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Dein großer Durchbruch als Schauspieler steht kurz bevor. Alles läuft perfekt. Bis er sich in dein Leben drängt. Und nur eines will: es zerstören … Der neue Psycho-Thriller von Nr.1-Bestseller-Autor Arno Strobel Eric Sanders spürt, dass diese Rolle seine große Chance ist. Und er soll recht behalten: Die Resonanz auf seine schauspielerische Leistung im Münchner Tatort ist rundum positiv, seine Bekanntheit wächst, seine Followerzahlen auf Social Media steigen. Bis plötzlich jemand anfängt, sich für ihn auszugeben. Seine Identität zu übernehmen, sich in sein Leben zu drängen. Zunächst digital, dann in Person. Eric fühlt sich massiv bedroht, kann es sich nicht erklären. Bis die Nachricht bei ihm eintrifft: Gestehe den Mord, oder alle, die du liebst, werden sterben. Und Erinnerungsfetzen auftauchen. Was hat er getan? Damals, als er gerade einmal elf Jahre alt war. »Strobel ist ein Meister der Spannung« Konstanze Führlbeck, WAZ
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Seitenzahl: 385
Arno Strobel
Er will dein Leben.
Psychothriller
Eric Sanders spürt, dass diese Rolle seine große Chance ist. Und er soll recht behalten: Die Resonanz auf seine schauspielerische Leistung im Münchner Tatort ist rundum positiv, seine Bekanntheit wächst, seine Followerzahlen auf Social Media steigen. Bis plötzlich jemand anfängt, sich für ihn auszugeben. Seine Identität zu übernehmen, sich in sein Leben zu drängen. Zunächst digital, dann in Person. Eric fühlt sich massiv bedroht, kann es sich nicht erklären. Bis die Nachricht bei ihm eintrifft: Gestehe den Mord, oder alle, die du liebst, werden sterben. Und Erinnerungsfetzen auftauchen. Was hat er getan?
»Strobel ist ein Meister der Spannung.« Westfälische Nachrichten
»Chapeau! Genau so müssen Thriller geschrieben werden.« Kölner Stadt-Anzeiger
Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de
Arno Strobel liebt Grenzerfahrungen und nimmt seine Leserinnen und Leser dabei gerne mit. Deshalb machen seine Thriller auch vor den größten Urängsten nicht Halt.
Seine Themen spürt er dabei meist im Alltag auf und erst, wenn ihn eine Idee nicht mehr loslässt und er den Hintergründen sofort mit Hilfe seines Netzwerks aus Experten auf den Grund gehen will, weiß er, dass der Grundstein für seinen nächsten Roman gelegt ist. Alle seine bisherigen Thriller waren Bestseller, standen wochenlang auf Platz 1 der Bestsellerliste. Arno Strobel engagiert sich für den Opferschutz und ist Förderer des Weißen Rings e.V. Er lebt als freier Autor in der Nähe von Trier.
www.arno-strobel.de
www.facebook.com/arnostrobel.de
@arno.strobel
Außerdem bei FISCHER Taschenbuch erschienen:
»Der Trakt«, »Das Wesen«, »Das Skript«, »Der Sarg«, »Das Rachespiel«,» Das Dorf«, »Die Flut«, »Im Kopf des Mörders – Tiefe Narbe«, »Im Kopf des Mörders – Kalte Angst«, »Im Kopf des Mörders – Toter Schrei«, »Offline«, »Die App«, »Sharing«, »Fake«, »Der Trip«, »Mörderfinder – Die Spur der Mädchen«, »Mörderfinder – Die Macht des Täters«, »Mörderfinder – Mit den Augen des Opfers«, »Mörderfinder – Stimme der Angst«
[Widmung]
[Motto]
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
17. Kapitel
18. Kapitel
19. Kapitel
20. Kapitel
21. Kapitel
22. Kapitel
23. Kapitel
24. Kapitel
25. Kapitel
26. Kapitel
27. Kapitel
28. Kapitel
29. Kapitel
30. Kapitel
31. Kapitel
32. Kapitel
33. Kapitel
34. Kapitel
35. Kapitel
36. Kapitel
37. Kapitel
38. Kapitel
39. Kapitel
40. Kapitel
41. Kapitel
42. Kapitel
43. Kapitel
44. Kapitel
45. Kapitel
46. Kapitel
47. Kapitel
48. Kapitel
49. Kapitel
50. Kapitel
51. Kapitel
[Wichtiges Update]
[Leseprobe]
I
1 Max
Für Nina
Nichts ist so wechselhaft wie Identität.
Stefan Hölscher, Managementcoach, Autor und Lyriker
Das Feuer ist überall.
Als er einsehen musste, dass alle Wege aus dem Haus hinaus durch die Flammen versperrt sind, als er seine Kehle wund gebrüllt hat mit den Rufen nach seiner Mutter und seinem Vater, hat er sich in einer Ecke des Zimmers auf dem Boden zusammengekauert, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen und das Gesicht gegen seine zitternden Knie gepresst.
Immer wieder wird er von krampfhaftem Husten geschüttelt, ausgelöst durch den dichten Rauch, der ihm die Luft zum Atmen nimmt. Jedes Mal fährt er erschrocken zusammen, wenn irgendwo etwas polternd herunterfällt oder umstürzt.
Er weint, weil er trotz seines jungen Alters glasklar realisiert hat, dass er gleich sterben wird. Sein ganzes Denken ist nur noch von dieser Angst vor dem Tod beherrscht.
Er bittet Gott, ihn zu verschonen, auch wenn er bisher noch nie gebetet hat. Er fleht mit bebenden Lippen und heiserer Stimme seinen Vater an, ihn aus dieser Feuerhölle herauszuholen, und versteht nicht, dass das nicht schon längst geschehen ist. Sein Vater würde ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben alles tun, um ihn zu retten, das weiß er. Dass er trotzdem noch nicht da ist, kann nur eines bedeuten: dass er ihn nicht mehr retten kann, weil er nicht mehr lebt.
Die Verzweiflung greift mit derart brutaler Wucht nach ihm, dass er fast das Bewusstsein verliert. Er kämpft dagegen an, weil etwas ihm sagt, dass er nicht mehr aufwachen wird, wenn er jetzt ohnmächtig wird.
Er hebt den Kopf, um nachzusehen, wie nah das Feuer schon gekommen ist, und reißt die Augen auf, als er registriert, dass die ersten Flammen bereits gierig nach ihm greifen.
Aber da ist noch etwas anderes, das ihm in diesem Moment bewusst wird und das seltsam ist: Es müsste unerträglich heiß sein. So heiß, dass seine Haut Blasen werfen und seine Haare schmelzen würden.
Aber er spürt nichts. Und fragt sich trotz seiner Panik, wie das möglich ist.
Ein Geräusch lässt ihn erschrocken nach oben blicken. Etwas löst sich von der Decke, ein großer Schatten, der plötzlich zwischen den Flammen auftaucht und auf ihn zurast …
Eric fuhr mit einem Stöhnen auf und sah sich schwer atmend um. Kein Feuer. Im Gegenteil, Dunkelheit. Schemenhaft als schwarze Fläche erkennbar ein Schrank. Sein Schrank. Sein Schlafzimmer.
