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Am ersten Tag ihres neuen Lebens trifft Summer auf Danny, und zwei Welten prallen aufeinander. Auf der einen Seite steht Summer, ein Mädchen mit vielen Selbstzweifeln, Misstrauen im Herzen und einer schwierigen Vergangenheit. Auf der anderen Danny, lässig, selbstbewusst, ein absoluter Mädchenschwarm, der sich nimmt, was er will. Das stille Mädchen und der College-Star mit der großen Klappe, kann das gut gehen? Eher nicht. Und doch sprühen vom ersten Moment an die Funken zwischen diesen beiden ungleichen jungen Menschen. Aber ist überhaupt alles so, wie es scheint? Kann Liebe Mauern einreißen? Vertrauen wachsen, wie eine Rose im Regen? Danny und Summer … like Summer Roses in the Rain … "Summer Roses in the Rain" ist Band 1 der "Roses of Louisville" Reihe. Jedes Buch ist in sich abgeschlossen und kann eigenständig gelesen werden.
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Seitenzahl: 621
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Sommer Roses in the Rain
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Über den Autor
Ich kann es nicht glauben, ich komme zu spät zu meiner allerersten Vorlesung. Mit einem leisen Fluch raffe ich meinen Kram zusammen, stopfe alles in meinen Rucksack und stürme aus dem Zimmer. Auf dem Stockwerk im Wohnheim herrscht gespenstische Stille, alle scheinen ausgeflogen zu sein. Nur ich bin noch hier. Mist.
Ich renne so schnell ich kann die Treppen hinunter und bleibe abrupt stehen, nachdem ich das Gebäude verlassen habe. Wohin? Ich bin erst seit ein paar Tagen auf dem Campus, und mein Orientierungssinn ist in etwa so gut wie der einer ungeschälten Orange. Ich muss kichern. Ich glaube, ich drehe allmählich durch. Mein Blick schweift hektisch umher. Hier ist es alles andere als leer, überall sind Leute unterwegs. Ich könnte jemanden fragen, wo ich hinmuss, aber das bringe ich nicht über mich. Gott, mit mir stimmt wirklich gar nichts mehr. Missmutig wende ich mich um und trabe los. Ich bin mir sicher, hier entlang zu müssen. Okay, ich bin mir nicht sicher, aber irgendwo muss ich ja hin. Um mich herum schwirrt es wie in einem Bienenstock. Ich sehe mich um. Es ist schön hier. Das College ist von einem weitläufigen, parkähnlichen Gelände umgeben. Viel Grün, viele alte Bäume. Genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Es war mein Traum, hier zu studieren. Das College liegt am Rande der Stadt Louisville in Kentucky und hat einen hervorragenden Ruf. Das, was ich bisher von Louisville gesehen habe, gefällt mir ebenfalls sehr gut. Viele schöne alte Häuser, eine wunderbare Lage am Ohio River. Am besten allerdings gefällt mir, dass es weit weg von daheim ist. Wobei, ich habe kein Zuhause mehr. Ich schlucke und schüttele den Kopf. Heute nicht. Heute ist mein erster richtiger Tag in meinem neuen Leben. Und diesen Tag werde ich nicht kaputtmachen.
Ich eile über den Campus und schiele dabei auf das Display meines Smartphones. Wenn ich sehr viel Glück habe, dann schaffe ich es noch rechtzeitig. Das Handy klingelt. Es ist Jake.
„Hey“, melde ich mich abgehetzt.
„Hey. Wollte kurz hören, ob alles klar ist bei dir?“
Die Stimme meines besten Freundes beruhigt mich ein wenig.
„Geht so, ich hab verschlafen und jetzt verirre ich mich auf dem Weg zur Vorlesung.“
Ich klinge leicht verzweifelt, und er lacht.
„Du hast verschlafen? Du? Ich glaub´s nicht. Na, dann nimm die Beine in die Hand, dann schaffst du es noch. Ich muss los. Melde mich später. Mittagessen?“
Damit legt er auf, ohne meine Antwort abzuwarten. Der hat vielleicht die Ruhe weg. Klar, er hat ja auch nicht verpennt. Außerdem kennt er sich hier aus, es ist sein zweites Jahr.
„Danke, dir auch einen schönen Tag“, knurre ich. Wenn Jake ein bisschen früher hier aufgeschlagen wäre, hätte er mir alles zeigen können. Aber nein, Mr. Bloomfield ist erst gestern eingetroffen und hatte noch keine Zeit, meiner Wenigkeit den Campus zu zeigen.
Tatsächlich ist das Glück auf meiner Seite, und ich schaffe es, kurz vor dem Professor in den Hörsaal zu huschen. Rasch suche ich mir einen freien Platz und atme auf. Geschafft. Ich lasse meinen Blick über meine Mitstudenten schweifen. Einigen sieht man die Nervosität an der Nasenspitze an. Andere hocken gelangweilt auf ihren Plätzen. Die meisten machen allerdings einen lockeren, interessierten Eindruck. Aber mir kann das sowieso gleich sein, was die anderen tun oder lassen. Ich bin hier, um zu studieren, nicht mehr und nicht weniger.
Professor Lindenbaum betritt den Saal, stellt sich kurz vor und fängt ohne Umschweife mit dem Unterricht an. Ich lenke meine Aufmerksamkeit auf ihn und blende die Umgebung aus. Ich bin gut darin, Dinge einfach auszublenden. Ebenso wie Gefühle, darin bin ich noch besser.
In der Pause schreibe ich Jake an, und er verspricht, mich abzuholen und mit mir ins Café „Fantastico“ zu gehen, wo es seiner Aussage nach die besten Sandwiches auf dem ganzen Campus gibt. Natürlich verspätet er sich und ich stehe herum wie bestellt und nicht abgeholt. Endlich taucht er auf und kommt mir mit einem Strahlen im Gesicht entgegen. Ich muss lächeln, ob ich will oder nicht. Ich kenne Jake schon seit meiner Grundschulzeit und er gehört einfach zu meinem Leben dazu. Er ist wie mein Bruder, wie ein altes, geliebtes Kuscheltier. Mein bester Kumpel eben.
„Summer, Summer, Summer, du bist noch hübscher geworden, seitdem wir uns zuletzt gesehen haben.“
Jake drückt mich an sich. Er sieht gut aus, erholt, sonnengebräunt. Seine blonden Haare sind etwas länger geworden, es steht ihm.
„Schleim nicht rum. Du hast mich ganz schön hängenlassen“, motze ich, drücke ihn aber genauso fest zurück. Ich freue mich wahnsinnig, ihn zu sehen.
„Ah, jetzt weiß ich, was mir im letzten Jahr ohne dich hier gefehlt hat. Deine unnachahmlich charmante Art.“
„Ja, du mich auch.“
Wir grinsen uns an, Jake legt einen Arm um meine Schultern und zieht mich mit sich.
„Wie findest du es hier? Nicht übel, oder?“
„Nein, nicht übel.“
Ich erzähle ihm von meiner ersten Vorlesung bei Professor Lindenbaum.
„Ah, der Lindenbaum ist korrekt. Wirst sehen, bei dem lernst du viel und er ist echt okay.“
Wir unterhalten uns, während Jake mir auf dem Weg in das Café ein paar Dinge erklärt und zeigt. Der Campus ist eigentlich gar nicht so riesig und bestimmt gut überschaubar, bloß für jemanden wie mich, mit dem Orientierungssinn einer Orange … nun ja.
Ich atme tief durch. Es riecht nach Herbst. Der Sommer ist fast vorbei, und ich bin froh darüber, da ich diese Jahreszeit nicht besonders mag. Da ist es wohl eine Ironie, dass ich ausgerechnet Summer heiße.
Auf einer Rasenfläche fläzt sich eine Gruppe Mädchen und Jungen. Ich lasse meinen Blick über sie schweifen. Es ist eine typische Upperclass-Clique. Das sieht man auf den ersten Blick. Gestylte, bildhübsche Mädchen, gekleidet in die trendigsten Klamotten. Gut aussehende Jungs, vermutlich alle megasportlich, mit einem reichen Daddy im Rücken. Sie scheinen wirklich jedes Klischee zu bedienen, und manchmal frage ich mich, ob es diese Cliquen überall gibt, an jeder Schule, jedem College, jeder Uni. Vielleicht sogar später noch, im Berufsleben. Oder ob am Ende gar nicht alles so ist, wie es scheint. Denn manche Dinge, die nach außen hin glänzen, verbergen dahinter eine ziemlich dunkle Seite. Wer wüsste das besser als ich.
Obwohl ich nicht will, hängt mein Blick an ihnen. Sie lachen und albern herum. Ich kann mich nicht erinnern, das letzte Mal so herumgeblödelt zu haben.
„Holla. Aufpassen.“
Ich höre, wie Jake neben mir genervt einatmet.
