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Nach dem jähen Tod seiner Frau hat Thomas Pasturner die schöne Jutta Ambacher als seine zweite Frau zu sich auf den Hof im hohen Joch geholt. Die Herzen seiner beiden Kinder aus erster Ehe fliegen dieser Frau zu. Glück und Zufriedenheit liegen auf dem Pasturnerhof, aber dann ziehen Wolken auf, weil Jutta sich völlig zu wandeln beginnt. Schwere Schicksalsschläge, Einflüsterungen einer anderen Frau und das Wiedersehen mit einem Mann, den sie als junges Mädchen liebte, bringen sie in schwere innere Konflikte, unter denen nicht nur sie allein zu zerbrechen droht, sondern alle, die auf dem Hof leben.
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LESEPROBE ZU
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Rosenheimer Verlagshaus erschienenen Originalausgabe 2010
© 2018 Rosenheimer Verlagshaus GmbH & Co. KG, Rosenheim
www.rosenheimer.com
Titelbild: Studio von Sarosdy, Düsseldorf
Bearbeitung und Lektorat: Petra Schnell, Stephanskirchen am Simssee
Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling
eISBN 978-3-475-54799-7 (epub)
Hans Ernst
Steine im Weg
Nach dem jähen Tod seiner Frau hat Thomas Pasturner die schöne Jutta Ambacher als seine zweite Frau zu sich auf den Hof im hohen Joch geholt. Die Herzen seiner beiden Kinder aus erster Ehe fliegen dieser Frau zu. Glück und Zufriedenheit liegen auf dem Pasturnerhof, aber dann ziehen Wolken auf, weil Jutta sich völlig zu wandeln beginnt. Schwere Schicksalsschläge, Einflüsterungen einer anderen Frau und das Wiedersehen mit einem Mann, den sie als junges Mädchen liebte, bringen sie in schwere innere Konflikte, unter denen nicht nur sie allein zu zerbrechen droht, sondern alle, die auf dem Hof leben.
Irgendwann muss Gott auf die Erde herabgeschaut und durch ein Wolkenloch ein unbewohntes Fleckchen erspäht haben. Vielleicht hat er ein paar Menschen, denen er wohlgesonnen war, mit dem Hinweis dorthin gelotst: »Ihr bürgt mir für dieses Stück Land.«
Deswegen oder so in etwa mag dieser Weiler mit seinen paar Höfen und den paar kleineren Häusern in den Kirchenbüchern vor langer Zeit schon mit dem Namen »Gottsbürgen« eingetragen sein. Aber niemand nennt die Menschen da oben die »Gottsbürgner«, sondern sie nennen sich die »Jochbauern« oder »die vom hohen Joch«.
Das Geschlecht der Pasturner dürfte das älteste sein. Über der Haustüre des mächtigen Hofes steht die Jahreszahl 1570. Er ist auch noch ganz aus Holz gebaut, während der Leitnerhof auf dem anderen Hügel drüben schon aus Quadersteinen besteht. Diese beiden Höfe trennt der Tschurn, ein sanftes Forellenwasser zur Sommerszeit, im Frühjahr aber, wenn der Föhn den Schnee von den Bergen reißt, schwillt er manchmal zu einem brausenden Wildbach an. Über den Tschurn führt eine hölzerne, überdachte Brücke, gerade hoch und breit genug, dass man noch mit einem Fuder Heu hindurch kann.
Auf dem rechtsseitigen Ufer liegt neben dem Leitnerhof noch etwas abseits das kleine Anwesen der Sina Tremmel, die seit drei Jahren Witwe ist, und noch weiter hinten, am Waldrand schon gleich, steht seit einigen Jahren der moderne Bungalow des Antiquitätenhändlers Schirner, der seine Sommerferien, soweit er sich überhaupt welche vergönnt, hier verbringt. In einer besonders guten Laune hat der Pasturner dem Schirner einmal ein halbes Tagwerk von der Hangwiese da drüben verkauft und es hernach arg bereut, weil der moderne Flachbau, den der Schirner dort errichtete, gar nicht so recht in die Landschaft passen will.
Gottsbürgen liegt etwa achthundert Meter hoch in einer weit ausgedehnten Mulde, von rauhen Winden geschützt, lieblich eingebettet wie in eine gewaltige Muschel. Dort oben gedeiht einfach alles, besonders Obst, ja, auf den unteren Hängen sogar noch etwas Getreide.
Von dieser Höhe aus kann man weit ins Land hinausschauen. Verstreut sieht man an den Hängen ringsum die Höfe und Weiler liegen. In der Tiefe aber liegt der Marktflecken Neukam, der seit einigen Jahren den Namen Kurort führen darf. Gewaltig ragt der mächtige Zwiebelturm der Kirche über die übrigen Dächer und Giebel.
Zur anderen Seite schauend, sieht das Auge nichts mehr als den dunklen Bergwald und darüber die gezackte Wellenlinie der Berge, aus der sich der Grottenstein und das Goldene Horn herausheben.
Dieser Berg, dessen spitzer Gipfel ein wenig seitwärts geneigt ist und dadurch die Form eines Horns annimmt, ist das Wahrzeichen des Tales, und in Neukam gibt es ein Hotel »Zum Goldenen Horn« und eine »Horn-Apotheke«.