»Hast du wieder geträumt?«, fragte Paula neben ihm mit verschlafener Stimme. Eric blickte zu ihr hinüber, ahnte ihr Gesicht jedoch mehr, als dass er es sehen konnte.
»Ja.«
Seine Erleichterung darüber, dass die Feuerhölle nur ein Albtraum gewesen war, wurde getrübt von dem Bewusstsein, dass dieser Traum wiederkommen würde, so wie schon sein ganzes Erwachsenenleben. Nicht dass der Traum ihn Nacht für Nacht plagte, aber er tauchte regelmäßig im Abstand von drei, vier Wochen auf, und er war immer gleich. Meistens kündigte er sich dadurch an, dass Eric nicht einschlafen konnte und sich Stunde um Stunde im Bett hin und her wälzte, bis ihm schließlich doch die Augen zufielen und er sich kurz darauf in dem brennenden Haus wiederfand.
Wenn der Traum ihn quälte, schwappte die Angst, die er dabei empfand, stets in den folgenden Tag hinein, so dass er sogar alltägliche Dinge wie betäubt erlebte.
Er tippte auf das Display seines Smartphones, das auf dem Nachttisch lag, und warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Uhr dreiundfünfzig. Nach kurzem Nachdenken fiel ihm ein, dass es Sonntagmorgen war. Es stand nichts an. Bis zum Abend. Zu dem Abend, der ein Meilenstein in seiner Karriere werden konnte.
Allein der Gedanke daran beschleunigte seinen Puls und ließ ihn die schlimme Nacht vergessen. Heute würde es anders sein.
Seit drei Jahren war Eric festes Ensemblemitglied des Münchner Residenztheaters. Hauptrollen hatte er dort noch keine gespielt, aber er hatte es immerhin geschafft, sich aus der dritten Reihe des Ensembles zumindest in die zweite vorzuarbeiten. Was aber noch immer nicht bedeutete, dass er sich als erfolgreich hätte bezeichnen können.
Dann war plötzlich diese Anfrage gekommen. Man wollte eine der Hauptrollen des neuen Tatorts aus München ausgerechnet mit ihm besetzen. Nicht mit einem der Hauptdarsteller des Theaters, sondern mit ihm, Eric Sanders.
Es war eine schwierige Figur, die er spielen sollte, das hatte er gleich erkannt, als er das Drehbuch in Händen hielt. Ein einsamer, depressiver Familienvater, dem das Leben durch die Finger geglitten war. Schon vor Jahren verlassen von seiner Frau, von den eigenen Kindern verachtet, im Job nur ein blasser Mitläufer, war er der Hauptverdächtige, als seine Ex-Frau ermordet wurde. Es gab einige Indizien, die auf ihn hindeuteten, und er hatte kaum die Kraft, sich gegen die Anschuldigungen zur Wehr zu setzen, was ihn noch verdächtiger machte.
Eric hatte sich bei den Dreharbeiten die Seele aus dem Leib gespielt. Dabei konnte ihm die schwere Krise, die er mit Paula gehabt hatte, sogar helfen. Er hatte sich daran erinnert, wie sich diese taube Leere anfühlte bei der Erkenntnis, dass die eigene Ehe den Bach runterging und jede Anstrengung, sie zu retten, ins Gegenteil verkehrt wurde. So lange, bis man resigniert aufgab.
Letztendlich war es die Liebe zu seinem Sohn gewesen, die dazu geführt hatte, dass er auf alles eingegangen war, was Paula verlangt und als Kompromiss bezeichnet hatte. Hätten sie sich getrennt, wäre Paula mit Leon in ihr Heimatdorf in der Nähe von Calw im Schwarzwald gezogen, zu weit für Eric, um seinen Sohn regelmäßig zu sehen.
Paula hatte Eric in einem Streitgespräch klargemacht, dass dem jeder Richter zustimmen würde, weil er durch seinen Job am Theater nicht die Zeit hatte, sich allein um Leon zu kümmern. Und er wusste, dass sie damit wahrscheinlich recht hatte.
Eric schüttelte den Gedanken an diese schlimme Zeit ab. Paula und er hatten sich wieder zusammengerauft und einen Konsens für ihre Beziehung gefunden, mit dem sie beide zurechtkamen. Gut, es gab keine Schmetterlinge mehr im Bauch, wenn sie sich ansahen, kein Kribbeln mehr beim Gedanken an den nächsten Kuss. Schon lange nicht mehr. Eher Pragmatismus. Wer brachte Leon zum Fußball? Wer geht einkaufen? Sie kamen klar. Und hin und wieder loderte sogar für kurze Momente die alte Leidenschaft erneut auf.
Eric blickte zur Seite und lauschte. Gleichmäßige Atemgeräusche deuteten darauf hin, dass seine Frau wieder eingeschlafen war.
Er hob die Decke an und schob die Beine aus dem Bett. Heute war ein wichtiger Tag. Der wichtigste seiner bisherigen Schauspielerkarriere. Er konnte nicht mehr im Bett liegen bleiben, an Schlaf war sowieso nicht mehr zu denken.
Im Dunkeln tastete er sich aus dem Raum und schaltete das Licht im Flur erst an, nachdem er die Tür hinter sich leise geschlossen hatte. Vor dem Kinderzimmer blieb er kurz stehen und lauschte erneut, konnte aber nichts hören. Leon schlief noch. Als Elfjähriger würde er an einem Sonntag sicher nicht vor zehn Uhr aufwachen. Vielleicht sogar noch später.
Nachdem Eric sich im Bad seinen Morgenmantel angezogen hatte, stellte er sich vor den Spiegel und betrachtete sein Abbild.
Vierundvierzig war er, und unter normalen Umständen sah er auch so aus, aber nach diesen Träumen schien er jedes Mal um Jahre gealtert. Die Augen waren gerötet, die Gesichtshaut fahl, fast grau. Selbst seine vollen schwarzen Haare, in die sich bisher zum Glück noch keine grauen Fäden eingeschlichen hatten, wirkten stumpf und kraftlos.
Mit einem Seufzer wandte er sich ab, verließ das Badezimmer und ging hinunter ins Erdgeschoss und dort in die Küche, schloss die Tür hinter sich und schaltete den Kaffeevollautomaten ein.
Während die Maschine aufheizte, steckte er zwei Scheiben Toast in den Toaster und holte Butter, Wurst und Käse aus dem Kühlschrank. Minuten später saß er kauend am Tisch und las auf seinem Smartphone zum wahrscheinlich fünfzigsten Mal die Vorankündigung des Tatorts durch.
Dieser Abend konnte alles ändern. Wenn die richtigen Leute seine Interpretation des hoffnungslosen Mannes sahen – und gut fanden –, dann konnte ihm das Türen aufstoßen, die seinem Leben eine neue Wendung geben würden.
Er sah vom Display seines Smartphones auf und dachte an Martina und Jürgen, die am Abend zu ihnen kommen wollten, um diese Tatort-Folge mit ihnen gemeinsam anzuschauen. Dr. Jürgen Gernot war Zahnarzt, seine Frau Martina Inhaberin einer gutgehenden Parfümerie im Tal, einer belebten Straße in der Münchner Innenstadt.
