SPY (Band 2) - Hotspot Kinshasa - Arno Strobel - E-Book

SPY (Band 2) - Hotspot Kinshasa E-Book

Arno Strobel

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Beschreibung

Highspeed-Abenteuer im Herzen Afrikas Es ist heiß und schwül in Kinshasa und Nick hat noch keine Ahnung, wo er die Nacht verbringen soll. Wieder hat er sich unerlaubt von der Schule entfernt, um seinen Vater zu suchen. Aber dieses Mal muss er damit rechnen, dass Ben Nader die Seiten gewechselt hat.   Plötzlich ist er wieder da. Nach drei Jahren Gefangenschaft im Lager des Feindes kehrt Nicks Vater zurück. Aber Nick und er können nur wenige Stunden miteinander verbringen, bevor Ben Nader zu einem neuen Auftrag abberufen wird. In der Hauptstadt der Demokratischen Republik Kongo soll er ein geheimes Treffen aller Staatsoberhäupter der zehn wichtigsten Industrienationen überwachen. Aber Nick ist misstrauisch. Kann es sein, dass sein Vater während seiner Gefangenschaft einer Gehirnwäsche unterzogen wurde? Kurz entschlossen reist er ihm hinterher und wird Zeuge einer dramatischen Geiselnahme im Zentrum von Kinshasa. Gehört sein eigener Vater zu den Drahtziehern der Entführung?   Im zweiten Teil seiner Abenteuer-Reihe stellt Spannungsspezialist und Bestsellerautor Arno Strobel Nick auf eine harte Probe. Kann der Junior-Agent seinem eigenen Vater noch vertrauen? Ein turboschnelles, actionreiches Abenteuer und ideales Lesefutter für Jungen und Mädchen.

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INHALT

Prolog

1 – Nick drückte sich …

2 – »Also, junger Mann …

3 – Das Vorzimmer war …

4 – Als Nick die …

5 – Tanja Buschmann riss …

6 – Der Abschied fiel …

7 – Nick saß hinter …

8 – Er liegt an …

9 – Sie erreichten das …

10 – Der Basar fand …

11 – Die Arme des …

12 – Carol betrat den …

13 – Nick erreichte den …

14 – Eine halbe Stunde …

15 – Nick hatte sich …

16 – Die Stimme klang …

17 – Ian hatte den …

18 – Nachdem sie festgestellt …

19 – Die Fahrt verlief …

20 – Sie fanden ein …

21 – »Los, macht schon« …

22 – Der Pfad schlängelte …

23 – Seitdem das Video …

24 – Nick starrte den …

25 – Carol verharrte in …

26 – Sie waren noch …

27 – Carol verließ die …

28 – »Noch etwa drei …

29 – Schon in der …

30 – Carol stieß einen …

31 – Fasziniert beobachtete Nick …

32 – Carol nutzte das …

33 – Nach einer Weile …

34 – Martin hatte Carol …

35 – »Das hast du …

36 – »Danke!« Carol ging …

Epilog

PROLOG

Der Mann blieb stehen, beugte sich nach vorne und stützte die Hände auf den Oberschenkeln ab. Die unerträgliche Schwüle machte das Atmen zur Tortur, Schweißtropfen lösten sich von seiner Stirn und verschwanden im nächsten Moment im matschigen Untergrund des unbefestigten Weges.

Es war erst wenige Minuten her, dass der sintflutartige Regen so plötzlich aufgehört hatte, als wäre ein Schalter umgelegt worden. Nun brannte sein Nacken unter den sengenden Strahlen der senkrecht am Himmel stehenden Sonne.

Der Atem des Mannes ging noch immer keuchend, als er nach einer Weile den Kopf hob und seine Umgebung betrachtete. Das Bild hatte sich in den letzten Stunden kaum verändert.

Zu beiden Seiten des aufgeweichten Pfades erhoben sich grüne Wände aus Blättern und Gestrüpp. Jetzt nach dem Regen waberten hier und da neblige Schwaden aus verdunstendem Wasser kniehoch über den Schlamm. Hinter den Blätterwänden schien alles in Bewegung zu sein, die Luft war erfüllt von Rascheln und Knacken, Kreischen und Fiepen. In unregelmäßigen Abständen war das Gebrüll eines Tieres zu hören, so tief und zornig, dass es ihm trotz der Hitze einen kalten Schauer über den Rücken trieb.

Der Mann wusste nicht, wie lange er schon unterwegs war, aber er spürte, dass seine Kräfte schwanden.

Er richtete sich vollends auf, saugte die feuchtigkeitsschwere Luft so tief ein, wie es ging, und setzte sich wieder in Bewegung. Bei jedem Schritt umschloss der Schlamm seine Schuhe und gab sie nur widerwillig mit einem schmatzenden Geräusch wieder frei. Aber es war ein von Menschenhand angelegter Pfad, auf dem er sich mühsam vorwärtskämpfte, und das bedeutete, dass er irgendwann auf Behausungen stoßen musste. So lange würde er durchhalten.

Seine Oberschenkel schmerzten, die Lunge brannte. Moskitos umschwärmten ihn und versuchten immer wieder, einen Platz auf seiner schweißbedeckten Haut zu finden, wo er sie nicht erreichen und verscheuchen konnte.

Der Pfad knickte nach rechts ab, dann wichen die Büsche und Bäume plötzlich immer mehr zurück und gaben den Blick frei auf eine gerodete Fläche, auf der nur noch vereinzelte Sträucher herumstanden. In einiger Entfernung glaubte er, ein kleines Flugzeug zu erkennen.

