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Ein Thriller in Israels Schattenwelt der Flüchtlinge Tel Aviv: Eine Frau wird ermordet aufgefunden. Sie war Mitarbeiterin einer NGO, die sich um afrikanische Flüchtlinge kümmert. Kurz darauf scheint der Fall schon gelöst – der Eritreer Gabriel meldet sich bei der Polizei und gesteht den Mord. Doch die Ermittlerin Anat Nachmias hat Zweifel an seiner Schuld. Sie wendet sich an den Leiter der NGO und bittet ihn um Hilfe. So taucht sie in die Schattenwelt der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer Israels ein und muss sich dem ungeheuren Elend dieser Menschen stellen. Anat findet schließlich heraus, dass Gabriel Geld für sein Geständnis erhalten hat. Er wollte seine Schwester aus den Fängen von Schleppern befreien. Drahtzieher in dieser Sache scheint die Mafia zu sein. Doch die Spuren führen noch weiter – bis in die Reihen von Polizei und Justiz …
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Seitenzahl: 484
Tel Aviv: Eine Frau wird ermordet aufgefunden. Sie war Mitarbeiterin einer NGO, die sich um afrikanische Flüchtlinge kümmert. Kurz darauf scheint der Fall schon gelöst – der Eritreer Gabriel meldet sich bei der Polizei und gesteht den Mord. Doch die Ermittlerin Anat Nachmias hat Zweifel an seiner Schuld. Sie wendet sich an den Leiter der NGO und bittet ihn um Hilfe. So taucht sie in die Schattenwelt der Flüchtlinge und illegalen Einwanderer Israels ein und muss sich dem ungeheuren Elend dieser Menschen stellen. Anat findet schließlich heraus, dass Gabriel Geld für sein Geständnis erhalten hat. Er wollte seine Schwester aus den Fängen von Schleppern befreien. Drahtzieher in dieser Sache scheint die Mafia zu sein. Doch die Spuren führen noch weiter – bis in die Reihen von Polizei und Justiz …
Liad Shoham ist Schriftsteller und praktizierender Anwalt. Er ist einer der führenden Thriller-Autoren Israels, alle bislang veröffentlichten Bücher wurden zu Nr.1-Bestsellern. Im DuMont Buchverlag erschien ›Tag der Vergeltung‹ (2013). Liad Shoham lebt mit seiner Frau und zwei Kindern in Tel Aviv.
LIAD SHOHAM
STADT DER VERLORENEN
ROMAN
Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch
Von Liad Shoham ist im DuMont Buchverlag außerdem erschienen:
Tag der Vergeltung
Vollständige eBook-Ausgabe der im DuMont Buchverlag erschienenen Taschenbuchausgabe
Erste Auflage 2015
© 2015 DuMont Buchverlag, Köln
Alle Rechte vorbehalten
© 2013 Liad Shoham
Die hebräische Originalausgabe erschien 2013 unter dem Titel ›Ir Miklat‹ bei Kinneret Zmora-Bitan Dvir, Or Yehuda
© 2015 für die deutsche Ausgabe: DuMont Buchverlag, Köln
Umschlag: Lübbeke Naumann Thoben, Köln
Umschlagabbildung: © Petek ARICI / Gettyimages
eBook-Konvertierung: CPI books GmbH, Leck
ISBN eBook: 978-3-8321-8830-6
www.dumont-buchverlag.de
Die Handlung und die Figuren dieses Buches sowie ihre Namen sind vom Autor frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit real existierenden oder verstorbenen Personen und deren Namen oder wahren Ereignissen wäre rein zufällig.
Für meine Eltern, Chaja und Avi Shoham
1
◊ ◊ ◊
Eine kalte Brise schlug Michal Poleg ins Gesicht, als sie im Norden von Tel Aviv aus dem Sammeltaxi stieg. Sie schlang ihre Windjacke enger um sich. Wie immer hatte sie sich nicht warm genug angezogen und – wie immer – keinen Regenschirm dabei. Zum Glück war der »Sturm«, den der Nachrichtensprecher in dramatischem Ton angekündigt hatte, ausgeblieben und es regnete nicht. So war das hier ja immer, ging es ihr durch den Kopf: Aus ein paar Regentropfen machte man gleich einen Sturm, aber die eigentlichen Stürme, die wirklich wichtigen Dinge, verdrängte man einfach. Vor dem Scherut, das sie gerade verlassen hatte, hielt ein weißer Wagen, aus dem ein Mann in einem schwarzen Ledermantel stieg und sie aus dem Augenwinkel anblickte.
Sie machte sich schnellen Schrittes auf den Weg über den Milano-Platz in Richtung Yehuda Hamaccabi. In fünf Minuten würde sie zu Hause sein. Sie hatte einen harten Tag hinter sich. Seit nunmehr über einem Jahr arbeitete sie als Freiwillige bei ASSAL, einer Flüchtlingsorganisation. Freitags war das Büro normalerweise bis 17Uhr geöffnet, doch an kalten, regnerischen Tagen wie diesem war der Andrang häufig so groß, dass sie Überstunden einlegten. Bei einer Organisation wie ASSAL gab es keine »normalen« Arbeitstage. Sie mussten für all jene, die kein Dach über den Kopf hatten – und davon gab es viele –, eine Lösung finden, auch wenn ihre Hilfe nur einem Tropfen auf den heißen Stein glich.
