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Kunst und Reichtum sind des Mörders liebste Kinder. Hauptkommissarin Bente Brodersen ermittelt mit friesischer Sturheit auf Deutschlands nördlichster Insel. Beim Abriß einer alten Villa in Westerland wird ein unterirdischer Tresorraum entdeckt, in dem ein menschliches Skelett wie in einer Grabkammer liegt. Schnell wird klar, dass es sich nur um Mord handeln kann. Als Bente die Identität des Toten aufdeckt, wird sie von dem Fall abgezogen. Das Bundeskriminalamt übernimmt die Ermittlungen. Auch wenn eine Einbruchsserie auf der Insel Bentes volle Aufmerksamkeit fordert, ermittelt sie privat weiter Die Gerüchte, dass der Tresorraum von Hitlers rechter Hand, Martin Bormann in Auftrag gegeben wurde, geben dem Fall eine ganz neue Wendung. Die raue See, der frische Wind und die endlosen Dünen machen SYLT zum idealen Schauplatz der spannenden Küstenkrimis. Jeder Teil der Syltkrimiserie ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
KRINKE REHBERG
Grabkammer
Dieser Kriminalroman ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Sabine
Sie ist alles in oin!
ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!
Daher bitte ich, eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )
© 2022 KRINKE REHBERG
Alle Rechte an Cover/Logo/Text/Idee vorbehalten
Imprint: Independently published
Covergestaltung: MOTTOM
Autorenservice at Tomkins – Krinke Rehberg, Am Wald 39, 24229 Strande
»Kunst und Reichtum sind des Mörders liebste Kinder.«
Boston, Deer Island State Prison
Februar 1990
»Du hast einen Plan?«
»Setz dich hin und sei still!«, brummte Vincent Ferrara und sah sich nach den Wachmännern um, die im Besucherraum darauf achteten, dass keinem der Insassen etwas zugesteckt wurde.
»Was immer du befiehlst, Boss, ich erledige das!«
»Ich sagte, du sollst still sein!«, zischte Ferrara.
Bobby Donati war ein skrupelloses Mitglied der Patriarca Familie, und auch wenn er nicht der hellste Kopf im Clan war, zog er seine Jobs durch, koste es, was es wolle.
»Ich habe hier auf Deer Island jemanden kennengelernt. Er hat mir einen Kontakt genannt.« Vincent Ferrara rieb sein kräftiges Kinn.
Bobby Donati beugte seinen schlaksigen Oberkörper vor, um den geflüsterten Namen zu verstehen. Er nickte stumm.
»Du kommst erst wieder, wenn die Sache erledigt ist! Dann gebe ich dir weitere Anweisungen.«
»Okay, Boss!« Ohne sich umzudrehen, verließ Donati den Besucherraum.
Ferrara blieb sitzen und hing seinen Gedanken nach. Er interessierte sich einen Dreck für Kunst, aber der Coup war ideal für seine Zwecke. Er würde ein großes, öffentliches Interesse bewirken. Das war sein Freifahrtschein aus dem Knast.
Zwei Monate später entschloss sich der Staat Massachusetts dazu, das Gefängnis auf Deer Island zu schließen und die Insassen zu verlegen.
Vincent Ferrara wurde in seiner ersten Nacht im Boston State Prison von Mitinsassen eines verfeindeten Mafiaclans erschlagen.
Bobby Donati brauchte einen neuen Plan.
Boston, Juli 1885
Mr. und Mrs. Jack
»Sie haben es?«, fragte Mrs. Jack aufgeregt.
Ihr persönlicher Berater grinste selbstgefällig. Bernard Benson war die letzten Jahre in ganz Europa in ihrem Namen tätig gewesen. Die Aufträge brachten ihm finanzielle Sicherheit und er bewunderte ihre Kenntnisse über die europäische Renaissance.
