Sternenfluch - C. K. Jennar - E-Book
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C.K. Jennar

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Beschreibung

Der friedliche Sternenhimmel über Irland täuscht. Schon in seiner ersten Nacht wird der deutsche Hobbyastronom Peter Kaufmann rüde gestört. Verwahrlost und völlig verängstigt präsentiert sich die neue Obermieterin Aoife und jagt sogar der sonst so gelassenen B&B-Besitzerin Emily Byrne Angst ein. Als Peter ein Foto der verwirrten Alten in einer Vermisstendatenbank entdeckt, eilt Betreiberin Sophie Whelan sofort zur Stelle. Doch auch die 29-Jährige hat etwas zu verbergen! Als Aoife erneut untertaucht, ist mit ihr nicht nur die Lösung eines jahrzehntealten Familiengeheimnisses verschwunden – sondern auch Emily! Keiner weiß, in welcher Gefahr sie schwebt. Denn nur ein verschwundener Stern kann sie retten! Der spannende Irland-Thriller „Sternenfluch“ spielt am Rande der irischen Kleinstadt Waterville im Dark Sky Reserve. Unter dem atemberaubenden Sternenhimmel werden die alten Mythen und geheimnisvollen Legenden der Insel lebendig. Eine irische Familiengeschichte versetzt die gesamte Kleinstadt in Aufruhr. Als sich der Himmel verdunkelt, fordert das sternenlose Meer zu einer gefährlichen Jagd auf.

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C.K. Jennar

 

 

 

 

STERNENFLUCH

Ein mystischer Psychothriller aus Irland

Über das Buch

 

Der friedliche Sternenhimmel über Irland täuscht. Schon in seiner ersten Nacht wird der deutsche Hobbyastronom Peter Kaufmann rüde gestört. Verwahrlost und völlig verängstigt präsentiert sich die neue Obermieterin Aoife und jagt sogar der sonst so gelassene B&B-Besitzerin Emily Byrne Angst ein.

 

Als Peter ein Foto der verwirrten Alten in einer Vermisstendatenbank entdeckt, eilt Betreiberin Sophie Whelan sofort zur Stelle. Doch auch die 29-Jährige hat etwas zu verbergen! Als Aoife erneut untertaucht, ist mit ihr nicht nur die Lösung eines jahrzehntealten Familiengeheimnisses verschwunden – sondern auch Emily! Keiner weiß, in welcher Gefahr sie schwebt. Denn nur ein verschwundener Stern kann sie retten!

 

 

Dein Leseglück ist mein Ziel!

 

Lieber Leser, liebe Leserin,

 

ich freue mich, dass Du dieses Buch erworben hast. Vielen herzlichen Dank. Kunst ist ein brotloses Unterfangen, heißt es. Ich kann bestätigen, dass es gar nicht so einfach ist, vom Schreiben leben zu können. Aber da es meine Leidenschaft ist, freue ich mich über jeden Verkauf!

 

Dennoch möchte ich, dass mein Buch für Dich zu einem einzigartigen und wundervollen Leseerlebnis wird. Deswegen liegt mir Deine Meinung ganz besonders am Herzen!

 

Ich würde mich über Dein Feedback zu meinem Buch freuen! Hast du Anmerkungen? Gibt es Kritik? Bitte lass es mich wissen. Deine Rückmeldung ist wertvoll für mich, damit ich in Zukunft noch bessere Bücher für Dich schreiben kann.

 

Schreibe mir gerne: [email protected]

 

Nun wünsche Dir viel Freude mit diesem Buch!

 

C.K. Jennar

Himmel

 

 

Früher hatte er eine schöne Farbe,

schöner als das Himmelgrau.

Doch die Farbe ist verschwunden.

So wie die glitzernden Punkte,

die immer kamen, wenn es dunkel wurde.

Bis sie eines Tages herunterfielen.

 

Vorspiel

Craiceann gé - die Gänsehaut wollte sie nicht loslassen. Wie ein Schleier hatte sie sich auf jeden Zentimeter ihrer Haut gelegt und längst auch ihre Seele ergriffen. Sie fror trotz des lauen Windes in dieser warmen und stillen Sommernacht. Selbst das ruhig glitzernde Sternenmeer hoch über ihrem Kopf vermochte es nicht, seine Magie zu diesem Erdenfleck zu senden. Die Unwesen schirmten sie von jeder Rettung ab. In diesem Moment spürte sie es: Von nun an würde nichts wieder so sein, wie es einmal war. Und sie konnte es nicht verhindern.

Flehend schaute sie zu den wohlvertrauten und innig geliebten Sternbildern hinauf. Sie hatten sie immer begleitet und beschützt. Sie würden noch da sein, wenn sie längst gegangen war. Diese Sterne würden nie verschwinden. Doch die Erkenntnis war nur ein schwacher Trost.

Verzweifelt sank sie auf den Boden, faltete die Hände und schickte ein Stoßgebet nach oben.

»Le do thoil, gach rud a bheith go maith!«, bat sie flüsternd darum, dass alles gut sein würde. Doch sie erhielt keine Antwort.

Mit letzter Hoffnung legte sie ihre Hände flach auf das nasse Gras. Sofort spürte sie die Kraft des Kosmos. »Danu«, rief sie aus. »Rette uns«.

Doch auch die Erdenmutter antwortete ihr nicht.

Stattdessen bahnten sich die kratzenden Geräusche ihren Weg durch den Schleier und ertönten als mahnende Erinnerung, dass Gebete und Träumereien nun nicht mehr helfen würden. Die Schaufel arbeitete sich mühsam in die harte Erde hinein. Hieb für Hieb, Schicht für Schicht drang sie tiefer in das dunkle, faulige Erdreich vor. Begleitet von leisem Stöhnen.

Wie hatte es nur bis hierher führen können? Wie hatte sie sich so blenden lassen können? Es war zu verführerisch gewesen. Sie war so von Liebe verzaubert, dass sie alle Bedenken und Warnungen ignoriert hatte. Dabei hatte ihre Seele doch längst gewusst, dass sie ins Verderben rannte.

»Dumme alte Frau«, schimpfte sie mit sich selbst und wich zurück. Der Wind antwortete mit einem Stoß, der sie wieder näher heranbrachte.

Die Schaufel kratzte unaufhörlich. Hieb für Hieb. Schicht für Schicht.

Ein Seufzer entwich dem Boden und ließ sie zusammenzucken. Auch die Schaufel stoppte für einen Augenblick, bevor das rhythmische Kratzen von Neuem begann.

»Hör auf«, flüsterte sie ehrfürchtig, obwohl sie wusste, dass der Wind ihr Flehen ungehört forttrug. Es war unwiderruflich. Er war geweckt. Zu groß war die Gier, zu mächtig das Verlangen. Bestialisch. Rettungslos.

Nun zog Nebel auf und verschluckte Stück für Stück das Licht, das von oben herab das unglückliche Vorhaben begleitet hatte. Ihre Augen konnten ihn kaum noch erkennen. Das Schwarz umhüllte sie gnadenlos, die Finsternis ergriff ihre Seele. Sie erzitterte erneut und flehte weiter stumm. Aber es war längst zu spät.

Sie zuckte zusammen, als der Schrei die Nacht durchschnitt. Schrill. Markerschütternd und ohrenbetäubend.

»Was war das?«, flüsterte er. Die Schaufel hing nun kraftlos in seiner Hand herab.

»Ta an banshee ag teacht – die Banshee kommt.«

Ein dumpfes Geräusch des Aufpralls war die Antwort. Gefolgt von einem Röcheln. Das Kratzen der Schaufel war vollends verstummt und würde nie wieder ertönen. Diese Erkenntnis umschloss sie wie ein kalter Luftzug und kroch unerbittlich empor.

Lauf, schrie ihre Seele innerlich. Lauf um dein Leben. Rette den Rest, der davon noch übrig ist. Doch stattdessen tastete sie sich langsam vorwärts, bis ihre Füße auf den Widerstand prallten. Dort, wo bis eben die Schaufel gekratzt hatte.

Leise flüsterte sie seinen Namen. Doch sie bekam keine Antwort mehr.

Wehklagen entwich ihrer Kehle. Sie hatte ihn gewarnt, doch er hatte nicht hören wollen. Und nun hatte er den Preis zahlen müssen. Langsam tastete sie sich mit den Händen den leblosen Körper empor, erreichte die vertraute Brust, den schlanken Hals und das Gesicht, das sie einst als wunderschön empfunden hatte. Eine klebrige Substanz floss über die vollen Lippen, die sie so oft liebevoll geküsst hatte. Sie benetzte ihre gesamte Hand. Sie war das Einzige, was sie noch ertasten konnte. Kein Atem, kein Beben, keine Rührung.

Der zweite Schrei galt ihr, gefolgt vom Sturm, der nun gnadenlos ausbrach. Sie spürte die Kraft auf sie hinabstürzen. Doch sie verfehlte ihr Ziel.

Lauf, schrie ihr Innerstes erneut. Sie zögerte nicht länger und begann, davon zu eilen. Ohne jede Sicht, aber mit dem Wind in ihrem Rücken, floh sie über das nasse Gras, so schnell sie konnte. Sie rannte, bis sie nichts mehr vom Sturm hinter sich spürte. Nichts mehr hörte, sich dennoch fürchtete. Stoppen konnte sie sich nicht leisten. Sie würde nie wieder stoppen können.

Denn der Fluch war geweckt. Er würde niemals aufgeben und sie bis zum bitteren Ende verfolgen. Der verschwundene Stern würde von nun an ihr elendiges Verderben sein. Ihr blieb nur noch ein Ausweg. Und so rannte sie, bis auch sie völlig verschwunden war.

