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Calla hält sich im Hintergrund. Schon immer. Sie versteckt ihre körperlichen und seelischen Narben, hütet ihre Geheimnisse und hat mit ihrer Vergangenheit endgültig abgeschlossen. Denkt sie. Denn als ihre Mutter spurlos verschwindet, muss sie zurückkehren – in ihre Heimatstadt und in ein Leben, das sie für immer vergessen wollte. Womit sie allerdings nicht gerechnet hat, ist Jax – und die Gefühle, die er in ihr weckt. Doch bevor Calla sich darüber Gedanken machen kann, stehen Männer vor ihrer Tür, die sie für die Taten ihrer Mutter bezahlen lassen wollen …
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Veröffentlichungsjahr: 2015
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Wie immer für meine Leser. Ohne euch könntet ihr diese Geschichte gerade nicht in den Händen halten.
Übersetzung aus dem Amerikanischen von Vanessa Lamatsch
ISBN 978-3-492-96718-1
April 2015
© 2014 Jennifer L. Armentrout
Titel der Amerikanischen Originalausgabe:
»Stay with Me«, William Morrow Paperbacks/HarperCollins
Publishers, New York 2014
Deutschsprachige Ausgabe:
© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2015
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Covermotiv: Felix Wirth/Corbis
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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Kapitel 1 Das Heiße-Kerle-Kommando hatte mich umzingelt.
Viele Leute hielten das Heiße-Kerle-Kommando für einen Mythos. Für eine Unilegende, wie die Geschichte über die Ballkönigin, die sich im LSD- oder Crackrausch aus dem Fenster gestürzt hatte oder in der Dusche gestürzt war und sich dabei den Schädel gesprengt hatte. Wer wusste schon genau, was passiert war? Jedes Mal, wenn ich die Geschichte hörte, klang sie ein wenig anders. Doch im Gegensatz zu der toten Tussi, die angeblich in Gardiner Hall spukte, war das Heiße-Kerle-Kommando real: Es bestand aus mehreren Kerlen.
Mehreren heißen Kerlen, um genau zu sein.
Inzwischen tauchten die Jungs nur noch selten gemeinsam auf, weswegen sie ins Reich der Campuslegenden eingegangen waren. Aber wow, wenn sie sich mal an einem Ort versammelten, dann waren sie wirklich eine Augenweide.
Und solche Perfektion gab es in meinem Leben nur selten – außer in Form des wunderbaren Make-ups namens Dermablend, wodurch es fast gelang, die Narbe in meinem Gesicht abzudecken.
Wir drängten uns alle in Avery Morganstens Wohnung. Dem riesigen Ring an ihrem Finger nach zu urteilen, stand Avery kurz davor, ihren Nachnamen zu ändern. Und auch wenn ich sie nicht gut kannte – eigentlich kannte ich außer Teresa niemanden hier wirklich gut –, freute ich mich für sie. Wann immer ich Avery begegnet war, wirkte sie sehr nett. Manchmal war sie ein wenig still und schien sich irgendwie in sich selbst zurückzuziehen. Aber an der Art, wie sie und ihr Verlobter, Cameron Hamilton, sich ansahen, konnte man deutlich erkennen, dass die beiden absolut verliebt waren.
Auch im Moment beobachtete er sie auf diese Art: Als gäbe es auf der ganzen Welt keine andere Frau als sie. Obwohl Cam auf der Couch saß und Avery auf seinem Schoß, blieben diese strahlend blauen Augen unverwandt auf sie gerichtet, während sie über etwas lachte, was seine Schwester Teresa gesagt hatte.
Hätte ich das Heiße-Kerle-Kommando in Dienstgrade einordnen müssen, wäre Cam der Präsident gewesen. Das lag nicht nur an seinem Aussehen, sondern auch an seiner Persönlichkeit. In seiner Nähe fühlte sich niemand je gehemmt oder ausgeschlossen. Er strahlte diese … Herzlichkeit aus, die total ansteckend war.
Im Geheimen – und diese Info würde ich mit ins Grab nehmen – beneidete ich Avery. Ich kannte sie kaum, doch sehnte ich mich nach dem, was sie hatte – einen heißen Kerl, der außerdem echt lieb war und dafür sorgte, dass man sich in seiner Nähe wohlfühlte. Das war selten.
»Willst du noch einen Drink?«
Ich drehte den Kopf erst nach links und legte ihn dann leicht in den Nacken, um zu Jase Winstead aufzuschauen. Mein Atem stockte leicht. Jase war das Gegenteil von Cam. Er war extrem gut aussehend, aber in seiner Nähe fühlte ich mich nicht behaglich, besonders nicht, wenn seine grauen Augen auf mich gerichtet waren. Mit seiner dunklen Haut, den etwas längeren braunen Haaren, und seinem fast unwirklich guten Modelaussehen wäre er der Leutnant des Heiße-Kerle-Kommandos. Er war bei Weitem der heißeste Kerl von allen, und er konnte wie jetzt gerade supernett sein. Doch er war bei Weitem nicht so locker oder charmant wie Cam, weswegen ich Cam auch an die Spitze gesetzt hatte.
»Nö, alles okay.« Ich hob die halb volle Bierflasche, an der ich nippte, seitdem ich angekommen war. »Aber danke.«
Er lächelte kurz, dann ging er und schlang die Arme um Teresas Hüfte. Sie ließ ihren Kopf gegen seine Brust fallen und legte die Hände auf seine Arme. Er machte einen zufriedenen Gesichtsausdruck.
Okay, ich war auch ein bisschen neidisch auf Teresa.
Ich hatte noch nie eine echte Beziehung gehabt. Ich war in der Highschool nicht ausgegangen. Die Narbe auf meinem Gesicht war damals noch viel auffälliger gewesen. Selbst mit dem wunderbarsten Make-up hatte ich sie nicht abdecken können. Und Highschoolschüler, nun, sie konnten wirklich grausam sein, wenn es um deutlich sichtbare Schönheitsfehler ging. Und selbst wenn jemand darüber hätte hinwegsehen können, so, wie mein Leben damals lief, hatte ich einfach keine Zeit für Verabredungen gehabt und noch weniger für eine Beziehung.
Dann hatte es da Jonathan King gegeben. Er hatte im ersten Collegejahr zusammen mit mir den Geschichtskurs besucht, ein wirklich süßer Kerl, und wir hatten uns sofort verstanden. Natürlich hatte ich gezögert, als er mich um eine Verabredung bat. Aber verdammt, er war hartnäckig geblieben, und schließlich hatte ich zugesagt. Wir waren ein paarmal miteinander ausgegangen, und die Beziehung hatte sich entwickelt. Wie jeder normale Kerl hatte er eines Abends, als wir allein in meinem Wohnheimzimmer gewesen waren, versucht, bei mir zu landen. Er hatte schließlich über die Narbe in meinem Gesicht hinwegsehen können, also hatte ich dämlicherweise geglaubt, er könnte auch über alles andere hinwegsehen.
In diesem Punkt hatte ich mich geirrt.
Wir hatten uns nicht mal geküsst und waren auch nicht mehr miteinander ausgegangen. Ich hatte niemanden von ihm und dieser schrecklichen Nacht erzählt. Ich dachte nie wieder an ihn.
Na ja, außer jetzt im Moment natürlich. Verdammt.
Während ich die heißen Typen vom Heiße-Kerle-Kommando beobachtete, war ich mir durchaus bewusst, dass ich ziemlich mannstoll war, aufgrund des Mangels an … na ja, Männern in meinem Leben.
»Ich hab’s!«
Ich riss den Kopf herum, als Ollie um die Couch tigerte. Seine Freundin Brittany folgte ihm, die Augen so weit verdreht, dass ich das Gefühl hatte, sie müsste gleich in Ohnmacht fallen.
Ollie trat an den Couchtisch und lehnte sich vor. Er hielt eine Schildkröte in den Händen. Ich zog die Augenbrauen hoch, als der kleine grüne Kerl mit den Beinen wedelte. Was zur …?
»Es ist keine echte Party, bevor Ollie nicht die Schildkröte rausholt«, sagte Jase, und meine Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.