Wenige Augenblicke später stoppte er mitten in der Bewegung und starrte die drei Männer an, die wie aus dem Nichts hinter einem Busch aufgetaucht waren und ihm den Weg versperrten.

1

Nick drückte sich hinter den Mauervorsprung, der gerade breit genug war, dass der Mann, der in der Tür des alten Fabrikgebäudes aufgetaucht war, ihn nicht sehen konnte.

Der Kerl hielt eine AK-12 in den Händen, eines der russischen Sturmgewehre, die der Grund für Nicks Anwesenheit auf dem ehemaligen Fabrikgelände nur wenige Kilometer südlich von Berlin waren. Wenn die Informationen stimmten, die der BND von einer geheim gehaltenen Quelle aus dem Ausland erhalten und an die Spezialabteilung weitergegeben hatte, mussten bald die Abnehmer der illegalen Waffen auftauchen.

Zu seinem Leidwesen bestand Nicks Auftrag lediglich darin, zu beobachten und zu lernen, wie es der Leiter der Spezialschule, Direktor Faber, ausgedrückt hatte.

Nick hörte das Motorengeräusch im gleichen Moment, in dem der Innenhof ins Licht starker Autoscheinwerfer getaucht wurde. Er drückte sich noch enger in die Nische. Das mussten die Käufer sein.

»Alles klar, jetzt Ruhe bewahren«, hörte er die Stimme des BND-Agenten, der über das Computer Based Personal Interface mit ihm verbunden war, direkt in seinem Kopf. Bruno, wie Nick sein CBPI getauft hatte, war ein hochentwickeltes Computersystem, das als hauchdünnes Armband wie eine zweite Haut um sein Handgelenk lag und mit seinen Nervenzellen verbunden war. Bruno kommunizierte mit Nick über einen winzigen Lautsprecher, der unter der Haut hinter seinem Ohr saß. Da der Agent mit Bruno verbunden war, hörte Nick auch dessen Stimme auf die gleiche Weise.

»Keiner rührt sich.«

Der Deckname des Mannes war Milchmann, was immer er sich auch dabei gedacht hatte. Andererseits … Nick hatte sein CBPI ja auch Bruno getauft.

Insgesamt waren zehn Agenten auf dem Gelände, aber Milchmann war als Einsatzleiter der Einzige, der mit Nick in Kontakt stand. So konnte Nick alle Befehle mithören, die Milchmann den Agenten und Agentinnen seines Teams gab.

Der Wagen, eine schwarze Limousine, parkte direkt neben dem Eingang. Vier Männer stiegen aus und sahen sich auf dem Vorplatz um, bevor drei von ihnen dem Kerl mit dem Gewehr zunickten und gemeinsam mit ihm in dem alten Ziegelsteingebäude verschwanden.

Der vierte, ein bulliger Typ mit Glatze in schwarzem Sakko, postierte sich neben der Tür und beobachtete mit grimmiger Miene den Platz.

»Abwarten«, befahl die ruhige Stimme. »Wir geben ihnen noch zwei Minuten, dann müsste die Übergabe in vollem Gange sein.« Einen Atemzug später hörte Nick ein Knacken, dann wieder die Stimme des Einsatzleiters. »SPY, hörst du mich?«

»Ja«, antwortete Nick mit einiger Verzögerung leise. Den Decknamen durfte er seit seinem Einsatz in London tragen. Da der aber erst drei Monate her war, hatte er sich noch nicht wirklich daran gewöhnt, dass er im Einsatz so genannt wurde.

»Wir gehen jetzt rein. Du bleibst, wo du bist, bis ich mich wieder bei dir melde.«

»Aber ich könnte doch …«, setzte Nick an, wurde jedoch von Milchmann unterbrochen. »Du bist fünfzehn Jahre alt und noch in der Ausbildung. Du tust, was ich dir gesagt habe, und wartest. Ende.«

»Ich weiß ja, dass ich nur …«

»Das kannst du dir sparen«, hörte Nick nun Brunos Stimme. »Er hat dich abgeschaltet.«

Nick verkniff sich einen Fluch und beugte den Kopf ein kleines Stück vor. Der Glatzkopf stand noch immer am gleichen Platz. Er wollte sich schon wieder in die Nische drücken, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Ende des Gebäudes wahrnahm. Nick kniff die Augen zusammen und blickte angestrengt in die Richtung. Ohne Zweifel, es handelte sich um einen menschlichen Körper, der am Ende des Gebäudes so hinter einem Baum stand, dass Nick ihn von seiner Position aus zwar sehen konnte, jemand, der von vorne kam, aber wahrscheinlich nicht.

Er hatte keine Ahnung, wo der Mann hergekommen war, aber wahrscheinlich hatten die BND-Leute ihn noch nicht entdeckt. Und er trug ebenfalls ein Gewehr.

»Milchmann, hören Sie mich?«, zischte Nick aufgeregt mit gedämpfter Stimme.

»Nein«, antwortete Bruno. »Wie ich schon bemerkte, hat …«

»Ja, ja«, fiel Nick seinem CBPI ins Wort. »Verdammter Mist, was mache ich denn jetzt?«

Erneut lugte er um den Mauervorsprung. Der Kerl stand noch immer so, dass die Agenten ihn nicht sehen würden.

