Sword Art Online – Alicization– Light Novel 13 - Reki Kawahara - E-Book

Sword Art Online – Alicization– Light Novel 13 E-Book

Reki Kawahara

0,0
8,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vor über zwei Jahren landete Kirito, der Held der SAO-Krise, in einer rätselhaften Fantasy-Welt: Underworld. Auf halbem Weg zur Spitze der Central Cathedral, um dort endgültig der Welt zu entfliehen, wurden nun auch noch er und sein Freund Eugeo getrennt. Doch Kirito gibt nicht auf und macht sich von außen an den Aufstieg. Ihm bleibt keine andere Wahl, als mit dem Feind zusammenzuarbeiten, und ständig droht der Sturz in den Tod. Eugeo trifft es noch härter: Er muss sich dem Kommandanten der Integrationsritter, Bercouli Synthesis One, stellen!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 267

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Intermezzo IV

6. Juli 2026

Das Forschungsschiff »Ocean Turtle«, eine gigantische Konstruktion, die knapp 400 Meter lang und 300 Meter breit war, bestand aus zwölf Decks, auch Ebenen genannt.

Zum Vergleich: Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die »Oasis of the Sea«, war kleiner und hatte achtzehn Decks – die »Ocean Turtle« vermittelte also einen Eindruck von noch größerem Luxus. Da sie aber nicht dem Vergnügen, sondern der Meeresforschung diente, ergab es Sinn, dass die verschiedenen Geräte zur Beobachtung und Analyse zusätzlichen Raum benötigten. Asuna jedenfalls würde sich mit Sicherheit nicht über die zusätzliche Kopffreiheit beschweren.

Das erste Deck unterhalb der Wasserlinie war das Schwimmdeck, das zweite direkt darüber das Maschinendeck und auf den Decks drei bis acht waren die verschiedenen Forschungsbereiche untergebracht: Meeresbiologie, Tiefseeressourcen, Plattentektonik und so weiter. Auf den Decks neun und zehn befanden sich die Kabinen, das elfte diente der Entspannung: Sportanlagen, Trainingsräume und ein Pool, und auf dem zwölften und obersten Deck waren Radar, Antennen und Beobachtungspunkte untergebracht.

Offiziell gehörte die »Ocean Turtle« JAMSTEC, der japanischen ozeanischen Forschungs- und Entwicklungsorganisation, aber das war nur die halbe Wahrheit. Da das Schiff von einem inländisch produzierten Atomreaktor angetrieben wurde, hatte es mit Unterstützung des Militärs gebaut werden müssen und wurde auch jetzt, wo es operabel war, permanent von Soldaten bemannt.

Außerdem stand der Hauptschacht – die Säule aus einer Komposit-Aluminiumlegierung, die durch das Zentrum des Schiffs verlief – vollständig unter der Verwaltung des Militärs. Dort wurden streng geheime Forschungen betrieben, die nichts mit Meeresforschung zu tun hatten. Sie replizierten neugeborene Seelen und züchteten sie in einer virtuellen Umgebung, um die erste echte künstliche Existenz zu schaffen: Projekt Alicization.

Montag, 6. Juli 2026, 7:45

Nach einem Besuch bei Kazuto Kirigaya (Kirito), der sich immer noch im medizinischen Bereich des oberen Schachts erholte, frühstückte Asuna Yuuki zusammen mit Dr. Rinko Koujiro, einer Expertin auf dem Gebiet der Full-Dive-Technologie, in der Lounge auf Deck elf.

Es war kein luxuriöses Kreuzfahrtschiff, aber das Essen vom Büffet war ziemlich gut – nicht dass Asuna sich beschwert hätte, nicht, wenn Oberstleutnant Seijirou Kikuoka sie mit einem Fingerschnippen in die Brig hätte werfen lassen können, falls es so etwas hier überhaupt gab.

Ihr gegenüber spießte Rinko mit ihrem Messer ein weißes Stück frittierten Fisch auf und begutachtete es. »Glaubst du, dass sie den Fisch hier gefangen haben?«

»Ich … ich weiß nicht …«, erwiderte Asuna und betrachtete den Fisch auf ihrem eigenen Teller. Sie steckte sich ein Stück in den Mund. Der blasse Fisch war weich und krümelig, aber saftig. Er war offensichtlich sehr frisch, aber sie wusste nicht, ob man auf offener See einfach eine Angelrute auswerfen und etwas fangen konnte.

Asuna legte ihr Messer hin und griff nach ihrem Glas Eistee, während sie sich nach links wandte, um aus dem Fenster zu blicken. Die ruhige Meeresoberfläche war dunkel und glatt, kein Fischerboot war zu sehen und schon gar keine Fische.

Wenn sie darüber nachdachte, wusste sie nur, dass die »Ocean Turtle« irgendwo zwischen den Izu-Inseln lag, die sich von Nord nach Süd über einen weiten Bereich des Ozeans erstreckten. Hachijojima lag im Zentrum des Archipels und die Insel selbst war gute dreihundertzwanzig Kilometer von Tokyo entfernt.