 

Ein merkwürdiger Gast

 

Er war wirklich kein empfindlicher Mensch. Aber das ging sogar für seinen Geschmack zu weit. Zum wiederholten Male ertönten ein Rumpeln und schwere Fußschritte über ihm. Schier unerträglicher Krach durchzuckte ihn wie ein Blitz.

Peter rieb sich verschlafen die Augen und setzte sich im Bett auf. Ein Blick auf den Wecker verriet, dass es drei Uhr morgens war. Einen Augenblick lang wusste er nicht, wo er sich befand. Verwirrt betrachtete Peter den Einbauschrank gegenüber dem Bett, die lilafarbenen Vorhänge links am Fenster und die kleine weiße Kommode rechts. Als er das Foto mit der Aussicht auf den See an der Wand entdeckte, fiel es Peter wieder ein. Er war am Abend in Irland angekommen.

Das Haus hatte im Dunkeln gelegen, als er vorfuhr. Peter hatte schon geglaubt, dieses Mal allein zu sein. Dass in dem Apartment über ihm aktuell doch jemand wohnte, war nun unüberhörbar. Zur Bestätigung rumpelte es erneut.

Herrje, stöhnte Peter innerlich. So etwas hatte er noch nie erlebt. Solch ein Lärm in einem anderen Apartment um ihn herum hatte es in all den Jahren noch nicht gegeben.

Peter zuckte zum zweiten Mal zusammen, als käme die Decke jeden Augenblick herunter. Kurz überlegte er, wo er seine Ohrstöpsel im Reisegepäck verstaut hatte. Doch die bleierne Schwere in seinen Beinen ließ ihn im Bett liegen bleiben.

Es war mitten in der Nacht. Sein Körper wollte nicht aufstehen.

Sicher würde der Lärm gleich wieder aufhören, dachte er hoffnungsvoll. Welcher Mensch würde schon um diese Uhrzeit länger aufbleiben, als er müsste? Entschlossen zog Peter die Decke über den Kopf und drehte sich im Bett auf die rechte Seite. Augenblicke später war er wieder in einen sanften Schlaf geglitten.

Bis ein Donnerschlag über ihm Peter wieder aus dem Schlaf riss. Diesmal musste etwas besonders Schweres auf den Boden gefallen sein. Gefolgt von einem lauten Jauchzer und nun auch noch Musik.

»Was zur Hölle«, stieß er nun laut aus. Nein, das ging zu weit, dachte Peter, schlug die Decke entnervt zurück und linste erneut nach dem Wecker. Zwanzig nach vier.

Verschlafen und doch unangenehm wach richtete er sich auf und suchte mit den Füßen nach seinen Hausschuhen. Vergebens. Erst nach einer Weile fiel ihm ein, dass er sie noch gar nicht ausgepackt hatte. Barfuß schlich Peter ins Bad, um sich etwas Wasser ins Gesicht zu spritzen.

Ein Blick in den Spiegel verriet, wie müde sein Körper war. Die Lachfalten um seine Augen und seinen Mund waren tiefer als gewöhnlich, schwarze Schatten zeichneten sich unter den Augen ab. Der Vollbart wirkte zerzaust. Hätte Peter noch Haare auf dem Kopf getragen, so wären sie ebenfalls wirr durcheinander gewesen. Um diese Uhrzeit sah er deutlich älter aus als seine sechzig Jahre, die Peter nun schon hinter sich hatte. Am Tage ließen nur die grauen Haare in dem sonst so gepflegten und perfekt getrimmten Bart Rückschlüsse auf sein wahres Alter zu. Denn der 1,78 Meter große Mann war schlank, durchtrainiert und vom häufigen Aufenthalt in der Natur braun gebrannt. Doch fast halb fünf Uhr morgens war seine Erscheinung nur ein Schatten seiner selbst.

Wie auf Kommando rumpelte es erneut über ihm. Wütend blitzten ihm seine stahlblauen Augen aus dem Spiegel entgegen. Seine Aggression schwoll an. So konnte er unmöglich wieder einschlafen. Er spritzte sich ein weiteres Mal kaltes Wasser ins Gesicht, ordnete den Bart oberflächlich und schlurfte zurück ins Schlafzimmer. Auf der Suche nach seinem Pullover formulierte er in Gedanken bereits die Worte, die er dem Krawallmacher entgegen schmettern wollte.

Finsternis empfing ihn vor seinem Apartment. Hier oben über dem See gab es keine Straßenlaternen. Peter brauchte jedes Mal einige Tage, um sich an diese bedingungslose Dunkelheit zu gewöhnen. Nur der Mond spendete hier Licht. Doch heute Nacht hingen Wolken am Himmel und verdeckten die Sterne. Lediglich ein kleiner Schein des Mondes vermochte sie ab und zu zu durchbrechen. Peter fröstelte es in der kühlen Septembernacht und so hastete er zum hinteren Eingang des Hauses, der zu den oberen Apartments führte. Am dortigen Fenster entdeckte er Licht hinter den zugezogenen Vorhängen.

Die Treppe zum ersten Stock war schnell erklommen. Vor der Tür des Apartments angekommen, konnte Peter die Musik nun laut und deutlich hören. Wer zur Hölle hörte morgens halb fünf Uhr Musik? Er schüttelte genervt den Kopf. Das war rücksichtslos.

»Vielleicht weiß der Mieter gar nicht, dass ich hier bin?«, murmelte Peter vor sich hin. Vielleicht hatte Emily ihn nicht angekündigt? Erst spät am Abend hatte er seinen Mietwagen in die Kurve zum Haus am Lough Curann, drei Kilometer hinter dem kleinen Städtchen Waterville im Südwesten Irlands, gelenkt. Die Dämmerung war längst in eine klare Dunkelheit übergegangen und doch konnte er den nahgelegenen See riechen.

Peter schüttelte den Kopf. In diesem Haus gab es insgesamt vier Apartments, die zur Vermietung an Touristen dienten. Da sollte doch jeder damit rechnen, Nachbarn zu haben, dachte er grimmig. Und auf Emily war Verlass. Immer.

Die Besitzerin des B&B und der dazugehörigen Self-Catering-Apartments im Nachbarhaus hatte wie jedes Mal seinen Kühlschrank im Apartment angeschaltet. So stand er heruntergekühlt für Peters Lebensmittel bereit, wenn er nachts einträfe. Die Türen des Einbauschrankes waren ebenso geöffnet, damit der Mief darin entweichen konnte. Die Vorhänge waren frisch gewaschen und dufteten nach Lavendel. Auch die Heizung war wohl seit Stunden schon in Betrieb, wohlige Wärme hatte ihn beim Betreten empfangen.

Emily würde seine Ankunft nie vergessen und hatte mit Sicherheit auch den neuen Nachbarn davon berichtet.

Zaghaft klopfte Peter jetzt an die Tür. Doch nichts geschah. Die Musik dröhnte weiter unaufhaltsam. Peter konnte wieder Schritte hören. Sein Klopfen war im Lärm untergegangen. Er wiederholte es, diesmal lauter und energischer. Nun verstummte die Musik und einige Sekunden später hörte er, wie jemand den Schlüssel im Schloss umdrehte. Peter wappnete sich zum Kampf. Doch der Anblick, der sich ihm bot, als die Tür geöffnet wurde, ließ ihm die Worte im Hals stecken bleiben.

Eine alte Frau mit zerzaustem, strähnig weißem Haar, runzligem Gesicht und fest aufeinandergepressten Lippen schaute ihm sichtlich erschrocken entgegen. Nein, erschrocken war das falsche Wort. Ihre Augen blinzelten ängstlich.

Was hatte er getan? Zugegeben, halb fünf Uhr morgens wäre Peter auch auf der Hut gewesen, hätte jemand an seine Tür geklopft. Das war nichts Alltägliches. Der Lärm, den diese alte Dame verursachte, war es aber auch nicht.

Stumm starrte die alte Frau ihn nun fragend an.

»Hallo«, begann Peter, immer noch verwirrt von ihrem Anblick. Hätte er für ein Märchen eine alte Hexe beschreiben sollen, so wäre es genau diese Erscheinung gewesen. Gekrümmt auf die Türklinke gestützt, schien sie so wackelig auf den Beinen, dass Peter fast fürchtete, sie würde nicht so lange stehen können, bis er sein Anliegen hervorgebracht hatte.

Und dieses alte Mütterchen soll den so lauten Lärm verursacht haben? Peter spürte sofort Unsicherheit.

»Hä?«, fragte sie nun und schaute ihn misstrauisch an. Selbst ihre Stimme krächzte.

»Hallo«, wiederholte er sich. »Mein Name ist Peter. Ich wohne im Apartment unter Ihnen.«

Mit dem Zeigefinger deutete Peter auf den Boden zu seinen Füßen.

»Ich würde sehr gerne um diese Uhrzeit schlafen. Wäre es möglich, dass Sie leiser machen könnten, egal, was sie gerade tun?«

»Hä?«, fragte die alte Dame, als habe sie ihn nicht verstanden.

»Leiser?«, wiederholte Peter lauter und legte zur Bekräftigung seinen Finger auf seine Lippen, bevor er beide Hände aneinander faltete und ans Ohr lehnte.

»Ich möchte schlafen.«

»Oh!« Die Frau riss nun die Augen erstaunt auf. »Ich nicht wissen, dass Sie da. Ich koche.«

Kochen? Peter hätte alles Mögliche erwartet, was diesen Lärm verursacht haben könnte. Nur Kochen hatte nicht zu seinen Theorien gehört. Morgens um halb fünf?