Der eigentliche Herr auf dem hohen Joch ist zweifellos der Pasturner. Nicht nur, weil sein Anwesen viel größer ist als das vom Leitner drüben, sondern weil er in seiner ganzen Art ein Mann ist, der jedem Achtung abnötigt und der überall Ansehen genießt. Er gehört nicht nur dem Gemeinderat von Neukam an, sondern hat auch im Bauernverband einen Ehrenposten und schreibt zuweilen gepfefferte Artikel in der landwirtschaftlichen Wochenzeitung, wenn ihm irgendetwas ein Missstand zu sein scheint. Oft erscheint auf dem Pasturnerhof hoher Besuch, der Landwirtschaftsrat Stumpf etwa oder der Landrat. Die Küche der Bäuerin ist bekannt wie der Weinkeller des Pasturner.
Der jetzige Pasturner, der Thomas, ist bereits der Achte in seiner Geschlechterreihe. Er ist ein großer, gut gewachsener Mensch, so um die vierzig herum, mit lichtem, blondem Haar um die hohe, kantige Stirn. Die Augen sind blaugrau und von dunklen Wimpern überschattet. Im rechten Ohrläppchen trägt er ein kleines, goldenes Blättchen in der Form eines vierblättrigen Kleeblatts, so wie es alte Schäfer manchmal tragen, weil das fürs Augenlicht gut sein soll.
Seine Frau ist die Elisabeth, deren Wiege auf der anderen Seite des Gebirges, auf dem Amreinerhof, gestanden hat. Sie ist eine stille, fleißige Frau mit einem ausgesprochenen Sparsamkeitssinn; einige nennen sie deswegen sogar geizig. Noch nicht ganz vierzig, sieht sie schon fast wie fünfzig aus. Ihr dünnes Haar ist schon stark angegraut und um die Mundwinkel haben sich tiefe Falten eingegraben. Sie ist nicht besonders groß und neigt seit einigen Jahren etwas zur Fülle. Das Schönste an ihr sind die großen, nussbraunen Augen, die so viel Güte ausstrahlen.
Aus dieser Ehe, die durchaus gut zu nennen ist, weil das Wort glücklich in den Kreislauf bäuerlichen Geschehens nicht recht hineinpassen will, sind zwei Kinder hervorgegangen. Der jetzt zwölfjährige Kilian und die fünfjährige Christina. Etwas spät hat die Pasturnerin ihre Kinder bekommen, umso mehr hängt sie nun an diesen beiden, der blondzopfigen Christina und dem etwas verträumten Kilian. Mit einer geradezu krankhaften Fürsorglichkeit wacht sie über die beiden, liest ihnen jeden Wunsch von den Augen ab, so dass der Pasturner manchmal sagen muss:
»Verhätschel sie bloß nicht so arg! Wie soll denn der Bub einmal seinen Mann stellen können, wenn du ihn dauernd mit Samthandschuhen anfasst!«
Die Frau widerspricht ihm nicht. Das hat sie in ihrer Ehe überhaupt nie getan. Sie gibt ihm sogar Recht, aber sie kann halt nicht aus ihrer Haut heraus, die Kinder sind ihre Welt. Sie umhüllt sie mit all ihrer Wärme und überschüttet sie mit dem ganzen Strom ihrer mütterlichen Liebe.
Der Pasturner hätte es gerne gesehen, wenn seine Frau sich mehr bewusst gewesen wäre, wer sie eigentlich ist. Die reiche Pasturnerin eben vom hohen Joch. Aber sie ist immer geblieben, was sie war; eine einfache, schlichte Bergbäuerin, ein wenig langsam im Denken, die manchmal erschrickt, wenn sie ihren Mann etwa mit dem Herrn Landrat so gescheit reden hört.
Ihr Denken endet mit der Grenze des Ackers oder zumindest dort, wo das Auge nichts mehr anderes sehen kann als die Kammlinie der Berge und, nach Westen sehend, die nebelige Schimmergrenze des Horizonts.
Zwei Knechte und zwei Mägde machen die Angestellten auf dem Pasturnerhof aus. Adrian, der Oberknecht, ist bereits zehn Jahre auf dem Hof, ein ruhiger, gesetzter Mann. Dann die Mägde Martha und Loni, und zum Schluss noch der Sebastian, kurz Wasti genannt. Er ist gerade achtzehn Jahre alt geworden und ist mit vierzehn, rachitisch, mager und blass, auf den Hof gekommen, ein Waisenbub, der eine recht armselige Kinderzeit hinter sich hatte. Jetzt aber hat er sich gut herausgewachsen. Die Pasturnerin hat ihn gut verpflegt und der Wasti hat sich gerundet wie ein Ferkelchen. So ähnlich wirkt auch sein Kopf, der einem aufgestellten Ei gleicht, über dessen obere Spitze eine struppige Pelzhaube gestülpt ist. Klein, wie bei einer Spitzmaus, liegen die Augen über den Wangen. Der Hals ist kurz und gedrungen, die Arme lang und klobig. Die Kinder hängen sehr an ihm und können mit ihm machen, was sie wollen. Die Christina darf auf seinem Rücken reiten, wenn er sich geduldig niederlässt. Sie darf ihn mit ihren kleinen Füßen dabei in die Rippen stoßen und »Hü!« schreien. Der Wasti wiehert dann und macht ein paar Hopserer. Ach ja, er ist ein guter, lammfrommer Bursche, nur in letzter Zeit etwas schweren Gemütes, weil beim Leitner drüben eine neue Jungmagd ist. Theresa heißt sie, und wenn sie am Morgen auf dem Misthaufen steht, dann späht der Wasti irgendwo hinter einem Eck hervor und schaut voller Sehnsucht zu ihr hinüber, weil sie so nett ausschaut und recht gut beieinander ist.
