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Es gibt eine Fülle an Problemen, mit denen unsere Gesellschaft konfrontiert ist – von den persönlichen Schwierigkeiten eines jeden Einzelnen bis hin zu jenen, die unseren Planeten an den Rand des Umweltkollapses gebracht haben. Sollte es nicht möglich sein, das sinnentleerte Hamsterrad unseres Finanz- und Wirtschaftssystems zu verlassen, die Gier nach Macht und Geld abzulegen und endlich Lösungen zu finden, die uns zu einem besseren Leben führen? Eine dieser Lösungen liegt darin, uns wieder eine weitgehend verlorene Lebensdimension zu erschließen, und zwar die spirituelle. Die Wissenschaft zeigt uns seit Jahren, dass uns Meditation, insbesondere wenn sie auf Empathie setzt, große Vorteile bringt: Sie wirkt sich positiv auf unsere Gesundheit aus, führt zu besseren wirtschaftlichen Entscheidungen, fördert schulische Leistungen und schenkt uns insgesamt Zufriedenheit und Glückseligkeit. Zu meditieren bedeutet, den eigenen freien Willen zu einer positiven Entwicklung des Ichs und der Gesellschaft einzusetzen, um einen Ausweg aus der weit verbreiteten Orientierungslosigkeit zu finden – ein Kompass, der uns aufzeigt, in welche Richtung unser Leben gehen sollte.
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Seitenzahl: 127
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Miryam Muhm
Ausweg aus Orientierungslosigkeitund Verlust des Ichs
1. eBook-Ausgabe 2022
© 2021 Scorpio Verlag in der Europa Verlage GmbH, München
Umschlaggestaltung: Danai Afrati, München
unter Verwendung von © jdwfoto/Adobe Stock
Redaktion: Franz Leipold
Layout & Satz: Robert Gigler
Konvertierung: Bookwire
ePub-ISBN: 978-3-95803-466-2
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»Als Forscher bin ich tief beeindruckt durch die Ordnung und die Schönheit, die ich im Kosmos finde sowie im Inneren der materiellen Dinge. Und als Beobachter der Natur kann ich den Gedanken nicht zurückweisen, dass hier eine höhere Ordnung der Dinge im Voraus existiert. Die Vorstellung, dass dies alles das Ergebnis eines Zufalls oder bloß statistischer Vielfalt sei, das ist für mich vollkommen unannehmbar. Es ist hier eine Intelligenz auf einer höheren Ebene vorgegeben, jenseits der Existenz des Universums selbst.«
Carlo Rubbia (Nobelpreis für Physik 1984)
VORWORT
TEIL 1:
WAS IST SPIRITUALITÄT? UND WAS IST RATIO?
Der Unterschied zwischen Religion und Spiritualität
Ein Leben ohne Glauben?
Wollte Nietzsche »Gott« wirklich für tot erklären?
Kapitalismus – die neue Religion?
Verdrängte Spiritualität – Körper und Seele rebellieren
Säkularisierte Vernunft versus spirituelle Vernunft
Die verschiedenen Formen der Ratio
Ist eine atheistische Wissenschaft tatsächlich besser?
TEIL 2:
DIE BESONDEREN PHÄNOMENE – BEWUSSTSEIN UND SPIRITUALITÄT
Nahtoderfahrungen und was sie uns sagen könnten
Präkognition – Wissen über zukünftige Ereignisse
Die terminale Geistesklarheit
Gibt es ein Gedächtnis außerhalb des Gehirns?
Hypothesen über das Bewusstsein
Fehlt uns der freie Wille?
TEIL 3:
DIE PRAKTIKEN DES BUDDHISMUS UND DIE SPIRITUELLE VERNUNFT
Mindfulness-Meditation als Treiber der rationalen Entwicklung
Mindfulness-Meditation und Gesundheit
Stundenlang meditieren?
Mindfulness to go
Mindfulness und Wirtschaft
Mindfulness als Treiber positiver Gehirnveränderungen
Meditation in die Schulen bringen!