Geld spielte keine Rolle für sie. Mr. Jack entstammte einer der einflussreichsten Reederfamilien Neuenglands. Der unvorstellbare Reichtum stammte von den Importgeschäften mit Pfeffer aus Sumatra. Unzählige Schiffsladungen waren seinerzeit in Salem gelöscht worden.
»Wo ist er, wann kann ich ihn sehen?«, fragte Mrs. Jack ungeduldig.
»Geduld, meine Liebe. Vorfreude ist die schönste Freude, so heißt es doch? Als Überraschung habe ich einen Niederländer von meiner Reise mitgebracht.«
Wie ein kleines Kind riss sie die Augen auf und klatschte begeistert in die Hände. Dann griff sie zu ihrem Champagnerglas, leerte es in einem Zug und warf es hinter sich. Als es auf dem Boden zerbrach, lachte sie befreit auf und sah ihn schließlich auffordernd an. »Ich pfeife auf die Vorfreude, Bernard! Was haben Sie für mich?«
Achselzuckend beugte er sich vor und flüsterte in ihr Ohr, woraufhin sie einen spitzen Schrei ausstieß.
Niemand der Umstehenden nahm von ihnen Notiz. Das riesige, im gregorianischen Kolonialstil erbaute Anwesen war besucht von illustren Gästen aus der Bostoner Gesellschaft. Unzählige Fackeln erhellten den parkähnlichen Garten und säumten die geschwungene Auffahrt. In jedem Fenster der dreistöckigen Villa brannten Petroleumlampen. In der Empfangshalle standen mehrere Männer auf einer eigens errichteten Bühne und spielten fremdländisch anmutende Melodien und Rhythmen auf ihren Instrumenten.
Die Abende bei Mrs. und Mr. Jack gehörten zu den gesellschaftlichen Höhepunkten des Jahres und eine Einladung bedeutete die Zugehörigkeit zu diesem erlauchten Kreis. Viele der Gäste bemühten sich, ihr Staunen über die exzentrische Einrichtung und Musik zu überspielen, andere waren nicht zum ersten Mal geladen und bewegten sich wie selbstverständlich durch die Räume. Die Musiker wurden für anstehende Feiern gebucht, jeder Gast wusste, dass Mrs. Jack treffsicher die zukünftigen Stars auswählte. Mitarbeiter des Boston Globe und Boston Herald waren zugegen, um über diesen Abend zu berichten und zahlreiche Fotos zu schießen.
Als Mr. Jack 1898 starb, oblag es seiner Witwe, das gemeinsame Vermächtnis zu organisieren. Sie entschloss sich, der Nachwelt Zugang zu den Schätzen zu ermöglichen und ließ mitten in Boston einen venezianischen Palazzo im Renaissancestil errichten.
Im Juli 1924 erlag Isabella Stewart Gardner, genannt Mrs. Jack, einem schweren Schlaganfall. Sie hatte ihren Niederländer noch einmal sehen dürfen.
Der September zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne sandte ihre wärmenden Strahlen auf die Insel und eine Gruppe Punks schlug ihr Nachtlager am Brunnen, in dem die Dicke Wilhelmine sich die Füße wusch, auf. Die Bronzestatue war eines der berühmtesten Wahrzeichen Westerlands. Alle Inhaber der anliegenden Geschäfte beäugten dieses Treiben argwöhnisch. Zahlreiche Beschwerden türmten sich seit Wochen im Rathaus.
