Störung der Totenruhe - Martin Gadow - E-Book

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Martin Gadow

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Beschreibung

Störung der Totenruhe Der Celler Journalist Uwe Ossian besucht eine Veranstaltung zur Wiedereröffnung des deutschen Soldatenfriedhofs Lohheide nahe Bergen-Belsen. Der Friedhof wurde durch ein Arbeitskommando des Kriegsgräbervereins instandgesetzt. Kriegsgräberverein und Gesetzgeber bezeichnen Kriegstote unisono als „Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Die Täter werden weggelogen. Das soldatische Opfernarrativ ist wesentlicher Inhalt dieser Gedenk- und Erinnerungskultur. Der Mohn blutet aus tränennasen Feldern Peter Leibgeber, Mitarbeiter des Kriegsgräbervereins in Köln, begleitet den Vater und einen Kameraden des in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten Hendrik Schoppe zu einer Gedenkveranstaltung an dessen Ehrengrab. In Erzählungen von Patrick Bienenmüller, dem Kameraden Hendriks, wird der gemeinsame Wehrdienst erörtert. In Erzählungen des Vaters Martin Schoppe werden gemeinsame Unternehmungen mit Hendrik erinnert – darunter Besuche von deutschen Soldatenfriedhöfen an der Westfront des Ersten Weltkrieges. Um die Ausbildung und den Auslandseinsatz Hendriks in Afghanistan besser zu verstehen, nimmt Leibgeber an einem Informationsseminar der Streitkräftebasis teil. Er besucht das Ehrenmal der Bundeswehr im Hinterhof vom Berliner Bendlerblock, besichtigt das Einsatzführungskommando in Potsdam und beobachtet Einsatzszenarien auf dem Truppenübungsplatz Lübtheen. Abschied vom Arrestanten Beisetzung Leibgebers auf dem Waldfriedhof, der als Mitarbeiter des Kriegsgräbervereins eingestand: „Der Verein ist mein Gefängnis. In das graue Gefieder meiner Anzüge gekleidet, plappere ich wie ein Papagei Verbandsparolen nach („Versöhnung!“ „Versöhnung!“ Versöhnung!“). Ich werde gefüttert. Ich werde getränkt. Aber vom Fliegen kann ich in meinem Käfig nur träumen.“ Beim Gang über den Friedhof im Anschluss an die Beisetzung und beim Leichenkaffee versuchen seine Freunde, der Journalist Uwe Ossian und der Erzähler als ehemaliger Kollege Leibgebers, das „unglückliche Bewusstsein“ des Verstorbenen zu ergründen: Leibgeber tat das Falsche und strengte sich auch noch richtig dabei an.

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Für Fabio

INHALT

STÖRUNG DER TOTENRUHE

DER MOHN BLUTET AUS TRÄNENNASSEN FELDERN

ABSCHIED VOM ARRESTANTEN

STÖRUNG DER TOTENRUHE

Nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) fallen die folgenden in der Bundesrepublik Deutschland gelegenen Gräber unter den Schutz dieses Gesetzes:

[…]

[…] Gräber von Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 31 März 1952 während ihres militärischen oder militärähnlichen Dienstes gefallen oder tödlich verunglückt oder an den Folgen der in diesen Diensten erlittenen Gesundheitsschädigungen gestorben sind […].

[…]

Diese Gräber bleiben auf Dauer bestehen. […]

Den Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft wird alljährlich am Volkstrauertag gedacht.

Niedersächs. Ministerium für Inneres und Sport

Der Desktop-Hintergrund des Laptops auf dem ich schreibe zeigt den deutschen Soldatenfriedhof Lohheide. Er befindet sich in einem Waldstück auf der Rückseite vom Truppenlager Hohne. Die Fotografie des Friedhofs habe ich bei einem Besuch mit meinem Studienfreund Peter Leibgeber auf dem Rückweg von der Gedenkstätte Bergen-Belsen angefertigt. Der Soldatenfriedhof wurde von der Rückseite gegenüber dem Eingang aufgenommen, so dass der Betrachter auf das schmiedeeiserne Eingangstor von der Innenseite blickt. In Längsrichtung vom Eingang ziehen sich zehn parallele Plattenwege durch die Anlage. In der Mitte werden sie durch ein breites Beet aus gemeinem Heidekraut in zwei Hälften mit jeweils fünf Wegen unterteilt. Entlang der Wege stehen zu Dreiergruppen geordnete Symbolkreuze. Dazwischen sind Liegekissen zu sehen, die die Grabstellen bezeichnen. Auf Friedhöfen liegen nicht nur Verstorbene, deren Ableben von den Hinterbliebenen betrauert wird. Dort liegen auch Tote, deren Ableben Überlebenden Genugtuung bedeutet. Oft genug handelt es sich um ein- & dieselbe Person. Gut möglich, dass es sich mit den Verstorbenen wie bei einem Eisberg verhält. Auf einen Trauernden kommen sechs Hinterbliebene, die froh sind, den Toten nie wieder zu Gesicht zu bekommen. DE MORTIUS NIHIL NISI BENE? VON WEGEN! Wie sehr hatte sich mein früherer Chefredakteur auf seinem Thron gespreizt und als Vorgesetzter inszeniert. Mit seinem spärlich bewachsenen Kopffelsen. Mit seinen Schweißbächen im Kragen, die ihm als Wasserfall vom Kopffelsen stürzten. Mit seiner Beschneidung meiner Kompetenzen. Mit seinen Fußtritten gegen meine Loyalität. Wie hatte er sich gefreut, der Herr Chefredakteur, als ich nach dem Volontariat zu den BÖHME NACHRICHTEN wechselte. Nach seinem kürzlichen Ableben bin ich zur CELLESCHEn ALLGEMEINEn zurückgekehrt. Der Pfau, der sich bis zu seinem Ableben auf dem Thron des Chefredakteurs spreizte, hätte mich weder als Mitarbeiter eingestellt noch hätte ich ihn mir als Vorgesetzten ausgesucht. Seine Chefin vom Dienst geht demnächst in den Ruhestand. Die Dame agierte als Werkzeug in den Händen dieses Herrn. Das Werkzeug an sich ist harmlos. Es wird erst durch denjenigen, der es benutzt, zur Gefahr. Allerdings kann man beim Anblick von Wundbohrer, Kneifzange und Nervensäge schwerlich vergessen, dass einem jahrelang in den Wunden gebohrt, in den Hintern gekniffen und an den Nerven gesägt wurde.