Cam seufzte und beugte sich neben Avery vor. »Was zur Hölle treibst du da mit Raphael?«
»Nur damit das klar ist.« Ollie setzte die Schildkröte auf den Tisch. Dann schob er sich mit einer Hand die schulterlangen blonden Haare hinters Ohr. »Das ist Michelangelo. Ich finde es ziemlich jämmerlich, dass du die beiden nicht mal mehr auseinanderhalten kannst. Wahrscheinlich ist Raphael schon depressiv.«
»Ich habe versucht, ihn aufzuhalten«, erklärte Brit mit verschränkten Armen. Die beiden sahen aus, als ständen sie in der Endrunde des Castings bei Das perfekte blonde Pärchen. »Aber ihr wisst ja, wie er ist …«
Jeder wusste, wie Ollie war.
Ollie studierte inzwischen – überraschenderweise – Medizin, doch seine Mätzchen waren mindestens so legendär wie das Heiße-Kerle-Kommando an sich. Ollies Rang wäre Unteroffizier des Leutnants. Er strich eine Menge Extrapunkte dafür ein, dass er fast jedes Wochenende nach Shepherdstown kam, um seine Freundin zu besuchen und dafür, dass er einfach ein unverbesserlicher Doofkopf war.
»Wie ihr sehen könnt, habe ich eine neue Leine entworfen.« Er deutete auf ein Konstrukt um den Panzer der Schildkröte, das aussah wie ein winziger Gürtel.
Cam starrte zu ihm auf. »Meinst du das ernst?«
»Jetzt könnt ihr mit den beiden spazieren gehen.« Und dann führte er uns seine Erfindung vor, indem er Michelangelo über den Tisch wandern ließ. Ich fragte mich, ob Avery und Cam eigentlich von diesem Tisch aßen. »Auf jeden Fall ist es besser als Bindfaden.«
Mit einer Schildkröte spazieren gehen? Das … das musste schlimmer sein, als eine Katze spazieren zu führen. Ich fing an zu kichern. »Das sieht aus wie ein Barbiegürtel.«
»Es ist eine Designerleine«, korrigierte Ollie mich mit zuckenden Lippen. »Aber ich gebe zu, die Idee kam mir im Wal-Mart in der Spielzeugabteilung.«
Teresa runzelte die Stirn. »Wieso warst du in der Spielzeugabteilung?«
»Genau. Gibt es da etwas, was ihr beide uns verheimlicht?«, fragte Jase.
Brit riss die Augen auf.
Ollie dagegen zuckte nur mit den Achseln. »Ich schaue mir gerne Spielzeug an. Es ist inzwischen alles so viel cooler als in unserer Kindheit.«
Dieser Kommentar entzündete eine generelle Diskussion darüber, wie schlecht es unsere Generation doch gehabt hatte, wenn man die Coolness und Raffinesse des heutigen Spielzeugs betrachtete. Ich musste schwer nachdenken, um mich an das Spielzeug meiner Kindheit zu erinnern. Barbies – natürlich hatte ich Barbies gehabt –, doch statt Modellautos oder Gesellschaftsspielen gab es bei mir Satinschärpen und glitzernde Krönchen.
Und dann hatte ich gar nichts mehr besessen.
Als die Gruppe anfing, sich über ihre Pläne für den Sommer zu unterhalten, versuchte ich mitzubekommen, was die einzelnen Leute vorhatten. Cam und Avery wollten den Sommer in D.C. verbringen, weil Cam es ins Uniteam geschafft hatte. Ich war noch nie in Washington gewesen, obwohl Shepherdstown gar nicht so weit von unserer Hauptstadt entfernt lag. Brits und Ollies Pläne waren erstaunlich verrückt. Sie wollten eine Woche nach Ferienbeginn aufbrechen, um nach Paris zu fliegen und von dort aus quer durch Europa zu reisen. Ich hatte noch nie in einem Flugzeug gesessen, und noch weniger war ich in Europa gewesen. Zur Hölle, ich hatte ja noch nicht mal New York City gesehen. Teresa und Jase waren eifrig damit beschäftigt, einen tollen Strandurlaub mit Jase’ Eltern und seinem kleinen Bruder in South Carolina zu planen. Sie wollten sich ein Haus am Meer mieten. Teresa redete nur noch darüber, ihre Füße ins Meerwasser zu halten. Ich war natürlich auch noch nie am Strand gewesen, demnach hatte ich keine Ahnung, wie sich Sand unter den Zehen anfühlte.
Ich musste wirklich dringend mal rausgehen und etwas erleben. So viel stand fest.
Aber das war okay, denn diese Dinge, inklusive mit einem heißen Kerl einen Kontinent zu bereisen, standen nicht auf der Liste meiner drei großen Ziele:
Einen Collegeabschluss machen.
Einen Job im Krankenpflegebereich finden.
Endlich einmal sehen, wie es sich anfühlt, wenn man etwas zu Ende gebracht hat.
Es war gut, Ziele im Leben zu haben. Langweilig, aber gut.
»Du bist heute sehr still, Calla.«
Ich versteifte mich. Ich konnte einfach nichts dagegen machen. Dann fühlte ich, wie mir beim Klang von Brandon Shrivers Stimme ganz heiß wurde. Ich steckte meine Bierflasche zwischen die Knie und versuchte krampfhaft, meine Schultermuskeln zu entspannen. Es war nicht so, als hätte ich vergessen, dass Brandon neben mir saß, links von mir saß. Wie könnte ich das vergessen? Im Moment tat ich einfach nur so, als gäbe es ihn nicht.
Ich leckte mir über die Lippen und drehte den Kopf so, dass mehrere lange blonde Strähnen meines Haares über meine linke Schulter fielen und meine Narbe verbargen. »Ich höre einfach nur zu.«
Brandon lachte leise. Er hatte ein tolles Lachen. Und ein attraktives Gesicht. Und einen phantastischen Körper. Und einen wirklich knackigen Hintern.
Ja, Brandon gab es natürlich auch noch. Seufz. Tiefer Seufzer von epischer Länge. Er stand mit seinen braunen Haaren und den breiten Schultern nur knapp unter dem Leutnant des Heiße-Kerle-Kommandos.
»Wenn Ollie da ist, gibt es immer eine Menge zu verarbeiten«, meinte er, während er mich über den Rand seiner Bierflasche hinweg beäugte. »Warte, bis er seine Idee präsentiert, Rollschuhe für Schildkröten zu basteln.«
Ich lachte und entspannte mich noch ein bisschen mehr. Brandon war heiß, aber er war außerdem auch nett, auf der Freundlichkeitsskala irgendwo angesiedelt zwischen Cam und Jase. »Mir fällt es schwer, mir Schildkröten auf Rollschuhen auch nur vorzustellen.«
»Ollie ist entweder vollkommen verrückt oder ein Genie.« Brandon rutschte auf dem Polsterhocker ein wenig nach vorne. »Die Jury berät noch.«
»Ich halte ihn für ein Genie.« Ich beobachtete, wie Ollie die Schildkröte wieder einfing und sie zu dem ziemlich aufwendigen Terrarium trug, in dem der kleine grüne Kerl lebte. »Laut Brit hat er Bestnoten in all seinen Kursen. Und ein Medizinstudium kann nicht einfach sein.«
»Stimmt schon, aber die meisten klugen Leute sind vollkommen wahnsinnig.« Brandon kommentierte mein leises Lachen mit einem Grinsen. »Und, hat der riesige Kampf um die Kurse des nächsten Semesters ein gutes Ende genommen?«
Ich nickte grinsend und lehnte mich in meinem Sessel zurück. Ich hatte nur noch eineinhalb Semester bis zu meinem Abschluss als Krankenschwester, und zu den notwendigen Kursen zugelassen zu werden war so schwierig wie ein Armdrückwettbewerb gegen Hulk Hogan. Jeder, der mich kannte – oder sich in letzter Zeit auch nur in meiner Nähe aufgehalten hatte –, wusste, dass ich seit einer gefühlten Ewigkeit mit meinem Stundenplan kämpfte. Im Moment war das Semesterende noch eine Woche entfernt, und es war fast einen Monat her, dass die Einschreibfrist für die Kurse des nächsten Semesters zu Ende gegangen war.
