SRR - 86 - Herbert-Werner Mühlroth - E-Book

SRR - 86 E-Book

Herbert-Werner Mühlroth

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Beschreibung

Diese Aufzeichnungen sind 1986 während meiner gemeinsamen Reise mit meinem Freund Martin nach Rumänien entstanden. Aber auch meine Notizen von meiner ersten Reise nach Rumänien von 1985 und meine Reise von 1987 sind hier festgehalten, da sie zusammengenommen das Bild wiedergeben, das ich persönlich gewonnen habe. Es war dies 1986 nach meiner Flucht über die grüne Grenze von 1982 meine zweite Rückkehr in mein Geburtsland. Eine Woche lang verbrachten wir in Hatzfeld bei meinen Eltern und Freunden und danach fuhren wir mit dem Auto zwei Wochen lang quer durch das Land. Mehr als zwanzig Jahre nach dieser Reise durch Rumänien erfuhr ich, dass wir in diesen beiden Wochen die ganze Zeit von zwei Wagen der Securitate verfolgt wurden. Ich hatte dies auch zwei oder drei Mal vermutet. Diese Texte stellen keine Reisereportage dar und auch auf Vollständigkeit wird kein Wert gelegt, vielmehr sind die vorliegenden Aufzeichnungen spontane Notizen, und je nach Stimmungslage sind lyrische oder Prosatexte entstanden. Zahlreiche dieser Texte sind während der Autofahrt entstanden, weshalb ich meine Handschrift nur sehr schwer entziffern konnte. Nach unserer Rückkehr in die Bundesrepublik verblieb dieses Papierbündel in einer Briefmappe, die ich als Souvenir aus dem Hotel Intercontinental in Bukarest mitgenommen hatte. Gelegentlich warf ich mal einen Blick in diese Mappe. Insgeheim dachte ich, dass ich daraus mal ein Büchlein machen könnte, denn schließlich widerspiegelt sich darin die Agonie des damals real existierenden Sozialismus aus meiner ganz persönlichen Sichtweise. Ich schreckte jedoch vor der Schwierigkeit der Transkription zurück. Fast dreißig Jahre später digitalisierte ich einige Texte aus diesem Konvolut und veröffentlichte sie unter dem Titel "Reminiszenzen aus dem kommunistischen Rumänien" in meinem Essayband "Das Verheerende an Tirol". Anschließend fasste ich den Entschluss, nach und nach auch die restlichen Texte zu transkribieren. Jedes ernstgemeinte Buch kostet Herzblut und mit diesem Büchlein war es nicht anders. Es bestand auch die Gefahr, dass man authentisches Erleben durch das Einwirken der Erfahrung tunt. Ich habe peinlichst darauf geachtet, dass dies nicht geschieht. Diese Dokumente sind authentisch aus meiner persönlichen Sichtweise und liefern ein ebensolches Bild von dem Endstadium des Sozialismus in Rumänien.