Es machte ihr etwas zu schaffen. In letzter Zeit hatte sie das Gefühl, im Krebsgang zu gehen, so wie in ihrer Anfangszeit. Die raue Schale, die sie sich zugelegt hatte, die Barrieren, die sie um sich errichtet hatte, bröckelten. An ihren ersten Arbeitstagen hatten die Schicksale, die ihr zu Ohren kamen, sie mit sperrangelweitem Mund dasitzen lassen, sie hatte nicht gewusst, wie sie darauf reagieren sollte. Sie war nach Hause gegangen, hatte sich auf die Couch gelegt, sich eine Tüte Tiefkühlgemüse auf die Stirn gepackt und an die Decke gestarrt – ohne die geringste Ahnung zu haben, wie sie das Gehörte verarbeiten sollte. Sie schien im Dunkeln zu tappen, an einen fremden Ort, einen anderen Planeten verschlagen worden zu sein, dessen Gesetze sie nicht verstand. Mit der Zeit hatte sie gelernt, die richtigen Worte zu finden, wie und wo sie helfen konnte und wo nicht, und vor allem: zuzuhören. Letzteres verdankte sie Hagos, dem Dolmetscher der Organisation. Er hatte ihr beigebracht, dass im Schweigen eine stille Kraft lag, dass es zuweilen hilfreicher war, den Leuten zuzuhören, als lauthals gen Himmel zu schreien. Obwohl ihr momentan durchaus danach zumute war, lauthals gen Himmel zu schreien, denn Hagos war, seiner Kraft und Stille zum Trotz, des Landes verwiesen und in den verfluchten Staat zurückgeschickt worden, dem er entflohen war. Dort war er hingerichtet worden, genauso, wie sie es befürchtet hatte.
Sie hatte genug. Genug von dieser Ohnmacht, ihrem Unvermögen, die Dinge ändern zu können! Sie wollte mehr tun als einfach nur zuhören. Einen wirklichen Wandel in Gang setzen, statt nur Brände zu löschen. Daher hatte sie vor einigen Tagen beschlossen, bei der Rechtsanwaltskammer Anzeige gegen den Staatsanwalt Jariv Ninio zu erstatten. Die falsche Schlange hatte das Gutachten des Außenministeriums, das Hagos’ Leben hätte retten können, dem Gericht einfach vorenthalten. Sie konnte sich nicht zurücklehnen und tun, als sei nichts geschehen. Sie war zum Handeln gezwungen – auch wenn Itai dagegen war.
Beim Überqueren des Platzes bemerkte sie, dass der Mann im Ledermantel hinter ihr ging. Ihre Schritte hallten auf dem Karree, das wegen des »Sturms« und der späten Stunde wie leergefegt war.
Für die Menschen, die sie betreute, musste sie hundertprozentig bei der Sache sein, sich ihren Anliegen widmen. War sie angespannt, blieb das keinem verborgen. Seit Hagos nicht mehr da war, hatte sie keinen zum Reden. Itai war zu beschäftigt, und in letzter Zeit mündete ohnehin jedes ihrer Gespräche in einer Auseinandersetzung. Mit Aramei, dem zweiten und nun einzigen Dolmetscher, fiel es ihr schwer, zu reden. Sie wusste, dass er sich für die Menschen, die sie aufsuchten, enorm engagierte. Aber sie fühlte sich in seiner Gegenwart stets schuldig, als wären die Notlagen der Flüchtlinge ihr Werk. In seinen Augen, glaubte sie, diente sie lediglich der Regierung: Sie war wohlhabend, weiß und handelte von oben herab.
Sie warf einen Blick nach hinten. Kaum zwei Meter trennten sie und diesen Mann, der ihr jetzt mit unbewegter Miene in die Augen sah. Ausgerechnet hier, in einem der ältesten und vermeintlich sichersten Viertel von Tel Aviv, bekam sie plötzlich Angst. In den heruntergekommenen Gassen um den alten Busbahnhof herum, wo viele der Flüchtlinge lebten, bewegte sie sich hingegen stets frei, ohne Furcht. Die Leute wollten das einfach nicht kapieren. Rassismus und Vorurteile waren zu tief in den Menschen verwurzelt und wurden vom Staat und diesem grässlichen Knesseth-Abgeordneten, Ehud Regev, mit einer ununterbrochenen Hetzkampagne gegen die »gefährlichen Flüchtlinge«, die »alkoholabhängig« und »gewalttätig« seien und »Seuchen« ins Land bringen würden, noch geschürt. Wie sollte man denen begreiflich machen, dass es sich um Menschen handelte, die von einem normalen, ruhigen Leben träumten, die ihr Zuhause und ihre Heimat nicht zuletzt verlassen hatten, um der Gewalt zu entkommen?