Auf dem Weg zum deutschen Soldatenfriedhof Lohheide hatte ich von Celle kommend in Bergen angehalten, um dort einen Imbiss einzunehmen. Dazu war ich in einem Schnellrestaurant an der Celler Straße eingekehrt. Dort werden Fleischgerichte, in einer separaten Nische Kaffee und Kuchen zum Verzehr angeboten. Die Lokalität zählt zu einer Metzgerei. Die Auslage des rechtwinkeligen Verkaufstresens enthält Fleisch- und Wurstwaren. Tische und Sitzgelegenheiten laden zum Verzehr verschiedener Fleischgerichte ein. Ich hatte Hunger und wollte nicht mit knurrendem Magen in Lohheide ankommen. Ich verweile nicht gern in Bergen. Mich stört der dortige Blutgeruch. Nicht wegen der Metzgerei, wo ich an einem Tischchen vor der Schaufensterfront an der Celler Straße ein Stück Kuchen und zwei Tassen Kaffee verzehrte, sondern wegen dem Truppenübungsplatz. Vom Platz weht Blutgeruch herüber. Der Platz ist seit 1936 ein Ort, wo Soldaten sich und andere in der Fähigkeit ausbilden, andere Menschen töten zu können. Gleichgültig, ob die Soldaten Wehrmachtsuniform, die Kluft der SS, die Montur der Bundeswehr oder den Dress der britischen Rheinarmee trugen.

Die Zufahrt zum deutschen Soldatenfriedhof Lohheide erfolgte von Bergen aus über die Landstraße nach Winsen (Aller). Die Anfahrt verlief parallel zu den Wohnblocks einer britischen Siedlung und an Anbauflächen einer Baumschule vorbei über eine Brücke. Die Brücke führte über die Verladerampe, auf der im Herbst 1941 von der Wehrmacht gefangene Rotarmisten eingetroffen waren. Von dort mussten sie bis zu einer von Wachtürmen und Drahtzäunen begrenzten Fläche bei Belsen marschieren. Die Fläche umfasste nur die vorhandene Vegetation aus sandigen Grasflächen, wenigen Büschen und vereinzelten Bäumen. Beim Eintreffen der ersten Gefangenen existierten weder Unterkunftsbauten noch sanitäre Einrichtungen. Die Rotarmisten campierten unter freiem Himmel. Um sich vor Kälte und Regen zu schützen, gruben sie Löcher in die Erde. Um ihren Hunger zu stillen, verzehrten sie Blätter, Baumrinde und Wurzeln. Bei Einbruch des Winters brach eine Fleckfieberepidemie aus, der über sechzehntausend Russen zum Opfer fielen. Das war nicht nur in Bergen so. Von den insgesamt 5,7 Millionen sowjetischen Gefangenen starben in den Wintermonaten über den Jahreswechsel 1941/42 zwei Millionen an unzureichender Verpflegung, extremen Witterungseinflüssen, mangelnden Hygienevorkehrungen und fehlender Medizinversorgung. Am Ende des Krieges belief sich die Mortalitätsrate von Angehörigen der Roten Armee auf 3,3 Millionen. Im Frühjahr 1943 übernahm das Wirtschaftsverwaltungshauptamt der SS das Lagergelände der Wehrmacht bei Bergen, um dort Juden mit Pässen fremder Staaten zu Austauschzwecken unterzubringen. Aufgrund der vorrückenden Truppen der Roten Armee und der Zurücknahme der deutschen Fronten wurden bis zum Kriegsende ostwärts der Elbe zahlreiche Konzentrationslager geräumt und die Gefangenen nach Westen in Richtung Reichsgrenze getrieben. Überlebende aus Auschwitz, Buchenwald, Dora-Mittelbau bei Nordhausen und anderen Lagern wurden im Konzentrationslager Bergen-Belsen interniert, wo sie aufgrund der angespannten Ernährungslage, katastrophalen hygienischen Verhältnisse und fehlenden medizinischen Versorgung zu Zehntausenden starben. Ich fuhr über die Landstraße an der Ostseite des Truppenlagers Bergen-Hohne und an dessen Haupteingang vorbei in Richtung Winsen (Aller). An der T-Kreuzung am Ende des Truppenlagers zweigt im rechten Winkel von der Landesstraße die Panzerbahn in Richtung Hörsten ab. Mein Peugeot passierte Munitionsbunker der Briten und überquerte die Meiße. Die Straße mündet auf die Panzerringstraße zwischen Hoppenstedt, dem Wohnsitz des britischen Kommandanten, und der Panzerwaschanlage. Der weitere Weg linkerhand Richtung Panzerwaschanlage hätte mich zur Gewehrschießbahn für die Infanterieausbildung und dem gegenüberliegenden Friedhof der sowjetischen Kriegstoten geführt. Stattdessen bog ich rechterhand Richtung Hoppenstedt ab und folgte der Panzerringstraße an der Rückseite des Truppenlagers Hohne bis zur Abzweigung zum aufgegebenen Glyn-Hughes=Militärkrankenhaus und zum Golfplatz der britischen Garnison. Fünfhundert Meter hinter dem Golfplatz und der anschließenden Zuwegung zum leer stehenden Militärkrankenhaus liegt der deutsche Soldatenfriedhof Lohheide. Die Lage des Soldatenfriedhofs erklärt sich aus der Nähe zum früheren Wehrmachtslazarett. Viele der in Lohheide beigesetzten Soldaten waren ihren beim Kampf um die Allerfront erlittenen Verwundungen erlegen oder an den Folgen einer Vergiftung verstorben, die sie sich als SS-Angehörige bei der Bergung der Leichen in dem von den Briten befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen zugezogen hatten. Der in einem Waldstück schräg gegenüber dem Truppenlazarett gelegene deutsche Soldatenfriedhof Lohheide birgt die Kriegsgräber von 155 deutschen und sechzehn ungarischen Militärangehörigen in insgesamt 171 Einzelgräbern; 113 von ihnen starben in Lazaretten, 58 fielen bei den Kämpfen im April 1945 im Raum Celle-Soltau. Unter den Kriegstoten befinden sich die Grablagen von 29 Angehörigen der SS-Wachmannschaften und des Kommandanturpersonals des Konzentrationslagers Bergen-Belsen.