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INHALT

Vorwort

Motto

Mein gesamter Widerwille gegen dieses irrsinnige System

Die Rückkehr 85

Zeigefinger

Zum Literaturunterricht in Rumänien

Kuttelsuppe

Auf dem Opernplatz in Temeswar

Gerade weil dies eine schlechte zeit für lyrik ist

Zwischenstation. Gespräch mit einer rumänischen Dichterin

Kirchenburg bei Hamruden

Standhafter baum

Unwiderruflich begraben

Kloster Curtea de Argeş

Hotel intercontinental

Langsam

Ruhepol

Schreiben ist das flüssige Element

Paßverlängerung

Ich erinnere mich

Im Garten

Prospektivität

Zurück von Rîmnicu Vîlcea über Horezu und Hobiţa nach Herkulesbad

Urlaub in meiner „Vergangenheit“

Warten auf die Telefonverbindung

Notizen von der nächsten Reise 1987

Der zweite Abschied

Diktator in der Streichholzschachtel

Gespräch mit Ovidiu Becea

Notwendige Reflexionen über mein Handballerdasein

VORWORT

Diese Aufzeichnungen sind 1986 während meiner gemeinsamen Reise mit meinem Freund Martin nach Rumänien entstanden. Aber auch meine Notizen von meiner ersten Reise nach Rumänien von 1985 und meine Reise von 1987 sind hier festgehalten, da sie zusammengenommen das Bild widergeben, das ich persönlich gewonnen habe. Es war dies 1986 nach meiner Flucht über die grüne Grenze von 1982 meine zweite Rückkehr in mein Geburtsland. Eine Woche lang verbrachten wir in Hatzfeld, bei meinen Eltern und Freunden, und danach fuhren wir mit dem Auto zwei Wochen lang quer durch das Land. Mehr als zwanzig Jahre nach dieser Reise durch Rumänien erfuhr ich, daß wir in diesen beiden Wochen die ganze Zeit von zwei Wagen der Securitate verfolgt wurden. Ich hatte dies auch zwei oder drei Mal vermutet.

Diese Texte stellen keine Reisereportage dar und auch auf Vollständigkeit wird kein Wert gelegt, vielmehr sind die vorliegenden Aufzeichnungen spontane Notizen, und je nach Stimmungslage sind lyrische oder Prosatexte entstanden. Zahlreiche dieser Texte sind während der Autofahrt entstanden, weshalb ich meine Handschrift nur sehr schwer entziffern konnte. Nach unserer Rückkehr in die Bundesrepublik verblieb dieses Papierbündel in einer Briefmappe, die ich als Souvenir aus dem Hotel Intercontinental in Bukarest mitgenommen hatte. Gelegentlich warf ich mal einen Blick in diese Mappe. Insgeheim dachte ich, daß ich daraus mal ein Büchlein machen könnte, denn schließlich widerspiegelt sich darin die Agonie des damals real existierenden Sozialismus aus meiner ganz persönlichen Sichtweise. Ich schreckte jedoch vor der Schwierigkeit der Transkription zurück. Fast dreißig Jahre später digitalisierte ich einige Texte aus diesem Konvolut und veröffentlichte sie unter dem Titel „Reminiszenzen aus dem kommunistischen Rumänien“ in meinem Essayband „Das Verhehrende an Tirol“. Anschließend faßte ich den Entschluß, nach und nach auch die restlichen Texte zu transkribieren.

Jedes ernstgemeinte Buch kostet Herzblut und mit diesem Büchlein war es nicht anders. Es bestand auch die Gefahr, daß man authentisches Erleben durch das Einwirken der Erfahrung tunt. Ich habe peinlichst darauf geachtet, daß dies nicht geschieht. Diese Dokumente sind authentisch aus meiner persönlichen Sichtweise und liefern ein ebensolches Bild von dem Endstadium des Sozialismus in Rumänien.

In dieser grauenvollen „Epoche des Lichts“ gab es sehr, sehr wenige Menschen, die den Heranwachsenden Orientierung geboten und Werte vermittelt haben. Der Band findet seinen Abschluß mit einer Hommage an einen damals für mich sehr wertvollen Menschen: Meinen Handballtrainer Ovidiu Becea sowie den Notwendigen Reflexionen über mein Handballerdasein..

MOTTO

Mit Joe Cocker und Franz Storch

Zwischenstation in Rumänien

You´re feeling all right? – Yeah!

