Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Emily Brontë: Sturmhöhe | Neu editiert, in aktualisierter Rechtschreibung | Voll verlinkt und mit eBook-Inhaltsverzeichnis | Mit einem Stammbaum der Earnshaws und Lintons, sowie einer Timeline mit den Lebensdaten der Hauptpersonen | Sturmhöhe gehört zu den großen epischen Familienerzählungen und ist in eine Reihe mit vom Winde verweht oder doktor Schiwago zu stellen. Die Geschichte ist so bewegend, weil sie - wie jeder dieser großen Romane - archaische menschliche Gefühle zur Triebfeder macht: Liebe, Hass, Schmerz, Sehnsucht, Ehrgeiz, Stolz. in doktor Schiwago ist es die Liebe, in vom Winde verweht, sind es Sehnsucht und Stolz, doch in sturmhöhe ist es das zerstörerischste aller Gefühle: Der Hass. shakespeare'sche Züge, sagten Kritiker, habe der Roman, andere fühlen sich an eine griechische Tragödie erinnert. In jedem Fall ist es ein ganz großer Wurf, der der jungen Emily Brontë (1818-1848), der literarisch bedeutsamsten der drei hochbegabten Brontë-Schwestern, hier gelang.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 613
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Innentitel
Vorbemerkung des Herausgebers
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebentes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Zehntes Kapitel
Elftes Kapitel
Zwölftes Kapitel
Dreizehntes Kapitel
Vierzehntes Kapitel
Fünfzehntes Kapitel
Sechzehntes Kapitel
Siebzehntes Kapitel
Achtzehntes Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Einundzwanzigstes Kapitel
Zweiundzwanzigstes Kapitel
Dreiundzwanzigstes Kapitel
Vierundzwanzigstes Kapitel
Fünfundzwanzigstes Kapitel
Sechsundzwanzigstes Kapitel
Siebenundzwanzigstes Kapitel
Achtundzwanzigstes Kapitel
Neunundzwanzigstes Kapitel
Dreissigstes Kapitel
Einunddreissigstes Kapitel
Zweiunddreissigstes Kapitel
Dreiunddreissigstes Kapitel
Vierunddreissigstes Kapitel
Abstammungstafel der Earnshaws und Lintons
Lebensdaten-Diagramm der Hauptpersonen
Impressum
›Sturmhöhe‹ gehört zu den großen epischen Familienerzählungen und ist in eine Reihe mit ›Vom Winde verweht‹ oder ›Doktor Schiwago‹ zu stellen. Die Geschichte ist so bewegend, weil sie – wie jeder dieser großen Romane – archaische menschliche Gefühle zur Triebfeder macht: Liebe, Hass, Schmerz, Sehnsucht, Ehrgeiz, Stolz.
In ›Doktor Schiwago‹ ist es die Liebe, in ›Vom Winde verweht‹, sind es Sehnsucht und Stolz, doch in ›Sturmhöhe‹ ist es das zerstörerischste aller Gefühle: Der Hass.
Heathcliff heisst der (Anti-) Held, in dem sich dies kristallisiert, und der miterleben lässt, wie der Hass wächst. Als Kind zunächst adoptiert und freundlich aufgenommen, später gedemütigt, geschlagen, entehrt und verstoßen, entwickelt er einen unbändigen Hass gegen ›seine‹ Familie, die Earnshaws. Die einzige, zu der er eine Herzensbindung hat, ist seine Stiefschwester Catherine. Doch am Ende wird auch sie durch seinen Hass zerstört. Doch Qual und Pein reichen noch weiter ...
Shakespeare’sche Züge, sagten Kritiker, habe der Roman, andere fühlen sich an eine griechische Tragödie erinnert. In jedem Fall ist es ein ganz großer Wurf, der der jungen Emily Brontë (1818–1848), der literarisch bedeutsamsten der drei hochbegabten Brontë-Schwestern, hier gelang.
Und doch stieß der Roman bei zeitgenössischen Kritikern auf Skepsis. Irritierend sei er, verstörend, und setze den Leser ungewohnten Wechselbädern aus. Das liegt daran, dass Brontë nicht die damals übliche Erzählperspektive des auktorialen (›allwissenden‹) Erzählers wählte, sondern eine wesentlich modernere Form. Verschiedene Erzähler lässt sie berichten, auch Hörensagen nimmt sie hinzu – sodass das Geschehen zum Teil mehrfach gebrochen beim Leser ankommt. Die Erzählstimmen stehen dem Anti-Helden Heathcliff mehr oder weniger nahe, mögen ihn mehr oder weniger, wissen mehr oder weniger über ihn.
Eine für die damalige Zeit revolutionäre Schreibtechnik, die dann erst hundert Jahre später von anderen Autoren kultiviert wurde. Brontë entlässt den Leser nicht auf einen einfachen Zuschauerplatz wie im Kino, sondern verstrickt ihn emotional, nimmt ihn mit, zwingt ihn, sich ein eigenes Bild, eine eigene Meinung von den oft dramatischen und grausamen Vorgängen zu machen. So wird der Leser am Ende zu Heathcliffs Richter. Und das Urteil kann so oder so ausfallen.
© Redaktion eClassica, 2017
Über die Autorin: Emily Brontë (1818–1848), die heute bekannteste der drei Brontë-Schwestern, veröffentlichte 1847 ihren einzigen Roman ›Wuthering Heights‹, der heute als Klassiker der englischen Literatur gilt. Der Roman erschien unter dem Pseudonym ›Ellis Bell‹ und wurde in einem Band mit dem Roman ›Agnes Grey‹ ihrer Schwester Anne veröffentlicht. Emily beharrte zeitlebens auf Diskretion über ihre Identität und legte das Pseudonym nie ab. Sie starb bereits im Alter von 30 Jahren – vermutlich an einer Lungenentzündung.
1801. Ich bin gerade von einem Besuch bei meinem Gutsherrn zurückgekehrt – diesem einsamen Nachbarn, der mir zu schaffen machen wird.
Was für eine schöne Gegend! Ich glaube nicht, dass ich in ganz England meinen Wohnsitz an einer anderen Stelle hätte aufschlagen können, die so vollkommen abseits vom Getriebe der Welt liegt. Ein echtes Paradies für Menschenfeinde; und Mr. Heathcliff und ich sind das richtige Paar, um diese Einsamkeit miteinander zu teilen. Ein famoser Bursche! Er ahnte wohl kaum, wie mein Herz ihm entgegenschlug, als ich sah, wie seine schwarzen Augen sich bei meinem Näherreiten so abweisend unter den Brauen verbargen und wie seine Hände sich in entschiedenem Misstrauen tiefer in sein Wams vergruben, während ich meinen Namen nannte.
»Mr. Heathcliff?« fragte ich.
Ein Nicken war die Antwort.
»Mr. Lockwood, Ihr neuer Pächter. Ich erlaube mir, nach meiner Ankunft sobald wie möglich vorzusprechen, und hoffe, dass Ihnen die Beharrlichkeit, mit der ich mich um Thrushcross Grange beworben habe, nicht lästig geworden ist. Ich hörte gestern, Sie hätten die Absicht gehabt…«
»Thrushcross Grange gehört mir«, unterbrach er mich auffahrend. »Ich erlaube niemand, mich zu belästigen, wenn ich es verhindern kann. – Kommen Sie herein!«
Das ›Kommen Sie herein‹ wurde zwischen den Zähnen hervorgestoßen und hiess soviel wie: Geh zum Teufel. Selbst die Gattertür, über die er sich lehnte, machte keine freundliche Bewegung zu seinen Worten. Ich glaube, nur ein Umstand bewog mich, die Einladung anzunehmen: mich fesselte ein Mann, der in noch stärkerem Maße als ich zurückhaltend ist. Als er sah, dass mein Pferd die Brust gegen das Gatter drängte, streckte er die Hand aus, um die Kette zu lösen, und ging dann mürrisch den Dammweg voraus. Beim Betreten des Hofraumes rief er: »Joseph, nimm Mr. Lockwood das Pferd ab, und bring Wein herauf!«
›Dies wird wohl das ganze Gesinde sein‹, überlegte ich, als ich diesen zusammenfassenden Befehl vernahm. ›Kein Wunder, dass Gras zwischen dem Pflaster wächst und die Hecken nur von den Rindern gestutzt werden.‹
Joseph war ein ältlicher, nein, ein alter Mann; vielleicht war er sogar sehr alt, obwohl gesund und sehnig.
»Gott behüte!« sagte er grämlich und missvergnügt vor sich hin, während er mir mein Pferd abnahm, und blickte mir dabei so verdriesslich ins Gesicht, dass ich den mitleidigen Schluss zog, er bedürfe wohl göttlicher Hilfe, um sein Mittagessen zu verdauen, und sein frommer Stoßseufzer könne sich nicht auf meine unerwartete Ankunft beziehen.
›Wuthering Heights‹, Sturmhöhe, heisst Mr. Heathcliffs Besitztum. ›Wuthering‹ ist ein trefflicher mundartlicher Ausdruck, um den Aufruhr der Lüfte zu beschreiben, dem dieser Ort bei stürmischem Wetter ausgesetzt ist. Die Leute dort oben müssen zu allen Zeiten kräftig durchgeblasen werden. Man kann sich die Gewalt des Sturmes, der um die Ecke bläst, recht vorstellen, wenn man die paar schiefgewehten dürftigen Kiefern am Ende des Hauses betrachtet und eine Reihe dürrer Dornbüsche sieht, die alle ihre Arme nach einer Seite strecken, als wollten sie die Sonne um ein Almosen bitten. Zum Glück hatte der Baumeister ein festes Haus hingesetzt: die schmalen Fenster sind tief in die Mauer eingelassen und die Ecken durch große vorstehende Steine gesichert.