Wenn sie ihr Handy frei hätte benutzen können, hätte sie einfach ein Kartenprogramm öffnen können, um ihre genaue Position zu bestimmen, aber aus Gründen der Sicherheit war es ihr nicht gestattet, sich ins WLAN des Megaschiffs einzuloggen. Sie konnte immer noch ihre gespeicherte Musik hören, was besser war, als das Handy ganz abgenommen zu bekommen, aber es war frustrierend, ein Smartphone zu haben, es aber nicht nutzen zu können, um sofort Informationen abzurufen. So frustriert war sie nicht mal während SAO gewesen, als sie überhaupt keine Möglichkeit gehabt hatte, im Internet zu recherchieren oder Nachrichten aus der realen Welt zu empfangen.

Asuna spülte ihren Ärger mit ihrem Eistee hinunter und versuchte, auf andere Gedanken zu kommen. Ihre Wut über den fehlenden Internetzugang war einfach nur ein Symbol für ihren grundsätzlichen Mangel an notwendigen Informationen.

War das, was Seijirou Kikuoka und Takeru Higa ihr gestern über ihr Projekt erzählt hatten, wirklich die volle Wahrheit? Umgaben ihr Testuniversum, Underworld, weitere Geheimnisse, die sie noch nicht enthüllt hatten? Und hatte Schwester Natsuki Aki die Wahrheit gesagt, als sie behauptet hatte, dass Kazuto morgen in STL-Einheit 4 aufwachen würde?

Die ersten beiden Fragen waren eine Sache, aber sie musste ihre Zweifel über Letzteres beiseiteschieben. Sie musste jetzt zuversichtlich sein. Am 7. Juli würde sich Kazutos beschädigtes neuronales Netzwerk regeneriert haben und er würde aufwachen. Asuna musste am selben Abend einen Helikopter nach Tokyo besteigen, aber wenigstens würde sie Zeit haben, mit ihm zu sprechen. Sie würde den Körper berühren können, der sich geopfert hatte, um sie zu beschützen.

Der Gedanke an diesen Moment gab ihr eine gewisse innere Stärke. Sie aß weiter und fragte Rinko: »Weißt du, wo genau sich dieses Schiff befindet? Ich habe nur gehört, dass es zwischen den Izu-Inseln liegt.«

»Ehrlich gesagt, genauer weiß ich es auch nicht …« Rinko hatte ihren Fisch aufgegessen und griff in ihre Manteltasche, um ihr Handy herauszuholen, bis ihr einfiel, dass sie sich ohnehin nicht mit dem Internet verbinden konnte. Sie verzog das Gesicht. »Ich bin mir sicher, Higa meinte, dass wir hundertsechzig Kilometer westlich von Mikurajima seien … oder war es Miyakejima?«, überlegte sie und wandte sich dann dem Fenster zu, das für ein Schiff verhältnismäßig groß war. Asuna folgte ihrem Blick und betrachtete wieder die blauschwarze Wasseroberfläche.

Hinter ihnen schien die Morgensonne durch die Fenster, was bedeutete, dass sie nach Westen blickten. Wenn es stimmte, dass die »Ocean Turtle« im westlichen Gebiet der Izu-Inseln lag, könnten sie weder Mikurajima noch Miyakejima sehen und schon gar nicht die japanische Hauptinsel Honshu.

Während ihr Blick von rechts nach links schweifte, konnte Asuna ein Staunen nicht unterdrücken. Dort draußen glitzerte etwas in der Morgensonne, das sie beim letzten Mal nicht bemerkt hatte. Etwas Künstliches und Schmales weit draußen auf See – ein Schiff. Ohne zu wissen, wie weit es entfernt war, war es schwer zu beurteilen, wie groß es tatsächlich war, aber es wirkte sehr groß.

»Rinko, sieh mal«, sagte sie, legte ihr Messer hin und deutete in die entsprechende Richtung.

Die andere Frau kniff die Augen zusammen und murmelte: »Das ist ein Schiff. Und höchstwahrscheinlich … nicht das Fischerboot, das unser Frühstück gefangen hat …«

»Nicht? Woher weißt du das?«

»Dafür ist es zu groß und die Farben sind zu gedeckt. Außerdem … hat es einen Haufen Antennen.«

Rinko stand auf und ging zum Fenster. Asuna schloss sich ihr an. Sie hatte keine Sehschwäche, allerdings ließ der Dunst, der vom Wasser aufstieg, das ferne Schiff undeutlich und verschwommen erscheinen. Doch in der Tat schien der Mast in der Mitte des Schiffs eine Reihe runder Satellitenschüsseln zu tragen. Er erinnerte an den gewaltigen Antennenmast, der sich aus dem obersten Deck nicht weit über ihnen erhob. Das Design des Schiffs wirkte kantig, nicht wie ein Fischerboot, eher wie ein Transportschiff oder …

»Ein Kriegsschiff …?«, flüsterte Asuna.

Hinter ihr erklärte eine eifrige Stimme: »Das ist ein japanisches Schiff. Dieses Land besitzt keine Kriegsschiffe.«

Die beiden Frauen drehten sich um und standen einem Mann in einer reinweißen kurzärmligen Uniform gegenüber, der ein Frühstückstablett trug. Leutnant Nakanishi.

»Guten Morgen, Herr Nakanishi.«

»Guten Morgen.«

Der groß gewachsene Mann stellte sein Tablett auf einem nahen Tisch ab und verbeugte sich zackig. »Guten Morgen, Dr. Koujiro, Fräulein Yuuki.«

»Möchten Sie sich zu uns setzen?«, bot Rinko an.