In den zweieinhalb Jahren, die sie sich nun kannten, war der zweiundvierzigjährige Zahnarzt zu Erics engstem Freund geworden. Ein paarmal in dieser Zeit war Eric an einem Punkt gewesen, an dem er hinschmeißen und sich einen anständigen Job suchen wollte, doch immer wieder hatte Jürgen ihm Mut gemacht und ihm erklärt, was er natürlich selbst wusste, was aber dennoch eine andere Wirkung hatte, wenn man es von jemand anderem hörte: Dass in der Schauspielerei wie in vielen kreativen Berufen das Talent zwar Grundvoraussetzung, aber noch lange keine Garantie für den Erfolg war. Wichtig war, im richtigen Moment das Quäntchen Glück zu haben, das die Wende brachte. Und dass es diesen Moment nur geben konnte, wenn man am Ball blieb.
Vielleicht war an diesem Abend sein richtiger Moment.
»Wow!«, sagte Martina, als der Abspann lief, und sah zu Eric hinüber, während sie sich eine Strähne ihrer langen braunen Haare hinters Ohr strich. »Das war … ich weiß gar nicht, was ich sagen soll … einfach phantastisch. Ich habe dich ja schon ein paarmal im Theater gesehen, und das hat mir auch immer gut gefallen, aber das da gerade … Respekt. Ich habe mit dir gelitten und dir die Verzweiflung voll abgenommen.«
»Du hast geweint«, sagte Jürgen grinsend. »Ich hab’s gesehen.« Und an Eric gewandt: »Mein Freund, ich lehne mich mal aus dem Fenster und sage: Das ist dein Durchbruch. Wenn man dir nach dieser Leistung nicht die Türen einrennt mit Angeboten, dann weiß ich’s auch nicht.«
»Danke.« Tränen füllten Erics Augen und schwappten über. Er ließ es geschehen und wischte sie nicht weg, denn er schämte sich nicht deswegen. Er war unendlich erleichtert. Und glücklich.
»Ich gratuliere dir«, sagte Paula lächelnd, beugte sich zu Eric und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Ich habe es ja schon vorab sehen dürfen, aber ich finde auch beim zweiten Mal, dass das ganz hervorragend war.«
»Danke«, wiederholte Eric und trank einen großen Schluck Wein.
Es war bereits nach Mitternacht, als Martina und Jürgen sich verabschiedeten.
Eric und Paula räumten noch gemeinsam auf, dann gingen sie zu Bett.
»Denkst du auch, dass das mein Durchbruch gewesen sein könnte?«, fragte Eric, als sie im Dunkeln nebeneinander lagen.
»Ich würde es dir wünschen, aber wir beide wissen, wie schwierig es in dieser Branche ist und dass Begabung allein einfach nicht ausreicht.«
»Ja, ich weiß«, entgegnete Eric, und er hörte die Enttäuschung, die in seiner Stimme mitschwang. »Ich hätte es trotzdem schön gefunden, wenn du mir ein bisschen Mut gemacht hättest.«
Das Rascheln der Bettdecke neben ihm ließ ihn ahnen, dass Paula sich zu ihm gedreht hatte. Er blieb auf dem Rücken liegen.
»Möchtest du wirklich, dass ich irgendetwas behaupte, an das ich nicht glaube? Ich dachte, wir sagen uns die Wahrheit?«
»Das meinte ich damit, Paula. Ich habe gehofft, du würdest es vielleicht wirklich für möglich halten, dass dieser Film meine Karriere voranbringen kann. So wie unsere Freunde.«
»Unsere Freunde werden dir nichts sagen, was dich enttäuscht, und das kann man ihnen auch nicht verübeln. Aber ich bin deine Frau. Ich fände es nicht in Ordnung, wenn ich nur deshalb etwas Bestimmtes sagen würde, weil ich weiß, dass du es gern hörst, obwohl ich anders darüber denke.«
»Also glaubst du nicht, dass dieser Tatort eine positive Auswirkung auf meine Arbeit haben wird?«
Es verging eine Weile, bis Paula sagte: »Noch einmal: Ich würde es dir wünschen, aber du solltest nicht damit rechnen. Dann wirst du auch nicht enttäuscht werden.«
»Danke für deine Ehrlichkeit«, antwortete Eric. »Schlaf gut.«
Er drehte sich zur Seite und wandte Paula den Rücken zu. In diesem Moment fühlte er sich ein kleines bisschen wie Peter Borchert. Die Figur, die er im Tatort dargestellt hatte.
In der Nacht wurde Eric plötzlich wach und öffnete die Augen. Ein Gedanke brannte in seinem Kopf, und er fragte sich, ob der ihn aus dem Schlaf gerissen hatte. Vorsichtig tastete er nach seinem Smartphone, damit er Paula nicht weckte.
Während er das Gerät entsperrte, wunderte er sich darüber, nicht schon früher im Internet nachgesehen zu haben, was die Zuschauer über den Tatort dachten. Normalerweise gab es die ersten Posts dazu bereits während der Sendung. Vielleicht würde er auch Meinungen zu seiner Darstellung des Peter Borchert finden.
Er fand sie. Und während er sich durch die Vielzahl von Kommentaren auf den verschiedensten Social-Media-Plattformen arbeitete, besserte sich seine Laune von Minute zu Minute. Wo immer seine schauspielerischen Fähigkeiten erwähnt wurden, waren fast alle Verfasser voll des Lobes. Hier und da bescheinigte man ihm lediglich ein durchschnittliches schauspielerisches Talent, aber das waren die Ausnahmen. Die allermeisten Kritiken überschlugen sich förmlich vor Anerkennung für seine Leistung.
Als Eric seine eigenen Instagram- und Facebook-Accounts anklickte, wollte er seinen Augen nicht trauen. Hatte er am Vortag bei Instagram noch bei rund viertausendzweihundert Followern gelegen und bei Facebook bei knapp über siebentausend, waren es nun bei Instagram schon elftausend und bei Facebook fast fünfzehntausend.
Eric musste sich zusammenreißen, um nicht vor Freude laut aufzulachen.
Wenig später legte er das Smartphone schweren Herzens zur Seite, weil ihm die Augen fast zufielen. Am liebsten hätte er noch für den Rest der Nacht immer wieder die Kritiken gelesen.
Anders als noch kurz zuvor fühlte er sich wie ein Gewinner.
Im Laufe des nächsten Vormittags verdoppelten sich Erics Follower-Zahlen fast noch einmal, und das sowohl bei Facebook als auch bei Instagram. Er bekam minütlich Mails und Nachrichten über alle Plattformen.
Fast in jeder wurde seine schauspielerische Leistung gelobt, in vielen wurde ihm versichert, seit der Ausstrahlung des Tatorts einen neuen, riesengroßen Fan zu haben, und auch Autogrammanfragen erreichten ihn.
»Das nimmt überhaupt kein Ende«, erklärte er Paula, als sie gegen dreizehn Uhr zusammen mit Leon zu Mittag aßen. Montags war der einzige Tag, an dem sie gemeinsam essen konnten, weil das Paulas freier Tag in der Apotheke war und ihr Sohn schon um halb eins nach Hause kam. Die restlichen Wochentage war Leon in der Nachmittagsbetreuung des Gymnasiums bis sechzehn Uhr zwanzig und inklusive Busfahrt erst gegen siebzehn Uhr zu Hause.
»Bist du jetzt berühmt?«, wollte der Elfjährige wissen, bevor er sich ein Fischstäbchen in den Mund steckte.