Aber er getraut sich halt nichts zu sagen, schleppt seine Sehnsucht durch diese Adventstage und wird ganz schwermütig dabei. Und doch ist dies immer eine so wunderschöne Zeit, diese Wochen vor Weihnachten, wenn es um fünf Uhr schon dunkel wird und die Lichter eingeschaltet werden. Der wuchtige Kachelofen in der Stube des Pasturnerhofes strahlt behagliche Wärme aus, in der Röhre liegen duftende Bratäpfel. Im ganzen Haus riecht es nach Weihnachtsgebäck. Die Mägde sind an den langen Abenden mit Flickarbeiten beschäftigt, der Bauer spielt mit den Knechten Karten oder er liest, während die Bäuerin noch in der Küche sitzt und den Kindern die seltsamen Märchen erzählt, die sie mit über das Gebirge gebracht hat. Das vom wilden Jäger und das von der Sennerin mit dem »steinernen Herzen«, die von ihrem Liebsten gefordert hat, ihr erst den goldenen Schatz aus dem Berg zu holen, bevor sie ihn erhören könnte. Der Jäger sei dann gegangen, den Schatz zu suchen, und habe die eiserne Türe, die in die Höhle führte, auch gefunden. Aber in der Höhle sei er auf einen Mechanismus getreten, die Türe habe sich hinter ihm geschlossen und er sei nie mehr zum Vorschein gekommen.
Oft kommt dann auch der Wasti in die Küche geschlichen, sitzt schwer atmend da, beißt in einen heißen Bratapfel und hängt mit seinen Augen an der Bäuerin, die so wunderbar erzählen kann. Der Wasti kann gar nicht genug von diesen alten Geschichten hören, von denen die Bäuerin einen unerschöpflichen Vorrat zu haben scheint, und andächtig hört er ihr zu. Er selber ist dann der arme Schäfer, der um die Königstochter freit, und ganz wehmütig wird ihm, wenn die zwei Liebenden sich nicht bekommen, weil, wie die Bäuerin eines der Märchen schließt, das Wasser, das zwischen ihnen liegt, viel zu tief ist. Dann überkommt ihn eine so große Sehnsucht nach der Theresa vom Leitner drüben, dass er aufspringen und hinübergehen möchte, denn so tief wie das Wasser im Märchen ist der Tschurn ja immerhin nicht. Aber zunächst will er ihr einen Brief schreiben und an einem Abend macht er sich in seiner Kammer an diese schwere Arbeit.
Im Kreislauf eines Bauernjahres sind die Tage so angefüllt mit Arbeit, dass man kaum merkt, wie die Zeit vergeht. Und es ist nie langweilig, denn die Arbeit ist nie gleich, immer etwas anderes gibt es zu tun.
März ist es schon, als sie beim Pasturner das letzte Scheitholz und das Papierholz nach Neukam zur Bahnstation bringen, während die Mägde die letzten Fichtenzweige hinter dem Querstadel klein hacken und zu Reisigbündeln schnüren. Dann wird der Mist ausgefahren und der Acker gedüngt, die Kartoffeln werden gelegt und der Hafer wird gesät. Der Tschurn ging in diesem Jahr nur ein paar Tage recht wild, aber er hat nirgends Schaden angerichtet. Und ehe man es sich recht versieht, ist der Frühling vollends da.
Die Wiesen grünen und sehen aus wie dunkle Samtteppiche, auf denen Tausende von bunten Blumen blühen. In den Obstgärten stehen die Bäume im weißen Blütenschmuck und beim Entenweiher des Pasturnerhofes lässt die alte Trauerweide ihre langen Zweige fast bis auf das Wasser herunterhängen. Die Schwalben sind wieder da, in den Haselnussbüschen schlägt eine Nachtigall. Der Zauber der erwachenden Natur packt auch die Menschen.
Auch dem Pasturner Wasti wallt der Frühling das Blut auf. Er kann es einfach nicht begreifen, dass die Leitner Resi ihm auf seinen Brief nicht geantwortet hat. Ob sie ihn nicht bekommen hat?
Freilich hat sie ihn bekommen, sie hat ihn auch gelesen, aber was der Wasti da so deutlich ausdrückt, ist nichts für ein Mädchen, das schon einmal bitter enttäuscht worden ist.