Hauptkommissarin Bente Brodersen nutzte ihre Mittagspause für einen Spaziergang am Strand. Ihre Labradorhündin Ulrike apportierte unermüdlich den geworfenen Gummiball, aber Bentes Stimmung hellte sich dadurch nicht auf. Missmutig steuerte sie den Supermarkt an und ließ Ulrike vor der Tür warten. Erst an der Kasse realisierte sie, dass die auf dem Band liegenden Produkte vor allem eines waren: Seelentröster! Chips, Schokolade, Bratnudeln, Milchreis und Pudding wurden über den Scanner gezogen und sie stöhnte frustriert auf. Wo war ihre Selbstdisziplin geblieben? Unwirsch schüttelte sie den Kopf. Erik fehlte ihr! Er war für drei Wochen mit seinem Schulfreund Urs auf Rucksacktour durch Norwegen, fernab von Handynetz und WLAN. Fünf lange Tage und Nächte hatte sie sich in Selbstmitleid gesuhlt, das musste aufhören! Schließlich war sie keine sechzehn mehr und jahrelang ohne Partner glücklich gewesen! Eriks Abwesenheit führte ihr deutlich vor Augen, wie abhängig sie sich von ihm gemacht hatte. Jetzt war sie froh, dem Impuls einer Suche nach einer gemeinsamen Wohnung nicht nachgegeben zu haben. Sie würde ihre Unabhängigkeit bewahren und gegen das Gefühl des Alleinseins ankämpfen! Seufzend griff sie zu der Einkaufstüte und trat ins Freie.
Erik fuhr seit Jahren mit Urs zum Wandern und dieser Urlaub war vor knapp einem Jahr gebucht worden. Obwohl gerade ihr die Freiheit in einer Beziehung so wichtig war, verletzte sie die Tatsache, nicht gefragt worden zu sein. Sie hätte abgewunken und ihm viel Spaß gewünscht, aber dann wäre es ihre Entscheidung gewesen!
In Gedanken versunken, rempelte sie einen Punker an, der am Geländer vorm Eingang lehnte. Seine Bierdose fiel zu Boden und der Inhalt spritzte auf die Stufen.
»Scheiße! Ey, Mama, Augen geradeaus!«, rief der junge Mann verärgert.
Bente traute ihren Ohren nicht und starrte ihn pikiert an.
»Die Dose war noch voll und ich hab keine Kohle für `ne neue!«, nuschelte er anklagend und sah Bente auffordernd an.
Auch wenn er offensichtlich angetrunken war, ging keinerlei Bedrohung von ihm aus. Bente atmete tief ein. Als Polizistin war sie geschult in Deeskalation.
Gerade als sie zu einer Erwiderung ansetzte, trat eine kleine, ältere Dame auf den Punker zu und las ihm resolut die Leviten: »Vorsicht, Junge! Haben deine Eltern dir keinen Respekt vor Frauen beigebracht?«
Überrascht sah er auf die Alte mit Gehstock herab und grinste. »Was mischst du dich ein, Oma! Wenn du mir kein neues Bier kaufen willst, dann verzieh dich!«
Im nächsten Moment lag der Griff des Gehstocks um seinen Nacken und die Alte zog seinen Kopf auf Höhe ihres Gesichts. »Respekt, sagte ich! Wiederhole dieses Fremdwort für dich!«, raunte sie ihm drohend ins Ohr.
Bente stand verdutzt daneben und verfolgte, wie der Punker wie befohlen das Wort Respekt nuschelte.
Zufrieden ließ die Alte locker und stützte sich mit beiden Händen auf den Gehstock. »Geh dich waschen, du stinkst!«, murmelte sie angeekelt und tatsächlich trollte der junge Mann sich.
»Danke für Ihr beherztes Eingreifen!«, wandte Bente sich lächelnd an die alte Dame. Sie hatte diese Hilfe nicht benötigt, aber das behielt sie für sich.
»War mir ein Vergnügen! Wäre eigentlich Sache der Polizei, aber wo sind die Freunde und Helfer, wenn man sie braucht? Da spiel ich gern Hilfssheriff«, lächelte sie zufrieden und zwinkerte Bente verschwörerisch zu. Dann wandte sie sich resolut um und ging erhobenen Hauptes an der Gruppe Punks vorbei Richtung Bahnhof. Bente sah ihr verdattert nach und grinste, als sie bemerkte, dass der Stock nicht als Stütze diente.