Eric lachte. »Na ja, so weit würde ich nicht gehen, aber eine ganze Menge Leute haben gestern Abend den Krimi gesehen, in dem ich mitgespielt habe, und fanden ihn wohl gut.«
»Und ich durfte ihn nicht schauen, das ist gemein. Sogar der Kalle aus meiner Klasse hat ihn gucken dürfen. Und sein Vater hat nicht da mitgemacht.«
»Wir hätten dich auch gern mitschauen lassen, Leon, aber diese Folge war einfach nicht für dein Alter geeignet. Sie war freigegeben ab sechzehn Jahren, und das hatte auch seinen Grund. Wenn Kalles Eltern das anders sehen, ist das ihre Sache. Ich verspreche dir, in ein paar Jahren kannst du sie auch anschauen. Und wer weiß, vielleicht spiele ich ja bis dahin noch in anderen Filmen mit, die auch für dein Alter geeignet sind.«
Damit gab sein Sohn sich zufrieden.
Als Leon nach dem Essen in seinem Zimmer verschwunden war und Eric und Paula den Tisch abräumten, sagte er: »Ich denke, ich muss jetzt mal etwas auf meinen Social-Media-Kanälen posten. Das erwarten die Leute.«
Eric wusste nicht, ob er Paulas Lächeln als nachsichtig oder mitleidig einstufen sollte, als sie erwiderte: »Du wirst mir das wahrscheinlich wieder übelnehmen …« Sie wandte sich ihm, eine Schüssel in der Hand, zu. »Ich gönne dir wirklich, dass du so viel Zuspruch bekommst, aber du bist jetzt nicht plötzlich der große Star, von dem die Leute erwarten, dass er zu ihnen spricht.«
Es verstrichen einige Sekunden, die Eric dazu nutzte, Paulas Kommentar innerlich wegzustecken, dann sagte er: »Ich gebe dir absolut recht, dass ich kein Star bin, doch auch ein kleiner Schauspieler wie ich hat Menschen, die das, was er tut, gut finden. Die Anzahl dieser Leute hat sich über Nacht vervielfacht, und das macht mich stolz. Und eigentlich wollte ich dich fragen, ob du vielleicht eine Idee hast, was ich schreiben könnte. Aber das hat sich wohl gerade erledigt.«
Erneut lächelte Paula. »Ich wollte deinen Ruhm nicht schmälern. Ich helfe dir natürlich gern.«
Auch wenn sie Eric in diesem Moment vorkam wie eine Erwachsene, die einem kleinen Kind sagte, dass sein Gekritzel auf einem Blatt Papier natürlich ein tolles Bild war, lächelte er zurück. »Schön.«
»Ich denke, du solltest dich bei den vielen neuen Followern bedanken für die Nachrichten, in denen du für deine Rolle gelobt wurdest.«
Auch wenn das selbstverständlich genau das war, was Eric sowieso hatte schreiben wollen, nickte er. »Das ist eine gute Idee.«
»Und du könntest noch ein bisschen von den Dreharbeiten erzählen. Die Leute lieben Anekdoten. Keine Ahnung, vielleicht sind ja am Set irgendwelche lustigen Dinge passiert?«
Dass du keine Ahnung hast, könnte daran liegen, dass du nie danach gefragt hast, dachte Eric, sagte aber: »Ja, stimmt, ich muss mal nachdenken, was ich darüber schreiben kann.«
Eine halbe Stunde später saß Eric am PC und verfasste den ersten Beitrag für seine mittlerweile insgesamt rund fünfzigtausend Follower.
Hallo zusammen!
Ich bin noch völlig geplättet von den unfassbar vielen Nachrichten, die mich auf allen Kanälen seit gestern Abend erreicht haben, und, ja … ich möchte euch dafür danken. Ihr ahnt nicht, wie sehr ich mich über das Lob gefreut habe. Das zeigt mir, dass es sich irgendwann doch auszahlt, wenn man alles gibt, um seinen Job so gut zu machen, wie es irgendwie möglich ist.
Die Dreharbeiten haben mir sehr viel Spaß gemacht, und es war mir eine Ehre, mit so vielen großartigen und erfahrenen Kollegen zusammenarbeiten zu dürfen. Alle haben mich sehr unterstützt und mir immer wieder wertvolle Tipps gegeben, um diese wirklich schwierige Rolle möglichst authentisch interpretieren zu können.
Wie auch immer – was gerade geschieht, ist einfach unbeschreiblich, und ich würde mich sehr freuen, wenn ihr mir einen kleinen Kommentar unter diesem Post hinterlasst.
Euer Eric
Sein Post war noch keine Minute auf Instagram und Facebook zu sehen, da gab es schon die ersten Kommentare. Nach einer halben Stunde waren es auf beiden Kanälen bereits über hundert, und fast alle waren positiv.
Eric schaltete den Computer aus und verließ das Büro. Er brauchte einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft. Wenn er zurückkam, würde er seinen Agenten anrufen. Vielleicht hatte der ja Neuigkeiten für ihn.
Kurz darauf überquerte Eric die Straße, in der ihr gemietetes Haus lag, und spazierte in Richtung des kleinen Parks, der keine fünfhundert Meter entfernt war. Er hatte den Eingang gerade erreicht, als Jürgen anrief.
»Sag mal«, begann sein Freund mit der für ihn typischen Floskel, »ich habe gerade ein bisschen auf deinen Social-Media-Kanälen herumgelesen. Ist ja irre, was da abgeht.«
»Solltest du dich nicht um die Zähne deiner Patienten kümmern?«, scherzte Eric gutgelaunt.
»Ich habe noch eine halbe Stunde, bevor es mit den Nachmittagsterminen losgeht, und dachte, ich frage mal, ob du gesehen hast, dass jemand bei Facebook in deinem Namen die Kommentare deiner Fans beantwortet. Ich hoffe zumindest, dass das nicht du warst.«
»Wie, in meinem Namen?« Eric blieb stehen.
»Du hast es also noch nicht gesehen. Vielleicht schaust du es dir besser mal an. Es gibt sicher Leute, die nicht merken, dass das nicht von dir kommen kann. Wirft kein gutes Licht auf dich.«
»Ja, gut … ich schaue sofort rein. Danke.«
»Keine Ursache. Am besten blockierst du den Clown direkt. Melden brauchst du den nicht, die Arbeit kannst du dir sparen. Die tun bei Facebook und Instagram sowieso nichts gegen diese Idioten.«
»Okay, danke.«
»Und mach dir nichts daraus. Das ist der Preis des Ruhms.«
Eric beendete das Gespräch und öffnete gleich darauf Facebook. Mittlerweile war die Anzahl der Kommentare auf über zweihundert angewachsen, und gleich der erste, der ihm angezeigt wurde, hatte eine Antwort von Eric Sanders – Actor. So lautete Erics Accountname.
Danke für deinen netten Kommentar, liebe Sabine_1983. Ich habe mir dein Profil angeschaut und finde dich sehr interessant. Vielleicht können wir uns ja mal im wahren Leben treffen. Würde mich freuen.
Sabine_1983 hatte diesen Kommentar wiederum kommentiert.
Ähm … nein, können wir ganz sicher nicht! Und ich finde es befremdlich, von dir als Person, die in der Öffentlichkeit steht, hier so plump angebaggert zu werden. Sehr enttäuschend!