»Ja, endlich. Ich glaube, es fühlt sich so an, als musste ich mein rechtes Bein opfern, um die richtigen Kurse zu belegen, aber jetzt habe ich alle zusammen. Am Montag muss ich mich noch mit jemandem in der Studentenbeihilfe treffen, aber das sollte eigentlich laufen.«
Als ich Brandon ansah, wirkte er leicht besorgt. »Ist finanziell alles in Ordnung?«
»Ich denke schon.« Mir fiel zumindest kein guter Grund ein, warum es anders sein sollte. »Hast du schon Pläne für den Sommer?«
Er hob eine seiner breiten Schultern. »Ich habe nicht groß darüber nachgedacht, weil ich Sommerkurse belege.«
»Das klingt spaßig.«
Er schnaubte nur.
Ich wollte gerade noch etwas lächerlich Uncleveres sagen, weil ich fand, dass dieses Eins-zu-eins-Gespräch mit Brandon gar nicht schlecht lief, doch dann lenkte mich ein Klopfen an der Tür ab. Mein Blick folgte Ollie zur Tür. Er öffnete sie, als sei es seine Wohnung.
»Was geht, hübsche Lady?«, fragte er. Ich setzte mich aufrecht und packte meine Bierflasche fester.
Eine hübsche, zierliche Brünette stiefelte in die Wohnung. Von ihren Fingern baumelte eine rote Sheetz-Tüte. Sie lächelte Ollie an und winkte Brit kurz zu.
Ich kannte ihren Namen nicht.
In gewisser Weise weigerte ich mich, mir ihren Namen zu merken. Ich kannte Brandon inzwischen seit einem Jahr, und ich gab mir keine Mühe, mir irgendwelche der Mädchen zu merken, mit denen er »abhing«, weil es so viele waren und sie nie lange aktuell blieben.
Doch dieses Mädchen mit ihren kurzen braunen Haaren und dem Körper einer Ballerina war anders. Die beiden hatten in diesem Semester einen Kurs zusammen besucht und hingen seit März miteinander rum. Doch heute sah ich sie zum ersten Mal außerhalb des Campus mit Brandon.
Eigentlich hatte ich sie nie wirklich kennengelernt. Ich hatte keine seiner üblichen Verdächtigen wirklich kennengelernt, sondern sie nur auf dem Campus und manchmal auf Partys gesehen. Doch Brandon war auf keiner Party mehr aufgetaucht, seit … na ja, seit März.
»Da ist sie ja.« Seine grünen Augen leuchteten auf.
O Scheiße.
Ich war vielleicht schwer von Begriff.
Ich atmete durch die Nase und lächelte angestrengt, als das Mädchen sich ihren Weg durch die Pärchen bahnte, um Brandon zu erreichen. Er richtete sich auf seinem Hocker auf und öffnete die Arme. Sie schmiss sich sofort an ihn ran, setzte sich auf seine Knie und schlang die Arme um seinen Hals. Die Sheetz-Tüte baumelte auf seinem Rücken, und ihr Mund war wie eine Fernleitrakete, die auf Brandons Lippen programmiert war. Und das konnte ich ihr nicht mal übel nehmen.
Sie küssten sich.
Es war ein tiefer, langer, feuchter Kuss – ein echter Kuss. Nicht die Art Kuss, die meint »Wir lernen uns gerade kennen« oder die Art, die sagt »wir stehen aufeinander«. Das hier bedeutete »Wir haben schon eine Menge Körperflüssigkeiten ausgetauscht«.
Und, lieber Gott, ich beobachtete sie dabei, wie sie versuchten, sich gegenseitig aufzufressen, bis mir klar wurde, dass ich mich gerade wirklich peinlich benahm. Ich zwang mich dazu, den Kopf abzuwenden, und sah Teresa an.
Ein mitfühlender Ausdruck huschte über ihr hübsches Gesicht. Sie hatte sich aus Jase’ Umarmung zu mir umgedreht, denn sie wusste, dass ich total verzweifelt für Brandon schwärmte.
»Ich habe dir eine Käsebrezel mitgebracht«, verkündete das Mädchen, als die beiden endlich wieder Luft holen mussten.
Brandon liebte mit Käse gefüllte Brezeln wie ich Schokoladenbrownies.
»Sie hat dir eine Brezel mitgebracht?«, fragte Ollie. »Mann, steck der Frau einen Ring an den Finger.«
Brit verdrehte die Augen und legte einen Arm um Ollies Hüfte. »Du bist ja wirklich leicht zu beeindrucken.«
Ollie drehte sich in ihrer Umarmung und senkte sein Gesicht zu ihrem. »Du weißt genau, womit man mich beeindrucken kann, Baby.«
Ich wartete weiter darauf, dass Brandon aus dem Stuhl aufsprang und vor der Vorstellung weglief, einem Mädchen, das er gerade mal seit ein paar Monaten kannte, einen Ring an den Finger zu stecken. Doch da mir der Anblick auf seinen knackigen Hintern auf dem Weg zur Tür verwehrt blieb, sah ich zu ihm, obwohl ich wusste, dass es dumm war. Ich hatte einfach eine masochistische Ader.
Brandon starrte das Mädchen an und grinste auf eine Weise, die mir und der ganzen Welt verriet, dass er absolut glücklich war.
Ich unterdrückte ein Seufzen.
Und dann sah er mich an, und bevor ich in Panik verfallen konnte, weil er mich dabei erwischt hatte, wie ich ihn anstarrte wie ein Stalker, wurde sein Lächeln noch strahlender. »Du hattest noch gar nicht die Gelegenheit, Tatiana kennenzulernen.«
Verdammt. Ich wollte ihren Namen nicht erfahren. Aber Tatiana war so ein cooler Name.
Tatiana schüttelte den Kopf und sah mich mit ihren braunen Augen an. »Nein, wir kennen uns noch nicht.«
»Das ist eine Freundin, Calla Fritz«, sagte er, während er dem Mädchen mit einer Hand über den Rücken strich. »Wir hatten letztes Semester einen Musikkurs zusammen.«
Das war ich – Calla Fritz, für immer und ewig die gute Freundin des Heiße-Kerle-Kommandos. Nicht mehr. Nicht weniger.
Ich blinzelte gegen die plötzlich aufsteigenden, dämlichen Tränen an und wedelte kurz in Tatianas Richtung mit den Fingern. »Nett, dich kennenzulernen.«
Und das war keine Lüge. Oder zumindest nur eine halbe.
Am Montag brach ich früh aus meinem Wohnheim auf, um mich in Richtung Ikenberry Hall zu begeben, die am Fuße eines riesigen Hügels lag, dessen Schönheit ich gerade nicht zu schätzen wusste. Es war Anfang Mai, aber die Temperatur erreichte bereits fast dreißig Grad. Auch wenn ich meine Haare in einen unordentlichen Dutt zurückgebunden hatte, fühlte ich doch, wie die Schwüle meine Haut umspielte und langsam über meine Kopfhaut kroch.
Bald, noch bevor ich heute meine letzte Prüfung geschrieben hatte, würde ich aussehen, als seien meine Haare um meinen Kopf explodiert.
Ich wanderte um Ikenberry Hall herum und verzog das Gesicht, als mir klar wurde, dass ich die Tür schnell öffnen und ins Innere des Gebäudes eintauchen musste, bevor mir das riesige Spinnennetz von dem kleinen Vordach auf den Kopf fallen konnte.
Im Gebäude war es kühl. Ich schob meine Sonnenbrille auf den Kopf und lief den Flur entlang, bis ich das Büro der Studentenbeihilfe erreichte. Ich nannte meinen Namen, dann bedeutete mir die überarbeitete, erschöpft wirkende Sekretärin, mich auf einen der Wartestühle zu setzen.
Ich musste nur fünf Minuten warten, bevor mich eine schlanke, ältere Frau mit silbernen, modisch gestylten Haaren abholte. Wir gingen nicht in eine der kleinen Nischen, in denen die meisten Berater arbeiteten. O nein, sie führte mich in eines der echten Büros am Ende des Ganges.
Dann schloss sie die Tür hinter sich und trat hinter ihren Schreibtisch. »Bitte, setzen Sie sich, Miss Fritz.«
Mein Magen verkrampfte sich, als ich ihrer Aufforderung folgte.