Sie gab Ulrike ein Handzeichen, woraufhin die Hündin freudig aufsprang. Hinter dem Brunnen bog sie links in die Stephanstraße ein, an deren Ende sich der behelfsmäßige Containerbau der Polizei befand. Höhe Hebbelweg blieb sie stehen und verfolgte gebannt die Abrissarbeiten an einer Brandruine, die dem Stadtrat seit Jahren ein Dorn im Auge war. Offenbar lag endlich die Genehmigung zur Beseitigung dieser ehemals imposanten Villa vor und Bente fragte sich, was für ein Gebäude auf dem wertvollen Baugrund errichtet werden würde. Ein riesiger Bagger hatte gestern Balken für Balken des verkohlten Dachstuhls abgetragen. Es hatte ausgesehen, als spielte der Baggerfahrer Mikado. Der Bereich um das Gebäude war wegen Einsturzgefahr abgesperrt, aber zahlreiche Kinder und Schaulustige verfolgten fasziniert von der Straße aus die Arbeiten. Ein Schaufelbagger füllte den Bauschutt unter lautem Getöse in die bereitstehenden Müllcontainer. Plötzlich stoppten die Maschinen und Bente sah einen der Arbeiter wild gestikulierend auf das freigelegte Kellergeschoss zeigen.
Bente betrat das Büro und seufzte. Ohne ihr Team wirkte der Container wie das, was er war: Ein Blechkasten mit Schreibtischen. Stirnrunzelnd sah sie sich um. Wie lange würde es noch dauern, bis sie endlich das sanierte Polizeihauptquartier beziehen konnten? Sie hatte vor zweieinhalb Jahren die Dienststellenleitung der Kripo Sylt übernommen und bei ihrer Ankunft gehofft, in absehbarer Zeit umzusiedeln. Aber im Laufe der Zeit war sie durch die räumlich bedingt enge Zusammenarbeit mit Heike, Timme und Klemme zu einer Teamplayerin geworden. Sie, die in den Jahren beim LKA in Kiel den Spitznamen einsame Wölfin bekommen hatte! Bente schüttelte unwirsch den Kopf. Sie hatte sich verändert. Das war nicht geplant gewesen, sondern der Verdienst der Menschen, mit denen sie den Alltag verbrachte, allen voran Erik. Im Gegensatz zu ihr besaß er einen großen Freundeskreis und liebte es, in Gesellschaft zu essen und Spieleabende zu machen. Er hatte ihr gezeigt, dass es mehr als Arbeit und Strandspaziergänge im Leben gab.
Sie stellte ihren Einkauf auf Heikes Schreibtischstuhl, lehnte sich gegen den Aktenschrank und maß mit den Augen den Container ab. Ihr eigener Schreibtisch befand sich hinter einer Stellwand, die als Sichtschutz diente. Diese Abtrennung war völlig überflüssig!
Timme war mit seiner Familie auf Sardinien, Klemme zur Reha nach einer Knie-OP an der Ostsee. Beide würden in zwei Wochen zurückkehren. Vorgestern hatte sich dann Heike krankgemeldet. Sie lag mit Fieber im Bett und Bente hatte ihr einen Topf Hühnersuppe und eine Tüte Medikamente vor die Tür gestellt. Die junge Kollegin war nur wenige Jahre älter als ihre Tochter Anka.
