Surfer Roman - Manou Rabe - E-Book

Surfer Roman E-Book

Manou Rabe

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Beschreibung

Edith Maassen, Spitzname "Eddie" liebt das Surfen, Vintage Cars und verschlingt jedes Surf- und Reisemagazin. Wie ihr großes Vorbild, der Surfer Eddie Aikau ist auch Eddie abenteuerlustig, mutig, die halbe Welt bereist und neuerdings - Mami. Einsam mit Kleinkind auf norddeutschen, verregneten Spielplätzen fühlt sich Eddie eher unwohl, aber es verbietet ihr auch keiner den "Sandkasten" an weiße Strände unter Palmen zu verlegen, denn "Eddie" ist passionierte Wellenreiterin und immer auf der sogenannten "Suche". So macht Eddie sich während und nach der Elternzeit immer wieder ganz frech aus dem Staub, um dem "Endless Summer" und ihrem Traum nachzujagen. Eines normalen Tages in Costa Rica, erfährt Eddie zufällig, dass eine gewisse Chantal ausgerechnet ihren coolen "Kindsvater" Big ausgespannt hat. Doof! Aber Rettung naht! Als Eddie im Internet den Van Traveller und Surfer Blake kennen lernt, glaubt sie fest daran, dass nun alles gut werden würde.... Ganz so einfach ist es nicht....aber zum Glück gibt es ja Bullis! Eddie tauscht kurzerhand den Babyjogger gegen einen kleinen, knallroten 40 Jahre alten Bulli, packt den Bub in den Kult-Van und sagt erstmal "Adios"...

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Manou Rabe

CHICA MIT BULLI

Surfer Roman

Inhaltsverzeichnis

Titel

Chica mit Bulli

Adios

Fly high and touch the Sky

Bingtang Beer

Pretty Sad Days

September Sessions

The Roof is on Fire

Knock-Out

Fake Friend

Pura Vida

Getting Lost

Every End is a new Beginning

Let Love find you

Take Me Away

Summer Love and Midnight Kisses

Going north

Going South

Never give up

Happiness is a Journey

Keep Calm and enjoy Camp Life

Young, Wild and Free

Zum Schluss-Danke für den Fish

Eddies kleines SURFER ABC

Last but not Least

Impressum neobooks

Wenn du etwas loslässt, bist du etwas glücklicher. Wenn du viel loslässt, bist du viel glücklicher. Wenn du ganz loslässt,

Adios

Papaya, Sesam, Mango, Orange, Zimt und Salbei. 

Vor meinem geistigen Auge erscheint ein großer, orientalischer Basar mit all seinen exotischen Gerüchen, Früchten, Gemüse und duftenden Kräutern sowie dem lauten, geschäftigen Treiben.

Seufzend öffne ich meine Augen wieder - und stehe nach wie vor dem Farbregal eines durchschnittlichen deutschen Baumarktes. Papaya, Sesam und Mango sind die Namen der Farbtöne.

Seit 30 Minuten stehe ich bereits vor dem Regal mit den Farben und kann mich nicht entscheiden. Die Gerüche nach Zimt, nach Zitrusfrüchten, nach Ingwer, Pfeffer und Chili – sie weichen der dumpfen Erkenntnis in einem Gang zu stehen, wo Terpentin und Farbverdünner die Geruchskulisse dominieren.

Wie soll man sich denn heutzutage überhaupt noch zu irgendwas entscheiden? Bei dieser Auswahl an Farbtöpfen und Designmöglichkeiten wird mir schwindelig. 

Dann entdecke ich eine Ecke mit Rabattfarbeimern.

Ich packe Mango und Salbei zurück ins Regal und schnappe mir entschlossen einen etwas altmodischen, dafür aber schön günstigen Farbeimer. Sonnengelb. Perfekt. Genau das brauche ich.

Sonnengelb! Sommer, Sonne, Sonnenschein - Urlaub! Los geht’s!

Endlich reiße ich mich von den Regalen los. Schnell heim, um mit der Renovierung meines mittlerweile historischen Wohnmobils zu beginnen.

An der Kasse freue ich mich: der Eimer Sonnengelb rettet mich, sonst würde ich wahrscheinlich völlig ratlos bis zum Ladenschluss vor den endlosen Regalen stehen und abwägen, ob ich Salbei und Zimt mit Sesam oder Mango-Zitrone auf Orange als Grundfarben wählen sollte.

Aber endlos soll ja was ganz anderes werden. Der Sommer. Endless Summer. Mein eigener, nicht enden wollender Sommer – der Traum eines jeden Wellenreiters!

Und dafür stellt sich Sonnengelb einfach als perfekte Wahl heraus. Perfekt für was? Perfekt für meinen Hanomag Henschel. Suleica Orion. Bitte? Wer oder was soll das sein?

Also gut, von vorn. Suleica steht für Super-Leicht-Caravan. So wie Hanuta für Haselnusstafel steht und Nutella für Nuss-Zeugs-Creme. Ja,... bei den Italienern, da weiß man es nicht so genau.

Das war damals halt so. 1958/59 entschied sich die Firma Kunststofftechnik Ferdinand Schäfer in Detmold, einen leichtgewichtigen Campingwagen aus GFK zu bauen. So ähnlich ist es auch nachzulesen auf der Fanseite des Orion Suleica Clubs. Auf dem Reißbrett entstand ein aufsehenerregender Wohnanhänger mit einer Aufbaulänge von 4,30 Metern, Eigengewicht etwa 560 und zulässiges Gesamtgewicht 800 Kilogramm. Typ F430.

Runde, fast weibliche Formen dominierten das Erscheinungsbild. Erstvorstellung 1962, in Serie gebaut bis 1968. Im Zuge einer Präsentation in der medialen Öffentlichkeit prägte der damalige Motor-Fachjournalist Fritz B. Busch von der Zeitschrift Auto Motor und Sport aus dem Wortgebilde Super-Leicht-Caravan die heute noch gebräuchliche Bezeichnung Suleica.

Der Hersteller Hanomag Henschel aus Hamburg baute dieses automobile Kunststoffwunder in den 60ern und 70ern rund 160 mal, genaue Zahlen findet man leider nicht, und taufte die Suleica auf den Namen Orion. Der Name für mein kleines Kunstwerk war geboren: RIO! Benannt nach Rio de Janeiro - der vermutlich mit Abstand schönsten Stadt auf dieser Welt! Wenn ich an Rio denke, denke ich an Faulenzen am Strand, Bikinischönheiten, Sonne und Kultur - aber auch an Samba, Segeln und Surfen.

Und Rio, einer dieser raren Schätze deutscher Automobilkunst, sollte nun von mir renoviert werden und auch wieder auf die Straße zurück finden. Und eben nicht nur auf deutsche Straßen, sondern sollte er vor allem die europäischen Küsten von Dänemark bis Spanien unsicher machen!

Eine Surf- und Urlaubsreise mit einem Oldtimer als Freund: Sylt, Dänemark, Norwegen, Holland, Belgien, Frankreich, Nordspanien, Portugal, Südspanien und eventuell noch Marokko. Das ist mein Plan. Mein Traum!

Den Atlantik rauf und runter und immer auf der Suche nach einer freundlichen Welle. Zum Wellenreiten! Mit Kind und Kegel.

Ja – da sind wir schon. Das Kind kommt mit. Aktuell ist es noch recht jung, quasi frisch aus mir heraus... geschlüpft.

Das Beste, was mir je passieren konnte: Mein kleiner Miki.

Aktuell bin ich ja in Elternzeit. Elternzeit? Ja. Das sollte man ausnutzen - die Gelegenheit kommt vielleicht nie wieder. Eventuell wird man nie wieder so viel Zeit haben, um sie mit seinem Kind zu verbringen. Oder man wird nie wieder ausreichend Geld haben. Und falls doch, wer weiß, ob einen nicht irgendwann einfach der Mut verlässt...