»Am besten das, was man dir gesagt hat: warten.«

Nick antwortete nicht, seine Gedanken überschlugen sich. Er hatte keine Möglichkeit, Milchmann zu warnen. Wenn die Agenten jetzt …

Ein kaum wahrnehmbares Plopp war von rechts zu hören, wo die BND-Männer sich hinter den Resten der ehemaligen Begrenzungsmauer des Fabrikgeländes versteckt hielten, dann brach der Türsteher lautlos zusammen, zuckte noch einmal mit den Beinen und blieb reglos liegen.

Elektrogeschoss, wusste Nick. Diese neu entwickelte Munition verletzte den Getroffenen nicht ernsthaft, versetzte ihm beim Auftreffen aber einen Stromschlag, der ihn sofort und für eine Weile außer Gefecht setzte. Was blieb, war ein blauer Fleck vom Aufprall des Geschosses.

Nick blickte zu dem Kerl hinter dem Baum hinüber, der das Zusammenbrechen des Türstehers ebenfalls gesehen hatte und das Gewehr in Anschlag brachte, während er sich dichter an den Baum drückte.

Gleichzeitig lösten sich von rechts mehrere Gestalten aus den Mauertrümmern und näherten sich in geduckter Haltung dem Gebäude. Sie sahen den Mann hinter dem Baum nicht, so viel war jetzt sicher. Nick spürte einen Anflug von Panik in sich aufsteigen, schaffte es aber, ihn zu unterdrücken. Er musste einen klaren Kopf bewahren, davon konnte jetzt nicht nur das Gelingen des Einsatzes abhängen, sondern auch das Leben der Agenten.

Wenn er die BND-Männer warnte, würde der Mann womöglich das Feuer eröffnen. Er hatte von seinem Platz aus freies Schussfeld. Die Agenten waren ungeschützt und hätten keine Chance, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen. Nein, das war keine Option. Es gab nur eine Möglichkeit, und er durfte keine Sekunde zögern.

Bis zum Ende des Gebäudes auf seiner Seite waren es nur wenige Meter. Nick verließ seine Deckung und lief dicht an der Mauer entlang, bis er um die Ecke schlüpfen konnte. Dann spurtete er los, lief seitlich an dem Gebäude entlang und gelangte schließlich zur Rückseite. Hier gab es keine Beleuchtung, aber der fast volle Mond spendete genügend Licht, sodass Nick halbwegs erkennen konnte, wohin er seine Füße setzte. Er hatte das Ende der Rückseite beinahe erreicht und näherte sich dem bewaffneten Mann somit von hinten, als er über einen am Boden liegenden Stein stolperte und fast gestürzt wäre. Im letzten Moment schaffte er es, sich an der Gebäudemauer abzustützen. Er konnte nur hoffen, dass der Kerl mit der Waffe die Geräusche nicht gehört hatte. Aber er hatte keine Zeit für solche Gedanken, jede Sekunde zählte.

Er stieß sich ab und lief weiter, bog mit Schwung um die Ecke und … stand vor dem Mann, der das Gewehr im Anschlag hatte. Die Mündung war auf Nicks Kopf gerichtet.

Noch während Nick vom eigenen Schwung getrieben einen letzten Schritt auf den Kerl zumachte, spürte er, dass sich etwas veränderte, und er wusste auch, was anders war.

Er war gesprungen. Dieses außergewöhnliche Phänomen, seine Begabung, war zum Glück zum richtigen Zeitpunkt aufgetreten. Noch immer verstand Nick nicht völlig, was genau passierte, wenn sein Körper in Gefahrensituationen im Bruchteil einer Sekunde ein Vielfaches der normalen Menge an Adrenalin produzierte und ihn damit befähigte, so schnell zu reagieren und zu denken, dass es für ihn den Anschein hatte, alles um ihn herum laufe in extremer Zeitlupe ab. Leider schaffte er es noch immer nicht, diesen Prozess bewusst einzuleiten oder zu steuern, was schon in so mancher Situation hilfreich gewesen wäre.

Auch jetzt bewegte sich der Mann vor ihm plötzlich so unglaublich langsam, dass Nick seine Bewegungen kaum wahrnehmen konnte, während er um ihn herumlief und einen orangengroßen Stein vom Boden aufhob. Nur kurz zögerte er, dann hob er die Hand mit dem Stein und ließ sie auf die Schulter des Mannes niedersausen. Dann beobachtete er gespannt, was geschah.

Er wusste, es würde eine Weile dauern, bis der Effekt eintrat. Erst begann sich das Gesicht des Kerls im Zeitlupentempo schmerzhaft zu verzerren, dann lösten seine Hände sich vom Gewehr. Alleine das dauerte für Nicks Gefühl mindestens zehn lange Sekunden, während für seinen Gegner nur ein kurzer Moment verging. Als die Waffe frei war und unendlich langsam in Richtung Boden fiel, griff Nick zu, machte zwei Schritte zurück, hob das Gewehr an und zielte auf den Mann.

Gerade noch rechtzeitig, denn nur wenige Wimpernschläge später fiel er zurück in die normale Zeit.

»Scheiße!«, stieß der Überrumpelte aus und hielt sich die rechte Schulter, während er Nick anstarrte, als wäre er ein Geist. »Wie … verdammt, was …?«

»Ruhig«, sagte Nick, noch immer etwas außer Atem. »Keinen Ton.«

Wutverzerrt starrte der Mann auf das Gewehr. »Du Knirps, ich werde …«

»Den Mund halten«, sagte Nick mit fester Stimme. In der nächsten Sekunde brach im Inneren des Gebäudes ein Tumult aus, wie durch ein glasloses Fenster gleich hinter Nick deutlich zu hören war. Männer schrien wild durcheinander, Gegenstände stürzten polternd um, ein einzelner Schuss fiel, dann hörte Nick die Stimme des Agenten, der sich Milchmann nannte. »Alle auf den Boden, Gesicht nach unten.«

2

»Also, junger Mann.« Milchmann schaltete den Motor aus und sah zu Nick herüber.

