StehaufMensch! - Samuel Koch - E-Book

StehaufMensch! E-Book

Samuel Koch

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Beschreibung

"Stehaufmensch" - der Begriff passt auf kaum einen anderen so sehr wie auf Samuel Koch. Wer nach einem Schicksalsschlag wie dem Unfall bei "Wetten, dass..?" nicht den Lebensmut verliert, muss wohl das Geheimnis der Resilienz kennen - der inneren Widerstandsfähigkeit, die gerade in aller Munde ist. Vor dem Hintergrund seiner eigenen Erfahrungen und unzähligen Gesprächen mit Todkranken und Topmanagern, Flüchtlingen und Häftlingen wirft Samuel Koch spannende Fragen auf: Was gibt Menschen wirklich die Kraft, immer wieder aufzustehen? Kann man Resilienz lernen und wenn ja, braucht es dazu vielleicht andere Ansätze als bisher gedacht? Kompetente Unterstützung auf der Spurensuche bekommt Samuel Koch durch den bekannten Hirnforscher Gerald Hüther. Ein Buch, das inspiriert, die eigene "Stehaufkraft" zu finden! Einige Themen aus dem Buch: · Hoffnung · Dankbarkeit · Langmut · Sanftmut · Demut · Verantwortlichkeit · Disziplin · Dienen · Kreativität · Endlichkeitsbewusstsein · Sinn

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INHALT

VORWORT VON GERALD HÜTHER

EINSTIEG

TEIL 1: DAS KREUZ MIT DER RESILIENZ

Von innen nach außen

Resilienz als Egotrip

Symptombekämpfung statt Wurzelbehandlung

Was ist das Huhn und was das Ei?

Ein Gespräch mit Hirnforscher Gerald Hüther

Feuerwerk im Kopf

Standbeine

Würde und Wert

TEIL 2: STEHAUFWERTE: MEINE ALTERNATIVEN SÄULEN DER RESILIENZ

Hoffnung

Glaube

Dankbarkeit

Vergebung

Versöhnung

Loslassen

Langmut

Gemeinschaft

Dienen

Verantwortlichkeit

Kreativität

Selbstdistanzierung

Demut

Sanftmut

Disziplin

Besinnung

Erinnerungen

Endlichkeitsbewusstsein

Beweglichkeit

Sinn

EPILOG: VITAMINE FÜR DIE SEELE

Wie man anderen beim Aufstehen helfen kann

DANKE

QUELLEN

VORWORT VON GERALD HÜTHER

Wissen Sie, was Stress ist? Der Ausdruck kommt aus dem Maschinenbau und ist eine Bezeichnung für die Scherkräfte, die dazu führen, dass sich ein Werkstück allmählich verformt. Nun braucht es nicht mehr viel Phantasie, um zu erahnen, woher der Resilienz-Begriff kommt. Auch aus dem Maschinenbau.

Samuel Koch erklärt in diesem so wunderbar leicht, fast amüsant geschriebenen Buch, was damit gemeint ist: dass ein elastischer Werkstoff nach einer Verbiegung wieder in seine ursprüngliche Form zurückfindet. Der Umstand, dass wir in unserer gegenwärtigen Welt ständig davon reden, wie viel Stress wir haben, und uns eingeredet wird, dass es darauf ankommt, mehr Resilienz zu entwickeln, macht vor allem eines deutlich: wie sehr das Maschinenzeitalter unsere Vorstellungen von uns selbst, von unserem Körper geprägt hat. Gelenke müssen besser geschmiert, Gehirne optimiert, verschlossene Teile ausgewechselt und Treibstoffe in Form von Nahrungsergänzungsstoffen und Energy-Drinks zugeführt werden. Na prima! Wer sich selbst mit einer Maschine verwechselt, kann dann auch nur noch hoffen, dass ihn jemand repariert, wenn er oder etwas an ihm kaputt gegangen ist.