Der Mut, allein mit einem Kleinkind in einem Oldtimer die Küsten Europas hinauf und hinab zu tingeln - auf der Suche nach schönen Wellen und einem endlosen Sommer.

Deshalb reise ich jetzt, nutze den Schwung meiner Vorfreude und fast kindlichen Unbedarftheit um mein altertümliches Wohnmobil zusammenzuschrauben, mein Baby einzuladen und Freunde und Familie für unbestimmte Zeit hinter mir zu lassen. Und um in Gebiete vorzudringen, in denen noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist.

Zumindest noch keine frisch gebackene neunundzwanzigjährige Mutter mit knapp einjährigem Baby in einem frisch renovierten, neununddreißig Jahre alten Oldtimer. Ohne männliche Begleitung.

Es muss passieren. Jetzt. Time is now!!

Murmeltiertag? Ist stehe schon wieder in einem Baumarkt - diesmal in einem anderen. Auf der Suche nach Korkplatten. Und natürlich sind die dünnen Dämmplatten, die ich brauche, nicht mehr erhältlich. Klar. Kork ist in den 2000ern ja auch definitiv sowas von out. Ein Relikt aus der guten alten Zeiten, als es im Keller (der Eltern) noch einen schicken Partyraum mit Minibar gab. Damals war Kork echt schick! Ok, so richtig schick war es noch nie. Um ehrlich zu sein: eigentlich war Kork in den 80ern schon out.

Aber Kork ist so unsagbar praktisch! Und billig. Ich muss echt rechnen und jeden Euro mehrfach umdrehen, denn der Trip wird ja auch einiges Kosten. Benzin, Essen, Pampers. Postkarten. Ich grinse erwartungsvoll.

Einige Stunden später betrachte ich mein Werk zufrieden. Geht doch: irgendwelche Korkplatten gefunden, irgendwelche Korkplatten verklebt - und schon sieht der Superleichtcaravan sowas von oldschool aus! Ich grinse zufrieden.

„Hallo Täubchen, Eddie, wo steckst Du?“ Meine Mami ist extra knapp fünfhundert Kilometer angereist, um ein paar Blümchen-Vorhänge zum Projekt "endloser Sommer" beizutragen.

“Im Van, in Rio.“ rufe ich und strecke meinen Kopf aus der Tür.

„Huhu, Mami, komm her! Schau mal, wie hübsch Rio geworden ist!“

Meine Mama klettert in den Hanomag, knutscht mich einmal ab und schaut sich dann mit großen Augen um. „Kuschelig!“ ruft sie begeistert.

„Und so geräumig! Hier drin sieht Rio ein bisschen aus wie ein marokkanisches Ufo.“

„Ja, Mami, Ufo trifft es gut. Der Hanomag sieht echt aus wie ein galaktisches Spaceshuttle. Liegt eventuell daran, dass beide im selben Jahrzehnt konstruiert wurden.“ Ich nehme meine Mama in den Arm und präsentiere meinen selbst renovierten Kultvan voller Stolz.

„Schau mal, hier sind Teller, Töpfe, Pfannen und Besteck.” Ich deute mit der Hand auf die mini kleine Einbauküche. „Es gibt sogar einen Kühlschrank, einen Gasherd mit zwei Platten und sogar eine Spüle. Praktisch, oder?“
Dann öffne ich den kleinen Hängeschrank über dem Herd. „Gläser, Tassen und Gewürze habe ich hier rein gepackt. Und, schau mal, ich stelle mir gerade einen Erste-Hilfe-Kasten zusammen: Aspirin, Kohletabletten, Elektrolyte, Magnesium, Jod, Arnika-Globuli und -Salbe, ein paar Pflaster, Salbeipastillen, Kamillentee, Kompressen und Bandagen. Was nicht dabei ist wird auch nicht gebraucht. Fehlt etwas wichtiges?“

„Ich glaube, du hast an alles gedacht. Für den Notfall werde ich dir noch ein Antibiotika verschreiben und es ist auch immer gut Voltaren dabei zu haben - vor allem gegen Sportverletzungen. Das solltest gerade du auf jeden Fall mitnehmen! “

Ich zucke die Schultern und rolle theatralisch mit den Augen. Meine Mama ist Ärztin und ich, was Medizin betrifft, eher alternativ eingestellt. Wahrscheinlich so ein Mutter-Tochter-Ding. Das hat schon für etliche Familiendiskussionen geführt. Besonders bei Impfungen. Aber es ist nicht der Zeitpunkt zu diskutieren, also gebe ich nach. 
„Wenn Du meinst. Danke!”

Immerhin findet das ganze Platz in einer wunderschönen, antiken Schweizer Emailledose. Vom Flohmarkt. Da ging mein Retrotick wieder mit mir durch. Genauso wie bei meiner Hustelinchen-Blechdose und dem französischen Blechschild von Michelin aus den 1950ern.

Mit kommt aber nur die Schweizer Blechdose. Ob nun ein rotes Kreuz auf einer weißen Fläche oder ein weißes Schweizer Kreuz auf rotem Untergrund - der Schweizer Flagge eben - selbst Fremde sollten damit wissen, was gemeint ist. Auf jeden Fall ist sie extrem stylisch meine Erste-Hilfe-Blechdose. Aus meinem Bad kommen noch Handtücher, Badetücher und das Nötigste für die Körperpflege hinzu: Haarbürste, Zahnbürste, Zahnpasta und Duschgel. Und eine große Packung Aloe-Vera-Creme. Das muss reichen!

Ein paar Bücher, die ich schon immer mal lesen wollte, aber keine Zeit dafür fand, werfe ich ebenfalls ins historische Kult-Wohnmobil Rio. Kuschelige Kissen, diverse Decken – und beinahe vergessen: diverse Sonnencremes mit Lichtschutzfaktor acht bis achtzig.

Das alles findet nun seinen eigenen, neuen Platz in Rio - dem neuen Zuhause für mein Söhnchen Miki und mich.

Und dann wird noch das Wichtigste verstaut. Mein Surfbrett. Ein 7,6er Egg. Custom-made, sprich handgemacht oder auch handshaped, in Kapstadt.

Ein Brett das Wellenreiter, sofern sie es denn können, Noseriden und Turnen können. Übersetzt heißt das, man kann entweder bis auf die Nasenspitze tänzeln oder schöne Kurven aus der Hüfte damit fahren. Letzteres macht man eigentlich eher mit kurzen Brettern, den Shortboards, während meines schon zu den Longboards gehört, den langen großen Brettern.

Ich schreibe eine Email an meine beiden besten Freundinnen:

„Hey Ihr Lieben; ich bin bereit für die große Reise mit dem kultigen Surfhippiebus Rio, dem (Suleica Orion). Bald geht es los! Der Plan: Sylt, Dänemark, Holland, Belgien, Frankreich, Nordspanien, Portugal, Südspanien und eventuell im Winter bis nach Marokko. Habt ihr Lust mit mir zu reisen? Mich zu besuchen und einzusteigen in den Endless Summer? Würde mich so freuen, wenn eine meiner Chicas ein Stück mitreist. Mitte Juni auf Sylt ist vergeben, da besucht uns Big. Naja, vielleicht, ihr kennt ihn ja. Und in der zweiten Augustwoche kommt meine Surferbetty Lea aus Portugal. Ihr seid herzlich eingeladen! Ein Bettchen im Cockpit wird gestellt, Benzin und Food geteilt. Freue mich so… Ich sag dann mal "Adios" und hoffe ihr kommt nach. Eddie“

Dänemark. Fjaltring. Dünen und Meer. Offshore. Wind und Welle. Viel Wind. Mega viel Wind! Super? Nö. Gar nicht super! So habe ich mir meinen Start nicht vorgestellt. Und toll ist das auch nur, wenn man Wind- oder Kitesurfer ist.