Die Theresa Mang war früher in Neukam beim Pollingerbauern gewesen. Als dann im Hotel »Zum Goldenen Horn« die Warmwasserheizung eingebaut wurde, hat ein Monteur aus der Stadt ihr seine Liebe gestanden. Dann war er plötzlich verschwunden und sie ist ihm nachgefahren in die Stadt. Als sie ihn dann endlich gefunden hat, hat es sie schwer getroffen, feststellen zu müssen, dass er bereits verheiratet war. Zerknirscht ist sie wieder nach Neukam zurückgekehrt, aber der Pollinger hatte bereits eine andere Magd gefunden. Beim Leitner im hohen Joch suchte man gerade eine und so ist die Theresa eben in diese Einöde heraufgekommen. Ab und zu hat der Jungknecht vom Pasturner drüben abends einen Besuch beim Leitner gemacht, und es ist ihr natürlich aufgefallen, dass er sie dann, auf der Bank stumm dahockend, unverwandt angeschaut hat. Aber den Mund hat er nicht aufgebracht, nur zuweilen einen abgrundtiefen Seufzer von sich gegeben.
Der Wasti findet sie wunderschön, obwohl die Resi, was das Äußere angeht, ein bisschen stiefmütterlich davongekommen ist. Bei der Verteilung der Nasen hat sie wohl zweimal »Hier!« geschrien, und obwohl sie erst neunzehn ist, hat sie schon ein Doppelkinn. Das Haar ist schwarz, aber recht dünn. Sie hat es im Nacken zu einem armseligen Knoten zusammengeschlungen, aber ansonsten ist sie recht gut beisammen.
Und dann kam der Brief, auf den sie einfach keine Antwort geben kann! Aber sie liest ihn doch immer wieder und fragt sich, woher der Wasti wohl solche Worte hat. Das muss er doch irgendwo abgeschrieben haben, denkt sie, aber das ist wohl nicht gut möglich, dann wäre die Rechtschreibung nicht so seltsam ausgefallen.
»Weerdes Fräulein Resi! Indem dass ich gern ein Verhältnis mit dir hätte, teile mir mit, ob du mein Schiegsal sein willst. Ich habe immer so großes Verlangen nach dir, indem du mir schon aufgefallen bist, als du zum Leitner gekommen bist. Mich dürstet nach dir wie den Hirschen nach der Wasserkwelle und meine Liebe ist so groß wie das Meer. Wenn du mich auch makst, so teile mir dieses bald mit, weil sonst die Zeit vergeht und nix ausgerichtet ist. Es grüßt und küsst dich dein Sebastian Schneggerl.«
Nein, selbst wenn sie es wollte, kann sie einen solchen Brief nicht beantworten, obwohl sie ein bissel Mitleid empfindet mit dem gutmütigen Burschen da drüben, den der Frühling offensichtlich so verwirrt und dem sie an sich recht gut ist. Sie will es der Zeit überlassen. Einmal wird er ja doch reden, wenn ihm Gelegenheit geboten wird. Das will sie abwarten und vielleicht kann sie auch ein bisschen nachhelfen.
Die Zeit des Almauftriebs kommt näher. Beim Pasturner haben sie seit fünf Jahren schon eine Sennerin aus Neukam. Sie heißt Berta und kommt drei Tage vor dem Almauftrieb auf den Hof um alles für den Auftrieb vorzubereiten. Beim Leitner aber – das erfährt der Wasti ganz zufällig – soll die Resi den Sommer über auf die Alm. Das wird beim Mittagessen so nebenbei erwähnt, und die Mitteilung trifft den Wasti so arg, dass er zu essen aufhört und keinen Appetit mehr hat, was bei ihm schon etwas heißen will. Den ganzen Tag schleicht er bedrückt umher, ist mit seinen Gedanken nur halb bei der Arbeit und tut sich selber schrecklich Leid.
Als es dann Abend wird, schleicht er sich hinaus und sitzt ganz verstört am Entenweiher, von wo aus er am besten zum Leitnerhof hinüberschauen kann. Er fühlt sich grenzenlos verlassen und von niemandem verstanden. Man müsste verheiratet sein, denkt er, dann wäre man nicht mehr so allein, mit der Resi müsste ich verheiratet sein, aber die hat ihm auf seinen Brief ja nicht einmal eine Antwort gegeben. Und das Mitleid mit sich selber wird so groß, dass ihm die Tränen in die Augen treten.
Vom Leitnerhof sieht man aber frei zum Pasturnerschen Entenweiher hinüber. Die Resi steht schon eine ganze Weile am Fenster ihrer Kammer und betrachtet voller Erbarmen den Burschen, dessen Schultern auf einmal so verdächtig zucken.
Da hält sie es einfach nicht mehr aus, schlüpft in ihre Sandalen und schleicht bei der hinteren Stalltüre hinaus.
Die Leitnerleute sitzen vor dem Haus auf der Bank und genießen den Feierabend, darum muss die Resi ziemlich weit hinter dem Hof hinaufgehen, fast bis zum Waldrand, muss dann da oben ihre Sandalen wieder ausziehen, um durch den Tschurn zu waten, und dann auf der anderen Seite so ganz wie von ungefähr von oben herunterschlendern zu dem einsamen Burschen.