Und es gibt ja auch eine Unmenge an Reparateuren, die sich mit oder ohne akademische Ausbildung dafür anbieten. Die haben freilich kein allzu großes Interesse daran, dass Menschen auf die Idee kommen, sie seien lebendige Wesen und keine Maschinen, die optimal zu funktionieren haben.

Deshalb ist es ein Segen, wenn da endlich mal einer daherkommt, bei dem durch einen schrecklichen Unfall so gut wie nichts mehr funktioniert, und ein Buch darüber schreibt, wie es auch dann noch gelingen kann, wieder aufzustehen. Wer könnte das besser und überzeugender tun als Samuel Koch? Er hat Resilienz weder studiert noch irgendeinen akademischen Abschluss als Resilienz-Experte vorzuweisen. Aber er weiß, wovon er redet. Denn er hat es am eigenen Leib erfahren. Er hat sich nach diesem furchtbaren Unfall nicht vom Stress verbiegen oder gar zerbrechen lassen, und er ist auch nicht elastisch wie ein mechanisches Steh-auf-Männchen in seine alte Form zurückgekehrt.

Er hat die Kurve gekriegt und sich selbst noch einmal neu erfunden. Deshalb weiß er auch, wovon er redet, wenn er uns in diesem Buch seinen Spiegel vorhält. Es geht nicht darum, optimal zu funktionieren, sondern es geht darum, ob es uns gelingt, lebendig zu bleiben. Nicht das bewahren zu wollen, was wir haben, sondern Altes, nicht nur unsere materiellen Besitztümer, sondern vor allem unsere aus dem Maschinenzeitalter stammenden Vorstellungen loszulassen. Es geht nicht darum, so zu bleiben, wie wir sind, sondern immer wieder aufzustehen, uns weiterzuentwickeln, über uns hinauszuwachsen.

Wie gut das tut, eine solche Botschaft von einem solchen Menschen zu hören!

Machen Sie den Versuch. Lesen Sie dieses Buch, und Sie werden nie wieder in Ihrem Leben daran glauben, dass es darauf ankäme, resilient zu werden.

Aber Vorsicht: Es kann sein, dass sich dadurch Ihr Leben verändert! Freuen Sie sich darauf. Es gibt nichts Beglückenderes, als endlich wieder aufzustehen.

Göttingen, im Oktober 2018

Gerald Hüther

EINSTIEG

▶ Der „Stehaufmensch-Effekt“

▶ Stress und seine Auswirkungen bewältigen

▶ Die drei Dinge, die Sie unbedingt tun müssen, um glücklich zu werden

▶ Techniken, die Ihre Beziehung zu neuen Höhenflügen führen

▶ Resilienz: Schritt für Schritt nachhaltig steigern

▶ Übungen: Ausbau Ihres Resilienzportfolios

Verdoppeln Sie Ihre Zufriedenheit und Lebensfreude in 5 Minuten täglich!

Bonus: Die revolutionäre 3+1-Formel: Mit dieser Schritt-für-Schritt-Anleitung werden Sie Ihr Leben auf ein neues Glücksniveau heben.

Wenn wir diese Punkte durcharbeiten, sind wir ausgestattet mit dem Handwerkszeug für ein erfolgreiches Leben, resistent gegen Burnout und Stress, stets zielstrebig rational denkende Menschen randvoll mit Lebensbewältigungskompetenz. Glücklich, zufrieden und leistungsfähig.

Das verspricht jedenfalls eine Werbemail für ein Kompaktseminar, das mich und Tausende anderer Leute per E-Mail erreichte.

Und wenn man sich frühzeitig anmeldet, spart man auch noch 100 Euro!

Klingt doch super.

Oder?