Bin ich aber nicht. Ich mag eigentlich Wind überhaupt nicht. Höchstens den, mit dem man gechillt auf der Ostsee segeln kann und dabei ein Bier trinkt. Oder den, der die Haut in der Sonne angenehm kühlt, die salznassen Haare oder den Neopren und die handgewaschene Wäsche auf der Leine schneller trocknen lässt.

Aber der Wind, der jetzt ballert, den mag ich nicht. Es herrschen circa zehn Beaufort. Seit zwei Wochen bin ich nun genau genommen schon in Dänemark. Und seit zwei Wochen ballert der Wind ununterbrochen. In starken Böen.

Ich stehe auf einem einsamen Strandparkplatz, nahe eines winzigen Dorfes in der Pampa Dänemarks, das bis auf wenige Kieler und Hamburger Surfer, einige Radwanderer und den Dänen selbst kaum einer kennt.

Ich bin mutterseelenallein. Obwohl, ganz allein bin ich ja nicht. Mein Söhnchen Miki ist ja dabei.

Miki schläft selig eingekuschelt in unserem gemütlich Nest im Oldtimer Rio. Seine Gesichtszüge sind engelsgleich, süße schneeweiße Locken umspielen sein kleines Gesicht.

Ich bin ein wenig neidisch: noch trägt der kleine Fratz Pampers und es ist ihm völlig egal wie windig es draußen ist. Hauptsache Mami ist da, kuschelt und verwöhnt ihn. Aber Mami muss mal Pipi. Doof oder? Und da ich Chemietoiletten in Bussen verabscheue, muss ich halt raus aus Rio. Scheibenkleister. Es ist so kalt da draußen. Zum Glück stehe ich nah an dem Sanitärhäuschen, dass direkt an den Strandparkplatz gebaut ist.

Ich öffne die Türe und will eben schnell raus huschen, da erwischt eine Böe die Tür und schleudert mich im hohen Bogen aus meinem eigenen Bus.

Irgendwie will mein Arm die Tür nicht los lassen und so kommt, was kommen muss: der Arm ist ausgekugelt. Also genau genommen meine Schulter. Höllenschmerzen! Mir bleibt die Luft weg, ich kann vor Schmerz kaum atmen. Das darf doch nicht wahr sein! Die Heldin gewinnt 99 Gummipunkte.

Bei einer Schulterluxation ist das erste Symptom ein heftiger Schmerz im Schultergelenk. Anschließend zeigen meist schon äussere Anzeichen, dass die Schulter ausgekugelt ist. Zum Beispiel ist die Verschiebung der Gelenkkörper gegeneinander durch die Haut sichtbar. Iiihhhh!

Vor allem bei schlanken Personen wie ich eine bin - fünfundfünfzig Kilo auf ein Meter siebzig - kann man die Kontur des ausgekugelten Gelenkknochens prima sehen. So, so - eine Schulterluxation also. Was mache ich denn nun? Ich atme zischend ein und aus.

Erst einmal muss ich ganz doll auf die Toilette. Die Schulter muss mal kurz warten und vielleicht fällt mir ja ganz Freud-mäßig auf dem Pott eine gute Idee ein. Ich kämpfe mich, meine rechte Schulter krampfhaft mit der linken Hand umklammert, durch den immer heftiger peitschenden Wind und Sturm zum Klohäuschen.

Das Klohüsken ist - typisch dänisch natürlich - aus Holz und hat eine Art Vordach mit Holzsäulen. Ähnlich wie es an Gartenhäuschen oft zu finden ist.

Holzsäulen? Balken? Da fällt mir doch Mel Gibson ein! Mel Gibson als Cop in Lethal Weapon, konnte sich die Schulter selbst ausrenken um sich so von Handschellen zu befreien. In einer anderen Szene renkt er sich die Schulter ein, in dem er einfach sie gegen einen Holzmast knallt. Kurz überlege ich. Aber dazu fehlt mir dann doch der Mut.

Ich mache erst mal Pipi. Und weil ich den Schmerz nicht mehr ertrage, mache ich aus Versehen genau das Richtige!

Während ich auf dem Pott sitze, ziehe ich mit der linken Hand instinktiv meinen rechten Arm hoch. Immer höher. Ich beiße die Zähne fest aufeinander. Tränen laufen mein Gesicht runter. Aber dann scheint der Punkt erreicht. Meine Schulter gleitet wieder in die Position zurück, in die sie definitiv gehört. Was für eine Erleichterung! Im doppelten Sinne, denn ich sitze ja noch immer auf dem Pöttchen.

Schmerzgeplagt, aber immerhin erleichtert, schleppe mich zurück in den herrlich warmen Rio, werfe eine von Mamas Ibuprofen ein und kuschel mich an Miki, der schläft immer noch tief und fest. Lächelt, flirtet mit den Engeln und knarzt sogar niedliche Schnarchlaute hervor.

Ich seufze vor Erleichterung, als der Druckschmerz nach einiger Zeit durch die Schmerztablette ein wenig nachlässt. “Danke Mami, doch nicht die schlechteste Idee ein bisschen Arzenei an Bord zu haben!” flüstere ich. Und schlafe ein.

Meine Schulter schmerzt noch einige Tage nach der stürmischen Pipi-Aktion, aber es ist auszuhalten. Die Sonne scheint, mir juckt es in den Füssen, ich habe Lust weiter zu wandern. Auf die Idee heim zu fahren um die Schulter auf Knorpelverletzungen zu überprüfen komme ich nicht. Wozu auch? Ist ja noch alles dran! Ich sattle erneut auf und beschließe mit der Fähre von Thyborøn nach Agger über zusetzen.

Das erspart mir viel Gekurve, denn der Arm tut immer noch weh und der gute alte Rio besitzt weder Servolenkung, noch hat er einen Bremskraftverstärker. Ich muss also meine gesamte Kraft in den linken Arm verlegen - jetzt weiß ich auch, woher das Wort Kraftfahren kommt.

In Agger angekommen, fahre ich den nächsten Parkplatz an Strand an. Dieser liegt etwas versteckt an einem engen Damm und ist ebenfalls völlig abgelegen.

Wo genau - sag ich diesmal nicht, das gibt nur Ärger mit den Kieler und Hamburger Surf-Crowd. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz unter Surfern und absolut verboten zu verraten, wo sich die letzten Secret Spots Dänemarks befinden.

Deshalb heisst es ja „Living the search“ - sucht doch einfach mal selber! Yau!

Auch hier ist kein Mensch. Der Wind hat die Dünung platt gedrückt und selbst in Dänemark ist im Sommer die Nordsee gerne mal völlig flat - also flach. Keine Welle weit und breit.

Erst der Arm, dann flat. Also ich würd ja gern langsam mal eine Welle nehmen! Mist!

So sattel ich ein letztes Mal auf und tuckere noch weiter Richtung Norden. Ziel ist das wunderschöne Dörfchen Klitmøller. Hier ist immer was los, denn es hat einen schönen, besonders bei deutschen Windsurfern mega beliebten, Campingplatz.

Der legendäre Surfshop “West Wind”, leckere Fischbars und viele, viele hübsche dänische Ferienhäuschen. Das ist Klitmøller.

Ich verbringe einige Tage hier und treffe einige, mir bekannte Surffamilien am Südstrand. Unter anderem den Redakteur Kirk mit seiner Frau Siska und den beiden Töchtern Lina und Josie. Ich liebe diese Familie und so planen wir gleich eine chillige Grillung zusammen, die damit endet, dass Siska mit ihren Mädels auch noch meinen Miki bespaßt und ich in ganz in Ruhe ein Set kleine Sommer-Sunset-Wellen surfen kann. Gesagt, getan. Schnell schnappe ich mein Egg und sprinte an den Strand.

