf Jahre alt, hat dunkles, langes Haar und große, verträumte Augen, ihre Schultern sind rund, und ihr Gesicht wirkt fast immer glücklich.
Sie hat eine weiße Plastikschüssel mit verschiedenen Nagellackfläschchen vor sich stehen. Während sie ihre Lieblingsfarben herausholt und vor Joona aufstellt, erzählt sie ihm, wie jeder einzelne Farbton heißt.
»Rouge Noir«, sagt sie und hält einen Nagellack hoch.
»Hübsch«, sagt er.
»Würde der dir gefallen?«
»Ich weiß nicht, ich mag auch Rosa«, antwortet er.
Sie sucht in der Plastikschüssel und stellt dann ein kleines, spitzes Glasfläschchen vor ihn hin.
»Lady Like.«
»Mein Favorit«, sagt er.
Joona ist direkt von Kapellskär hierhergefahren, während Erixon mit sechs anderen Technikern auf der Insel geblieben ist.
Der natürliche Hafen ist ein kleiner Sandstrand, wie ein Keil in die Westseite der felsigen Insel hineingeschlagen.
Der Körper wurde am Rand der Strandfläche nach oben geschleppt, aber die Fußabdrücke des Täters sind verwischt worden.
Erixon sicherte zwar einige Spuren im Wald, aber angesichts der Sorgfalt, mit der der Täter vorging, hält Joona es für unwahrscheinlich, dass eine von ihnen zu ihm führt.
Fliegen krochen surrend über den Fuß und die erhalten gebliebenen Skelettteile im Gras.
Als Erixon mit Åhlén telefonierte, sagte er, dass die Überreste dem Mageninhalt eines Raubtiers ähnelten, ganz oder teilweise verdaute Nahrung.
»Die innere Schicht des Beutels besteht aus säurebeständigem Gummi, und ich gehe davon aus, dass der Täter Natriumhydroxid verwendete, um den Körper aufzulösen«, erklärt er.
Joona wollte nicht darüber nachdenken, aber er hält es durchaus für möglich, dass Margot noch am Leben war, als die chemische Zersetzung begann.
Astrids Mund ist angespannt vor Konzentration, und die langen Augenlider zittern hinter den Brillengläsern, als sie Joonas Nägel rosa anmalt.
»Entschuldige«, flüstert sie und lächelt breit, als ein Farbklecks auf der Fingerspitze zurückbleibt.
»Ich habe zu kurze Nägel.«
»Ja, aber es wird trotzdem hübsch.«
»Sehr hübsch«, bemerkt er mit einem Lächeln.
Joona verfolgt die weichen Pinselstriche mit seinem Blick, und nach einer Weile glättet sich eine tiefe Furche in seiner Stirn. Sie hinterlässt einen blassen Strich, der langsam verschwindet, als das Mädchen die Hand wechselt.
Saga hat ihn angerufen und gesagt, dass sie ihn sofort treffen müsse, aber als er kam, musste sie Nick noch helfen, nach dem Fußballspiel zu duschen.
Joona bedankt sich bei Astrid und pustet gerade seine Nägel trocken, als Saga und Nick in den Freizeitbereich kommen.
Saga trägt gebleichte Jeans, Basketballschuhe und einen gestrickten Islandpullover. Ihr langes Haar ist in einem festen Zopf geschnürt und das Gesicht nackt und ungeschminkt.
Joona steht auf und zeigt seine Nägel.
»Wow«, sagt Nick mit einem Lachen.
»Attraktiv«, bemerkt Saga.
Joona bedankt sich bei Astrid und sagt, dass er sich noch nie so hübsch gefühlt habe. Sie verlassen den Freizeitbereich, und Saga sorgt dafür, dass die Kinder in den Schulbus kommen. Dann gehen Joona und sie gemeinsam im Sonnenschein über den Bürgersteig.
»Wie ist das Leben als Privatdetektivin?«, fragt Joona mit einem schiefen Lächeln.