Sie standen am Eingang des Vergnügungsparks, der als Tarnung der Schule diente.

»Ich werde in meinem Bericht erwähnen, dass du durch dein Eingreifen eventuell einen Angriff auf uns verhindert hast.«

»Eventuell? Der Kerl hatte ein Gewehr. Und Sie haben ihn nicht …«

»Bringt man euch in der Schule nicht bei, dass ihr den Mund zu halten habt, wenn ein Vorgesetzter mit euch redet? Also noch einmal: Du hast vielleicht einen Angriff verhindert, aber du hast auch meinen klaren Befehl missachtet. Was der Direktor daraus macht, ist seine Sache.«

»Was man uns vor allem beibringt«, entgegnete Nick trotzig, »ist, dass wir im Einsatz stets füreinander verantwortlich sind und dass es unsere oberste Pflicht ist, das Leben Unschuldiger und das unserer Team-Mitglieder zu schützen, und genau das habe ich getan.«

Eine Weile sahen sie sich stumm in die Augen, und Nick zwang sich dazu, den Blick nicht abzuwenden. Schließlich verzog sich Milchmanns Mund zu einem schiefen Grinsen. »Courage hast du ja, das muss man dir lassen. Ich werde noch mal darüber nachdenken, wie ich den Bericht formuliere. Und jetzt raus mit dir.«

»Danke«, entgegnete Nick und stieg aus.

Am Eingang zum Vergnügungspark tat er so, als halte er eine Eintrittskarte vor den Sensor, mit dem das Drehkreuz entsperrt wurde, durch das man den Park betreten konnte. Dass es keine Karte war, sondern Bruno, der das elektronische Schloss entriegelte, würde ein Außenstehender nicht sehen können.

Er lief zwischen den Fahrgeschäften und Buden hindurch, bis er schließlich die Geisterbahn erreicht hatte. Über der massiven Eingangstür war auf einem Transparent in großen roten Lettern zu lesen, dass es sich um DAS GEISTERSCHLOSS handelte.

Nick öffnete die Tür, stieg fünf steinerne Stufen hinab und folgte dem schummrigen Gang, bis er zu einer Holztür gelangte, die mit handtellergroßen geschnitzten Quadraten verziert war und auf der ein Schild darauf hinwies, dass sie nur für Personal gedacht war.

Als er Bruno vor eines der Quadrate im oberen Bereich hielt, schwang die Tür auf und gab den Blick auf einen kurzen Gang und an dessen Ende auf die offene Kabine eines Aufzugs frei.

Als Nick etwas später die Kabine wieder verließ, befand er sich viele Meter unter der Erdoberfläche.

Obwohl er nun schon seit über drei Jahren in dieser besonderen Einrichtung des BND ausgebildet wurde, hatte das riesige unterirdische Gewölbe nichts von seiner Faszination eingebüßt. Dieses Mal kam er jedoch nicht dazu, seinen Blick über die Kuppelbauten wandern zu lassen, über die sich in mindestens zwanzig Metern Höhe eine blaue Decke spannte.

Petra und Paula, die Zwillinge, die ihn schon bei seiner allerersten Ankunft hier unten in Empfang genommen hatten, warteten wenige Meter vor dem Aufzug und sahen ihn mit ganz eigenartigen Blicken an. Wie immer trugen sie die gleichen Kleidungsstücke, an diesem Tag dunkle Jeans, rote Shirts und blaue Sneaker.

»Hey, ich habe wieder ein Empfangskomitee?«, versuchte Nick das ungute Gefühl zu überspielen, das plötzlich in ihm wuchs. »Das ist ja fast wie am ersten Tag.«

Hatte der Milchmann bei Direktor Faber angerufen und sich doch über ihn beschwert? Und das, obwohl er versprochen hatte, nochmal darüber nachzudenken? »Bekomme ich Ärger?«

»Hi«, sagten die beiden gleichzeitig, bevor Paula, die Nick lediglich anhand eines Leberfleckes am Hals von ihrer Schwester unterscheiden konnte, den Kopf schüttelte, sodass ihre schwarzen, zu einem Pagenkopf geschnittenen Haare flogen.

»Nein, keinen Ärger. Der Direktor hat uns geschickt, damit wir dich gleich zu ihm bringen.«

Ihre Schwester nickte. »Auf direktem Weg.«

Nick verstand kein Wort, doch das ungute Gefühl in ihm wurde rasend schnell größer. »Also doch Ärger?«

Paula legte ihm die Hand auf den Oberarm, eine für sie außergewöhnliche Geste. »Komm einfach mit.«

Im Vorzimmer des Direktors empfing ihn Carol mit einem Blick, der endgültig alle Alarmglocken in Nick zum Schwingen brachte. Er kannte die Siebzehnjährige gut genug, um gleich zu spüren, dass etwas Außergewöhnliches passiert sein musste.

»Was ist denn hier los?«, raunte er ihr zu, nachdem die Zwillinge mit einem Kopfnicken in Carols Richtung den Raum wieder verlassen hatten.

Sie stand auf. »Geh einfach zum Direktor rein und mach dich auf eine Überraschung gefasst.«

»Wieso? Was für eine …?«

Wie zuvor schon Paula legte Carol ihm eine Hand auf den Arm. »Komm.«

In ihrer Stimme schwang etwas mit, das Nick als Mitgefühl interpretierte. Aber … welchen Grund konnte sie dafür haben? Ihm wurde flau im Magen.