Sie legte noch einen Schritt zu, versuchte, den Mann, der sich an ihre Fersen geheftet hatte, auf Abstand zu bringen. Womöglich war sie paranoid und täuschte sich? Sie bog rechts in eine kleine Straße ein, um der Sache auf den Grund zu gehen. Vor ihr lag das Gebäude der Poliklinik, sämtliche Fenster waren dunkel. Der Kindergarten, wo es vormittags rappelvoll war und die kleinen Kinder des Viertels und ihre Betreuerinnen umherrannten, wirkte verlassen. Der Wind bewegte die Schaukel hin und her, hin und her. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht. Der Mann verfolgte sie. Sie hörte seine Schritte näherkommen.
In der Welt, in der sie lebte, gab es zwei Sorten von Israelis: die einen versuchten zu helfen und Gutes zu tun, und die anderen trachteten danach, Schaden anzurichten, Leute auszunutzen und zu unterdrücken. In einer extremen Lebenswirklichkeit wie dieser gab es keine Zwischenstufen. Nur Engel und Teufel. Sie hatte keine Zweifel darüber, zu welcher Kategorie ihr Verfolger gehörte.
Sie lief noch schneller. Ihre Bluse klebte auf der Haut, war schweißdurchtränkt. Keine Spur mehr von Kälte. Sie war außer sich – was sollte sie jetzt machen? Es war ein Fehler gewesen, in diese kleine Straße einzubiegen. Wieso war sie auf diesen Unsinn verfallen?
Obwohl sie diesen Mann im Ledermantel noch nie im Leben gesehen hatte, war ihr klar, dass ihn die Leute geschickt hatten, mit denen sie sich vorgestern in der Gegend des alten Busbahnhofs angelegt hatte. Hagos hatte ihr ausdrücklich geraten, sich mit denen nicht einzulassen, doch sie konnte nun mal nicht aus ihrer Haut. Oder, wie ihre Mutter stets mit einem tiefen Seufzer sagte: »Meine Michali hat ein ausgeprägtes Talent, sich in Schwierigkeiten zu bringen.«
Bereits vor zwei Monaten hatte sie sich bei der Polizei an das Dezernat für Wirtschaftskriminalität gewandt. Es war ihre erste Aktion nach Hagos’ Abschiebung gewesen. Sie hatte weitergegeben, was Hagos ihr über den »Banker« berichtet hatte. Es war ihr sogar gelungen, diesen Mann zu fotografieren, als er aus einem der Restaurants in der Fuenn-Straße gekommen war. Dieses Foto hatte sie der Polizei übergeben.
Daraufhin war nichts, absolut gar nichts geschehen. Der »Banker«, dessen Name sie noch nicht herausgefunden hatte, trieb sich weiterhin ungehindert am Busbahnhof herum. Als er ihr dort vorgestern erneut aufgefallen war, hatte sie die Beherrschung verloren. Sie war gerade aus dem Frauenhaus in der Newe Scha’anan gekommen, welches bei ihr immer einen deprimierenden Eindruck hinterließ, und hatte gesehen, wie er sich in seinem Maßanzug vor den Flüchtlingen in Szene setzte, als wäre er Justitia persönlich. Sie war auf ihn zumarschiert und hatte ihn auf offener Straße angeschrien: Er sei ein erpresserisches Miststück, ein widerwärtiger Verbrecher, der mit seinem Geld Vergewaltigungen, Schmuggel, Folter und Sklaverei finanziere. Es hatte sie nicht gekümmert, dass die Frauen aus dem Haus alle verängstigt aus den Fenstern spähten. Er hatte sie mit einem Blick bedacht, in dem Beunruhigung und Erstaunen lagen. Für einen Moment hatte sie sogar geglaubt, er wäre drauf und dran, etwas zu erwidern. Doch bevor es dazu kam, packten zwei Hünengestalten, offenbar seine Bodyguards, sie an den Armen und schafften sie ihm, nicht gerade zärtlich, vom Hals. Der »Banker« verschwand in den Gassen, gab Fersengeld wie ein Feldhase. Seine Hooligans ließen von ihr ab und kehrten ihr den Rücken. Sie gab nicht auf und lief ihnen nach, ging auf sie los: »Ihr Mistkerle, ihr verdammten Scheißkerle, ihr erpresserischen Schweine!« Verblüfft sahen die Passanten sie an. »Für wen arbeitet ihr? Wem liefert ihr das Geld?«, rief sie. Ihr war klar, dass diese beiden und der »Banker« nur kleine Glieder einer Kette waren. Hinter dem Ganzen stand jemand, der über große Macht verfügte, garantiert eine große kriminelle Organisation, die ihre Krakenarme ausstreckte, um zu zerstören, zu vernichten, auszuplündern, auszubeuten. Sie ließen sie schreien, setzten ihr nichts entgegen. An der nächsten Straßenecke hielt neben ihnen ein Wagen, und sie stiegen ein.
So lief das eben. Verweigerte der Staat entscheidende Dienstleistungen, entstand ein Vakuum. Und in diesem Vakuum machte sich jede Menge Abschaum breit. Menschen ohne Arbeit griffen zu Alkohol und Drogen. War eine Abtreibung offiziell nicht möglich, wurde sie illegal durchgeführt. Und wenn es einem verwehrt wurde, ein Konto zu eröffnen, um Geld zu deponieren und es rechtmäßig zu transferieren, wandte man sich an eine »unabhängige« Bank, die mit diesem Geschäft Millionen machte. Den Flüchtlingen blieb keine Wahl. Sie konnten ihren Besitz nicht den ganzen Tag bei sich tragen, sie brauchten kleine Darlehen, um zu überleben, und Wege, um das Geld ihren Familien in Afrika zukommen zu lassen. So kam es, dass ein Staat, der wegsah, nichts davon wissen wollte, rücksichtslose Leute gewähren ließ, die die Schwachen, die ohnehin nichts hatten, ausnutzten.