»Mein Schlafzimmer liegt direkt unter ihrer Küche«, antwortete Peter so langsam und deutlich, wie er konnte. Die Frau schien des Englischen weniger mächtig zu sein als er als Deutscher. Vielleicht war sie eine der vielen polnischen Saisonkräfte, die in der Region über den Sommer Beschäftigung fanden.

»Ich nicht wissen. Tá brón orm1.«

Das klang jedoch überhaupt nicht polnisch. War es Irisch? Peter runzelte die Stirn, was ihm wiederum einen ängstlichen Blick aus den grüngrauen Augen einbrachte. Er spürte ihr Misstrauen förmlich auf seiner Haut.

Okay. Es war definitiv nicht die Zeit, um darüber nachzudenken oder länger zu diskutieren. Peter fühlte erneut die Schwere in seinen Beinen und unterdrückte ein Gähnen. Er musste dringend weiterschlafen.

»Bitte. Leiser«, bat er erneut.

Die Dame starrte ihn weiter ohne Reaktion an. Peter fürchtete schon, sie hätte ihn gar nicht verstanden. Doch dann nickte sie leicht, verbeugte sich merkwürdigerweise und schloss die Tür ohne ein weiteres Wort.

»Was zur Hölle«, entfuhr es Peter wieder verwundert.

Verdutzt über diese Merkwürdigkeiten blieb Peter sekundenlang vor der Tür stehen. Dahinter ertönte ein Schlurfen und dann war die Musik wieder zu hören. Doch deutlich leiser als zuvor. Offenbar hatte die alte Frau ihn zumindest verstanden. Jedoch schien sie keine Anstalten zu machen, sich ihrerseits hinzulegen.

Na wunderbar, seufzte Peter innerlich. Doch was blieb ihm noch anderes übrig, als wieder in sein Bett zurückzukehren? Er zuckte resigniert die Schultern, drehte sich um und machte sich auf den Rückweg. Hoffentlich würde er dennoch etwas Schlaf finden können, dachte Peter. Müde schlich er die Treppe wieder hinunter, ging um das Haus herum und öffnete die schwere Glasschiebetür.

Dort angekommen, hielt er einen Augenblick inne und lauschte in die Dunkelheit. Er konnte nichts hören außer dem Rauschen des Sees. Nicht ein Schaf blökte. Kein Wind jaulte. Es gab nur noch die irische Ruhe, die er kannte und liebte.

Zufrieden drehte Peter den Schlüssel in der Tür um, zog die Vorhänge wieder zu und ging zurück in sein Schlafzimmer. Er war so müde, dass er nicht einmal mehr den Pullover auszog, den er schnell übergeworfen hatte. Er wollte nur wieder schlafen, denn für morgen hatte er sich einiges für seine Filmrecherche vorgenommen. Zudem wollte er Emily gebührend und mit viel Zeit zum Plausch begrüßen.

Von nun an würde der Rest der Nacht sicher ruhig verlaufen. Doch kaum hatte Peters Gesicht das Kopfkissen berührt, hörte er erneut Getrampel über sich.

Wütend entfuhr ihm ein Seufzer. Das durfte doch nicht wahr sein. Hatte er sich nicht deutlich genug ausgedrückt?

Noch mal würde er nicht hinauf gehen. Aber das würde ein Nachspiel haben, schwor er sich. Peter schnappte sich das zweite Kopfkissen, legte es über seine Ohren und nahm sich fest vor, morgen mit Emily über diese seltsame Frau zu sprechen.

In all den Jahren …

Schlaf, befahl Peter sich selbst. Morgen würde Emily alles erklären.

 

»Pieta, wie schön.«Emilys Stimme und der irische Klang seines Namens aus ihrem Mund ließen sein Herz höherschlagen. Wie sehr er sie vermisst hatte, war Peter bis eben gar nicht bewusst gewesen. Schon beim allerersten Besuch hatte Emily ihm voller Leidenschaft erklärt, warum sie seinen Namen mochte. Gab es ihn doch nicht nur im Englischen, sondern auch in der irischen Sprache. Und nun breitete sie ihn willkommen heißend die Arme aus und forderte ihn zu einer herzlichen Umarmung auf.

»Emily, es ist auch schön, dich zu sehen«, flüsterte er in ihr Ohr und drückte sie freundschaftlich an sich.

»Lass dich anschauen.« Sie schmunzelte, stieß ihn von sich und musterte ihn von oben nach unten.

»Wie immer. Gepflegter Bart, frisch rasierte Glatze, braun gebrannt. Ein Traummann eben. Gut siehst du aus«, konstatierte sie. »Aber ein paar Wanderungen in den nächsten Wochen kannst du sicher gebrauchen.« Verschmitzt zeigte sie auf den kleinen, sich durch den Rollkragenpullover abzeichnenden Bauchansatz.

»Ja, das Alter macht auch vor mir nicht halt«, lächelte Peter zurück. »Es kann sich nicht jeder so gut halten wie du.«

Sie standen mitten in Emilys Küche. Wie immer war ihre Schiebetür unverschlossen gewesen, als Peter klopfte und eingetreten war. Doch die Küche war leer gewesen. Das laufende Radio und verdächtige Geräusche aus der Vorratskammer hatten schnell verraten, dass Emily dahinter werkelte. Es brauchte nur einen Ruf und schon streckte sie ihren roten Schopf durch die Tür, ließ alles stehen und liegen, während ihr Hund Henry bereits auf den Gast zustürmte.

Sie hatte sich ebenfalls kaum verändert, seit er sie das letzte Mal gesehen hatte. Für ihre siebenundsechzig Jahre wirkte die Landbesitzerin frisch und jugendlich, was sie vor allem ihren wachsamen, graugrün leuchtenden Augen, den hohen Wangenknochen und dem ansteckenden Lächeln zu verdanken hatte. Peter wusste jedoch, dass Emilys zierliche, kleine Figur täuschte. Sie war längst nicht so zerbrechlich, wie sie auf den ersten Blick erschien. Denn schon ein genaueres Mustern verriet, dass sie das Kraxeln auf den irischen Weiden gewohnt war und so manchem jungen Hüpfer beim Wandern mit ihrem schnellen Tempo das Leben schwer machte. Da mochten zwar die Leggins ihre noch so dünnen Beine verraten, das T-Shirt und die Weste sprachen bereits eine andere Sprache.

Lediglich der Farbton ihres Kurzhaarschnitts war im Gegensatz zum letzten Besuch noch flippiger ausgefallen.

»Diesmal rot?«, lächelte Peter.

»Ach ja. Ich suche immer noch.« Verlegen tätschelte Emily ihre Haare zurecht. Seit sich das Grau darin eingeschlichen hatte, färbte sie diese regelmäßig. Mal angelehnt an ihrem natürlichen Rotton, mal flippig Richtung Pink oder Orange. Je nach Stimmung, hatte Emily einmal erklärt.

»Wann bist du angekommen?«, wechselte sie geschickt das Thema.

»Spät gestern. Du lagst sicher schon im Bett, ich wollte dich nicht stören.«

»Recht so, mein Lieber. Henry und ich haben gestern eine lange Wanderung unternommen, da waren die Beine müde.« Liebevoll tätschelte Emily den Kopf des irischen Border Collies, der sich zufrieden neben ihre Füße gesetzt hatte. Das Bild ließ Peters Herz hüpfen. Wie oft schon hatten die beiden ihn und Gabriele eben in dieser Position erwartet und willkommen geheißen? Peter spürte einen Stich im Herzen bei diesem Gedanken an seine verstorbene Frau.

»Ich vermisse sie auch«, flüsterte Emily, als könne sie seinen Gedanken hören. »Es wird nie vorüber gehen. Aber du wirst lernen, noch besser damit zu leben.«

Peter nickte nachdenklich. Emily wusste, wovon sie sprach, hatte sie ihren Brendan vor Jahren an Multiple Sklerose verloren. Geistesgegenwärtig hatte er direkt nach der Diagnose die Herden und Ländereien der einstigen Farm seiner Eltern verkauft, ein Haus neben dem seinen erbaut und Emily so ein laufendes Vermietungsgeschäft von Apartments und Zimmern an Touristen hinterlassen.

Und nun bot sie Peter ein Heim, wann immer er es brauchte.

»Komm, setz dich und trink einen Tee mit mir.«

Peter nahm diese Einladung nur allzu gern an. Während Emily Wasser aufbrühte, berichtete er von den Neuigkeiten seiner erwachsenen Töchter und sie ihrerseits, wie es ihren Jungs und den Enkeln ging. Ihr Schwager Josef schaute immer noch regelmäßig vorbei, musste aber gerade auf Fortbildung. Ihre Freundin Brenda im entfernten Sneem war genauso wohlauf. Und das letzte Charlie Chaplin Festival im August war erneut ein großer Erfolg gewesen, berichtete sie.

Sie plauderten, als hätten sie sich erst gestern das letzte Mal gesehen. Dabei war Peters letzter Besuch schon mehrere Monate her.

»So. Also diesmal ein ganzes halbes Jahr, ja?« Emily brachte zwei dampfende Becher mit Tee zum Tisch und setzte sich Peter gegenüber.

»Ja.« Er nickte. »Ich kann nicht anders.«

Er hatte sich zwar in Bayern ein neues Haus gekauft, das noch abgeschiedener im Wald lag als das letzte, doch so richtig Ruhe hatte er dennoch nicht finden können. Nur beim Beobachten der Sterne vergaß Peter Zeit und Raum. Sein neues Panoramafenster hatte ihn an jedem wolkenfreien Abend hinter seinem Teleskop gefesselt. Der Wunsch war immer stärker geworden, sich im Dark Sky Reserve, in dem sich Emilys Haus befand, dieser wiedergewonnenen Leidenschaft zu widmen.