Nachdem sie angeklopft hatte, sah sie Nick noch einmal lange in die Augen, dann öffnete sie schließlich die Tür und machte einen Schritt zur Seite, sodass er das Büro betreten konnte.

Direktor Faber saß der Tür zugewandt in einem der schweren, ledernen Ohrensessel, von denen insgesamt vier Stück um einen niedrigen Tisch mit Marmorplatte gruppiert waren. Wie es schien, war er gerade in ein Gespräch mit jemandem vertieft, der ihm gegenübersaß, sodass Nick ihn hinter der hohen Rückenlehne des Sessels nicht sehen konnte. Faber erhob sich und kam ihm entgegen. »Ah, da bist du ja.« Er baute sich so vor Nick auf, dass der stehen bleiben musste und den Gesprächspartner noch immer nicht sehen konnte.

»Nick, während du im Einsatz warst, ist jemand hier eingetroffen, der … nun ja …« Der Direktor erschien nervös und fast ein wenig unbeholfen, was für ihn völlig untypisch war. So, wie plötzlich alle sich mit einem Mal untypisch oder seltsam verhielten.

Nick versuchte, an Faber vorbei einen Blick auf die Person im Sessel zu erhaschen, was ihm aber nicht gelang. Er fragte sich, was dieses Gehabe sollte, das plötzlich alle an den Tag legten.

Während Faber noch zu überlegen schien, was er Nick sagen sollte, entstand Bewegung hinter ihm. Das Leder des Sessels gab knarzende Geräusche von sich, als die Gestalt sich erhob. Noch immer konnte Nick nicht erkennen, um wen es sich handelte. Eine Hand legte sich von hinten auf die Schulter des Direktors, dann wurde er zur Seite gedrückt. Der Blick für Nick war frei.

Ohne sein bewusstes Zutun senkte sich sein Unterkiefer herab und ein seltsames Geräusch kam aus seinem Mund. Während Nicks Verstand noch ungläubig zu verstehen versuchte, hatte sein Herz schon längst begriffen, wer da vor ihm stand.

»Papa …« Es kam so leise, dass Nick nicht sicher war, ob er es wirklich ausgesprochen hatte. Aber das war auch egal. Alles war egal. Sein Vater lebte. Er war wieder da, und als er nun nickte und sein Mund sich zu einem warmen Lächeln verzog, gab es für Nick kein Halten mehr. Mit einem wilden Satz warf er sich gegen die Brust seines Vaters und umschloss ihn mit beiden Armen, so fest er nur konnte.

Eine Weile standen sie einfach nur so da. Eng umschlungen, stumm, bis sein Vater ihn sanft zurückdrückte und ihn von Kopf bis Fuß betrachtete. »Wie groß du geworden bist. Es tut gut, dich zu sehen, mein Sohn.«

So viele Dinge schossen auf einmal durch Nicks Kopf, dass er gar nicht wusste, womit er anfangen sollte. Sein Vater hatte sich in den letzten dreieinhalb Jahren verändert. Er war schmaler geworden, das Gesicht wirkte dadurch länger, fast ein wenig eingefallen.

»Wo warst du denn die ganze Zeit?« Es war die brennendste aller Fragen, doch statt seines Vaters antwortete Direktor Faber.

»Setzen wir uns, Nick, dann kann dein Vater dir erzählen, was du wissen möchtest.«

Während sie sich in die schweren Sessel sinken ließen, konnte Nick den Blick keine Sekunde von dem Mann abwenden, der ihm so vertraut und doch auch auf eine Weise fremd vorkam, die ihn verwirrte. Vielleicht lag das aber auch einfach daran, dass sie sich so lange nicht gesehen hatten.

Ben Nader nahm einen Schluck aus dem Glas, das vor ihm stand. Als er es wieder abstellte, bemerkte Nick, dass seine Hand ein wenig zitterte.

»Ich bin die ganze Zeit über auf einer Farm gefangen gehalten worden, die weit abgelegen von der nächsten menschlichen Ansiedlung liegt. Vor einer Woche konnte ich mich befreien.«

»Vor einer Woche?«, entfuhr es Nick.

»Ja. Die letzten Tage habe ich in der Zentrale verbracht. Ich hätte mich schon früher bei dir gemeldet, aber das Prozedere in einem solchen Fall verlangt, dass man erst einmal isoliert wird, bis alles berichtet ist.«

»Hm … Und wo liegt diese … Farm?«

Ben Naders Stimme senkte sich. »Weit weg. Dort hätte man mich niemals gefunden. Sie liegt mitten im Urwald in der Demokratischen Republik Kongo.«

»Kongo?« Nick dachte sofort an London und an Djuma Bangala, den Botschafter des afrikanischen Staates, den er dort kennengelernt hatte.

»Ja. Die Leute, die mich dort festhielten, gehören einer Organisation an, hinter der ich her war, als …«

»Victor Dragos Organisation?«, fragte Nick.

Ben Nader zog überrascht die Stirn kraus. »Stimmt, du kennst diesen Namen ja mittlerweile.«

»Ja, davon erzähle ich dir später. Warum hat Drago dich dort festgehalten? Und wieso bist du jetzt wieder frei?«

»Sie haben versucht, mich umzudrehen und mich dann gegen den BND einzusetzen.« Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Wie Martin.«

»Du weißt, was er getan hat und dass ich ihm in London begegnet bin?«, fragte Nick nur zum Teil überrascht. Davon hatte man seinem Vater sicher schon berichtet.