Bevor ich über die Schwelle schritt, verhielt ich, um eine Menge grotesker Schnitzereien zu bewundern, die verschwenderisch an der Vorderseite und besonders am Haupteingang angebracht waren. Über diesem entdeckte ich mitten in einem Wirrwarr von zerbröckelnden Greifen und nackten kleinen Putten die Jahreszahl 1500 und den Namen Hareton Earnshaw. Ich hätte gern ein paar Bemerkungen gemacht und den mürrischen Eigentümer um eine kurze Geschichte des Hauses gebeten, aber seine Haltung an der Tür schien meinen schleunigen Eintritt oder mein endgültiges Verschwinden zu fordern, und ich hatte keine Lust, seine Ungeduld zu steigern, bevor ich das Allerheiligste besichtigt hatte.
Eine Stufe führte ohne irgendwelchen Vorraum oder Durchgang in den Wohnraum der Familie, hierzulande ›das Haus‹ genannt. Es ist gewöhnlich Küche und Empfangszimmer in einem, doch glaube ich, dass in Wuthering Heights die Küche in einen anderen Teil des Hauses verbannt war; jedenfalls vernahm ich Geplapper von Stimmen und Geklapper von Küchengeräten weiter innen im Hause. Auch bemerkte ich weder Anzeichen von Braten, Kochen oder Backen in der Nähe der riesigen Feuerstätte noch den Schimmer von kupfernen Bratpfannen und Zinndurchschlägen an der Wand. Von einem Ende allerdings wurde der starke Glanz des Lichtes und der Glut zurückgeworfen, und zwar von Reihen riesiger Zinnschüsseln, die sich zusammen mit silbernen Krügen und Kannen auf einer gewaltigen Eichenanrichte reihenweise fast bis zum Dach auftürmten. Dieses war nie unterzimmert worden; unverhüllt zeigte sich sein ganzes Gerippe dem forschenden Blick, bis auf die Stelle, wo es von einem hölzernen Gerüst verborgen wurde, das mit Haferkuchen und Bergen von Rinds-, Hammel- und Schweinskeulen beladen war. Über dem Kamin hingen mehrere alte Räuberflinten und ein Paar Reiterpistolen, und auf dem Sims standen, wohl als Schmuck, drei mit grellen Farben bemalte Blechbüchsen. Der Fußboden war aus glattem weissem Stein; die hochlehnigen Stühle, schlicht in der Form, waren grün gestrichen; ein oder zwei schwarze Lehnstühle standen im Schatten. Unter der Anrichte lag eine riesige fahlbraune Hühnerhündin, umgeben von einem Gewimmel quiekender Welpen, und in anderen Winkeln lagen noch mehr Hunde.
Das Zimmer und die Einrichtung hätten zu einem schlichten Landwirt des Nordens gepasst, zu einem Mann mit sturem Gesichtsausdruck, dessen kräftige Glieder sich in Kniehosen und Gamaschen gut ausnehmen. Männer dieser Art, im Lehnstuhl sitzend, den schäumenden Bierkrug vor sich auf dem runden Tisch, kann man im Umkreis von fünf oder sechs Meilen überall in diesen Bergen antreffen, wenn man sie zur richtigen Zeit nach dem Mittagbrot aufsucht. Aber Mr. Heathcliff bildet einen merkwürdigen Gegensatz zu seiner Behausung und seinem Lebensstil. Seinem Aussehen nach ist er ein dunkelhäutiger Zigeuner, der Kleidung und dem Gehaben nach ein vornehmer Mann, das heisst in der Art vornehm, wie viele Landjunker es sind: vielleicht etwas schlampig, doch trotz der Vernachlässigung nicht übel aussehend, weil er ebenmäßig und gut gewachsen ist – und etwas mürrisch. Es ist möglich, dass er bei manchen Menschen im Verdacht eines ungebildeten Hochmuts steht; ich fühle in mir eine verwandte Saite klingen, die mir sagt, dass dem nicht so ist. Mein Gefühl sagt mir: seine Zurückhaltung entspringt einer Abneigung gegen Gefühlsäusserungen und Freundlichkeitsbekundungen. Er wird gleicherweise im verborgenen lieben und hassen und wird es als eine Art von Unverschämtheit erachten, wiedergeliebt oder -gehasst zu werden. Aber halt, ich lasse mir zu sehr die Zügel schiessen, ich statte ihn zu verschwenderisch mit meinen eigenen Charakterzügen aus. Vielleicht hat Mr. Heathcliff ganz andere Gründe dafür, seine Hand zu verstecken, wenn er einen trifft, der seine Bekanntschaft sucht, als die, die mich bewegen. Ich will hoffen, dass ich mit meiner Veranlagung einzeln dastehe. Meine liebe Mutter pflegte zu sagen, ich würde niemals ein gemütliches Heim haben, und erst im letzten Sommer habe ich mich als unwürdig erwiesen, eines zu gründen.
Während ich einen Monat schönen Wetters an der See verlebte, geriet ich in die Gesellschaft eines bezaubernden Geschöpfes, einer wahren Göttin in meinen Augen, solange sie mir keine Aufmerksamkeit schenkte. Ich gab meiner Liebe nie mit Worten Ausdruck; doch wenn Blicke sprechen können, hätte auch der ärgste Dummkopf erraten, dass ich bis über beide Ohren verliebt war. Sie verstand mich schließlich und erwiderte meine Augensprache mit dem süssesten Blick, den man sich vorstellen kann. Und was tat ich? Ich gestehe es voller Scham: ich zog mich, zu Eis erstarrt, in mich selbst zurück wie eine Schnecke, zog mich bei jedem Blick abgekühlter und weiter zurück, bis die arme Unschuld schließlich anfing, ihren eigenen Sinnen zu misstrauen und, niedergeschlagen und verwirrt, ihre Mutter überredete, die Zelte abzubrechen. Durch diese merkwürdige Veranlagung bin ich in den Ruf vorsätzlicher Herzenskälte gekommen, wie unverdient, kann nur ich allein ermessen.
Mein Wirt ging auf den Herdsitz zu, ich nahm am entgegengesetzten Ende Platz und füllte eine Pause des Schweigens mit dem Versuch, die Hündin zu streicheln, die ihre Kinderstube verlassen hatte, wie ein Wolf von hinten an meine Beine herangeschlichen war und ihre weissen Zähne zum Zuschnappen bleckte. Mein Streicheln veranlasste ein langgezogenes tiefes Knurren.
Auch Mr. Heathcliff knurrte. »Sie sollten den Hund lieber in Ruhe lassen!« Er unterdrückte gröbere Gefühlsäusserungen durch ein Aufstampfen mit dem Fuß. »Sie ist nicht gewöhnt, gestreichelt zu werden; sie ist kein Spielhund.« Dann, zu einer Seitentür tretend, rief er wieder: »Joseph!«
Joseph brummelte undeutlich in der Tiefe des Kellers, gab aber nicht zu verstehen, dass er heraufkommen wolle; darum stieg sein Herr zu ihm hinab und ließ mich allein mit der wilden Hündin und einem Paar grimmig zottiger Schäferhunde, die sich mit ihr in die argwöhnische Bewachung jeder meiner Bewegungen teilten. Da ich nicht darauf brannte, mit ihren Fängen in Berührung zu kommen, saß ich still; aber weil ich mir einbildete, sie verstünden stumme Beleidigungen kaum, erlaubte ich mir unglücklicherweise, mit den Augen zu zwinkern und dem Trio Gesichter zu schneiden, und eine Grimasse brachte die Hundedame so auf, dass sie plötzlich in Wut geriet und auf meine Knie sprang. Ich schleuderte sie zurück und beeilte mich, den Tisch zwischen uns zu bringen. Dieser Vorgang brachte die ganze Meute auf die Beine. Ein halbes Dutzend vierfüssiger Furien, verschieden in Alter und Grösse, kam aus verborgenen Winkeln hervor bis in die Mitte des Raumes. Auf meine Stiefelabsätze und Rockschöße hatten sie es besonders abgesehen, und während ich die grösseren Angreifer, so gut es ging, mit dem Schüreisen abwehrte, sah ich mich gezwungen, laut nach jemand im Hause um Hilfe zu rufen, um den Frieden wiederherzustellen.
Mr. Heathcliff und sein Knecht stiegen die Kellertreppe mit aufreizender Ruhe herauf; ich glaube nicht, dass sie sich um eine Sekunde schneller bewegten als sonst, obwohl am Herdplatz ein wahres Unwetter von Toben und Kläffen war. Zum Glück bewies eine Bewohnerin der Küche mehr Eile: eine lebhafte Frauensperson mit aufgeschürztem Kleid, nackten Armen und feuererhitzten Wangen stürzte, eine Bratpfanne schwingend, mitten unter uns und gebrauchte diese Waffe und ihre Zunge so erfolgreich, dass der Sturm sich wie durch Zauber legte und sie allein bewegt blieb wie die See nach einem Unwetter, als ihr Herr den Schauplatz betrat.
»Was zum Teufel ist hier los?« fragte er und blickte mich in einer Weise an, die ich nach dieser ungastlichen Behandlung schlecht ertragen konnte.