Wenn man all das ganz einfach in Seminaren lernen kann, wie kommt es dann, dass Stress, Depressionen, Burnout und sogar daraus resultierende Selbstmorde Hochkonjunktur haben? Wie kann es sein, dass schätzungsweise jedes Jahr 120 Millionen EU-Bürger, also 30 % der Bevölkerung, von stressbedingten Erkrankungen betroffen sind, obwohl es doch so schöne Seminare gibt, dank denen all das demnächst kein Problem mehr ist? Laut einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK haben sich die Krankschreibungen aufgrund von Burnout-Symptomen seit 2004 verzehnfacht.

Weil es eben nicht so einfach ist.

Ich wünschte, es wäre so, aber meine Erfahrung erzählt eine andere Geschichte. Und ebenso die vieler, vieler anderer Menschen, die mittelunschöne und ganz schön unschöne Dinge erlebt haben und versuchen, damit klarzukommen. Denjenigen von ihnen, die solche Seminare besucht haben, haben diese nicht wirklich geholfen, und die Tipps und Ratschläge waren eher nur Schläge.

In meinem Fall zum Beispiel lief es so: Vor knapp acht Jahren bin ich mit dem Kopf gegen ein Auto gerannt, habe mir viermal das Genick gebrochen und bin seitdem von selbigem abwärts gelähmt. Ich kann keinen Finger rühren und bin rund um die Uhr auf Hilfe angewiesen. Meine Lebensentwürfe und Wunschvorstellungen waren zerstört. Hätte man mich zu diesem Zeitpunkt gefragt, was mein Plan B ist, hätte meine Antwort etwa so ausgesehen:

A. Ich habe keinen Plan B.

B: Ich halte an A fest.

Dank großartiger Unterstützung durch Freunde und Familie war ich sicher privilegiert, aber dennoch war es ein Kampf und ist es noch. Ich habe einige Schlachten verloren und größere Scharmützel gewonnen. Und obwohl ich mittlerweile wieder sagen kann, dass ich partiell-temporär-glücklich und sogar zufrieden bin, bin ich immer noch dabei, dieses einschneidende Erlebnis und seine Folgen in meinem Leben einzusortieren. Ich muss jeden Tag wieder damit ringen – erst letzte Nacht hatte ich mal wieder eine eklige Platzangstattacke – Platzangst im eigenen Körper. Natürlich nervt es immer wieder neu, sich nicht wirklich bewegen zu können und in einem 180-Kilo-Demutspanzer herumzugurken.

Würde ich eine statistische Erhebung aufstellen, welche Frage mir am häufigsten gestellt wird, ginge es in die Richtung: „Wie schaffst du das nur? Was gibt dir die Kraft, weiterzumachen und nicht aufzugeben?“

Und dann scheinen die Fragesteller sich von mir so etwas zu erhoffen, wie es in der kommerziellen Werbemail oben verkauft wird: meine fünf besten Tipps zur Bewältigung von Schicksalsschlägen oder einen Drei-Schritte-Plan zu mehr Durchhaltevermögen.

Ich sitze dann immer mehr oder weniger hilflos da und schaue den Leuten in die traurigen Augen, die mir ihre Geschichten erzählen. Und frage mich selbst, was um Himmels willen ich ihnen sagen soll. Dem Jungen, der mir gerade erzählt hat, dass er normalerweise beim Verlassen des Hauses vor lauter Angst Blut erbricht. Der Mutter, deren kleine Tochter gerade an Krebs gestorben ist.

Oder H., Schauspieler und Familienvater. Er leidet seit fünf Jahren an ALS. ALS oder Amyotrophe Lateralsklerose ist eine Erkrankung des zentralen und peripheren Nervensystems, die zu einem fortschreitenden Muskelschwund führt. Das bedeutet, dass H. immer mehr seiner Körperfunktionen verlieren wird, bis er schließlich erstickt. Das Hospiz in der Nähe seiner Familie hätte ihn nur aufgenommen, wenn er sich entschieden hätte, die Atemmaske wegzulassen, welche ihm Sauerstoff über die Nase zuführt. Denn sie gilt als lebenserhaltende Maßnahme. Spätestens seit wir uns in dem weiter entfernten Hospiz, in dem er jetzt auf den Tod wartet, eine ganze Nacht lang unterhalten haben, habe ich beim Schreiben dieses Buches immer wieder ihn vor Augen – obwohl es unwahrscheinlich ist, dass er das Erscheinungsdatum noch erlebt.