Es dämmert bereits, und der Wind weht kühl von den Bergen herunter, so dass die Resi ihr Wolljäckchen über der Brust zusammenknöpft. So kommt sie langsam auf den Entenweiher zu, an dessen Rand der Wasti unter der Trauerweide sitzt, als hätte er im Sinn sich im nächsten Augenblick in das Wasser zu stürzen, das nie ganz klar ist und über die halbe Fläche hin auf der Oberfläche grün bewachsen ist.
Der Wasti fährt ganz erschrocken zusammen, als er plötzlich die nahenden Schritte vernimmt. Aber er ist nicht fähig, sich zu erheben, und findet zunächst auch gar kein Wort für das Mädchen, das aus der Dämmerung heraustritt und nun mit einem stillen Lächeln hinter ihm steht. Der Wasti hat nur den Kopf weit zurückgelehnt und schaut sie fassungslos mit großen, feucht schimmernden Augen an.
»Was tust denn du da?«, fragt die Resi endlich um das Schweigen zu brechen.
Der Wind singt leise in der Trauerweide, deren tief hängende Zweige sich langsam bewegen.
Der Wasti schnappt ein paar Mal nach Luft, dann stößt er heraus: »Wo kommst denn du her?«
»Ja, ein bisschen spazieren gegangen bin ich halt! Aber dass du hier so allein dasitzt? Wartest du auf jemanden?«
Da lässt der Wasti den Kopf sinken.
»Ich wart auf niemand mehr!«, sagt er mit entsagungsvoller Stimme.
»Ah geh«, sagt sie voller Mitleid und setzt sich neben ihn, stellt die Knie auf und zieht ihren Rock darüber. Nach einer Weile fasst sie Mut zu der Frage:
»Du, Wasti, magst mich du wirklich so gern, wie du geschrieben hast?«
»Noch viel gerner! Aber du hast mir ja keine Antwort geben.«
»Was hätte ich denn darauf antworten sollen, wenn du schreibst, ob ich dein Schicksal sein will? Ich kenne dich ja noch gar nicht näher. Wenn du zu uns gekommen bist, bist nur dagesessen und hast dir nichts anmerken lassen.«
»Ja, weil wir nie allein waren! Sind ja die anderen immer dabeigesessen. Hättest es schon gesehn, was passiert wäre, wenn wir allein gewesen wären!«
»Was denn, Wasti?« Sie rückt ein bisschen näher zu ihm hin. »Sag mir’s halt, Wasti, was dann geschehen wär?«
Er schaut sie von der Seite her prüfend an. Endlich rafft er sich mutig auf und stößt hervor:
»Dann hätte ich dir vielleicht schon ein Busserl gegeben!«
Die Resi lacht leise. Aber es klingt doch schön, ganz dunkel, ein wenig gurrend.
»Das sagst halt jetzt! Aber du traust dich ja nicht!«
Der Wasti fährt so hastig mit dem Gesicht herum, dass er gegen ihre vorgeneigte Stirne stößt.
»Ich mich nicht trauen?«
»Nein! Sonst tätst ja nicht so lang warten.«
Ganz heiß überläuft es ihn. Da hat sie ihn ja ganz schön in einen Wirrwarr hineingedrängt! Jetzt muss er es tun, wenn sie ihn nicht für einen Sprüchemacher halten soll! Schüchtern hebt er den Arm und legt ihn um ihre Schulter.
»Ich trau mich nicht, meinst? Das wirst schon sehn!«
Er greift mit der Hand unter ihr Kinn und hat auf einmal Angst, ist unsicher und stolz zugleich. Am liebsten wäre es ihm, wenn sie aufspränge und davonliefe.
Aber die Resi bleibt sitzen, lehnt sich sogar an ihn, und er kann nicht mehr aus, es ist wie ein sanfter Zwang. Er gibt ihr seinen ersten Kuss, lässt sie schnell los und sagt:
»So, jetzt hast es, weil du gemeint hast, ich trau mich nicht!«
»Ja, jetzt hab ich dich!«
»Bist jetzt beleidigt?«
»Ah geh, beleidigt werde ich sein, wenn ich schon so lang gewartet hab drauf! Geh her, Wasti – noch einmal!«
Und sie küsst ihn, wie es ihr passt. Er hält ganz still, Misstrauen stiehlt sich in sein Herz.
»Woher kannst denn du das Küssen so gut?«, will er wissen.
»Ah geh, das kann doch ein jeder! Da ist doch nichts dabei.«
»Meinst?«, fragt er, »dann haben wir jetzt ein Verhältnis?«
»Ja, Wasti, wenn du mich magst.« Die Resi ist recht glücklich darüber. Der Wasti ist ja so bescheiden!
»Hast den Brief selber aufgesetzt?«, fragt sie plötzlich. Der Wasti ist sogar für eine Verlegenheitslüge zu ehrlich und gesteht:
»Nicht ganz. Ein bisschen was hab ich von einem Büchlein rausgeschrieben. Aber ich meine es ganz ehrlich mit dir und bleibe dir treu.«
»Ja, das musst schon, Wasti. Nicht, dass es mir wieder so geht, wie mit dem andern.«
Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber nun ist es ihr schon rausgerutscht, und der Wasti ist auch gleich hellwach.
»War da schon einmal was mit einem andern?«
Da erzählt sie ihm die Geschichte ihrer ersten Liebe und großen Enttäuschung. Sie spricht klagend und bittet ihn sie zu verstehen, weil sie doch überhaupt gar nichts dafür könne.