»Was zum Teufel? Allerdings!« brummte ich. »Die Schweineherde in der Bibel war sicherlich von keinem schlimmeren Geist besessen als Ihre Tiere hier. Geradesogut könnten Sie einen Fremden mit einer Tigerbrut allein lassen.«
»Sie tun keinem etwas zuleide, der nichts anfasst«, bemerkte er, während er die Flasche vor mich hinstellte und den verschobenen Tisch zurechtrückte. »Die Hunde sind in ihrem Recht, wenn sie wachsam sind. – Nehmen Sie ein Glas Wein?«
»Nein, danke!«
»Sie sind doch nicht gebissen worden?«
»Wenn ich es wäre, hätte ich dem Beisser einen Denkzettel gegeben.«
Heathcliffs Gesicht entspannte sich in einem Grinsen. »Na, na«, sagte er, »Sie sind aufgeregt, Mr. Lockwood! Hier, trinken Sie ein Glas Wein. Gäste sind in diesem Hause so selten, dass ich und meine Hunde – das gebe ich zu kaum wissen, wie man sie empfängt. Zum Wohl, Mr. Lockwood!«
Ich verbeugte mich und trank ihm zu, denn ich sah ein, dass es töricht gewesen wäre, wegen des schlechten Betragens dieses Hundevolks zu schmollen. Überdies hatte ich keine Lust, dem Manne Gelegenheit zu geben, sich weiter über mich lustig zu machen, zumal er in der Stimmung dazu war.
Er, wohl von der Erwägung ausgehend, dass es unklug sei, einen guten Pächter zu beleidigen, mäßigte ein wenig seine Art, die Wörter einzeln abgehackt hervorzustoßen, und leitete zu einem Gegenstand über, von dem er annahm, dass er mich interessierte, einem Gespräch über die Vorteile und Nachteile meines neuen Wohnortes. Ich fand ihn sehr bewandert in den Dingen, die wir berührten, und bevor ich nach Hause ging, war ich so weit ermutigt, dass ich mich aus freien Stücken für morgen wieder ansagte. Er wünschte augenscheinlich keine Wiederholung des Besuchs, doch werde ich trotzdem hingehen. Es ist erstaunlich, wie gesellig ich mir, mit ihm verglichen, vorkomme.
GESTERN NACHMITTAG setzten Nebel und Kälte ein. Ich hatte halb und halb Lust, in meinem Studierzimmer am Kamin zu bleiben, anstatt durch Heide und Lehmboden nach Wuthering Heights zu waten. Als ich jedoch vom Mittagessen aufstand (nebenbei bemerkt, ich esse zwischen zwölf und ein Uhr; die Haushälterin, eine ältere Frau, die ich laut Vereinbarung zugleich mit dem Hause übernommen hatte, konnte oder wollte meine Bitte, um fünf Uhr zu speisen, nicht begreifen), als ich also mit diesem bequemen Vorsatz die Treppe hinaufging und das Zimmer betrat, kniete dort, inmitten von Bürsten und Kohleneimern, eine Dienstmagd am Boden, die mit Haufen von Asche die Flammen erstickte und dabei einen höllischen Staub aufwirbelte. Dieser Anblick ließ mich augenblicklich entweichen; ich nahm meinen Hut und langte nach einem Marsch von vier Meilen bei Heathcliffs Gartenpforte an, gerade zur rechten Zeit, den ersten wirbelnden Flocken eines Schneegestöbers zu entrinnen.
Auf dieser kahlen Höhe war die Erde hart gefroren, und die kalte Luft ließ mich am ganzen Körper erschauern. Da ich die Kette nicht lösen konnte, sprang ich über den Zaun, lief den von Stachelbeersträuchern gesäumten gepflasterten Damm entlang und klopfte, vergeblich Einlass begehrend, an das Tor, bis meine Knöchel schmerzten und die Hunde heulten.
›Elende Bande!‹ knirschte ich innerlich, ›ihr verdientet, für eure flegelhafte Ungastlichkeit ewig von euresgleichen gemieden zu werden! Zum mindesten würde ich meine Tür während des Tages nicht verriegeln. Mir ganz gleich – ich will hinein!‹ Mit diesem Entschluss fasste ich die Klinke und rüttelte heftig daran. Es dauerte noch eine Weile, bis das essigsaure Gesicht Josephs in einem runden Fenster der Scheune erschien.
»Was wolln Sie?« schrie er mich an. »Der Herr is drunten aufm Feld. Gehn Sie doch hinten rum, wenn Sie ’n sprechen wolln.«
»Ist denn niemand im Haus, der die Tür öffnen kann?« schrie ich zurück.
»Nee, nur die Frau, und die macht nich auf, und wenn Sie bis heut nacht weitertoben.«
»Warum nicht? Können Sie ihr nicht sagen, wer ich bin, he, Joseph?«
»Nee, ich nich! Ich will nix mit zu tun ham«, murmelte er, und der Kopf verschwand.
Der Schnee begann dichter zu fallen. Ich ergriff die Klinke, um noch einen Versuch zu machen, als ein junger Mann ohne Rock mit geschulterter Heugabel hinten im Hof erschien. Er rief mir zu, ihm zu folgen, und nachdem wir durch ein Waschhaus und einen gepflasterten Hof, an einem Kohlenschuppen, einer Pumpe und einem Taubenschlag vorbeigegangen waren, landeten wir endlich in dem großen, warmen, schönen Zimmer, in dem ich zuerst empfangen worden war. Es erstrahlte wohltuend im Schein eines gewaltigen Feuers, das von Kohle, Torf und Holz genährt wurde. Am Tisch, der für eine reichliche Abendmahlzeit gedeckt war, bemerkte ich zu meiner Freude die ›Frau‹, ein Wesen, von dessen Vorhandensein ich bis dahin nichts geahnt hatte. Ich verbeugte mich und wartete, in der Meinung, sie würde mir einen Platz anbieten. Sie blickte mich an, lehnte sich im Stuhl zurück und verharrte bewegungslos und stumm.
»Unfreundliches Wetter!« bemerkte ich: »Ich fürchte, Mrs. Heathcliff, die Tür wird infolge der lässigen Aufmerksamkeit Ihrer Diener etwas abbekommen haben. Es war ein verteufeltes Stück Arbeit, bis sie mich gehört haben!«
Sie öffnete den Mund nicht. Ich starrte sie und sie starrte mich an. Jedenfalls ließ sie ihre Augen auf eine kühle, unbekümmerte Art auf mir ruhen, die äusserst verwirrend und unangenehm war.
»Setzen Sie sich!« sagte der junge Mann mürrisch. »Er wird bald hier sein.«
Ich gehorchte, räusperte mich und lockte die böse Juno, die bei diesem zweiten Zusammentreffen geruhte, die äusserste Spitze ihres Schwanzes zu bewegen, als Zeichen, dass sie sich meiner Bekanntschaft erinnerte.
»Ein prachtvolles Tier!« begann ich von neuem. »Werden Sie die Jungen abgeben, gnädige Frau?«
»Sie gehören nicht mir«, sagte die liebenswürdige Wirtin noch abweisender, als selbst Heathcliff hätte antworten können. »O, dann sind wohl das dort Ihre Lieblinge?« fuhr ich fort und wies auf ein dunkles Kissen, auf dem anscheinend Katzen lagen.
»Eine sonderbare Auswahl von Lieblingen!« bemerkte sie verächtlich.
Unglücklicherweise war es ein Haufen toter Kaninchen. Ich räusperte mich noch einmal, rückte näher an den Kamin und wiederholte meine Bemerkung über den stürmischen Abend. »Sie hätten nicht ausgehen sollen«, sagte sie, stand auf und langte nach zwei von den bemalten Blechdosen auf dem Kaminsims.
Vorher war sie dem Licht abgewendet gewesen; jetzt erhielt ich einen klaren Eindruck von ihrer Gestalt und ihrem Gesicht. Sie war schlank und anscheinend kaum dem Kindesalter entwachsen, hatte die wundervollste Figur und das reizendste kleine Gesicht, das ich jemals gesehen habe; feine Züge, sehr schön; flachsblonde, nein, eigentlich goldene Locken, die lose über ihren zarten Nacken fielen; Augen, die unwiderstehlich gewesen wären, wenn sie einen angenehmen Ausdruck gehabt hätten. Zum Glück für mein empfängliches Herz schwankte das einzige Gefühl, das sie ausdrückten, zwischen Verachtung und einer Art Verzweiflung, und diese dort anzutreffen, mutete ganz besonders unnatürlich an.
Die Blechdosen waren für sie kaum zu erreichen; ich machte eine Bewegung, um ihr zu helfen, aber sie fuhr herum wie ein Geizhals, dem jemand beim Geldzählen helfen wollte.
»Ich brauche Ihre Hilfe nicht«, fuhr sie mich an, »ich kann sie allein herunterholen.«
»Verzeihen Sie!« beeilte ich mich zu entgegnen.
»Sind Sie zum Tee eingeladen?« fragte sie, während sie sich eine Schürze über ihr elegantes schwarzes Kleid band und einen Löffel voll Teeblätter über den Topf hielt.
»Ich würde gern eine Tasse trinken«, erwiderte ich. »Sind Sie eingeladen?« wiederholte sie.
»Nein«, sagte ich lächelnd. »Vielleicht haben Sie die Güte, es zu tun.«
Sie schleuderte den Tee, den Löffel und alles übrige zurück, nahm ärgerlich ihren Platz wieder ein, runzelte die Stirn und schob ihre rote Unterlippe vor, wie ein Kind, das weinen will. Unterdessen hatte der junge Mann einen äusserst schäbigen Rock angezogen, stellte sich aufrecht vor das Feuer und blickte aus den Augenwinkeln auf mich herab, als ob eine tödliche Fehde unausgetragen zwischen uns bestünde. Ich schwankte, ob er ein Knecht war oder nicht, sowohl seine Kleidung wie seine Sprache waren primitiv, und es fehlte ihnen gänzlich die Überlegenheit Mr. und Mrs. Heathcliffs. Seine dichten braunen Locken waren widerspenstig und ungepflegt, ein Vollbart bedeckte seine Wangen wie ein Pelz, und seine Hände waren sonnengebräunt wie die eines einfachen Landarbeiters. Und doch war sein Auftreten sicher, fast stolz, und die Art, wie er die Frau des Hauses behandelte, bekundete keine dienerhafte Unterwürfigkeit. In Unkenntnis seiner Stellung hielt ich es für das beste, sein merkwürdiges Verhalten nicht zu beachten, und fünf Minuten später befreite mich Heathcliffs Eintritt in gewissem Grade aus diesem unbehaglichen Zustand.