So etwas war mir noch nie passiert. Gewöhnlich fehlte, wenn ich hierher gerufen wurde, einfach nur ein Dokument oder ich musste noch ein Formular unterschreiben. Es konnte schließlich nichts Schlimmes sein. Ich hatte die Beihilfe nur beantragt, um die Kosten zu bestreiten, die ich nicht mithilfe meines schlechtbezahlten Kellnerinnenjobs bezahlen konnte. Und da ich meinen Job zum Anfang des nächsten Semesters gekündigt hatte, um mich voll und ganz auf meine Ausbildung konzentrieren zu können, würde sich die Studienbeihilfe noch als nützlich erweisen.
Die Ausbildung zur Krankenschwester war kein Zuckerschlecken.
Langsam stellte ich meine Tasche neben den Stuhl, während ich meinen Blick über den Schreibtisch gleiten ließ. Auf dem Namensschild stand Elaine Booth, also hieß die Frau wohl so, wenn sie sich nicht als jemand anders ausgab. Außerdem standen eine Menge Fotos auf dem Schreibtisch. Familienfotos – schwarz-weiß und bunt, Fotos von Babys über Kleinkinder bis hin zu Leuten in meinem Alter, wenn nicht sogar ein wenig älter.
Ich wandte schnell den Blick ab, weil ich einen vertrauten Stich in der Brust fühlte. »Also … was ist los?«
Mrs Booth verschränkte die Hände über einer Akte. »Uns wurde letzte Woche von der Zulassungsstelle mitgeteilt, dass der Scheck für die Unterrichtsgebühren des nächsten Semesters nicht gedeckt ist.«
Ich blinzelte einmal, dann noch einmal. »Was?«
»Der Scheck ist geplatzt«, erklärte sie, hob den Blick von der Akte und sah mich an. Ihre Augen glitten über mein Gesicht, dann senkte sie den Blick eilig wieder. »Das Konto ist nicht gedeckt.«
Sie musste sich irren. Auf keinen Fall war dieser Scheck geplatzt. Dieser Scheck ging von einem Sparkonto ab, das ich nur für meine Ausbildung benutzte. Auf diesem Konto befand sich das gesamte Geld für meine Ausbildung. »Da muss ein Irrtum vorliegen. Auf diesem Konto sollte sich genug Geld für die nächsten eineinhalb Semester befinden.«
Und nicht nur das, auf diesem Konto sollte auch genügend Geld für eventuelle Notsituationen liegen und genug, um mich die ersten paar Monate nach meinem Abschluss über Wasser zu halten, während ich einen Job suchte und mich entschied, wo ich leben wollte; ob ich hierbleiben wollte oder …
»Wir haben bei der Bank nachgefragt, Calla.« Sie sprach mich nicht mehr mit meinem Nachnamen an, und aus irgendeinem Grund machte das alles nur noch schlimmer. »Manchmal gibt es Probleme mit Schecks, weil die Summe nicht lesbar ist oder es bei der Kontonummer einen Zahlendreher gegeben hat. Aber die Bank hat bestätigt, dass das Problem die fehlende Kontodeckung ist.«
Ich konnte es einfach nicht glauben. »Haben sie Ihnen gesagt, wie viel Geld sich noch auf dem Konto befindet?«
Mrs Booth schüttelte den Kopf. »Das sind vertrauliche Informationen, also werden Sie darüber direkt mit Ihrer Bank sprechen müssen. Soweit es uns betrifft, lautet die gute Nachricht, dass Sie Ihre Gebühren bisher immer überpünktlich bezahlt haben. Das bedeutet, dass uns noch Zeit bleibt, um eine Lösung zu finden. Wir werden dieses Problem lösen, Calla.« Sie öffnete meine Akte, während ich sie anstarrte, als wäre ich am Stuhl festgewachsen. »Sie haben bereits Beihilfe beantragt, und auf jeden Fall könnten wir die Anforderungssumme für nächstes Semester erhöhen, um sicherzustellen, dass die Kursgebühren abgedeckt sind.«
Irgendwann während dieses Gesprächs war mir das Herz in die Hose gerutscht. Jetzt fiel es gleich weiter auf den Boden, während sie über die Erhöhung von Kreditsummen, staatliche Unterstützung und die Bewerbung für unzählige Stipendien redete.
Im Moment war mir das alles vollkommen egal.
Das konnte einfach nicht wahr sein.
Auf keinen Fall war dieses Konto leer. Ich achtete sorgfältig darauf, welche Rechnung ich von welchem Konto bezahlte, und das Geld auf diesem speziellen Konto war ausschließlich für meine Ausbildung reserviert. Ich hatte mir nicht einmal die Kreditkarte geben lassen, die eigentlich zum Konto gehörte.
Während ich Mrs Booth dabei beobachtete, wie sie systematisch ein Formular nach dem anderen aus einem Schrank neben ihrem Schreibtisch zog, als sei nichts weiter vorgefallen, ging mir ein Licht auf. Dieses Grauen konnte sehr wohl wahr sein.
O mein Gott.
Denn es gab noch jemanden, der auf dieses Konto zugreifen konnte – eine Person, die für mich so gut wie tot war. Eine Person, die ich so gründlich abgeschrieben hatte, dass ich mich tatsächlich benahm, als sei sie tot. Aber ich konnte einfach nicht glauben, dass sie so etwas tun würde. Auf keinen Fall.
Der Rest des Treffens mit Mrs Booth verging wie im Traum. Wie betäubt nahm ich die Formulare für die erhöhte Studentenbeihilfe entgegen und wanderte beladen mit Anträgen aus dem kühlen Büro in das helle Licht eines Maimorgens.
Ich hatte vor meiner Abschlussprüfung noch ein wenig Zeit, also hielt ich direkt auf die nächste Bank zu, setzte mich und schob die Formulare in meine Tasche. Sofort danach zog ich mit zitternden Händen mein Handy heraus, suchte die Nummer der Bank in meiner Heimatstadt heraus und rief an.
Fünf Minuten später saß ich immer noch auf der Bank und starrte ins Leere. Ich war wie betäubt. Das war gut – dieses leere Gefühl war vollkommen in Ordnung, weil ich genau wusste, dass die Alternative glühend heiße, mörderische, allumfassende Wut war. Und das durfte nicht sein. Ich musste ruhig bleiben. Meine Gefühle unter Kontrolle halten, denn sonst …
Mein gesamtes Geld war weg.
Und ich wusste – ich wusste mit jeder Faser meines Körpers –, dass das nur der Anfang sein konnte. Sozusagen die Spitze des Eisberges.
Kapitel 2 Ich verstand einfach nicht, wie mein akzeptables, wenn auch etwas langweiliges Leben sich in einer einzigen Woche in einen stinkenden Haufen Scheiße hatte verwandeln können.
Ich war ja so absolut am Arsch.
Zwei Wochen bevor ich den Scheck für mein nächstes Unisemester ausgeschrieben hatte, war nicht nur mein Sparkonto vollkommen abgeräumt worden. O Gott, wäre das doch nur alles gewesen. Davon hätte ich mich erholen können. Das hätte ich sogar hinnehmen können. Denn was hätte ich schon dagegen tun sollen?
Schließlich wusste ich, dass es mein eigen Fleisch und Blut gewesen war, das mein Konto abgeräumt hatte – meine eigene Mutter. Meine pillensüchtige, wahrscheinlich vollkommen besoffene Mutter, von der selbst meine engsten Freunde glaubten, sie sei tot. Und in gewisser Weise stimmte das sogar. Natürlich war es eine schreckliche Lüge, aber ich hatte schon seit Ewigkeiten nicht mehr mit meiner Mom gesprochen, und der Alkohol und die Pillen und was weiß ich sonst noch an chemischen Substanzen hatte die fürsorgliche, fröhliche Mutter, an die ich mich aus meiner Kindheit erinnerte, schon vor Jahren getötet.
Aber trotzdem war sie meine Mom. Daher wollte ich auf keinen Fall die Polizei in die Sache reinziehen. Denn ehrlich, Moms Leben war schon so beschissen genug, und unerklärlicherweise fühlte ich immer noch Mitleid, wenn ich an sie dachte, trotz all der Dramen und des Schmerzes.