»Da dachte ich eben, jetzt oder nie. Es ist September. Die dunkle Jahreszeit beginnt. Und bevor das Birr Castle die Saison beendet, muss ich noch mal vorbeischauen.«

»Birr Castle? War das nicht William Parsons, der 3. Earl of Rosse?«

»Richtig«, nickte Peter. Dieser irische Astronom hatte ihn schon als Jugendlicher gefesselt. Bevor er sich einst zwischen Filmkamera und Teleskop entscheiden musste.

»Und der geplante Film kommt nur auf Deutsch heraus?«

»Nein. Ich plane auch eine englische Version und möchte sie nach Ausstrahlung dem Dark Sky Reserve und dem Castle kostenlos zur Verfügung stellen.

»Löblich, löblich«, nickte Emily und nippte an ihrem Tee.

»Ach, es ist diesmal nur ein semiprofessionelles Projekt«, winkte Peter ab. »Den Grimme-Preis wird er sicher nicht gewinnen.« Emily lächelte verschmitzt. So ganz schien sie ihm das nicht abzunehmen. Denn wer einmal einen Preis gewonnen hatte, würde dies immer wieder wollen. Und Peter war einer der Glücklichen. Seine Amazonas-Reportage hatte ihn Anfang der Neunziger endlich aus der Armut geholt und seine Karriere zum Durchstarten gebracht. Der Name Peter Kaufmann stand seither oft ganz oben auf der Wunschliste von Produzenten und Fernsehsendern. Dieser Verleihung hatte Peter viel in seinem Leben zu verdanken. Wer weiß, ob er ohne den Grimme-Preis jemals den Weg nach Irland gefunden hätte und nun ebenso in der Küche sitzen würde.

»Du wirst wie immer etwas Wunderbares erschaffen«, sagte Emily nun. »Und umso schöner ist es, dass du es hier tust und mir damit diesmal länger erhalten bleibst.«

»Ach komm, Emily. Mit deinen vielen Gästen bist du doch niemals allein.«

Emily nickte. Denn es stimmte. Neben den Zimmern in ihrem Haus und den Apartments im Nachbarhaus hatte ihr Brendan einst noch zwei Häuser direkt in Waterville erstanden, die für die Vermietung an Touristen dienten. Emily hatte alle Hände voll zu tun, sie immer auf Vordermann zu halten. Dazu säuberte sie drei Mal die Woche die Hotelzimmer in der Sea Lodge in Waterville. Ganz zu schweigen von ihrer ehrenamtlichen Tätigkeit in der Gemeinde. So manches Mal schon überlegte Emily, kürzerzutreten. Vielleicht sollte sie die Häuser in Waterville irgendwann abstoßen? Die Hauspreise boomten, vor allem hier unten in Kerry. Doch so richtig durchringen konnte sich Emily nicht, waren sie doch das Erbe ihres Mannes. Und so kümmerte sie sich eisern weiter um jede Wohnung und jedes Zimmer. Nein, Emily langweilte sich nie und einsam war sie keinesfalls. Es gab ja auch noch Brendans Bruder Josef, der seit dessen Tod immer wieder nach ihr schaute.

»Wobei so mancher Gast doch schon ziemlich schräg ist, oder nicht?«, bohrte Peter nun nach, froh, endlich eine Gelegenheit gefunden zu haben, das Gespräch auf dieses Thema zu lenken. Es brannte ihm auf der Zunge, von der vergangenen Nacht zu berichten.

»Das kannst du laut sagen. Ich habe da gerade eine Dame, die …«

»… echt merkwürdig ist?«, unterbrach Peter sie.

»Oh. Du hast sie schon kennengelernt.« Emily schaute ihn erstaunt, aber doch gleichwohl wissend an.

»Das kann man so sagen.«

In kurzen Sätzen schilderte Peter die Geschehnisse der letzten Nacht und wie merkwürdig ihm alles vorgekommen war. Der Krach war zwar etwas weniger geworden, doch hatte er bis in den Morgen angehalten. Als Peter aufstand, schien über ihm immer noch gekocht zu werden.

Er hoffte inständig, dass Emily ihn nun mit einigen wenigen Informationen beruhigen und die Dame vielleicht schon bald das Haus verlassen würde. Er hoffte vergebens.

»Ich habe keine Ahnung, wer sie ist. Ihr Name ist Aoife. Das ist alles, was ich weiß.«

»Ao…«

»Iefa ausgesprochen«, half Emily nach. »Das ist ein alter irischer Name. Sie spricht auch mehr Irisch und nur schlecht Englisch.«

Peter nickte. Das bestätigte seine Vermutung.

»Und du weißt nicht, wer sie ist?«

Emily schüttelte den Kopf.

»Oh Emily. Du solltest dir endlich mehr gesunde Skepsis angewöhnen, nicht jeder Mensch ist ein liebenswerter Schatz!« Peter war nun aufgebracht. »Oder höre zumindest auf mich und mache von den Pässen deiner Gäste eine Kopie. Das ist völlig legitim, wie oft habe ich dir das schon gesagt? Was ist, wenn mal was Ernsthaftes in den Zimmern kaputt geht? Du hast keine Ahnung, wen du in deinem Haus beherbergst! Das ist nicht gut.«

Doch Emily schüttelte erneut den Kopf. Das widerstrebte ihr. Irland war eben nicht Deutschland. Hier galt noch ein Wort. Hier galten Verträge auch per Handschlag. Nein, hier brauchte es nicht immer Papier und Formulare.

Doch in diesem Fall wünschte sogar Emily, einmal anders gehandelt zu haben. Mit besorgter Stimme berichtete sie, dass Aoife vor vier Tagen hier aufgetaucht war. Nur mit zwei Beuteln und einem Fahrrad ausgestattet. Mal gab sie den einen Ort als ihre Herkunft an, kurz darauf nannte sie schon wieder einen anderen Namen. Ihre Erzählungen waren wirr und abgehackt. Emily hatte nicht weiter gefragt, als Aoife um eine Unterkunft gebeten und für zwei Wochen im Voraus in bar gezahlt hatte. Danach war die alte Frau im Apartment verschwunden und Emily hatte sie nicht wieder zu Gesicht zu bekommen. Das Merkwürdigste an ihr war, dass sie in der Nacht herumwerkelte und am Tag zu schlafen schien. Auch Emily hatte nachts sehr merkwürdige Geräusche vernommen, die sie nicht zuordnen konnte und die schon Gedanken an Voodoo und Zauber in ihr hervorgerufen hatten, lachte sie nun ihre Sorge weg. Doch Peter beunruhigte all das sehr. Wen hatte Emily da in ihr Haus gelassen?

Zwei Wochen. Diese Information ließ ihn innerlich stöhnen. Das bedeutete noch mindestens zehn weitere Tage, die diese alte Frau bleiben würde. Zehn weitere Nächte, korrigierte Peter sich in Gedanken.

»Wie hätte ich sie denn ohne ein Dach über dem Kopf wieder wegschicken sollen?«, fragte Emily nun sichtbar unglücklich. »Sie sah so … so …«

»So verwahrlost aus?«

»Nein. So hilfsbedürftig, wollte ich sagen.«

Peter nickte. Emilys unendlich große Hilfsbereitschaft war ihm bestens bekannt. Sie konnte nicht Nein sagen.

»Das Apartment über deinem war das Einzige, was gerade frei stand. Die anderen sind erst gestern frei geworden.«

»Und seither?«

Emily zuckte nur mit den Schultern.

»Du willst mir doch nicht sagen, dass du seither nicht mehr im Apartment warst?«

»Nein, war ich nicht.«

»Du hast keine Ahnung, wie es darin aussieht?«, fragte Peter nun aufgebracht. Nach der Begegnung in der letzten Nacht malte er sich die schlimmsten Bilder aus. Ein verwahrlostes Zimmer voller Müll, stinkender Essensreste, zerbrochener Stühle.

»Nein«, gab Emily zu. »Ich hatte keinen Grund für einen Besuch.«

»Oh Emily. Du brauchst doch keinen Grund. Es ist dein Besitz. Und die Frage, ob deine Mieter etwas benötigen oder sich wohlfühlen, ist ja wohl jedem Vermieter gestattet.«

»Du meinst, ich sollte?«

»Ja, ich meine, du solltest unbedingt vorbeigehen. Die Dame ist doch eine echt merkwürdige Frau, denkst du nicht auch? Sie könnte eine Kriminelle sein. Oder ganz anders heißen. Du hast ihren Ausweis nicht mal gesehen. Vielleicht ist Ao-«

»Iefa!«

»Vergiss es. Ich werde mir den Namen sicher nicht merken können.« Hoffentlich musste er das auch nicht.

»Aber vielleicht ist das gar nicht ihr wahrer Name? Schau nach dem Rechten und geh besser jetzt sofort, bevor sie wieder schläft, wie du sagst.«

Unentschlossen stand Emily auf, doch Peter verlieh mit einem strengen Blick seiner Aufforderung Nachdruck, bis Emily die Küche verließ und Henry ihr wachsam folgte.

Nachdenklich nippte er am Tee. Vor seinem geistigen Auge erschien seine nächtliche Begegnung erneut, nun noch merkwürdiger und unheimlicher dank Emilys Schilderungen. Eine Unbekannte, die am Tag schlief, in der Nacht lebte, nur ein Fahrrad und zwei Beutel besaß, verwahrlost aussah und zudem auch nicht die Jüngste war? Das war selbst für Irland merkwürdig. Denn hier herrschte noch ein enger Familienzusammenhalt. Die ältere Generation lebte oft mit den Jüngeren in einem Haushalt. Ihm erschien es, als schoben weniger irische Familien ihre Alten in ein Heim ab, als er es aus Deutschland kannte. Meist geschah dies erst, wenn eine Krankheit die Pflege zu Hause unmöglich machte. Und selten fiel die Entscheidung leicht. Peter kannte zahlreiche Familien, die Großvater oder Großmutter im eigenen Zuhause betreuten, so lange es ging.