Und wie er sie versteht! Ganz fest drückt er sie an sich und sagt:
»Armes Hascherl! Ich schmier dich gewiss nicht aus.« Und plötzlich fällt es wie ein heißer Schreck über sein Herz. »Stimmt es, dass du nächste Woche auf die Alm musst?«
»Ja, Wasti, freilich! Und ich freu mich schon drauf!«
»Du freust dich? Und ich? Was soll dann aus mir werden, jetzt, wo es grad so schön angegangen ist!«
»Aber geh, Wasti! Ich bin doch nicht aus der Welt! Sonntags kannst mich ja besuchen da oben. Und überhaupt, das ist dann wie eine Prüfungszeit. Wenn du mich im Herbst, wenn ich runterkomme, auch noch so gern hast, dann können wir weitersehen. Aber jetzt muss ich heimgehn.«
Still und verschwiegen liegen die Höfe unter dem Sternenhimmel. Er begleitet sie noch bis zur Brücke. Dort bleiben sie stehen.
»Könnte ich vielleicht – wenn es geht – noch ein Busserl haben?«, fragt der Wasti.
»So viel du willst«, kichert die Resi und hält ihren Mund hin. Hernach sagt der Wasti recht artig: »Dank dir schön.«
Unter ihnen plätschert der Tschurn sein Lied. Beim Leitner knurrt einmal der Hund ganz kurz auf, dann ist es wieder still.
»Jetzt muss ich aber schlafen gehn«, sagt die Resi. »Und bis ich am Montag auf die Alm geh, treffen wir uns jeden Tag beim Entenweiher, magst?«
Und ob er mag! Zehn Mal sagen sie sich noch gute Nacht, dann fallen ihre Hände auseinander. Die Resi dreht sich um und geht über die Brücke.
Der Wasti wartet, bis er drüben die Stalltüre in den Angeln knarren hört. Dann wendet er sich um und geht den Hügel hinauf.
Der Hochsommer kommt. Mensch und Tier stöhnen unter der Hitze. Kaum dass die Nächte noch abkühlen, und kein Tau netzt die Gräser.
Am hohen Joch ist man mitten bei der Heuarbeit und die Pasturnerin schickt einen Krug mit kaltem Lindenblütentee auf die Wiese hinaus. Sie sagt, dass er gesünder sei und den Durst besser lösche als das Bier. Vielleicht hat sie damit sogar Recht, es ist aber schon eher anzunehmen, dass es ihr strenger Sparsamkeitssinn ist, der sie so handeln lässt, denn das Bier ist teuer, der Preis steht jedenfalls in gar keinem Verhältnis zu dem der Milch.
Aber es ist auch der Pasturner da, der weiß, was er der Hitze und seinen Leuten schuldig ist; er sagt zu seinen Kindern:
»Jetzt fahrt den Tee schön wieder heim und bringt Bier!«
Er hat es seiner Bäuerin schon oft gesagt: So zwischendurch einmal Tee, aber doch nicht immerzu! Ob sie denn als geizig verschrien werden wolle?
Nein, ausgesprochener Geiz ist es nicht, aber wenn es irgendwie geht, zwackt sie da etwas ab und dort, und wenn sie auf der Straße einen Pfennig liegen sieht, hebt sie ihn auf.
Bezahlt der Eierhändler ihr den Preis nicht, den sie meint, packt sie am Mittwochmorgen den großen Korb und geht damit nach Neukam hinunter auf den Wochenmarkt, und wenn sie nur um zwei Pfennig mehr für das Stück erzielt. Auch Butter und Schmalz bringt sie dorthin, obwohl es der Pasturner gar nicht gerne sieht und er lieber eine Magd schicken würde. Aber die Eier sind ihr Taschengeld, und zudem meint sie, dass es den Käufern lieber ist, wenn eine Bäuerin hinter dem Stand steht als eine Magd.
Bei aller Sparsamkeit kann man ihr aber nicht nachsagen, dass auf dem Pasturnerhof jemand hungern müsste. Das Essen ist gut und reichlich. In letzter Zeit bleibt sogar manchmal etwas übrig, weil der Wasti statt acht höchstens nur mehr drei Knödel hinunterbringt. Die Sehnsucht nach seiner Resi nimmt ihm den ganzen Appetit. Er kann schlecht schlafen und magert sichtlich ab. Er arbeitet jetzt auch bei der Heuernte, schwitzt und seufzt und schaut immer wieder zum Himmel auf, wo die Wolken mit weiß glühenden Rändern dahinziehen. So eine Wolke müsste ich sein, wünscht er sich, dann würde ich schnurstracks zu meiner Resi fliegen!
So zieht der Sommer durchs Land. Sie bringen das Heu heim und sonntags geht der Pasturner mit seinen beiden Kindern am Ährenfeld entlang, bricht das Korn über dem Daumennagel, um zu sehen, ob es schon bald reif sei. Alle vierzehn Tage nimmt er sie auch mit auf die Alm, um nachzusehen, ob die Berta das Vieh in Ordnung hat. Kilian darf jetzt manchmal am Abend mit ihm zur Jagd gehen und neben ihm auf dem Hochstand sitzen oder auf der Bank vor der Jagdhütte. Aber der Bub zeigt kein allzu großes Interesse für die Jagd. Er ist ein bisschen verträumt, immer ein wenig versonnen und still.