Was könnte fundamental und kraftvoll genug sein, dass es wirklich in allen schwierigen Situationen helfen kann – selbst in seiner?

„Was gibt dir Kraft?“ Schon in dem Buch „Rolle vorwärts“ habe ich ein ganzes Kapitel dieser Frage gewidmet und dabei gemerkt, dass man sie eigentlich kaum beantworten kann. Jedenfalls nicht vollumfänglich, nicht stellvertretend für andere Menschen und schon gar nicht in Form von Tipps oder Ratschlägen zum Mitnehmen.

Außerdem habe ich unter anderem in den letzten Jahren eines gelernt: Es gibt keine universale Betriebsanleitung für den Umgang mit schwierigen Zeiten. Methoden, die mir aus „tiefen Momenten“ helfen, können für andere genau das Falsche sein, und Tipps, die ihnen wiederum helfen, mich nur runterziehen. Und sogar bei mir selbst kann eine Maßnahme an einem Tag hilfreich sein und am nächsten genau das Gegenteil bewirken.

Als mir kurz nach dem Unfall andere Betroffene ans Bett geschickt wurden, die mir erzählten, dass das Leben auch im Rollstuhl lebenswert ist und was ich nun unbedingt alles tun, lassen und empfinden sollte, hat mir das überhaupt nicht geholfen – im Gegenteil, ich fühlte mich nach solchen Besuchen immer noch niedergeschlagener als vorher. Wie das Leben im Rollstuhl ist, musste ich zunächst einmal selbst herausfinden und mir nicht von jemand anderem schmackhaft machen lassen.

Dementsprechend bin ich immer sehr vorsichtig, wenn ich in Krankenhäuser eingeladen werde, um Frischverletzte zu besuchen. Ich begegne ihnen mit einer möglichst großen Zurückhaltung und mit möglichst wenig überstülpender Pseudo-Fröhlichkeit. Wenn jemand in diese Situation kommt, muss er zunächst selbst damit zurechtkommen, leider.

Es ist einfach absurd zu glauben, da könne jemand von außen kommen, der sagt: „So, Schalter umlegen, jetzt geht’s wieder vorwärts!“ Das funktioniert leider nicht.

Aber: Die Leute fragen nicht nur aus Neugier, sondern sind meist selbst von großen Schwierigkeiten oder extremen Herausforderungen betroffen. Und an der Häufigkeit und Dringlichkeit der Fragen merkt man, dass ein starkes Bedürfnis nach Antworten herrscht, die für viele überlebenswichtig zu sein scheinen.

Deshalb wollte ich mich unbedingt auf die Suche machen, um nicht nur mir selbst, sondern auch den vielen anderen Fragenden zumindest den Ansatz einer Antwort geben zu können. Doch erwartet den geneigten Leser hier nicht der x-te Ratgeber oder „Ratschläger“, sondern eine Reise durch meine eigenen Erfahrungen und Fragen. Und da meines ein besonders intensives Erlebnis war und ich immer noch daran knabbere, habe ich auch umso intensiver versucht herauszufinden, wie ich damit umgehen kann.

Es wäre aber ziemlich langweilig und einseitig, nur über mich zu schreiben, schon allein, weil meine Umstände nun mal meine Umstände sind und mein Leid mein Leid ist – und deshalb auch mein Umgang damit und meine Lösungsansätze nicht zwangsläufig für andere gelten oder einfach so transferierbar sind.