Er schien darüber nachzudenken, und stimmte dann zu. Asuna und Rinko warteten, bis er sein Tablett herübergebracht hatte, bevor sie sich wieder setzten. Der Offizier gönnte sich ein militärisch-herzhaftes Frühstück: Eier, Speck und Salat türmten sich auf seinem Teller.

»Wie ist das Frühstück hier im Vergleich zur Armee?«, fragte Rinko – eine eher heikle Frage.

Nakanishi verzog das Gesicht und nahm seine Gabel. »Um ehrlich zu sein, ist es hier ein bisschen besser. Die Tomaten und Gurken werden zum Beispiel auf dem Schiff angebaut.«

»Was? Es gibt hier einen Garten?«, brach es aus Asuna hervor.

Der Offizier strahlte vor Stolz. »Ganz recht. Auf Deck acht. Es ist ein Experiment zur groß angelegten Meereslandwirtschaft.«

»Deshalb schmecken die Tomaten also so salzig«, scherzte Rinko.

»Wirklich?«, erwiderte er und schob sich eine Scheibe in den Mund.

Asuna konnte sich ein Kichern nicht verkneifen. Sie nahm ihr Besteck wieder auf und aß weiter. Dann erinnerte sie sich an das Erste, was Nakanishi gesagt hatte.

Er hatte behauptet, dass Japan keine Kriegsschiffe hätte, aber das konnte nicht stimmen. Er war ein Offizier der Marine der Verteidigungsstreitkräfte, also musste er doch auf einem Kriegsschiff arbeiten … oder nicht? Oder war die Logik dahinter, dass die Verteidigungsstreitkräfte keine Armee im eigentlichen Sinne waren und deshalb auch keine »Kriegs«schiffe hatte? Dann musste das Schiff da draußen …

Erneut blickte Asuna aus dem Fenster und musterte die riesige, kantige Silhouette. »Wenn das kein Kriegsschiff ist, ist es dann … ein Verteidigungsschiff?«

»Fast. Die Schiffe der Verteidigungsstreitkräfte nennt man Begleitschiffe«, antwortete Nakanishi mit einem Grinsen. Auch er drehte den Kopf, um es zu betrachten. »Dieses Schiff ist unser letztes Allzweckschiff, die ›DD-127 Nagato‹. Bedauerlicherweise darf ich nicht enthüllen, warum es in diesem Teil von … hmm?« Er führte seine knappe Erklärung nicht zu Ende und lenkte ihre Aufmerksamkeit damit wieder auf das Schiff. Das graue Kriegs… äh, Begleitschiff änderte den Kurs. In weniger als zehn Sekunden hatte es sich so weit gedreht, dass sein Heck in Richtung der »Ocean Turtle« zeigte, und es tuckerte davon.

Nakanishi stand abrupt auf und wandte sich von den Frauen ab, um ein flaches Gerät aus seiner Tasche zu ziehen. Er drückte ein paar Knöpfe und hielt es sich dann ans Ohr, um hineinzuflüstern. »Hier ist Nakanishi. Es tut mir leid, Sie in Ihrer Pause zu stören, Oberstleutnant Kikuoka. Ich glaube, die ›Nagato‹ sollte uns erst in zwei Tagen um zwölfhundert Uhr verlassen, sie hat aber gerade nach Westen abgedreht … Ja, Sir, ich bin sofort da.«

Das Telefon noch in der Hand, wandte er sich ihnen wieder zu. Mit einem Mal war seine Miene ernst und angespannt. »Doktor, Fräulein Yuuki, ich fürchte, ich muss Sie verlassen.«

»Schon in Ordnung. Wir räumen den Tisch für Sie ab.«

»Ich danke Ihnen. Auf Wiedersehen«, sagte er mit einem Nicken und rannte dann praktisch aus der Lounge.

»Ich frage mich, was da los war …«

»Keine Ahnung«, erwiderte Asuna und blickte wieder aus dem Fenster.

Irgendwie machte sie der Anblick des im Dunst verschwindenden Begleitschiffs nervös. Asuna ballte wortlos die linke Faust.

Kapitel IX

Der Integrationsritter AliceMai des Jahres 380 der menschlichen Zeitrechnung

Krrk.

Krrk.

Mit jeder Wiederholung des metallischen Geräuschs spürte ich, wie mir der Mut sank. Das Geräusch stammte von der Spitze meines noch namenlosen schwarzen Schwerts, die in dem Spalt zwischen den etwa drei Zentimeter dicken weißen Marmorblöcken der Central Cathedral kaum Halt hatte.

Meine rechte Hand, die das Schwertheft umklammert hielt, war schweißnass und mein Ellbogen- und Schultergelenk protestierten schmerzhaft und konnten sich jeden Moment auskugeln. Was wenig überraschend war – mein alles andere als muskelbepackter Arm trug das Gewicht von zwei Personen, einem Langschwert höchster Priorität und einer kompletten Rüstung.

Die spiegelglatte Oberfläche der Wand bot absolut nichts, um sich festzuhalten, also konnte ich das Schwert auch nicht weiter hineintreiben. Unter mir erstreckte sich nur eine endlose senkrechte Fläche. Zu dem Schmerz in meiner rechten Hand kam noch, dass auch meine linke, die die Ritterin in ihrer goldenen Rüstung festhielt, langsam an ihre Grenzen stieß.