»Wie Sie sehen, Mr. Heathcliff, bin ich, meinem Versprechen gemäß, gekommen«, rief ich mit gespielter Munterkeit aus, »und ich fürchte, ich werde für eine halbe Stunde durch das Wetter festgehalten werden, wenn Sie mir während dieser Zeit Obdach gewähren können.«
»Eine halbe Stunde?« meinte er und schüttelte die weissen Flocken von seinen Kleidern. »Ich möchte wissen, warum Sie sich einen Schneesturm zum Umherstreifen aussuchen. Wissen Sie, dass Sie Gefahr laufen, sich im Moore zu verirren? Selbst Leute, die mit unseren Sümpfen vertraut sind, kommen an solchen Abenden oft vom Wege ab, und ich sage Ihnen, dass im Augenblick keine Aussicht auf eine Änderung besteht.«
»Vielleicht darf ich einen Ihrer Burschen als Führer haben, und er kann bis morgen früh in meinem Gehöft bleiben. Können Sie jemanden entbehren?«
»Nein, das kann ich nicht.«
»Ach, wirklich? Nun, dann muss ich mich eben auf meinen eigenen Scharfsinn verlassen.«
»Hm!«
»Wirst du jetzt den Tee aufgiessen?« fragte der im schäbigen Rock und ließ seine wilden Blicke von mir zu der jungen Dame wandern.
»Soll er welchen haben?« fragte sie, sich an Heathcliff wendend.
»Mach los!« war die in einem so wütenden Tone vorgebrachte Antwort, dass ich auffuhr. Der Ton, in dem die Worte gesprochen wurden, offenbarte unverhüllte Bosheit, und ich fühlte mich nicht mehr geneigt, Heathcliff einen famosen Burschen zu nennen.
Als der Tee fertig war, lud er mich mit den Worten ein: »Na, dann rücken Sie Ihren Stuhl heran!« Wir alle, auch der bäuerliche junge Mann, vereinigten uns um den Tisch, und während wir uns mit der Mahlzeit beschäftigten, herrschte ein unfreundliches Schweigen.
Ich hielt mich zu einem Versuch verpflichtet, die Wolke, deren Ursache ich gewesen war, zu verscheuchen. Sie konnten doch nicht alle Tage so düster und schweigsam dasitzen; es war unmöglich, wie schlecht gelaunt sie auch sein mochten, dass der gemeinsame finstere Ausdruck ihr alltägliches Gesicht war! »Es ist seltsam«, begann ich in der Pause zwischen zwei Tassen Tee, »Es ist seltsam, wie stark Gewohnheit unsere Neigungen und Vorstellungen formt. Manch einer könnte sich kein Glück denken in einem Leben völliger Abgeschiedenheit von der Welt, wie Sie es führen, Mr. Heathcliff. Und doch wage ich zu behaupten, dass, umgeben von Ihrer Familie und mit Ihrer liebenswürdigen Hausfrau, die in Ihrem Heim und Herzen regiert…«
»Meine liebenswürdige Hausfrau?« unterbrach er mich mit einem geradezu teuflischen Hohnlachen im Gesicht. »Wo ist sie, meine liebenswürdige Hausfrau?«
»Ich meine Mrs. Heathcliff, Ihre Frau.«
»Ach so! Also Sie wollten andeuten, dass ihr Geist die Obliegenheiten eines Schutzengels übernommen hat und die Schätze von Wuthering Heights bewacht, obwohl ihr Leib dahin ist. War es so?«
Ich merkte, dass ich einen Fehler begangen hatte, und versuchte, ihn wiedergutzumachen. Ich hätte sehen müssen, dass der Altersunterschied zwischen den beiden zu groß war, als dass man sie für Mann und Frau hätte halten können. Er war etwa vierzig, ein Alter geistiger Kraft, in dem Männer sich selten der Täuschung hingeben, dass ein Mädchen sie aus Liebe heiraten könnte; dieser Traum ist uns als Trost für unseren Lebensabend vorbehalten. Sie sah aus wie höchstens siebzehn. Da blitzte es in mir auf: Der Tölpel an meiner Seite, der seinen Tee aus einem Napf trinkt und sein Brot mit ungewaschenen Händen isst, ist vielleicht ihr Mann. Natürlich, Heathcliff junior. Das ist die Folge des Lebendigbegrabenseins: sie hat sich an diesen Bauernlümmel weggeworfen aus lauter Unkenntnis, dass es noch bessere Männer gibt! Wie schade! – Ich muss vorsichtig sein und ihr keine Ursache geben, ihre Wahl zu be–reuen. – Diese letzte Überlegung mag eingebildet klingen, sie war es nicht. Mein Nachbar erfüllte mich fast mit Abscheu; aus Erfahrung wusste ich, dass ich leidlich anziehend wirkte. »Mrs. Heathcliff ist meine Schwiegertochter«, sagte Heathcliff, meine Vermutung bestätigend. Während er sprach, warf er einen eigentümlichen Blick in ihre Richtung, einen hasserfüllten Blick, es wäre denn, dass er über höchst eigenwillige Gesichtsmuskeln verfügte, die nicht, wie die anderer Leute, die Sprache der Seele erkennen lassen.
»O natürlich – ich verstehe: Sie sind der glückliche Gefährte der guten Fee«, bemerkte ich, mich an meinen Nachbar wendend.
Das war schlimmer als alles Vorhergehende! Der junge Mann wurde puterrot und ballte die Fäuste mit allen Anzeichen eines beabsichtigten Angriffs. Aber schließlich schien er sich zu fassen und unterdrückte den Sturm mit einem auf mich gemünzten Fluch, den ich zu überhören suchte.
»Sie haben Pech mit Ihren Vermutungen«, bemerkte mein Wirt; »keiner von uns hat den Vorzug, der Gefährte Ihrer guten Fee zu sein; ihr Mann ist tot. Ich sagte, dass sie meine Schwiegertochter sei, daher muss sie meinen Sohn geheiratet haben.«
»Und dieser junge Mann ist…«
»Ganz gewiss nicht mein Sohn!« Heathcliff lächelte wieder, als ob es ein allzu kühner Scherz sei, ihm die Vaterschaft an diesem Bären zuzuschreiben.
»Mein Name ist Hareton Earnshaw«, knurrte der andere, »und ich rate Ihnen, Achtung davor zu haben!«
»Ich habe es nicht daran fehlen lassen«, entgegnete ich, innerlich über die Würde lachend, mit der er sich vorstellte.
Er starrte mich an, länger, als ich den Blick aushalten konnte, aus Furcht vor der Versuchung, ihm entweder eine Ohrfeige zu versetzen oder meine Heiterkeit zu verraten. Ich fühlte mich in diesem angenehmen Familienkreise durchaus fehl am Platze. Die düstere seelische Atmosphäre überwog die warme äussere Behaglichkeit um mich her, und ich beschloss, mich auf keinen Fall ein drittes Mal unter dieses Dach zu begeben. Die Mahlzeit war beendet, und da niemand zu geselliger Unterhaltung Neigung zeigte, ging ich ans Fenster, um nach dem Wetter zu sehen. Es war ein trostloser Anblick: die Nacht war vorzeitig hereingebrochen, der Himmel und die Berge schwammen in dem heftigen Wirbel des Windes und des alles begrabenden Schnees.
»Jetzt glaube ich selbst, dass ich ohne Führer nicht nach Hause zurückfände«, entfuhr es mir unwillkürlich, »die Straßen werden bereits verschneit sein, und selbst wenn sie es nicht wären, könnte ich sie kaum einen Schritt weit erkennen.«
»Hareton, treibe die zwölf Schafe in die Scheune! Sie werden einschneien, wenn sie die ganze Nacht in der Hürde bleiben. Lege auch eine Planke vor!« sagte Heathcliff.
»Was soll ich nur tun?« fragte ich mit aufsteigendem Ärger. Es kam keine Antwort auf meine Frage. Als ich mich umblickte, sah ich nur Joseph, der einen Eimer mit Grütze für die Hunde hereinbrachte, und Mrs. Heathcliff, die sich über das Feuer beugte und sich die Zeit damit vertrieb, ein Bündel Schwefelhölzer zu verbrennen, das vom Kaminsims heruntergefallen war, als sie die Teedosen an ihren Platz zurückgestellt hatte.
Als er seine Last abgesetzt hatte, unterzog Joseph das Zimmer einer kritischen Prüfung und stiess in krächzendem Tone hervor: »Möcht wissen, was das für ’ne Mode is, müssig dazustehn und zu gucken, wie alle auslöschen! Aber Sie sind zu nix nutze, und ’s hat kein Zweck, drüber zu reden. Sie wem Ihre schlechten Gewohnheiten nie lassen. Gehn Sie zum Teufel wie Ihre Mutter!«
Ich glaubte einen Augenblick lang, dass diese Rede an mich gerichtet sei, und ging, zur Genüge erbost, auf den alten Kerl zu mit der Absicht, ihn zur Tür hinauszuwerfen. Mrs. Heathcliff jedoch hinderte mich daran durch ihre Antwort.