»Scheiße!«, stieß Eric aus, scrollte tiefer und musste feststellen, dass etliche Kommentare von diesem Fake-Account beantwortet worden waren, und alle diese Antworten waren mehr als ärgerlich.
Danke für deinen Kommentar, aber ich finde dich uninteressant, als Frau, als Mensch, überhaupt, stand zum Beispiel da, oder weiter unten: Hey, Chrissy, du bist ja ein echter Hingucker. Sehr schön. Schreib mir gern mal eine private Nachricht.
»So ein Arschloch!«, zischte Eric, scrollte wieder nach oben und erzeugte mit fliegenden Fingern einen neuen Post.
Es tut mir leid, aber jemand antwortet auf eure Kommentare mit einem Fake-Account unter meinem Namen. Diese Antworten stammen NICHT von mir. Ich würde so etwas nie schreiben. Ich werde ihn gleich blockieren, dann ist hoffentlich Ruhe.
Nachdem er den Post veröffentlicht hatte, navigierte er zu den Einstellungen und blockierte den Fake-Account, woraufhin dessen Kommentare nicht mehr zu sehen waren.
Eine Weile blieb er noch stehen und aktualisierte die Ansicht, doch es gab keine neuen Fake-Kommentare.
Schließlich steckte er das Smartphone ein und ging weiter.
Das ist der Preis des Ruhms, hatte Jürgen gesagt. Bei allem Ärger über den Autor der gefakten Kommentare lächelte Eric. Wenn das der einzige negative Preis für seinen Erfolg war, konnte er damit leben.
Wie hätte er auch ahnen sollen, dass das erst der Anfang gewesen war?
»Wo sind Sie jetzt?«
Die Stimme klang sanft und einfühlsam.
»In einem Haus.«
»Kennen Sie das Haus?«
»Ich glaube, ich wohne hier.«
»Sie glauben? Warum glauben Sie das nur? Man weiß doch, wo man wohnt.«
»Ich … ich bin mir nicht sicher.«
»Sehen Sie sich um. Was sehen Sie?«
»Es ist alles seltsam. Verschwommen … verzerrt.«
»Was meinen Sie damit?«
»Da sind Einrichtungsgegenstände. Eine Couch, ein Tisch, ein Schrank. Aber ich kann sie nicht richtig erkennen.«
»Gibt es noch weitere Zimmer?«
»Das weiß ich nicht.«
»Schauen Sie sich weiter um, ist da irgendwo eine Tür?«
»Ich glaube, ja.«
»Öffnen Sie sie.«
Eric ging auf die Tür zu, die – wie alles andere auch – zu verschwimmen schien, legte die Hand auf die Stelle, an der er die Klinke vermutete, und zog die Tür auf. In der nächsten Sekunde stieß er einen Schrei aus und hob die Arme vors Gesicht, um es vor der Flammenhölle zu schützen, die ihm entgegenschlug. »Feuer! Alles brennt!«, rief er panisch. »Feuer!«
»Wachen Sie auf!« Es war ein Befehl, und die Stimme schien direkt in seinem Ohr zu sein.
Eric riss die Augen auf und blickte schnell atmend in das Gesicht von Dr. Roberts.
»Geht es Ihnen gut?«, fragte der Psychotherapeut mit besorgter Miene, die sein für einen Fünfzigjährigen jungenhaftes Gesicht zumindest ein wenig älter erscheinen ließ.
»Nein, nicht wirklich.« Eric richtete sich auf, schob die Beine von dem gepolsterten Hocker, der vor dem Sessel stand, und rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich hatte Angst.«
»Erinnern Sie sich an die letzten Minuten?«
Eric sah Dr. Roberts nachdenklich an. »Ja. Ich war im Haus, alles war verschwommen. Und dann war da wieder das Feuer.«
Eric beobachtete Roberts dabei, wie er sich Notizen machte.
»Wieso war da Feuer? Ich meine, Sie sagten doch, wir gehen in der Zeit zurück zu einem Punkt vor dem Unglück.«
Der Therapeut nickte ernst. »Ja, das haben wir auch getan. Dass Sie hinter dieser Tür ein Feuer gesehen haben, obwohl wir uns an einem Zeitpunkt Tage vor dem Unglück befunden haben müssten … Ich schätze, Sie assoziieren dieses einschneidende traumatische Erlebnis unbewusst mit Ihrer gesamten Kindheit in diesem Haus.«
»Aber warum habe ich meine Umgebung so verschwommen gesehen?«
»Könnte es vielleicht Rauch gewesen sein?«
Eric schüttelte den Kopf. »Nein, es war anders, kein Rauch. Eher so, als würde ich durch eine Brille schauen, die die falsche Stärke hat.«
»Hm …«, brummte Dr. Roberts und machte Notizen.
»Und warum kam mir der Raum, in dem ich war, so seltsam vor? Ich weiß, dass ich in diesem Haus meine ganze Kindheit verbracht habe, und trotzdem war mir alles fremd. Ich hatte keine …« Eric suchte nach dem richtigen Wort.
»Bindung?«, half Dr. Roberts ihm.
»Ja, genau. Es war, als wäre ich dort nur zu Gast. Ich habe die Einrichtung zwar gekannt, mich aber nicht zu Hause gefühlt.«
Roberts nickte, als hätte er damit gerechnet, dass Eric das sagen würde. »Das kann damit zusammenhängen, dass Sie nach dem traumatischen Erlebnis innerlich auf Distanz zu dem Haus gegangen sind, in dem alles passiert ist.« Dr. Roberts lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. »Herr Sanders, Sie haben bei diesem Feuer damals Ihre Eltern verloren. Das ist eine der schlimmsten Erfahrungen, die ein Kind machen kann. Danach haben Sie sich wahrscheinlich von allem distanziert, was mit dieser Tragödie zusammenhängt. Dazu gehört auch das Haus, in dem Sie aufgewachsen und in dem Ihre Eltern ums Leben gekommen sind. Ihr Unterbewusstsein hat die Assoziationskette zu dem Haus und allem anderen aus dieser Zeit unterbrochen. Das ist ein Schutzmechanismus. Indem Sie sich in dem Haus nur als Gast fühlen, können Sie Distanz wahren und müssen sich nicht auf den Schmerz einlassen, der mit der Erkenntnis und vor allem dem Gefühl einhergehen würde, dass es sich um Ihr Elternhaus handelt, in dem Ihr Vater und Ihre Mutter ums Leben gekommen sind.«
Eric dachte eine Weile darüber nach, bevor er nickte. »Das verstehe ich. Aber … wird das je aufhören? Die Schlaflosigkeit. Die Träume. Sie begleiten mich schon, solange ich zurückdenken kann.«
Roberts’ Brauen hoben sich kurz. »Herr Sanders, Sie sind erst zum zweiten Mal bei mir, da fällt es mir noch schwer, Prognosen abzugeben. Drücken wir es mal so aus: Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber ich sehe durchaus die Chance, dass wir es gemeinsam schaffen. Aber … was ich Sie schon bei Ihrem ersten Besuch fragen wollte: Wenn diese Träume Sie bereits seit so langer Zeit begleiten, warum haben Sie sich erst jetzt Hilfe gesucht?«
Eric zuckte mit den Schultern. »Meine Großmutter hat mir immer davon abgeraten. Sie meinte, diese neue Mode, für jede Kleinigkeit zu einem Psychotherapeuten zu rennen, würde unsere ganze Gesellschaft verrückt machen. Sie meinte, das seien letztendlich nur Träume.«
»Hm …«, brummte Dr. Roberts erneut und kritzelte wieder etwas in sein Notizbuch.