Körperliche Erschöpfung in Underworld war etwas anderes als in der realen Welt. Wenn es darum ging, lange Strecken zu laufen, zu sprinten, hart zu trainieren oder schwere Objekte anzuheben, war das Gefühl das gleiche. Der Unterschied war, dass sich Erschöpfung wie eine Verletzung verhielt, in dem Sinne, dass sie die »Lebensspanne« verringerte, also den numerischen Wert der Lebenskraft – in anderen Worten, die Hit Points.

In der realen Welt starb nur selten jemand tatsächlich an Erschöpfung. Bevor der Körper ernsthafte, permanente Schäden davontragen konnte, konnte man sich vor Erschöpfung längst nicht mehr rühren. Hier jedoch war es unter Umständen möglich, mit purer Willenskraft die physikalischen Gesetze auszuhebeln. Mit anderen Worten, man war theoretisch in der Lage, zu rennen und Schmerz und Erschöpfung zu erdulden, bis die Lebensspanne auf null abgesunken war und man auf der Stelle tot umfiel.

Im Moment musste mein Körper ein unglaubliches Gewicht tragen. Solange dieser Zustand anhielt, würde mein Lebenswert langsam, aber sicher immer weiter absinken. Mit purer Entschlossenheit konnte ich mich mit beiden Händen festhalten, aber irgendwann würde meine Lebensspanne auf null sinken und ich würde sterben. Wenn das passierte, würde sich vermutlich meine Hand vom Schwert lösen und die Ritterin würde mit mir auf den Boden Hunderte von Metern unter uns stürzen und ebenfalls sterben.

Und ich war nicht der Einzige, der Schaden erlitt. Mein geliebtes Schwert trug mehr Gewicht, als es aushalten konnte, und es konzentrierte sich gänzlich auf die Spitze. Zudem hatte ich die äußerst energiezehrende vollkommene Rüstungskontrolle in den heutigen Kämpfen schon zweimal angewandt. Ich konnte kein Stacia-Fenster öffnen, um die Zahlen zu überprüfen, aber es hätte mich nicht überrascht, wenn seine Lebensspanne in ein paar Minuten auf null sinken würde. Wenn das passierte, würde das Schwert brechen und seine Kraft nicht einfach mehr zurückerhalten, indem man es in die Scheide zurücksteckte.

Es wäre eine wahre Schande, wenn mein Schwert brechen würde, bevor ich ihm auch nur einen Namen geben konnte – nicht dass es wirklich eine Rolle spielen würde, da ich augenblicklich in den Tod stürzen würde. Ich musste etwas unternehmen, und zwar schnell, aber allein mich festzuhalten kostete mich all meine Kraft. Außerdem …

»Das reicht! Lass mich los!«, schrie die Frau, die unter mir baumelte – Alice Synthesis Thirty, der goldene Integrationsritter mit dem Schwert des goldenen Osmanthus. »Ich würde lieber sterben, als in der Schande weiterzuleben, von einem kriminellen Sünder wie dir gerettet worden zu sein!«

Sie wehrte sich und schaukelte, um sich aus meinem Griff zu befreien, und ihr Handschuh rutschte ein wenig in meiner schweißnassen Hand.

»Argh … höraff …« Ich versuchte, das Zittern unter Kontrolle zu bringen, und stieß unverständliches Zeug aus. Aber die Schwingungen ihres Strampelns rissen das Schwert einen winzigen Millimeter weiter aus der Wand. Als alles wieder still war, blickte ich nach unten und rief: »Hör auf zu zappeln, Dummkopf! Als Integrationsritter solltest du wissen, dass es auch nichts hilft, sich hier umbringen zu wollen! Dummkopf!«

»Wa…?« Das blasse Gesicht, das ich zwischen meinen Füßen erspähen konnte, lief rot an. »Du … du wagst es, mich zu beleidigen, du Ketzer? Nimm das zurück!«

»Sei still! Ich schimpfe dich einen Dummkopf, weil du einer bist, Dummkopf!«, brüllte ich zurück, unsicher, ob ich das tat, um sie dazu zu bringen, mit mir nach Hilfe zu rufen, oder ob ich einfach nur meinen Frust abbauen musste. »Begreifst du nicht die Situation? Wenn du abstürzt und stirbst, wird Eugeo ganz allein zu Administrators Gemach hinaufklettern. Und es ist deine Aufgabe, das zu verhindern. Ist es nicht deine oberste Pflicht als Integrationsritter, alles zu opfern, um ihn aufzuhalten? Wenn du zu dumm bist, die Logik dahinter zu sehen, bist du wirklich ein Dummkopf!«

»J… Jetzt hast du mich schon das achte Mal beleidigt!«, protestierte Alice und funkelte mich mit brennenden Wangen an. Ich bezweifelte, dass es jemand gewagt hatte, sie als Dummkopf zu beschimpfen, seit sie ein Integrationsritter geworden war. Sie hob ihr Schwert des goldenen Osmanthus und die Vorstellung, dass ihr Angriff uns beide in unser Verderben schicken würde, ließ mich schaudern. Doch schließlich schien die Vernunft zu siegen und das Schwert hing wieder an ihrer Hüfte.