Herrlich. Die Wellen haben genügend Schub, so dass ich bereits nach dem dritten Versuch einen stylischen Nose Ride auf das Parkett lege. Mit dem Cross Step bin ich bis zur Nose getippelt - und dann passiert es! Ich schaffe es tatsächlich, meine zehn Zehen über die Spitze des Boards lugen zu lassen. Hang Ten - gestanden! Das entschädigt all die Schmerzen, den Sturm und Wind. Innerhalb von Nanosekunden bin ich das erste Mal auf meinem Trip stocked. Also happy und geflashed in einem!

Insgesamt geht es meinem Arm langsam besser und ich genieße die kommen Tage und Wochen in vollen Zügen - vor allem die Freiheit, mich einfach treiben zu lassen.

Es ist Hochsommer an der Nordsee, die Tage sind lange hell und das Leben schön entspannt.

Ich gehe mit Miki am Strand Muscheln sammeln oder baue Sandburgen mit ihm. Naja, gehen ist gut. Er kann ja gerade erst krabbeln, aber Miki steht schon kurz davor die ersten Schritte zu wagen. Und die Burgen baue eigentlich ich, er macht sie nur quietschend vor Vergnügen wieder kaputt. Der kleine Spielverderber!

Ich lese, chille, schlafe viel. Lebe das simple Leben.

B.e.a.c.h - Best Escape Anyone Can have!

Fly high and touch the Sky

20 für 4000. Was? Zwanzig Minuten für Viertausend Meter! Das ist genau die Zeit, die die Dornier 28, ein altes Militärflugzeug braucht, um auf die Höhe zu kommen.

Ich bin jetzt mit Miki und Rio auf auf Sylt, habe wie geplant Dänemark nach knapp einem Monat verlassen.

Ich bin zu einem absoluten Spitzen Event eingeladen.

Der Sylter Boogie, ein legendärer Fallschirmspringer Treff wartet auf mich. Ich bin mit meiner Freundin Lea und meinem Buddy Franky, einem Surfer der alten Garde aus Kiel dort verabredet.

Franky ist der beste Freund von Hauke - und Hauke ist Ilkas Mann und Ilka gehört das Heaven & Sky, eine Fallschirmspring Schule. Ihr Vater war auch schon Fallschrim Springer.

Ilka und Hauke sind übrigens beide ebenfalls Surfer und sogar Fallschrimspringer der deutschen Skydive Nationalmannschaft.

Ilka treffe ich zum ersten mal. Ich bin schon ganz aufgeregt. Sie ist diejenige die mich mit einer Seelenruhe in allen Einzelheiten instruiert und mir erklärt worauf es ankommt- Denn heute springe ich zum ersten mal; allerdings und das ist auch gut so- nur einen Tandem Sprung.

Und wieso muss sich eine frischgebackene Mutter aus einem Flugzeug stürzen? Naja, vielleicht eine Mutprobe? Neuer Lebensabschnitt oder zuviele Indianer Geschichten gelesen? Was könnte dahinter stecken?

Um es kurz zu machen, ich war nun grade mal dreizehn Monate lang Mami, also Mutter von Miki, aber irgendwie hatte ich noch nicht den Platz gefunden wo ich, sprich wir, nun hingehören. Und ich habe auch mega Angst vor der Zukunft.

Ob ich der Rolle als Mami gerecht werde zum Beispiel. Wie es im Leben weitergeht. Die Idee des Endless Summer Trips ist, mich dieser Angst zu stellen und somit auch zu entfliehen.

Eine Flucht nach vorne. Sozusagen ans Meer! Und nun mal zur Abwechslung in den sky.

Es heisst ja auch nicht umsonst, das der größte Fehler, den man im Leben machen kann, ist immer Angst zu haben, einen Fehler zu machen. Und glaubt mal, als junge Mutter hat man eine Menge Angst was falsch zu machen.

Hinzu kommt, zu Hause in Kiel bin ich nicht wirklich glücklich. Und bevor man sich versieht, steht man doof da und hat eine Depression. Dahin will ich erst gar nicht kommen. Also reiße ich aus, bevor es soweit kommt.

Ich riskiere jetzt mal was. Im warsten Sinne des Wortes. No risk no fun. Ich bin jetzt die Adventure Mom. Sich heutzutage immer wieder neu zu erfinden, so halten es Madonna und Co ja auch und bleiben dabei unsagbar fit, sexy und angesagt. Vielleicht hilft es ja auch gegen postnatale Depris oder Zukunftsängste?

If you never try, you´ll never know!

Ich finde mich plötzlich eingepfercht auf einem offenen Pick-up wieder, zwischen achtzehn mir so was von völlig fremden Personen. Gut 16 Personen. Lea und Franky kenne ich ja.

Wir rasen mit quitschenden Reifen zum Hanger. Eine antik wirkende, laut knatternden Propeller Maschiene stolpert uns entgegen. Oh mein Gott ist die alt, das kann ja heiter werden, denke ich.

„Da ist die "Do28", ruft einer der Springer von Heaven & Sky.

Do28, so nennen sie liebevoll den alten Blechvogel.

Die knatternde, alte Do bleibt abrupt stehen und wir schälen uns nach und nach aus dem Pick-Up um in den Flieger umzusteigen.

Als erstes klettert der Sigma gesponsorte Sportfotograf Franky aus Dubei in die Do, danach ein paar Profi Springer und Hauke der Heaven & Sky Betreiber: sie alle tragen schicke, schwarze "Fraks" zum Fallschirm.

Mit Fliege. Sie sehen eigentlich aus als wollen sie in die Oper. Sie sollen auf dem Sylter Polo Tunier Punkt landen und somit für Action sorgen.

Dann steigt mein Buddy Franky mit seinem Tandem Master ein, ein paar andere Skydiver und ziemlich zum Schluss dann kommen Lea, ich und Tarn, das ist mein zugewiesener Tandem Master.

Meine kultige, alte Reise Nikon, die schon viel von der Welt gesehen hat, darf ich leider nicht mitnehmen. Aber mir wird versprochen ich bekomme Pics von meinen Extrem Sports Fotografen Kollegen aus Dubai. Na, da bin ich aber gespannt.

Die Maschiene setzt sich in Richtung Startbahn in Bewegung. Dort angekommen wird sie gleich schneller, um bei Erreichen der richtigen Geschwindigkeit abzuheben. Ich sitze mit dem Rücken zur Flugrichtung mit allen anderen auf dem Boden und kann sehen, wie wir an Höhe gewinnen.

Mein Blick wandert auf Tarns Höhenmesser. Erst 200 Meter sind wir hoch. Tapfer steigt die Do auf auf. So ein kleiner Flieger vermittelt irgendwie das Fliegen direkter als ein Touribomber.

Schnell wird die Startbahn kleiner, genauso wie die Menschen dort.

1000 Meter - ich kann Sylt komplett erkennen, der Hindenburgdamm wird klein und schmal wie ein Streichholz.

Es gelingt mir nicht. Wer weiß, wo die wieder rumgurken... Ich genieße den Ausblick. Unermüdlich steigen wir weiter.

1500 Meter. Ich schaue auf die Uhr. Wir sind schon 10 Minuten unterwegs. Ab jetzt ist die Höhe gleichgültig. Ob Du nun 1000 oder 1500 Meter hoch bist, macht keinen Unterschied mehr. Du bist irgendwie abgekoppelt von der Welt. Es ist für mich der helle Wahnsinn, dieses unbeschreibliche Gefühl.

2000 Meter. Den Höhenunterschied entnehme ich nur noch dem Höhenmesser. Und es geht weiter.

2500 Meter. Jetzt sind wir in den Wolken. Ich sehe nur noch grau. “Schade”, denke ich. Kein Ausblick mehr. Ich lausche dem Motor, genieße das Gefühl.