Grund für meinen Besuch war die geplante Übergabe des durch ein Arbeitskommando des Kriegsgräbervereins renovierten Soldatenfriedhofs an die Öffentlichkeit. Die Übergabe sollte unter Anwesenheit des Gemeindevorstehers von Lohheide und des Kommandanten des Truppenübungsplatzes Bergen-Hohne erfolgen. Bei der Wiedereinweihung war auch ein geistliches Wort vorgesehen. Im Anschluss sollte vor dem Hochkreuz aus Basalt ein Kranz niedergelegt werden. Der Kranz sei schon vor Ort, der Pfarrer aus Bergen habe kurzfristig abgesagt, informierte Hauptmann von der Kammer, nachdem ich den Kommandoführer zu sprechen gewünscht und mich ihm als Redakteur der CELLESCHEn ALLGEMEINEn vorgestellt hatte. Den Peugeot hatte ich gleich neben dem Mannschaftstransporter des Arbeitskommandos und einem Unimog mit Baumaterialien und Arbeitsgeräten vor dem Eingangstor geparkt. Einige Liegekissen hätten nicht mehr plan gelegen, die Platten der Wege dazwischen seien hochgefroren gewesen und zu Stolperfallen geworden. Da habe etwas passieren müssen, erklärte der Kommandoführer. Hauptmann von der Kammer befehligte zwölf Soldaten vom Mechatronikzentrum der Bundeswehr in Jülich. Die Soldatinnen und Soldaten am Mechatronikzentrum der Bundeswehr setzen gepanzerte Radfahrzeuge, ungeschützte Fahrzeuge und Feldlagermaterial instand. Die Arbeiten werden in zwei Hallen eines ehemaligen Reichbahnausbesserungswerkes durchgeführt, die dem Luftangriff alliierter Bomberverbände auf Jülich im Herbst 1944 entgingen. Für Afghanistan bestimmtes Kriegsgerät werde vom Emdener Hafen durch den Kanal über den Atlantik und durch die Straße von Gibraltar ins Mittelmeer verschifft, informierte von der Kammer. Im türkischen Trabzon werde das in Jülich instandgesetzte Gerät in Transportflugzeuge verladen und nach Masar-i-Sharif geflogen. Der Arbeitseinsatz in Lohheide wurde vom Kriegsgräberverein veranlasst. Soldaten aus der aktiven Truppe und Reservisten der deutschen Bundeswehr führen im Jahr bis zu einhundert Arbeitseinsätze auf deutschen Kriegsgräberstätten im In- und Ausland durch. Die Soldaten des Arbeitskommandos waren in einer der Unterkunftsbauten für übende Truppen in Hörsten unterbracht. Verpflegt wurden sie in der Kantine des Bundeswehrdienstleistungszentrums. Der Hauptmann konnte sich auf seine Leute verlassen. »Die sind alle Freiwillige. Das war mir wichtig. Wer hier arbeitet, sollte ein gewisses Interesse mitbringen. Die meisten Kameraden haben schon in der Kaserne gesammelt oder an Gedenkfeiern zum Volkstrauertag teilgenommen. Durch die Arbeitseinsätze können die Kameraden erfahren, was Krieg bedeutet. Ein wichtiger, in die Zukunft gerichteter Friedensdienst, der zugleich an die Opfer des Weltkrieges erinnert.« Der Arbeitsplan der vergangenen Woche hatte das Aufnehmen und Entsorgen der Steinplatten von den vierzig Jahre alten Wegen, das Aufbringen von neuem Kies, das Verdichten des Bodens mit der Rüttelplatte und die Verlegung der neuen Platten vorgesehen. Eine schweißtreibende Angelegenheit. Neben den Plattenwegen wachsende Büsche hatten tiefe Wurzeln in den sandigen Boden getrieben, so dass die Platten angehoben worden waren. Der vom Bundeswehrdienstleistungszentrum geliehene Kleinbagger habe große Mühe gehabt, das Wurzelwerk aus dem Boden zu ziehen, erklärte der Kommandoführer. Um zu verhindern, dass der Gartenbagger umkippte, hatten sich gleich zwei Soldaten auf das Heck der Maschine schwingen müssen. Am Ende hatte alles plan gelegen. »Das sieht gut aus!«, lobte von der Kammer die geleistete Arbeit. Seine Kameraden seien nicht nur nach Lohheide gekommen, um mit dem neuen Gehweg etwas zurückzulassen. Sie würden auch etwas mitnehmen, meinte der Hauptmann. »Nämlich die Erfahrung, dass man die alten Gräber erhalten muss, damit es keine neuen gibt!