Natürlich gab es auch Ausnahmen, doch Peter kannte keinen, der wie Aoife in ihrem Alter allein auf einem Fahrrad mit zwei Plastikbeuteln umherreiste.

Merkwürdig, wiederholte er in Gedanken und konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass dies noch zu unliebsamen Überraschungen führen würde. Er hoffte inständig, dass er sich irrte.

Er hatte schon die unterschiedlichsten Gäste in den Apartments erlebt: Amerikaner auf der Suche nach ihren irischen Wurzeln, deutsche Wandertouristen oder französische Familien im Urlaub. Doch nie war ihm ein anderer Gast an seinem Lieblingsort so unheimlich vorgekommen wie dieses alte Mütterchen.

Irgendetwas stimmte doch nicht mit ihr, schoss es ihm durch den Kopf. Wer kochte denn mitten in der Nacht? Ihr Erscheinungsbild war grotesk. Das alles fühlte sich ganz und gar nicht richtig an. Diese Frau hatte eine dunkle Aura. Und sie verbarg etwas. Peter rann bei diesem Gedanken ein Schauer über den Rücken. Hätte er Emily doch begleiten sollen?

Eine merkwürdige Vorahnung übermannte ihn. Dieser Lärm, der nächtliche Besuch und sein seltsames Gefühl waren keine kurzweilige Episode. Es gab noch kein Ende der Schlaflosigkeit – sondern das war erst der Anfang.

Der Anfang von was?

»Alles in Ordnung«, verkündete Emily wenige Minuten später erleichtert und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Der Border Collie blieb unschlüssig stehen.

»Tatsächlich?« Peter runzelte die Stirn und schaute auf Henry.

»Na ja, mit dem Zimmer zumindest. Es sah sauber und ordentlich aus. Ich konnte nicht erkennen, dass irgendetwas kaputt war.«

Diese Information erleichterte auch Peter ein wenig.

»Aber?«, hakte er dennoch nach.

Emily strich über Henrys Kopf und bedeutete ihm, Platz zu machen. Widerwillig ließ sich der Hund nieder.

»Aber sie war echt komisch. Du hast recht, sie wirkt verwahrlost. Und hat wieder so unzusammenhängend gesprochen. Dass sie bald schlafen müsste. Aber auch einkaufen. Ich hab es nicht verstanden.«

»Hat sie nicht genug zu essen?«

»Doch. Sagt sie. Aber dennoch hat sie mich nach dem Shop gefragt.«

Peter versank wieder in stummes Grübeln. In diesem Moment ertönte Emilys Telefon. Emily hastete hin und nahm den Hörer ab. Ihr Gesichtsausdruck verdüsterte sich. Sie legte die Hand auf die Sprechmuschel und flüsterte zu Peter:

»Das ist sie.«

Peter runzelte die Stirn. Auch das konnte nichts Gutes bedeuten.

»Nein, ich habe so etwas nicht im Kühlschrank«, hörte er Emily in den Hörer sagen. »Warten Sie einen Moment.«

Sie legte die Hand wieder auf die Sprechmuschel und flüsterte erneut zu Peter.

»Aoife fragt, ob ich ihr Käse und Speck schenken könnte.«

»Was?«

Emily nickte nur, bevor sie wieder in den Hörer sprach.

»Es tut mir leid. Ich kann Ihnen nur etwas Brot anbieten. Und etwas Butter. Und ich kann Ihnen den Weg zum Supermarkt erklären. Zu Fuß ist es ein bisschen weit, aber mit dem Fahrrad mag es gehen. Wenn Sie wollen … Hallo?«

Emilys Gesicht verfinsterte sich.

»Aufgelegt.« Sie ließ ihre Hand mit dem Telefon darin fassungslos sinken.

»Sie hat aufgelegt?«

»Ja. Ohne Vorwarnung oder Abschiedsworte.«

Nun spürte Peter wieder Ärger in sich aufsteigen. Das war an Unhöflichkeit nicht zu überbieten. Und das bei Emily, der höflichsten und freundlichsten Frau, die er kannte.

Mit ratloser Miene setzte sich Emily wieder an den Tisch und nahm nachdenklich ihre Tasse Tee in die Hand.

»Peter, ich bin so froh, dass du da bist. Josef ist auf einer Polizeischulung. Und mit dieser Frau im Haus bin ich dankbar, dass nun ein Mann in der Nähe ist.«

»Ich bin hier, Emily. Keine Sorge, jetzt bin ich da.« Freundschaftlich tätschelte er ihre Schulter, um sie zu beruhigen.

»Ach, hätte ich doch nur auf dich gehört und Passkopien gemacht. Ich habe bei ihr echt ein merkwürdiges Gefühl«, klage Emily nun in einer Art und Weise, die er noch nie an ihr erlebt hatte.

Ich auch, dachte er. Und nicht nur das. Peter hatte das Gefühl, dass ihnen das große Unheil erst noch bevorstand. Vielleicht nicht in den nächsten Stunden. Aber was würde in der nächsten Nacht kommen?

 

Den gesamten Tag blieb es ruhig. Gemeinsam mit Emily holte Peter seine eingelagerten Dinge aus dem Schuppen. Schon vor Jahren hatte Emily ihm und seiner Frau angeboten, diesen als Lager zu nutzen, wenn sie wieder fortgingen.

Es war erst das vierte Mal, dass Peter nun ohne Gabriele hierher kam. Auch noch fünf Jahre nach ihrem Tod minderte ein Stich in sein Herz die Freude über das Zurückkehren. Seine Frau hatte einst dieses Idyll mit dem festen Vorsatz entdeckt, in den nächsten Jahren mehr zu reisen. Ihre Töchter hatten mit ihrem Auszug eine empfindlich stille Lücke im Haus in Bayern hinterlassen, die Gabriele nicht zu füllen wusste. Schon immer neidisch auf Peters Reisen als Naturfilmer wünschte sie sich nun auch mehr Weltgewandtheit. Asien, Afrika und Europa hatten auf dem Wunschzettel gestanden. Doch nirgends fühlten sie sich so wohl wie in Emilys Haus hinter dem kleinen Städtchen im Südwesten von Irland. Peter entdeckte in dem Dark Sky Reserve von Kerry seine Leidenschaft für die Astronomie wieder. Gabriele begann sogar die irische Sprache zu lernen. Das Leben schien es gut zu meinen. Bis die tödliche Diagnose nicht nur Gabriele den Boden unter den Füßen entzog. Dieser Verlust hatte Peter so sehr geschmerzt, dass er es einige Jahre nicht fertig brachte, nach Irland zurückzukehren. Er verkaufte sein Haus in Bayern, bereiste nach alter Tradition wieder die Ferne, die er schon für seine Filme besucht hatte. Als er neuen Frieden fand, war Peter wieder bereit für Irland gewesen. Und nun sollten es sechs Monate werden.

»Das sind aber viele Klamotten«, hatte Emily gelacht und ihm beim Auspacken seiner Kleidung geholfen.

»Na, ja, sechs Monate sind eine lange Zeit.«

»Wie du meinst«, hatte sie verschmitzt erwidert und sich dann verabschiedet. Peter baute als Letztes den Computer auf, um sich anschließend bei einem Espresso endlich gebührend zu freuen, wieder in Kerry zu sein.

Die Sicht auf den See war erneut atemberaubend gewesen, obwohl er ihn schon unzählige Male genossen hatte. Es war zwar ein wolkenverhangener Tag, aber Peter hatte auch nichts anderes erwartet. Wenn es trocken blieb, war ein jeder hier meist schon glücklich. Ein leichter Wind blies ihm um das Gesicht, der Duft von gemähtem Gras stieg Peter in die Nase. Die tief liegenden grauen Fetzen zogen mystisch über den See hinweg, hinterließen hier und da einige Nebelfelder und versetzten ihn in ein Hochgefühl. Rechts blökten einige Schafe auf dem Feld, die Kühe faulenzten träge weiter unten auf der Weide. Ein Zeichen, dass das Wetter sich nicht allzu schnell ändern würde. Ein typischer, aber perfekter Tag am Lough Currane.

Er müsste unbedingt einmal auf die kleine Insel vor sich übersetzen, hatte Peter gedacht und betrachtete Church Island zum wiederholten Male. Wer weiß, was es zwischen den alten Ruinen des mittelalterlichen Klosters zu entdecken gab, die immer noch majestätisch auf den grünen Wiesen thronten. Mit dem warmen Getränk in der Hand kam ihm solch ein Ausflug extrem verlockend vor. Peter wunderte sich, dass er das noch nie in Betracht gezogen hatte.

Aber mit Vorfreude plante er eine Wanderung um den See herum. So, wie sie ihm Emily das letzte Mal gezeigt hatte: Der Weg führte die Straße hoch Richtung Berge. Dann bog er auf dem Kerry Way über Wiesen, Hügel und Felder ab und führte durch das Wäldchen. Auf der anderen Seite des Sees ging es dann die Straße zurück nach Waterville. Doch noch fühlte er sich nicht fit genug. Die Müdigkeit hing den ganzen Tag in seinem Körper, die Beine fühlten sich schwer an, die Augen klein. Vielleicht in den nächsten Tagen, beschloss er, wenn er ausgeruhter sein würde. Peter leerte seine Tasse und kehrte dem See den Rücken zu.