»Du schändlicher alter Heuchler!« schrie sie. »Hast du nicht jedesmal Angst, dass dich der Teufel bei lebendigem Leibe holt, wenn du seinen Namen aussprichst? Ich warne dich davor, mich zu reizen, sonst werde ich als ganz besondere Gunst darum bitten, dass er dich holt. Halt! Sieh her, Joseph«, fuhr sie fort und nahm ein großes, dunkles Buch von einem Brett, »ich werde dir zeigen, wie weit ich in der Schwarzen Kunst fortgeschritten bin: ich bin bald so weit, dass ich das Haus säubern kann. Die rote Kuh ist nicht durch Zufall eingegangen, und dein Rheumatismus kann auch nicht gerade zu den glücklichen Heimsuchungen gerechnet werden!«
»Du schlechtes, schlechtes…!« keuchte der Alte. »Der Herr erlöse uns von dem Übel!«
»Nein, Verworfener! Du bist ein Auswurf! Scher dich weg, oder ich tu dir etwas Schlimmes an! Ich werde euch alle in Wachs und Ton modellieren lassen, und der erste, der die Grenze überschreitet, die ich setze, wird… ich werde nicht sagen, was mit ihm geschehen wird, aber du wirst schon sehen! Geh, ich habe ein Auge auf dich!«
Die kleine Hexe legte einen Ausdruck gespielter Bosheit in ihre schönen Augen, und Joseph, in ehrlichem Entsetzen zitternd, eilte hinaus und betete dabei und stiess das Wort ›schlecht‹ hervor. Ich glaubte, ihr Benehmen sei nur der Ausdruck einer derben Spottlust, und als wir wieder allein waren, bemühte ich mich, sie für meinen Kummer zu interessieren. »Mrs. Heathcliff«, sagte ich ernst, »Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie belästige. Ich wage es, weil ich sicher bin, dass Sie, mit solchem Gesicht, gar nicht anders als gütig sein können. Geben Sie mir einen Wink, wie ich den Weg nach Hause finden kann. Ich weiss ebensowenig, wie ich heimkommen soll, wie Sie den Weg nach London fänden!«
»Gehen Sie denselben Weg, den Sie gekommen sind!« erwiderte sie und machte es sich in einem Stuhl bequem, eine Kerze und ein großes, aufgeschlagenes Buch vor sich. »Es ist ein kurzer Rat, aber der vernünftigste, den ich Ihnen geben kann.«
»Wenn Sie morgen hören, dass man mich im Sumpf oder in einer Grube voll Schnee tot aufgefunden hat, wird dann Ihr Gewissen Ihnen nicht zuraunen, dass Sie einen Teil Schuld daran tragen?«
»Wieso? Ich kann Sie nicht begleiten. Die würden mich nicht einmal bis zur Gartenmauer gehen lassen.«
»Sie? Wie könnte ich es wagen, Sie zu bitten, meinetwegen in einer solchen Nacht den Fuß über die Schwelle zu setzen!« rief ich. »Ich bitte, dass Sie mir den Weg beschreiben, nicht zeigen, oder dass Sie Mr. Heathcliff veranlassen, mir einen Führer zu stellen.«
»Wen? Hier wohnen er selbst, Earnshaw, Zillah, Joseph und ich. Wen wollen Sie haben?«
»Gibt es keine Burschen auf dem Gut?«
»Nein, das sind alle.«
»Das bedeutet also, dass ich gezwungen bin hierzubleiben.«
»Das müssen Sie mit Ihrem Wirt abmachen. Ich habe nichts damit zu tun.«
»Ich hoffe, es wird Ihnen eine Lehre sein, keine übereilten Ausflüge mehr auf diese Höhe zu machen«, rief Heathcliffs scharfe Stimme vom Kücheneingang her. »Was Ihr Hierbleiben betrifft – ich bin nicht auf das Unterbringen von Gästen eingerichtet. Sie müssen das Bett mit Hareton teilen oder mit Joseph, wenn Sie das wollen.«
»Ich kann auf einem Stuhl in diesem Zimmer schlafen«, entgegnete ich.
»Nein, nein! Ein Fremder ist ein Fremder, sei er reich oder arm; es passt mir nicht, dass irgend jemand sich hier aufhält, solange ich ihn nicht bewachen kann«, sagte dieser unverschämte Kerl.
Bei dieser Beleidigung war meine Geduld zu Ende. Ich stiess einen Laut der Wut hervor, drängte mich an ihm vorbei zum Hof und rannte in meiner Hast gegen Earnshaw. Es war so dunkel, dass ich den Ausgang nicht erkennen konnte, und als ich rundherum ging, erhielt ich eine neue Probe der höflichen Formen, mit denen sie untereinander verkehrten. Zuerst erschien der junge Mann, um mir behilflich zu sein.
»Ich werde mit ihm bis ans Ende des Parkes gehen«, sagte er.
»Du wirst den Teufel tun!« rief sein Herr oder was er sonst für ihn sein mochte. »Wer soll nach den Pferden sehen, he?«
»Ein Menschenleben ist wichtiger, als einmal die Pferde nicht zu versorgen; jemand muss doch gehen«, sagte Mrs. Heathcliff freundlicher, als ich erwartete.
»Nicht, wenn du es befiehlst«, versetzte Hareton. »Wenn dir an ihm liegt, hieltest du besser den Mund.«
»Dann hoffe ich, dass sein Geist dich verfolgt und dass Mr. Heathcliff nie wieder einen Pächter findet, bis das Gehöft zerfallen ist!« erwiderte sie scharf.
»Hört, hört! Sie flucht ihnen!« murmelte Joseph, auf den ich zugesteuert war.
Er saß so, dass er uns hören konnte, und molk die Kühe beim Licht einer Laterne, die ich ohne Umstände ergriff. Ich rief ihm zu, dass ich sie am nächsten Morgen zurückschicken würde, und stürzte der nächsten Hintertür zu.
»Herr, Herr, er stiehlt die Laterne!« schrie der Alte und verfolgte mich auf meiner Flucht. »He, Gnasher, he, Hunde, he, Wolf, fass, fass!«
Als ich die kleine Tür öffnete, sprangen mir zwei zottige Ungeheuer an die Kehle, warfen mich zu Boden und löschten das Licht aus, während ein schallendes Gelächter von Heathcliff und Hareton meiner Wut und meiner Demütigung die Krone aufsetzte. Glücklicherweise schienen die Bestien mehr dazu geneigt zu sein, ihre Pfoten zu spreizen, zu gähnen und mit den Schweifen zu wedeln, als mich bei lebendigem Leibe zu zerreissen. Aber dass ich mich aufrichtete, duldeten sie nicht, und ich musste still liegen bleiben, bis es ihren boshaften Herren beliebte, mich zu befreien. Ohne Hut, zitternd vor Wut, verlangte ich dann von den Übeltätern, mich hinauszulassen; wenn sie mich noch eine Minute länger zurückhielten, würden sie es zu bereuen haben. Dieses bekräftigte ich mit unzusammenhängenden Drohungen von Wiedervergeltung, die in ihrer abgrundtiefen Bosheit an König Lear gemahnten.
Vor Aufregung bekam ich starkes Nasenbluten, und immer noch lachte Heathcliff, und ich schimpfte. Ich weiss nicht, wie dieser Auftritt geendet hätte, wäre nicht eine Person zur Hand gewesen, die vernünftiger als ich und wohlmeinender als meine Gastgeber war. Es war Zillah, die dicke Haushälterin, die erschien, um sich nach dem Grund des Aufruhrs zu erkundigen. Sie glaubte, jemand hätte Hand an mich gelegt, und da sie nicht wagte, ihren Herrn anzugreifen, richtete sie ihr Wortgeschütz gegen den jüngeren Flegel.
»Na, Mr. Earnshaw«, schrie sie, »ich bin gespannt, was Sie nächstens noch anstellen werden! Sollen hier auf diesem Hofe Leute ermordet werden? Nein, in diese Wirtschaft passe ich nicht! Sehen Sie doch den armen Menschen an, der ist ja fast erwürgt worden! Kommen Sie, ich will Ihnen helfen. Nun halten Sie mal still!«
Mit diesen Worten goss sie mir plötzlich eiskaltes Wasser in den Nacken und zog mich in die Küche. Mr. Heathcliff folgte, und seine jäh ausgebrochene Heiterkeit machte ebenso schnell seinem gewöhnlichen mürrischen Wesen Platz.
Ich fühlte mich sehr schwach, schwindlig und einer Ohnmacht nahe, und es blieb mir nichts anderes übrig, als Beherbergung unter seinem Dach anzunehmen. Er wies Zillah an, mir ein Glas Branntwein zu geben, und ging in das innere Zimmer zurück. Während sie mir ihre Teilnahme an meiner bedauernswerten Lage ausdrückte, kam sie seiner Anweisung nach, und als ich mich durch den Branntwein etwas belebt fühlte, geleitete sie mich zu Bett.
WÄHREND SIE mich die Treppe hinaufführte, riet sie mir, die Kerze zu verbergen und keinen Lärm zu machen; denn ihr Herr mache merkwürdig viel Wesen um das Zimmer, in das sie mich führen wolle, und würde gutwillig niemand dort wohnen lassen. Ich fragte sie nach dem Grund. Sie wisse ihn nicht, war die Antwort; sie sei erst seit ein oder zwei Jahren hier, und die Leute seien oft so wunderlich, dass sie nicht neugierig sein wolle.
Ich selbst war zu betäubt, als dass ich neugierig sein konnte, schloss meine Tür und sah mich nach dem Bett um. Die ganze Einrichtung bestand aus einem Stuhl, einem Kleiderschrank und einem großen Kasten aus Eichenholz, aus dessen oberem Teil Vierecke herausgeschnitten waren, die wie Wagenfenster aussahen. Ich ging auf das Ungetüm zu, um hineinzublicken, und entdeckte, dass es eine besondere Art altmodischer Lagerstätte war, äusserst zweckdienlich erdacht, damit nicht jedes Familienmitglied ein eigenes Zimmer brauchte. Es bildete ein richtiges kleines Kabinett, und der Sims eines Fensters diente als Tisch. Ich schob die getäfelten Schiebetüren beiseite, kroch mit meinem Licht hinein, schob sie wieder zusammen und fühlte mich vor Heathcliffs Wachsamkeit und aller Welt sicher.