« Die Kriegstoten gelten als Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft seien im Inland liegende Gräber von Personen, die in der Zeit vom 26. August 1939 bis 31. März 1952 während ihres militärischen oder militärähnlichen Dienstes gefallen oder tödlich verunglückt oder an den Folgen der in diesen Diensten erlittenen Gesundheitsschädigungen gestorben sind, verlautbart das Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft. Das Gräbergesetz ist eine Zumutung. Es mutet dem Steuerbürger zu, nicht nur die Gräber von zu Tode gekommene Bombentoten, Euthanasie- und Gestapoopfern, Kriegsgefangenen und Konzentrationslagerhäftlingen, Zwangsarbeitern und Zwangsinternierten, sondern auch die Grablagen von historischen Mittätern am Holocaust, Kriegsverbrechern und sogar Massenmördern zu unterhalten. Der Gesetzgeber bezeichnet die Kriegstoten unisono als »Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft«. Die Täter werden weggelogen. Die Kriegsgräber von identifizierten Kriegsverbrechern und nachgewiesenen Massenmördern werden nicht explizit als die Kriegsgrablagen von Kriegsverbrechern und Massenmördern auf Hinweistafeln an den Gräbern oder durch Informationstafeln im Eingangsbereich der Soldatenfriedhöfe kenntlich gemacht. Die einheitliche Unterhaltung der Kriegsgrablagen von denjenigen, die von den Nazis verfolgt, verhaftet, in Konzentrationslager verschleppt, verblutet und verhungert sind, und von denjenigen, die als Angehörige der Exekutive Hitlers durch ihren Kampfeinsatz den Holocaust ermöglicht haben und teilweise daran beteiligt waren, bedeutet einen Anschlag auf die historische Wahrheit und ein Attentat auf die intellektuelle Klarheit. Täter und Opfer laufen vor dem Gesetz über die Erhaltung der Gräber der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft (Gräbergesetz) im Gleichschritt. So kann es vorkommen, dass Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen, Jugendliche aus Jugendorganisationen, Vereinen oder Verbänden mit Grabhacke, Laubrechen und Fettstift zum Nachziehen der Grabinschriften die Grablagen von Kriegsverbrechern und Massenmördern pflegen. Die Grabpflegearbeiten auf deutschen Soldatenfriedhöfen im In- und Ausland werden vom Kriegsgräberverein organisiert. Des weiteren Arbeitseinsätze durch aktive Soldaten und Reservisten der Bundeswehr. Das Arbeitskommando aus Bundeswehrsoldaten unter dem Kommando von Hauptmann von der Kammer war mit dem Verlegen neuer Wegeplatten, der Säuberung der Liegekissen und dem Rückschnitt der Bepflanzung beschäftigt gewesen. Im Tode seien alle gleich, bemerkte von der Kammer auf meinen Verdacht, dass in Lohheide auch Angehörige der SS-Bewachungsmannschaften des Konzentrationslagers Bergen-Belsen beigesetzt sein dürften. Einige SS-Angehörigen hatten sich bei der Bergung der Leichen nach der Befreiung des Lagers mit Leichengift infiziert. Der Tod habe alle Unterschiede ausgelöscht, bemerkte von der Kammer. »Und noch etwas: Wer die Frage nach dem ›Warum?‹ mit dem trostlosen ›Umsonst!‹ beantwortet, hat die Sprache der Kriegsgräber nicht verstanden!«. Die Sinngebung der Kriegsgräber läge darin, dass Soldatengräber als die Prediger des Friedens anzusehen seien. Damit redete von der Kammer der Umdeutung der Kriegsgräber als Zeugnisse eines sinnlosen Todes für ein verbrecherisches Regime zu Mahnmalen für den Frieden das Wort. »Der Kriegsgräberverein fordert, auch die Gräber der im Auslandseinsatz zu Tode gekommenen Bundeswehrsoldaten, ebenso wie die Kriegsgrablagen der Weltkriegstoten, auf Dauer zu erhalten und staatlich zu finanzieren«, erklärte von der Kammer. Mit den vom Kommandoführer formulierten Forderungen begab sich der Kriegsgräberverein in das Fahrwasser der Remilitarisierung der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung. Als Konsequenz der Remilitarisierung wurde gegenüber dem Berliner Bendlerblock, dem neben der Bonner Hardthöhe zweiten Amtssitz des Bundesministeriums der Verteidigung, ein Ehrenmal zum Gedenken an getötete Bundeswehrangehörige errichtet. Der Bundesminister der Verteidigung stiftete Tapferkeitsauszeichnungen für die dienende Truppe in der Tradition des Eisernen Kreuzes. Mit den Tapferkeitsauszeichnungen sollen soldatischen Tugenden wie Kampfbereitschaft, Einsatzfreude, Pflichterfüllung, Kameradentreue und Vaterlandsliebe gewürdigt werden.