Hirnzellentraining, persönliche Weiterentwicklung und Glückseligkeit
SCHLUSSWORT
ANMERKUNGEN
Warum sind wir so oft unzufrieden? Uns fehlt doch eigentlich nichts – den meisten von uns geht es gut. Sie haben eine Familie, Freunde, einen Beruf; sie können sich ihren Hobbys widmen und Urlaub machen (selbst in Corona-Zeiten). Und doch nagt oft irgendetwas an unserer Seele. Vielleicht ist es eine gefühlte »Orientierungslosigkeit«, das Fehlen eines höheren Sinns, denn tief in unserem Inneren wissen wir, dass wir von dieser Gesellschaft wie Marionetten manipuliert werden, dass wir wie hypnotisiert den Anforderungen unserer sozialen Umwelt unterliegen. Seit Jahrzehnten werden unser Denken und Handeln so gelenkt, dass wir unserer Seelenruhe den Rücken kehren und unser Glück im Konsum suchen. Diese Art von Befriedigung ist aber nur von kurzer Dauer (wie Walter Benjamin bereits vor 100 Jahren erkannte).
Zuweilen spürt unsere fremdbestimmte Seele, oder auch unser gelegentlich erwachendes Unterbewusstsein, dass wir eine wesentliche Dimension des Lebens verloren haben – eine Dimension, die nicht nur aus materialistischem Denken und Fühlen bestand, sondern in der Ethik, Moral, gesunde Werte und Empathie noch einen wichtigen Platz hatten. Diese Dimension mündete oft in die Spiritualität oder wurde von ihr getragen. Wir wussten einmal fast instinktiv, dass es etwas gibt, was größer ist als unser Leben – und dieses Gefühl, diese innere Überzeugung diente uns als Kompass, um Gut von Böse zu unterscheiden. Wir bemühten uns, »richtig« zu handeln. Dieser Lebenskompass wurde uns jedoch zu dem Zeitpunkt genommen, als uns ein rein materialistisches Bild von der Natur vermittelt wurde und wir begannen, einem falsch verstandenen Säkularismus zu frönen, von dem wir inzwischen überzeugt sind: Religion und Spiritualität gelten als irrational. Nach den hypnotisierenden Vorstellungen des Kapitalismus unterliegt das Leben nur noch dem Materiellen (um das in unsere Köpfe zu bringen, setzen Werbung und Politik offen hypnotische Techniken ein). Kurz, wir haben der Spiritualität den Rücken gekehrt, und Moral und teilweise auch die Ethik sind weitgehend zu obsoleten Konzepten geworden.
Seit Jahrzehnten herrscht somit eine Art »ethischer Relativismus«, der wesentlich zu der heute verbreiteten Orientierungslosigkeit beiträgt. Die Grenzen zwischen Gut und Böse sind inzwischen so verschwommen, dass wir ohne ein Wimpernzucken dazu imstande sind, die absurdesten, ja perversesten Handlungen zu vollziehen.
Dieser ethische Relativismus nagt an unserer Seele, deshalb befriedigen wir sie mit immer neuen Dingen und Objekten (und die Wirtschaft freut sich). Da diese Befriedigung aber naturgemäß nur kurzfristiger Natur ist (es gibt ja ständig Neues zu erwerben), greifen viele von uns auf legale oder illegale Drogen zurück, ergehen sich in Alkoholexzessen oder verfallen in eine pervertierte Sexualität – alles, um ihrer inneren Getriebenheit zu entkommen.
Die nächsten Kapitel sollen uns als Wegweiser dienen, sich diese verloren gegangene Dimension der Werte und der Spiritualität, die eigentlich angeborene Teile unseres Ichs sind, wieder anzueignen, indem wir unser Gehirn mittels Meditation in diese Richtung trainieren.
Im ersten Teil wird die Spiritualität erörtert, so wie sie zum Beispiel Albert Einstein verstand.
Im zweiten Teil werden anhand wissenschaftlicher Studien außerordentliche Phänomene wie beispielsweise Nahtoderfahrungen, terminale Geistesklarheit und Präkognition aufgezeigt. Obwohl es hier vieles gibt, was wir noch nicht »rein wissenschaftlich« erklären können, sollten uns all diese Phänomene dazu verhelfen, ein wenig nachzudenken und uns Fragen zu stellen – insbesondere über die Art unseres Bewusstseins.