Sie hatte sehr wohl gewusst, dass sie mit ihrem Geschrei nichts erreichen würde. Der »Banker« würde weiterhin Geld kassieren, und die Flüchtlinge würden weiterhin Wucherzinsen zahlen. Immerhin wussten sie nun, dass jemand sie im Auge hatte, sie nicht reibungslos ihr Unwesen treiben konnten, dass es jemandem nicht egal war, was sie anrichteten. Mit dieser Tat, so war ihr Empfinden, verlieh sie Hagos’ Tod eine gewisse Bedeutung, leistete vielleicht sogar Sühne dafür, dass sie seine Abschiebung nicht hatte verhindern können. Hagos war zwar von ihrem Vorhaben, sich mit dem »Banker« anzulegen, nicht begeistert gewesen, doch dies hatte sicherlich an seiner Angst gelegen, an dem lausigen Status, den der Staat Menschen wie ihm zuwies.
Wieder drehte sie sich um. Der Mann klebte an ihren Fersen, sah sie unumwunden an. Es kümmerte ihn nicht, dass sie sein Gesicht erkennen konnte – sie hatte begriffen. Er schien regelrecht zu wollen, dass sie es sah. Schlagartig begann sie zu rennen. Erst langsam, dann zügig. Sie hörte, dass er ebenfalls einen Gang zulegte. Er rannte. Der Hall seiner Schritte ging ihr durch Mark und Bein.
Sie durfte keine Angst haben, und vor allem: Sie durfte ihnen nicht zeigen, dass sie Angst hatte.
»Was wollen Sie?« Abrupt blieb sie stehen, drehte sich zu ihm um, schwer atmend.
Er verharrte und sah sie schweigend an. Kein Mensch war weit und breit zu sehen. Eine Katze jaulte, Michal zuckte zusammen.
»Warum verfolgen Sie mich?«, fragte sie, spürte ihren trockenen Mund.
Er rührte sich nicht, sein Blick war völlig ausdruckslos.
»Für wen arbeiten Sie?« Sie ließ nicht locker.
Ihr Atem wollte sich nicht beruhigen. Sein Schweigen war beängstigend.
Schritte am anderen Ende der Straße – sie drehte den Kopf. Ein zweiter Mann, der dem anderen wie ein Zwilling glich, auch er in schwarzem Ledermantel, steuerte auf sie zu. Sie saß in der Klemme, wusste nicht wohin. Ihr Herz schlug wie wild. Sie musste etwas tun – jetzt! »Was wollt ihr von mir?«, fragte sie. Diesmal konnte sie das Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. Es würde ihr nichts ausmachen, ihr Leben für etwas Bedeutendes zu opfern. Aber nicht so! Ohne etwas erreicht zu haben, zu einem Zeitpunkt, da alles noch in der Luft hing.
Der erste Mann kam auf sie zu. Sie wollte schreien, doch sie brachte keinen Laut hervor, ihre Beine waren schwer wie Blei. Sie war vor Angst gelähmt. Warum hatte sie es ihnen dermaßen leicht gemacht und war in diese kleine Gasse eingebogen?
Als er knapp einen Meter vor ihr stehen blieb, wusste sie, dass er gleich zuschlagen würde. Sie hob den Arm, um den Hieb abzuwehren, doch er war schneller, packte ihren Arm und drehte ihn im Nu nach hinten. Ein Tritt in ihre Knie und sie ging zu Boden. Es tat furchtbar weh. Sie stöhnte auf, aber die Männer waren mit ihr noch nicht fertig. Ein Schlag in den Nacken und sie landete mit dem Kopf auf dem kalten Asphalt. Blut rann ihr in Mund und Nase. Einer der Männer drehte sie um, nahm auf ihr Platz, drückte ihr mit einer Hand die Kehle zu und brachte sein Gesicht ganz nah an ihres. Sein Parfüm war so stark, dass sie Brechreiz überkam. Sie wollte ihm einen Tritt versetzen, sich von ihm freimachen, doch sie hatte nicht die geringste Chance. Sie wollte nicht sterben. Nicht hier. Nicht jetzt. Nicht so.