»Es ist wirklich ziemlich unerträglich.«
»Tut mir leid.«
»Ja, aber ich brauche einen Job – sonst falle ich aus jeder Versicherung.«
»Du weißt, dass du dir jederzeit Geld leihen kannst, wenn …«
»Ich weiß«, fällt sie ihm ins Wort. »Vielen Dank, aber es ist gut so, ich komme zurecht … ich muss nur irgendwie zurück zur Polizei kommen.«
»Natürlich.«
»Ich habe mich tatsächlich auf eine Stelle in der NOA beworben«, erzählt sie.
»Nicht bei der Säpo?«
»Nein, ich glaube, mit denen bin ich durch«, antwortet sie. »Ich brauche einen konkreten Job, ich bin gut bei Mordermittlungen, das kann ich am besten … im Grunde träume ich davon, mit dir zusammenzuarbeiten.«
»Das wäre großartig«, sagt er leise.
»Aber sie werden meine Bewerbung gar nicht erst ansehen, solange ich keine Freigabe vom Psychologen habe.«
»So ist es immer.«
»Ich brauche das wirklich«, sagt sie, ohne ihn anzusehen.
Um überhaupt die Chance auf eine Empfehlung vom Polizeipsychologen zu bekommen, muss sie Einsicht zeigen und ihre psychische Verfassung stabil, ihre wirtschaftliche Situation gefestigt sein wie auch ihr soziales Leben, am besten würde sie in einer festen Beziehung leben.
»Jedenfalls … ich habe dich gebeten hierherzukommen, weil ich nur eine halbe Stunde habe, bevor ich zur nächsten Besprechung muss«, erklärt sie und bleibt vor ihrem Motorrad stehen. »Mein Chef hält mich auf Trab wie ein, tja, ich weiß nicht was … aber es ist ja auch egal, denn ich muss … Ich habe das Gefühl, dass ich wirklich mit dir über den Fund draußen bei Kapellskär sprechen muss, ich kann dir nicht sagen, wer es mir erzählt hat, aber …«
»Randy.«
»Ich sage nichts dazu«, erwidert sie mit einem Lächeln.
Joonas Herz krampft sich zusammen, als er sieht, wie sich die Gehetztheit in ihrem strahlend blauen Blick zurückmeldet. Saga holt eine Plastikmappe aus dem Rucksack und gibt sie ihm. Durch den trüben Kunststoff ist die Ansichtskarte zu sehen, die sie vor drei Jahren bekommen hatte.
Ich habe eine blutrote Pistole der Marke Makarow. Im Magazin stecken neun weiße Kugeln. Eine davon wartet auf Joona Linna. Die Einzige, die ihn retten kann, bist du.
Artur K Jewel
Joona erkennt sie wieder und nickt, dreht die Ansichtskarte um und betrachtet die Schwarz-Weiß-Fotografie von 1898, auf der der alte Cholerafriedhof in Kapellskär zu sehen ist, wo man Margot gefunden hat.
»Ich weiß, aber Jurek Walter ist tot«, sagt er.
»Aber der Biber lebt.«
»Er sitzt wegen Totschlags in einem Gefängnis in Belarus, wir haben versucht, ihn nach Hause zu bekommen, aber es gibt kein Auslieferungsabkommen.«
Der Biber war von Jurek rekrutiert worden und war ihm bis zu dessen Tod vollkommen ergeben. Danach war er spurlos verschwunden, bis zum vergangenen Jahr, als Interpol ihn in einer Justizvollzugsanstalt in Belarus identifizierte.
Eine Böe rauscht durch eine Baumkrone, und ein paar blonde Locken, die sich aus Sagas Zopf gelöst haben, wehen ihr ins Gesicht.