Am Nachmittag erarbeitete er sich einen Arbeitsplan. Zuerst standen Rechercheausflüge an, er musste unbedingt Birr Castle besuchen, mit dem Komitee des Kerry Dark Sky Reserve in Ballinskelligs sprechen und Kontakt zur Irish Astronomical Society aufnehmen. Das wären die ersten Schritte. Aus Erfahrung wusste Peter, dass sich seine To-do-Liste schneller verlängerte, als ihm lieb war.

Anschließend surfte er im Internet und sammelte erste Informationen. Ein Klopfen an der Tür hatte ihn aus dieser Konzentration gerissen.

»Nur eine Kleinigkeit«, flötete Emily und hielt ihm einen Teller entgegen.

»Du musst nicht für mich kochen«, schmunzelte Peter.

»Ach, ob ich für einen oder zwei koche, macht doch keinen Unterschied. Und ich kenne dich doch. In deiner Euphorie vergisst du das Essen sehr gern.«

Peter lächelte. Wie recht sie hatte. Es war nicht das erste Mal, dass sie ihn bekochte. Und es würde auch nicht das letzte Mal sein. Doch diesmal würde er sich revanchieren und Emily in den kommenden Tagen zu einem Festmahl einladen.

»Danke.«

Emily nickte nur und blickte neugierig nach oben. »Und?«

»Bisher alles ruhig und ich hoffe, das bleibt so.«

»Abwarten.« Emily lächelte verschmitzt. Nach einem kurzen Plausch verließ sie ihn wieder und ließ Peter nachdenklich den Lachs mit Brokkoli in Sahnesoße verspeisen.

Als die Dämmerung einsetzte, baute Peter sein Teleskop auf. Doch seine Hoffnungen blieben unerfüllt. Wie schon den gesamten Tag über war auch die Nacht wolkenverhangen. Heute Nacht gab es keine Sterne zum Beobachten. Und so war er früh ins Bett gegangen, um Schlaf nachzuholen und sich für die bevorstehenden Abenteuer zu wappnen.

Peter hatte seine Rückkehrfreude und die Stille um sich herum so sehr genossen, dass er Aoife schon fast vergessen hatte.

 

Ein vermisster Gast

 

Peter stöhnte auf. Es ging schon wieder los. Mit der Ruhe war es kurz vor Mitternacht abrupt vorbei. Wie aus dem Nichts ertönte das Trampeln über ihm erneut. Peter musste schon tief geschlafen haben, als der Lärm ihn aus seinen Träumen riss.

Ungläubig lag er nun, die Decke anstarrend, in seinem Bett und lauschte den unwirklich erscheinenden Geräuschen. Das Trampeln erwies sich diesmal als rhythmisch. Als hüpfte Aoife. Sie tanzte doch nicht etwa?

Minutenlang blieb Peter unschlüssig liegen. Doch der Lärm legte sich nicht. Und so schlug er entnervt die Bettdecke zurück, suchte nach seinen Hausschuhen und zog sich, wie schon in der Nacht zuvor, seinen Rollkragenpullover über.

Dieses Mal konnte er den Lärm sogar vor dem Haus hören. Was dachte sich diese Frau nur? Sie wusste doch nun, dass sie nicht die Einzige war und dass unter ihr jemand in der Nacht gerne schlafen wollte. Doch Aoife schien das egal zu sein.

Peter spürte Wut in sich aufsteigen. Dieses Mal wäre er nicht so freundlich, nahm er sich vor.

Als Peter zum zweiten Mal vor der Tür des Apartments im Obergeschoss stand, klopfte er energisch und laut an die Tür. Doch es passierte nichts. Der Lärm im Inneren verstummte nicht für eine Sekunde, die Musik blieb unverändert laut. Peter klopfte ein zweites Mal. Doch auch dieses war vergebens. Die Tür blieb verschlossen.

Peter ballte die Hände vor Wut zu Fäusten.

»Machen Sie gefälligst auf«, schrie er gegen die geschlossene Tür an. »Es ist doch unüberhörbar, dass Sie da sind.«

Als Antwort verstummte der Krach im Inneren. Auch die Musik stoppte. Peter wartete. Doch die Tür öffnete sich immer noch nicht.

Er klopfte ein drittes Mal und lauschte. Nun drang kein Geräusch mehr an sein Ohr, doch die Tür blieb weiterhin verschlossen.

Nun gut, dachte Peter. Sein Ziel war zumindest erreicht. Wenn Aoife nicht öffnen wollte, war das ihr gutes Recht. Aber endlich war wieder Ruhe eingekehrt.

Als Peter sich zum Gehen wandte, flog die Tür hinter ihm plötzlich auf. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Aoife an ihm vorbei schlüpfte und bereits auf der Treppe nach unten war. Unter ihrem Arm trug sie einen Korb.

Peter erstarrte erstaunt. Nicht nur die Tatsache, dass dieses alte Mütterchen so flink unterwegs sein konnte, verdutzte ihn. Auch der Korb irritierte Peter. Was hatte sie denn jetzt wieder vor?

»Hey. Was soll das werden?«, rief er die Treppe hinunter und folgte ihr kopfschüttelnd. Aoife blieb stehen, drehte sich um und starrte ihn nur stumm an.

Ihr Anblick erschreckte ihn erneut. Dieses Mal hatte sie ihre weißen Haare flüchtig hinter dem Kopf zusammengebunden, was nur noch mehr Falten offenbarte. Ihr Gesicht war aschfahl und zeigte kaum eine lebendige Farbe. Auf dem Kopf trug sie eine seltsame Wollmütze mit einem undefinierbaren Muster aus roter, blauer und grüner Wolle. Ihr Körper war mit einem langen beigebraunen Leinenshirt bedeckt, das viel zu groß wie ein Sack an dem dürren Oberkörper herunterhing. Hier und da waren Risse zu entdecken. An den Füßen trug sie halb zerfetzte Schlappen, die kaum noch eine Sohle zu haben schienen.

Peter schüttelte es innerlich, sein Mitleid war geweckt.

»Was ist mit Ihnen? Warum machen Sie nachts so viel Lärm? Andere Leute wollen schlafen«, fuhr Peter sanfter fort. Nur langsam beruhigte sich seine Aggression.

Doch Aoife zuckte mit den Schultern.

»Wer du?«

Das brachte Peter erneut aus der Fassung. Sie konnte ihn unmöglich vergessen haben.

»Wer ich bin?« Er schnaubte. »Das wissen Sie doch ganz genau. Peter Kaufmann. Ich bin in dem Apartment unter Ihnen und habe Sie schon letzte Nacht gebeten, nicht so einen Lärm zu machen.«

»Amadán2«, zischte sie, drehte sich um und setzte ihren Weg unbeirrt fort.

»Wie bitte?« Peter ballte seine Hände wieder zu Fäusten. Das war ja zum Mäusemelken, dachte er.

In diesem Moment blieb Aoife abrupt stehen, stellte den Korb ab, drehte sich um und blinzelte ihn skeptisch an. Sie schien ihn mit ihren grüngrauen Augen regelrecht zu durchbohren.

»Schade, dass hier keine Teppiche«, sagte sie anschließend und wies auf den Boden.

Peter schaute verdutzt zu seinen Füßen. Sie standen auf Holzdielen, die überall im Haus zu finden waren. Vereinzelt gab es in den Wohnungen kleine Läufer. Doch Teppich war natürlich nirgends ausgelegt.

Wollte sie sich damit entschuldigen? Peter rätselte.

»Darum geht es doch gar nicht«, erwiderte er. »Sie können doch nicht mitten in der Nacht so laut trampeln.«

»Ich nicht trampeln. Ich kochen.«

Schon wieder? Nein, das konnte Peter unmöglich hinnehmen. Dazu waren die Geräusche zu rhythmisch gewesen.

»Das glaube ich Ihnen nicht. Dann wären Sie hin- und hergelaufen. Aber das war Trampeln. Sie springen!«

Er konnte selbst kaum glauben, was er da sagte. Es gelang ihm nicht, sich diese alte Frau springend vorzustellen. Sie wirkte viel zu zerbrechlich. Auf der anderen Seite hatte sie nur wenige Augenblicke zuvor eine erstaunliche Schnelligkeit und Behändigkeit an den Tag gelegt. Peter war sich sicher, dass der Krach keine Einbildung gewesen war.

Die alte Frau schüttelte den Kopf und blinzelte ihn an.

»Cad atá á rá agat?«3

Peter stöhnte und hob die Hände verständnislos in die Luft. Er wusste nicht, was er tun sollte. Sie raubte ihm den letzten Nerv. Wie konnte jemand nur so wirr daher sprechen? Oder gar so wirr denken? Wie sollte er ihr begreiflich machen, worum es ging? Er konnte kein Irisch. Peter wünschte sich sehnlichst, Emily wäre hier. Sie wüsste, was Aoife sagte.

»Ich muss Business machen«, sprach Aoife überraschend weiter und blinzelte ihn wieder böse an.

Business? Geschäftliches? Nachts? Peter strich sich ratlos über seine Glatze.

»Aber doch nicht in der Nacht.« Er presste die Handflächen flehend vor seiner Brust zusammen. »Ich bitte Sie. Ich kann nicht schlafen. Und ich brauche meinen Schlaf.«

»Wie lang bleiben?«

»Ich?«

Aoife nickte eifrig.

»Sechs Monate. Diesmal. Denn ich wohne zeitweise hier.«

»Ó mo dhia«4, rief sie schockiert aus, drehte sich zum Wäschekorb um und setzte ihren Weg fort.

Peter starrte ihr nur fassungslos hinterher. Er war ratlos. Was konnte er noch tun?