„Keine Augen im Kopf, Moreno?“
Seine Stimme klingt gereizt und ich wende den Blick von der Clique ab. Ein junger Mann steht vor uns, der mir glatt den Atem verschlägt. Er mustert uns mit einem spöttischen Ausdruck in seinen tiefdunkelbraunen Augen. Sein Gesicht ist perfekt schön. Gleichmäßige Züge, sinnliche Lippen. Dunkle, leicht lockige Haare umspielen dieses hübsche Antlitz, fallen ihm lässig-zerzaust in die Stirn. Er ist groß, mindestens anderthalb Köpfe größer als ich, hat eine Wahnsinnsfigur, wirkt männlich, sexy und … ziemlich arrogant. Klar, solche Typen sind immer arrogant.
„Entschuldigung“, sagt er mit einem lässigen Grinsen und verbeugt sich leicht. Sein Blick bleibt an mir hängen. Seine Hand mit der Zigarette hebt sich, und er nimmt einen tiefen Zug, bevor er sagt: „Neu hier? Ich bin Danny.“
Er zwinkert mir zu und ich starre ihn an. Warum zur Hölle starre ich ihn an?
„Okay“, sage ich und ziehe Jake an ihm vorbei.
„Oh, du heißt Okay? Das ist ja mal ein hübscher Name für ein Mädchen“, höre ich seine belustigte Stimme hinter mir.
„Pff“, nuschele ich und gehe weiter. Er lacht leise und mir wird kurz heiß. Ich sehe noch, wie er zu der Yuppie-Clique hinüberschlendert und sich lässig niederlässt. War ja klar, dass er zu denen gehört.
„Wer war das?“, kann ich mir die Frage nicht verkneifen.
„Der? Daniele Moreno. Oder Danny, wie er sich dir ja so nett vorgestellt hat.“
Jakes Stimme klingt mürrisch. Er scheint kein großer Fan von Danny-Daniele zu sein.
„Kennst du ihn? Klingst nicht begeistert.“
Ich sehe Jake neugierig an. Keine Ahnung, warum ich das überhaupt wissen will.
„Jeder kennt Moreno. Und wie kommst du drauf, dass ich nicht begeistert sein könnte? Ich kann mich kaum halten vor Begeisterung.“
Er läuft ein bisschen schneller und ich muss ihm regelrecht hinterherrennen.
„Ist ja gut, ich frag ja nur. Sorry.“
Jake sieht mich an, dann grinst er.
„Schon gut. Ist halt weibliche Neugierde. Tut mir leid, du kannst ja nichts dafür, dass Moreno nicht zu meinen Lieblingen gehört.“
„Und warum gehört er nicht zu deinen Lieblingen?“
Ich kann es nicht lassen, dabei weiß ich nicht mal, warum mich das interessiert.
„Warum? Du hast ihn doch gesehen. Er ist einer dieser Typen, die man vergöttert oder hasst. Und ich vergöttere ihn nicht. Reicht echt, wenn die meisten Studenten hier zu hirnlosen Idioten mutieren, sobald Moreno irgendwo aufschlägt.“
Ich mustere Jake erstaunt. So kenne ich ihn gar nicht. Er klingt richtig angepisst und fast ein wenig eifersüchtig. Aber warum sollte er eifersüchtig auf Danny Moreno sein? Es gab auch schon auf der Highschool diese Typen, die alle in ihren Bann gezogen haben, und das hat ihm nie etwas ausgemacht. Es ist ja auch nicht so, dass Jake sich verstecken muss. Er sieht gut aus, ist klug, witzig. An weiblicher Aufmerksamkeit wird es ihm kaum mangeln. Aber da ich ihn nicht noch mehr verärgern will, bin ich still und lasse es auf sich beruhen.
Das Café ist voll besetzt, als wir ankommen. Ziemlich weit hinten ergattern wir noch einen Zweiertisch.
„Willst du warten? Ich hole uns was.“
Jake sieht mich fragend an und ich nicke. Ich sehe ihm nach, wie er sich zwischen den eng gestellten Tischen hindurchschlängelt und zu der Bedienungstheke geht. Es tut gut, ihn wieder in der Nähe zu haben. Wir haben uns im letzten Jahr selten gesehen, doch jetzt in den Ferien waren wir zusammen zelten. Es war fast wie früher, als wir Kinder waren. Und doch war es anders. Ich lasse meinen Blick nachdenklich durch das Café schweifen. Etwas an Jake ist anders, aber ich weiß nicht genau, was es ist. Klar, er ist älter geworden, erwachsener. Das bin ich auch. Aber das ist es nicht. Die Art, wie er mich manchmal ansieht, verunsichert mich. Ich schüttele den Kopf. Blödsinn. Jake kennt mich, seit ich sechs Jahre alt war. Er war immer mein Kumpel. Warum sollte sich das jetzt ändern? Ich sehe mich um. Das Café gefällt mir, es ist in einer gekonnten Mischung aus modern und alt eingerichtet. Wirkt gemütlich. Große Fenster, die einen tollen Ausblick auf den Campus erlauben. Etwas entfernt vom Café wurde ein kleiner, künstlicher See angelegt, der im Sonnenlicht glitzert. Kiesbestreute Wege führen um die Wasserfläche herum und alle paar Meter steht eine Bank. Fast wie im Park. Ich glaube, dieses Café wird mein neuer Lieblingsplatz. Bestimmt ist auch außerhalb der Mittagszeit nicht so viel los wie jetzt, man kann hier sitzen, einen Kakao trinken und lernen oder einfach nur ein bisschen entspannen. Ein Lächeln gleitet über mein Gesicht. Es tut gut, sich über solche normalen Dinge Gedanken zu machen. Viel zu lange waren meine Gedanken dunkel umwölkt. Aber inzwischen habe ich mich so weit im Griff, dass ich zumindest nach außen so tun kann, als sei alles in Ordnung.
„Ah, wenn das nicht Miss Okay ist.“
Ich hebe den Kopf und sehe Danny Moreno, der neben mir steht und mich spöttisch anlächelt. Jetzt lässt er sich ungefragt auf den freien Stuhl fallen und streckt seine langen Beine aus. Ich spüre, wie die Blicke einiger Mädchen vom Nebentisch sich an ihm festsaugen. Sie tuscheln nicht, tun so, als seien sie vollkommen cool, lassen ihn aber nicht aus den Augen.
„Hier ist besetzt“, sage ich, doch er grinst nur.
„Stimmt, ich sitze hier.“
Ich kneife die Augen zusammen.
„Das ist Jakes Platz. Du musst dich woanders hinsetzen, tut mir leid.“
Er beugt sich vor und mustert mich. Ich sehe ihn unsicher an. Der Kerl müsste ja einen Waffenschein haben für dieses unverschämt gute Aussehen. Das tiefdunkle Braun seiner Augen ist zugegebenermaßen wunderschön.
„Echt jetzt? Du und Bloomfield? Hätte ich dem Kleinen gar nicht zugetraut. So ein langweiliger Knabe und so eine bildhübsche Miss Okay?“
Er grinst wieder, und ich merke, wie ich ärgerlich werde. Wie redet der über Jake? Hält sich wohl für unwiderstehlich, was? Solche Typen habe ich ja gerne.
„Wie kommst du darauf, dass Jake langweilig wäre? Ist er nicht, mach dir darüber keine Sorgen.“
Ich versuche, so schnippisch wie möglich zu klingen, was nicht ganz so einfach ist unter dem Blick aus diesen dunklen Schokoaugen.
„Oh, ich mache mir keine Sorgen um Jake. Dazu ist er mir wirklich nicht wichtig genug. Aber du? Hm, ich glaube, du brauchst eine andere Herausforderung. Jemanden, der in deiner Liga spielt.“
Ich mustere ihn mit zusammengekniffenen Augen. Vermutlich meint er sich selbst. Glaubt, er könne mich mit seinem blöden Grinsen und seinen Schokoladenaugen in seinen Bann ziehen. Na, ganz bestimmt.
„Und du denkst, du spielst in meiner Liga?“
Er lacht leise.
„Darauf kannst du wetten.“
Ich verdrehe die Augen. Was für ein Idiot.
„Wenn du meinst. Wärst du jetzt so nett und würdest dich woanders hinsetzen? Jake ist dran, er wird gleich hier sein. Wir würden wirklich gerne in Ruhe zu Mittag essen.“
Er grinst.
„Oh, Pärchennachmittag?“
Ich zucke mit den Schultern. Ich werde dem Kerl sicher nicht auf die Nase binden, dass Jake nicht mein Freund ist. Zu meiner Überraschung sagt er: „Na gut, ich will ja nicht so sein. Ich verschwinde.“
Er lehnt sich wieder zu mir und sein Duft steigt in meine Nase. Verflixt, er riecht gut.
„Eine Bedingung habe ich aber.“
Bedingung? Geht’s noch?
„Du stellst mir eine Bedingung, damit du einen Platz räumst, der nicht dir gehört?“
Er nickt. Lässig. Selbstbewusst. Ich knirsche mit den Zähnen. Habe keine Lust auf eine Diskussion zwischen ihm und Jake.
„Und die wäre?“
„Du verrätst mir deinen richtigen Namen, kleine Miss Okay. Und du gehst morgen mit mir Mittagessen.“
Ich schnappe nach Luft. Der spinnt wohl. Seine Augen blitzen unverschämt und ich funkele ihn wütend an. Jake ist inzwischen mit einem Tablett in den Händen auf dem Weg zu unserem Tisch.