»Okay, aber … also ich spüre, dass dieser Mörder, auf irgendeine Weise, von Jurek geformt worden ist.«
»Ich weiß es wirklich nicht, Saga … es ist ein etwas seltsames Zusammentreffen, das mit dem Cholerafriedhof, das gebe ich zu, aber … aber es ist eine sehr gewagte Vermutung, dass der Mord an Margot mit mir zu tun haben könnte, ich meine …«
»Aber es geht doch um dich, auf jeden Fall«, fällt sie ihm ins Wort und dreht die Ansichtskarte wieder um. »Für mich … also ich sehe es so, dass Margots Tod eine Art Bestätigung der Echtheit ist, wie ein Stempel, der besagt, dass die Bedrohung für dich real ist.«
»Diese Karte ist drei Jahre alt«, wendet er ein.
»Und jetzt geschieht es.«
Saga parkt das Motorrad und betritt die Dunkelheit in der Star Bar. Fernsehschirme an den Wänden zeigen ein deutsches Fußballspiel. Der Boden ist zerkratzt, und die Flaschen hinter dem Tresen erstrahlen in einer blauen LED-Beleuchtung.
Simon Bjerke sitzt in voller Polizeiuniform in einer der hinteren Nischen. Er hat ein großes Bier vor sich stehen und sieht in einen Computer, der mit Aufklebern übersät ist.
Sein Gesicht ist faltig, der Schnurrbart schlecht gestutzt und die Augen angeschwollen. Als er Saga erblickt, schaltet er den Computer aus und lehnt sich zurück, die Arme verschränkt er vor der Brust.
»Saga Bauer, die Klassenbeste, die Schönste …«
»Das hast du schon letztes Mal gesagt.«
»Die Schönste der Klasse, die Schlaueste, kein Flaschendrehen und keine Techtelmechtel, landet bei der Säpo … und jetzt ist sie wieder zusammen mit uns anderen zurück auf dem Boden der Tatsachen.«
»Man hat nicht alles in der Hand«, seufzt sie und setzt sich ihm gegenüber an den Tisch.
»Du wolltest mir etwas zeigen«, sagt er und trinkt einen Schluck Bier.
»Wir haben die Ermittlungen abgeschlossen, und du hast nun das Recht, jetzt oder zu einem Zeitpunkt deiner Wahl an den Ergebnissen teilzuhaben«, erklärt Saga.
Er betrachtet sie mit einem trüben Blick.
»Ich habe das Recht, daran teilzuhaben?«
»Du kannst dich auch dagegen entscheiden«, sagt sie.
»Sie ist also untreu?«, fragt Simon mit einem angespannten Lächeln, und unter seinem rechten Auge beginnt ein Muskel zu zucken.
»Soll ich darauf antworten?«, fragt Saga.
»Bist du dir sicher? Meine Lisa? Ich meine, es kann kein Irrtum sein?«
»Möchtest du wissen, zu welchen Ergebnissen wir gekommen sind?«, fragt Saga.
»Warum lächelst du so? Was gibt es da zu lachen?«
»Ich lächele nicht, ich versuche in einer Situation freundlich zu bleiben, die dich offensichtlich aufwühlt.«
»Ich bin nicht aufgewühlt, ich will nur die Wahrheit wissen.«
»Die Wahrheit worüber?«
»Ob meine Frau eine verdammte Hure ist.«
Erneut wird es still, und Simon trinkt einen weiteren Schluck Bier. Saga sieht, dass seine Hand zittert, als er das Glas wieder abstellt.
»Du bist zu uns gekommen, weil du den Verdacht hattest, dass deine Frau sich mit einem anderen Mann trifft, wenn du …«
»Ich deute das so, dass sie es tut«, unterbricht er sie.
Saga überreicht ihm eine dunkelgraue Mappe mit der silbernen Aufschrift »Detektivbüro Kent GmbH« ganz oben am rechten Rand.
»Hier steht ganz genau drin, was wir gefunden haben, welche Beobachtungen wir gemacht und welche Schlussfolgerungen wir daraus gezogen haben … und hier sind auch alle Anlagen und Bilder«, sagt sie und gibt ihm einen USB-Stick.