Nick hatte auch schon geahnt, dass sein Vater Martin schon vor seiner Gefangennahme nicht mehr vertraut hatte. Warum hätte sein letzter Anruf sonst Bob in London gegolten statt seinem Freund Martin?

»Ja. Ich hatte in unserer letzten gemeinsamen Zeit schon einen Verdacht, war mir aber nicht absolut sicher. Irgendwann im ersten Jahr in Afrika konnte ich ein Gespräch meiner Wächter belauschen und habe gehört, dass er sich hat kaufen lassen.« Nicks Vater machte eine Pause, in der seine Augen schimmerten. »Die Gier nach Geld und Macht … Er konnte wohl nicht widerstehen.«

»Da sind wir genau an dem Punkt, an dem wir eben unterbrochen wurden«, hakte Faber ein. »Lassen wir Martins Verrat mal außen vor. Wie ist es Ihnen gelungen, nach über drei Jahren zu fliehen?«

Ben Naders Blick richtete sich am Direktor vorbei und wurde gläsern. »Ich hatte großes Glück.« Nach einer Weile, in der sie sich anschwiegen, hob Faber die Schultern. »Was genau bedeutet das?«

»Ich musste in den letzten beiden Jahren einmal in der Woche zum Gespräch, wie sie es nannten. Das war nichts anderes als Gehirnwäsche. Ich wurde auf einem Stuhl angekettet, dann hat mir einer von Dragos Führungsleuten vorgebetet, wie korrupt alle Regierungen dieser Welt sind und wie sehr das Volk belogen und betrogen wird, damit die wenigen, die an der Macht sind, immer mächtiger und reicher werden.« Nun richteten sich die Augen von Nicks Vater wieder auf den Direktor. »Das alles wurde untermauert mit angeblichen Beweisen. Streng geheime Regierungsdokumente, Fotos, Filme … Sehr glaubhaft aufbereitet und dargestellt.«

Fabers Braue hob sich. »Glaubhaft?«

»Ja. Ein normaler Bürger hätte wahrscheinlich schon nach wenigen Wochen wutentbrannt die Seite gewechselt, so geschickt haben sie das gemacht. Hätte ich nicht während der Ausbildung gelernt, wie diese Organisationen arbeiten, wenn sie versuchen, jemanden umzudrehen, wäre ich vielleicht auch irgendwann eingeknickt.«

»Wie muss ich mir das vorstellen? Beschreiben Sie doch bitte genauer, was dort geschehen ist.«

Nicks Vater sah kurz zu ihm herüber, dann schüttelte er den Kopf. »Eigentlich wollten Sie doch wissen, wie ich entkommen bin. Alles andere hat noch Zeit.« Er nahm einen Schluck aus seinem Glas und räusperte sich. »Wie schon gesagt, hatte ich großes Glück. Anfangs haben sie mich immer zu zweit von meinem Zimmer in den Gesprächsraum und danach wieder zurückgebracht. In den letzten Monaten wurde ich nur noch von einem Mann begleitet. Ich hatte im Laufe der Zeit zum Schein hier und da zu erkennen gegeben, dass ich entsetzt war über die Wahrheit, die Dragos Leute mir vor Augen führten. Offenbar glaubten sie, dass ich im Begriff war, einzuknicken. Sie lockerten die Bedingungen meiner Gefangenschaft. Ich wurde zwar nach wie vor in mein Zimmer eingeschlossen, aber ich bekam sogar einen Fernseher, in dem den ganzen Tag Nachrichtensender liefen. Vieles von dem, was dort berichtet wurde, haben sie dann beim nächsten Gespräch als angebliche Propaganda entlarvt.« Er schüttelte den Kopf. »Aber ich schweife ab. Wie gesagt, ich hatte Glück. Als ich das letzte Mal in mein Zimmer zurückgebracht wurde, stand eine der Türen, an denen wir vorbeikamen und die normalerweise immer geschlossen waren, ein Stück weit offen. Durch den Spalt konnte ich nach draußen sehen. Mir war sofort klar, dass das eine Chance zur Flucht war, die ich wahrscheinlich nie wieder bekommen würde. Mein Begleiter war von meinem Angriff völlig überrascht. Ich konnte ihn überwältigen und fliehen.«

»Hat man dich denn nicht verfolgt?« Es war das erste Mal, seit sein Vater mit den Schilderungen begonnen hatte, dass Nick es wagte, etwas zu fragen.

»Doch, aber es dauerte ein paar Minuten, bis meine Flucht bemerkt wurde. Die Farm steht auf einer Lichtung und ist von dichtem Urwald umgeben. Als sie mit der Suche nach mir begannen, war ich schon von diesem grünen Irrgarten verschluckt.«

»Tja …« Faber betrachtete seine Fingerspitzen. »Da kann man wirklich von Glück reden.« Er ließ die Handflächen auf die Oberschenkel fallen und stand auf. »Ich denke, Sie beide werden sich viel zu erzählen haben. Allerdings werden die Kollegen von den Abteilungen Internationaler Terrorismus und Organisierte Kriminalität und eine Kollegin vom Inneren Dienst in etwa zwei Stunden eintreffen. Sie möchten sich noch mal mit Ihnen unterhalten. Nutzen Sie also die Zeit bis dahin.«

Nicks Vater, der ebenfalls aufgestanden war, verharrte inmitten der Bewegung und sah Faber skeptisch an. »Was wollen die denn schon wieder von mir? Und wieso kommen sie hierher? Ich war doch bis gestern noch bei ihnen in der Zentrale!«

Der Direktor winkte ab. »Das werden die Ihnen selbst erzählen. Jetzt genießen Sie die Zeit mit Ihrem Sohn.«

Während Nick gemeinsam mit seinem Vater den Raum verließ, beschlich ihn ein ganz seltsames Gefühl, ohne dass er hätte sagen können, was genau es auslöste.

