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Vom Glück im Unglück, von der Macht der Liebe und von kleinen Wundern erzählt dieses Buch. Es sind Geschichten aus dem Alltag, die Hoffnung machen und aufzeigen, dass es keine Dunkelheit gibt, an deren Ende nicht ein Licht auszumachen wäre und dass die Liebe, die stärkste Kraft von allen, Krisen meistern hilft, die auf den ersten Blick unüberwindbar scheinen. Gerhard Burtscher erzählt von den Tücken des Erwachsen- und Älterwerdens, der Flüchtigkeit des Glücks, der verzweifelten Identitätssuche des frisch gebackenen Ruheständlers, dem stillen Lohn einer lebenslangen Beziehung, und selbst der Tod wird nicht ausgespart. Zwischen die Geschichten streut der Autor in der für ihn typischen Art Gedichte, schräg, hintersinnig und augenzwinkernd, so dass auch das Lachen nicht zu kurz kommt. Denn der Humor, so meint er, ist ein wertvoller Wegbegleiter, wenn die Dinge sich so gar nicht in unserem Sinne entwickeln wollen.
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Seitenzahl: 111
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Für alle, die mich an ihrem Leben und ihren Ansichten teilhaben ließen und mir so die Ideen für viele meiner Geschichten geliefert haben.
Einleitung
Der Menschenfischer
Die Frau aus Theben
Das Wunder von Bergdorf
The unknown artist
Herr M. will nicht nach Hollywood
Eine andere Wirklichkeit
Der Makel
Die reinliche Emilie
Zeitgleich
Ein glücklicher Augenblick
Latte Mattschatto
Der Seitenwechsel
Als Jonathan K. an besagtem Morgen vorsichtig das Brett entfernte, das er seit Tagen vor dem Kopf hatte, konnte er sehen, dass sein Leben gar nicht so übel war. Er erinnerte sich in diesem Moment zwar noch an den Schmerz, den er empfand, als seine Frau ihn am Sonntag zuvor Knall auf Fall verlassen hatte, aber er staunte nicht schlecht, als sein Blick plötzlich frei wurde auf einen Neuanfang. Auf ein Leben mit Muße für seine Modelleisenbahn, mehr Zeit für seine Freunde und ohne Gezeter.
Zum ersten Mal verstand er die Weisheit seiner Mutter, die immer gesagt hatte, dass es kein Unglück gäbe, dem nicht auch ein Glück anhaften würde und keine Dunkelheit, an deren Ende nicht ein Licht auszumachen wäre.
Von dieser Art Wissen um das Leben handeln die Geschichten in diesem Buch.
Die meisten Namen in diesem Buch sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit noch lebenden Personen können nicht ausgeschlossen werden. Die Erzählungen weichen von der Wahrheit gelegentlich ab. Einige sind reine Fiktion.
Es war irgendwann im Frühling 1968. Ein warmer, sonniger Tag. Der große Saal des alten Filmtheaters war bis auf den letzten Platz besetzt. Der alljährlich stattfindende Vortragswettbewerb des Landes hatte auch dieses Mal die besten Redner aus allen teilnehmenden Schulen auf den Plan gerufen. „Genesis oder die Geschichte der Schöpfung“ lautete das vorgegebene Thema.
Der Bursche, der eben die Bühne betreten hatte, war der fünfte Kandidat, der ins Rennen ging. Er schien jünger zu sein als seine Mitbewerber, unbekümmerter, und es war ein Blitzen in seinen Augen, das aufmerken ließ. Maximal siebzehn, dachte ich. Zaundürr, dunkle Schlaghose, ein bügelfreies Hemd der Marke „Schwarze Rose“ mit weit offenem Kragen und hochgekrempelten Ärmeln, runde Nickelbrille, lockiges, verwuscheltes Haar. Seine Vorredner waren allesamt in Anzug und Krawatte angetreten. Einige im Auditorium schienen ihn zu kennen, denn unmittelbar nach seinem Erscheinen setzte ein Raunen ein.
Nachdem er sich am Rednerpult eingerichtet hatte, hob er die rechte Hand und ließ seinen Blick wie in Zeitlupe über die Zuhörer wandern. Er schien seinen Auftritt zu genießen.
Im Publikum wurde es still. Der Junge deutete eine Verbeugung an und legte los.
„Meine sehr verehrten Damen und Herren, geschätzte Lehrerinnen und Lehrer, liebe Eltern!“
Ruhig und fest klang seine Stimme.