Deshalb habe ich die Erfahrungen und Erkenntnisse anderer Leute aus der Vergangenheit und Gegenwart angezapft, die Wichtiges zum Thema beitragen können. Um vor allem auch aus dem wirklichen Leben zu lernen und zu erfahren, was Menschen in schweren Zeiten geholfen oder sie gar gerettet hat.

Um ein möglichst umfassendes Bild zu bekommen und vor allem auch reichhaltige Lösungsansätze zu finden, war ich unter anderem im Bundeskriminalamt und im Bildungsministerium, im Gefängnis und im Hospiz … Ich habe Glücksforscher, Hirnforscher, Ärzte, Mörder, Waisenkinder, Suizidgefährdete, Topmanager, Schauspieler, Künstler, Todkranke, Politiker, Holocaust-Überlebende und Gisela von nebenan einbezogen.

„Gisela von nebenan“ steht für die vielen Menschen, deren Situation auf den ersten Blick oder oberflächlich betrachtet vielleicht nicht ganz so schlimm erscheint wie die von anderen. Doch das subjektive Leidempfinden von Menschen kann man nicht messen oder vergleichen, und die Ängste und Nöte von Gisela können genauso schmerzhaft sein wie die eines Todkranken oder eines Topmanagers, der Verantwortung für Hunderte Mitarbeiter hat. Ein scheinbar sinnloser Beziehungsstreit über Kleinigkeiten oder existenzielle Konflikte, bei denen es um Leben und Tod geht – wie die Betroffenen damit umgehen, sich erholen, neu finden, aufstehen und gestärkt weitermachen, läuft doch letztlich immer auf ähnliche Lösungsstrategien und Verhaltensmuster hinaus.

Abzüglich Theater- und Fernsehauftritten durfte ich in der letzten Zeit etwa 100 Veranstaltungen pro Jahr gestalten, bei denen ich mich im Nachgang noch unter die Zuschauer mischte. Dabei hat es sich für mich ritualisiert, zunächst den Gästen zu begegnen, die nicht so lange sitzen können, weil sie offensichtlich schon den Rest ihres Alltags sitzen müssen. (Also, liebe Rollstuhlfahrer, fahrt nicht immer gleich so schnell weg, nur weil ihr denkt, ihr seid kleiner und unscheinbarer als die anderen!) Um nicht allzu umständlich rechnen zu müssen, runde ich auf 10 sehr schnell intensiv werdende Unterhaltungen pro Veranstaltung ab; daraus ergeben sich in den letzten sieben Jahren, und das kann ich selbst kaum fassen, etwa 7.000 unterschiedlichste Gespräche. Mal habe ich einfach nur zugehört, mal Kontakte vermittelt, mal hitzig diskutiert, gelacht und gelitten und gelegentlich mit mir zunächst fremden Menschen gemeinsam geweint, wenn mir ihre Erzählungen und Geschichten an Herz und Nieren gingen.

Ich habe viele Eindrücke, Antworten und neue Fragen aus diesen Gesprächen mitgenommen. Und aus meinen Rückfragen, wie zum Beispiel Sophie den Tod der Mutter verarbeitet hat oder warum Harald glücklich ist, obwohl er nicht den idealen Job ergattert hat, ergab sich Gutes und Überraschendes.

Die Essenz all dieser Begegnungen steht teils im Einvernehmen, teils im Widerspruch zu den Lehren der Psychologie, Theologie sowie der Verhaltens-, Hirn- und Resilienz-Forschung. Die damit weniger theoretische, sondern vielmehr praxisnahe Grundlage des Nachstehenden kann vielleicht auf andere Lebenssituationen übertragen werden. Im Idealfall jedoch für alle, die möchten, ein wenig Inspiration bieten, die eigene Stehaufkraft zu finden, zu bündeln und zu leben.