Im letzten Teil ist es mir sehr wichtig, zu zeigen, dass die Wieder-Aneignung der spirituellen Dimension durch Meditation durchaus auf der soliden Basis etlicher wissenschaftlicher Studien fußt. Nur mit wissenschaftlich belegten Tatsachen können wir uns der Wahrheit nähern, denn in dieser Zeit einer überbordenden Flut an Worten und Informationen brauchen wir faktenbasierte Beispiele, damit jeder frei ist, seine eigenen Entscheidungen auf den Grundlagen solider Erkenntnisse zu treffen. Die forschende Wissenschaft führt uns vor Augen, dass Mindfulness-Meditation und Empathie uns die Möglichkeit eröffnen, eine höhere oder »bessere« Vernunft zu erreichen. Und sie zeigt uns vor allem eines: Diese höhere Dimension lässt uns insgesamt nicht nur zufriedener und glücklicher sein, sondern auch respektvoller mit der Natur und unseren Mitmenschen umgehen. Einen Versuch wäre es allemal wert.
In diesem Buch geht es nicht um Religion und ihre hypnotisierenden Kulte und Riten, sondern um die Erfahrung und das Empfinden von Spiritualität, also um ein – wie Einstein es nannte – tiefgreifendes Gefühl, welches das menschliche Handeln richtungsweisend mitbestimmt und sinnstiftend ist, denn ein Leben ohne Spiritualität kann sich nur auf Materialismus und Rationalität stützen. Das Problem ist aber (wie in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden), dass sich diese beiden so gepriesenen Grundelemente des heutigen Lebens von einem hypnotischen Glauben nähren – und zwar von dem Glauben, dass wir mit unserer Vernunft bessere Entscheidungen treffen und das Materialistische dieser Welt leichter in den Griff bekommen können. Dem ist aber, wie ich ausführen werde, mitnichten so, denn sonst bräuchten so viele von uns nicht auf legale wie illegale Drogen zurückzugreifen, um ihre zermürbende innere Orientierungslosigkeit zu überdecken.
Es geht in diesem Buch also hauptsächlich um die Bedeutung von Spiritualität für unser Leben, und zwar von wissenschaftlichen Gesichtspunkten aus gesehen. Um dies besser zu verstehen und entsprechend zu verinnerlichen, muss eine erweiterte Definition von Vernunft und Ratio in Betracht gezogen werden, denn wir müssen uns fragen, ob es tatsächlich nur eine solche gibt oder ob wir nicht besser von unterschiedlichen Formen der Vernunft sprechen sollten – zum Beispiel von praktischer und theoretischer Vernunft und von niederer (Vorratio),1 höherer und spiritueller Ratio (Vernunft). Nur eine höhere bzw. eine spirituelle Ratio kann uns den Weg zeigen, Gut von der »Banalität des Bösen« und Richtig von Falsch zu unterscheiden.
Weiterhin ist zu erörtern, ob der gewollte Gegensatz zwischen Spiritualität (oft mit Irrationalität gleichgesetzt) und Wissenschaft (de facto gleichbedeutend mit Rationalität) tatsächlich so flächendeckend existiert, wie uns das hypnotisch vorgegaukelt wird.
Während Religion von Menschen für Menschen erdacht und verkündet wird und sich dank Riten und Liturgien zum »Opium des Volkes« – also in ein hypnotisierendes Dogma – verwandeln kann, ist Spiritualität etwas ganz anderes. Grundsätzlich entspringt sie einer natürlichen Gefühlserfahrung des Menschen. Albert Einstein beschrieb dies in sehr anschaulicher Weise: »Meine Religion besteht in demütiger Anbetung eines unendlichen geistigen Wesens höherer Natur, das sich selbst in den kleinen Einzelheiten kundgibt, die wir mit unseren schwachen und unzulänglichen Sinnen wahrnehmen können. Diese tiefe gefühlsmäßige Überzeugung von der Existenz einer höheren Denkkraft, die sich im unerforschlichen Weltall manifestiert, bildet den Inhalt meiner Gottesvorstellung.«2 (Hervorhebung durch die Autorin)
Diese Art spiritueller Empfindung bedarf keiner Lehrer, keiner Lehren und keiner Meister. Spiritualität bedeutet die gefühlte Erfahrung der Existenz einer höheren Lebensdimension, deren Vorstufen oft auch in einem natürlichen Gerechtigkeitsempfinden, in Empathie und ethischen Vorstellungen ihren Ausdruck finden können. Denn wir »empfinden« Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit, wir »verspüren« Empathie, wir »fühlen« Ethik (nicht umsonst sagen wir oft, dass sich etwas richtig oder falsch »anfühlt«). Dieses »moralische« Empfinden ist genetisch und somit biologisch bedingt, da es auf Erfahrungen der Evolution beruht, und ist auch bei Wölfen, Hunden und natürlich bei den Primaten zu finden.3 (Hierzu kann ich wärmstens ein Video des bekannten Primatologen Frans de Waal über den Gerechtigkeitssinn von Kapuzineraffen empfehlen.4)
Selbst bei unseren nahen Verwandten ist dieses Empfinden von »gerecht« oder »ungerecht« nicht nur auf das eigene Ego beschränkt, das heißt, das Gefühl von »Ungerechtigkeit« (oder »Moral«) wird nicht nur auf sich selbst bezogen, sondern auch in Bezug auf andere Individuen der eigenen Gruppe empfunden: Wenn Bonobos beispielsweise während eines Experiments bemerken, dass ihre Artgenossen kein Futter abbekommen haben, geben sie ihnen etwas von ihrem ab.5
Wir Menschen empfinden zwar Liebe und Mitgefühl, aber auch Hass und Missgunst. Dabei handelt es sich um Gefühle, genau wie bei der echten Spiritualität. (Es gibt nämlich auch eine unechte, die darin besteht, nur so zu tun, als ob man »spirituell« sei – etwa, um sich einer bestimmten Gruppe zugehörig zu fühlen.)