»Verstehe. Deine Worte ergeben tatsächlich einen gewissen Sinn«, räumte sie zähneknirschend ein. »Aber warum lässt du nicht los? Kannst du beweisen, dass du es nicht nur aus Mitleid tust – ein Schicksal schlimmer als der Tod?«

Es war mit Sicherheit kein Mitleid. Schließlich war einer der Hauptgründe, warum Eugeo und ich hier in der Central Cathedral waren, Alice vor diesem Schicksal zu bewahren. Aber es blieb keine Zeit, das alles zu erklären. Außerdem war es nicht Alice Sythesis Thirty, die Eugeo aus dem Turm retten wollte, sondern seine Kindheitsfreundin Alice Zuberg, die vor acht Jahren aus dem Dorf Rulid verschleppt worden war.

Während ich gegen den stechenden Schmerz ankämpfte, versuchte ich, mir eine Argumentation zurechtzulegen, die Alice überzeugen würde. Doch eine glaubhafte Erklärung entzog sich mir. Alles, was ich ihr anbieten konnte, war ein Teil der Wahrheit. »Ich … Eugeo und ich haben nicht einfach nur die Kathedrale gestürmt, um die Axiom-Kirche zu vernichten.«

Ich starrte hinab in Alice’ durchdringende blaue Augen und suchte nach den richtigen Worten. »Genau wie du wollen wir die Welt vor einer Invasion des Dark Territory schützen. Vor zwei Jahren haben wir eine Goblinbande in den Bergen bekämpft … Nicht dass ich erwarten würde, dass du mir glaubst. Wenn du also einer der mächtigsten Integrationsritter bist, will ich nicht, dass du stirbst. Du bist ein zu wichtiger Machtträger.«

Erstaunt von meiner Bemerkung zog sie die Augenbrauen zusammen, fasste sich aber schnell wieder, um mich anzufauchen: »Warum richtest du dann dein Schwert gegen deine Mitmenschen und begehst den schwersten Tabubruch des Blutvergießens?« Die Frage entsprang einer reinen Rechtschaffenheit – die ihr von Administrator für ihre eigenen Zwecke eingepflanzt worden war. Alice’ Augen funkelten. »Warum hast du Eldrie Synthesis Thirty-One und all die anderen Ritter verletzt?«

Traurigerweise hatte ich darauf keine überzeugende Antwort. Mein Wunsch, die Menschenwelt zu retten, war sowohl aufrichtig als auch Heuchelei. Sollte ich die Spitze der Kathedrale erreichen und Administrator besiegen, würde Cardinal alle Systemrechte zurückerlangen. Um die bevorstehende Katastrophe zu verhindern, würde sie versuchen, die gesamte Underworld neu zu formatieren. Und in diesem Moment wusste ich keinen Weg, um diesen Ausgang abzuwenden: Rettung durch völlige Vernichtung.

Aber wenn Alice und ich in unseren Tod stürzten, würde das die bevorstehende Tragödie nur noch schlimmer machen. Wenn der »finale Belastungstest« – eine Invasion aus dem Dark Territory – begann, ohne dass Cardinal die Kontrolle hatte, würden die Integrationsritter und Administrator im Kampf fallen und jeder einzelne Mensch würde grausam abgeschlachtet.

Das Schlimmste an der ganzen Sache war jedoch das Wissen, dass ich, wenn ich hier starb, einfach irgendwo in der realen Welt in einem STL erwachen würde. Die Underworldler würden in einer qualvollen Hölle vergehen und mir würde es in der Realität blendend gehen. Dieser Ausgang war undenkbar.

»Ich …« Was konnte ich in der wenigen Zeit, die mir noch blieb, sagen, um die Beschützerin der Kirche und der Ordnung, für die sie stand, zu überzeugen? Doch egal wie hoffnungslos, in dieser Situation konnte ich nichts anderes tun.

»Eugeo und ich haben Raios Antinous und Humbert Zizek an der Akademie angegriffen, weil die Axiom-Kirche und der Tabu-Index falschliegen. Tief im Inneren weißt du doch auch, dass es so ist, oder nicht? Sollte es dem Hochadel, nur weil es im Tabu-Index nicht ausdrücklich verboten ist, gestattet sein, vollkommen unschuldige Mädchen wie Ronie und Tiese zu quälen und zu schänden? Glaubst du das wirklich?!«

Mein Körper zitterte, als mich die Erinnerungen an das, was ich vor zwei Tagen im Schlafsaal beobachtet hatte, überkamen – die Mädchen grausam gefesselt, mit Tränen in den Augen. Erneut ächzte das Schwert in der Wand, aber ich bemerkte es kaum.

»Also?! Antworte mir, Integrationsritter!« Meine aufgewühlten Emotionen manifestierten sich in einer heißen Träne, die aus meinem Augenwinkel auf Alice’ Stirn tropfte.