TEIL 1: DAS KREUZ MIT DER RESILIENZ

Auf meiner Suche nach der Stehaufkraft begegnete mir bald ein Begriff, der in den letzten Jahren zu einer regelrechten Modeerscheinung geworden ist: Resilienz.

Aber wer oder was soll das überhaupt sein – Re-si-li-enz?

Eine seltene Erbkrankheit? Ein ins Deutsche übersetzter französischer Nachtisch? Eine Selbsthilfegruppe für faule Menschen?

Der Begriff Resilienz stammt vom lateinischen „resiliere“, was „abprallen, nicht anhaften“ bedeutet, und er wurde ursprünglich in Physik und Technik verwendet. Dort beschreibt Resilienz das Maß, in dem ein elastischer Stoff nach einer Deformierung wieder seine ursprüngliche Form annimmt.

Heute wird das Wort Resilienz eher im Zusammenhang mit der Fähigkeit verwendet, Probleme und Stressphasen zu bewältigen und unbeschadet zu überstehen. Es beschreibt die Widerstandsfähigkeit eines Menschen im Umgang mit Krisen. Sozusagen seine „Widerfährnisbewältigungskompetenz“.

Es gibt jede Menge Forschungszweige und Fortbildungen zu dieser wundersamen Fähigkeit. Und natürlich gibt es auch ungefähr 187 Ratgeber auf dem Buchmarkt, aus denen willige Leser lernen sollen, wie man das nun macht mit der Resilienz.

Wenn es also einen eigens dafür eingeführten Begriff mit dazugehöriger Literatur und Bildungszweigen gibt, die lehren, wie man mit Schicksalsschlägen oder auch nur kleinen und großen Herausforderungen im Leben umgehen kann, dann scheint es naheliegend, wenn nicht gar logisch, dort nach Lösungen zu suchen.

Im berühmtesten, begehrtesten, fast für alle Welt zugänglichen „Kreis des Wissens“ der freien Enzyklopädie Wikipedia findet man nach Eingabe des Begriffs „Resilienz“ (Stand Juni 2018) zuallererst folgendes (lustiges) Kästchen:

Dieser Artikel oder Abschnitt bedarf einer Überarbeitung. NäheresistaufderDiskussionsseiteangegeben:DerArtikelstelltunterschiedslosForschungnebeneinander,ohnejeweilszuerklären,umwasfür„Resilienz“esdenndageradegeht.Alswolleman(strengwissenschaftlichbelegt)auflisten,waseinemallesbeimRadfahrenhilft-ohnezuklären,obesgeradeumSchnelligkeit,Regenschutz,ErfüllungderStraßenverkehrsregeln,umwenigerschweißtreibendesRadelno.Ä.geht.LauteinerHarvard-StudiesindübrigensauchStützrädersehrhilfreich …

Wikipedia hin oder her – dass man als Erstes auf so einen Diskussionsbeitrag stößt, ist schon bezeichnend für die Verworrenheit dieses unausgegorenen Themas.

Die Definition des Begriffs ist noch verhältnismäßig einfach – aber wie man resilient wird oder gar bleibt, das steht meist auf einem anderen Blatt. (Beziehungsweise steht es leider oft nicht auf den Blättern, in denen man so vieles zum Thema lesen kann.)

Ob im Profisport, Kindergarten oder Wirtschaftsunternehmen, alle wollen Resilienz bei sich selbst und vor allem bei ihren Schützlingen, Klienten und Mitarbeitern. Dazu gibt es unzählige Tutorials, Workshops, Seminare, sogar Trainingseinheiten, die mehr Resilienz anbieten (als einem lieb ist).