3000 Meter. “Nur noch drei Minuten” sagt der Pilot. Mein Ohr ploppt.

3500 Meter. “Nur noch zwei Minuten”. Tarn und ich beginnen, wie am Boden besprochen, uns zusammen zu zurren.

Alle regen sich plötzlich, aber es herrscht keine Hektik. Nur ich bin nervös, denke ich. Du kannst es nicht aufhalten, denke ich. Nicht weiter drüber nachdenken. Du wirst jetzt einfach nur vertrauen, den Dingen seinen Lauf lassen. Zum Glück sind die Wolken wieder verschwunden und ich habe freie Sicht. Ein Traum!

4000 Meter. Es geht los. Aber erst passiert noch etwas absolut Magisches.

Alle Profis und Tandemmaster halten eine Sekunde inne. Alle im Flieger schauen sich kurz tief in die Augen. Wortlos. Es sind nur wenige Sekunden, als sich alle Blicke unabgesprochen treffen. Außer dem Propeller ist kein Ton zu hören. Niemand sagt auch nur einen Piep. Einzig Blicke. Blicke, die aus der tiefsten Seele entspringen. Durchdringend. Ehrlich. Und unfassbar klar.

Ein Schauer durchfährt mich.

Diesen einen magischen Moment werde ich ein Leben lang nicht vergessen. Noch nie habe ich so eine Verbundenheit mit wildfremden Menschen gespürt. Ich spüre keine Angst mehr, mein Herz schlägt schneller, aber vor Freude und Vertrauen.

Und dann geht plötzlich alles ganz schnell. Ich weiß gar nicht, wie mir geschieht. Tarn schiebt mich unbarmherzig zur Luke. Ich habe Probleme meine Füße nach außen zu bekommen. Aber dann konzentriere ich mich einfach nur auf den einstudierten Ablauf.

Ich hänge meine Füße über das schmale Brett nach draußen, nehme den Kopf ganz zurück. Ein Ruck. Wir fallen. Auf einmal dreht sich alles um mich und ich habe das Gefühl von Schwerelosigkeit. Nun nehme ich die Füße zurück, genau wie vorher besprochen, und mache ein Hohlkreuz.

Tarn bringt uns in Position. Das Gesicht nach unten. Ich rase auf die Erde zu. Mit über 250 km/h. Doch irgendwie ist sie sehr weit weg. Ich will Luft holen, aber das geht nicht. Also halte ich einfach die Luft an und stelle mir vor eine große Welle zu durchtauchen. Das hilft. Ich kann den Atemreflex unterdrücken.

Ich gucke durch die Brille und es kommt mir vor, als hätte ich einen Wasserfilm vor Augen. Ich sehe aber alles sehr klar. Wir werden immer schneller.

So ist also der freie Fall!

Es ist Irrsinn. So etwas übersteigt die menschliche Vorstellungskraft. Man muss es einfach erlebt haben.

Ich falle und falle und fühle mich dabei unendlich frei. Ok, da wäre noch Tarn an dem ich praktisch klebe, aber ansonsten fühle ich mich fast frei wie ein Vogel. Dass es solche Gefühle gibt, hab ich vorher nicht gewusst. Schon seit dem Aufstieg denke ich an den guten alten Reinhard Mey und sein Lied “”Über den Wolken”. Tarn klopft mir auf die Schulter. Kann der nicht aufpassen? Autsch!

“Eddie, nimm die Arme auseinander!” muntert er mich auf...

Der Wind ist sehr laut. Ich tue so, als hätte ich ihn nicht gehört. Denn ich traue mich nicht. Meine Schulter schmerzt noch von meinem dummen Windunfall.

Ich bin nicht bereit meine Federn zu spreizen, denn noch fühlt sich mein Flügelchen gebrochen an. 

Aber im Herzen, da bin ich bereit zu fliegen! So schreie ich lieber in die Welt hinaus, höre mich aber selber nicht. So laut ist der Fallwind.

Wir fallen immer schneller. Jetzt klopft Tarn mir wieder auf die Schulter. AUTSCH!!!

Wir sind bereits 2000 Meter gefallen - in nur 45 Sekunden.

Ich kenne dieses Tempo vom Motorradfahren mit meinen Eltern, nur dass dann vieles an einem vorbei fliegt.

Jetzt ist immer noch alles weit weg. Subjektiv eigentlich noch genauso weit, wie ganz oben. Die Welt ist weit weg. Tarn löst den Fallschirm aus. Wir werden stark abgebremst. Der Orkan wird leise. Wir hängen am Fallschirm. Es wird ganz ruhig. Ich hole erst mal ganz tief Luft. Und dann juble ich so laut ich kann.

Dann besinne ich mich. Genieße das hier und jetzt. Totenstill ist es im Himmel. Unbeschreiblich, was ich empfinde. Nun gleiten wir langsam tiefer.

“Eddie, jetzt musst Du Dich auf meine Füße stellen und abstützen.” Ich merke, dass Tarn irgendwas am Gurtzeug macht und lasse mich einfach hängen. Wir gleiten der Welt langsam entgegen. Irgendwo unter uns befinden sich Franky und Lea. Jetzt hält er mir die Schlaufen zum Lenken hin. Ich erfasse sie und wir fliegen einige Kurven. Irre gut.

Leider kommt der kleine Hangar vor dem Sylter Flughafen immer näher. Ich winke und rufe, bin mit Adrenalin vollgepumpt bis in die Haarspitzen.

Nur noch wenige Meter bis zur Landung. Tarn ist Profi. Er trifft genau den Fleck, den er anvisiert. Nun bekomme ich das Kommando zum Füße heben. Ich gebe mir Mühe. Der Fallschirm bremst uns.

Bautz! Wir sind auf dem Hintern gelandet. Ich sitze im Gras, bin überwältigt und kann es kaum fassen. Mein Herz klopft wie bekloppt. Neben dem Feld stehen fremde Leute und klatschen. Natürlich entdecke ich auch die Skydiverin Ilka, bei der ich meinen Miki geparkt habe. Beide winken mir aufgeregt zu und ich winke noch aufgeregter zurück.

I did it. Chapeau!!!

***

“Moin Moin und nen dicken Kuss sendet Eddie! Nach fast drei Monaten mit Miki im Oldschool-Surfmobil Rio, mega abgefahrenem Fallschirmspringen auf Sylt und finales Surfen in Biarritz & Hossegor bin ich leider wieder in Kiel "gestrandet". Rio macht Zicken, andauernd stottert der Motor, die Heizung fiel aus, jetzt bin ich erstmal wieder zurück. Na, der Sommer ist ja eh vorbei. Bin mir aber sicher, dass es in Kürze doch irgendwie weitergeht. Ich vermisse schon jetzt die Wellen des Atlantik immens, meine Elternzeit fliegt rasend schnell vorbei und das Schietwetter hier geht nach nur wenigen Tagen echt auf den Keks. Was gibt es denn bei Euch Neues? Bin ja so gar nicht im Bilde... Freue mich über Lebenszeichen. Eddie”

Danach checke ich meinen Email-Account und lese:

”Hallo meine lieben (Ex-)Teamkollegen- Surffreunde. Ein Teil von euch weiß es schon - und nun ist es tatsächlich soweit: Ich mache mit Wave Sissis los, meiner Surfschule für Mädels auf Lanzarote. Und juhu, auch die Webseite steht endlich. Schaut sie euch doch mal an! Ich würde gerne wissen wie sie euch gefällt. Es gibt auch ein Gästebuch, in das ihr euch verewigen könnt. Und jaja, ich könnte eure Hilfe brauchen: Schickt doch diese Mail einfach an all eure Freunde weiter, macht sie mit Wave Sissis bekannt. Erzählt von meinem Projekt. Welches ist der beste (und auch zweitbeste) (Wind)Surf-, Skate- und Snowboardshop in eurer Stadt? Name, Adresse, Web. Was hat der Laden so drin? Sind die gut sortiert? Mädelskram, nette Verkäufer? Kennt ihr vielleicht sogar jemanden da drin? Kann man da gut Flyer auslegen oder auch mit denen zusammenarbeiten? Wer hat Kontakte zur Presse? Print, Film, was auch immer. Surfzeitschriften, Foren,...? Oder Skate und Snow? Oder sonstigen Partnern mit denen man zusammenarbeiten kann? Vielen Dank für eure Hilfe und bis auf der nächsten Welle! Grüße aus Lanzarote, Bea.“

Wow, Cool! Ich beschließe mir einen Kaffee zu brauen, einen Blümchenkaffee – das ist eine eher scherzhafte Bezeichnung für einen sehr dünn gebrühten Kaffee, und denke nach.