»Sie hat es gut gemeint.« Eric fühlte sich verpflichtet, seine Großmutter zu verteidigen. »Sie liebt mich und wollte immer nur das Beste für mich.«
»Ja, das glaube ich Ihnen.« Dr. Roberts warf einen Blick auf seine Armbanduhr, für Eric ein Zeichen, dass sie am Ende der Sitzung angekommen waren. Er erhob sich und sagte: »Ich danke Ihnen.«
Auch Dr. Roberts stand auf und nickte Eric zu. »Wir sehen uns in zwei Wochen wieder.«
Als Eric kurz darauf die Praxis verließ, wunderte er sich, wie sehr die Temperaturen innerhalb der Stunde, die er bei Dr. Roberts gewesen war, gestiegen waren. Er schätzte, dass es mindestens schon fünfundzwanzig Grad waren, und das um kurz nach zehn am Morgen Anfang Juni.
Er wandte sich nach rechts, wo er zwanzig Meter weiter sein Auto am Straßenrand geparkt hatte. Als er eingestiegen war, zog er ein kleines Ledermäppchen aus der Innentasche des dünnen Sakkos, das er über seinem weißen T-Shirt trug, und klappte es auf. Die linke obere Ecke des Fotos fehlte, die unregelmäßigen, dunklen Ränder zeugten davon, dass sie verbrannt waren. Die beiden lachenden Gesichter im Zentrum des Bildes waren aber zum Glück nicht zerstört.
Eric betrachtete die Fotografie eine Weile, dann strich er mit dem Zeigefinger sanft die Konturen seines Vaters und seiner Mutter nach. Es war das einzige Foto, das ihm von ihnen nach dem Brand geblieben war. Es war kurz vor dem Unglück aufgenommen worden, hatte seine Großmutter ihm erzählt. Er selbst konnte sich nicht mehr an die Zeit davor erinnern. An nichts davon.
Eric sah sich jedes kleine Detail der beiden Gesichter an, die man auf der Aufnahme erkennen konnte. Er betrachtete lange die Augen seiner Mutter, danach die seines Vaters, und hoffte wie jedes Mal dabei auf Anzeichen der Erinnerung. Auf ein kleines Fragment, das er aufgreifen und benutzen konnte, um sein Gedächtnis wieder zum Funktionieren zu bringen, doch wie bei allen vorherigen Versuchen gelang es ihm nicht.
Ja, er wusste, dass diese beiden Menschen auf dem Foto seine Eltern waren. Fühlen konnte er es aber nicht.
Er steckte die Fotografie wieder ein und startete den Motor. Sein nächstes Ziel war klar.
Als er seinen Wagen auf dem Parkplatz des Pflegeheimes in Schwabing-Freimann abstellte, war es kurz nach halb elf. Während er auf den Eingang zuging, hoffte er, dass seine Großmutter einen guten Tag hatte.
Seit Erics Großvater eineinhalb Jahre zuvor gestorben war, lebte sie in der Einrichtung, und von Monat zu Monat wurde ihr Zustand problematischer. Mittlerweile erkannte sie Eric nur noch ab und zu, wenn er sie besuchte, und es schmerzte ihn, die Frau, die ihn nach dem Tod seiner Eltern aufgenommen hatte, so vor sich hin siechen zu sehen.
Soweit Eric sich zurückerinnern konnte, hatten sie und sein Großvater sich liebevoll um ihn gekümmert und ihm trotz der Tragödie einen guten Start ins Leben ermöglicht.
Eric betrat das Gebäude und wandte sich nach links, wo am Ende eines hellen Flurs das Zimmer seiner Großmutter lag. Jemand hatte einen Blumen-Aufkleber mit ihrem Namen auf der Tür angebracht.
Der Form halber klopfte er an, wartete aber nicht auf eine Reaktion, die erfahrungsgemäß ausbleiben würde, sondern öffnete die Tür und trat ein.
Der Raum war etwa sechzehn Quadratmeter groß. An der Wand rechts neben der Tür stand ein Bett mit Seitenwänden aus hellem Holz. Am Kopfende war ein verchromter Bettgalgen angebracht, von dem ein grauer Plastikgriff herabhing, wie man ihn von Krankenhausbetten kannte. Daneben ein rollbarer Nachttisch. Der Kleiderschrank an der rechten Längswand war nur etwa eins achtzig hoch und aus dem gleichen hellen Holz, ebenso wie das hüfthohe Sideboard gegenüber. Auf dem quadratischen Tisch mit zwei Stühlen in der Mitte des Zimmers lag ein sommergelbes Deckchen, das Erics Großmutter in einer besseren Zeit selbst gehäkelt hatte. Darauf stand eine Holzschale. Sie war leer.
Komplettiert wurde die Einrichtung von einem bequemen braunen Ledersessel, der einmal das Lieblingsmöbel von Erics Großvater gewesen war und in dem Mathilde Krämer nun wie so oft vor dem Fenster saß. Sie blickte nach draußen. Ob sie allerdings etwas von dem registrierte, was dort vor sich ging – und das war wenig genug –, wusste er nicht.
Als sie den Kopf wandte und ihm mit leerem Blick entgegensah, ahnte Eric, dass er an diesem Tag nicht das Glück haben würde, erkannt zu werden.
»Guten Morgen, Oma«, begrüßte er sie betont gut gelaunt und ging auf sie zu.
»Guten Morgen«, antwortete sie und beobachtete ihn interessiert. »Sind Sie Arzt?«
»Nein, Oma, ich bin’s, Eric. Dein Enkel.« Eric hob den Stuhl hoch, der vor dem kleinen Tisch stand, stellte ihn neben dem Sessel ab und setzte sich.
Als er die Hand seiner Großmutter in seine nahm, ließ sie es geschehen, betrachtete ihn dabei aber weiterhin interessiert und so, als hätte sie ihn noch nie gesehen.
»Die Blumen haben zu wenig Wasser«, erklärte sie.
»Welche Blumen meinst du, Oma?«
»Die da draußen. Schauen Sie doch nur, wie sie die Köpfe hängen lassen. Können Sie dafür sorgen, dass die Blumen Wasser bekommen?«
Eric richtete sich auf und warf einen Blick durch das Fenster. Tatsächlich sahen die verschiedenfarbigen Nelken, die zu beiden Seiten des Treppenaufgangs angepflanzt waren, so aus, als bräuchten sie dringend Wasser, was bei den Temperaturen kein Wunder war. Ihn wunderte eher, dass es seiner Großmutter aufgefallen war.
»Du hast recht«, bestätigte Eric und setzte sich wieder. »Ich werde nachher vorn Bescheid sagen, dass sie gegossen werden müssen.«
»Sind Sie Arzt?«, erkundigte Mathilde Krämer sich erneut. Eric ignorierte die Frage. Er hatte gelernt, dass es in solchen Momenten nichts brachte, ihr wieder und wieder zu erklären, wer er war. Stattdessen nahm er die Fotografie seiner Eltern und zeigte sie seiner Großmutter.