Die goldene Ritterin sog scharf die Luft ein, die Augen weit aufgerissen. Als sich ihre zitternden Lippen öffneten, schien es, als sei ihre Härte etwas anderem gewichen. »Gesetz ist Gesetz. Sünde ist … Sünde. Wenn jeder das Gesetz so auslegen kann, wie es ihm gerade passt, wie sollen wir dann die Ordnung in der Welt aufrechterhalten?«

»Und wer entscheidet, dass Administrator keinen Fehler gemacht hat, als sie das Gesetz so geschrieben hat? Die Götter des Himmelreichs? Warum wurde ich dann noch nicht vom Blitz getroffen?«

»Weil Stacias Wille sich durch uns, ihre Diener, ausdrückt!«

»Eugeo und ich haben das alles auf uns genommen, um das hoffentlich aufzuklären! Wir wollen Administrator besiegen und beweisen, dass alles ein Fehler ist. Und genau aus diesem Grund …« Ich warf dem Schwert, das in der Wand steckte, einen schnellen Blick zu und bemerkte, dass es fast vollständig herausgerutscht war. Eine Bewegung von Alice, ein Windstoß, und die Spitze würde entweder brechen oder herausfallen und uns in die Tiefe stürzen lassen. »Ich weigere mich, dich jetzt sterben zu lassen!«

Ich atmete ganz tief ein, spannte meine Bauchmuskeln an und beschwor meine letzten Kraftreserven. »Jaaaaa!«, brüllte ich und riss meinen linken Arm hoch, um Alice anzuheben. Beide Arme und Schultern brannten vor Schmerz, aber ich schaffte es, sie auf eine Höhe mit mir zu bringen. Mit letzter Kraft schrie ich: »Steck dein Schwert in diese Fuge! Ich kann nicht mehr … bitte!«

Aus der Nähe betrachtet verzerrten verschiedene Emotionen ihre Züge. Einen Moment später hob sie ihren Arm und rammte ihr Schwert des goldenen Osmanthus lautstark und tief in die Fuge zwischen den Marmorblöcken. Praktisch im selben Augenblick glitt mein schwarzes Schwert aus dem Stein und meine andere Hand verlor ihren Halt an Alice.

In einem einzelnen, sehr klaren Moment der Panik malte ich mir meinen langen, langen Sturz hinab und die Vernichtung, die mich unten erwartete, aus. Tatsächlich spürte ich aber nur einen kurzen Augenblick des Schwebens und dann ein heftiges Reißen. Alice hatte die Hand ausgestreckt, um mich hinten am Kragen zu packen. Sobald ich sicher war, dass sie mein ganzes Gewicht mit ihrem Schwert und ihren Armen sichern konnte, stieß ich einen Seufzer der Erleichterung aus. Langsam ebbte die nackte Panik ab und mein Herzschlag verlangsamte sich.

»Puh …«

Ich blickte zu ihr auf. Innerhalb einer Sekunde hatten sich unsere Positionen umgekehrt, sowohl ihm physischen als auch im geistigen Sinne. Die goldene Ritterin hatte die Zähne zusammengebissen, als würde sie mit allerlei gegensätzlichen Emotionen ringen. Aufgrund des Zugs hinten an meinem Kragen konnte ich spüren, wie ihre Finger immer wieder lockerließen und wieder fester zupackten.

Eugeo war der einzige Underworldler, den ich kannte, der mit solchen Extremsituationen hadern konnte. Die anderen synthetischen Fluctlights, ob das nun gut oder schlecht war, folgten alle blind bestimmten Verhaltensmustern und mussten nie mit großen, schwierigen Entscheidungen ringen. Anders gesagt, alle wirklich wichtigen Entscheidungen wurden ihnen von jemandem oder etwas abgenommen.

Um es noch anders zu sagen, der Verstand des Integrationsritters Alice war »menschlicher« als der der anderen Underworldler – auch nachdem ihre Seele von Administrator modifiziert worden war.

Ich konnte nicht erkennen, welche inneren Kämpfe sie ausfocht. Doch nach einigen Sekunden, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, hob sie meinen Körper mühelos auf seine ursprüngliche Höhe an.

Im Gegensatz zu ihr hatte ich keinen Grund zu zögern. Sofort stieß ich mein Schwert wieder in dieselbe Fuge und atmete durch. Sobald ich mich gesichert hatte, ließ Alice meinen Kragen los und wandte sich ab. Trotz der Gewichtigkeit ihrer Worte, war ihre Stimme selbst schwach und leise. »Ich habe dich nicht gerettet, sondern nur meine Schuld beglichen. Außerdem … haben wir unser Duell noch nicht beendet.«

»Ah, verstehe … Wenn das so ist, sind wir jetzt quitt«, erwiderte ich und wählte meine Worte mit Bedacht. »Wie wär’s damit? Wir beide müssen einen Weg finden, wie wir wieder in den Turm kommen. Warum schließen wir bis dahin nicht einen Waffenstillstand?«

»Einen Waffenstillstand?«, hakte sie nach und drehte sich um, um mich misstrauisch zu beäugen.