»Bitte, machen Sie endlich etwas leiser«, rief er ihr hinterher und trat den Rückzug an. Auf dem Weg zu seinem Apartment rätselte Peter, was es mit dieser Frau nur auf sich haben könnte. Sie schien tatsächlich am Tag zu schlafen und in der Nacht zu leben, so wie Emily es geschildert hatte. Doch warum tut ein Mensch das? Welchen Grund könnte die alte Frau für dieses merkwürdige Verhalten haben?

Hatte sie etwas zu verbergen, dachte Peter plötzlich. Wer nur dann rausgeht, wenn die ganze Welt schläft, möchte vielleicht nicht gesehen werden, schlussfolgerte er. Der gehetzte, skeptische Blick und die ängstliche Körperhaltung passten ebenso zu seiner Theorie. War sie eine Kriminelle, die sich vor den Behörden versteckte? Doch irgendwie passte diese Vorstellung nicht zu dem alten Mütterchen da oben. Sie hatte aber mit Sicherheit Probleme mit dem Gedächtnis, was vielleicht eher auf eine Krankheit hindeutete. Waren sogar Drogen im Spiel? Oder hatte Aoife nur vorgetäuscht, ihn nicht wiederzuerkennen?

Ratlos zuckte Peter mit den Schultern und kehrte in sein Apartment zurück. Er würde das Rätsel heute Nacht nicht lösen und so Gott – oder vielmehr Aoife – wollte, wenigstens etwas Schlaf finden. Er wollte gerade die Vorhänge an der Schiebetür zuziehen, als er sich fast zu Tode erschrak.

Auf der anderen Seite der Glasscheibe war das aschfahle, faltige Gesicht so plötzlich aufgetaucht, dass Peter im ersten Moment dachte, ihm sei ein Geist erschienen. Sie winkte wild und bedeutete ihm, die Tür wieder zu öffnen.

»Entschuldigung. Ich muss zu Landlord«, krächzte sie.

»Zu Emily, der Hausbesitzerin?« Peter runzelte die Stirn und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Es war zehn Minuten nach Mitternacht.

Aoife nickte eifrig.

»Das geht nicht«, schüttelte Peter den Kopf. »Sie schläft um diese Uhrzeit. Sie müssen bis morgen früh warten.«

Aoife blinzelte ihn wieder verwirrt an und schüttelte dann ihrerseits den Kopf.

»Ich waschen.«

Waschen? Jetzt verstand Peter. Aoife wollte ihre Wäsche waschen, deswegen war sie zur Waschküche unterwegs gewesen. Emily hatte am hinteren Ende des Flurs auf der Rückseite im Haus eine Waschmaschine und einen Trockner für ihre Hausgäste aufgestellt. Betrieben mit einem Münzautomaten.

»Das geht doch jetzt nicht«, antwortete Peter. »Verstehen Sie denn nicht? Es ist mitten in der Nacht. Da wäscht man keine Wäsche. Die Maschine ist so laut, dass sie alle anderen im Haus wecken würden.« Damit meinte er vor allem sich. Denn die anderen beiden Wohnungen standen aktuell leer. Aber vielleicht wusste sie das ja gar nicht.

Doch Aoife starrte ihn nur herausfordernd an, als versuche sie, seine Worte zu verarbeiten. Abrupt drehte sie sich ohne eine Antwort um und verschwand so schnell wieder in der Dunkelheit, wie sie erschienen war.

Peter blieb verdutzt in der Tür seines Apartments stehen. Er lauschte. Er konnte leise Schritte auf dem Kies hören, die sich entfernten und vernahm, wie die Tür an der Rückseite des Hauses geschlossen wurde. Danach hörte er nichts mehr. Eine tiefe Stille legte sich auf das Haus. Kein Wind brachte Wellengeräusche von See herauf. Es herrschte Ruhe.

Seufzend schloss Peter die Schiebetür, drehte den Schlüssel im Schloss herum und zog die Vorhänge zu. Müde schlurfte er zurück in sein Schlafzimmer und lauschte einige Sekunden gespannt nach oben. Doch auch hier hatte sich nun nichts anderes außer Stille ausgebreitet. Dankbar schlüpfte er wieder unter seine Bettdecke. Kurz bevor Peter in den Schlaf fiel, fragte er sich, ob er Emily mit einer Nachricht auf das Handy warnen sollte. Doch das würde nichts bringen, wenn Emily tatsächlich schlief, wie er vermutete. Und so schlummerte er unverrichteter Dinge ein.

Es fühlte sich nur wie fünf Minuten an, bis das Trampeln ihn erneut aus dem Schlaf riss. Ein Blick auf die Uhr verriet, dass jedoch zwei Stunden vergangen waren. Peter konnte Aoife hin- und herlaufen hören. Dann war sie auf der Treppe und lief auf und ab. Zurück im Apartment entfaltete sich der Lärm wieder rhythmisch.

Herrje, dachte Peter und zog die Decke über den Kopf. Er beschloss, den Krach so gut es ging auszublenden. Ein erneuter Besuch kam für ihn nicht infrage. Denn auch dieser würde nichts nutzen, ahnte er. Und so verbrachte er eine zweite, unruhige Nacht. Halb vier schreckte er erneut hoch, kurz nach vier Uhr morgens ein weiteres Mal. In den Ruhephasen dazwischen träumte er zudem von Aoife. Traum und Realität vermischten sich zu einem einzigen Wirrwarr. Peter wusste zuletzt nicht mehr, wann er geschlafen und wann wach gelegen hatte. Das letzte Rumpeln ertönte kurz nach fünf Uhr morgens. Dann herrschte endlich Ruhe. Aoife schien sich hingelegt zu haben.

Peter hingegen war nun wach. Er spürte die Müdigkeit in seinen Gliedern und Wut in seinem Bauch. Doch so sehr er versuchte, noch einmal in den Schlaf hinabzutauchen, es wollte ihm nicht mehr gelingen.

Nach einer halben Stunde gab Peter schließlich auf. Die Grübeleien über diese alte Frau hatten erneut begonnen. Peter hatte tausende Fragen im Kopf, die er nicht beantworten konnte. Und so schlurfte er in die Küche und machte sich einen Espresso. Draußen war es noch dunkel, doch die ersten Anzeichen der Morgendämmerung waren schon zu entdecken. Es würde wohl ein schöner Tag werden. Emily war zwar eine Frühaufsteherin, doch diese Uhrzeit war selbst für sie noch zu früh. Peter müsste noch eine Weile warten, bis er zu ihr hinüber gehen könnte. Und so beschloss er, mit der Tasse in der Hand im Internet nach einigen Informationen zu suchen. Denn in all dem Chaos zwischen Traum und realem Lärm war ihm ein Gedanke gekommen, den er nicht mehr abschütteln konnte.

Aoife hatte etwas zu verbergen. Die Frage war nur: Was? Peter hatte inzwischen eine Ahnung. Und das, was er bei seiner Recherche fand, versetzte sogar ihn in Staunen.

 

Er starrte ungläubig auf das Foto. Es erklärte irgendwie alles. Darauf gab es doch eine Ähnlichkeit, oder bildete sich Peter diese nur in dem verzweifelten Wunsch nach einer Erklärung ein? Er beschloss, dass Emily dies entscheiden sollte.

»Sie ist nicht da«, ertönte eine dumpfe Stimme, noch bevor Peter Emilys Tür erreicht hatte. Es war längst Vormittag und die Sonne stand inzwischen strahlend am Himmel. Peter hatte Stunden vor dem Computer verbracht, ohne zu merken, wie die Zeit verstrichen war. Erst seine schmerzenden Schultern stoppten ihn.

»Oh, schade«, entfuhr es Peter, als er sich zu Josef umdrehte.

»Peter«, sagte Emilys Schwager mit einem aufgesetzten Lächeln. »Sie sind wieder da.«

Das war keine Frage, sondern eher eine Feststellung, deren misstrauischer Unterton kaum zu überhören war. Freundlich klang anders. Aber das war kein Wunder. Die beiden Männer waren seit ihrer ersten Begegnung in leidenschaftlicher Abneigung miteinander verbunden.

Peter nickte und setzte seinerseits das strahlendste Lächeln auf, das er konnte.

»Ja. Und darüber freue ich mich sehr.«

»Ay. Das glaube ich.«

Josefs Augen musterten Peter akribisch. Er konnte gar nicht sagen, woher seine Feindseligkeit kam, doch sie war unverkennbar da. Dieser dünne, hagere Mann in seiner Polizeiuniform mochte ihn nicht. Emily hatte das mit einem Winken abgewiegelt, als er seinen Eindruck einst erwähnte. Peter solle es nicht persönlich nehmen, Josef war eben oft schroff und ungehobelt. Aber ihr Schwager meine es nur gut und passe eben auf die Frau seines verstorbenen Bruders auf.

Doch auch mit der Zeit hatte sich Peters Gefühl der Ablehnung nicht gelegt und er vermutete, dass Josef so mancher Gemeindetratsch zu Ohren gekommen war. Emily scherte es herzlich wenig, wer ihr wie, wann und warum ein Verhältnis mit dem Deutschen andichtete. Und so lange es Emily nicht kümmerte, machte es Peter ebenfalls nichts aus. Da war es ihm auch egal, was ihr Schwager dachte.

Auch jetzt konnte er in den dunklen Augen Misstrauen entdecken. Josef stand lässig an seinen Jeep gelehnt, hatte die hohe Stirn mit den lang gezogenen Geheimratsecken in Falten gelegt und nestelte an seinem Polizeihut.

Was machte er hier, wunderte sich Peter. Hatte Emily nicht gemeint, er sei auf einer Fortbildung?