Der Hauptmann und ich hatten uns zwischenzeitlich auf die Bank unter der Eiche links vom Eingang gesetzt. Den Schreibblock auf dem rechten Oberschenkel meines übergeschlagenen Beins bereithaltend, fragte ich von der Kammer, ob es neben der Arbeit auf dem Soldatenfriedhof noch weitere Aktivitäten gegeben habe. Der Aufenthalt in Lohheide habe sogar noch Zeit für den Besuch des Panzermuseums in Munster gelassen, meinte der Kommandoführer. Im Panzermuseum Munster sind Tötungswerkzeuge wie Panzer und Handfeuerwaffen zu besichtigen. Die in vier Bauabschnitten zwischen 1985 und 1991 errichteten Ausstellungshallen stellen zudem Uniformröcke und Helme, Orden- und Ehrenzeichen zur Schau. Der Truppenübungsplatz Munster-Süd, auf dessen Gelände das Deutsche Panzermuseum liegt, agierte als Wiege der deutschen Panzerwaffe. Die Überlegungen des Inspekteurs der Kraftfahrtruppen General Lutz (nach dem in Munster eine Kaserne benannt ist) und dessen Chef des Stabes, Oberst Heinz Guderian, führten im Zuge des Wiederaufbaus der Reichswehr zu Meinungsunterschieden mit dem Generalstab unter Ludwig Beck. Die zentrale Frage lautete: Sollen Panzer lediglich als Unterstützungswaffe der Infanterie dienen (so die Meinung des Generalstabs unter Beck) oder soll eine eigenständige Panzerwaffe zur operativen Verwendung geschaffen werden (so die Vorstellungen von Lutz und Guderian)? Eine Versuchsübung mit gepanzerten Kampfverbänden und motorisierten Schützen als Vorläufer der späteren Panzergrenadiere in Anwesenheit des Oberbefehlshabers des Heeres, Generaloberst Freiherr von Fritsch, im Jahr 1935 überzeugte Hitler von der Notwendigkeit der Aufstellung eigener Panzerdivisionen. Als nach Abschluss der Übungen ein gelber Manöverballon als Schlusssignal aufstieg, bemerkte Fritsch: »Jetzt fehlt nur noch, dass auf dem Ballon steht: ›Guderians Panzer sind die besten!‹« Das Panzermuseum zeigt die Entwicklung der Truppengattungen der deutschen Panzertruppen von 1917 bis zur Gegenwart. Bei meinem letzten Besuch dort waren in Halle 1, angefangen von Wotan, einem deutschen Tank aus dem Ersten Weltkrieg, über Personenkraftwagen und Motorrädern eine Sammlung deutscher Militärhelme ausgestellt. Neben einem kolorierten Großporträt schwärmten mannshohe Schrifttafeln vom Vater der deutschen Panzerwaffe, Heinz Guderian. Der spätere Generaloberst, Inspekteur der Panzertruppen und Chef des Heeresgeneralstabs gab dem Diktator das Schwert in die Hand, mit dem er den Angriff gegen Frankreich und den Überfall auf die Sowjetunion hatte führen können. In einem Tagesbefehl verunglimpfte Guderian die Männer des 20. Juli als ein paar teilweise schon pensionierte Offiziere, die den Mut verloren hätten und aus Feigheit und Schwäche von dem für einen ehrlichen Soldaten einzig möglichen Weg der Pflicht und Ehre abgewichen seien und den Weg der Schande vorgezogen hätten. Als Angehöriger des von Hitler beauftragten Ehrenhofs stieß Guderian die Verschwörer des 20. Juli 1944 aus der Wehrmacht aus. Damit entzog der damalige Generalstabschef die Widerständler der Wehrmachtsgerichtsbarkeit und überantwortete sie dem Volksgerichtshof unter Roland Freisler. Von all dem fiel in den Erklärungen des grauhaarigen Cicerone, einem pensionierten Hauptfeldwebel der Panzertruppe, der die Besucher durch das Panzermuseum führte, kein Sterbenswort. Vielmehr konnte man Guderians »Erinnerungen eines Soldaten« im Museumsshop erwerben. Natürlich werde immer wieder die Frage aufgeworfen, was geschehen wäre, wenn das Attentat gelungen wäre, steht dort zu lesen. »Niemand kann das sagen«, so Guderian. »Nur eines scheint sicher: Damals glaubte ein sehr großer Teil des deutschen Volkes noch an Adolf Hitler und wäre zu der Überzeugung gekommen, dass die Attentäter den einzigen Mann beseitigt hätten, der vielleicht noch in der Lage gewesen wäre, den Krieg zu einem glimpflichen Ende zu bringen. Mit diesem Odium wäre das Offizierskorps, die Generalität und der Generalstab in erster Linie belastet worden, schon während des Krieges, aber auch hinterher. Der Hass und die Verachtung des Volkes hätte sich gegen die Soldaten gekehrt, die mitten in einem Ringen auf Leben und Tod durch den Mord am Oberhaupt des Reiches unter Bruch des Fahneneides das bedrohte Staatsschiff führerlos gemacht hätten.« (Heinz Guderian: Erinnerungen eines Soldaten. – Stuttgart 131994, S. 316). Der Führer und oberste Befehlshaber war nicht willens, den Krieg zu einem glimpflichen Ende zu bringen. Hitler wollte keinen weiteren November 1918; kapitulieren kam für ihn nicht infrage.