Diese Frau hatte Dinge durchlebt, die keine Mutter jemals verdient hatte.
Doch es ging hier nicht nur um mein Sparkonto. Innerhalb der letzten Woche, während ich meine Abschlussprüfungen schrieb – die ich irgendwie zu Ende gebracht hatte, ohne den Verstand zu verlieren –, hatte der Eisberg die Titanic versenkt.
Ich hatte eine Kreditauskunft angefordert, weil ich … nun, weil ich das schreckliche Gefühl nicht abschütteln konnte, dass die Situation noch schlimmer war. Und ich hatte recht behalten.
Kreditkarten von Firmen, von denen ich in meinem Leben noch nie gehört hatte, waren auf meinen Namen beantragt und bis zum absoluten Limit belastet worden. Außerdem hatte jemand bei einer großen Bank, deren Existenz mir bis vor wenigen Tagen nicht einmal bewusst gewesen war, ein Studentendarlehen beantragt und auszahlen lassen – in einer Höhe, die gute vier Semester in Shepherd abgedeckt hätte.
Ich war verschuldet – mit über hunderttausend Dollar, wenn man alles zusammenrechnete – und da war noch nicht mal das kleine Studentendarlehen dabei, das ich selbst aufgenommen hatte. Und auch nicht die Finanzierung für das Auto, von dem ich mir inzwischen nicht mehr sicher war, ob ich es mir leisten konnte.
Jedes Mal, wenn ich darüber nachdachte, wie tief ich in der Scheiße steckte, wurde meine Brust eng und mein Magen verkrampfte sich. Es kostete mich all meine Kraft, nicht einfach auszuticken. Kredite und Schulden waren in der heutigen Welt das, mit dem man entweder nach ganz oben kam oder daran zerbrach. Wenn ich jemals Geld brauchen sollte, würde ich keinen Kredit mehr bekommen. Und noch schlimmer, selbst wenn ich es schaffte, genug Geld zusammenzukratzen, um meine Ausbildung zu beenden … jeder potenzielle Arbeitgeber würde eine Kreditauskunft anfordern und seine Entscheidung, ob er mich einstellen wollte, von dem abhängig machen, was dabei herauskam.
Am Donnerstag nach meiner letzten Prüfung hatte ich einen kleinen Nervenzusammenbruch erlitten, der eine Menge Tränen und noch mehr Schokoladenbrownies beinhaltet hatte. Vielleicht hatte ich mich sogar ein wenig in einer Ecke verkrochen. Ich hätte mich mindestens einen Monat in dieser Ecke verstecken können, doch ich weigerte mich – weigerte mich absolut – zuzulassen, dass mein Leben wieder vollkommen aus den Fugen geriet.
Offensichtlich ahnte keiner meiner Freunde, was gerade los war. Sie wussten eigentlich so gut wie nichts über mich. Zur Hölle, sie dachten, meine Mom sei tot. Und Teresa glaubte, ich käme aus der Gegend um Shepherdstown.
Alles Lügen.
Und wie sollte ich Teresa die Wahrheit erzählen? Oder noch schlimmer, Brandon? O hey, ich muss nach Hause fahren, um dort, na ja, kurz einen Mord zu begehen und meine Mutter – ja, die Mutter, von der ihr dachtet, sie sei tot, weil ich außerdem noch eine üble Lügnerin bin – zu erwürgen, weil sie mich ausgenommen hat. Können wir uns bei dir in der Wohnung treffen und was trinken, wenn ich zurück bin? Allein die Vorstellung, dieses Gespräch zu führen, war mir schon peinlich. Denn dann müsste ich ihnen auch von den Drogen und dem Alkohol erzählen und davon, was für eine absolute Versagerin meine Mutter war; von der seltsamen Trennung zwischen Mom und Dad, bei der Dad eigentlich einfach verschwunden war; und letztendlich würde auch das Feuer zur Sprache kommen, das meine gesamte Familie vernichtet hatte und fast auch mich zerstört hätte.
Das würde ich mir nicht antun.
Also erzählte ich meinen Freunden, ich würde den Sommer bei entfernten Verwandten verbringen. Ich konnte nur hoffen, dass sie meinen Namen nicht in der Zeitung entdeckten, nachdem ich jemanden umgebracht hatte.
Niemand hinterfragte meine Pläne. Nicht zuletzt deswegen, weil ich schon letztes Jahr behauptet hatte, ich würde nach Hause fahren, obwohl ich mir in Wahrheit ein Zimmer in einem Hotel in Martinsburg genommen hatte, um mich dort vom Zimmerservice verwöhnen zu lassen … wie eine Versagerin.
Eine absolute Versagerin.
Auf jeden Fall legte ich meine drei großen Ziele für den Moment auf Eis und fuhr nach Hause. Und hoffte – nach Stoßgebeten an alle Götter dort draußen –, dass Mom noch ein wenig von dem Geld übrig hatte, das sie nach dem Feuer erhalten hatte. Schließlich war es eine ordentliche Summe gewesen. Auf keinen Fall konnte sie ihr gesamtes Geld zusammen mit meinem Geld durchgebracht haben. Ich musste sie einfach nur dazu zwingen, alles irgendwie in Ordnung zu bringen. Keine Ahnung, wie ich das anstellen würde.
So lautete Plan A.
Plan B beruhte eigentlich auf der Hoffnung, dass ich, wenn Mom keinen Cent mehr übrig hatte, zumindest den Sommer über umsonst bei ihr wohnen konnte, während ich darauf hoffte, dass meine Studienunterstützung bewilligt wurde. Außerdem betete ich darum, dass ich den Sommer in dem Kaff, aus dem ich stammte, überstehen würde, ohne meine Mutter umzubringen. Denn nur so konnte ich mit der Studienbeihilfe auch etwas anfangen, wenn ich sie bekam.
Mit zitternden Händen lenkte ich mein Auto in die Ausfahrt nach Plymouth Meeting, eine Kleinstadt nur ein paar Kilometer von Philadelphia entfernt. Ich hatte gedacht, ich müsse mich übergeben, als die Hügel sich zurückzogen und die dicken Eichen und Walnussbäume verschwanden, die den zweispurigen Highway gesäumt hatten. Die Fahrt hatte nicht lange gedauert – vielleicht vier Stunden –, doch für mich hatte es sich angefühlt wie eine Ewigkeit.
Und jetzt stand ich an einer roten Ampel gegenüber von einem Billigladen, in einer Stadt, in die ich nie – niemals – hatte zurückkehren wollen, und ließ meine Stirn auf das Lenkrad sinken.
Zuerst war ich nach Hause gefahren. Kein Auto in der Einfahrt. Kein Licht im Haus.
Ich hob den Kopf leicht an, um ihn wieder aufs Lenkrad fallen zu lassen.
Ich hatte den Hausschlüssel aus der Tasche gezogen, den ich nie – niemals – mehr hatte benutzen wollen, und war hineingegangen. Das Haus war quasi leer gewesen. Eine Couch und ein alter Flachbildfernseher im Wohnzimmer. Das kleine Esszimmer leer bis auf ein paar verschlossene Kartons. Kaum etwas im Kühlschrank. Das Schlafzimmer im Erdgeschoss war zwar mit einem Bett ausgestattet, doch die Decken fehlten. Moms Kleidung lag auf dem Boden verteilt, in einem Durcheinander aus Papieren und anderen Dingen, die ich mir gar nicht allzu genau ansehen wollte. Das Zimmer im ersten Stock, das ich für ein paar Jahre als meines betrachtet hatte, sah inzwischen vollkommen anders aus. Das Bett war verschwunden, genauso wie die Kommode und der kleine Schreibtisch, den mir meine Großmutter vor ihrem Tod gekauft hatte. Stattdessen gab es einen Futon, der zumindest ansatzweise sauber wirkte. Ich wollte gar nicht wissen, wer hier oben schlief. Das Haus wirkte eigentlich nicht bewohnt, sondern eher, als sei der Besitzer, also meine Mutter, einfach vom Antlitz der Erde verschwunden.
Das hatte nichts Gutes verheißen.