Ich würde Moreno so gerne eine passende Antwort geben, aber ich will keinen Streit.
„Na schön. Wann?“
„Gleiche Zeit, gleicher Ort.“ Er lehnt sich zurück. „Da fehlt noch was.“
Sein Blick taucht tief in meinen, und es macht mich wahnsinnig, dass ich ihn trotz seiner unverschämten Art und den blöden Sprüchen nicht so abstoßend finde, wie ich sollte. Wie ich müsste.
„Summer. Ich heiße Summer.“
Ein Lächeln gleitet über sein Gesicht. Es sieht echt aus, und zu meinem Ärger merke ich, dass mir dieses Lächeln unter die Haut geht.
„Das klingt schön. Passt zu dir. Viel besser als Okay.“
Er zwinkert mir zu, erhebt sich dann mit einer geschmeidigen Bewegung.
„Bis morgen, Summer.“
Er schlendert davon und ich sehe ihm fassungslos nach. Hat er mich gerade wirklich genötigt, mich mit ihm zu verabreden? Das darf doch nicht wahr sein. Jake taucht auf und sieht in Morenos Richtung.
„Was wollte der denn?“
„Nichts.“ Ich schiele auf das Tablett. „Was hast du mitgebracht? Ich sterbe vor Hunger.“
Jake setzt sich und sieht mich misstrauisch an.
„Thunfisch für dich. Den magst du doch.“
Er schiebt mir meinen Teller herüber. Das Sandwich sieht fantastisch aus.
„Moreno hat sich zu dir gesetzt und wollte nichts? Nie im Leben, der will immer was. Summer, glaub mir, halte dich fern von ihm. Er ist der größte Aufreißer hier am College. Er hat ständig eine andere am Start. Er meint es nie ernst. Ehrlich, lass dich nicht einwickeln von ihm.“
Er sieht wütend aus.
„Warum sollte ich mich einwickeln lassen? Denkst du, ich bin blöd?“
Mit einem schlechten Gewissen beiße ich in mein Sandwich und denke an meine Verabredung am nächsten Tag. Warum ich Jake nicht einfach davon erzähle, weiß ich selbst nicht.
Während ich in der Schlange an der Verkaufstheke des Cafés stehe, beobachte ich, wie Bloomfield sich an den Tisch setzt. Ich muss grinsen, denn die Neugier steht ihm ins Gesicht geschrieben. Vermutlich platzt er gerade, weil er nicht weiß, was ich mit seiner Kleinen besprochen habe. Oh Mann, schon witzig. Okay, für ihn vermutlich nicht. Aber ich muss zugeben, die kleine Miss Okay ist wirklich niedlich. Hat ein hübsches Gesicht, eine zierliche Figur, mit genau den richtigen Rundungen. Total schöne, lange, hellbraune Haare. Grünbraune Bambiaugen mit langen, dunklen Wimpern. Ein Mädchen mit Klasse, das erkennt mein geschultes Auge sofort. Aber ich fürchte, die Kleine wird nicht ganz so einfach zu knacken sein. Sie hat eine ziemlich stachelige Aura, die ganz deutlich sagt: Halt Abstand von mir.
Mein Blick sucht nach ihr, als sie sich mit Jake unterhält - ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn richtet. Es gefällt mir nicht besonders. Aber warte, Summer, morgen werde ich dafür sorgen, dass deine volle Aufmerksamkeit mir gilt. Das wäre ja gelacht. Jetzt hebt sie den Kopf und ihre Augen irren suchend durch den Raum. Sie sieht zu mir her, ihr Blick trifft auf meinen und sie schaut schnell wieder weg. Ah, sieh an, so ganz kalt lasse ich sie offenbar doch nicht. Das gefällt mir schon besser. Meine Laune hebt sich merklich. Endlich bin ich an der Reihe, kaufe meinen Latte macchiato und einen Donut und verziehe mich nach draußen. Die Luft hat sich erwärmt, es ist ein schöner Tag. Ich betrachte den Donut in meiner Hand und habe eine Idee. Das wird die unterkühlte Miss Okay sicher auf Spur bringen. Und zwar auf meine.
Ich schlendere langsam hinüber zum See und finde eine freie Bank. Ein leichter Wind weht über das Wasser. Mir ist nie aufgefallen, wie schön es hier ist. Dabei ist das schon mein drittes Studienjahr. Eigenartig. Vielleicht werde ich doch allmählich erwachsen. Ich verziehe das Gesicht. Ja, klar doch. Aus den Augenwinkeln sehe ich zwei Mädchen aus meiner Clique auftauchen. Sie quatschen unaufhörlich miteinander, kichern dabei. Jetzt erblicken sie mich und über ihre Gesichter huscht ein Strahlen. Ich lächele breit zurück und überlege, welche von ihnen ich eventuell für eine Nacht abschleppen könnte. Beide würden ihre eigene Großmutter für eine Nacht mit mir verscherbeln, aber das ist nichts Neues für mich. Ich weiß, das klingt bescheuert, aber es ist so.
„Danny, na, so alleine hier?“
Lexi lässt sich neben mich fallen und schenkt mir ein süßes Lächeln, während sie ihre Beine aufreizend übereinanderschlägt.
„Jetzt nicht mehr.“
Ich betrachte sie. Sie ist definitiv eine Sünde wert. Lange dunkle Haare, milchkaffeefarbene Haut. Desiree setzt sich auf meine andere Seite. Auch sie ist nicht von schlechten Eltern mit ihren blonden, kurzen Haaren, der Modelfigur und den blauen Augen. Ich überlege kurz, welche mir am ehesten zusagen würde. Ein Dreier vielleicht? Ich grinse in mich hinein. Eher nicht. Die Damen würden sich lieber gegenseitig die Augen auskratzen, als einander heißzumachen. Wenn es um mich geht, verstehen sie wenig Spaß, egal, wie dicke sie sonst miteinander sind. Mit halbem Ohr höre ich gelangweilt zu, was Lexi und Desiree mir erzählen. Dabei lasse ich meine Blicke über das Gelände schweifen. Ah, sieh an, Miss Okay und Bloomfield sind fertig mit ihrem Lunch. Schlagartig ist mein Interesse geweckt. Ich beobachte die beiden, die sich langsam dem See nähern. Bloomfield labert Summer die ganze Zeit zu und sie lauscht nur. Jetzt fasst der Typ nach ihrer Hand, dreht sie einmal um die Achse und sie lacht. Fuck, hat sie ein süßes Lachen. Sie gehen weiter und Jake lässt ihre Hand nicht mehr los. Ah, da hat jemand geschickt seine Chance genutzt. Ich bin mir nicht sicher, aber die beiden wirken auf mich nicht wie ein Paar. Eher wie gute Freunde. Vielleicht Freunde mit gewissen Vorzügen? Hm, nein. So ist sie nicht drauf. Darauf würde ich meinen Arsch verwetten. Er vielleicht schon. Es ist deutlich zu sehen, dass er was von ihr will. Wie er sie anschaut, gestikuliert, redet. Aber ich glaube, sie checkt es gar nicht. Tja, Bloomfield, da wirst du dich ein bisschen mehr reinhängen müssen. Vor allem nach dem morgigen Tag. Denn ich werde die Messlatte verdammt hoch anlegen. Warum denke ich eigentlich die ganze Zeit über sie nach? Tu ich doch sonst auch nicht. Es nervt mich, dass ich mir so viele Gedanken über dieses Mädchen mache, das ich gar nicht kenne. Trotzdem kann ich nicht aufhören, zu den beiden hinzuschauen, als sie sich meiner Bank nähern. Bloomfield labert immer noch, während Summer neben ihm herläuft. Sie lächelt ab und zu, fragt etwas nach, und irgendetwas an ihr macht mich total an. Ich kann nicht mal genau sagen, was es ist. Ja, sie ist hübsch, aber das sind die beiden neben mir auch. Es ist etwas anderes. Etwas in ihrer Ausstrahlung. Etwas, was ich noch nicht genau definieren kann.
Jetzt sind sie ganz nah bei uns, und ich muss schmunzeln, als Summers Blick über mich streift. Natürlich völlig unabsichtlich, klar. Ich lächele ihr zu und sie sieht schnell weg. Na warte, kleine Miss Okay, dich krieg ich. Das Jagdfieber in mir erwacht und plötzlich habe ich kein Interesse mehr an einer Nacht mit Lexi oder Desiree. Ich erhebe mich und merke, dass die beiden mich enttäuscht anschauen.
„Ich muss los. Bis morgen, ihr zwei Hübschen. Man sieht sich.“
Damit schlendere ich davon, spüre die Blicke der Mädchen in meinem Rücken. Aber das ist es nicht, was so durch meine Adern prickelt. Es ist die Vorfreude auf mein Date mit Summer.
Ich schlendere neben Jake in Richtung des kleinen Sees und genieße die Sonne. Es tut gut, die warmen Strahlen auf der Haut zu spüren. Jake erklärt mir ein paar Dinge, die ich über das College wissen sollte, und ich höre ihm gerne zu. Er hat eine angenehm warme Stimme und das, was er sagt, ist immer interessant.