in Sinaia speisten wir ausgiebig

worauf ich alles auskotzte

und wir zahlten viel zu viel dafür

war mir egal

der Schwarztauschkurs war gut

und hier fanden wir zum ersten Mal

ausländische Zigaretten im Intershop

mit dem schnellen Auto

durch die Gegend

fluchend über die unbeleuchteten Pferdewagen

von Kloster zu Kloster hetzend

doch lange kann man es hier nicht aushalten

bei diesem schlechten Essen

schade

um so ein schönes Land

MEIN GESAMTER WIDERWILLE GEGEN DIESES IRRSINNIGE SYSTEM

„Genosse Nicolae Ceauşescu, Vorsitzender des ZK der RKP und Präsident der SRR“ – derart präsentierten die Zeitungen in Rumänien jeden Tag ihre Nachrichten. Dies weiß ich noch genau, denn mein damaliger Klassenlehrer hatte mir als Strafe aufgetragen, einen Holzrahmen zu bauen, mit rotem Tuch zu bespannen und für die Dauer eines Jahres mußte ich täglich die „Rede des Genossen Nicolae Ceauşescu, Vorsitzender des ZK der RKP und Präsident der SRR“ ausschneiden und auf das rote Tuch des Rahmens pinnen. Ich empfand dies als harte Bestrafung, gleichzeitig fragte ich mich selbst aber auch über die seltsame Motivation meines damaligen Klassenlehrers. Die deutsche Ausgabe der Tageszeitung bestand in der Regel aus vier Seiten. Ceauşescus Heldentaten haben davon stets drei Seiten beansprucht. Ich habe den Titel „SRR -86“ für meine Aufzeichnungen gewählt, da ich auf der einen Seite sehr unter diesem schwachsinnigen Brimbamborium einer zum Untergang verdammten Diktatur gelitten habe, zum anderen aber, weil in mir der gesunde Menschenverstand und das Urteilsvermögen überlebt haben, damit ich diese diktatorische, unmenschliche Anmaßung des Schusterlehrlings Ceauşescu, ein ganzes Land zu unterjochen, auf das Äußerste verdammen kann. Und mit ihm auch alle seine Adlati, die uns das Leben schwer gemacht haben in diesem Land und die sich im Nachhinein reinwaschen möchten und uns weismachen möchten, daß sie unschuldig sind. Zum Anderen habe ich meine Abrechnung mit diesen Zuständen am deutlichsten 1986 auf meiner Reise durch dieses Land formuliert. Was war dies doch für ein Scheiß-Land, in dem ich als Angehöriger der „mitbeiwohnenden Nationalität“ nicht die gleichen Rechte wie die Rumänen hatte. Ich habe den Eingriff des Securitate-Offiziers tatsächlich als Rettung empfunden, denn ich spürte, daß ich unter meinem Klassenlehrer untergehen würde, der uns derart getriezt hatte, daß nur eine absolute Minderheit es bis zur Universität geschafft hat. Das Potential aller anderen wurde verschleudert, geopfert dem Stumpfsinn des Klassenlehrers, der in keiner Weise darauf Rücksicht genommen hat, daß dieses System zerstörerisch auf die Menschen wirkt, um wieviel mehr auf die Heranwachsenden. Wer derart unterjocht wurde, vergißt weder die Täter noch die Taten, die ihm angetan wurden.

„Genosse Nicolae Ceauşescu, Vorsitzender des ZK der RKP und Präsident der SRR“ – in dieser Formulierung drückt sich mein gesamter Widerwille gegen dieses irrsinnige System aus. Der Vollpfosten Ceauşescu hat es geschafft, ein ganzes Land zu unterjochen und zu zerstören - und dies nur in 25 Jahren! Ich empfinde Scham dafür, daß dies möglich gewesen ist, wiewohl ich dafür eigentlich nichts kann. Dennoch ist es erbärmlich, daß ein solcher Trottel Geschichte geschrieben hat, indem er diktatorisch unglaubliche Schuld auf sich geladen hat. „DU Vollpfosten, Ceauşescu, du bist viel zu blöd, um deine unermessliche Schuld zu erkennen!“ – Was für ein Land.

DIE RÜCKKEHR 85

1985, dreieinhalb Jahre nach meiner Flucht, durfte ich zum ersten Mal Rumänien besuchen. Ich hatte die rumänische Staatsbürgerschaft abbezahlt. Bereits ein Jahr davor erging eine Amnestie und meine Verurteilung zu zwei Jahren Gefängnis wurde aufgehoben.