„Es ist mir eine große Ehre, heute hier vor Ihnen zu stehen und meine Gedanken zur Schöpfungsgeschichte ausbreiten zu dürfen. Wie auch die Mitstreiter, die vor mir gesprochen haben, werde ich mich bemühen, mich kurz zu fassen und das Wesentliche zügig herauszuarbeiten, um Ihre Geduld nicht unnötig zu strapazieren. Seien Sie nachsichtig mit mir, wenn diese meine Absicht nicht in jedem Detail von Erfolg gekrönt sein sollte.
‚Er ist ja noch ein Kind‘, würde meine Mutter sagen und mir damit den Kredit einräumen, den ich dringend brauche, um meiner Nervosität Herr zu werden und meine Anspannung zu überwinden. Wenn Sie zu einer ebensolchen Geste bereit sind, werde ich Sie nicht enttäuschen.“
Er tat einen tiefen Atemzug, stützte sich mit beiden Händen auf dem Rednerpult ab und richtete sich auf.
„Nun denn“, fuhr er fort. „Über die Entstehung der Schöpfung im Allgemeinen und die des Menschen im Besonderen gibt es, wie Sie alle wissen, eine Vielzahl von Annahmen und Geschichten. Ich für meinen Teil habe seit jeher die Version der katholischen Kirche den kruden Theorien irgendwelcher Verschwörungstheretiker vorgezogen. Zum einen, weil für mich der im Alten Testament beschriebene siebentägige Schöpfungsprozess einfacher zu verstehen ist als die Theorie vom Urknall oder die schrägen Mutmaßungen über unsere Abstammung vom Affen und zum anderen, weil ich damit in der Tradition meiner Väter stehe und so kein neues Fass aufmachen muss. Will heißen, diesen Punkt werde ich nicht näher beleuchten.
Mich beschäftigte bei der Vorbereitung dieser Rede ein ganz anderes Thema, über das ich sprechen möchte, nämlich die weithin unhinterfragte Annahme, dass der Mensch die Krone der Schöpfung sei. Bei allem, was ich bislang vom Leben verstanden, gesehen und gehört habe, kam ich damit nur schwer klar. Wie tief, so fragte ich mich, müssen die Abgründe der Schöpfung gewesen sein, wenn da, wo der Mensch stand, oben war? Wurden Kronen zum Anbeginn der Zeit vielleicht an den Füßen getragen?
Was muss in den Herrn gefahren sein, als er dem Menschen, in Kenntnis seiner moralischen Bandbreite, die Hoheit über die Erde übertrug? Was müssen sich Pflanzen und Tiere gedacht haben, als genau diese Kreatur den Führungsauftrag über das Paradies erhalten hatte? Warum wurden nicht das paarungsfreudige Kaninchen oder das possierliche Eichhörnchen mit dieser Aufgabe betraut oder, noch besser, der prächtige Löwe?
Der Mensch muss auf jeden Fall die Aufforderung Gottes: „Macht Euch die Erde untertan!“ gründlich missverstanden haben, denn auch bei freizügigster Deutung dieser Worte kann ich nicht herauslesen, dass damit die Zerstörung der Schöpfung gemeint war. Auch den Aufruf zu Kriegsführung, Unterdrückung und Ausrottung der Arten, inklusive der eigenen, finde ich nicht in diesen Worten.
Also fragte ich mich: Was ist da schiefgelaufen?
Der einzige Schluss, der mir einleuchtend erschien, war die Annahme, dass Gott in einem Moment der Erschöpfung oder der Ablenkung – immerhin hatte er sechs Tage Dauerstress – das eine oder andere entglitten ist und der Mensch, ähnlich dem Geist, den man gerufen hat, nicht mehr in die Flasche zurück wollte.
Wäre diese These richtig, würde sich aber die Frage in den Vordergrund drängen, ob Gott wahrhaft vollkommen ist. Das zu beurteilen, fühlte ich mich nicht in der Lage und so setzte ich mir das Ziel, Ihnen anstelle dessen einen Beweis göttlicher Genialität zu liefern.“
Der Junge nahm einen großen Schluck Wasser und hob die Stimme.