Mein Blick schweift über das Gelände und ich kneife die Augen zusammen. Dort drüben auf der Bank, ist das nicht Danny Moreno? Flankiert von zwei bildhübschen Mädchen. Natürlich ist er das. In meinem Bauch summt es, und ich bin mir nicht sicher, ob es ein angenehmes Gefühl ist. Der Typ sieht so unverschämt gut aus, dass man einfach nicht umhin kann, ihn anzustarren. Jetzt hat er mich im Visier und sieht zu mir herüber. Er lächelt, und zu meiner Schande mag ich sein Lächeln. Mist, ich will das nicht. Außerdem, ganz ehrlich, das mit dem Essen morgen, das war so was von frech. Am liebsten würde ich gar nicht hingehen. Und doch weiß ich jetzt schon, dass ich es tun werde. Ich sehe demonstrativ weg und weiß genau, er grinst sich eins. Idiot.
„Hey. Hey.“
Jake schnippt mit den Fingern vor meinen Augen.
„Erde an Summer. Wo bist du mit deinen Gedanken?“
Ich sehe verlegen zu Boden.
„Wo soll ich sein? Hier natürlich.“
Ich knuffe ihn und er verzieht das Gesicht. Sein Blick hängt an Danny Moreno.
„Schon klar, wo du bist. Hat er dich also auch schon eingewickelt? Hätte ich ja nicht gedacht.“
Er klingt missmutig und ich drücke seine Hand. Es ist nichts Besonderes, dass wir Hand in Hand laufen, das haben wir schon als Kinder manchmal gemacht. Trotzdem fühlt es sich heute merkwürdig an. Früher habe ich mir nichts dabei gedacht, aber jetzt … es sieht so aus, als seien wir ein Paar. Und eigenartigerweise stört mich das ein wenig. Dabei ist das wirklich nicht fair, denn Jake ist mein ältester und bester Freund. Er war immer für mich da, wenn ich ihn gebraucht habe. Und ich habe ihn schon oft gebraucht. Ich werde ihm das nie vergessen. Im Grunde ist er der wichtigste Mensch in meinem Leben. Ich habe nur ihn.
Und ich will nicht, dass er böse auf mich ist. Nicht wegen Moreno, den ich überhaupt nicht kenne und der mir total egal ist.
„Mich wickelt niemand ein. Und schon gar nicht so ein eingebildeter Lackaffe. Das solltest du wissen.“
Er betrachtet mich skeptisch.
„Du wärst bei Weitem nicht die Erste. Glaub mir, ich beobachte das jetzt schon ein ganzes Jahr lang. Der Typ taucht auf und zack, hängen ihm zehn Mädchen am Hintern.“
Ich betrachte ihn erstaunt.
„Warum stört dich das so? Kann dir das nicht egal sein?“
Er zuckt mit den Schultern.
„Eigentlich schon. Ach, du hast recht. Vergiss es.“
Ich betrachte Jake, dann meine Hand in seiner.
„Sag mal, bist du so schlecht auf ihn zu sprechen, weil du echt Angst hast, der würde mich abschleppen?“
Jake stößt ein undefinierbares Schnauben aus und brummt etwas, was ich nicht verstehe. Ich laufe stumm neben ihm her. Mir kommt Jakes Reaktion auf Danny merkwürdig vor, denn es passt nicht zu ihm. Könnte es sein, dass er eifersüchtig ist? Meinetwegen? Weil seine Gefühle für mich nicht mehr die gleichen sind wie früher? Okay, es könnte natürlich auch sein, dass er sich nur Sorgen um mich macht und Angst hat, dass mir jemand wehtun könnte. Wäre ja normal als mein bester Freund. Aber etwas sagt mir, dass ich mit meinem ersten Gedanken gerade ins Schwarze getroffen habe. Und ich bin mir nicht sicher, ob mir das gefällt.
Am nächsten Tag stehe ich morgens länger vor dem Spiegel als sonst. Ich betrachte mich und versuche, zu kapieren, warum Moreno mich unbedingt treffen will. Ich bin hübsch, das stimmt. Da rede ich mir nichts anderes ein. Aber es gibt genug, die sind genauso hübsch, und vor allem: Sie machen etwas aus sich. Ich bin meistens ungeschminkt, trage Jeans, kombiniert mit Shirt, Bluse oder Pulli. Meine Haare fallen schön lang und seidig, sind aber in dem hellen Braun nicht besonders auffällig. Ich beuge mich näher zum Spiegel und beäuge mich kritisch. Ich habe schöne Haut. Hell, glatt, ziemlich makellos. Ein Porzellanteint. Ein Pluspunkt für mich. Meine Augen sind auch okay. Schöne Farbe, lange Wimpern. Ich muss schmunzeln. Wie hat er mich genannt? Miss Okay? Nun ja, immerhin scheint er Humor zu haben und nicht schnell eingeschnappt zu sein. Das kann man auch nicht von jedem behaupten. Meine Gedanken schweifen zu Jake, der gestern nicht mehr richtig zu seiner guten Laune zurückgefunden hat. Wenn er wüsste, dass ich mich zum Mittagessen mit Moreno treffe, würde ihm das die Stimmung sicher noch mehr verhageln. Und gerade, als ich an ihn denke, ertönt der Klingelton meines Handys. Jake. Ich zögere. Bestimmt will er sich ebenfalls mit mir zum Essen verabreden.
„Hey. Was gibt’s?“
„Hey. Dachte, du hast schon wieder verpennt. Hör mal, ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich heute zu Mittag leider keine Zeit habe. Mein Studienberater will was mit mir besprechen und danach muss ich einem Kumpel kurz was helfen. Tut mir leid.“
Ich atme erleichtert auf. Glück braucht der Mensch.
„Kein Problem. Sehen wir uns dann später noch oder morgen?“
„Ich melde mich. Bis dann, Summer.“
„Bis dann.“
Mir ist nicht wohl, es ihm nicht zu erzählen, aber immer noch besser, als ihn anlügen zu müssen, wenn er sich mit mir hätte treffen wollen.
Leicht missmutig sehe ich in den Spiegel. Kaum kenne ich Danny Moreno, schon macht er mir nur Ärger. Aber nach dem heutigen Tag wird sich das ändern, denn mehr als diese eine Verabredung wird es nicht geben. Da kann Mr. Ich-kriege-jede-herum lange warten.
In den Vormittagsvorlesungen kann ich mich nicht konzentrieren, und je näher der Mittag kommt, desto mehr frage ich mich, ob ich denn verrückt bin, mich auf dieses Treffen einzulassen. Was soll ich da? Ich kenne den Typen nicht, ich will ihn nicht kennenlernen, und in den paar Minuten, in denen ich ihn gestern gesehen habe, hat er mich nur wahnsinnig gemacht. Aber etwas in mir ist zu gutmütig, um ihn einfach zu versetzen. Da ich seine Handynummer nicht habe, könnte ich ihm nicht mal absagen. Ich seufze. Also, auf in den Kampf. Ich betrete das Café und sehe mich um. Kein Moreno in Sicht. Ich sehe auf die Uhr. Ich bin nicht zu früh und nicht zu spät. Unschlüssig bleibe ich stehen, versperre prompt jedem den Weg und fluche innerlich über mich selbst. Was, wenn der das gar nicht ernst gemeint hat? Wenn er mich nur verarschen wollte und sich jetzt über mich kaputtlacht? Na gut, mir doch egal. Umso besser, dann erspare ich mir sein blödes Gequatsche. Und doch. Ich mag es nicht zugeben, aber der Gedanke, dass er mich versetzt, gefällt mir nicht besonders. Wenn ich nur wüsste, was in meinem Hirn plötzlich fehlgeleitet ist.
„Ach, du kannst mich mal“, murmele ich und verlasse das Café. Ich will gerade missgelaunt davonstapfen, als mich jemand am Ärmel packt.
„Hey, hiergeblieben. Du wolltest doch nicht etwa abhauen, Miss Summer Okay?“
Danny steht hinter mir und zieht mich zu sich herum. Er wirkt etwas abgehetzt, aber das Grinsen auf seinem Gesicht ist so charmant und unverschämt wie gestern schon.
„Sorry, hab mich etwas verspätet. Ich freue mich, dich zu sehen.“
Ich sehe ihn misstrauisch an. So höflich? Das ist doch sicher die Ruhe vor dem Sturm.
„Hey. Kein Problem.“
Er nickt.
„Gut. Hör mal, ich dachte mir, ist doch so ein schöner Tag, wie wäre es, wenn wir uns an den See setzen? Anstatt hier in die überfüllte Bude?“
Okay, er wird mir unheimlich. Genau das habe ich vorhin auch gedacht, wie schön es wäre, sich bei dem tollen Wetter draußen hinsetzen zu können.
„Ja, schon. Aber hast du keinen Hunger?“
Er lacht und klopft auf seinen Rucksack, der ihm lässig über der Schulter hängt.