Meine Freundin T. und ich reisten nicht bei Hatzfeld ein, sondern machten den Umweg über Stamora-Moraviţa, da ich den Zorn der Hatzfelder Grenzsoldaten nicht unnötig schüren wollte, die es wohl als eine persönliche Niederlage ansahen, wenn jemandem die Flucht über die grüne Grenze in ihrem „Zuständigkeitsbereich“ gelungen ist.

Meine Hoffnung, beim Grenzübergang so wenig Aufsehen wie möglich zu erregen, wurde nach nur kurzer Zeit zerstoben. In Stamora-Moraviţa wußte man sofort, daß ich 1982 über Hatzfeld mit dem Güterzug geflüchtet bin. Wir mußten das Auto an der Seite abstellen und man begann sofort damit, es gründlich zu untersuchen. Teile davon wurden abmontiert, das volle Programm. Dann wurde ich in barschem Tonfall in ein kleines Wärterhäuschen zitiert, während T. kaum beachtet wurde. Der Grenzsoldat stand vor mir und ich mußte die Hände hochnehmen. Eine dritte Person hätte darin keinen Platz mehr gehabt.

Ich hatte mit voller Absicht die gleiche Jacke aus Zeltstoff getragen, mein Freund Petrică hatte diese Jacken extra für sich und mich genäht und wir trugen diese auch bei unserer Flucht. Die Jacke hatte großzügige Brusttaschen, weil wir darin unsere wenigen Sachen verstaut haben, die wir mitgenommen haben. Aus meinen Brusttaschen zog der Grenzsoldat einen Haufen Präservative. Ceauşescu hatte zu dieser Zeit Abtreibungen, ja Verhütung verboten. Der Grenzsoldat fragte mich sodann, was ich mit den Präservativen vorhabe. Ich antwortete, diese seien für meine Freunde, sie hatten mich gebeten, daß ich ihnen welche mitbringe.

Der Grenzsoldat komplimentierte mich unter schweren Vorwürfen wieder hinaus. Ich ging zu dem Wagen, öffnete die Beifahrertür und streckte ihm eine großzügig gepackte Einkaufstüte entgegen, welche Kaffee der Marke Jacobs, eine Zigarettenstange Kent, Milka-Schokolade, Margarine der Marke Rama, Milchpulver und den einen oder anderen Schein in Valuta enthielt. Immerhin ließ dies den Grenzsoldaten über diese meine antisozialistische Ordnungswidrigkeit mit den Präservativen hinwegsehen. Er nahm die Tüte schweigend an sich und stellte sie zur Seite. Dann trat er brüsk an mich heran und drohte mir mit dem Zeigefinger, den er hin und her wippte:

Ich hoffe, Du machst keine Dummheiten!

Habe ich nicht vor, antwortete ich.

Das will ich hoffen, denn Du weißt, es kann ganz schnell ein Autounfall geschehen!

ZEIGEFINGER

Nachdem die Wiedersehensfreude sich gelegt hatte – sie war groß, denn ich war mir vor meiner Flucht ja nicht sicher, ob ich sie erleben würde – ging ich zuallererst auf den Dachboden, wohin meine Eltern meine Schulsachen verfrachtet hatten und ich blätterte gedankenverloren in den Büchern und Heften. Es war, als ob sich für mich ein Kreis geschlossen hätte. Ich fand damals auch Nikolaus Berwangers Gedichtband „letschte hopsapolka“, über den ich unmittelbar danach den Text „Dennoch die Schwerter halten“. Leseerfahrung mit Nikolaus Berwangers „letschte hopsepolka", geschrieben habe, der zwei Jahre später in der „Banatica“ veröffentlicht wurde.

Das Interessanteste für mich waren dennoch die Notizen und Zeichnungen in meinen Heften, die in meiner Zeit in Rumänien während des Unterrichts entstanden waren. In einem Deutschheft der siebten Klasse fand ich eine Notiz, in kleiner, enger Schrift und in Kleinbuchstaben geschrieben:

was wir erwarteten waren

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