Das Gelingen des Attentats am 20. Juli 1944 hätte der Krieg beendet und Millionen Menschen – Soldaten wie Zivilisten, Deutschen wie Alliierten – bis zum Kriegsende am 8. Mai 1945 das Leben erhalten können. Deutschland war – nach Aussage Guderians – spätestens nach der Anlandung der Alliierten in der Normandie und durch die Zerschlagung der Heeresgruppe Mitte militärisch besiegt gewesen. Anstatt die Wahrnehmung der Geschäfte des Generalstabschefs des Heeres zu verweigern und als Inspekteur der Panzertruppen zu demissionieren, führte Guderian das Heer in einen mörderischen Abwehrkampf und beteiligte sich an der Verurteilung der Attentäter. Die Fortführung des militärischen Kampfes ermöglichte zudem weitere Gräueltaten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern. Der grauhaarige Cicerone des Museums führte seine Besuchergruppe bei meinem letzten Aufenthalt zwischen den deutschen Original-Panzern I, III, IV und Panther vor den Königstiger. Von dort aus führte der Weg am amerikanischen Feindpanzer Sherman und dem sowjetischen T 34 in einen Schauraum mit Handfeuerwaffen, Orden und Uniformen. »Drüben sehen Sie eine große Vitrine mit Wehrmachtsuniformen«, bemerkte der Cicerone mit ausgestrecktem Arm. »Dabei sind auch mehrere Originalröcke ehemaliger Generäle. Zwei davon will ich kurz ansprechen.« Gegenüber, in der Einzelvitrine, sei die Uniformjacke von Generaloberst Heinz Guderian, dem Inspekteur der Panzertruppe und Generalstabschef des Heeres, zu sehen. Rechts davon sei die Afrikajacke von Generalfeldmarschall Erwin Rommel ausgestellt. Die Uniformjacke des Wüstenfuchses und der Waffenrock Guderians wurden wie Reliquien präsentiert: Heiligtümer, die man verehren, aber nicht anfassen durfte. Auf dem Boden der Rommel-Vitrine lag dessen Buch »Infanterie greift an«. Daneben ein Foto des Wüstenfuchses aus dessen nordafrikanischer Glanzzeit und Rommels Totenmaske. Weiterhin die von Hitler signierte Verleihungsurkunde des Eichenlaubs zum Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes, ausgestellt im Führerhauptquartier am 20. März 1941. Rommel: ein genialer Heerführer, der den Briten den deutschen Vormarsch in Nordafrika abtrotzte, ein ergebener Heeresgruppenchef, der den deutschen Abwehrkampf gegen die angloamerikanische Invasion an der normannischen Küste organisierte, ein Generalfeldmarschall, dessen Name zum Mythos wurde. Als Kriegsheld trug er entscheidend zur Popularität des Hitlerregimes bei. Guderian: ein Panzergeneral, der wesentlich zum Gelingen der Blitzkriegsoperationen in Polen und Frankreich und zum Vormarsch beim Angriff auf die Sowjetunion beitrug, ein Generalinspekteur der Panzertruppen, der in enger Zusammenarbeit mit der Rüstungsindustrie unter Reichminister Albert Speer die Panzerwaffe zur weiteren Kriegführung optimierte, ein Generaloberst, dessen Karriere nach der Übernahme der Geschäfte als Chef des Heeresgeneralstabes im Juli 1944, gleich nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler, ihren Höhepunkt erreichte. In seiner Ära als Heeresgeneralstabschef wurden mehr Heeresangehörige als in den Kriegsjahren zuvor abgeschlachtet. Die Optimierung der Panzerwaffe durch Guderian, die strategischen Leistungen im Wüstenkrieg unter Verantwortung Rommels, der Vormarsch der Panzer als entscheidende Voraussetzung der Blitzkriegsstrategie in Polen, Frankreich und der Sowjetunion unter Führung Guderians, die von Rommel veranlassten Abwehrmaßnahmen zur Verhinderung der Anlandung der Alliierten im Westen, die von Guderian verantworteten Führungsentscheidungen als Generalinspekteur der Panzerwaffe und Generalstabschef des Heeres – alles das ist nichts und gar nichts wert gewesen. Alles das diente nur dazu, das deutsche Volk aber auch die Völker der mit dem nationalsozialistischen Deutschland verbündeten Staaten weiter auf den Abgrund zuzutreiben, den Hitler mit seinen Wahnideen für sie bestimmte. Es ist sehr wohl auszudenken, was mit den Juden passiert wäre, wenn die Panzerarmee Rommels sich wie ein Heuschreckenschwarm durch Ägypten gefressen hätte und nach Palästina eingefallen wäre. Der Hinweis, die Soldaten hätten ihre Pflicht erfüllt, verfängt nicht. Es kommt darauf an, wofür die Pflicht erfüllt wird, mit welchem Ziel und in welcher Absicht. Die Besucher des Deutschen Panzermuseums tappten trotz der grell angeleuchteten Reliquien der deutschen Schlachtergesellen im Dunkeln der Erkenntnis. In mehreren Schauvitrinen waren die bunten Papageienfedern der selbständigen Landestruppen zu bestaunen, die bald nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Einheitsgrau der kaiserlichen Armee untergingen. Ein Ensemble Puppen stellte die Uniformträger des Ersten Weltkrieges im Gefecht dar. Jüngere Besucher zeigten sich beim Anblick der Pickelhauben belustigt, ältere Museumsbesucher fachsimpelten bei meiner Visite über die Leistungsfähigkeit der ausgestellten Maschinengewehre. In weiteren Vitrinen zeigten sich Dutzende Schaufensterpuppen in den Uniformen von Wehrmacht, NVA und Bundeswehr. Einige Besucher hatten in solchen Uniformen gedient. In weiteren Vitrinen glänzten hundertzwanzig deutsche Handwaffen seit 1841: Gewehre, Maschinengewehre, Maschinenpistolen, Panzerabwehrwaffen, Panzerabwehrlenkflugkörper und Munition vom Kaliber 4,73 mm bis 155 mm. Dazu die ständige Sonderausstellung »Deutsche Militärfaustwaffen 1871 bis 1989«. Die Sammlung der Handfeuerwaffen zeigte Tötungswerkzeuge, mit denen Soldaten als staatliche Totschläger auf Befehl ihrer militärischen Vorgesetzten schossen. Die deutschen Staaten, auf deren Geheiß geschossen wurde, waren ebenso verschwunden, wie die im Ersten und Zweiten Weltkrieg gefallenen Soldaten.