Mir fehlt mein schönes Surf-Nomaden-Leben mit Rio. Die drei Monate sind tatsächlich wie im Flug vergangen. Ich will mehr Meer. Ich hab sowas von Meerweh!

Aber ich musste zurück. No Chance. Zum einen machte Rio mega Zicken, der Motor hustete andauernd und die Heizung fiel aus. So wäre ein Überwintern eh nicht möglich gewesen, schon gar nicht mit Kleinkind.

Glück im Unglück: Dafür gibt es ein tolles Jobangebot als freie Fotografin mit freier Zeiteinteilung bei einer Münchner Agentur. Ich bin hin und her gerissen mich zu bewerben, denn ich hab ja schon erwähnt, dass nicht alles gut bei mir ist. Eigentlich ist soweit alles ok. Aber eben nur eigentlich.

Mit Big läuft es irgendwie nicht rund. Wer ist Big? Na, irgendwer muss ja das Y-Chromosom für Miki geliefert haben. Also: Big ist mein Freund. Mein Mann. Naja. Ich will ja nicht heiraten, bin ja erst 24 Jahre. Also doch - Freund! Richtig heißt er Björn Ingvar Gustavson. Spitzname Big.

Ein Kieler Jung dessen Urgroßeltern einst aus Schweden die Förde hoch gesegelt kamen, blieben und als Schiffbauer in Kiel sesshaft wurden.

Wieso ich Big noch nicht erwähnt habe?

Weil er eh nie da ist, immer beschäftigt ist und eigentlich nur in meinem Telefon und auf Papier existiert. So stelle ich mir Wikinger vor. Groß, stark, gute Gene. Sie machen blonde, gesunde, blauäugige Babys und segeln dann wieder davon um Robben zu jagen. Oder so ähnlich.

Big jagt zwar keine Robben, ist aber immer auf Achse um Aufträge zu jagen. Statt der Harpune hat er eine oder auch mehrere Kameras. Statt Robben erlegt er Stories. Er ist Kameramann beim NDR, hat aber auch ein eigenes Produktionsstudio. Ein ganz moderner Wikinger halt, der gute Björn Ingvar Gustavson.

Miki ist unser gemeinsamer Sohn. Als Miki zu Welt kam, war auch noch alles super duper. Wir waren sowas von verliebt. Big war bei der Geburt dabei. Er wollte den Wurm sogar noch mehr als ich, ich fühlte mich eigentlich noch zu jung zum Mami werden.

Die ersten Wochen hielt Big auch noch den properen, nordischen Stammhalter liebevoll und sanft in seinen Wikingerpranken.

Wir gaben ihm den Namen, benannt nach dem legendären Wellenreiter Miki "Da Cat" Dora, Miklos.

Den Nachnamen durfte Miklos alias Miki von mir haben, weil es Gustavsons schon so viele gibt im Norden und Bigs Familienstamm sowas von geburtsfreudig ist, dass ich jedes Mal unwillkürlich an Kaninchenpopulationen denken muss.

In meiner Sippe sieht das völlig anders aus. Keine meiner Cousinen hat je geheiratet. Geschwister hab ich nicht, so bin ich mit vierundzwanzig Jahren die jüngste Maassen und auch letzte Maassen. Nach mir würde unser Maassen-Zweig aussterben. Dank Miki, alias Miklos, Maassen ist der Stammbaum also vorerst gerettet. Was meinem Papa Freudentränen in die Augen getrieben hat, als ihm das bewusst wurde.

Eigentlich war der Plan, dass Big - so mag der große Nordmann gerne gerufen werden - so oft wie es nur geht nachkommt. Auf Mikis und meinen Endless-Summer-Trip. Mit der Bahn, mit dem Auto oder dem Flieger. Je nachdem, wo wir gerade sind.

Denkste. Piepenbrink. Ganze einmal hat er uns zwei Tage in Dänemark besucht. "Ich muss arbeiten! Als Selbstständiger kann ich es mir nicht leisten, einen Auftrag abzulehnen".

Bla bla bla... Geh Robben jagen! Genau deshalb bin ich auch alleine gestartet. Das war mir schon vorher klar. Und selbst wenn man es schon geahnt hat, ein bisschen enttäuscht ist man dann trotzdem. Naja. Ein bisschen ist auch ein bisschen untertrieben.

Diese Sprüche haben mich einfach wütend gemacht. Und ich kann ganz schön wütend werden. Bei Ungerechtigkeit werde ich zum HB-Männchen. Oder Weibchen. Gab es je ein HB-Weibchen?

Zack, da sind wir schon wieder. Wir sind doch nicht im Mittelalter. Jetzt mal ehrlich: wir Frauen müssen doch auch zusehen, wie wir über die Runden kommen. Gerade wenn wir nicht oder noch nicht heiraten wollen. Wir sind doch die, die alles temporär hinschmeißen müssen, wenn wir Babys bekommen. Für die Schwangerschaft, die Still- und Elternzeit nehmen wir in Kauf, dass wir unsere Jobs verlieren.

Gerade als Freiberuflerin quälen mich nagende Zukunftsängste. Was ist, wenn mich keiner mehr will nach der Elternzeit? Wieso bin ich diejenige, die alles aufgibt für den Zwerg? Wieso sollen beide Elternteile in so verschiedene Rollen gequetscht werden? Ich beim Kind, er bei der Arbeit? Dafür habe ich nicht dreizehn Jahre die Schulbank gedrückt, zweimal studiert und gefühlte drei Ausbildungen begonnen und abgebrochen.

Mit Kindern und anderen Muttis auf dem Spielplatz zu verbringen ist nicht mein Lebensziel. Und mit Big darüber zu reden bringt leider nichts. Ich hab es versucht. Schon während meiner Schwangerschaft fragte ich ihn immer wieder, wie wir uns denn aufteilen wollen. Seine Reaktion: Aufteilen? Hä?

Die Mutter sorgt für das Kind, der Vater geht arbeiten. Zumindest die ersten drei Jahre, das ist gut fürs Kind. Sagt Big. Sagt die Gesellschaft. Sagen die Omas und Opas. Sagen die Mütter auf dem Spielplatz. Klassische Aufgabenteilung halt. Da musst Du Dich einfach mal anpassen, Eddie.

Aber, aber, aber - schreit mein Herz und mein Gerechtigkeitssinn. Das bin ich nicht. Es ist auch nicht so, als hätte ich Miki nicht gern bei mir. Das ist es nicht.

Ich halte nur diese langweiligen Spielplätze unter grauem Himmel mit viel zu bunten Super-Mamis und den ganzen käsgesichtigen und ewig heulenden Paulas, Emils, Martas und Emmas nicht aus. Es muss doch Alternativen geben! Und außerdem, es gibt doch soviele andere Papis, die sich eine Auszeit nehmen und zusammen mit Partnerin und Baby eine Reise starten, oder sich zumindest ergänzen!

Goldene Mittelwege. Oder ich kümmere mich um das Kind - was ich sehr gern tue - dafür werde ich ab und an für Reportagen, Recherche oder irgend so etwas eingespannt. Oder der Herr Robben- äh... Storyjäger macht eine Jagdpause und spielt mit seinem Wikingersohn. Und ich nehme ab und an einen kleinen Auftrag an, um nicht ganz aus dem Berufsleben raus zu sein.