»Ja, ich bezweifle, dass es uns gelingt, die Kathedralenwand noch mal zu zerstören, und hochzuklettern wird nicht leicht werden. Wenn wir zusammenarbeiten, steigert das unsere Überlebenschancen. Falls du natürlich einen einfachen Weg rein weißt, bin ich ganz Ohr!«

Frustriert kaute sie auf ihrer Lippe. »Wenn es so einen Weg gäbe, wäre ich längst nicht mehr hier.«

»Ja, offensichtlich. Kann ich also davon ausgehen, dass wir uns auf einen Waffenstillstand und eine Zusammenarbeit einigen?«

»Bevor ich Ja sage … Was genau meinst du mit Zusammenarbeit?«

»Wenn einer von uns abzustürzen droht, hilft ihm der andere. Wenn wir ein Seil hätten, wäre es leicht, unsere Position zu halten, aber das ist wohl zu viel verlangt.«

Eine lange Zeit antwortete die Ritterin nicht und sah mich auch nicht an, dann nickte sie kaum merklich. »Das ist ein logischer Vorschlag … das muss ich zugeben. Ich schätze, ich habe keine andere Wahl«, sagte sie und funkelte mich an. »Aber sobald wir wieder im Turm sind, werde ich dich niederstrecken. Vergiss diesen unausweichlichen Ausgang nicht.«

»Ich … werd’s mir merken.«

Sie nickte zufrieden und räusperte sich, um das Thema zu wechseln. »Du … hast ein Seil erwähnt. Hast du irgendwelchen losen Stoff?«

»Stoff …?« Ich blickte auf mein Outfit und musste feststellen, dass ich nicht mal ein Taschentuch bei mir hatte. Wenn wir im guten alten Alfheim gewesen wären, hätte ich tonnenweise Klamotten, Umhänge und so weiter aus meinem virtuellen Vorrat ziehen können, aber Underworld war nicht mit solchen Vorzügen ausgestattet.

»Ich hab nur dieses Shirt und meine Hose. Wenn es sein muss, könnte ich sie aber ausziehen«, bot ich an und zuckte mit meiner freien Schulter.

Alice verzog das Gesicht zur grimmigsten Miene, die ich je gesehen hatte, und schrie: »Das wird nicht nötig sein! Das soll ja wohl ein Scherz sein. Ich kann nicht glauben, dass du mit nichts weiter als einem Schwert bewaffnet in die Schlacht ziehst.«

»Hey, du hast uns doch aus der Akademie hierhergeschleift mit nichts weiter als den Klamotten, die wir anhatten, schon vergessen?«

»Aber ihr seid doch in die Waffenkammer eingedrungen, oder nicht? Da drin gab es jede Menge Seile, die … ach, vergiss es. Das ist reine Zeitverschwendung«, knurrte sie und wandte sich ab. Sie hob ihre rechte Hand in dem goldenen Handschuh und verzog das Gesicht, als sie feststellen musste, dass sie die andere nicht vom Schwertgriff nehmen konnte.

Sie streckte mir den Arm hin und befahl: »Lös die Schnürung an meinem Handschuh mit deiner freien Hand.«

»Hm?«

»Und berühr auf keinen Fall meine Haut! Mach schnell!«

Nach allem, was Eugeo mir erzählt hatte, war Alice damals in Rulid ein kluges, freundliches und gütiges Mädchen gewesen. Wo also kam diese komplett gegensätzliche Persönlichkeit her?

Endlich hatte ich wieder Gefühl in meiner linken Hand. Ich streckte sie nach dem Verschluss ihres Handschuhs aus und hielt das Rüstungsteil so, dass ich ihre Hand befreien konnte. Mit ihren blassen, schlanken Fingern vollführte sie eine Geste und rief: »System call!«

Darauf folgten einige komplexe, mir nicht vertraute Befehle. Der Handschuh in meiner Hand blitzte auf und veränderte seine Form. Innerhalb weniger Sekunden hatte ich eine wunderschöne, gewundene goldene Kette in der Hand. »Wow! Ein Materietransformationszauber …«

»Hast du nicht zugehört? Sind das Ohren da seitlich an deinem Kopf oder fleischfressende Löcher, die Insekten verschlingen? Das war nur eine Formwandelkunst. Nur die Hohepriesterin Administrator beherrscht die Kunst, das Material selbst zu verändern.«

Ich entschuldigte mich bei Alice, die unseren Waffenstillstand offensichtlich nicht als Grund ansah, ihrem Tonfall die Schärfe zu nehmen, und testete die Stärke der Kette. Ich steckte mir das Ende in den Mund und zog. Ich hatte das Gefühl, als würden mir die Zähne ausfallen. Das Metall war dünner als mein kleiner Finger, aber es war zweifellos stark genug und die Kette war an den Enden mit stabil aussehenden Ösen versehen.

Eine Öse hakte ich in meinen Gürtel ein und hielt Alice das andere Ende hin, die es an der Metallschnalle ihres Schwertgürtels befestigte. Die Kette zwischen uns hatte eine Länge von etwa fünf Metern. Solange wir nicht beide gleichzeitig abstürzten, gab uns das ein gewisses Maß an Sicherheit.

»In Ordnung …« Ich blickte mich um, um unsere Lage einzuschätzen. Nach dem Sonnenstand zu urteilen, hingen wir an der westlichen Wand der Central Cathedral. Der Himmel über uns verfärbte sich von Blau zu Violett, während das Sonnenlicht den weißen Stein in ein sanftes Orange tauchte. Ich schätzte, dass es etwa halb vier sein musste.

Bei einem sehr vorsichtigen Blick an meinen Füßen und dem dünnen Wolkenband darunter vorbei konnte ich wie ein Spielzeugmodell die Steinmauer ausmachen, die den Kathedralengarten umschloss, und jenseits davon den Rest von Centoria, der von den unvergänglichen Mauern in vier Bezirke unterteilt wurde. Der Anblick vergegenwärtigte mir die unfassbare Höhe des Turms.