Der Name Munster steht für die ideologische (der Feind stand auch nach 1945 im Osten), räumliche (erneute Nutzung von Kasernen und Truppenübungsplätzen der Wehrmacht durch die Bundeswehr) und personelle Kontinuität des Nationalsozialismus (Wiederverwendung nationalsozialistisch indoktrinierter Soldaten) in der Bundeswehr. Der Traditionserlass der Bundeswehr von 1982 wies aus, dass »ein Unrechtsregime, wie das Dritte Reich« keine Tradition begründen könne. Der Erlass bestimmte, dass Kasernen nach Persönlichkeiten benannt werden, die sich durch ihr gesamtes Wirken oder eine herausragende Tat um Freiheit und Recht verdient gemacht haben. Warum wurden dann zahlreiche Kasernen nach ehemaligen Nazi-Generälen benannt – ob nun die Generalmajor-Oswald-Lutz=Kaserne (benannt nach dem »Vater der Panzerwaffe«) in Munster, die Lent-Kaserne (benannt nach dem Nachtjäger von Görings Luftwaffe) in Rotenburg/Wümme oder die Mölders-Kaserne (benannt nach dem Tagjäger der Reichsluftwaffe) in Visselhövede? Der Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch (1880-1939), diente als Namenspatron von Bundeswehrkasernen in Breitenburg, Celle, Koblenz und Pfullendorf. Fritsch bekannte seinen Antisemitismus, vier Wochen nach der Reichspogromnacht im November 1938, in einem Brief an die Baronin Schutzbar mit den Worten: »Bald nach dem Krieg kam ich zu der Ansicht, dass drei Schlachten siegreich zu schlagen seien, wenn Deutschland wieder mächtig werden sollte: die Schlacht gegen die Arbeiterschaft, gegen die katholische Kirche und gegen die Juden. Aber der Kampf gegen die Juden ist der schwerste« (Werner Freiherr von Fritsch). Die Tradition der Bundeswehr ist nicht nur dem Namen nach mit nationalsozialistisch indoktrinierten Soldaten verbunden: Adolf Heusinger – in Hitlers Wehrmacht im Range eines Generalleutnants für die Dauer beinahe des gesamten Krieges als Chef der Operationsabteilung im Generalstab des Heeres für die Operationsführung des Angriffs-, Raub- und Vernichtungskrieges von Wehrmacht und Waffen-SS gegen die Sowjetunion mitverantwortlich und bei den täglichen Lagebesprechungen mit Hitler im Führerhauptquartier anwesend – wurde wenige Jahre nach dem Ende des »Tausendjährigen Reiches« zum ersten Generalinspekteur der Bundeswehr ernannt. Ritterkreuzträger Generalleutnant der Wehrmacht Friedrich Foertsch wurde 1961 als Vier-Sterne=General Generalinspekteur der Bundeswehr. Foertsch amtierte als Chef des Generalstabs der 18. Armee im Nordabschnitt der Ostfront und als Generalstabschef der Heeresgruppe Kurland. Sein Amtsnachfolger als Generalinspekteur, Eichenlaubträger Generalleutnant der Wehrmacht Heinrich Trettner, bereitete die Eroberung der Insel Kreta vor. Als Chef des Generalstabes des XI. Fliegerkorps und späterer Kommandeur der 4. Fallschirmjägerdivision hatte er an allen Fallschirmjägereinsätzen der Westfront maßgeblichen Anteil: in Rom, auf Sizilien und dem italienischen Festland. General Hans Röttiger, unter Hitler zuletzt Chef des Generalstabes der Heeresgruppe C, wurde zum ersten Inspekteur des Heeres bestellt. Friedrich Ruge, Admiral beim Stab der Heeresgruppe B unter Generalfeldmarschall Erwin Rommel, wurde 1957 zum Inspekteur der Bundesmarine befördert. Hans Speidel, in Hitlers Wehrmacht Chef des Generalstabes der Heeresgruppe B unter Rommel, trat am 9. November 1955 als Generalleutnant in die Bundeswehr ein. Von 1957 bis 1963 amtierte er als Oberbefehlshaber der NATO-Landstreitkräfte in Mitteleuropa, bis er auf Wunsch de Gaulles in den vorzeitigen Ruhestand verabschiedet wurde. Das sind keine Einzelfälle. Die bis 1957 ernannten Generale und Admirale der Bundeswehr entstammten sämtlich der Wehrmacht. Die meisten von ihnen waren an der Planung, Organisation und Durchführung des völkerrechtswidrigen Angriffs- und in der Geschichte beispiellosen Eroberungs-, Raub- und Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion beteiligt. Ende der fünfziger Jahre taten über zwölftausend frühere Offiziere der Wehrmacht und dreihundert ehemalige Offiziere der SS Dienst in der Bundeswehr. Der Feind stand nach wie vor Hitler im Osten – jenseits der DDR-Grenzpfosten. Hitlers Ostland-Krieger standen bei der NATO hoch im Kurs. Ein besonders perfides Beispiel des Traditionsverständnisses stellten die Audienzen hochrangiger Bundeswehroffiziere bei Hitlers Generalfeldmarschall Erich von Manstein dar. Als ehemaliger Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Don trug Manstein entscheidende Verantwortung