Außerdem hatte ich kein einziges Foto im ganzen Haus entdeckt. Keine Bilderrahmen an den Wänden. Keine Erinnerungen. Doch das hatte mich nicht besonders überrascht.
Wieder hob ich meinen Kopf und ließ ihn zurück aufs Lenkrad knallen. »Ugh.«
Zumindest hatte es im Haus noch Strom gegeben. Das war gut, richtig? Das bedeutete, dass Mom zumindest irgendwelches Geld besaß.
Ich schlug meinen Kopf zum dritten Mal aufs Lenkrad und verzog das Gesicht.
Hinter mir hupte jemand. Sofort richtete ich mich auf und starrte aus der Windschutzscheibe. Grün. Oops. Ich packte das Lenkrad fester, atmete entschlossen durch und fuhr weiter. Es gab nur noch einen Ort, wo Mom sich aufhalten konnte.
Würg.
Noch ein Ort, den ich nie – niemals – hatte wiedersehen wollen. Ich zwang mich dazu, mehrmals tief durchzuatmen, während ich der Hauptstraße folgte. Wahrscheinlich fuhr ich viel zu langsam und nervte damit alle Fahrer hinter mir, doch ich konnte einfach nicht anders.
Mein Herz schlug wie wild, als ich rechts auf die Straße abbog, die als Hauptgeschäftsstraße galt. Allerdings nur, weil sich hier um das Einkaufszentrum herum die Fastfoodläden und Restaurantketten angesiedelt hatten. Ungefähr fünfzehn Kilometer die Straße entlang tauchte dann das Mona’s auf, gegenüber von einem ziemlich heruntergekommenen Stripklub, vor dem reihenweise schwere Motorräder standen.
O Mann.
Die Straße war überfüllt, doch als ich nach links abbog und auf den mir nur zu vertrauten, mit Schlaglöchern und Gott weiß was für Dreck übersäten Parkplatz fuhr, standen dort nicht allzu viele Autos.
Allerdings war es auch Montagabend.
Ich parkte meinen Wagen unter dem Neonschild am Ende des Parkplatzes, in dem gerade das a im Namen Mona’s nicht leuchtete, atmete mehrmals tief durch und wiederholte immer wieder: »Ich werde sie nicht umbringen. Ich werde sie nicht umbringen.«
Sobald ich mir sicher war, dass ich nicht zusammenbrechen und mich auf meine Mom stürzen würde, sobald ich ihrer ansichtig wurde, stieg ich aus meinem Ford Focus und rückte meine abgeschnittenen Jeans zurecht. Dann zog ich noch kurz an der cremefarbenen Bluse, die länger gewesen wäre als meine Hose, hätte ich sie nicht in den Bund gesteckt.
Meine Flip-Flops klapperten über den Zement, als ich den Parkplatz überquerte. Meine Tasche hielt ich so, dass ich das schwere Teil jederzeit als tödliche Waffe einsetzen konnte.
Als ich mich dem Eingang näherte, nahm ich die Schultern zurück. Das quadratische Fenster in der Tür hatte einen Sprung, war aber sauber. Der rot-weiße Anstrich, der früher einmal so leuchtend und auffallend gewesen war, löste sich ab, als hätte jemand Säure gegen die Wände gespritzt. Das große, schwarz getönte Fenster, in dem das GEÖFFNET-Schild prangte, war ebenfalls in einer Ecke gesprungen, sodass winzige Risse sich Richtung Mitte erstreckten.
Wenn es schon von außen so aussah …
O Gott. Ich wollte das nicht tun.
Mein Blick glitt wieder zu dem dunklen Fenster in der Tür. In der Spiegelung wirkten meine Augen zu groß und mein Gesicht zu fahl, was dafür sorgte, dass die tolle Narbe, die sich über meine linke Wange zog, noch deutlicher hervortrat. Sie reichte von meinem linken Augenwinkel bis zu meinem Mundwinkel.
Ich hatte Glück gehabt. Das hatten mir die Ärzte und die Feuerwehrmänner und alle anderen um mich herum immer wieder versichert. Nur zwei Zentimeter höher, und ich hätte mein linkes Auge verloren.
Doch im Moment fühlte ich mich nicht allzu glücklich. Tatsächlich war ich mir ziemlich sicher, dass die Göttin Fortuna ein kaltherziges Miststück war, das dringend jemand umbringen sollte.
Ich erklärte mir selbst, dass ich das schaffen würde, packte den Türgriff und riss die Tür auf. Und kam sofort hinter dem Eingang stolpernd zum Stehen und verlor einen meiner Flip-Flops, als der vertraute Geruch nach Bier, billigem Parfüm und Fritteusenfett mich traf.
Zuhause.
Nein.
Ich ballte die freie Hand zur Faust. Die Kneipe war nicht mein Zuhause. Oder sollte nicht mein Zuhause sein. Es spielte keine Rolle, dass ich fast jeden Tag nach der Highschool in einem der Hinterzimmer verbracht hatte, immer dann, wenn ich mich nicht in die Bar geschlichen hatte, um Mom zu beobachten, weil hier der einzige Ort war, an dem sie lächelte. Wahrscheinlich nur, weil sie hier gewöhnlich betrunken gewesen war … aber egal.
Es sah aus wie immer. Irgendwie.
Ein Gewirr aus abwechselnd niedrigen, quadratischen und hohen runden Tischen mit rauen, abgenutzten Platten. Barhocker mit Lehnen und stabile Stühle. Das Klicken von Billardkugeln sorgte dafür, dass meine Aufmerksamkeit sich auf den hinteren Teil der Bar richtete, zu den Pooltischen hinter der leicht erhöhten Tanzfläche.
Die Jukebox in der Ecke spielte irgendwelche tränenreiche Countrymusik, während eine Frau in mittleren Jahren, die ich noch nie gesehen hatte, aus der Saloontür jenseits der Tanzfläche eilte. Sie trug ihre hellblonden Haare, deren Farbe offensichtlich nicht natürlich war, hochgesteckt. Hinter einem Ohr steckte ein Stift. In ihren Jeans und dem weißen T-Shirt wirkte sie wie ein Gast. Allerdings war das Mona’s nie die Art von Kneipe gewesen, in der die Angestellten Uniform trugen. Die Frau trug zwei rote Körbe mit Chickenwings in den Händen und stolzierte damit zu einer der Sitznischen an der Wand neben der Jukebox.
Zerknüllte Servietten lagen unter den Tischen, und Teile des Bodens wirkten klebrig. Andere Stellen sahen einfach aus, als müssten sie erneuert werden. Und ich wusste, dass ich im dämmrigen Licht der Bar nicht mal die Hälfte sehen konnte.
Das Mona’s sah aus wie eine Frau, die man hart rangenommen und dann sitzen gelassen hatte. Allerdings war die Bar nicht dreckig, sondern wirkte fast sauber. Als kämpfte jemand mit aller Macht einen aussichtslosen Kampf.
Und das konnte nicht Mom sein. Sie hatte sich nie besonders für Putzen begeistern können, aber früher war es nicht so schlimm gewesen. Ich konnte mich vage an Zeiten erinnern, als alles nicht so schlimm gewesen war.
Nachdem ich inzwischen lang genug hinter der Tür gestanden und mich in der Bar umgesehen hatte, um wie ein Idiot zu wirken, ohne Mom dabei zu entdecken, beschloss ich, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, mich zu bewegen. Ich trat einen Schritt nach vorne, nur um zu bemerken, dass einer meiner Flip-Flops noch hinter der Tür lag.
»Verdammt.« Ich drehte mich um und senkte den Kopf, um meinen Fuß wieder in den Schuh zu schieben.
»Du siehst aus, als könntest du einen Drink gebrauchen.«
Ich drehte mich um, als ich die überraschend tiefe, männliche Stimme hörte. Es war eine weiche Stimme, die über meine Haut glitt wie der sanfteste Satin. Ich wollte gerade darauf hinweisen, dass ich, da ich schließlich in einer Kneipe stand, wahrscheinlich tatsächlich einen Drink brauchen konnte, doch die bissigen Worte blieben mir im Hals stecken, als ich mich zu der u-förmigen Bar umdrehte.