„Alles dabei. Also, wie sieht´s aus? Wollen wir?“
Ich frage mich, was genau er will, nicke aber. Wir laufen schweigend nebeneinanderher und ich knete nervös meine Hände. Ich kann ihn schwer einordnen, dabei habe ich sonst eigentlich eine ziemlich gute Menschenkenntnis.
„Dort?“
Danny zeigt auf eine freie Bank und ich nicke. Wir setzen uns, und ich achte darauf, ihm nicht zu nahe zu kommen. Er verwirrt mich auch so schon genug.
„Ah, das ist toll hier. Ehrlich, das mit dem See, das war die beste Idee, die sie hier je hatten.“
Er lächelt mir zu, und ich fühle, wie mein Herz flattert. Verflixt noch mal, was hat der Kerl nur an sich? Seine dunklen Haare fallen ihm in die Stirn, als er sich nach vorne beugt, um den Rucksack zu öffnen. Ich starre ihn fasziniert an. Am liebsten möchte ich mit der Hand durch diese glänzenden, sanften Locken hindurchwuscheln. Und am zweitliebsten würde ich mir selbst eine runterhauen. Was stimmt nicht mit mir? Ich bin sonst wirklich nicht so. Und schon gar nicht bei einem Typen, der offenbar Mädchenherzen sammelt. Nachdem er sie gebrochen hat.
„So, was magst du? Ich hab Cola. Und Cola. Und noch mehr Cola.“
Er grinst und ich muss lachen. Man kann ihm einfach nicht böse sein.
„Dann nehme ich Cola.“
Er drückt mir eine Dose in die Hand, nicht ohne sie vorher für mich zu öffnen. Ich bin überrascht.
„Danke.“
„Warte, da kommt noch mehr.“
Ich betrachte ihn. Ja, offensichtlich kommt da einiges mehr, als ich erwartet habe. Das muss ich zugeben.
„Also, pass auf. Wir haben im Angebot: Sandwiches à la Danny. Selbstgemacht. Donuts, wahlweise mit Schokoladenguss oder Zucker. Selbstgekauft. Und …“ er schwenkt eine Tüte mit Fruchtgummi. „… Gummis, von meinem Nachbarn abgestaubt.“
Bei dem Wort „Gummis“ grinst er breit und zu meinem Ärger werde ich rot. Dennoch muss ich lachen. Dieser Kerl hat einen teuflischen Charme, und allmählich dämmert mir, warum er so beliebt ist. Und obwohl ich ganz sicher nicht vorhabe, mich in die Reihe seiner Eroberungen einzureihen, tut mir seine lässige Aufmerksamkeit gut.
„Was ist drauf auf deinen Sandwiches?“
Er zieht ein in Klarsichtfolie verpacktes, leicht zerdrücktes Etwas aus seinem Rucksack und hält es mir hin.
„Na ja, ich musste improvisieren. Hatte nicht wirklich viel da, auf meiner Bude. Erdnussbutter mit Himbeergelee.“
Seine Augen funkeln vergnügt und ich muss wieder lachen.
„Klingt interessant.“
„Ja, das finde ich auch.“
Ich wickele mein Sandwich aus und betrachte es. Ich kann mir nicht helfen, aber ich finde es süß, dass er die Dinger selbst gemacht hat. Wir hätten uns auch welche im Café kaufen können. Mutig beiße ich hinein und bin erstaunt. Es schmeckt gar nicht mal schlecht.
„Lecker“, nuschele ich und er zwinkert mir zu. Wir essen und unterhalten uns dabei. Zu meiner Überraschung ist es nett, und ich fühle mich nicht halb so unwohl, wie ich erwartet hatte.
„Was studierst du?“
Er kaut auf seinem Sandwich herum und für Sekunden scheint sich sein Blick zu verdunkeln. Oder ich bilde mir etwas ein.
„Betriebswirtschaft und Finanzen.“
Ich mustere ihn erstaunt. So trockene Studiengänge hätte ich nicht bei ihm vermutet.
„Und, macht es dir Spaß?“
Er dreht sein Sandwich in der Hand.
„Spaß? Nun ja, das ist relativ. Ich hab keine Wahl.“
Ich lasse die Hand sinken.
„Ja, manchmal hat man die nicht.“
Mein Blick schweift über den See, und für Sekunden bilde ich mir ein, Rauch zu riechen. Doch ich reiße mich schnell zusammen, als Danny fragt: „Und du?“
„Musik und Geschichte. Für Lehramt.“
„Du willst Lehrerin werden? Meine Güte, dir ist klar, dass du nie eine Oberstufe unterrichten darfst, nicht wahr? Die Jungs werden sich auf alles an dir konzentrieren, aber nicht auf das, was du sagst.“
Er grinst frech und ich schüttele den Kopf.
„Spinn nicht rum. Ich bin doch nicht Pam Anderson.“
„Na, zum Glück nicht.“
Er beißt herzhaft in sein Brot und ich muss lachen. Ich frage ihn ein wenig nach seinem Studium aus, und er antwortet bereitwillig, wenn auch ohne große Begeisterung. Merkwürdig, warum studiert jemand wie er diese trockenen Fächer, wenn es absolut nicht sein Ding ist? Ich möchte ihn gerne danach fragen, lasse es aber. So vertraut sind wir uns wirklich nicht, außerdem wird dies hier unser erstes und letztes Treffen sein. Bei diesem Gedanken verspüre ich ein leises Bedauern, das ich jedoch schnell verdränge.
„Hm, das war wirklich nicht schlecht. Danke.“
Ich knülle die Folie zusammen und sehe Danny an. Er nickt lächelnd.
„Warte mal.“
Er hebt die Hand und umfasst sachte mein Kinn. Dann streicht er mit dem Daumen über meinen Mundwinkel, was mir einen Schauer über den Rücken jagt. Ich starre in seine wunderschönen braunen Augen und merke, wie mein Herz flattert. Sein Blick ist weich, und ich bilde mir tatsächlich ein, Zuneigung darin zu sehen.
„Krümel“, sagt er lächelnd und zieht seine Hand zurück. Auf seinem Daumen klebt ein Weißbrotkrümel und ich sehe ihn verlegen an. Er lacht leise, doch es klingt nicht spöttisch oder herablassend.
Wir unterhalten uns noch eine Weile, dann müssen wir zusammenpacken, da meine nächste Vorlesung anfängt. Ich muss zugeben, es war schön, mit ihm hier zu sitzen. Vor allem hat es mich positiv überrascht, dass er nicht versucht hat, mir auf die Pelle zu rücken.
Wir laufen langsam zurück, und ich bin erstaunt, wie schnell die Zeit vergangen ist.
„Tja, dann. Danke für das Essen. Deine Sandwiches waren echt lecker.“
Ich bin plötzlich unsicher, weiß nicht, wo ich hinsehen soll.
„Nichts zu danken. Danke, dass du deine Zeit mit mir verbracht hast.“
Es klingt ehrlich. Der Kerl verwirrt mich alle drei Minuten aufs Neue. Warum ist er so anders als gestern? Was davon ist echt, und was ist seine Masche, um mich rumzukriegen?
„Bekomme ich deine Handynummer, wenn ich ganz lieb danach frage?“
Er fummelt eine Zigarettenpackung aus seiner Jeans und sieht mich mit seinen dunklen Schokoaugen forschend an.
„Ähm. Warum? Also, du weißt, dass das hier nur ein einmaliges Treffen war, oder?“
Ich weiche seinem Blick aus.
„Weiß ich das? Hm, keine Ahnung. Also keine Nummer?“
Er klingt enttäuscht. Was zur Hölle tut er da? Macht er das mit Absicht, um mein schlechtes Gewissen anzuregen? Ich sehe ihn mit schief gelegtem Kopf an. Er hat sich eine Kippe angesteckt, zieht lässig daran. Sein Blick ist herausfordernd, leicht spöttisch. Als ob er sagen wollte: Okay, Kleine, ich wusste es, dass du mir nicht gewachsen bist und Schiss vor mir hast.
„Doch, warum nicht, kein Problem. Speicher sie dir ab“, höre ich mich sagen und knirsche dabei leise mit den Zähnen. Oh, Erde, tu dich auf und verschlinge mich dummes Huhn. Ein leicht triumphierendes Lächeln umspielt seine schönen Lippen, als er meine Nummer in sein Handy tippt.
„Ich ruf dich an. Ciao, Summer.“
Ehe ich mich versehe, beugt er sich zu mir herunter und küsst mich auf die Wange. Ganz zart, seine Lippen berühren meine Haut nur wie ein Hauch. Dennoch habe ich das Gefühl, meine Wange fängt an zu glühen. Mein Herz stolpert, während sein einmalig guter Duft in meine Nase steigt. Doch schnell ist dieser Moment vorbei, Danny lächelt mir noch einmal zu, dann dreht er sich um und geht davon. Ich starre ihm mit klopfendem Herzen und ziemlich ratlos hinterher. Soll ich mich darauf freuen, dass er mich anrufen will, oder es als Drohung ansehen? Ich seufze und laufe ebenfalls los.