»Schau mal, weißt du, wer das ist?« Er hatte die Hoffnung, dass der Anblick ihrer Tochter und ihres Schwiegersohnes vielleicht die Erinnerung in ihr weckte, doch nachdem sie einen kurzen Blick auf das Foto geworfen hatte, schüttelte sie den Kopf und sah ihn verständnislos an. »Nein.«
»Das ist deine Tochter.«
»Meine Tochter?«
»Ja, Oma.« Nachdem ein paar Sekunden verstrichen waren, fügte er leiser hinzu: »Meine Mutter.«
»Nein.«
»Doch.«
Sie sah ihn an, als hätte sie ihn nicht verstanden, dann wanderte ihr Blick erneut zu der Aufnahme in seinen Händen, wo er kurz verweilte, bevor sie sich wieder dem Fenster zuwandte. »Die Blumen brauchen Wasser.«
»Ja, Oma«, entgegnete Eric traurig. »Ich sage Bescheid.«
Als er sich zehn lange Minuten später von ihr verabschiedet hatte, sprach er auf dem Weg nach draußen eine Mitarbeiterin an, die ihm auf dem Flur entgegenkam und ihn freundlich grüßte. Man kannte ihn hier mittlerweile.
»Ich soll Ihnen von meiner Großmutter ausrichten, dass die Blumen draußen neben der Treppe Wasser brauchen.«
»Oh, danke, ich gebe es gleich weiter«, entgegnete die etwa vierzigjährige Frau lächelnd. »Ich weiß, dass Ihre Großmutter sonst keine Ruhe findet.«
Kurz darauf stieg Eric in sein Auto und griff, einer Eingebung folgend, nach seinem Handy. Mit einigen wenigen Klicks hatte er Facebook geöffnet und überprüfte zuerst die Anzahl seiner Follower. Sie war mittlerweile bei fast vierzigtausend angekommen und stieg damit nicht mehr so rasant wie am ersten Tag nach der Ausstrahlung des Tatorts, war aber trotzdem beachtlich. Anschließend scrollte Eric nach unten zu seinem Beitrag und stieß gleich darauf einen Fluch aus. Der obenstehende Kommentar stammte von LissyLady74 und lautete:
Wollte nur mal loswerden, dass das wirklich eine tolle Leistung war im Tatort. Weiter so!
Darunter stand als Antwort:
Danke Lissy, ich weiß selbst, dass ich gut war. Und entschuldige bitte, aber das Recht, mir ein »weiter so« zu sagen, hat mein Agent oder ein Produzent, aber kein Fan. Vielleicht nimmst du dich ein bisschen zu wichtig?
Geschrieben hatte das Eric Sanders – Actor.
Als Eric zu Hause ankam, ging er auf direktem Weg ins Büro und schaltete seinen Computer an. Er war wütend.
Noch auf dem Parkplatz vor dem Pflegeheim hatte er den neuen Fake-Account blockiert und war dann gleich losgefahren.
Vielleicht nimmst du dich ein bisschen zu wichtig … Und das unter dem Kommentar einer jungen Frau, die ihm ein freundliches Lob ausgesprochen hatte. Selten hatte er etwas Unsympathischeres, Arroganteres und Dämlicheres gelesen. Das würde zumindest ein Teil seiner neuen Follower nun auch denken. Aber von ihm!
Er öffnete Facebook und navigierte zu seinem Post. Zum Glück gab es keine neuen Antworten von einem gefälschten Konto mit seinem Namen. Dafür einige Nachrichten von Menschen, die ihn anscheinend kannten oder gut einschätzen konnten und ihn darauf hinwiesen, dass unter seinem Post offenbar ein Troll sein Unwesen trieb.
Nachdem er sich noch eine Weile durch die überwiegend sehr positiven Meinungen zu seiner schauspielerischen Leistung gelesen hatte, schaltete er den Computer aus. Er musste los. Für dreizehn Uhr war eine Probe im Theater angesetzt. Schon in zwei Wochen war die Premiere von Agamemnon, in der Eric Menelaos darstellen würde, König von Sparta und Agamemnons jüngerer Bruder. Das war zwar keine Hauptrolle, aber neben Klytämnestra, Agamemnons Frau, eine der wichtigen Figuren des Stückes.
Eric war von Anfang an von dem Stoff begeistert gewesen, weil ihn Homers Epos um den Trojanischen Krieg schon als Jugendlicher fasziniert hatte. Zudem hatte die Figur des Königs von Sparta, dessen wunderschöne Frau Helena sich bereitwillig von dem Prinzen Trojas, Paris, entführen ließ, so viele Facetten zwischen Wut, Trauer und Macht, dass Eric jede Probe als Herausforderung sah, dem Charakter des Menelaos durch sein Spiel weitere emotionale Nuancen einzuhauchen.
Als er um kurz vor eins die Bühne betrat, saßen die meisten der Schauspielerinnen und Schauspieler schon auf dem Boden oder standen in kleinen Grüppchen zusammen und warteten auf die Regisseurin.
»Da kommt ja unser Tatort-Star«, wurde er lachend von Thomas Korling begrüßt, der mit zwei Kolleginnen zusammenstand. Der fünf Jahre ältere blonde Schauspieler gehörte erst seit einem halben Jahr zum festen Ensemble des Theaters und war Eric vom ersten Tag an sympathisch gewesen. Er hatte die Hauptrolle des Agamemnon bekommen, was Eric ihm von Herzen gönnte. Er konnte neidlos anerkennen, dass Thomas ein begnadeter Darsteller war. Umso mehr hatte es ihn gewundert, dass man ihn und nicht Thomas für die Rolle im Tatort ausgesucht hatte.
Als der Hauptdarsteller nun die Hände hob und zu klatschen begann, fielen nach und nach alle anderen mit ein. Eric war klar, dass einige das nur widerwillig taten, weil sie ihm seinen Erfolg nicht wirklich gönnten. In diesem Punkt waren Schauspieler nicht anders als alle anderen Menschen. Und falls es doch Unterschiede gab, waren Mimen in puncto Neid und Missgunst eher etwas schlimmer.
»Grandiose Leistung«, sagte jemand. »Tolle Performance«, ein anderer, während alle anderen bestätigend nickten.
»Herzlichen Glückwunsch«, sagte eine Frau hinter ihm. Noch bevor Eric sich umdrehte, wusste er, dass es Alessa Pruß war, die Regisseurin.
»Danke, freut mich, dass es dir gefallen hat.« Er war sicher, dass sie es so meinte, wie sie es sagte, da Alessa immer genau das sagte, was sie dachte. Und genau deshalb war sie nicht bei allen Mitgliedern des Ensembles beliebt, weil sie manchmal auch Dinge offen aussprach, die der eine oder andere nicht gern hörte.