Ausgehend von der Dicke der Steinsegmente schätzte ich, dass jedes Stockwerk etwa sechs Meter hoch sein musste. Die achtzigste Etage, in der ich gegen Alice gekämpft hatte, musste sich also auf einer Höhe von vierhundertachtzig Metern befinden – wenn ich die Deckenhöhe in der fünfzigsten Etage bedachte, vielleicht sogar eher fünfhundert. Wenn ich von hier abstürzen würde, könnte ich unmöglich überleben. Mein Körper würde beim Aufprall so zerschmettert werden, dass nicht viel mehr als ein Haufen Staub übrig bleiben würde. Im Augenblick war die Luft um uns herum still, es gab aber keine Garantie, dass nicht ein stärkerer Wind aufkommen würde.

Ich erschauderte und umklammerte das Heft meines Schwerts fester. Dann wischte ich mir den Schweiß an der freien Hand an der Hose ab.

»Also … nur damit ich das richtig verstehe …«, begann ich.

Alice’ Blick zuckte zu mir hoch. Auch sie hatte nach unten gesehen. Ich hatte den Eindruck, dass sie ein bisschen blass um die Nase wirkte, aber ihr Ton war genauso schroff wie eh und je. »Was?«

»Ich hab mich nur gefragt … Wenn du schon die hohe heilige Kunst beherrschst, die Form der Dinge zu verändern, vielleicht kennst du dann auch eine Kunst, um zu … fliegen? Okay, tut mir leid, vergiss, dass ich gefragt habe«, stammelte ich, als ich ihre hochgezogene Augenbraue bemerkte.

»Hast du in der Schule denn gar nichts gelernt?«, keifte sie. »Die Einzige auf der Welt, die in der Luft schweben kann, ist die Hohepriesterin Administrator. Sogar der jüngste Novize weiß das!«

»Hey, ich sag doch, ich wollte nur sichergehen! Du musst mich nicht gleich so anfahren.«

»Mir gefällt nicht, was du da andeutest.«

Mit jedem verstreichenden Augenblick wurde deutlicher, dass der Integrationsritter Alice und ich auf persönlicher Ebene einfach nicht kompatibel waren. Dennoch unterdrückte ich den Drang zurück zu motzen und fragte: »Also schön … wenn das so ist … wäre es dann vielleicht möglich, diesen riesigen Drachen zu rufen, auf dem du mich hierhergebracht hast?«

»Hast du noch mehr so dumme Fragen auf Lager? Drachen dürfen sich nur dem Landeplatz auf der dreißigsten Etage nähern. Selbst Berc… äh, der Kommandant der Ritter selbst darf mit seinem Drachen nicht höher fliegen.«

»U… Und woher soll ich diese Regeln kennen?«

»Du hättest darauf kommen können, weil es nur auf der dreißigsten Etage einen Landeplatz gibt!«, erklärte sie und funkelte mich erneut für gute drei Sekunden an, bevor wir uns beide aufgebracht abwendeten.

Die nächsten drei Sekunden verbrachte ich damit, meine Wut über ihre haltlosen Anschuldigungen hinunterzuschlucken. Dann konnte ich fortfahren: »Auf dem Luftweg … gibt es also keinen Ausweg aus dieser Misere …«

Alice brauchte ein bisschen länger, um sich wieder zu fassen. Der Blick ihrer blauen Augen bohrte sich in meinen. »Nicht einmal Vögel können die oberen Bereiche der Kathedrale erreichen. Die Hohepriesterin Administrator hat sie mit einem besonderen Zauber belegt, den ich nicht kenne, damit sie sich nicht nähern können.«

»Verstehe … Sehr umsichtig.«

In der Ferne sah ich eine vogelartige Gestalt, aber sie schien nicht näher zu kommen. Ich vermutete, dass die Ursache eine Kombination aus den magischen Kräften Administrators und einer angeborenen Vorsicht war. In gewisser Weise war die abnorme Höhe dieser Konstruktion sowohl ein Machtsymbol als auch eine Einschüchterung für unsichtbare Feinde.

»Damit bleiben uns drei Optionen … runterklettern, raufklettern oder wieder durch die Wand brechen.«

»Letzteres dürfte schwierig werden. Die Wände der Central Cathedral haben eine nahezu unerschöpfliche Lebensspanne und regenerative Fähigkeiten, genau wie die unvergänglichen Mauern. Dasselbe gilt auch für die Fenster in den unteren Etagen.«

»Wir können also nicht mal zu den Fenstern runterklettern«, murmelte ich und sie nickte.

»Um ehrlich zu sein, kann ich kaum glauben, dass wir ein Loch in die Wand geschlagen haben … Ich schätze, ich muss es wohl als ausgesprochen unglückliches Ergebnis der Verbindung unserer Künste der vollkommenen Rüstungskontrolle hinnehmen, die einen gigantischen Energiestoß verursacht hat. Du machst mir wirklich nichts als Scherereien.«

Ich atmete nur tief durch die Nase ein. Wenn ich jetzt versuchen würde, mich zu verteidigen, würden wir uns nur in eine weitere Abwärtsspirale begeben. »Wenn das so ist … könnten wir das Phänomen dann nicht einfach wiederholen, indem wir das Gleiche noch mal versuchen?«