Zuerst erschien es mir, als habe der Kerl hinter der Bar sich gerade aufgerichtet, um dann einen Schritt zurückzuweichen. Eine seltsame Reaktion. Bei dem dämmrigen Licht und in meiner Position konnte er die Narbe auf keinen Fall gesehen haben. Doch dann gelang es mir, ihn wirklich zu sehen, und ich achtete auf nichts anderes mehr.
Da stand ein Kerl hinter der Bar. Die Art von Kerl, die ich niemals in der Menschheitsgeschichte hinter der Bar im Mona’s erwartet hätte.
Wow, ein richtig heißer Barkeeper. Alarmstufe zehn.
Donnerwetter, er war prächtig. Atemberaubend wie Jase Winstead, vielleicht sogar noch atemberaubender, weil ich mich nicht daran erinnern konnte, jemals im echten Leben jemand so Gutaussehenden erblickt zu haben. Und dabei sah ich den heißen Barkeeper nur von der Hüfte aufwärts.
Er hatte braunes Haar, das im helleren Licht der Bar warm leuchtete. Es war an den Seiten kurz und auf dem Kopf etwas länger. Die Locken standen unordentlich über seiner Stirn nach oben und gaben den Blick auf breite, hohe Wangenknochen frei. Seine Haut zeigte eine Bräune, die eine ausländische, exotische Abstammung vermuten ließ. Mit seinem ausdrucksstarken Kinn konnte er wahrscheinlich in Werbespots für Elektrorasierer auftreten. Unter einer geraden Nase mit einem kleinen Knick in der Mitte erblickte ich die sündhaftesten Lippen, die ich je an einem Kerl gesehen hatte.
Gute Güte, ich hätte diese Lippen stundenlang anstarren können; viel länger, als es akzeptabel war. So lange, dass ich wirken musste wie ein Freak aus einem Horrorhaus. Ich zwang mich, meinen Blick zu heben.
Seine Brauen schienen einen natürlichen Bogen zu beschreiben, was mich dazu brachte, ihm direkt in die Augen zu sehen.
Braune Augen. Braune Augen, die im Moment mit einem langsamen, lässigen Blick über mich glitten, der sich anfühlte wie eine Liebkosung. Meine Lippen öffneten sich.
Sein abgetragenes, graues T-Shirt lag eng um seine breiten Schultern und die unglaublich definierte Brust. Ich meine, ich konnte tatsächlich die Brustmuskeln unter seinem Hemd sehen. Heilige Scheiße, wer hätte geahnt, dass so etwas überhaupt möglich war? Und soweit ich es über die Bar hinweg sehen konnte, folgte darunter ein ebenso harter und wahrscheinlich ähnlich atemberaubender Bauch.
Wäre dieser Kerl am Shepherd aufs College gegangen, hätte er Jase als Leutnant des Heiße-Kerle-Kommandos entthront. Diese wunderbaren Lippen hoben sich zu einem halben Lächeln. Ja, er besaß sogar ein Lächeln, bei dem das Höschen einfach feucht werden musste. »Geht es dir gut, Schätzchen?«
Er sprach das Schätzchen aus, als sei es für ihn ganz normal. Es klang nicht billig oder schleimig, sondern wie ein sexy Kosename, und mir wurde ganz warm.
Ich starrte ihn immer noch an wie ein Vollidiot.
»Ja.« Ich fand meine Stimme, um dieses eine Wort zu sprechen, und selbst das klang eher wie ein Krächzen. Gott, am liebsten wäre ich davongerannt, als Hitze in meine Wangen schoss.
Das sexy Halbgrinsen wurde noch etwas strahlender, als er seinen Arm in meine Richtung ausstreckte und mit den Fingern wedelte. »Warum kommst du nicht rüber und setzt dich?«
Okay.
Meine Füße bewegten sich auf ihn zu, ohne dass mein Hirn etwas damit zu tun hatte. Mal ehrlich, wer reagierte nicht, wenn ein heißer Barkeeper einen so heranwinkte? Kurz darauf fand sich mein Hintern auf einem Barhocker mit einem zerrissenen und etwas unbequemen Kissen wieder.
Lieber Gott im Himmel, so von Nahem betrachtet war der Kerl wirklich ein Schmuckstück, bei dem einem nur das Wasser im Mund zusammenlaufen konnte.
Das halbe Grinsen verblasste nicht, als er seine Handflächen auf den Rand der Bar legte. »Welchen Stoff willst du?«
Ich blinzelte langsam in seine Richtung, während es mir nicht gelang, über etwas anderes nachzudenken als darüber, warum zur Hölle dieser Kerl in einem solchen Saftladen arbeitete. Er konnte als Model arbeiten oder im Fernsehen oder zumindest in dem Steakhaus am Ende der Straße.
Der heiße Barkeeper legte den Kopf schräg, während das Grinsen nun auch den zweiten Mundwinkel erreichte. »Schätzchen …?«
Ich widerstand dem Drang, meine Ellbogen auf die Bar zu stemmen, meinen Kopf in die Hände zu legen und ihn einfach anzuhimmeln. Auch wenn ich davon wahrscheinlich schon jetzt nicht weit entfernt war. »Ja?«
Er lachte leise, dann lehnte er sich vor, und damit meine ich, er lehnte sich richtig vor. Innerhalb einer halben Sekunde hatte er meine Individualdistanz unterschritten, sein Mund schwebte nur Zentimeter vor meinem, und sein Bizeps spannte sich an, bis der alte Stoff seines T-Shirts sich dehnte.
O Himmelherrgott, ich konnte nur hoffen, dass sein T-Shirt an den Seiten einriss und einfach von seinem Körper fiel.
»Was möchtest du trinken?«, fragte er.
Eigentlich hätte ich lieber noch eine Weile seinen Mund beobachtet. »Ähm …« Mein Hirn war wie leer gefegt.
Er zog eine Augenbraue hoch, während sein Blick von meinem Mund zu meinen Augen glitt. »Muss ich mir deinen Ausweis zeigen lassen?«
Das riss mich aus meiner von seiner Attraktivität ausgelösten Benommenheit. »Nein. Absolut nicht. Ich bin einundzwanzig.«
»Bist du sicher?«
Wieder wurde mein Gesicht heiß. »Ich schwöre.«
»Fingerschwur?«
Mein Blick senkte sich auf seine jetzt ausgestreckte Hand und den abstehenden kleinen Finger. »Meinst du das ernst?«
Ein Grübchen erschien in seiner rechten Wange, als sein Grinsen sich in ein echtes Lächeln verwandelte. O mein Gott, wenn er auch noch Grübchen hatte, steckte ich wirklich in Schwierigkeiten. »Sehe ich aus, als würde ich es nicht ernst meinen?«
Er sah aus, als führte er absolut nichts Gutes im Schilde. In seinen warmen, kakaobraunen Augen lag ein schelmisches Glitzern. Meine Lippen zuckten, dann hob ich die Hand und schlang meinen kleinen Finger um seinen, der viel breiter war.
»Fingerschwur«, sagte ich, während ich darüber nachdachte, was für eine tolle Art das war, die Altersgrenze zu kontrollieren.
Sein Grinsen war einfach atemberaubend. »Oh, ein Mädchen, das auf den kleinen Finger schwört, ist ganz nach meinem Herzen.«
Tja, und ich hatte keine Ahnung, wie ich darauf antworten sollte.
Statt mich loszulassen, als ich meine Hand zurückziehen wollte, schlossen sich seine Finger gleichzeitig sanft und fest um mein Handgelenk. Mir sprangen fast die Augen aus dem Kopf. Irgendwie kam er noch näher, und er roch so gut. Sein Duft bestand aus einer Mischung aus Gewürzen und Seife, die sich direkt ihren Weg zu meinen sensiblen weiblichen Stellen bahnte.
Mein Handy fing in meiner Tasche an zu klingeln und plärrte Brown Eyed Girl in die Welt hinaus. Während ich in meiner Tasche danach grub, lachte der heiße Barkeeper.
»Van Morrison?«, fragte er.
Ich nickte abwesend, während meine Finger sich um das flache Telefon schlossen. Es war Teresa. Ich stellte das Handy stumm.