Echt empfundene Spiritualität ist in den meisten Fällen eine lebenstragende Kraft. Sie ist sinnstiftend und eine Art Kompass, denn sie zeigt mit fast zweifelsfreier Präzision, wohin der Lebensweg gehen sollte, und entfernt sich automatisch von den »animalisch-primitiven« und oft negativen Gefühlen, die uns nach wie vor genetisch belasten – wie zum Beispiel Habgier, Neid und Machtstreben (Stichwort Alphatier). Diese machen es Menschen, die uns aus Eigeninteresse in dieser niederen Dimension halten wollen, ziemlich leicht, uns entsprechend zu manipulieren und die Gesellschaft so zu gestalten, dass sie ihren egoistischen Zielen entgegenkommt.
Wenn lange genug behauptet wird, dass das Spirituelle irrational ist und dass es stattdessen rational, also »richtig« sei, Macht anzustreben oder auf Kosten anderer zu sehr viel Geld zu kommen, können Menschen nichts anderes tun, als diese eigentlich negativen Eigenschaften als Grundpfeiler unseres Lebens zu betrachten; sie werden sie somit verinnerlichen und entsprechend handeln. Es heißt ja oft »Der Ehrliche ist der Dumme« – aber letztlich ist er der innerlich Glückliche(re). Wir wähnen uns intelligent, wenn wir nur der Ratio folgen und das Spirituelle gänzlich außen vor lassen – aber ist dem wirklich so?
Unsere hypnotisierte Zivilgesellschaft (in meinem Buch Die hypnotisierte Gesellschaft detailreich dargelegt) muss sich die Frage stellen, ob Gott tatsächlich tot ist – und mit Gott ist hier nicht eine anthropomorphe Gestalt gemeint, sondern eine höhere, universelle Denkkraft, das schöpferische Prinzip, wie Einstein es einst beschrieb. Vermutlich ist das uns vorgegaukelte glückliche Leben voller materieller Dinge in vielen Fällen unterschwellig ein zutiefst frustrierendes und unglückliches, weil es von jeglichem religiösen Glauben und von den meisten spirituellen Ankern losgelöst ist. Wenn uns all das so glücklich machen würde, warum müssen sich so viele in Antidepressiva flüchten oder unter psychosomatischen Krankheiten leiden?
Hypnotisiert von einer seit Jahrzehnten propagierten Pseudorationalität, verspüren inzwischen viele von uns, dass uns eine wertvolle Möglichkeit genommen wurde, unser Leben in eine höhere Dimension einzubetten und es nicht nur auf die simple, rein materielle Sinnhaftigkeit des Survival of the Fittest (Villa und Rolex) oder auf die biologisch diktierte Reproduktion (Familie gründen und Kinder bekommen) zu reduzieren (so sehr Letzteres der Erhaltung der Spezies dient).