Der Nachmittag zieht sich wie Kaugummi. Ich bin unkonzentriert und froh, als die letzte Vorlesung vorbei ist. Draußen wartet Jake auf mich, und ich freue mich, ihn zu sehen.
„Hi. Na, wie war dein Tag?“
Er küsst mich auf die Wange und legt mir den Arm um die Schultern. Kurz schießt mir der Gedanke durch den Kopf, wie anders sich sein Kuss anfühlt im Vergleich zu Dannys.
Wir schlendern langsam den Weg entlang und ich erzähle ihm von den Vorlesungen.
„Klingt öde. Was hast du in der Pause gemacht?“
Mist.
„Ich war ein Sandwich essen“, murmele ich zögernd.
Immerhin ist das die halbe Wahrheit.
„Ah, die sind lecker, stimmt´s? Ich kann auch nicht genug davon bekommen.“
Mit schlechtem Gewissen nicke ich. Ich weiß, ich sollte es ihm erzählen, es ist ja auch nichts dabei. Ich weiß selbst nicht, warum ich es nicht tue. Es gibt keinen logischen Grund, es zu verschweigen.
Es ist noch ziemlich mild und wir setzen uns unter einem Baum ins Gras. Die Sonne scheint warm und ich könnte glücklich sein. Meine Gedanken schweifen zu Danny. Ich habe wirklich keine Ahnung, warum er mich so dermaßen verwirrt. Aber ich muss zugeben, vielleicht war mein erster Eindruck von ihm falsch, und ich habe mich getäuscht, was ihn betrifft. Er war heute wirklich nett. Amüsant. Es war schön mit ihm. Und irgendwie freue ich mich darauf, wenn er sich bei mir melden wird.
Jake und ich sitzen noch eine Weile im Gras, dann brechen wir auf. Wir nähern uns meinem Wohnblock, als mir ein Pärchen auffällt. Sie lehnt mit dem Rücken an einer Mauer und der Junge steht vor ihr. Sie küssen sich leidenschaftlich, seine Hände scheinen überall auf ihrem Körper zu sein. Ich kneife die Augen zusammen und habe gleich darauf das Gefühl, jemand verpasst mir eine schallende Ohrfeige. Der Typ, der das Mädchen da fast öffentlich flachlegt, ist Danny.
Ich starre ungläubig auf die Szene, die sich mir da bietet. Okay, so viel dazu, ich habe mich in Moreno getäuscht. Gar nichts habe ich, er ist genau so, wie ich es vermutet hatte. Und ich dumme Kuh dachte, dieser Tag wäre schön gewesen. Unser Essen hätte ihm vielleicht auch gefallen. Er hätte diese Sandwiches gemacht, weil er mir eine Freude machen wollte. Scheiß drauf, das war alles nur Masche. Und vermutlich, weil ich nicht direkt mit ihm auf sein Zimmer gegangen bin, braucht er jetzt diese Tussi, um sich abzureagieren. Ich merke gar nicht, wie meine Hände sich zu Fäusten ballen.
Ich sehe zu Jake, der ebenfalls auf die beiden starrt. Er schüttelt abfällig den Kopf, brummt etwas, was sich nach „Können die sich kein Zimmer nehmen?“ anhört und zieht mich weiter. Ich stolpere neben ihm her und bin wütend. Auf mich selbst. Gar nicht mal so sehr auf Moreno, denn der ist eben, wie er ist. Aber ich, ich hätte es besser wissen müssen. Hätte auf Jake hören sollen. Aber gut, aus Fehlern lernt man, und ich habe gerade definitiv gelernt, dass ich mich von Moreno fernhalten muss. Und verdammt noch mal, das werde ich. Zum Glück hat er uns nicht gesehen, wir erreichen den Hauseingang und betreten das Wohnheim. Na ja, wie hätte er uns auch sehen sollen, ist ja viel zu beschäftigt.
„Ist was?“
Jake sieht mich fragend an.
„Was soll sein?“
Ich höre selbst, wie schroff ich klinge, und es tut mir sofort leid. Er kann ja nichts dafür, dass ich so blöd bin und dachte, der College-Casanova hätte ausgerechnet an mir ein ernsteres Interesse. Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel.
Am liebsten würde ich mit dem Kopf an die Wand schlagen. Dabei weiß ich nicht mal, warum ich so wütend bin. Moreno kann machen, was er will. Wir hatten ein nettes Mittagessen zusammen und das war´s. Er ist mir zu keinerlei Rechenschaft verpflichtet, und er kann küssen und vögeln, wen immer er will. Mir ist das klar. Aber dieser Anblick eben hat mich dennoch getroffen, und das ärgert mich wahnsinnig.
„Du hattest recht, was Moreno betrifft. Er ist ein Idiot.“
Ich starre grimmig aus dem Fenster meines Zimmers, das wir inzwischen erreicht haben. Jake mustert mich forschend.
„Warum bist du so sauer auf ihn?“
Ich drehe mich zu ihm um.
„Auf wen? Auf Moreno? Warum sollte ich auf den sauer sein?“
Jake schmeißt sich auf mein Bett.
„Keine Ahnung, sag es mir. Seit wir ihn da unten beim Knutschen gesehen haben, siehst du aus, als ob du am liebsten jemanden killen würdest.“
Er zuckt mit den Schultern.
„Ich meine, klar ist er ein Idiot, aber du kennst ihn ja gar nicht. Warum also diese plötzliche miese Laune? Vorhin warst du noch richtig gut drauf.“
Ich starre missmutig vor mich hin. Soll ich ihm erzählen, dass ich mich total zum Affen gemacht habe? Dass ich mit Moreno essen war, es mir gefallen hat und ich tatsächlich dachte, er sei ein netter Typ? Und dass ich dafür ihn, meinen besten Freund, belogen habe?
„Ich hab keine miese Laune. Und jetzt nerv nicht.“
Jake grinst.
„Alles klar. Klingt nach hervorragender Laune. Aber lass dir eins gesagt sein: An diesen Anblick solltest du dich gewöhnen, denn du wirst Moreno ständig mit irgendwelchen Mädchen sehen. Vielleicht steckt er ihnen nicht immer seine Zunge in den Hals, aber er hat dauernd eine am Start. Das ist eben er. Wenn du dir davon jedes Mal die Laune vermiesen lassen willst, dann viel Spaß.“
Ich starre ihn grimmig an.
„Red doch keinen Müll. Warum sollte ich mir davon die Laune vermiesen lassen? Der kann machen, was er will, das ist mir doch egal.“
Ich lasse mich neben Jake aufs Bett fallen.
„Wieso reden und streiten wir überhaupt über ihn?“
Er zuckt mit den Schultern.
„Keine Ahnung. Aber du hast recht: Scheiß auf Moreno.“
Er lächelt mir zu, und mir fällt wieder einmal auf, wie hübsch er ist. Das ist er wirklich. Ich lehne mich zurück und sage: „Gut, wenn das geklärt ist, dann könnten wir uns interessanteren Themen zuwenden. Dass Moreno dauernd jemanden am Start hat, hab ich inzwischen kapiert. Aber was ist mit dir?“
Ich zwinkere ihm zu, und zu meiner Verwunderung wendet er den Blick ab und wirkt plötzlich fast ärgerlich.
„Was soll mit mir sein?“
„Ach komm schon, Jake, stell dich nicht dumm. Ich will wissen, ob es jemanden gibt, der dir gefällt. Hier am College meine ich.“
Er lässt den Kopf aufs Kissen sinken und starrt an die Decke.
„Könnte schon sein.“
Ich betrachte ihn. Er hat ein schönes, ebenmäßiges Gesicht. Seine blonden Haare sind immer leicht zerzaust, dazu die intensiv blauen Augen. Er ist groß, schlank, witzig und klug. Es würde mich schwer wundern, wenn noch keine bemerkt hätte, wie toll mein bester Freund ist.
„Ehrlich? Komm schon, raus mit der Sprache. Ich will alles wissen. Warum hast du mir nicht schon beim Zelten davon erzählt? Wie heißt sie? Wie sieht sie aus? Einfach alles.“
Er verdreht die Augen.
„Was wird das? Ein Verhör? Lass gut sein, Summer, okay? Ich hab keinen Bock, mit dir darüber zu reden.“
Ich reiße erstaunt die Augen auf. Das sind ja ganz neue Töne. Früher haben wir uns immer alles erzählt.
„Ist ja gut, dann eben nicht.“
Wir liegen stumm nebeneinander, bis Jake aufsteht und sagt: „Ich muss los. Wir sehen uns morgen.“
Er lächelt mir kurz zu, dann ist er verschwunden. Ich bleibe liegen und starre vor mich hin. Wer zur Hölle braucht Jungs? Der eine ist ein idiotischer Aufreißer, der andere fängt plötzlich an, bei harmlosen Fragen herumzuzicken.
„Ach, ihr könnt mich mal.“
Ich rolle mich auf den Bauch und versuche, das Bild von Danny und dem Mädchen aus dem Kopf zu bekommen. Und mir darüber klar zu werden, was sich zwischen Jake und mir verändert hat.
Darüber schlafe ich ein und erwache erst, als die Klingelmelodie meines Handys ertönt. Verschlafen taste ich danach.