„Und hier, meine Damen und Herren, wurde ich gleich mehrfach fündig, sodass ich mich gezwungen sah, eine Art Hitliste der Genialität Gottes anzufertigen. Meine Redezeit erlaubt es mir nicht, auf Einzelheiten und nachrangige Ergebnisse einzugehen, aber ich kann Ihnen den Sieger präsentieren und der ist, was Sie vielleicht überraschen wird, eindeutig weiblicher Natur.
Die Frau, also das menschliche Wesen, das Gott aus der Rippe des ersten Mannes gemacht hat, steht im Ranking an vorderster Stelle. War Adam, der Mann, noch eine Art Prototyp, so war das, was Gott aus seiner Rippe geschaffen hatte, von schier überirdischer Vollkommenheit. Wer einmal die bleiche Optik eines männlichen Brustknochens mit der Tiefe und Schönheit eines Weibes verglichen hat, weiß, wovon ich rede.
Die Frau war also die finale Version des Menschen. Das hatte ich jetzt herausgefunden. Wo aber hin mit der Nullserie? War Gott je versucht, sie unter den Tisch fallen zu lassen, ihr Vorhandensein zu leugnen?
Mitnichten.
Weise und nachsichtig wies er die Schöpfung an, dem Mann trotz aller Erbärmlichkeit seine Existenzberechtigung in der Evolution zu erhalten. Und so geschah es. Genau genommen haben zwei Dinge das Überleben des Mannes gesichert: ein winziger Wurmfortsatz von variabler Länge und die permanente Bereitschaft zur Anbetung der Frau.“
Weiter kam er nicht.
Der Rest seiner Worte ging in lautem Gelächter und ohrenbetäubendem Beifall unter. Eine Gruppe Jugendlicher skandierte lautstark seinen Namen. Die Gesichtszüge der anwesenden Lehrer wirkten seltsam versteinert. Eine Mutter hielt sich die Hand vor den Mund, so, als wäre sie gerade des Leibhaftigen ansichtig geworden. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
Da erhob sich aus der Mitte der Juroren ein mir unbekannter alter Herr und bahnte sich den Weg zur Bühne. Er ging gebeugt an einem Stock und achtete auf seine Schritte. Als er das Rednerpult erreicht hatte, wurde es still im Saal. Der Junge machte Anstalten sich zurückzuziehen.
„Bleiben Sie hier, junger Mann“, forderte der Alte ihn mit ruhiger Stimme auf. „Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu danken. Sie haben uns alle auf die Folter gespannt, uns zum Lachen gebracht und mit uns gespielt. Sie haben das wunderbar gemacht. Aber da ist noch etwas, was ich Ihnen sagen will.“
Er legte den Stock zur Seite und fasste mit beiden Händen die Handgelenke des Buben. Dann fixierte er ihn mit seinem Blick. Mit jedem Satz, der jetzt folgte, schüttelte er diese Handgelenke, als wollte er alles, was er sagte, für immer in seinem Gegenüber verankern.
„In Ihnen stecken ein großes Talent, kühne Gedanken und erste Umrisse von Visionen, aber Sie sind sich ihrer so wenig bewusst, wie Sie sich Ihrer selbst bewusst sind. Sie spielen achtlos mit diesen großen Gaben, verstecken sich hinter der Figur eines Clowns, würden Ihre Mutter für eine Pointe verkaufen. Doch Sie geben nichts von dem her, was Sie wirklich bewegt, weil Ihnen irgendjemand beigebracht hat, dass das, was Sie bewegt, nicht von Bedeutung ist.
Glauben Sie mir, dem ist nicht so. Nehmen Sie den Rat eines alten Mannes: Bringen Sie die Menschen weiter zum Lachen, ziehen Sie sie in Ihren Bann, aber folgen Sie endlich Ihrer inneren Stimme und überbringen Sie Ihre Botschaft. Lösen Sie sich um Gottes willen von Ihren Schwellenhütern, die nicht wollen, dass Sie ihre Welt verlassen und heben Sie die Flügel. Ich weiß: Sie können fliegen.