2
◊ ◊ ◊
Itai Fischer gab sein Mietfahrrad an der Verleihstation nebem dem Habimah-Theater zurück. »Tu mir einen Gefallen und lass es mindestens einen halben Kilometer vor ihrer Wohnung stehen«, hatte Roni ihn gestern am Telefon instruiert, »damit du nicht keuchend und schweißtriefend bei ihr eintriffst. Überhaupt solltest du ihr die Tatsache, dass du auf Mieträdern unterwegs bist und kein Auto hast, erst einmal ersparen. Wenn sie wissen will, wie du zu ihr gekommen bist und wo du einen Parkplatz gefunden hast, wechselst du am besten gleich das Thema, oder du sagst, dass du in der Nähe wohnst. Und vor allem: Rede keinen Schwachsinn, fang bloß nicht an, von Umweltverschmutzung, umweltbewusstem Lebensstil und ökologischer Verantwortung zu reden.« Roni ließ Itai nicht zu Wort kommen und setzte noch eins drauf: »Zumindest nicht, bis du mit ihr geschlafen hast.«
Dieses Telefonat war ihm ordentlich auf den Nerv gegangen. Was sollten diese Instruktionen? Als wäre er sechzehn und noch Jungfrau, hätte das erste Mal ein Date und einen Grundkurs nötig. Diese Bemerkungen waren völlig fehl am Platz gewesen. Auch die ständigen Witze, die Roni auf seine Kosten machte, ödeten ihn an. Obwohl er richtiggehend Lust gehabt hatte, mitten im Gespräch den Hörer hinzuknallen, hatte er sich zusammengenommen. Roni war sein bester Freund, womöglich sogar sein einziger. Sie waren gemeinsam aufgewachsen, im gleichen Wohnblock in Cholon, einer Stadt bei Tel Aviv, waren in dieselbe Klasse gegangen, hatten beide im 188.Panzerregiment gedient, und er wusste, dass Roni ihn über alles liebte und es nur gut meinte. Und außerdem: Wenn einen etwas so dermaßen zur Weißglut brachte, war es wohl wahr – wie seine Mutter ihn in periodischen Abständen wissen ließ, womit sie ihn erst recht zur Weißglut brachte.
Seit Miri ihn vor einem halben Jahr verlassen hatte, hatte er keine ernsthafte Beziehung gehabt. Nur hier und da Affären mit einigen Freiwilligen aus der Organisation, die nicht unbedingt scharf auf ihn gewesen waren, sondern nur Ersatz und Trost gesucht hatten. Er konnte sich nicht erklären, was da mit ihm vorging. Es mochte an seinem Job liegen. Er arbeitete extrem viel, noch dazu in einem extrem schwierigen Bereich, und wenn er abends nach Hause kam, war er geistig und körperlich ausgelaugt. Alles auf die Arbeit zu schieben war natürlich am bequemsten.
Er fuhr die Promenade hinauf, versuchte gleichmäßig zu atmen. Er fuhr unglaublich gern Fahrrad, und er fuhr unglaublich gern schnell, vor allem jetzt, im Winter, bei kalter, klarer Luft. Jene Momente waren bei Tage die einzigen, in denen er seine Ruhe hatte und nachdenken konnte.
Er zog das Handy aus der Hosentasche. Während seiner zwanzigminütigen Fahrradtour waren drei Nachrichten eingegangen, und das am Schabbath: ein Sudanese hatte kein Gehalt bekommen, ein Eritreer war von seinem Vermieter vor die Tür gesetzt worden, und seine Mutter wünschte ihm »fürs Date viel Erfolg«. Er hatte allen Grund, auf Roni stocksauer zu sein, weil er seine Mutter eingeweiht hatte, aber es amüsierte ihn. Er hatte es, ehrlich gesagt, auch von allein gemerkt, dass seine Mutter die Hände im Spiel hatte, als Roni meinte: »Wir werden schließlich nicht jünger« und »Der Mensch sollte nicht allein sein«. Nicht zum ersten Mal realisierte er, dass die beiden hinter seinem Rücken über ihn sprachen. Wenn Roni seine Eltern besuchte, kam Itais Mutter, die zwei Stockwerke über ihnen wohnte, oft »zufällig mal kurz vorbei«, wie sie es nannte, um sich auf den neuesten Stand zu bringen. Und obwohl er selbst schon vor einigen Jahren ausgezogen war, wollte sie sich nach wie vor nicht damit abfinden, dass sie nicht in sein Zimmer gehen konnte, um »für ein wenig Ordnung zu sorgen« und in seinen Privatsachen zu stöbern. Aber immer, wenn er Roni Vorhaltungen machte, dass er mit ihr paktierte, lächelte der ihn nur an und sagte: »Deine Mutter lässt sich von einem Vorhaben nicht abbringen, das weißt du doch« – womit er zweifellos recht hatte. Sie tat ohnehin, wonach ihr der Kopf stand, es hatte keinen Sinn, sich weiter darüber aufzuregen. Sollten sie doch reden. Zu den anderen beiden Nachrichten würde er sich abends nach dem Date oder morgen früh melden. Um diese Uhrzeit am Schabbath ließ sich ohnehin nichts mehr regeln.