Einig sind sich (fast) alle darin, dass bestimmte Faktoren zur Resilienz dazugehören. Die „Grundpfeiler“ der Resilienz, die sich in den meisten Publikationen zum Thema wiederfinden, bestehen aus mehr oder weniger denselben Elementen, Faktoren oder Eigenschaften – mal sind es fünf, mal sieben oder acht, aber im Grundsatz sind sie alle ähnlich. Daher hier mal als Beispiel:

DIESIEBENSÄULENDERRESILIENZ

Optimistische Sichtweise

Akzeptanz der Situation

Neue Netzwerke aufbauen

Lösungsorientierung

Verlassen der Opferrolle

Selbstwirksamkeitsüberzeugung

Zukunft planen und gestalten

So weit klingt das ja alles recht vernünftig. Klar, eine positive Grundhaltung ist immer gut. Den Ist-Zustand zu akzeptieren, statt in der Vergangenheit zu verharren – logisch. (Jeder weiß schließlich: Das-Glas-ist-halb-voll-carpe-diem-glaub-an-dich-und-lebe-deinen-Traum-aufstehen-Kopf-hoch-Krone-richten-weitermachen-blablabla ) Doch obwohl all diese Dinge nicht falsch klingen, scheinen sie mir irgendwie haarscharf, aber präzise am eigentlichen Problem beziehungsweise Ziel vorbeizugehen und nur die Oberfläche zu polieren.

Vielleicht kann das etwas bringen, wenn man von kleineren Problemchen im Leben spricht. Anfangs beschrieb der Begriff Resilienz allerdings noch die Bewältigung extremer Schwierigkeiten und traumatischer Erfahrungen. Doch nach und nach wurde er immer mehr auch auf den Umgang mit eher normalen Alltagsherausforderungen angewendet. Und da mag es tatsächlich helfen, wenn man ein paar Handlungsanweisungen und Tipps bekommt. Wenn es um eine verpatzte Klassenarbeit und die drohende Gefahr des Sitzenbleibens geht, kann man das womöglich mittels Selbstmanipulation und „Tschakka“-Parolen in den Griff kriegen. Und selbst wenn man im schlimmsten Fall nicht versetzt wird, ist das auch nicht das Ende der Welt.

Aber: Ein Motivationstief ist nun mal nicht mit einer tiefen, dauerhaften und nicht veränderbaren Krise zu vergleichen. Wer mit chronischen Krankheiten, schweren Behinderungen, dem Tod eines nahen Angehörigen oder traumatischen Erlebnissen kämpft, kann mit Durchhalteparolen und positiver Selbstmanipulation nicht viel anfangen.

Ratschläge wie „Du musst es nur wollen“ oder „Du musst nur dran glauben“ sind in dieser Situation mehr Schlag als Rat.

Wie jemand mit Leid, Krankheit, Ungerechtigkeit und Tod umgeht, das lässt sich nicht kategorisieren und der Machbarkeit unterwerfen, sodass dann die „richtige“ innere Einstellung oder bestimmte Faktoren das Überstehen leidvoller Situationen sicherstellen, wie eine Art Rezept, das immer funktioniert.

Durch die Ausweitung wurde der Begriff zudem immer schwammiger, und immer mehr Forschungsbereiche, Bewältigungsansätze und Phänomene werden mit in den großen Topf geworfen. Positives Denken, Selbstorganisation, Selbstwertgefühl und Lebensführung plätschern da neben Hochsensibilität, Depressionen, Burnout, Antriebsschwäche, Sozialverhalten, Glück, Gesundheitsvorsorge, Traumabewältigung und sogar der Integration von Migranten1 herum. Und irgendwie haben die ja auch alle etwas miteinander und mit dem Thema Resilienz zu tun. Nur, was eigentlich genau und wer blickt da noch durch?

Von innen nach außen

Eine entscheidende Frage ist: Kann man tatsächlich innere Widerstandskraft gegen hochgradige Schwierigkeiten aus einem Ratgeber lernen? Wie soll das funktionieren?