Eines Tages trifft auf dem Pasturnerhof Post ein, dass die Kaufmannsgattin Emma Ziegler gestorben sei. Die Pasturnerin ist mit den Zieglers, die in der Kreisstadt Oberndorf ein recht ansehnliches Kaufhaus besitzen, recht weitläufig verwandt.
Wenn in der Verwandtschaft eine Frau stirbt, so ist es bisher immer so gewesen, dass die Pasturnerin zur Beerdigung gegangen ist. Bei Männern traf das dann auf den Pasturner. Diesmal aber schüttelt die Frau den Kopf und sagt:
»Musst schon du fahren, Thomas. Ich muss morgen Brot backen und die Wäsche waschen.«
»Aber das ist doch deine Verwandtschaft!«, will er abwehren.
»Das macht doch nichts! Für mich ist es mit dem Zug doch auch recht umständlich. Du aber kannst mit dem Wagen fahren.«
»Na ja, meinetwegen. Ich muss sowieso einmal zum Finanzamt, dann geht’s in einem.«
»Da kommt auch viel städtische Verwandtschaft zusammen und mit denen kannst du viel besser reden als ich«, sagt die Frau noch und damit ist der Fall erledigt.
Der »Wagen«, von dem die Bäuerin gesprochen hat, ist ein uralter Mercedes, den der Pasturner schon als Gebrauchtwagen erstanden hat, weniger weil er ihn unbedingt brauchte, als vielmehr in dem Bestreben, zu zeigen, was er sich leisten kann. Wer hat in der Zeit denn schon einen anständigen Wagen? Von den Bauern keiner, nur der Sägewerksbesitzer Schneizeneder von Neukam und der Tonwerksbesitzer Rauch von Aufham können sich einen ordentlichen Mercedes leisten. Der Lack seines Autos glänzt schon lange nicht mehr, aber der Motor frisst willig die Kilometer, die man ihm abverlangt, wenn auch nur noch im Tempo achtzig. Doch das reicht dem Pasturner, er liebt es, gemächlich dahinzufahren und dabei das Bauernland betrachten zu können, das sich beiderseits der Straße weithin ausdehnt. Hier, in der Ebene, steht das Getreide viel üppiger als bei ihm daheim auf dem hohen Joch. Einmal hält er sogar, steigt aus und rupft sich eine Kornähre. Sie ist mindestens noch mal so groß wie die seinen daheim.
Die Kornähre zwischen den Zähnen, kommt er in Oberndorf an, stellt seinen Wagen in den Hof des Gasthofs zur Post und geht dann zu Fuß gleich zum Friedhof, wo er vor der Aussegnungshalle bereits eine Menge Menschen antrifft. Da und dort sieht er auch ein bekanntes Gesicht, während ihn viel mehr Menschen kennen, als er es weiß. Seine hohe, schlanke Gestalt kommt in dem gut geschneiderten, schwarzen Anzug so richtig zur Geltung. Das blonde Haar ist in der Mitte sauber gescheitelt, das goldene Blättchen in seinem Ohrläppchen glänzt.
»Wie ein Herr sieht er aus«, flüstert die Killinger Babette der Inselkammerin zu.
»Er ist ja auch ein Großbauer«, flüstert die zurück. »Bin neugierig, ob er uns überhaupt kennt.«
»Wär ja noch schöner!«, ereifert sich die Babette Killinger. »Ich weiß es zwar nicht genau, inwieweit ich mit ihm verwandt bin, aber wir waren schon auf ein paar Hochzeiten und Beerdigungen beieinander.«
»Seine Frau nimmt er überhaupt nirgendwohin mit«, sagt die Inselkammerin und hätte vielleicht noch mehr gesagt, wenn in diesem Augenblick nicht gerade die Geistlichkeit gekommen wäre, die sich in die Aussegnungshalle begibt.
Hernach, am Grab, tritt der Pasturner als einer der Ersten heran und drückt den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Der Kaufmann Ziegeler hebt die verweinten Augen zu dem Riesen auf und sagt schluchzend:
»Das Leichenmahl ist im Gasthaus zur Post.«
Bei diesem Leichenmahl im Nebenzimmer des geräumigen Gasthofes sind etwa dreißig Personen beisammen. Nur die engste Verwandtschaft, und der Pasturner weiß gar nicht so recht, ob er dazugehört. Aber man hat ihn persönlich eingeladen und er will nicht unhöflich sein.
Während die Suppe gegessen wird, erfährt er auch, dass der Großvater seiner Frau und die Großmutter der Verstorbenen Geschwister gewesen seien. Das sagt ihm der Ziegler selber, der sich für einen Augenblick zu ihm gesetzt hat und ihm klagt, wie fürchterlich das sei, wenn man plötzlich so ohne Frau dastünde. »Sie war die Seele in meinem Geschäft«, sagt er.
»Was hat ihr denn eigentlich gefehlt?«, fragt der Pasturner teilnahmsvoll und schaute zu dem Tisch hinüber, an dem die vier unmündigen Kinder sitzen.