Die innere Leere, die diese niedere Vernunft und das Negieren einer höheren Dimension in uns Menschen erzeugt haben, wird auch in unseren alltäglichen Handlungen spürbar – anders ließen sich so manche fragwürdigen Verhaltensweisen der Menschen nicht erklären: Da kauft sich jemand Sneakers für 1,5 Millionen Euro6 (trotz der Tatsache, dass tagtäglich Kinder an Armut sterben); junge Mädchen prostituieren sich, um ihren Schulkameradinnen eine neue Original Gucci-Tasche vorzeigen zu können,7 und immer mehr schieben sich Kokain in die Nase, um besseren Sex oder einfach nur Spaß zu haben.8 (Nebenbei: Früher nahmen die Menschen Drogen, um mystische, also spirituelle oder bewusstseinserweiternde Erfahrungen zu machen.9)
Diese Verhaltensweisen entspringen einer Strategie, die uns ständig glauben macht, ethische Prinzipien seien »relativ« und nicht allgemeingültig: Auf diese Weise verwirrt, verlieren die Menschen ihr Gespür für echte, Lebenssinn stiftende Werte.
Die Abgründe solcherart verkümmerter Seelen werden uns tagtäglich vor Augen geführt: Das geht vom steigenden Konsum extremer Pornoszenen (gerade bei Minderjährigen)10 bis zur allgegenwärtigen Ausbreitung der Pädophilie (von diversen Parteien und Verbänden in Europa bis vor wenigen Jahren als »schutzwürdige Expression der sexuellen Freiheit« gerechtfertigt11).
Als weitere Beispiele seien hier auch die sichtbar gewordene Korruption der Politiker12 und die Machtbesessenheit der Ultrareichen erwähnt. Letztere verfolgen unter dem Vorwand, den Planeten retten zu wollen, so manche Agenda zu ihren Gunsten13 und tun zuweilen sogar genau das Gegenteil dessen, was sie verkünden: Amazon, Microsoft und Apple haben Gruppen unterstützt, die den von den US-Demokraten vorgestellten Gesetzentwurf zum Klimaschutz bekämpften.14
Wir alle wissen unterschwellig, dass uns spirituelle Gefühle – oder zumindest ein weitgehend kollektives Empfinden von Ethik und Gerechtigkeit – dazu befähigen würden, eine bessere Gesellschaft zu gestalten als die heutige. Leider aber haben die meisten von uns im Namen der Ratio (die eigentlich eine Pseudo- oder Vorratio15 bzw. eine niedere ökonomische Ratio ist) der Spiritualität den Rücken gekehrt.
Ich werde versuchen aufzuzeigen, dass und wie uns der Begriff der »Rationalität« bzw. der Begriff der Vernunft seit Langem hypnotisch in seinem Bann hält und dass wir unbedingt aus dieser Hypnose erwachen müssen, wenn es uns ernst damit ist, ein aufrichtigeres Miteinander und eine bessere Gesellschaft zu gestalten.
Vor 40 Jahren schrieb Marion Gräfin Dönhoff, eine der angesehensten deutschen Journalistinnen und Mitherausgeberin der Zeit: »Ohne das Wissen um eine höhere Macht ist der Mensch seiner eigenen Arroganz und Maßlosigkeit ausgeliefert. […] Erst dieNegierung alles Metaphysischenhat die totalitäre Macht des Menschen über den Menschen möglich gemacht und den absoluten Terror zur Realität werden lassen. […]Ohne jene übergeordnete Autorität fehlen ihm die Orientierungsmarken, hält er sich selbst für allmächtig, bis er – dieser Omnipotenz schließlich überdrüssig – nicht einmal mehr an sich selber glaubt.«16 (Hervorhebung durch die Autorin)
Einem solchen Menschen bleibt nichts anderes übrig, als die Stimme des eigenen frustrierten und unglücklichen Egos durch unkontrolliertes Kaufverhalten, obsessiven Sex oder berauschende Modedrogen zum Schweigen zu bringen. »Wenn es keinen transzendenten Bezug gibt«, so Dönhoff weiter, »dann wird in dieser immer komplexer, immer verwirrender werdenden Welt die Hilflosigkeit, die ein Charakteristikum der heutigen Generation zu sein scheint, am Ende zur Verzweiflung in Permanenz.[…] Die Furcht vor dem Nichts(und die ausschließliche Diesseitigkeit, also der totale Positivismus, ist ja das Nichts)ist überdies wohl mit ein Grund für die zunehmenden Aggressionen, die wir heute allenthalben feststellen müssen.«17 (Hervorhebung durch die Autorin)