»Wie lange bleiben Sie diesmal, Peter?«

»Ein halbes Jahr«, entgegnete er nicht ohne Genugtuung und freute sich über den halb überraschten, halb schockierten Ausdruck auf Josefs Gesicht.

»Oh. Dann haben Sie wohl etwas vor.« Josef griff in seine Jackentasche und kramte seine Sonnenbrille heraus.

»Ein großes Projekt.«

»Na, dann wünsche ich Ihnen gutes Gelingen. Bleiben Sie brav, Peter und machen Sie nichts, was Ihnen Ärger mit der Garda5 einbringen könnte.« Mit diesen Worten setzte Josef seine Sonnenbrille auf und öffnete die Autotür.

»Das würde mir niemals einfallen, Herr Wachtmeister«, lächelte Peter und beobachtete, wie Josef in seinen Jeep stieg und Kies aufwirbelnd die Auffahrt hinunter fuhr.

Was dich ärgert, könnte mir aber doch einfallen, dachte er insgeheim. Wieder fragte er sich, was er vor Emilys Haus machte, wenn sie doch gar nicht zu Hause war.

Dabei hatte er schon am Morgen zufällig an Josef gedacht. Emilys Schwager war Chief Inspector bei der Garda Síochána und auf der Polizeiwache in Waterville stationiert. Er müsste kurz vor seiner Pension stehen, dachte Peter nun. Ob er gut im Job war, wusste er nicht. Emily hatte einst nur knapp berichtet, dass er dem Leben auf einer Farm nie etwas abgewinnen konnte, ebenso wenig wie dem Familien- oder Eheleben. Doch sie schätzte sehr, dass er ihr seit dem Tod ihres Brendans so manches Mal handwerklich zur Seite stand.

Peter hatte zunächst gedacht, Josef wäre vielleicht der Richtige, an den er sich mit seinem Problem wenden sollte. Doch nach dieser zufälligen Begegnung zweifelte er. Was hatte er schon in der Hand, um die Polizei einzuschalten? Nachdenklich betrachtete Peter den Ausdruck eines Schwarz-Weiß-Fotos in seiner Hand. Nein. Sicher war er sich keineswegs. Aber ein Zufall war das auch nicht.

Bis Emily zurückkehrte, könnte es noch eine Weile dauern, und Peter trottete zurück zu seinem Apartment. Das Lauschen nach oben beim Betreten war schon fast eine Gewohnheit geworden, bemerkte er. Alles war ruhig. Er beschloss, eine Dusche zu nehmen und sich dann wieder seiner Arbeit zu widmen.

Eine halbe Stunde später stand Emily mit einem strahlenden Lächeln vor seiner Tür.

»Oh Peter, ich dachte schon, du seist nicht da«, begrüßte sie ihn, während sie von außen die Schiebetür aufzog.

»Ja, das dachte ich von dir auch.«

»Ich war nur kurz eine Runde mit Henry laufen.« Liebevoll schaute sie auf ihren Hund herunter, der sich neben ihre Füße gesetzt hatte und aufmerksam alles beobachtete.

»Und ich war nur kurz unter der Dusche, nachdem ich dich nicht angetroffen habe. Josef war übrigens auch da.«

»Ich weiß«, nickte Emily. »Er wollte sich nur zurückmelden. Er hat mich auf dem Handy erreicht, nachdem er mich nicht angetroffen hatte.«

»Ach so«, grummelte Peter. Dann riss er seine Augen auf und starrte Emily aufgeregt an. »Ich habe Neuigkeiten.«

»Ach ja?« Emily legte die Stirn in Falten. »Jetzt bin ich gespannt. Erzähl, wie war die Nacht.«

In kurzen Sätzen schilderte Peter das Erlebte und seine Verwirrung über Aoifes Verhalten. Emily lachte auf, doch es war kein fröhliches Lachen.

»Sie hat mich tatsächlich mitten in der Nacht angerufen und nach Waschpulver gefragt.«

Peter musste sich hinsetzen und ließ sich auf das Sofa fallen. Emily bedeutete er einladend, den Sessel zu nehmen.

»Das glaube ich ja nicht.«

»Kannst du aber. Und als ich ihr erklärte, dass sie nachts keine Wäsche waschen könne, hat sie erneut ohne Vorwarnung aufgelegt.«

Peter schüttelte den Kopf.

»Das ist ein unmögliches Verhalten.«

»Es kommt noch besser.« Emily hob einen Finger, machte eine bedeutungsvolle Pause und spannte Peter auf die Folter.

»Drei Stunden später lief die Waschmaschine tatsächlich. Woher sie das Waschpulver hatte, kann ich allerdings nicht sagen.«

Peter fiel die Kinnlade herunter. Jetzt konnte er auch die Geräusche am Morgen zuordnen. Zwischen schläfrigem Traum und wachem Dämmerzustand hatte er kaum noch unterscheiden können, was Realität war und was nicht.

»Sie hat also weder meinen Einwand noch deinen befolgt und alles ignoriert?«

»Sie muss ein Gedächtnisproblem haben«, mutmaßte Emily. »Du sagst, sie habe dich nicht wiedererkannt?«

Peter nickte.

»Dann hat sie vielleicht Stunden später unsere Warnungen auch wieder vergessen.«

»Meinst du?«

Emily zuckte nur mit den Schultern und seufzte tief.

»Ich weiß es nicht. Aber ein normaler Mensch verhält sich doch nicht so, oder? Vielleicht sollte ich sie bitten, zu gehen.«

Peter fühlte Erleichterung, dass Emily von selbst auf diese Idee kam. Denn er hatte für sich längst entschieden, dass er diesen nächtlichen Lärm keine weitere Woche aushalten würde. Aoife hatte die Miete für zwei Wochen im Voraus gezahlt. Acht Tage waren davon noch übrig. Acht Nächte, in denen er sich lieber ausquartiert hätte, als weiter auszuharren und auf Ruhe zu hoffen.

»Vielleicht«, sagte er nachdenklich. Peter wollte Emily in ihrer Entscheidung nicht beeinflussen. Es war ihr Haus und er nur ein Mieter. Ein gut bekannter Mieter zwar, der immer wieder kam und sich auch eine Freundschaft mit der Besitzerin einbildete, aber dennoch nur ein Mieter.

»Aber vorher muss ich dir noch etwas zeigen«, rief er, als es ihm wieder einfiel. Peter sprang vom Sofa auf, hastete zum Esstisch hinüber und griff nach dem Ausdruck.

»Schau dir das mal an«, sagte er und reichte Emily das Blatt Papier. Gespannt strich er sich über seinen Bart und wartete auf ihre Reaktion.

»Oh«, entfuhr es ihr nur.

Peter kam näher und setzte sich auf die Sessellehne, um ebenfalls auf das Foto blicken zu können.

»Ich denke …«

»… dass sie das ist«, vervollständigte Emily seinen Satz.

»Und du?«

Emily nickte zögerlich.

»Ja, das könnte sie durchaus sein. Woher hast du das?«

»Von einer Webseite einer Vermisstenagentur.«

»Sie wird vermisst?«

Peter nickte eifrig, sprang erneut auf und holte ein weiteres Papier vom Tisch herüber.

»Hier. Ihr Name ist Aoife Weldon, geboren 1941 und wurde das letzte Mal im Jahr 1998 gesehen. Seitdem gilt sie als verschwunden.«

Emily starrte beide Seiten an, bevor sie wieder zu Peter aufblickte.

»Das Alter könnte passen. Der Name tut es auch.« Emily legte die Blätter auf den Couchtisch. »Aber Aoife ist ein alter irischer Name, den es sehr häufig auf dem Land gibt«, fuhr sie fort. »Und das Foto ist schlecht und unscharf. Sie könnte Aoife Weldon sein. Aber sie muss es auch nicht sein.«

In exakt diesem Dilemma hatte Peter die letzten Stunden auch gesteckt. Er war sich nicht sicher gewesen. Peter hatte gehofft, dass Emilys Meinung helfen würde. Doch sie schwankte genauso wie er selbst.

»Wo hast du das noch mal her?«, fragte Emily.

»Aus einer Datenbank einer Vermisstenagentur im Internet. Irgendwie hat mich Aoifes Verhalten auf die Idee gebracht. Ich konnte den Eindruck nicht abschütteln, dass sie sich versteckt. Und wer sich versteckt, wird gesucht.«

»Cleverer Junge.« Emily lächelte verschmitzt.

Diese Bemerkung ließ auch Peter schmunzeln. Doch ein Blick auf die Fotos auf dem Couchtisch vertrieben das Lächeln sofort wieder.

»Ich hatte ja gar keine Ahnung, wie viele Menschen in Irland vermisst werden. In dieser Datenbank sind unzählige Menschen, die verschwunden sind. Wie geht das nur?«

Emily zuckte mit den Schultern. Einen Moment lang saßen beide schweigend da und starrten die Fotos vor sich an, als wüssten sie beide nicht, was sie mit dieser Neuigkeit anfangen sollten.

»Vielleicht sollten wir uns da nicht einmischen«, flüsterte Peter.

»Möglich«, stimmte Emily zu. »Aber ich bin jetzt definitiv der Meinung, dass Aoife gehen sollte. Das werde ich ihr sagen, sobald sie wach ist.«

»Ernsthaft?«

»Mein voller Ernst.« Emily stand auf, strich sich das Shirt über dem Bauch glatt und wandte sich Richtung Tür.

»Soll ich dich begleiten und dir beistehen?«

»Ach nein«, winkte sie ab. »Das schaffe ich schon noch allein. Ich habe sie ja auch aufgenommen, dann kann ich sie auch wieder rausschmeißen.«