Meine Mama, eine studierte Medizinerin mit eigener Praxis und weltweit - von Chile bis nach St. Petersburg - gereist, hat mir definitiv andere Werte mitgegeben.

Eine Frau muss nun wirklich nicht durch und durch Feministin sein, um sich neben der Mutterschaft zu verwirklichen. Aber dann darf der Partner sich auch nicht im Nachhinein als Möchtegern-Patriarch entpuppen, der sich von Monat zu Monat rarer macht.

Mich beschäftigt nun immer mehr die Frage, was insbesondere Jungen wie Miki für eine glückliche Kindheit brauchen. Braucht er denn einen Vater, der sich von morgens bis abends nicht blicken lässt? Ist dieses altbackene Mama-Papa-Kind-Modell nicht überholt? Was ist, wenn ich jetzt wieder ins Berufsleben einsteige und arbeiten gehe? Dann müsste sich der Herr Robbenfänger auch mal morgens vor zehn Uhr aus der Koje quälen und aufstehen, um das liebe Kindchen zu bespaßen.

Mir geht die Email meiner Freundin nicht aus dem Kopf - ein SURFCAMP.... Wave Sissis… Lanzarote. Mutig, denke ich mir. Mutig. Aber machbar!

Ich seufze tief. Dann schlürfe ich meinen inzwischen kalt gewordenen Blümchenkaffee aus und beschließe mit Miki an den Strand zu fahren. Mit Blick auf das Meer wird mein Kopf immer so schön klar.

Platsch. Plitsch. Plitsch. Platsch. Es regnet. Es regnet immer in Kiel. Seit wenigen Wochen ist Miki nun vormittags in einer Krippe.

Ich sitze auf meinem Schreibtisch, gerade habe ich eine virtuelle Mappe mit Arbeitsproben an die Münchner Agentur gesendet. Ich habe mich getraut. Ich habe mich beworben!

Ich zeichne mit den Fingern Regentropfen nach, die außen an der Scheibe hinunter kullern. Ich fühl mich deprimiert. Gefangen. Bin genervt.

Ich habe Fernweh. Ich hasse Kiel. Die roten Backsteingebäude wirken auf mich bei dem Schietwetter wie nasse, gruselige Monster. In Reih und Glied stehen sie in dieser Stadt und starren mich düster an. Kiel kann nur ein Kieler lieben, denke ich. Ich bin aber keine Kielerin.

Ich erinnere mich, wie ich Big im wunderschönen Hamburg kennen gelernt habe. Einen coolen Skater, Surfer und Filmemacher.

Wir wurden eigentlich verkuppelt. Von jemandem, der uns beide kannte und fand “die müssten sich mal über den Weg laufen”. Sind wir. Und haben uns Hals über Kopf ineinander verknallt.

Mein Sohn ist also Kieler – ich bin und bleibe gebürtige Kölnerin. Meine Jugend verbrachte ich also in Kölle. Dot war ne Superjeilezick- auf kölsch, das war eine geile Zeit!

Ich wollte nur kurz ein Studium in Hamburg nachlegen. Das Wahlfach gab es nur in Hamburg. Und dann blieb ich länger als gewollt, denn die Bahnverbindung zu Sylt war einfach spitze.

Samstagmorgens konnte ich mit dem Schleswig- Holstein-Ticket zum Wochenend-Surfen nach Sylt fahren. Für nur 5 Euro. Ich glaube das Schleswig-Holstein-Ticket gibt es auch nicht mehr. Zum Preis von insgesamt 34 Euro mit bis zu 5 Personen ein ganzes Wochenende lang durch Schleswig-Holstein fahren – das machte schnell die Runde. So suchte ich mir einfach eine wildfremde Gruppe zusammen und teilte mir das Ticket. Der einzige Nachteil: man musste auch zusammen sitzen und so tun, als wäre man eine Gruppe.

Obwohl allen, also auch den Schaffnern der Bahn, damals bewusst war, dass wir keine Reisegruppe sondern wild zusammengewürfelte Geizhälse waren, funktionierte es mit dem Ticket einige Jahre ganz gut.

Bis dann Big auftauchte. Verliebt, verlobt, schwanger. Nicht, dass wir nicht verhütet hätten. Aber der damals ach so geniale Anti-Baby-Ring - eine Weltneuheit - war wohl doch noch nicht so ganz ausgereift. So strandeten also Miki und ich in Kiel. Das Studium hab ich auf den letzten Drücker noch gewuppt bekommen und mit Mikis Geburt quasi das Diplom eingereicht.

Kiel. Das Beste an Kiel ist die Autobahn nach Dänemark, geht es mir durch den Kopf. Gegessen hab ich noch nichts. Ich zittere leicht. Bin nervös. Irgendwie rieche ich Abenteuer. Mit dem dritten Pot Kaffee in der Hand setze ich mich erneut an den Schreibtisch und öffne meinen Email-Account. Als wenn dort Wunder geschehen könnten. Oder mir ein Geist aus einem anderen Universum einen spannenden Liebesbrief schreibt. Blödsinn. Aber ich guck halt trotzdem rein.

Da! Geil! Waaaas? Ich lese im Internet:

“Gewinne eine KIMA BALI SURFARI! Nutze die einzigartige Chance auf einen gratis Surftrip auf Bali!

In Zusammenarbeit mit der Surfers und FUNK verlost KIMA einen 3-wöchigen Aufenthalt im KIMA Surfcamp auf Bali incl. Flug und Surfschule. Damit du auch komplett ausgerüstet bist, gibt’s obendrauf noch eine funky Sonnenbrille, KIMA Boardshorts und Rashie und einen Funk Reisetrolley mit Beachbag. (Gesamtwert: ca. 2000 €). Und so geht’s: Schickt uns euer bestes Surf-Pic an dailydose.de - und mit etwas Glück wird der Traum von der perfekten Welle auf Bali Wirklichkeit. Einsendeschluss ist der 5.November”

Sofort bin ich Feuer und Flamme. Bali! Ein Traum! 

Ich suche sofort Pics raus. In dem Jahr bevor ich Big kennenlernte war ich einen Winter auf Maui Hawaii und weiß, es muss ein Foto von Maui werden. Denn dort waren bisher nur wenige Surfer die ich kenne und es sollte schon ein ganz besonderes Bild sein. Mit einem Hawaii-Pic habe ich gute Chancen, so rechne ich es mir aus.

Ich wähle eines aus, öffne Photoshop auf meinem Laptop und mache mich sofort an die Arbeit....

Bingtang Beer

Das Leben ist schön. Es steckt voller Wendungen und positiver Überraschungen. Gerade noch traurig weil es nicht so klappen will, weder mit einer erfüllten Partnerschaft noch mit dem Endless-Summer-Trip, und schon hat man das nächste Flugticket und somit einen Freisurfschein in der Hand. Man findet sich ab und zack – gewonnen!

Ich glaub es nicht. Ich rufe gleich Mama, Papa, Nimue, Riki, Kiki, Dee und alle Nummern an, die mein Handy hergibt um meine große Freude zu teilen. Ich habe gewonnen und fliege nach Bali! Yeah! Das Hawaii-Foto mit einem 1960er Chevrolet Parkwood SurfWagon, dass ich ausgesucht, bearbeitet und eingesendet hatte, hat tatsächlich gewonnen. Ich habe eine Reise mit Kima Surfaris nach Bali gewonnen. Gewonnen. Gewonnen. Ich lasse das Wort wie Schokolade auf meiner Zunge zergehen... Gewonnen. Wow!

Gut, ich habe einen ganzen Tag und eine halbe Nacht an dem Bild gebastelt. Hier noch Schatten, da noch mehr Kontrast, Licht, Motiv – alles war perfekt. Natürlich war es perfekt, ich bin eine Perfektionistin.