»Guter Musikgeschmack.«
Ich hob den Blick, als ich mein Handy wieder in meine Tasche fallen ließ. »Ich … ähm … mag das altmodische Zeug lieber als die Hits von heute. Ich meine, früher haben sie wirklich gesungen und Musik gemacht. Heute springen sie einfach nur halbnackt herum, schreien oder sprechen den Text. Es geht eigentlich gar nicht mehr um Musik.«
In seinen Augen leuchtete Anerkennung. »Du besiegelst Schwüre mit dem kleinen Finger, und du hörst altmodische Musik? Ich mag dich.«
»Du bist ziemlich leicht zu beeindrucken.«
Er legte den Kopf in den Nacken, und ich konnte tief in seine Kehle sehen, als er lachte. Und gute Güte, es war ein verdammt nettes Lachen. Tief. Voll. Spielerisch. Bei dem Geräusch wurde mir ganz flau in der Magengegend. »Fingerschwüre und Musik sind sehr wichtig.«
»Ach ja?«
»Jep. Genauso wie Schwüre auf die Pfadfinderehre.«
Das Zucken meiner Mundwinkel verwandelte sich in ein Grinsen. »Nun, ich war nie bei den Pfadfindern, also …«
»Soll ich dir ein Geheimnis verraten?«
»Natürlich«, hauchte ich.
Er senkte den Kopf. »Ich war auch nie Pfadfinder.«
Aus irgendeinem Grund überraschte mich das nicht. Besonders, weil er immer noch mein Handgelenk festhielt.
»Du bist nicht hier aus der Gegend«, verkündete er.
Nicht mehr. »Was lässt dich das vermuten?«
»Nun, das hier ist eine kleine Stadt, und das Mona’s wird gewöhnlich von einem Stammpublikum besucht und nicht von heißen Ablenkungen wie dir. Also bin ich mir ziemlich sicher, dass du nicht aus der Gegend stammst.«
»Ich habe früher …« Moment. Was? Heiße Ablenkungen wie ich? Plötzlich konnte ich nicht mehr klar denken.
Ohne den Augenkontakt auch nur für einen Moment zu brechen, ließ er mein Handgelenk los, aber sehr langsam. O ja, es war ein langsames Streicheln seiner Finger über die Innenseite meines Handgelenks, über meine Handfläche bis zu meinen Fingerspitzen. Diese Berührung jagte ein Kribbeln über meinen Arm hinauf, das danach wieder über meinen Rücken nach unten tanzte.
Gott, vielleicht war ich verrückt, aber zwischen uns war etwas. Irgendetwas kribbelte da zwischen ihm und mir. Total verrückt. Momentan fiel mir selbst das Atmen schwer, und noch weniger konnte ich meine Gedanken ordnen.
Ohne den Blick von mir abzuwenden, griff der heiße Barkeeper in die Eisbox, zog eine Bierflasche heraus, drehte den Deckel ab und stellte die Flasche auf den Tresen. Erst eine Sekunde später wurde mir klar, dass jemand neben uns stand.
Ich warf einen kurzen Blick zur Seite und entdeckte einen jungen, gut aussehenden Kerl mit fast vollkommen abrasierten Haaren. Er nickte dem heißen Barkeeper zu und schnappte sich die Flasche. »Danke, Kumpel.«
Dann verschwand er, und wir waren wieder allein.
»Auf jeden Fall«, meinte der heiße Barkeeper. »Wie wäre es, wenn ich dir meinen Spezialdrink mixe?«
Gewöhnlich rannte ich, wenn mir ein Kerl anbot, mir seinen »Spezialdrink« zu mixen, Zeter und Mordio schreiend davon. Doch jetzt ertappte ich mich wieder bei einem Nicken. Das zementierte die Erkenntnis, dass ich total oberflächlich und vielleicht auch ein wenig dämlich war.
Und ich verstand, dass ich die Situation nicht vollkommen unter Kontrolle hatte, was für mich eine … einzigartige Erfahrung darstellte.
Ich beobachtete, wie der Kerl herumwirbelte. Die Muskeln an seinem Rücken bewegten sich unter seinem T-Shirt, als er nach einem teuren Likör im Regal hinter der Bar griff. Ich konnte nicht erkennen, welche Flasche er sich schnappte, doch er bewegte sich mit geschmeidiger Eleganz, als er nach einem mittelgroßen Glas griff, wie man es für kleinere Longdrinks und Schnäpse auf Eis verwendete.
Die Tatsache, dass ich mich an die Glassorten erinnerte, sorgte dafür, dass ich am liebsten meinen Kopf auf die Bar geschlagen hätte. Ich widerstand jedoch dem Drang – Gott sei Dank. Während ich ihn dabei beobachtete, wie er meinen Drink mixte, versuchte ich, sein Alter zu schätzen. Er musste ein oder zwei Jahre älter sein als ich. Innerhalb weniger Sekunden hatte er einen eindrucksvoll gemixten Drink vor mir abgestellt.
Oben war das Getränk rot, doch nach unten verfärbte es sich zur Farbe des Sonnenunterganges, mit einer roten Kirsche als Verzierung. Ich griff nach dem Glas und nahm einen kleinen Schluck. Meine Geschmacksnerven erlitten fast einen Orgasmus, als der fruchtige Geschmack über sie hinwegglitt. »Man schmeckt den Alkohol gar nicht.«
»Ich weiß.« Er wirkte selbstgefällig. »Der Drink schmeckt sanft, aber sei trotzdem vorsichtig. Wenn du zu schnell und zu viel davon trinkst, wird er dich auf deinen hübschen Hintern werfen.«
Ich ordnete den »hübschen Hintern« dem typischen Barkeepercharme zu und nahm noch einen winzigen Schluck. Ich musste nicht darauf achten, vorsichtig zu sein. Ich trank sowieso nie zu viel. »Wie heißt der Drink?«
»Jax.«
Ich zog die Augenbrauen hoch. »Interessant.«
»Oh, das ist er.« Er verschränkte die Arme auf der Bar und lehnte sich vor, wobei er mir sein inzwischen fast schon vertrautes, ablenkendes und unheimlich sexy Halbgrinsen schenkte. »Also, hast du schon irgendwelche Pläne für heute Abend?«
Ich starrte ihn an. Zu etwas anderem war ich nicht fähig. Bereits nach wenigen Minuten in seiner Gegenwart hatte ich fast vergessen, warum ich überhaupt hier war. Und ich konnte kaum glauben, was er da gerade tat. Er flirtete mit mir.
Und er bat mich um eine Verabredung.
Solche Dinge geschahen einfach nicht in Calla-Land. Ich konnte nicht mal glauben, dass so etwas echt heißen Mädels wie Teresa oder Brit passierte, aber ich wusste definitiv, dass es bei mir nie vorkam.
Der heiße Barkeeper verlagerte sein Gewicht, und das stellte unglaubliche Dinge mit seinen Armmuskeln an. Diese atemberaubenden Augen hielten meinen Blick, und für einen Moment vergaß ich zu atmen. Das Lächeln auf seinen Lippen verriet mir, dass er genau wusste, was er gerade mit mir anstellte. »Nur für den Fall, dass ich es deutlicher ausdrücken muss, ich möchte wissen, ob du Zeit hättest, etwas mit mir zu unternehmen.«
Kapitel 3 O mein Gott.
Nur gut, dass ich den Drink bereits wieder abgestellt hatte, sonst hätte ich das Glas jetzt wahrscheinlich fallen lassen. »Du kennst ja nicht mal meinen Namen«, stieß ich hervor.
Er senkte die Lider, was mir einen Blick auf seine unverschämt langen Wimpern ermöglichte. »Wie heißt du, Schätzchen?«
Ich gaffte ihn auf eine wahrscheinlich sehr unattraktive Weise an. Das konnte er einfach nicht ernst meinen.
Der heiße Barkeeper wartete, hob aber diese unglaublichen Wimpern wieder.
O mein Gott, meinte er das wirklich ernst?
»Bittest du jedes Mädchen, das in diese Bar kommt, um ein Date?« Ein kurzer Blick durch die Kneipe machte klar, dass er dann keine allzu große Auswahl hätte. Mal abgesehen von dem Kerl, der sich das Bier geholt hatte und jetzt mit ein paar Freunden an einem Tisch saß, standen die meisten anderen Gäste kurz vor der Rente.
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