In einer Ecke des Simses, auf den ich meine Kerze stellte, waren einige stockfleckige Bücher aufgestapelt, und in seinen Anstrich waren überall Schriftzeichen eingeritzt. Diese Zeichen aber bildeten alle nur einen Namen, der sich in allen Arten von Buchstaben, großen und kleinen, wiederholte: hier Catherine Earnshaw, da in Catherine Heathcliff umgewandelt, und dort wiederum in Catherine Linton.
In stumpfer Teilnahmslosigkeit lehnte ich meinen Kopf gegen das Fenster und buchstabierte immer wieder Catherine Earnshaw – Heathcliff – Linton, bis mir die Augen zufielen. Aber noch nicht fünf Minuten waren verstrichen, als ein Schimmer von weissen Buchstaben, lebendig wie Gespenster, aus dem Dunkel hervortrat. Die Luft war erfüllt von Catherinen, und als ich mich aufrichtete, um den aufdringlichen Namen zu bannen, entdeckte ich, dass der Docht meiner Kerze sich über einen der alten Bücherbände geneigt und dass sich der Raum mit dem Geruch angebrannten Kalbleders gefüllt hatte. Ich schneuzte das Licht, und da ich mich infolge der Kälte und einer aufsteigenden Übelkeit sehr elend fühlte, setzte ich mich auf und nahm den beschädigten Band auf meine Knie. Es war ein Testament in kleinem Druck, das schrecklich modrig roch. Das Vorsatzpapier trug die Inschrift ›Dies Buch gehört Catherine Earnshaw‹ und ein Datum, das etwa ein Vierteljahrhundert zurücklag. Ich klappte es zu und nahm ein anderes und noch ein anderes zur Hand, bis ich sie alle durchgesehen hatte. Catherines Bibliothek war erlesen, und der Zustand der Abnutzung, in dem sie sich befand, bewies, dass sie viel gebraucht worden war, allerdings nicht immer ihrer eigentlichen Bestimmung gemäß. Kaum ein Kapitel war frei von Randbemerkungen in Tintenschrift, die jeden Platz, den der Drucker frei gelassen hatte, ausfüllten. Manche von ihnen bestanden aus losen Sätzen, andere wieder stellten eine Art von regelrechtem Tagebuch dar, das in unausgeschriebener Kinderhand hingekritzelt war. Auf einer freien Seite (die einst wahrscheinlich wie ein Schatz entdeckt worden war) erblickte ich oben zu meinem großen Vergnügen eine ausgezeichnete Karikatur meines Freundes Joseph, roh, aber wirkungsvoll skizziert. Ein plötzliches Interesse für die unbekannte Catherine loderte in mir auf, und ich begann sogleich, ihre verblassten Schriftzüge zu entziffern. »Ein furchtbarer Sonntag!« begann der Absatz unter der Zeichnung. »Ich wünschte, mein Vater wäre wieder da. Hindley ist ein unausstehlicher Ersatz für ihn. Sein Benehmen Heathcliff gegenüber ist abscheulich. H. und ich werden aufmucken. Wir haben heute abend den ersten Schritt dazu getan. Den ganzen Tag hatte es in Strömen geregnet, und wir konnten nicht in die Kirche gehen, darum musste Joseph unbedingt eine Gemeinde in der Dachstube zusammentrommeln. Während Hindley sich mit seiner Frau vor einem behaglichen Feuer wärmte – ich bürge dafür, dass sie nichts anderes taten als in ihren Bibeln lesen –, wurde Heathcliff, mir und dem unglücklichen Ackerknecht befohlen, unsere Gebetbücher zu nehmen und hinaufzugehen. Wir wurden in einer Reihe auf einen Kornsack gesetzt, ächzend und vor Kälte klappernd, und hofften, Joseph würde auch frieren und uns in seinem eigenen Interesse eine kurze Predigt halten. Vergebliche Hoffnung! Der Gottesdienst dauerte genau drei Stunden. Und dann hatte mein Bruder die Stirn, als er uns herunterkommen sah, zu rufen: ›Was, schon fertig?‹ An Sonntagabenden wurde uns gewöhnlich erlaubt, zu spielen, wenn wir nicht viel Lärm machten; jetzt genügt schon ein Kichern, in die Ecke gestellt zu werden!
›Ihr vergesst, dass ihr hier euren Herrn habt‹, sagte der Tyrann. ›Den ersten, der mich reizt, schlage ich nieder! Ich bitte mir völligen Ernst und Ruhe aus. Junge, warst du das? Frances, Liebling, zieh ihn an den Haaren, wenn du vorbeigehst, er hat mit den Fingern geschnippt.‹ Frances zog ihn herzhaft an den Haaren, dann ging sie und setzte sich auf den Schoß ihres Mannes, und so blieben sie, wie zwei kleine Kinder, küssten sich und redeten stundenlang Unsinn – närrisches Geschwätz, dessen wir uns geschämt hätten. Wir drängten uns, so dicht es ging, in die Nische unter der Anrichte. Ich hatte gerade unsere Kinderschürzen zusammengebunden und sie als Vorhang angebracht, als Joseph mit einer Bestellung aus dem Stall hereinkam. Er reisst mein Machwerk herunter, zieht mich an den Ohren und krächzt: ›Der Herr is grad erscht begraben und der Sonntag noch nich zu Ende, un de Worte vons Evangelium noch in eure Ohren, un ihr wagt zu spielen! Pfui über euch! Setzt euch hin, schlechte Kinder! ’s gibt genug gute Bücher, wenn ihr lesen wollt. Setzt euch hin und denkt an eure Seelen!‹
So schalt er und zwang uns, uns so zu setzen, dass uns von dem entfernten Feuer ein schwacher Schein treffen konnte und uns den Text der Schwarten zeigte, die er uns aufdrängte. Ich konnte diese Beschäftigung nicht leiden. Ich ergriff den schmutzigen Band am Rücken, schleuderte ihn in die Hundehütte und schrie, ich hasste gute Bücher. Heathcliff versetzte dem seinen einen Fußtritt, so dass es in die gleiche Richtung flog. Und dann gab es einen Aufruhr.
›Mr. Hindley‹, schrie unser Geistlicher, ›komm Se her! Miss Cathy hat ’n Rücken von Die Krone des Heils‹ abgerissen, un Heathcliff hat seine Wut am ersten Teil von ›Die breite Straße zur Verdammnis‹ ausgelassen! ’s is schändlich von Sie, dass Sie ihnen so den Willen lassen. Oh, der alte Herr hätt se tüchtig durchgeprügelt – aber der lebt ja nich mehr!‹
Hindley eilte aus seinem Paradies am Kamin herbei, packte einen von uns beim Kragen, den anderen beim Arm und steckte uns beide in die hintere Küche, während Joseph uns versicherte, der Gottseibeiuns werde uns bestimmt noch holen. Mit diesem Trost kroch jedes von uns in einen anderen Winkel, um auf sein Kommen zu warten. Ich holte mir dieses Buch und ein Tintenfass vom Wandbrett, stiess die Haustür auf, um besser sehen zu können, und habe mir zwanzig Minuten lang die Zeit mit Schreiben vertrieben. Aber mein Leidensgenosse ist ungeduldig und macht den Vorschlag, wir sollten den Umhang der Melkfrau nehmen und unter seinem Schutz uns ins Moor davonmachen. Ein guter Gedanke, zumal der mürrische Alte, wenn er hereinkommt, glauben wird, seine Prophezeiung habe sich erfüllt–feuchter und kälter kann es draussen im Regen auch nicht sein!«
Ich denke, Catherine hat ihre Absicht ausgeführt, denn der nächste Satz handelte von etwas anderem: sie wurde weinerlich.
»Ich hätte es mir nie träumen lassen, dass Hindley mich jemals so zum Weinen bringen werde!« schrieb sie. »Mein Kopf schmerzt so, dass ich ihn auf dem Kissen nicht still halten kann; und doch kann ich nicht nachgeben. Armer Heathcliff! Hindley nennt ihn einen Landstreicher und will ihn nicht mehr bei uns sitzen oder mit uns essen lassen. Und er sagt, wir dürften nicht mehr miteinander spielen, und er droht, ihn aus dem Hause zu werfen, wenn wir seinen Befehlen zuwiderhandeln. Er hat unserem Vater vorgeworfen (wie durfte er?), dass er H. zu freigebig behandelt hat, und schwört, dass er ihn auf den Platz zurückweisen werde, der ihm gebühre…«
Ich begann über der verblichenen Seite einzunicken, und meine Augen wanderten vom Geschriebenen zum Gedruckten. Ich sah einen rot verzierten Titel: »Siebzigmal sieben und das erste vom einundsiebzigsten Mal. Eine erbauliche Predigt, gehalten von Hochwürden Jabes Branderham, in der Kapelle von Gimmerden Sough.« Und während ich mir, nur halb bewusst, den Kopf darüber zerbrach, was Jabes Branderham wohl aus seinem Thema machen würde, sank ich ins Bett zurück und schlief ein. Wehe über die Wirkungen des Tees und der Aufregung! Denn was sonst konnte schuld daran sein, dass ich solch eine fürchterliche Nacht verbrachte? Ich entsinne mich keiner anderen, die nur im geringsten mit dieser zu vergleichen wäre, seit ich fähig war zu leiden.