Nur von einem hatte er nichts gehört – und gerade auf dessen Anruf hatte er gehofft. Ausgerechnet von Gabriel keine Nachricht – er war enttäuscht. Gestern hatte er Aquarellfarben und Pinsel für ihn besorgt, und er war neugierig, ob er bereits damit malte. Er bemühte sich, alle Asylsuchenden, die ihre Organisation aufsuchten, gleichberechtigt zu behandeln, doch einige standen ihm nun mal näher. Gabriel bezauberte ihn, da er ausgesprochen schüchtern und bescheiden war. Durch sein ausgezeichnetes Englisch waren sie auch ohne Dolmetscher schnell ins Gespräch gekommen. Sein Zeichentalent hatte er aber erst entdeckt, als Gabriel ihm allmählich vertraut, sich ihm gegenüber geöffnet hatte. Der junge Afrikaner war außergewöhnlich talentiert und empfindsam. »Da haben wir die Bescherung, David«, hatte seine Mutter gemurrt, als er bei einem Familienessen von Gabriels Zeichnungen geschwärmt hatte. »Ich kann mir schon denken, wie unsere Enkelkinder aussehen werden.«
◊
Als er von der Rothschild nach rechts in die Schenkin einbog, klingelte sein Handy. Michal. Er seufzte. Er mochte Michal sehr, auch wenn sie in die Rubrik »schwierige junge Dame« fiel, wie seine Mutter es ausdrückte. Michal war die Freiwillige par excellence. Sie kam täglich. War fleißig und engagiert, war mit Herz und Seele bei den Asylsuchenden, die sie betreute. Sie gehörte zur Gattung »Selbstmordkandidatinnen«, wie Roni es nannte, »die sich für eine Sache opfern«. In letzter Zeit waren Michal und er jedoch häufig aneinandergeraten. Sie wollte, dass sie kämpferischer vorgingen, das Übel an der Wurzel packten, statt nur die Symptome zu lindern. Er war dagegen. Er hielt es für wesentlich effektiver, gezielte Schwerpunkte zu setzen, statt sich zu verzetteln. Große Schlachten zu führen stand nicht in der Macht ihrer kleinen Organisation. Ihre Aufgabe bestand darin, Menschen bei Problemen zu helfen, die unter anderen Umständen klein, alltäglich wirken mochten, für sie jedoch immens groß waren. Er schaffte es kaum, genügend Spenden einzuwerben, um ASSAL über Wasser zu halten, was mittlerweile, seit der Knesseth-Abgeordnete Ehud Regev Organisationen wie ihre des Verrats bezichtigte, noch mühsamer geworden war. Schlussendlich würden dessen Äußerungen sich in den Köpfen der Leute festsetzen. Es war leicht, den Menschen Angst einzujagen, insbesondere wenn es an einer offenkundigen Lösung mangelte und die Wirklichkeit komplex und diffizil war. Die Beschäftigung mit Klagen, das Einlegen von Widersprüchen beim Obersten Gerichtshof, das Austragen von großen Konflikten würde für ASSAL das Aus bedeuten und die Asylsuchenden, die von der Organisation in beträchtlichem Maße abhängig waren, bei ihren alltäglichen Belangen im Stich lassen.
Gestern hatten sie wieder Differenzen gehabt. Sie hatte ihm erzählt, dass sie – obwohl er eindeutig dagegen gewesen war – bei der Rechtsanwaltskammer gegen den Staatsanwalt Jariv Ninio Anzeige erstattet hatte. In dem von ihr verfassten Text stand, dass er für den Mord an Hagos und anderen verantwortlich sei, aus rassistischen Motiven handele und ihm seine Zulassung als Staatsanwalt zu entziehen sei. Es existiere ein Gutachten des Außenministeriums, so behauptete sie, in dem geschrieben stand, dass jene Menschen, die als vermeintlich illegale Einwanderer aus Israel nach Äthiopien mit der Begründung abgeschoben würden, sie seien keine Flüchtlinge aus Eritrea, sondern Äthiopier, sich dort in Lebensgefahr befänden. Des Weiteren erklärte sie darin, dass Jariv Ninio dieses Gutachten erhalten und das Papier nicht nur unterschlagen habe, sondern vor Gericht immer wieder aufs Neue behaupte, diesen Menschen würde keinerlei Gefahr drohen.
Er hatte vor Wut gekocht, als er hörte, was sie sich geleistet hatte. Er verabscheute Leute wie Ninio und das, wofür sie standen, zutiefst. Ebenso wie Michal war er Hagos sehr verbunden gewesen, sein Tod schmerzte auch ihn. Dennoch war er nicht der Ansicht, dass eine Organisation wie ihre gegen die Staatsanwaltschaft Front machen sollte, zumal Michal keinerlei Beweise für die Existenz eines solchen Gutachtens hatte. Noch dazu war es nicht unbedingt ratsam, Maßnahmen zu ergreifen, die deutlich von persönlichen Motiven geprägt waren. Bei ihrem Versuch, Hagos’ Abschiebung zu verhindern, hatte er während der Gerichtsverhandlung die Spannung zwischen Michal und Ninio gespürt. Hagos hatte davon ganz sicher nicht profitiert, so viel war ihm klar.
Er hatte es von vornherein für einen Fehler gehalten, diese Anzeige zu erstatten, und sich eingebildet, er hätte sie zur Einsicht gebracht. Im Nachhinein hatte er erkennen müssen, dass sie hinter seinem Rücken gehandelt hatte. Nicht zuletzt war er wütend auf sich selbst: Er hatte nicht aufgepasst. Er hätte wissen müssen, was ihr alles zuzutrauen war.
