Sterne im Bauch - Ahima Beerlage - E-Book

Sterne im Bauch E-Book

Ahima Beerlage

4,8

Beschreibung

Out of Gelsenkirchen! Ruhrpott in den Siebzigern. Ulli ist genervt. Ihre besten Freundinnen haben nur noch Jungs im Kopf. Und Jungs findet Ulli langweilig - ihr endloses Gelaber über Mopeds, Stereoanlagen, Schalke. Ulli diskutiert gern über Politik und kann bei Liebeskummer prima trösten. Dabei hat sie selbst Liebeskummer. Sie ist in ihre Sportlehrerin verknallt … Ihre Freundinnen sind keine große Hilfe. Was sollte Ulli ihnen schon erzählen? Dass sie sich fühlt wie eine Birne am Apfelbaum? Sie macht dicht: "Nich am Bär packen!" Sie bedröhnt sich mit Suzi Quatro, heult zu "Love Story" und liest Kafka und Mao. Und behält ihr wildes Herzklopfen beim Anblick von Mädchen für sich. Erst als Ulli nach Marburg geht, um zu studieren, eröffnet sich ihr eine Welt, in der sie sich heimisch fühlt - die Welt der Frauen, der Feministinnen, der Lesben … "Light My Fire" … Ein mitreißender Roman über die turbulente Gefühls- und Gedankenwelt während des Coming-out. Beim Lesen sind T. Rex und The Doors förmlich zu hören …

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FRAUEN IM SINN

 

Verlag Krug & Schadenberg

 

 

Literatur deutschsprachiger und internationaler

Autorinnen (zeitgenössische Romane, Kriminalromane,

historische Romane, Erzählungen)

 

Sachbücher und Ratgeber zu allen Themen

rund um das lesbische Leben

 

Bitte besuchen Sie uns: www.krugschadenberg.de.

Ahima Beerlage

Sterne im Bauch

Für Rafaela

48 crash

»Hände auffe Bettdecke, abba flott! Wat machse eigentlich am hellichten Tach im Bett?« Sie schlug die Decke zurück und schrie auf. »Du hast ja nich ma ’n Schlüpfer an! Weisse eigentlich, dasse von dem, wasse da tus, ’n krummen Rücken kriss?«

Meine Mutter war auf Hundertachtzig. Dabei tat es doch so gut, das da unter der Bettdecke, dieses Schwitzen. Ich hatte es einfach »schwitzen« genannt, wenn meine Hände unter die Bettdecke glitten und ich mir vorstellte, wie ich ohne Hemd und Höschen durch eine Menschenmenge laufen mußte, und dabei rieb ich mich, bis mir der Schweiß vom Bauch lief, das Blut in den Ohren rauschte, mir schwarz vor Augen wurde und ein lauter Piepton in meinen Ohren schrillte.

Aber es endete jäh, als meine Mutter mich erwischte.

»Und außerdem hat der Doktor gesacht, dasse mit deinen zehn Jahren frühreif bist und noch ein Unglück geschieht, wenne nich die Finger von solche Fissematenten läßt. Wer einmal Blut geleckt hat, kann nich mehr damit aufhören, und wenn dann noch ’n Kerl dazukommt, hasse bald ’n Kind. Dat is Sünde. Dat musse beichten. Und jetzt raus da, Frolleinchen, abba flott.«

Sie war völlig außer sich. Wochenlang konnte ich nicht mehr »schwitzen«. Ich hatte höllische Angst, von meiner Mutter erwischt zu werden. Damals fing ich an zu träumen. Schon seit der Zeit, als ich allein in der Kinderklinik lag, weil ich es »auffe Lunge« hatte, und merkte, wie aufregend es war, im Bett mit dem Kopf hin- und herzuschlagen, bis mir schummerig wurde, liebte ich diese Benommenheit, die mir Platz zum Träumen gab. Das Kribbeln im Bauch, das Rauschen in den Ohren waren wie eine Reise. Und ich reiste gern.

Ich fuhr mit meiner Klasse und meiner Lieblingslehrerin irgendwohin. Es geschah stets auf einer schmalen Straße, an einem steilen Abhang. Der Bus kam ins Schleudern, überschlug sich und rutschte halb über den Abgrund. Alle schrien – außer mir natürlich. Die anderen Mädchen flohen heulend durch den hinteren Ausstieg ins Freie. Der Bus schwankte gefährlich. Der Fahrer war bewußtlos. Benzin lief aus. Ich konnte es riechen. Meine Lehrerin hing hilflos auf ihrem Sitz. Sie weinte, aber leise und nicht so hysterisch wie die Mädchen. Ich war verletzt und kroch mit letzter Kraft nach vorn, um meine Lehrerin zu retten, die sich dankbar lächelnd an meinen Hals klammerte. Ich blutete stark, rettete aber noch den eingeklemmten Fahrer aus dem Wrack, bevor der Bus explodierte und den Abhang hinunterstürzte. Schnitt.

In der Notaufnahme des Krankenhauses standen die Tragen, auf denen man uns hereingeschoben hatte, zusammen, die von meiner Lehrerin und mir. Sie reichte mir matt die Hand, lächelte mich an und hauchte: »Danke.«

Ich »schwitzte«, schlug mit dem Kopf hin und her und atmete langsam die kribbelnde Masse aus meinem Bauch heraus. Doch es ging nicht immer so glatt. Oft machte ich einen Fehler in der Geschichte und mußte ganz von vorn anfangen. Denn wenn irgend etwas nicht stimmte, mußte ich neu beginnen, weil es sonst nicht klappte. Manchmal hörte meine Mutter auch das rhythmische Gequietsche meines Bettgestells und kam herein, stumm, vorwurfsvoll. Dann war Schluß für diesen Tag.

Meine Lehrerin mußte der letzte Gedanke sein, bevor ich einschlief. Und ihr Fahrrad mußte es sein, das ich an der Sporthalle lehnen sah, um einen guten Morgen zu haben. Ich wollte sie anfassen. Doch ich wußte, daß es verboten war, und zwar ohne daß jemand ein Wort darüber verloren hätte.

Es fiel unter die unerklärlichen Geheimnisse, die sich mit den Jahren ansammelten. Als ich klein war, bekam ich auf fast jede Frage eine Antwort. Doch dann tauchte sie auf, diese Mauer. »Warum hat der Mann nur ein Bein?« Meine Mutter verschloß die Miene und zischte: »So wat fracht man nich.« Obwohl ich es nicht verstand, waren mir ihr Gesicht, ihr Ton unangenehm. Ich spürte, daß ich etwas Falsches gefragt hatte. Das peinliche Gefühl brannte im Magen und trieb mir die Röte ins Gesicht. Die unerklärlichen Lücken wurden immer größer, und ich fühlte mich ratlos und allein. Um diese Situationen zu vermeiden, stellte ich immer weniger Fragen. Doch bald schon wußte ich, wann ich es mal wieder mit einem Geheimnis zu tun haben könnte, und eine Sehnsucht, doch herauszufinden, was dahintersteckte, brannte in mir. Die meisten Geheimnisse hingen mit der nackten Frau und dem nackten Mann im Gesundheitsbuch zusammen. Es war mir strengstens verboten, sie mir anzusehen. Gerade das machte sie natürlich höchstinteressant. Ich schlich also oft, wenn ich allein war, ins Schlafzimmer meiner Eltern, zog mit wild klopfendem Herzen das dicke Buch aus dem Regal, schlug die ausklappbaren Seiten mit der Frau und dem Mann auf und sah mir ihre nackten Körper an.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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