Ich fing an zu träumen, fast bevor ich aufhörte zu wissen, wo ich war. Ich glaubte, es sei Morgen und ich hätte mich, mit Joseph als Führer, auf den Weg nach Hause gemacht. Der Schnee lag ellenhoch auf unserer Straße, und während wir dahinstapften, quälte mich mein Begleiter mit ständigen Vorwürfen, weil ich keinen Pilgerstab mitgenommen hätte, ohne den ich nie in das Haus gelangen werde; dabei schwang er prahlerisch einen plumpen Knüttel, den er, soviel ich verstand, als Pilgerstab bezeichnete. Einen Augenblick lang erschien es mir widersinnig, dass ich einer solchen Waffe bedürfen sollte, um in meine eigene Wohnung zu gelangen. Dann blitzte eine neue Vorstellung in mir auf: Ich ging gar nicht nach Hause; wir gingen über Land, um den berühmten Jabes Branderham über den Text ›Siebzigmal sieben‹ predigen zu hören. Entweder Joseph oder der Prediger oder ich hatte das ›erste vom einundsiebzigsten Mal‹ verbrochen und sollte an den Pranger gestellt und exkommuniziert werden.
Wir kamen zur Kapelle. In Wirklichkeit bin ich auf meinen Spaziergängen zwei- oder dreimal daran vorübergegangen; sie liegt in einer Senke zwischen zwei Bergen, einer hochgelegenen Senke bei einem Sumpf, dessen torfig feuchte Beschaffenheit die Eigentümlichkeit haben soll, die wenigen Leichname, die dort liegen, zu erhalten. Noch ist das Dach heil geblieben, aber da die Besoldung des Geistlichen nur zwanzig Pfund im Jahr beträgt und freie Wohnung in einem Haus mit zwei Zimmern, die Gefahr laufen, in Kürze zu einem einzigen zusammenzufallen, will kein Geistlicher die Obliegenheiten des Pastors übernehmen, um so weniger, als allgemein berichtet wird, dass seine Gemeinde ihn eher verhungern ließe, als seinen Lebensunterhalt auch nur durch einen Pfennig aus ihrer Tasche zu verbessern. In meinem Traum jedoch hatte Jabes eine vollzählige und andächtige Gemeinde. Und er predigte.
Großer Gott, diese Predigt! Sie bestand aus vierhundertneunzig Abschnitten, deren jeder völlig einer der üblichen Ansprachen von der Kanzel entsprach und eine besondere Sünde behandelte. Woher er sie alle nahm, weiss ich nicht. Er hatte seine eigene Art der Auslegung, und es schien wesentlich zu sein, dass sein Nächster bei jeder Gelegenheit mehrere Sünden beging. Sie waren von der seltsamsten Art: merkwürdige Vergehen, von denen ich vorher keine Ahnung gehabt hatte.
Oh, wie müde ich wurde! Wie ich mich krümmte und gähnte, einnickte und wieder aufschrak! Wie ich mich selbst zwickte und kniff, mir die Augen rieb, wie ich aufstand und mich wieder hinsetzte und Joseph anstiess, damit er mir Bescheid sagen sollte, wenn Jabes endlich zum Schluss käme. Ich war dazu verdammt, alles mit anzuhören. Schließlich gelangte er zum ›ersten vom einundsiebzigsten Mal‹. Bei diesem Punkt überkam mich eine plötzliche Erleuchtung: ich musste aufstehen und Jabes Branderham als den Sünder brandmarken, dem kein Christ zu verzeihen braucht.
»Herr«, rief ich, »die ganze Zeit habe ich ohne Unterbrechung in diesen vier Wänden gesessen und habe die vierhundertneunzig Abschnitte Ihrer Predigt ertragen und verziehen. Siebenmal siebzigmal habe ich meinen Hut genommen und war drauf und dran, fortzugehen – siebenmal siebzigmal haben Sie mich albernerweise gezwungen, wieder niederzusitzen. Das vierhunderteinundneunzigste Mal ist zuviel. Leidensgefährten, packt ihn! Zerrt ihn herunter und reisst ihn in Fetzen, dass der Ort, der ihn kennt, ihn nicht mehr erkennen kann!«
»Du bist der Mann!« schrie Jabes nach einer feierlichen Pause und beugte sich über die Brüstung. Siebenmal siebzigmal hast du dein Gesicht zum Gähnen verzerrt, siebenmal siebzigmal habe ich mit meiner Seele Rat gepflogen. Siehe, das ist menschliche Schwäche; es soll vergeben sein! Das erste vom einundsiebzigsten Mal ist gekommen. Brüder, vollstreckt an ihm das Urteil, wie es geschrieben steht! So geschehe zur Ehre aller Seiner Heiligen!« Nach diesen abschließenden Worten stürzte die ganze Gemeinde sich wie ein Mann mit erhobenen Hirtenstäben auf mich und umzingelte mich, und da ich keine Waffe zur Verteidigung hatte, rang ich mit Joseph, meinem nächsten und wildesten Angreifer, um die seine. Im Handgemenge der Massen kreuzten sich die Knüttel; nach mir gezielte Hiebe sausten auf fremde Schädel nieder, schließlich hallte die ganze Kapelle von Schlägen und Gegenschlägen wider. Jeder kämpfte gegen jeden, und Branderham, der auch nicht müssig bleiben wollte, bewies seinen Eifer durch prasselndes Getrampel auf dem Bretterboden der Kanzel, das so laut dröhnte, dass es mich zu meiner unaussprechlichen Erleichterung weckte. Und was hatte mir den fürchterlichen Lärm vorgegaukelt? Was hatte bei dem Spektakel Jabes’ Rolle gespielt? Nur der Zweig einer Föhre, der im Sturm manchmal gegen das Fenster schlug und dessen trockene Zapfen seltsam rasselten! Argwöhnisch lauschte ich einen Augenblick, entdeckte den Störenfried und drehte mich auf die andere Seite, schlummerte ein und träumte wieder, wenn möglich noch unangenehmer als vorher.
Dieses Mal war ich mir bewusst, in dem Eichenkabinett zu liegen, und vernahm deutlich den tobenden Wind und das Schneetreiben draussen. Ich hörte auch den Föhrenzweig mit seinem aufreizenden Geräusch, das ich nun der richtigen Ursache zuschrieb; aber es ärgerte mich so sehr, dass ich beschloss, es zum Schweigen zu bringen; ich glaubte aufzustehen und mich zu bemühen, den Fensterflügel loszuhaken. Der Haken war in der Krampe festgelötet, ein Umstand, den ich im Wachen bemerkt, aber wieder vergessen hatte. »Das muss trotzdem aufhören!« murmelte ich, stiess meine Faust durch die Scheibe und streckte den Arm aus, um den lästigen Zweig zu packen. Statt dessen schlossen sich meine Finger um eine kleine, eiskalte Hand! Das schreckhafte Entsetzen eines Alpdruckes überfiel mich. Ich versuchte meinen Arm freizubekommen, aber die Hand klammerte sich daran fest, und eine todtraurige Stimme schluchzte: »Lass mich hinein, lass mich hinein!« »Wer bist du?« fragte ich und versuchte mit Macht, mich zu befreien. »Catherine Linton«, antwortete es bebend. (Warum dachte ich nur an Linton? Ich hatte zwanzigmal öfter Earnshaw gelesen als Linton.) »Ich bin wieder da, ich hatte mich im Moor verirrt!« Während es sprach, nahm ich dunkel das Gesicht eines Kindes wahr, das durch das Fenster blickte. Das Entsetzen machte mich grausam: Da es zwecklos schien, das Geschöpf abzuschütteln, zog ich sein Handgelenk an das zerbrochene Glas und rieb es hin und her, bis das Blut herunterrann und die Bettücher befleckte. Und immer noch wehklagte es: »Lass mich hinein!«, hielt mich mit zähem Griff fest und machte mich fast wahnsinnig vor Angst. »Wie kann ich denn!« sagte ich endlich. »Lass mich los, wenn ich dich einlassen soll!« Die Finger lockerten sich, ich zog meinen Arm mit einem Ruck durch das Loch zurück, türmte hastig die Bücher zu einer Pyramide davor auf und hielt mir die Ohren zu, um das klägliche Flehen nicht mehr zu hören. So hielt ich wohl eine Viertelstunde lang aus; doch kaum lauschte ich wieder, so war das traurige Weinen wieder da, das ohne Pause wimmerte. »Geh weg«, rief ich, »ich werde dich nie hereinlassen, und wenn du zwanzig Jahre bettelst!«
»Es sind zwanzig Jahre«, klagte die Stimme, »zwanzig Jahre! Ich bin seit zwanzig Jahren heimatlos!« Jetzt war draussen ein schwaches Kratzen zu vernehmen, und der Bücherstapel bewegte sich, als wenn er mir entgegenstürzen wollte. Ich versuchte aufzuspringen, konnte aber kein Glied rühren und schrie in rasendem Entsetzen laut auf. Zu meiner Bestürzung entdeckte ich, dass der Schrei nicht geträumt war.
Hastige Schritte näherten sich meiner Zimmertür, jemand stiess sie mit kräftiger Hand auf, und ein Licht schimmerte durch die Öffnungen oben an meinem Bett. Ich saß noch schaudernd da und wischte mir den Schweiss von der Stirn, da schien der Eindringling zu zögern und murmelte etwas vor sich hin. Schließlich sagte er flüsternd, offenbar ohne eine Antwort zu erwarten: »Ist jemand hier?«
Ich hielt es für das beste, meine Anwesenheit zu bekennen, denn ich erkannte Heathcliffs Stimme und fürchtete, er würde weitersuchen, wenn ich mich ruhig verhielte. Deshalb wandte ich mich um und schob die Türen auseinander. Nie werde ich die Wirkung vergessen.