für das langsame Abschlachten und grausame Verrecken der 6. Armee unter Generaloberst Friedrich Paulus im Kessel von Stalingrad. Manstein hatte es wider besseres Wissen unterlassen, dem ihm unterstellten Paulus den Befehl zum Ausbruch zu erteilen. Manstein: ein begabter Stratege, der sich dem verbrecherischen Regime Hitlers mit Schlachten entscheidenden operativen Planungen andiente; ein Armeeführer, der menschenverachtende Befehle für die Behandlung des Gegners ausfertigte; ein Heeresgruppenchef, der eine Beteiligung am militärischen Widerstand trotz der dilettantischen Führung durch Hitler als obersten Kriegsherrn ablehnte. Den als Kriegsverbrecher verurteilten Manstein hofierten hochrangige Offiziere der Bundeswehr. Das Amt Blank als administrativer Vorläufer des Bundesministeriums der Verteidigung scheute sich nicht, ausgerechnet Manstein den Vorsitz im Gutachtergremium zur Wiederbewaffnung und Wiedereinführung der Wehrpflicht des gemeinsamen Verteidigungsausschusses von Bundestag und Bundesrat zu übertragen. Zum 85. Geburtstag Mansteins, am 24. November 1972, überbrachten der damalige Generalinspekteur der Bundeswehr, Admiral Zimmermann, und der Inspekteur des Heeres, Generalleutnant Ferber, ehrende Geburtstagsglückwünsche des Bundesverteidigungsministers. Der personellen Kontinuität der Bundeswehr folgte die räumliche. Die Bundeswehr nutzte ehemalige Truppenübungsplätze und Kasernen der Wehrmacht. Ein halbes Jahr nach Gründung der Bundeswehr wurden für die Truppengattungen Panzer und Panzergrenadiere in Munster-Lager Schulen eingerichtet. Aus dieser Keimzelle entwickelte sich nach Zusammenlegung mit den Schulen für Panzeraufklärer und Panzerjäger und der Panzergrenadierschule die zentrale Ausbildungsstätte der gepanzerten Truppen der Bundeswehr. Mit der Ansiedlung in Munster folgte die Bundeswehr der Wehrmachtsführung, welche die Truppengattungen der Panzertruppe ab 1943 wegen der alliierten Bombenangriffe von Wünsdorf bei Berlin in die Truppenlager Bergen-Hohne und Fallingbostel-Oerbke am Ost- und Westrand des Truppenübungsplatzes Bergen verlegt hatte. Die Kampftruppenschule 2 in Munster mit den Lehrgruppen der vier Truppengattungen Panzertruppe, Panzergrenadiertruppe, Panzeraufklärungstruppe und Panzerjägertruppe sollte nach dem Vorbild der Panzertruppenschule Bergen im Großdeutschen Reich die zentrale Ausbildungseinrichtung der deutschen Panzertruppe in der Bundesrepublik bilden. Der Auftrag sowohl der nationalsozialistischen Panzertruppenschule Bergen als auch der bundesdeutschen Kamptruppenschule 2 in Munster bestand darin, die Führer und den Führernachwuchs in den Waffensystemen der Panzertruppe auszubilden, die Führungs- und Einsatzgrundsätze weiterzuentwickeln und Waffen und Gerät zu erproben. Die Ausbildung an der Panzertruppenschule Munster diente, wie schon die Ausbildung in den Jahren 1943-1945 an der Panzertruppenschule Bergen, der Vorbereitung auf die Aufgaben des Kommandanten eines Gefechtsfahrzeuges, eines Zugführers, eines Einheitsführers und der Aus- und Weiterbildung der Bataillonskommandeure der einzelnen Truppengattungen. Selbst der Schulkommandeur blieb der gleiche. Generalmajor Oscar Munzel war zehn Jahre nach Kriegsende in gleicher Funktion wie bei der Wehrmacht in der Bundeswehr aktiv. Nach dem Zerbrechen der Anti-Hitler=Koalition stand der ideologische Gegner der Westalliierten im kommunistischen Osten. Zur Organisation einer raumgreifenden Verteidigung Westeuropas zwischen Rhein und Elbe erfolgte die Einbeziehung der Bundesrepublik an der Nahtstelle des geteilten Europas. Die Grenze zwischen den militärischen Blöcken von NATO und Warschauer Pakt verlief entlang der innerdeutschen Grenze. Die Bonner Republik ließ sich von der deutschen Wiederbewaffnung 1955 bis zur Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 als westeuropäischer Schutzschild gegen die osteuropäischen Staaten jenseits des Eisernen Vorhangs instrumentalisieren. Es grenzt an ein Wunder, dass die Deutschen die Ost-West=Konfrontation im Zeitalter der nuklearen Hochrüstung trotz Kuba-Krise, Mauerbau, Ungarnaufstand und Prager Frühling überlebt haben. Die von den NATO-Militärs verordnete Doktrin der Vorneverteidigung hätte beide deutsche Staaten auch für den Fall eines konventionellen Krieges zum Schlachtfeld werden lassen. Diese Verteidigungsdoktrin wurde bis zur deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990 zuvörderst auf den Truppenübungsplätzen Munster und Bergen-Hohne eingeübt.