„Hallo?“
„Hey, Miss Summer Okay. Wollte mal kurz hören, ob bei dir alles in Ordnung ist. Oder ob dir meine Spezialsandwiches auf den Magen geschlagen sind.“
Ich drehe mich auf den Rücken und reibe mir die Augen. Verdammt, wie spät ist es? Hat der sie noch alle? Und auf den Magen geschlagen ist mir was ganz anderes als die Sandwiches.
„Moreno. Mal auf die Uhr geschaut? Um die Zeit schlafen manche Leute schon.“
„Echt? Alleine?“
Er lacht leise und ich rolle mit den Augen.
„Ja, alleine, stell dir vor. Nicht jeder hat ständig einen One-Night-Stand am Start.“
„Oh, oh, was ist los? Miese-Laune-Alarm? Ich könnte bei dir vorbeischauen, dann geht’s dir sicher gleich besser. Ich habe da so meine Entspannungsmethoden, weißt du?“
Na, bestimmt. Diese Methoden kann ich mir lebhaft vorstellen. Außerdem sehe ich sein unverschämtes Grinsen direkt vor mir.
„Danke, aber nein, danke.“
„Schade. Vielleicht ein anderes Mal.“
Darauf kannst du warten, bis du schwarz wirst.
„Nein. Und jetzt lass mich weiterpennen.“
Ich will auflegen, doch er sagt schnell: „Hey, warte mal. Ehrlich jetzt, ist alles okay? Heute Mittag warst du doch noch gut drauf.“
Ich atme tief durch, während ich meine Bettdecke zwischen den Händen zerknülle. Er klingt besorgt, was mich noch wütender macht. Der Typ ist so ein mieser Schauspieler.
„Dinge ändern sich. Mach dir keinen Kopf wegen mir, ich bin okay. Und jetzt nerv jemand anderes.“
Damit lege ich auf und schmeiße mein Handy auf den Nachtschrank. Der Typ ist so … aaah, ich finde keine Worte. Wieder sehe ich ihn vor mir, wie er das Mädchen küsst. Wobei küssen das falsche Wort ist, die haben sich ja fast gegenseitig die Klamotten vom Leib gerissen. Und jetzt hat er den Nerv, mich anzurufen? Wenn ich ihm gesagt hätte, er solle herkommen, was hätte er dann gemacht? Wäre er mit mir ins Bett gestiegen? Erst sie, dann ich? Gott, ich bin so eine blöde Kuh. Ich ziehe mir die Decke über den Kopf und schließe die Augen. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, dank Moreno und seinem Weckruf. Irgendwann gebe ich entnervt auf und greife nach einem Buch. Es ist spät, als ich endlich das Licht ausschalte und irgendwann in einen unruhigen Schlaf falle.
Entsprechend mies gelaunt bin ich am nächsten Morgen. Ich schlurfe missmutig über den Campus in Richtung Café. Solange ich keine Ladung Koffein intus habe, wird das heute nichts.
„Summer, warte.“
Ich verziehe das Gesicht, stapfe aber unbeirrt weiter. Der hat mir gerade noch gefehlt.
„Hey, warte doch mal.“
Moreno trabt neben mir her und ich sehe seinen belustigten Gesichtsausdruck aus dem Augenwinkel.
„Stalkst du mich?“, brumme ich und er lacht.
„Aber klar doch. Ich lauere schon die halbe Nacht vor deiner Tür herum, nur, um dich heute Morgen auf der Stelle zu erwischen, sobald du das Haus verlässt.“
Er grinst und ich schaue ihn giftig an.
„Haha. Da hat wohl jemand einen Clown gefrühstückt.“
„Immer doch. Aber ehrlich jetzt: Verrätst du mir, was ich dir getan habe?“
Er verstellt mir den Weg und sieht mich herausfordernd an.
„Was sollst du mir getan haben? Ich hab einfach keinen Bock, mit dir zu reden, das ist alles.“
Ich finde mich gerade selbst unausstehlich, aber was soll ich ihm sagen?
Ach Danny, mich hat das gekränkt, dass du gestern mit einem anderen Mädchen herumgeknutscht hast, nachdem du mit mir so nett zu Mittag gegessen hast?
Na klar doch. Also versuche ich, an ihm vorbeizukommen, doch er denkt gar nicht dran.
„Und warum nicht?“
Er steht einfach da, vollkommen relaxt, und ich komme mir blöd vor. Ja, warum? Weil ich eine dumme Nuss bin?
„Bin ich dir Erklärungen schuldig? Lass mich einfach in Ruhe, ja?“
Er nickt langsam, in seinen Augen blitzt etwas auf, das mir gar nicht gefällt.
„Du hast mich gesehen, stimmt´s? Gestern, mit Janine. Vor deinem Wohnheim.“
Ich starre ihn an und schnappe nach Luft. Spinnt der? Vergebens suche ich nach einer schlagfertigen Entgegnung, und zu meinem Ärger lacht er.
„Okay, war geraten, aber du hast mich wirklich gesehen.“
Er tritt näher zu mir, sein verdammt guter Duft steigt mir in die Nase.
„Und es macht dir was aus.“
„Das macht mir einen Scheiß aus“, knurre ich und er lacht wieder.
„Und warum bist du so brummig, während du gestern noch ganz schmusig warst?“
Schmusig? Ich funkele ihn empört an.
„Weißt du was, Moreno? Geh mir aus dem Weg und nerv mich nicht länger mit deinem nicht vorhandenen Charme.“
Er steht lässig vor mir und betrachtet mich interessiert.
„Und ja, ich habe dich gesehen, aber es geht mir so was von am Arsch vorbei, mit wem du knutschst oder generell, was du machst. Ich finde es einfach nur peinlich. Wie nötig muss man es haben, dass man mitten auf dem Campus so dermaßen mit einem Mädchen rummacht?“
Seine dunklen Augen blitzen und er kommt mir noch näher. Ich weiche zurück und würde ihm am liebsten ans Schienbein treten.
„Du bist eifersüchtig. Das ging ja schneller, als ich gedacht hätte.“
Ich balle die Fäuste und könnte schreien. Dieser Typ macht mich irre. Wie konnte ich nur glauben, er sei nett?
Wir starren uns an und ich zische: „Ich soll eifersüchtig sein? Auf diese Tussi? Und wegen dir? Du hast wohl einen an der Klatsche. Kapier es, du bist mir scheißegal.“
Sein Mund verzieht sich zu einem spöttischen Grinsen, doch in den Tiefen seiner dunklen Augen funkelt es gefährlich. Und mir wird klar: Moreno ist ein Jäger. Je mehr ich ihn zurückweise, desto mehr will er mich haben. Aber diese Beute wird er nicht erlegen. Niemals!
„Was ist denn hier los?“
Ich höre Jakes Stimme und bin erleichtert. Gott sei Dank. Doch dann durchzuckt es mich heiß. Er weiß nichts von Morenos und meinem Essen. Und so wie er gestern drauf war, wird er es sicher nicht gut aufnehmen, wenn er jetzt davon erfährt.
„Nichts. Ich wollte gerade weitergehen.“
Ich drehe mich um und packe Jake am Ärmel. Er mustert Moreno misstrauisch.
„Gehst du Summer auf den Nerv? Lass sie in Ruhe, ja? Kannst du ein Mal ein Mädchen in Ruhe lassen?“
Danny betrachtet Jake gelangweilt.
„Das könnte ich. Aber warum sollte ich das wollen?“
Er zwinkert mir zu und ich schüttele den Kopf.
„Weil sie es will? Siehst du nicht, dass sie keinen Bock auf dich hat? Sie kennt dich nicht und vielleicht könnte das so bleiben?“
Ich sehe, wie es in Dannys Augen aufblitzt. Er hat natürlich sofort kapiert, dass ich Jake nichts von unserem Treffen gesagt habe und nicht will, dass er davon erfährt.
„Aber du kennst sie, hm? Denkst, du wüsstest alles über sie? Tja, manchmal kann man sich irren.“
Moreno zieht eine Kippe aus der Schachtel und zündet sie an. Jake sieht ihn irritiert an.
„Was laberst du für einen Quatsch? Komm Summer, gehen wir. Warum reden wir überhaupt mit dem?“
Jake umfasst meine Hand und will losgehen, als Moreno sagt: „Ja, dann geht mal schön. Man sieht sich, Summer. Vielleicht noch mal beim Mittagessen, so wie gestern? War doch nett mit uns, nicht wahr?“
Ich schließe die Augen. Bastard! Ich fühle, wie Jake neben mir innehält und mich ansieht. Ich wende mich ihm zu und bitte ihn mit Blicken um Verzeihung. Er sagt nichts, doch ich sehe, dass er verletzt ist. Wütend schaue ich Moreno an, der mit den Schultern zuckt und grinst. Dann geht er davon, und ich stehe mit Jake da, der noch meine Hand in seiner hält. Er sieht an mir vorbei und ich stottere: „Hör mal, ich wollte dir das sagen, das mit dem Essen. Wirklich.“
„Mhm, schon klar. Wann? An Weihnachten? Du hast mich gestern ein paar Stunden lang gesehen und sagst mir nicht, dass du mit Moreno essen warst?“
Er lässt mich los und sieht mich an.