Mit Sicherheit war es eines der besten Fotografien die eingereicht wurden, aber dann auch zu gewinnen ist eine andere Sache. Die Fotos durften auch gevotet werden. Es konnte also auch gewinnen, wer die meisten Leute kennt. Aber anscheinend fand mein Bild viele Fans im Netz.

Keine drei Wochen später ist es soweit. Miki wird das erste mal bei Oma geparkt und los geht’s. Mal wieder. Diesmal im Flieger. Echt? Jap.

Schon der Flug, was ich bis dato in den seltensten Fällen behaupten konnte, ist schön.

Kann schon sein, dass es an den "danach-aber-sofort-wegschmeißen" Schlaftabletten unseres Kieler Sportmediziners und Fernreiseexperten lag. Der übrigens auch für zahlreiche Impfungen zuständig war. Ich musste gegen alles mögliche Impfen: Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis A sowie MMR – Mums, Masern, Röteln. Geht doch!

Achtzehn Stunden, je nach Fluggesellschaft, dauert der Trip. Wir fliegen mit China Airlines über Taipeh- Taiwan, wo wir noch gemütlich umsteigen.

Bali liegt auf halbem Weg zwischen dem asiatischen Festland und Australien und war ehemals holländische Kolonie. Drei Millionen Balinesen bevölkern diese wunderschöne Insel, und hinzu kommen eine Millionen Touristen jährlich.

Der größte Anteil der Balinesen ist muslimisch, dennoch leben hier die großen Weltreligionen in großer Harmonie nebeneinander, sowie es nur wenigen Kulturen geglückt ist.

Am Airport Ngurah Rai International in Denpasar angekommen, werden wir von Surfguide Agus erwartet. Einem stets etwas überdrehten, echten Sonnenschein, der uns noch viele top Surfspots, heiße Rides und ulkige Spielchen zeigen wird.

Wer ist denn eigentlich wir?

Big ist mit dabei. Um unsere angeschlagene „Liebe“ zu retten, hat er kurzerhand einen Flug dazu gebucht und wir reisen zusammen.

Es fühlte sich etwas komisch an aus dem Flieger zu steigen, zum einen weil ich mal nicht mit Kind sondern mit einem Mann reise. Zum anderen erwarteten uns tropische achtunddreißig Grad Celsius bei einer Luftfeuchtigkeit von neunzig Prozent.

„Big, stell dir vor, du bist mit Jeans, Wollpulli, festem Schuhwerk, einem zehn Kilogramm schweren Seesack und deinem gesamten Surf Stuff bepackt und rennst geradewegs in ein türkisches Hamam. Ey, so fühle ich mich grade!“

Er grinst und wischt sich mit einem Tuch den Schweiß von der Nase. „Willkommen auf Bali Eddie, hoffentlich schmelze ich hier nicht.“ Wir lachen.

Im Kimasurfari Jeep werden wir durch wild pulsierende, bunte Gassen direkt zum "Green Room" nach Kuta Seminiak kutschiert.

Dort erwartet uns ein Traum. Betreiber Ari spielte gekonnt mit Stil und balinesischer Tradition; er schuf ein Surfcamp de luxe.

Ästhetik und Funktion tanzen im "Green Room" leidenschaftlichen Tango.

Wir beziehen die Suite Nr. 14 - mehr Zimmer gibt es nicht. Und so scheint der Aufenthalt im “Green Room” auf den ersten Blick familiär und überschaubar.

Die Gästeliste liest sich dennoch international: Amerikaner, Schweizer, Belgier, Kanadier, in London lebende Vietnamesen und selbst für einen mit wunderschönen Wellen verwöhnten Portugiesen war der Weg nicht zu weit.

Um den Hunger nach der langen Reise zu stillen, bestellen wir uns was zu essen. Die Küche ist göttlich und der Service 1a. Ich bestelle ein Frühstück mit frischem Obst und Blumen serviert auf Palmblättern. Big kostet den Nasi Goreng und gönnt sich dazu ein Bingtang Beer.

Und dann ist es soweit. Nachdem wir uns ein wenig schlafen gelegt haben, sind wir bereit für die erste Surf Session. Wir werden morgens von dem Guide an den Spot gekarrt – und ich surfe die erste Barrel meines Lebens! Wo? Na das Geheimnis kann ich gerne lüften, ist ja nicht Dänemark… Der wunderschöne Strand ist eine halbe Autostunde von Kuta entfernt und wird von den Einheimischen Pantai Batu Bolong genannt, nach dem gleichnamigen Tempel dort. Jedoch haben die ausgewanderten Surfer dort dem Spot den Spitznamen ‘Echo Beach’ gegeben.

Für mich ist in diesem Augenblick so sicher wie nie: Life is better when you surf!

Big und ich haben eine gute Zeit zusammen und genießen die kinderfreie Zeit. Auch wenn ich Miki wie irre vermisse.

Die Tage gehen viel zu schnell vorbei. Zwei Wochen sind erneut verflogen wie im Flug und es steht ein letzter Ausflug an. Wir wollen nach Uluwatu.

Hier stoßen jahrtausende alte Kalkfelsen mit einem zweihundert Meter hohen Steilhang an den indischen Ozean.

Es ist der legendärste Surf Spot auf Bali.

Trotz stärkster Gegenströmung und rasiermesserscharfen Korallenriffen, die nur bei Ebbe sichtbar sind, ist dieser mystische Ort das Mekka der weltbesten Wellenreiter geworden.

Hier trifft sich die Elite.

Das Erreichen der fünf Peaks ist nur durch eine Höhle möglich, die wir hinabsteigen um bei Ebbe durch ein Loch in der Wand zu einem der imposantesten Strände Balis zu kommen.

Die fünf Lefthander, die sich nun vor uns erstrecken, erreichen für Asien eine ungewöhnliche Höhe und mit Sicherheit ist Uluwatu einer der gefährlichsten Spots der Welt.

Steve Coony war im Übrigen einer der ersten Personen die Ulu je gesurft sind. Das war 1971.

Und nun sind wir hier und surfen diese legendäre Welle. Die Bedingungen sind super. Heute können sich sogar Nicht-Pros ins Meer wagen, ohne auf dem Riff zerrissen zu werden. Es ist genügend Wasser im Becken und die Wellen sind recht klein.

Dennoch ist eine Barrel oder eine Tube zu surfen – sicherlich die Königsdisziplin des Surfens.

Wie ich, träumt eigentlich jeder Wellenreiter davon, einmal in diesem unfassbar anmutigen Tunnel aus purem Wasser dahinzugleiten.

Nach einigen gescheiterten Versuchen, bei denen ich immer zu schnell oder zu langsam bin, versuche ich es erneut. Ich paddle an, erwische die Welle nicht, dann nochmal nicht, dann nochmal nicht. Mist. Aber dann erwische ich eine und mache einen sauberen Take-off.

Ich stehe auf, fahre einen einfachen Bottom Turn in Richtung der ungebrochenen Schulter der Welle.

Um sicher zu gehen, bleibe ich in der Hocke, gebe Druck auf das vordere Brett, ich gewinne Geschwindigkeit und kauere mich zusammen, mache mich so klein wie möglich.

Es klappt, ich bin drin. Im Green Room.

Genau so heißt das Surf Camp, jetzt verstehe ich wieso. Ich bin stocked!

Nach dercoolsten Surf Session meines Lebens geht es für uns noch in den Uluwatu Tempel, der den Meeresgottheiten geweiht ist.

Laut Sage hat hier ein hinduistischer Hohepriester den Kreislauf der Reinkarnation beendet und sich, wie der Glaube es will, verflüchtigt.

Big und ich schauen uns zum Sonnenuntergang in Batubulan den Kechak-Tanz an.

Dieses faszinierende Schauspiel besteht aus 50 Sängern: dem Chak-Chor, die in malerischer Kulisse im Fackellicht mit nur zwei Silben die Armee der Affen imitieren. Ich finde, das hört sich sehr beeindruckend an.