Die Resilienzforschung geht in weiten Teilen so an die Sache heran, dass sie Studien an besonders widerstandsfähigen Menschen betreibt und daraus Handlungsanweisungen abzuleiten versucht: „Max Mustermann hat es so gemacht, und nun musst du es genauso machen, um ‚Erfolg‘ zu haben.“

Was mir persönlich weiterhilft, ist, mir die Erfahrungen anderer Menschen anzuhören und mich von ihren Lösungswegen dazu inspirieren zu lassen, mir meine eigenen zu suchen. Was etwas anderes ist als die Ratgeber-Herangehensweise, auch wenn es im ersten Moment sehr ähnlich klingt. Aber der entscheidende Unterschied ist:

Der Ratgeber versucht, Menschen von außen nach innen zu beeinflussen. Und die Inspiration funktioniert genau andersherum: Sie kommt von innen heraus und verändert das Äußere.

Um mich inspirieren zu lassen, suche ich mir Menschen, die aus unguten Situationen etwas Gutes gemacht haben. Mal angenommen, dass der Inspirationsschatz umso wertvoller wird, je extremer das zu bewältigende Problem war – dann liegt es in unserer jüngeren deutschen Geschichte nahe, sich das in seinem Ausmaß schlimmste Beispiel anzuschauen, das es bei uns jemals gegeben hat. Es liegt mehr als 70 Jahre zurück, ist aber vielen von uns noch präsent, und die Auswirkungen sind bis heute zu spüren. Auch für mich als nicht direkt Betroffenen. Nach nur einer Stunde in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem verspürte ich Bauchschmerzen, Scham und Grauen angesichts der plastischen Erinnerung an die unaussprechlichen Grausamkeiten, die den Juden und anderen Minderheiten in unserem Land angetan worden waren. Millionen von Menschen wurden hingerichtet und abgeschlachtet – aber was ist mit den Überlebenden?

Wie konnten sie diese schrecklichen Erfahrungen verarbeiten, weiterleben oder gar wieder einen Sinn in ihrem Leben finden? Was ist passiert, dass die Einwohner Israels uns mit unseren deutschen Pässen besonders freundlich lächelnd begegneten und durch die Passkontrolle winkten?

Israel kann man subjektiv natürlich doof finden. Aber objektiv gesehen scheinen die Juden die Resilienz-Experten schlechthin zu sein. Weil sie schon seit jeher ununterbrochen im Krieg leben, durch Wüsten irren, versklavt, zerstreut, verfolgt und angefeindet werden und damit klarkommen müssen … und trotzdem (oder gerade deshalb?) zu einem der am höchsten entwickelten Völker der Welt geworden sind? Oder was hat es damit auf sich?

Wenn es für die ganz harten Fragen Antworten gibt – wenn Juden sogar während und nach dem Holocaust für sich Antworten gefunden haben auf die große Frage „Wozu das alles? Warum weitermachen?“, dann könnten diese doch auch für die kleinen gelten.

Wenn jemand eine schmerzhafte Erfahrung in etwas Positives umwandeln kann, lohnt es sich meiner Erfahrung nach immer, gut hinzuhören.

Durch Israel kurvend kreuzt man auffällig oft „Viktor-Frankl-Straßen“, fährt an „Viktor-Frankl-Schulen“ vorbei oder steht vor Viktor-Frankl-Denkmälern. Frankl war ein österreichisch-jüdischer Psychiater, der in der Nazizeit mit seiner gesamten Familie ins KZ verschleppt wurde. Er musste mit ansehen, wie seine Eltern, sein Bruder und seine junge Ehefrau weggeschleppt und umgebracht wurden; er selbst überlebte.

Nicht nur irgendwie. Er ist nicht an diesem Leid zerbrochen, sondern beobachtete schon im KZ intensiv den Umgang seiner Mitinsassen mit dieser extremen Erfahrung und begründete nach seiner Befreiung eine einzigartige Therapieform, die Logotherapie. Dazu später mehr.

Frankl hat nie das Wort Resilienz benutzt, aber er hat sie im Grunde schon im KZ