»An die Arbeit, mein Mädchen!«, murmelte sie Ulrike zu und schob die Stellwand Richtung Ausgang. Dann verrückte sie die Schreibtische, sodass zwei Inseln mittig im Raum standen. Klemme und Timme würden sich gegenübersitzen und Heike und sie auch. Zufrieden trat sie in die angrenzende Teeküche und warf einen Blick auf das neue Arrangement. Plötzlich wirkte der Raum viel größer und offener. Oder überschritt sie damit eine Grenze? Ihre eigenbrötlerische und manchmal schroffe Art war einer Sentimentalität gewichen, die ihr unheimlich war. Wollte sie tatsächlich ihre Rückzugsorte aufgeben, sowohl bei der Arbeit als auch im Privaten? Verärgert stampfte sie mit dem Fuß auf. Nur, weil alle um sie herum sich verdünnisiert hatten, würde sie nicht freudestrahlend auf ihre Rückkehr warten! Der Punker hatte den Nagel auf den Kopf getroffen: Sie war zu einer Mama für alle mutiert!
Innerhalb weniger Minuten stellte sie die Möbel wieder an ihren ursprünglichen Platz und setzte sich hinter die Stellwand an ihren Schreibtisch.
Als die Tür aufging und sie Hansens tiefe Stimme hörte, sprang sie auf, zügelte sich aber sofort.
»Hansen«, grüßte sie mit genervtem Unterton. Er sollte nicht denken, dass sein Besuch sie freute. Ulrike dagegen eilte schwanzwedelnd auf ihn zu.
»Was ist denn hier los? Hast du allen gekündigt?«, brummte er irritiert, während er eine Frikadelle aus seiner Tasche hervorholte.
»Frag nicht, es ist wie verhext!« Auf keinen Fall würde sie zugeben, dass sie sich allein fühlte. Dieses Gefühl war neu und sie musste selbst damit klarkommen.
»Hast du von dem Safe-Room gehört?«
»Safe-Room? Hast du einen Englisch-Kurs gemacht?«
Er grinste. »Dafür reicht mein Schulenglisch gerade noch, aber du hast recht, ich bin kein Freund von Ami-Ausdrücken!«
»Was soll ich denn nun gehört haben?«
»Beim Abriss der Brandruine sind die Arbeiter auf einen Tresorraum im Kellergeschoss gestoßen, größer als dieses Büro!« Hansen pfiff durch die Zähne. »Da war bestimmt mal ein Schatz drin!«
Bente nickte. Deshalb also die Aufregung, als sie vor einer Stunde daran vorbeigegangen war.
Ein Kollege von der Wache öffnete die Tür und berichtete: »Leichenfund im Safe-Room!«
Hansen und Bente sahen sich ungläubig an.
»Rufen Sie die KTU zum Fundort, ich mach mich auf den Weg«, wies sie den jungen Kollegen an und ignorierte Hansens bettelnden Blick.
»Willst du ihn mitnehmen oder einen alten, erfahrenen Hasen wie mich?« Er deutete auf den jungen Beamten und die unbesetzten Schreibtische. »Brodersen, vier Augen sehen mehr als zwei und deine Leute sind alle außer Gefecht! Lass mich helfen!«
»Du hältst dich zurück, klar?«, seufzte sie ergeben und hielt ihm die Tür auf.
»Heißt das, ich bin wieder dabei?«
Bente schüttelte im Hinausgehen den Kopf. »Nur als Aushilfe, inoffiziell, mehr ist nicht drin!«
»Die Kripo ist kein Eisladen, Brodersen!«, brummte er und strich sich nachdenklich durch den grauen Vollbart. »Können wir uns auf Berater einigen?«
»Nee, wir einigen uns auf gar nichts! Komm als Aushilfe mit oder lass es bleiben!« Damit drehte sie sich um und ging strammen Schrittes Richtung Brandruine. Grummelnd verschluckte Hansen eine Erwiderung und bemühte sich, zu ihr aufzuschließen.
Vor der Baustelle sperrten zwei Streifenwagen die Straße ab und ein Arbeiter reichte ihnen je einen Schutzhelm. »Einsturzgefahr!«, erklärte er und wies auf ein Warnschild, auf dem stand:
Betreten verboten!