»Aber komm bloß nicht auf den Gedanken, dich auf diesen Lorbeeren auszuruhen, klar? Hier spielst du zwar keine Paraderolle wie die eines bemitleidenswerten Opfers, sondern nur einen spartanischen König und das auch nicht vor einem Millionenpublikum, sondern nur vor ein paar hundert Leuten pro Vorstellung, aber lass dir nicht einfallen, jetzt leichtsinnig zu werden. Falls du allerdings denkst, es hat sich deshalb etwas geändert, dann hast du damit trotzdem recht. Ich erwarte von dir ab heute noch mehr als zuvor, klar?«
Als Eric schmunzelnd nickte, klatschte Alessa in die Hände und blickte in die Runde. »Also los, los, auf geht’s.«
Als Eric nach der Probe drei Stunden später die Bühne verlassen wollte, kam er an Thomas vorbei, der sich gerade von einer Kollegin verabschiedete. »Hast du noch einen Moment?«, fragte Eric, woraufhin Thomas nickte. »Klar, was gibt’s?«
»Du bist doch schon etwas länger im Geschäft und hattest bereits einige Hauptrollen an großen Theatern. Ich weiß, dass du eine Menge Follower auf allen möglichen Social-Media-Kanälen hast und …«
»Möchtest du Tipps von mir, jetzt, wo es bei dir so richtig abgeht?«, unterbrach Thomas ihn lachend.
»Nicht direkt. Es ist eher eine Frage. Ist es dir schon mal passiert, dass sich jemand für dich ausgegeben und Blödsinn gepostet hat?«
»Ich weiß, was du meinst.« Thomas zwinkerte Eric zu. »Ich habe dich nach der Ausstrahlung natürlich gleich gestalkt und gesehen, was dieser Vollpfosten gepostet hat.«
»Und? Hast du das auch schon mal gehabt.«
Thomas winkte ab. »Ein Mal? Leider bereits öfter. Da darfst du dir nichts draus machen. Blockieren und fertig. Alles andere bringt eh nichts.« Thomas’ Grinsen wurde noch breiter. »Das ist die Kehrseite der Medaille. Wenn die Leute plötzlich beginnen, sich für dich zu interessieren, ziehst du zwangsläufig auch solche Idioten an.«
»Und da kann man gar nichts machen?«
Thomas zuckte mit den Schultern. »Du hast ja schon alles getan, was möglich ist. Einen Post, in dem du den Leuten erklärst, dass diese Antworten nicht von dir stammen, und den Kerl blockiert.«
»Okay!«, sagte Eric. »Ich hatte gehofft, man kann sonst noch was dagegen tun.«
»Du kannst die falschen Erics zwar melden, aber ich weiß aus eigener und der Erfahrung vieler Kollegen, dass das überhaupt nichts bringt.«
»Okay, ich danke dir jedenfalls.«
»Keine Ursache«, entgegnete Thomas.
»Dann bis morgen.« Eric wollte sich schon abwenden, als Thomas sagte: »Ach, eins hat mich aber doch gewundert.«
»Was denn?«
»Bei mir, und ich denke, auch bei den anderen, schreiben diese Typen immer so was wie: Vielen Dank für deinen Kommentar. Als kleines Dankeschön habe ich eine Überraschung für dich. Klicke einfach diesen Link an. Und dann steht da ein Link, wo du dir einen Trojaner oder so was einfängst, wenn du draufklickst. Oder man wird zu irgendeiner gefakten Shopseite gelenkt, wo es supergünstige Schnäppchen gibt, die man aber nie erhält. Bei dir war das anders.«
»Ja, stimmt, der Idiot hat absurde Dinge gepostet, die mich in ein ziemlich schlechtes Licht rücken. Unter einen wirklich netten Kommentar hat er mit dem neuen Account geschrieben: Vielleicht nimmst du dich ein bisschen zu wichtig? Das lässt mich dastehen wie ein ziemliches Arschloch.«
Thomas nickte. »Das ist allerdings wahr. Vielleicht ist es bei dir ja gar kein Troll, dem es nur darum geht, Geld zu ergaunern oder irgendeinen Schaden anzurichten.«
»Sondern?«
»Vielleicht möchte er ganz speziell dir schaden.«
Als Eric kurz darauf das Theater verließ, war er nachdenklich geworden. Was Thomas gesagt hatte, ließ diese Sache noch mal in einem ganz neuen Licht erscheinen, was dazu führte, dass der anfängliche Ärger einem diffusen Unbehagen wich.
Um kurz nach halb fünf war er zu Hause, wo er die verbleibende halbe Stunde des Alleinseins nutzen wollte, um seine Mails zu checken und gegebenenfalls zu beantworten. Er hatte die Mailadresse in seinem Profil hinterlegt und fand es aufregend, plötzlich so viele Nachrichten von Fans zu bekommen, die er auch möglichst alle beantworten wollte.
Im Büro fuhr er seinen Computer hoch und öffnete das Mailprogramm, das ihm anzeigte, dass er zweiunddreißig neue Nachrichten erhalten hatte. Nachdem er die offensichtlichen Spammails aussortiert hatte, blieben noch elf Nachrichten übrig.
Eric klickte die oberste Mail an, in der eine Frau namens Gaby Perlau voll des Lobes für seine Darstellung des Peter Borchert war. Er klickte auf antworten und bedankte sich herzlich für das Lob, über das er sich sehr freue.
Nachdem er seinen Text kopiert hatte, schickte er die Mail los und widmete sich der nächsten Nachricht, die einen ähnlichen Inhalt hatte und die er mit dem kopierten Text ebenfalls beantwortete.
Die dritte Mail stammte von P. K.
Als Eric sie las, stöhnte er auf.
Eric!
Du bekommst im Moment viele Mails, aber diese ist einzigartig. Sie ist eine Prophezeiung. Dein Leben wird sich bald auf dramatische Weise verändern. Ich bin kein Spinner. Ich bin der, der dein Leben verändern wird. Ich bin du! Ebenso sehr oder ebenso wenig wie du bin ich derjenige, der du vorgibst zu sein.
Wart’s ab!
Eric las den letzten Teil noch mal, verstand ihn aber auch beim zweiten Mal nicht. Mit wummerndem Puls betrachtete er den Absender, doch die Mailadresse [email protected] ließ keinerlei Rückschlüsse auf die Identität der Person zu. Mit fahrigen Bewegungen öffnete Eric den Browser und suchte nach dem Mailanbieter. Schnell stellte sich heraus, dass es sich um eine sogenannte Wegwerf-Adresse handelte, die anonym verwendet werden konnte und nach zehn Minuten ihre Gültigkeit verlor. Ein Rückschluss auf den tatsächlichen Absender war also nicht möglich.
Eric wechselte zurück zum Mailprogramm und las die Nachricht erneut, was es nicht besser machte.
Ich bin du! Ebenso sehr oder ebenso wenig wie du bin ich derjenige, der du vorgibst zu sein.
Das klang sehr seltsam, aber alles davor sah nicht nach einem Spinner aus, der wirres Zeug schrieb.
Andererseits … war es nicht tatsächlich so, dass jeder, der halbwegs prominent war, mit so verqueren Nachrichten rechnen musste?
Das Klingeln seines Telefons riss Eric aus diesen Überlegungen, und er war dankbar dafür. Als er auf dem Display sah, dass es sein Agent war, atmete er auf. Mit Bastian konnte er über alles reden, zumal er schon seit vielen Jahren auch bekanntere Schauspielerinnen und Schauspieler vertrat und Mails wie die von P.K. sicher schon öfter bei seinen Klienten erlebt hatte.
»Bastian«, meldete Eric sich. »Gut, dass du anrufst, ich habe gerade eine sehr merkwürdige Mail erhalten.«
»Merkwürdig? Inwiefern?«