◊
Itai stellte das Handy leise. Michal hatte ihn gestern Abend und im Laufe des Tages mehrfach angerufen. Doch er hatte sie ausgeblendet. Ihm fehlte die Kraft für weitere Diskussionen. Nicht einmal bei Gabriel, ihrem gemeinsamen »Projekt«, konnten sie sich einigen. Er fand, dass man ihn zwanglos zeichnen und malen lassen solle, damit er lernte, sich auszudrücken, und wenn die Zeit käme und er nach eigener Aussage bereit sei, sie ihn darüber hinausgehend fördern könnten. Michal hingegen hatte keine Geduld. Niemals. Bei nichts. Sie wollte seine Fortschritte beschleunigen. Erst vor einigen Tagen hatte sie ihm Vorwürfe gemacht, warum er nicht seine Beziehungen zur Kunsthochschule Bezalel (an der sein Onkel lehrte) spielen lasse, um Gabriel zu einem Stipendium zu verhelfen.
Er verharrte einen Moment und ließ das ausgelassene Treiben, das um ihn herum herrschte, die überfüllten Cafés, auf sich wirken. Nach mehreren Regentagen war urplötzlich die Sonne herausgekommen und hatte sämtliche Einwohner Tel Avivs aus ihren Wohnungen gelockt. Er verbrachte die meiste Zeit in einem anderen Teil der Stadt, wo ebenfalls das Leben tobte, aber weniger gelächelt wurde. Es lag gar nicht weit entfernt und war doch eine andere Welt.
Gleich würde er Ayelet treffen, sie arbeitete mit Ronis Frau in einem Architekturbüro. »Eine tolle Frau, noch dazu sieht sie super aus, bau bloß keinen Mist«, hatte Roni zu ihm gesagt und ihn auf ihre Facebook-Seite geschickt. Was er dort gesehen hatte, gefiel ihm. Was Frauen anging, so konnte er sich auf Ronis guten Geschmack verlassen. Auch das Telefonat mit ihr war nett gewesen.
◊
»Hast du außer der Sache mit dem Fahrrad noch andere Instruktionen für mich?«, fragte er Roni, nachdem er tief durchgeatmet und bis zehn gezählt hatte.
Es verstand sich von selbst, dass Roni eine Liste zusammengestellt hatte: Kein Wort über Fremdarbeiter, Flüchtlinge, sozialen Protest, Monopole, die Zusammenhänge von Vermögen und Macht oder bezahlbaren Wohnraum. »Ich verstehe dich nicht«, fuhr er fort, »so viele Frauen, die wollen, die warten. Ich an deiner Stelle … aber du – du bist ja schlichtweg eine Beleidigung für die Männerwelt – statt auszugehen und das Leben zu genießen, befasst du dich den ganzen Tag mit den Problemen von Leuten, die so ungeheuer tief im Schlamm stecken, dass man ihnen nicht heraushelfen kann. Also was sagst du dazu, Itai, tust du mir den Gefallen? Könntest du einfach ein wenig plaudern, ohne die Frauen zu erwähnen, die im Sinai vergewaltigt werden?«
»Darf ich vom Wetter reden?« Nach einer derart theatralischen Ansprache würde er jetzt einlenken müssen.
»Da mir alles andere zu riskant ist, halte ich das Wetter für ein geistreiches Thema.« Roni war schlagfertig.
»Dann kann ich also zur Sprache bringen, wie kalt es den Asylsuchenden im Lewinsky-Park ist und wie sie dort im Regen stehen, vor Kälte zittern, Hunger haben und dass es keinen kümmert?«
»Kein Problem. Mach nur weiter deine Witze. Aber eins kann ich dir versichern: Ins Bett kriegst du sie damit nicht.«
»Okay, okay, ich hab’s kapiert, ich rede nur darüber, welchen Einfluss das Wetter auf die Einwohner im Norden von Tel Aviv hat.«
»Und geh mit ihr an einen normalen Ort, in ein Café oder eine Kneipe«, fuhr Roni fort, ohne auf seine letzte Bemerkung einzugehen, »nicht in so einen Imbiss, wo die Flüchtlinge essen gehen, und schlepp sie auch nicht zu einer Demo. Wäre das im Bereich des Möglichen?«
»Ein Café. Einen Milchkaffee. Mit weißem Zucker. Auf keinen Fall mit braunem. Schade nur, dass ich mein Notizbuch nicht dabeihabe.« Er musste lächeln.
»Im Ernst, Itai«, er konnte regelrecht hören, wie auch Roni am anderen Ende der Leitung schmunzelte. »Sollte sie, Gott behüte, Putenbrust bestellen, dann verzieh nicht das Gesicht. Atme tief durch und denk an ihre Brust … sei so gut, ja?«
◊
Er folgte der Straße und bog dann links in die Melchet ein. Sein Handy klingelte schon wieder.
Wieder Michal. Er musste sich am Riemen reißen, nicht zu antworten. Dies lag überwiegend an dem Schuldgefühl, das sie automatisch in ihm weckte, an der Art und Weise, wie sie ihm suggerierte, nicht genug zu unternehmen. Morgen würden sie ohnehin miteinander sprechen und garantiert würde sie einen Weg finden, ihm den Kopf zu waschen.
Roni hatte recht. Ab und zu brauchte er unbedingt einen freien Abend. Wenn er ans Telefon ginge, käme es wieder zu einem Wortgefecht und danach wäre er stocksauer.