Eltern haften
für ihre Kinder
Während sie den Helm aufsetzte, gab sie Ulrike das Kommando, zu warten, und stieg über die Schutthaufen zu den Überresten der Hausmauern. Zwei Polizisten winkten ihr zu und sie duckte sich unter dem Absperrband durch, um einen Blick auf den Kellerbereich zu werfen.
»Wir befinden uns hier auf der Decke des Safe-Rooms«, erklärte einer der Beamten. »Laut Aussage des Baggerführers handelt es sich bei diesen Mauern um ungewöhnlich starken Stahlbeton. Er hat einige Anläufe gebraucht, um mit der Schaufel ein Loch in die Decke zu schlagen.«
Bente nahm die gereichte Taschenlampe entgegen und leuchtete in das Loch. Im Kegel des Lichts sah sie auf einen verstaubten, menschlichen Schädel. Der Raum schien, soweit Bente das im Schein der Taschenlampe erkennen konnte, leer.
»Laut Unterlagen existiert dieser Raum gar nicht!« Der Beamte reichte Bente einen Ordner. »Das sind die Bauzeichnungen vom Amt.«
Bente entfaltete den Plan, bis ihr Standort mit dem Blick auf die Überreste übereinstimmte.
»Wir stehen jetzt genau hier!«, tippte sie mit dem Finger auf das Papier.
»Also quasi im Garten«, nickte Hansen, der neben ihr auftauchte und interessiert den Plan studierte.
An der Straße hielten Flackners Kombi und der Minivan der KTU. Kurze Zeit später balancierten mehrere Leute in weißen Papieroveralls und blauen Überziehschuhen über den Bauschutt zu ihnen. Während Flackner ungelenk und fluchend auf allen vieren das Geröll überwand, überlegte Bente, zu welchem Zweck dieser geheime Tresor errichtet worden sein konnte. Wer war der Tote und warum musste er sterben?
»Soweit ich es von hier oben beurteilen kann, liegt der Todeszeitpunkt Jahrzehnte zurück«, witzelte Flackner und leuchtete mit einem Strahler durch das Loch in der Decke.
Bente rollte mit den Augen. »Ich habe das Skelett schon gesehen, aber danke für die fachmännische Auskunft!«
»Gern geschehen! Ich brauch das Go eines Statikers, bevor ich mit meinen Leuten in die Katakomben hinabsteige. Der Vorarbeiter sagte was von Einsturzgefahr!«
Bente wandte sich an Hansen: »Kümmerst du dich?«
»Mal wieder im Dienst, Tammo?«, bemerkte Flackner.
»Was dagegen? Urlaubs- und krankheitsbedingt fungiere ich als Berater!«, erwiderte der ehemalige Dienststellenleiter angriffslustig.
»Aushilfe«, murmelte Bente leise, aber Flackners Gehör war gut.
»Vom Kripochef zum Aushilfspolizist, wenn das nichts ist!«, feixte er.
Hansen holte tief Luft, aber Bente kam ihm zuvor: »Verlegt eure Frotzeleien auf die Skatabende und konzentriert euch auf die Arbeit! Ich will wissen, um wen es sich bei dem Mann da unten handelt!«
»Woher weißt du, dass es eine männliche Leiche ist?«
»Echt jetzt, Flackner? Das Skelett dort unten steckt in einem Anzug. Zugegeben, der ist zwar stark verwittert und verstaubt, aber noch zu erahnen. Außerdem ist die Krawatte gut erhalten!«
»Okay, okay, war nur ein Test, Brodersen«, grinste Flackner. »So ein Tresor ist eine todsichere Angelegenheit!«
Bente verabscheute Witze über Todesopfer, konnte aber nicht umhin, Flackners Schlagfertigkeit anzuerkennen. Er hatte sich verändert, seit er vor einigen Monaten seine Ernährung umgestellt hatte. Die damit zusammenhängende Gewichtsabnahme schien ihn geistig zu beflügeln. Sie fragte sich, ob er an einer Art Comedy-Fernlehrgang teilnahm.