3

Das Vorzimmer war leer, wahrscheinlich war Carol unterwegs, um etwas zu erledigen.

Nick konnte nicht anders, er musste seinen Vater immer wieder ansehen, während sie auf den Ausgang zusteuerten. Dabei fiel ihm der angespannte Ausdruck auf, der sich wie ein Schatten über das hagere Gesicht gelegt hatte. Vor dem Gebäude blieb Ben Nader stehen und sah sich um. »Seltsam, wie bekannt mir das alles noch vorkommt. Als hätte ich die Schule erst vor einer Woche verlassen.«

»Ich habe die Tafel mit deiner Punktzahl gesehen, als ich hier vor über drei Jahren angekommen bin«, sagte Nick, obwohl er viel lieber darüber geredet hätte, wie sehr er seinen Vater in der ganzen Zeit vermisst hatte. Wie viele Nächte er wach gelegen oder in quälenden Albträumen gesehen hatte, wie Ben Nader auf immer andere Weise ums Leben gekommen war. »Du warst Jahrgangsbester 1996 mit 1002 Punkten und hast das zweitbeste Ergebnis von allen geschafft, die jemals diese Schule abgeschlossen haben.«

Ein Lächeln vertrieb die Angespanntheit aus Ben Naders Gesicht. »Ja, Lea van Rouwen hat zwei Jahre vor mir 1007 Punkte erreicht. Sie war unglaublich gut. Gott, ist das lange her. Wenn ich darüber nachdenke, was in der Zwischenzeit alles geschehen ist … Aber sag, wo ist deine Unterkunft?«

»In der dritten Ebene.«

Sein Vater nickte. »U3 … Dort sind die Experts untergebracht.«

Experts waren die Schülerinnen und Schüler, die die Zwischenprüfung erfolgreich abgelegt hatten. Ihr Unterrichts- und Trainingsprogramm unterschied sich von dem der Rookies, der Anfänger, weil es praxisnaher war. Zudem nahmen Experts hier und da schon an realen Außeneinsätzen als Beobachter teil.

»Ja, ich wohne da, seit …«

»Ich hörte davon.« Er wandte sich Nick vollends zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Ich schlage vor, wir gehen in deine Unterkunft, und du erzählst mir von London. Und von allem anderen, was in den letzten Jahren passiert ist, in denen du von einem Kind zu einem jungen Mann geworden bist. Ich weiß, ich kann diese Zeit nicht nachholen, aber vielleicht kann ich so doch ein wenig daran teilhaben.«

»Wirst du mir dann auch erzählen, was du in dieser Zeit erlebt hast?«

Für einen kurzen Moment huschte wieder der Schatten über Ben Naders Gesicht, doch gleich darauf lächelte er. »Na klar. Also, lass uns gehen.«

Auf dem Weg zum Aufzug und in der Kabine erzählte Nick von seiner Ausbildung.

In seiner Unterkunft angekommen, sah sein Vater sich um. »Alles etwas moderner als damals bei uns. Aber die Zeiten ändern sich halt.« Dabei richtete sein Blick sich an Nick vorbei auf einen Punkt in der Unendlichkeit.

Nick beobachtete ihn ein paar Atemzüge lang und stellte erneut fest, dass sich etwas Unbekanntes in Ben Naders Wesen eingeschlichen hatte. Etwas Fremdes, eingefasst von einer Hülle aus Vertrautem.

»Erzählst du mir jetzt, was in den letzten drei Jahren geschehen ist?« Nick fragte es wie beiläufig, obwohl das genau die Frage war, die ihm wie nichts anderes unter den Nägeln brannte.

Der Blick seines Vaters richtete sich auf ihn, ohne dass Nick sicher war, dass er ihn auch tatsächlich ansah.

»Das werde ich, mein Sohn. Aber zuerst muss ich hören, was die Leute von der Inneren von mir wollen, die bald hier ankommen werden.«

»Ja, der Direktor sagte das ja schon. Wer sind die von der Inneren?«

»Das ist die Abteilung, die sich mit den Mitarbeitern befasst.« Als Nick ihn noch immer verständnislos anblickte, verzog sich Ben Naders Mund zu einem humorlosen Lächeln. »Die interne Polizei. Sie haben in den letzten Tagen versucht herauszufinden, ob ich denen irgendwelche Geheimnisse verraten habe. Oder ob sie es geschafft haben, mich umzudrehen.«

Und nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »So wie Martin.«

Nick zuckte innerlich zusammen und fragte sich, ob das mit der Erwähnung dieses Namens zusammenhing oder …

Die Hände seines Vaters legten sich auf Nicks Schultern. »Nick. Du hast mittlerweile ja erfahren, dass ich wollte, dass du diese Ausbildung machst. Ich habe recht früh entdeckt, dass du diese Begabung von mir geerbt hast. Nur dass sie bei dir schon als Kind viel ausgeprägter war, als sie es bei mir je sein wird. Ich dachte, wenn die Natur jemandem eine solche Gabe in die Wiege legt, dann hat das seinen Grund. Ich war überzeugt, dass diese Fähigkeit nicht nur ein Geschenk ist, sondern auch die Verpflichtung mit sich bringt, sie zum Wohle der Menschen einzusetzen.«