In Gedanken versunken entging ihm, dass eine Frau auf ihn zukam.
»Hallo«, sie gab ihm die Hand, »Ayelet.« Sie hatte zarte, glatte Haut. Ihr dezentes Parfüm und das eng anliegende schwarze Kleid setzten ihm angenehm zu.
»Hallo«, sagte er zu ihr, »hier um die Ecke soll eine tolle Bar sein.«
Ja, heute Abend würde er Urlaub von sich selbst nehmen. Wieder und wieder vibrierte das Handy in seiner Hosentasche – er pfiff drauf.
3
◊ ◊ ◊
Die winterlichen Sonnenstrahlen, die durchs Fenster drangen, blendeten Staatsanwalt Jariv Ninio derart heftig, dass ihm die Augen brannten. Wie gewohnt streckte er den Arm zur Seite aus, aber in der anderen Betthälfte herrschte gähnende Leere. Ihm drückte die Blase. Er setzte sich ein wenig auf, sank jedoch umgehend zurück auf die Matratze. Stechender Schmerz durchfuhr seinen Schädel.
Er wollte Inbar rufen, aber sein Mund war ausgetrocknet.
Er verharrte im Liegen, er hatte unruhig geschlafen. An seinen Schläfen waren unzählige kleine Hämmerchen am Werke. Inbar war am Donnerstag mit ihren Freundinnen nach Eilat gefahren, fiel ihm ein. Ein früher Junggesellinnenabschied. Nachvollziehen konnte er es nicht, schließlich war ihre Hochzeit erst in zwei Monaten. Allerdings war sie schon jetzt im Zustand der Hysterie, und er hatte sie auf keinen Fall mit einer ironischen Anspielung provozieren wollen.
Der erneute Versuch, sich aufzusetzen: Diesmal überkam ihn gewaltiger Brechreiz.
Letzte Nacht war er mit Kobi um die Häuser gezogen. Solche Mengen sollte er nicht trinken. Er bereute es ja eh immer am nächsten Morgen.
Die Blase zwickte. Er zwang sich zum Sitzen. Obwohl ihm schwindlig war und der Kopf dröhnte, musste er schnellstens zur Toilette. Sonst würde seine Blase platzen.
Er wand sich hoch, kam auf die Beine, keuchte. Erst da registrierte er, dass seine Nase verstopft war. Ein Beben ging durch seinen Körper, als er sich in voller Länge betrachtete: Er war angezogen. Hatte in Sachen geschlafen, in Schuhen, und auf seinem Hemd erspähte er widerliche braune Flecken. Die Erinnerung an die letzte Nacht schlug mit aller Wucht zu: Er stand vor Michals Haus, schimpfte auf sie. Dann klopfte er an ihre Tür. Rief sie. Wollte ihr ins Gesicht sagen, was er von ihrer Anzeige, von ihr hielt.
Rasch ging er ins Bad. Atmete schwer.
»Geh, Jariv, geh nach Hause. Du bist betrunken«, Michals Worte hallten durch seinen Kopf.
Beim Anblick seines Spiegelbilds riss er entsetzt die Augen auf. Die Nase war geschwollen und in den Nasenlöchern registrierte er geronnenes Blut. Unter seinen Augen zeichneten sich tintenblaue Veilchen ab, die sich bereits schwarz färbten. Was zum Teufel war ihm gestern widerfahren? Und die noch viel brisantere Frage war: Was in Gottes Namen hatte er angestellt?
4
◊ ◊ ◊
Gabriel Takela versuchte mit einigen schnellen Bleistiftstrichen, die Rundung eines Taubenflügels einzufangen. Die Taube hatte auf der Stromleitung über ihm Platz genommen und sah auf die Straße. Vom Regen, der ihn allmählich durchnässte, nahm er keine Notiz. Ebenso wenig vom Gestank, der von den großen grünen Mülltonnen ausging, die den Hinterhof des Restaurants einnahmen. Wenn er zeichnete, versank er in seiner Arbeit. Auch wenn es sich nur um eine Bleistiftskizze in einem kleinen Heft handelte. Es half ihm, loszulassen. Nicht daran zu denken, was gewesen war, was jetzt war und dass die Zukunft offenbar nichts bereithielt, wodurch sein Leben eine Wende nähme.
Er zeichnete Bäume, Tiere, Gebäude, Kinder, hin und wieder auch Erwachsene– Israelis, die er auf der Straße sah. Er konnte sich dem nicht entziehen. Allerorts fielen ihn Farben und Formen an, drängten ihn, von ihm erfasst zu werden. Von seinem Zuhause zeichnete er nichts. Auch keine Frauen. Die Unruhe und die Sehnsucht, die sie in ihm auslösen würden, wären zu gewaltig.
Vorgestern hatte Itai ihm Aquarellfarben und Pinsel gekauft. Gabriel war vor Freude außer sich gewesen. Wie sehr er sich danach gesehnt hatte, mit Farbe zu arbeiten, dem Schwarzen und dem Weißen Lebenskraft einzuhauchen, die Blätter gelb, das Gras grün werden zu lassen und den Versuch zu wagen, einen weißen Menschen auf Papier zu bannen. Es hatte ihn tief bewegt, daher hatte er das Geschenk noch nicht geöffnet.
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