„Es war mir einfach nicht wichtig, ich …“
„Ach, komm schon, natürlich war es dir wichtig. Wenn es das nicht gewesen wäre, hättest du es mir einfach erzählt. Oh Gott, jetzt kapier ich auch, warum du so sauer warst, als wir Moreno mit diesem Mädchen gesehen haben. Das hat dir was ausgemacht. Meine Fresse.“
Er läuft los und ich haste hinter ihm her.
„Das stimmt doch gar nicht. Jetzt mach doch nicht so eine große Sache daraus, es war nur ein Mittagessen. Wir waren nicht mal im Lokal, wir haben auf einer Bank am See gesessen.“
Er grinst verächtlich.
„Ich mache eine große Sache daraus? Nein, die hast du draus gemacht, indem du es nicht gesagt hast.“
Allmählich reicht es mir. Erst Moreno, der mir den letzten Nerv raubt, jetzt Jake, der sich anstellt, als sei er mein gehörnter Ehemann.
„Ja, Gott, dann war ich eben mit ihm essen. Seit wann bin ich dir Rechenschaft schuldig, wenn ich mit jemandem etwas unternehme?“
Er bleibt stehen und sieht mich böse an.
„Bist du nicht, keine Sorge. Aber heul mir nicht die Ohren voll, wenn Moreno dein Herz zu all den anderen Herzen schmeißt, die er schon gebrochen hat. Und das wird er, glaub mir.“
Damit lässt Jake mich stehen und stürmt davon. Ich sehe ihm wütend und traurig hinterher. Was für ein beschissener Start in mein Studentenleben.
Ich stapfe über den Campus und warte vergebens darauf, dass sich ein Triumphgefühl einstellt, weil ich Jake eins reingewürgt habe. Nicht dass mir an ihm was liegen und ich es bedauern würde. Aber um Summers willen tut es mir leid. Vielleicht hätte ich doch meine Klappe halten sollen. Aber ehrlich, dieser kleine Wichser geht mir jetzt schon so was von auf den Sack. Er wacht über Summer, als sei sie sein Besitz. Und er beißt jeden weg, der sich ihr nähert. Zumindest würde er das gerne, aber an mir wird er sich die Zähne ausbeißen.
Ich habe noch etwas Zeit, bis meine Vorlesung anfängt, und schlendere zum See. Die Bank, auf der ich am Vortag mit Summer gesessen habe, ist frei und ich setze mich hin. Mein Blick schweift über das Gelände. Der Spätsommer zieht noch einmal alle Register, die Luft ist warm und kleine Mücken flirren über dem See. Ich ziehe an meiner Kippe und starre auf das Wasser. Ich gebe es nicht gerne zu, aber irgendetwas an Summer geht mir unter die Haut. Ich kenne sie kaum, aber da ist etwas, was mich fasziniert. Es war schön, gestern mit ihr hier zu sitzen. Sie hat eine angenehm natürliche Art. Manchmal ein bisschen schüchtern. Dann wieder haut sie eine Bemerkung raus, die es so treffend und mit Witz auf den Punkt bringt, dass es einfach Spaß macht, sich mit ihr zu unterhalten. Okay, ob sich so schnell noch mal die Gelegenheit bieten wird, mit ihr ein paar schöne Momente zu verbringen, wage ich zu bezweifeln. Ich fürchte, das habe ich gerade ziemlich versaut. Tja, Moreno, das kommt davon, wenn man nicht weiß, wann man einfach mal die Fresse halten sollte.
Gut, dass Summer mich gestern mit Janine beobachten würde, das war Pech. Oder Dummheit, je nachdem, wie man es sehen will. Immerhin standen wir ziemlich direkt vor Summers Wohnheim. Ich weiß ehrlich gesagt nicht mal, warum ich Janine überhaupt geküsst habe. Wobei, stimmt nicht. Ich wollte mir Summer aus dem Kopf schlagen. Was gestern auch noch ganz gut funktioniert hat. Heute nicht mehr. Irgendetwas an ihr lässt mich nicht los, und ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich trete meine Kippe aus und mache mich auf den Weg zur Vorlesung.
Mein Handy vibriert und meine Stimmung hebt sich, als ich auf das Display schaue.
„Come stai, Nonno.“
„Daniele. Grazie, bene, il mio Ragazzo. E tu?“
„Grazie, tutto e posto con me.“
Ein breites Lächeln gleitet über mein Gesicht, als ich der warmen, sonoren Stimme meines Großvaters lausche. Er ist Mitte siebzig und für sein Alter noch ganz schön fit. Er ist der Beste, sein Humor und seine Wärme begleiten mein ganzes Leben. Ich weiß, er steht immer hinter mir, egal, was ich tue, und es ist mir einfach wahnsinnig wichtig, dass es ihm gut geht. Er erzählt mir, dass unsere Firma einen sehr guten Abschluss mit einem dänischen Feinkosthersteller getätigt hat und dass er nach unserem Telefonat auf den Friedhof gehen wird. Nonna besuchen. Meine Großmutter ist vor fast zwei Jahren gestorben und mindestens dreimal in der Woche besucht mein Großvater ihr Grab. Ich glaube, er wird nie über ihren Tod hinwegkommen, auch wenn er versucht, sich seine Trauer nicht anmerken zu lassen. Es tut mir weh, zu sehen, wie sehr er sie vermisst.
Edoardo und Ilaria sind als junges Ehepaar von Italien in die USA ausgewandert und haben das Im- und Exportunternehmen EDOMO mit eigenen Händen, viel Fleiß und Einsatz aufgebaut. Die Firma, die mein Vater in zweiter Generation leitet. Und die ich in ein paar Jahren übernehmen soll. Das Unternehmen ist in den letzten Jahren stetig angewachsen, hat beständig steigende Umsätze und einen hervorragenden Ruf. Für die Firma hat mein Vater quasi seine Familie geopfert. Ich kann mich nicht erinnern, dass er je einen regelmäßigen Feierabend hatte. Meine jüngere Schwester Sara und ich haben ihn meistens nur zwischen Tür und Angel gesehen. Ich streiche mir mit der Hand durch die Haare, während mein Großvater mir erzählt, dass Sara einen neuen Freund hat, den meine Mutter nicht leiden kann. Ich muss grinsen und mag den Neuen schon jetzt. Arme Sara. Wenn meine Mutter sich auf jemanden einschießt, ist das meistens nicht witzig. Aber mein Schwesterherz lässt sich von unserer Mom nicht einschüchtern, das weiß ich. Die Kleine hat Feuer unterm Hintern, schließlich hat sie italienisches Blut in den Adern.
„Wann kommst du nach Hause, Daniele? Warum wohnst du überhaupt auf dem Campus, wo du doch auch hier sein könntest?“
Mein Großvater fragt mich das jedes Mal. Er kann nicht verstehen, dass ich den Abstand zu meiner Familie brauche. Sicher könnte ich zu Hause wohnen, das College ist für mich mit dem Wagen in einer halben Stunde zu erreichen. Aber ich will nicht. Ich hause lieber hier in einer Bude in einem zugigen Wohnheim, aber ich habe meine Ruhe. Und meine Freiheit. Solange es noch geht.
„Nonno, du weißt doch, hier gibt’s viele hübsche Mädchen, deshalb wohne ich hier.“
Er seufzt und ich muss lachen. Für meinen Großvater gab es Zeit seines Lebens nur eine einzige Frau, seine Ilaria. Dass ich mit meinen einundzwanzig Jahren noch keine Verlobte habe, ist für ihn ein großer Kummer. So offen und weitsichtig er sonst ist, darin ist er hoffnungslos altmodisch.
„Brich nicht zu viele Herzen, mein Junge. Ich muss los, deine Großmutter besuchen. Wenn du eines Tages die Eine findest, dann wirst du mich verstehen.“
Ich nicke lächelnd.
„Das werde ich bestimmt. Ich komme euch bald besuchen, versprochen. Ciao. Grüße an Mom, Dad und Sara.“
Wir verabschieden uns und ich lege auf. Ja, vielleicht werde ich auch eines Tages die Eine finden. Wer weiß.
Ich muss mich jetzt beeilen, meine Vorlesung fängt an. Ich kann mich nicht konzentrieren, male stattdessen Männchen auf meinen Block und starre Löcher in die Luft. Der Gedanke an Summer lässt mich nicht los. Bestimmt ist sie wütend auf mich. Außerdem wird Bloomfield ihr Stress gemacht haben, weil sie ihm nichts von unserem Essen erzählt hat. Wie toll. Summer ist sauer auf mich. Bloomfield ist sauer auf Summer. Und ich bin sauer auf mich selbst. Warum habe ich nicht meine Klappe gehalten? Ich muss das wieder hinbiegen.
„Das kannst du vergessen, kleine Miss Summer Okay, dass du mich so schnell loswirst. Wir zwei haben noch eine Menge vor miteinander.“
Ich muss grinsen. Oh ja, das haben wir.