Sein Blick wurde wieder gläsern. »Vielleicht habe ich mich getäuscht.«

Nick riss die Augen auf. »Was? Aber … warum?«

»Später. Ich werde dir alles erklären.«

»Nick«, meldete sich Bruno. »Dein Vater soll ins Büro des Direktors kommen.«

»Du sollst zum Direktor«, gab Nick gehorsam weiter. »Wo ist eigentlich dein CBPI? Du hattest doch eins, oder?«

Dabei versuchte er, sich daran zu erinnern, ob ihm während ihrer kurzen gemeinsamen Aktivitäten einmal im Jahr das flache Armband am Handgelenk seines Vaters aufgefallen war, schalt sich aber gleich darauf einen Narren, weil er vergessen hatte, dass Agenten, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten, ihr Interface unter die Haut im Nacken implantiert bekamen.

»Du hast wohl vergessen …«, setzte Bruno auch gleich an, verstummte aber, als Nicks Vater sagte: »Sie haben es mir gleich am Anfang rausgeschnitten«, und sich abwandte.

»Warte hier auf mich. Wenn ich zurückkomme, werde ich dir alles erzählen, was du wissen möchtest.«

Er wandte sich ab, hielt aber nach zwei Schritten inne und drehte sich noch einmal zu Nick um. »Wir werden ein paar Tage irgendwohin fahren. So wie früher, nur du und ich, okay?«

»Ja«, antwortete Nick. »Sehr gerne.« Es waren nie nur du und ich gewesen, dachte er. Martin war doch immer dabei.

Nachdem die Tür sich hinter seinem Vater geschlossen hatte, ließ Nick sich auf sein Bett fallen und starrte durch das Glas des Kuppeldaches gegen die blaue Decke der Ebene, die sich etwa zwanzig Meter über ihm befand.

Was war nur los mit ihm? Sein Vater, von dem er nicht einmal sicher gewusst hatte, dass er überhaupt noch am Leben war, tauchte nach über drei Jahren wieder auf, und es ging ihm verhältnismäßig gut. Aber anstatt sich vorbehaltlos darüber zu freuen, anstatt vor Glück herumzuhüpfen und zu jubeln, verhielt er sich, als ob … ja, als ob was eigentlich?

Als ob dein Vater dir nicht die ganze Wahrheit erzählt, ergänzte eine Stimme in seinem Inneren. Sie klang leise, zischelnd wie eine hinterhältige Schlange, aber sie war da und sie kam aus ihm selbst. Aber er wird mir alles erzählen, wenn er zurückkommt, antwortete Nick gedanklich. Das hat er doch gesagt.

»Worüber grübelst du nach?«, riss Bruno ihn aus diesen Gedanken, als hätte er etwas gespürt, und Nick war ihm dankbar dafür.

»Ach, ich weiß nicht …«

»Das ist seltsam, um nicht zu sagen unmöglich. Da es deine eigenen Gedanken sind, musst du wissen, worüber du nachdenkst, denn es ist wissenschaftlich gesehen unmöglich, dass …«

»Ja, ja, ja, ist ja schon gut. Ich denke über meinen Vater nach, okay?«

»Das erscheint mir logisch, nachdem er nach so langer Zeit wieder aufgetaucht ist. Aber ich höre in deiner Stimme einen seltsamen Unterton. Worüber machst du dir Sorgen?«

»Ich weiß es nicht genau. Und sag mir jetzt bloß nicht, dass das unmöglich ist. Es ist so! Ich weiß es wirklich nicht.«

»Wenn du es sagst …«

Nick fragte sich, ob Computer in der Lage waren zu grummeln. Zumindest hörte sich das Geräusch, das anschließend aus dem winzigen Lautsprecher hinter Nicks Ohr kam, wie ein unzufriedenes Grummeln an. Aber was Bruno betraf, hatte Nick sich das Wundern mittlerweile sowieso abgewöhnt.

Irgendwann musste er eingeschlafen sein, denn als Bruno seinen Namen nannte, schrak Nick zusammen und sah sich verwirrt um, bis er sich wieder erinnerte.

»Nick?«

»Ja, ich bin wach. Was gibt’s?«

»Jetzt verlangt Direktor Faber nach dir.«

»Nach mir?«

»Das sagte ich doch gerade.«

Nick richtete sich auf und schüttelte die letzte Benommenheit von sich ab. »Was will Faber denn von mir?«

»Ich bin nun seit über drei Jahren mit deinem Nervensystem verbunden, kann also annehmen, dass du weißt, dass ich dir den Grund gesagt hätte, sofern er mir bekannt gewesen wäre. Da ich aber nichts dergleichen …«

»Bruno!«

»Ja?«

»Halte bitte dein geschwätziges Sprachmodul.«

Nick schwang die Beine aus dem Bett, verharrte einen Moment in dieser Position, dann stand er auf. Sein Vater war gerade bei Faber, und nun sollte er dazukommen. Was konnte das zu bedeuten haben? Nick verließ sein Zimmer und machte sich auf den Weg zum Aufzug. Ein flaues Gefühl zog in seinen Bauch ein. Schon wieder. Er hoffte, dass das kein Dauerzustand wurde.

Gab es etwas zwischen ihm und seinem Vater zu klären, bei dem der Direktor anwesend sein sollte? Blödsinn. Was sollte das denn sein? Nein, es musste mit der Befragung seines Vaters durch die Innere zu tun haben.

Mit etwas, was dabei herausgekommen war?