Vor all den Leuten, die hier sitzen und Ihnen so fasziniert zugehört haben, biete ich Ihnen an, Sie auf diesem Weg zu begleiten, und ich würde mich froh und dankbar schätzen, wenn Sie mein Angebot annehmen würden. Denken Sie darüber nach und kommen Sie mich besuchen, damit wir reden können. Und kommen Sie bald. Auch meine Zeit ist endlich.“
Der Alte löste sich von seinem Gegenüber und nestelte in seinem Jackett. Dann überreichte er ihm eine Karte, legte ihm noch einmal die Hand auf die Schulter und sagte:
„Und jetzt fahren Sie fort mit Ihrer Rede, wenn Ihnen danach ist, oder gehen Sie zurück zu Ihren Freunden und lassen Sie sich feiern!“
Ans Publikum gerichtet sagte er: „Ich danke Ihnen, dass Sie Geduld mit mir hatten und meinen Worten als Zeugen gefolgt sind. Sie werden von dem jungen Mann noch hören.“
Dann ging er ab.
Beifall brandete auf, der nicht enden wollte.
Der Junge stand verloren am Pult und kämpfte mit den Tränen. Er versuchte zu lächeln, aber es wollte ihm nicht gelingen. Ohne etwas zu sagen verließ er die Bühne über den Hintereingang.
Am Abend, bei der Preisverleihung in der Brauereigaststätte, saß ich mit ihm am selben Tisch. Dadurch, dass er seine Rede vorzeitig beendet hatte, lief er außerhalb der Wertung, allerdings fand der Laudator anerkennende Worte für seinen Beitrag.
An der Bar unterhielten wir uns im Anschluss bis in die frühen Morgenstunden über Gott und die Welt. Ich weiß noch, wie beeindruckt ich war von der Leidenschaft, mit der er seinen Standpunkt zu den unterschiedlichen Themen vertreten hatte, von seinen treffsicheren Formulierungen, seinem Witz und seinem Tiefgang.
Fast dreißig Jahre später habe ich ihn wiedergesehen, zufällig, bei einem Spaziergang durch die Villa Borghese, mitten in Rom. Er saß auf einer Steinmauer und diskutierte mit einer Gruppe junger Männer, bekleidet mit einer schwarzen Soutane. Die Haare unter seinem breitkrempigen, roten Sonnenhut waren immer noch lockig, aber sie waren grau geworden, die Augen wach wie damals.
Als ich ihn ansprach, dauerte es ein wenig, bis er mich einordnen konnte. Doch dann freute er sich sichtlich und schenkte mir ein paar Minuten seiner Zeit. Wir plauderten über zuhause, über früher und natürlich über seinen Auftritt, an den ich mich erinnerte, als ob er eben erst stattgefunden hätte.
„Dann bist Du also ein Menschenfischer geworden“, sagte ich nachdenklich.
„Mit Leib und Seele“, sagte er mit seinem umwerfenden Lachen und umarmte mich zum Abschied. „Denk daran, wenn Du einmal müde wirst. In Gottes großem Netz ist immer ein Platz für Dich.“
Ich mochte diesen Gedanken.
Horst führte gerne Fachgespräche
Mit einer Frau aus Theben
Dabei gab sie sich willig hin
Beim Safte roter Reben
Sie war so heiß, sie war so klug
Schöner als tausend Sonnen
Und trotzdem ist sein Glück mit ihr
Immer aufs Neu zerronnen
Nicht, dass sie ihn verlassen hätte
Nicht, dass sie ihn nicht liebte
Nicht, dass er ihr die Treue brach
Und so das Ding versiebte
Nein, alles was geschehen ist
Ist, dass er sie nur träumte
Und diesen Traum im Morgengrauen
Zu halten stets versäumte
Es war einmal eine Zeit zwischen ganz früher und jetzt, einige Jahre nach dem großen Krieg und eine halbe Ewigkeit bevor Barack Obama der erste schwarze Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika wurde, da war für die Menschen in dem Teil von Europa, den ich von hier aus überblicken kann, die Welt noch in Ordnung. In Bergdorf, einer kleinen Gemeinde in einem Hochtal im Westen von Österreich, sind die alten Leute bis heute felsenfest davon überzeugt, für ein paar Jahre das Paradies erlebt zu haben. Mit glänzenden Augen erzählen sie von gegenseitiger Wertschätzung, von nachbarschaftlicher Hilfe, von verantwortungsbewussten Politikern, von Ärzten mit Zeit und einem Ohr für die Kranken, vom hohen Stellenwert der Familie und von einem Gemeinde- und Kirchenleben, das auch die Alten und Schwachen mit auf die Reise genommen hat.
In dieser guten alten Zeit, ich glaube mich daran zu erinnern, dass es das Jahr neunzehnhundertsechsundfünfzig war, wurde den Eheleuten Theodor und Katharina dortselbst zu ihrer großen Freude ein