Heathcliff stand in Hemd und Hose an der Tür, eine Kerze tropfte über seine Finger, und sein Gesicht war so weiss wie die Wand hinter ihm. Das erste Knacken des Holzes durchfuhr ihn wie ein elektrischer Schlag, das Licht flog weit weg aus seiner Hand, und seine Aufregung war so heftig, dass er kaum imstande war, die Kerze wieder aufzuheben.
»Es ist nur Ihr Gast, Mr. Heathcliff«, rief ich laut, denn ich wollte ihm die Demütigung ersparen, seine Feigheit noch länger zu offenbaren. »Ich hatte das Missgeschick, im Schlaf zu schreien. Ein furchtbarer Alpdruck ängstigte mich. Es tut mir leid, dass ich Sie gestört habe.«
»Hol Sie der Teufel, Mr. Lockwood! Ich wollte, Sie wären in der Hölle!« rief mein Wirt und stellte die Kerze auf einen Stuhl, weil er merkte, dass er sie nicht ruhig halten konnte. »Und wer hat Sie in dieses Zimmer gewiesen?« fuhr er fort, bohrte seine Nägel in die Handflächen und knirschte mit den Zähnen, um das Zucken seiner Kinnbacken zu unterdrücken. »Wer war das? Ich habe nicht übel Lust, ihn augenblicklich aus dem Hause zu jagen.«
»Es war Ihre Magd Zillah«, erwiderte ich, sprang aus dem Wandbett und suchte eilig meine Kleider zusammen. »Ich hätte nichts dagegen, wenn Sie es täten, Mr. Heathcliff; sie hat es reichlich verdient. Ich glaube, sie wollte auf meine Kosten wieder mal feststellen, dass es hier spukt. Das tut es! Es wimmelt hier von Gespenstern und Kobolden! Ich versichere Ihnen, Sie haben alle Ursache, den Raum zu verschließen. Niemand wird Ihnen für einen Schlummer in einer solchen Bude Dank wissen.«
»Was meinen Sie damit?« fragte Heathcliff, »und was tun Sie da? Legen Sie sich nieder bis zum Morgen, da Sie nun doch einmal hier sind. Aber um Himmels willen, machen Sie nicht noch einmal solch schrecklichen Lärm; der wäre nicht zu entschuldigen, ausser wenn Ihnen die Kehle durchgeschnitten würde!«
»Wenn die kleine Teufelin durch das Fenster hereingekommen wäre, so hätte sie mich wahrscheinlich erwürgt!« entgegnete ich. »Ich denke nicht daran, die Verfolgungen Ihrer gastlichen Ahnen noch einmal zu erdulden. War nicht der hochwürdige Jabes Branderham mütterlicherseits mit Ihnen verwandt? Und dieser Racker, Catherine Linton, oder Earnshaw, oder wie sie hiess, muss ein Wechselbalg gewesen sein, das schlechte kleine Geschöpf! Sie hat mir erzählt, sie habe seit zwanzig Jahren keine Ruhe auf Erden gefunden; ohne Zweifel die gerechte Strafe für ihre Sünden in dieser Welt!« Kaum hatte ich diese Worte herausgebracht, da erinnerte ich mich der Verbindung von Heathcliffs und Catherines Namen in dem Buch, das meinem Gedächtnis bis zu meinem Erwachen völlig entfallen war. Ich errötete über meine Unüberlegtheit, ließ mir jedoch nicht merken, dass ich mir einer Kränkung bewusst war, und fuhr hastig fort: »Tatsache ist, dass ich den ersten Teil der Nacht damit verbracht habe« – hier brach ich wieder ab, denn ich hatte sagen wollen: ›in den alten Bänden dort zu lesen‹, aber das hätte meine Kenntnis ihres geschriebenen und gedruckten Inhalts offenbart, dahim fuhr ich, mich berichtigend, fort: »den Namen zu buchstabieren, der in den Fenstersims eingeritzt ist. Eine eintönige Beschäftigung, die mich einschläfern sollte, so wie Zählen oder…«
»Was soll das heissen, dass Sie so zu mir sprechen?« donnerte Heathcliff in wilder Leidenschaft. »Wie… wie wagen Sie das, unter meinem Dach? – Allmächtiger! Er ist wahnsinnig, dass er so spricht!« Und er schlug sich wie rasend vor die Stirn. Ich wusste nicht, ob ich diese Sprache übelnehmen oder in meiner Erklärung fortfahren sollte; aber er schien so vollkommen ausser sich zu sein, dass ich von Mitleid ergriffen wurde und meine Träume weiter erzählte. Ich versicherte, dass ich den Namen Catherine Linton nie zuvor gehört, dass aber das wiederholte Lesen auf mich die Wirkung ausgeübt habe, dass er Gestalt annahm, als ich meine Vorstellungskraft nicht mehr in der Gewalt hatte. Heathcliff zog sich immer mehr in den Schatten des Bettes zurück, während ich sprach, und war, als er sich hinsetzte, fast dahinter verborgen. An seinen unregelmäßigen und unterbrochenen Atemzügen jedoch erkannte ich, dass er mit aller Macht versuchte, einen Ausbruch heftiger Gemütsbewegung niederzukämpfen. Ich wollte ihm nicht zeigen, dass ich seine Aufregung wahrnahm, und fuhr ziemlich geräuschvoll fort, mich anzuziehen, sah nach der Uhr und hielt ein Selbstgespräch über die Länge der Nacht: »Was, noch nicht drei Uhr? Ich hätte darauf geschworen, es wäre sechs. Die Zeit bleibt hier stehen; wir sind gewiss um acht zur Ruhe gegangen.«
»Im Winter um neun, und um vier stehen wir immer auf«, sagte mein Wirt, ein Stöhnen unterdrückend, und eine Bewegung seines Armschattens ließ mich ahnen, dass er eine Träne aus den Augen wischte. »Mr. Lockwood«, fügte er hinzu, »Sie können in mein Zimmer gehen; Sie würden unten so früh nur im Wege sein, und Ihr kindischer Angstschrei hat meinen Schlaf zum Teufel gejagt.«
»Meinen auch«, erwiderte ich. »Ich werde im Hof umhergehen, bis es dämmert, und dann werde ich verschwinden. Sie brauchen keine Sorge zu haben, dass ich meinen Besuch noch einmal wiederholen werde. Jetzt bin ich völlig davon geheilt, Geselligkeit zu suchen, sei es auf dem Lande oder in der Stadt. Ein verständiger Mensch sollte ausreichende Gesellschaft in sich selbst finden.«
»Höchst erfreuliche Gesellschaft!« murmelte Heathcliff. »Nehmen Sie die Kerze und gehen Sie, wohin Sie wollen, ich komme gleich nach. Vermeiden Sie jedoch den Hof – die Hunde sind los – und das ›Haus‹; dort hält Juno Schildwache, und… nein, Sie können nur im Treppenhaus und in den Gängen hin und her gehen. Also fort jetzt! Ich komme in zwei Minuten!«
Ich gehorchte insofern, als ich das Zimmer verließ; dann aber blieb ich stehen, weil ich nicht wusste, wohin der schmale Korridor führte, und wurde der unfreiwillige Zeuge eines Ausbruchs von Aberglauben bei meinem Gutsherrn, der in auffallendem Gegensatz zu dem Wesen stand, das er sonst zur Schau trug. Er ging auf das Bett zu, stiess den Fensterflügel auf und brach dabei in leidenschaftliche Tränen aus. »Komm herein! Komm herein!« schluchzte er. »Cathy, komm doch! Oh, komm noch einmal! Oh, mein Herzensliebling! Höre mich wenigstens dieses eine Mal!« Das Gespenst zeigte sich so launisch, wie Gespenster eben sind: es gab kein Zeichen seines Daseins, aber der Schnee und der Wind wirbelten heftig herein, bis dorthin, wo ich stand, und bliesen das Licht aus.
Es lag so viel Pein in dem Schmerzensschrei, der diese Raserei begleitete, dass mein Mitleid seine Narrheit übersah und ich mich zurückzog, ärgerlich darüber, dass ich überhaupt gelauscht und meinen lächerlichen Alpdruck erzählt hatte, da dieser so unbeschreiblichen Schmerz hervorgerufen hatte, obwohl es über meine Begriffe ging, warum es geschah. Ich stieg vorsichtig in die unteren Regionen hinab und landete in der hinteren Küche, wo die Glut des Feuers, sorgfältig zusammengescharrt, es mir möglich machte, meine Kerze wieder anzuzünden. Nichts rührte sich, ausser einer graugestreiften Katze, die aus der Asche gekrochen kam und mich mit einem kläglichen Miauen begrüsste.
Zwei zum Halbkreis geformte Bänke umschlossen fast den Herd; auf einer von ihnen streckte ich mich aus, und die Mieze sprang auf die andere. Wir waren beide eingeschlafen, ehe uns jemand in unserem Unterschlupf aufstöberte. Dann kam Joseph polternd eine Holzleiter herunter, die in einer Luke im Dach mündete, vermutlich der Aufstieg in seine Bodenkammer. Er warf einen finsteren Blick auf die kleine Flamme, die ich zu einem Flackern auf dem Rost angefacht hatte, stiess die Katze von ihrer erhöhten Lagerstätte, setzte sich auf den frei gewordenen Platz und machte sich daran, eine dreizöllige Pfeife mit Tabak zu stopfen. Meine Anwesenheit in seinem Heiligtum galt ihm augenscheinlich als Zudringlichkeit, viel zu schändlich, auch nur bemerkt zu werden. Schweigend nahm er die Pfeife zwischen die Lippen, verschränkte die Arme und paffte. Ich überließ ihn diesem Genuss ungestört; nachdem er das letzte Rauchwölkchen herausgezogen und einen tiefen Seufzer ausgestoßen hatte, stand er auf und verschwand ebenso ernsthaft, wie er gekommen war.