»Doppelseitige Lungenentzündung und dann zu früh aufgestanden. Da hat sie sich den Tod geholt.«
Der Pasturner zerbricht eine Semmel und schiebt ein Viertel davon in den Mund. Dann deutet er mit dem Kinn zu den Kindern hinüber.
»Wirst ja doch wieder heiraten müssen«, meint er. »Mit der Schar Kinder bleibt dir ja gar nichts anderes übrig.«
Es ist zwar ein bisschen makaber, am Begräbnistag einer Frau schon von einer neuen Hochzeit zu sprechen, aber dem Pasturner wird das gar nicht bewusst, denn es ist doch nötig, wenn so viele unmündige Kinder da sind. Der Ziegler zieht bloß die mageren Schultern hoch und meint:
»Wenn man halt wüsste, wen man sich als die Zweite ins Haus nimmt. Auf alle Fälle, Pasturner, es hat mich gefreut, dass du uns die Ehre gegeben hast und zur Beerdigung gekommen bist. Bei dir daheim ist alles in Ordnung?«
»Fehlt nichts! Komm halt einmal, an einem Sonntag. Nimmst deine Kinder mit. Die Luft wird ihnen gut tun. Schaun sowieso ein bisschen blass aus.«
»Vielleicht kommen wir einmal, ja. Und deine Bäuerin, die Elisabeth, ist auch gesund?«
»Und wie! Die steht in der besten Kraft und könnte Bäume ausreißen!«
»Das ist recht, aber sagen kann man da gar nichts. Wie schnell ist es bloß bei der meinen gegangen! Heute vor vierzehn Tag war sie noch kerngesund. Und heute –« Der Ziegler kann nicht weiterreden, es kommen ihm schon wieder die Tränen. Er steht auf und geht zu den Kindern hinüber. Ganz klein und zerbrechlich sitzt er da. Und ist doch einer der Mächtigen in dem kleinen Städtchen. Sieben große Schaufenster hat das Kaufhaus am Stadtplatz.
Kaum ist der Ziegler fort, rückt die Killinger Babette um einen Stuhl näher heran und fragt scheinheilig:
»Es ist doch erlaubt?«
Der Pasturner sieht, dass der Braten aufgetragen wird, und steckt sich die Serviette mit dem Zipfel in seinen Hemdkragen. Dann erst wendet er den Kopf und sagt:
»Freilich ist es erlaubt.«
»Kennst mich nicht, gelt?«, fragt die Babette, die mit einem Zimmerermeister in Schölling bei Neukam verheiratet ist.
»Im Augenblick weiß ich nicht, wo ich dich hintun muss«, sagt der Pasturner, strengt sich aber auch gar nicht an zu erraten, wer die recht hübsche, mollige Person ist.
»Ich bin dem Zimmerermeister Killinger die seine.«
»Ach ja! Jetzt kann ich mich wieder erinnern«, sagt der Pasturner, obwohl er sich wirklich nicht erinnern kann. Er hebt Messer und Gabel und beginnt zu essen.
»Du bist mit dem Auto da, gelt?«, beginnt die Babette wieder.
»Ja, warum?«
»Na ja, ich hab halt gemeint, ob du mich nicht bis Neukam mitnehmen könntest.«
»Meinetwegen. Aber ich kann dir nicht sagen, wann ich heimfahre. Am Nachmittag habe ich noch beim Finanzamt was zu tun und beim Grundbuchamt habe ich auch was zu erledigen. Da kann es spät werden.«
»Ja, dann ist es vielleicht doch besser, ich schau, dass ich um ein Uhr den Zug erwische. Oder meinst, dass es länger dauert hier, weil es vielleicht auch noch Kaffee und Kuchen gibt?«
Der Pasturner wirft einen schrägen Blick zu seiner Nachbarin und sagt trocken:
»Du denkst, scheint mir, gern ans Essen?«
»Da hast Recht! Mir schmeckt es immer! Darum werde ich auch so dick. Aber wie gesagt, ich werde halt dann doch mit dem Zug fahren.«
»Besser ist es schon. Ich meine, pünktlicher ist es auf alle Fälle«, sagt der Pasturner, der auf die Gesellschaft der geschwätzigen Killingerin gar keinen Wert legt. Dann schiebt er sein Essgeschirr beiseite, putzt sich mit der Serviette den Mund und nimmt aus seinem Lederetui eine Zigarre. Genießerisch bläst er dann den ersten Rauch gegen die niedere Holzdecke, dann schaut er sich zum ersten Mal näher um, wer alles eigentlich hier ist, und plötzlich fällt sein Blick auf ein bildhübsches Mädchen, das jetzt neben dem Ziegler sitzt. Ihr Haar hat einen kupferdunklen Glanz und ist in zwei schweren Zöpfen um die hohe Stirn gewunden. Ihr Gesicht leuchtet in dem dämmrigen Raum. Sie trägt ein schwarzes Kleid, das am Hals eng geschlossen ist.
In diesem Augenblick kreuzen sich ihre Blicke. Dem Pasturner ist es, als leuchte es in ihren Augen kurz auf, dann neigt sie sich wieder dem Ziegler zu, der sie etwas fragt.
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