3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €
Der Strand, Übergang von Meer zu Land, Leben und Tod gehen Hand in Hand. Hauptkommissarin Bente Brodersen ermittelt mit friesischer Sturheit auf Deutschlands nördlichster Insel. Im Biikefeuer auf Sylt wird eine Leiche entdeckt. Die Obduktion ergibt, dass der Mann bereits einen Tag zuvor auf mehrere Arten ermordet wurde. Kurz darauf findet Bente Brodersen eine Leiche im Watt. In welcher Beziehung standen die beiden Toten zueinander und welche Rolle spielt die Wattenmeerstation in List?Eine Notoperation zwingt Bente, sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen. Hartnäckig verfolgt sie eine Spur, aber als eine weitere Leiche entdeckt wird, überschlagen sich die Ereignisse. Die raue See, der frische Wind und die endlosen Dünen machen SYLT zum idealen Schauplatz der spannenden Küstenkrimis. Jeder Teil der Syltkrimiserie ist in sich abgeschlossen und kann unabhängig voneinander gelesen werden.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
KRINKE REHBERG
Strandgrab
Dieser Kriminalroman ist frei erfunden. Alle Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen und/oder realen Handlungen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Für Sabine
Sie ist alles in oin!
ACH JA: NIEMAND IST PERFEKT!
Daher bitte ich, eventuelle Rechtschreibfehla zu entschuldigen ...; )
© 2022 KRINKE REHBERG
Alle Rechte an Cover/Logo/Text/Idee vorbehalten
Imprint: Independently published
Covergestaltung: MOTTOM
Bildnachweis: all on Unsplash: Birk Enwald / Omar Ram / Alessia-C
Autorenservice at Tomkins – Krinke Rehberg, Am Wald 39, 24229 Strande
»Der Strand, Übergang von Meer zu Land, Leben und Tod gehen Hand in Hand.«
»Es tut mir leid«, flüsterte er in die Dunkelheit der Nacht. Aber er bestimmte den Zeitpunkt. Er zielte mit der Glock genau zwischen die Augen. Der Tod war kein Mysterium, er stand am Ende jedes Lebens. Das Töten war eine Sackgasse, aus der es nur einen Weg hinaus gab. Es war nicht sein Weg.
In seiner Brust schlugen zwei Herzen. Eines für den ehrbaren Bürger, das andere für den Killer, der er war.
In Gedanken zählte er runter. Drei, zwei, eins.
Dann drückte er ab.
Der Schuss verhallte ungehört über dem nächtlichen Strand am nördlichsten Punkt der Insel. Es war Ende Februar und Sylt befand sich in einer Art Ruhemodus. Weihnachten lag weit zurück und Ostern war noch einige Wochen hin. Zwischen diesen Hochsaisons gehörte die Insel den Einheimischen. Lediglich das Biikebrennen sorgte zwei Tage lang für eine Unterbrechung des Winterschlafes.
Als er im Wagen saß und von List zurückfuhr, war er bereit, seine Doppelrolle im Leben wieder einzunehmen.
Und dann geschah das, womit er nicht gerechnet hatte.
»Mit Blut?«
»Ja, mit menschlichem Blut!«
»Und das funktioniert?«
»Bisher sind alle Tests positiv verlaufen und bei Wattwürmern funktioniert es ja auch.«
Die Forschungsergebnisse eines Meeresbiologen aus Frankreich, der das Blut von Wattwürmern untersucht hatte, waren der Auslöser für sie gewesen. Wattwürmer besaßen Kiemen und waren auf die Sauerstoffzufuhr unter Wasser angewiesen. Bei Ebbe hielten die Tiere die Luft an. Im Blut des Wattwurms hatte der Franzose ein Hämoglobin nachgewiesen, dessen Speicherkapazität von Sauerstoff die des Hämoglobins im menschlichen Blut um ein Vielfaches übertraf. Sie hatte sich bei ihren Forschungen auf die Strandkrabbe spezialisiert und ihre Ergebnisse versprachen eine Revolution der Humanmedizin!
»Wie weit bist du damit?«
»Fast fertig, ich stehe kurz vor der Veröffentlichung meiner Forschung. Bisher weiß noch niemand davon, weil ich ganz sicher gehen wollte. Die aktuellen Ergebnisse bestätigen meine Arbeit und jetzt wird die Welt davon erfahren!«
»Aber was ist mit uns?«
»Was sollte mit uns sein? Es nervt, dass du immer wieder davon anfängst!«
»Ich dachte, es ist etwas Besonderes mit uns!«
»Es gibt kein uns, wann kapierst du das endlich!« Damit drehte sie sich um und stapfte durch das Watt. Bei jedem Schritt schmatzten die Gummistiefel im Schlick.
Wochenlang waren Treibholz und Baumschnitt zusammengetragen und zu einem stattlichen Haufen aufgeschichtet worden. Feuerwehr, THW, DRK und Polizei waren mit ihren Fahrzeugen vor Ort, um das Geschehen zu begleiten.
Bente stand mit Ulrike auf dem Wall der Tinnumburg, wo alljährlich das größte der Sylter Biikebrennen stattfand. Traditionell am 21. Februar wurde an mehreren Küstenabschnitten das Biikefeuer entzündet, um den Winter zu vertreiben.
Sie sah auf ihre unerschrockene Labradorhündin, die das Spektakel interessiert beobachtete. Ulrike würde auch näher herangehen, aber Bente fühlte sich inmitten der vielen Besucher unwohl. Sie genoss den Anblick der Feierlichkeiten aus der Entfernung. Ich bin und bleibe eine Einzelgängerin, dachte sie mit einem Anflug von Wehmut.
Die Februarnacht war kalt und ein eisiger Wind würde das Feuer anfachen. Bente trug ihre Thermofunktionshose, gefütterte Boots und mehrere Schichten Shirts unter ihrem Parka. Die Nacht konnte lang werden, aber sie würde nicht frieren.
Das Biikebrennen zog alljährlich tausende von Besuchern an. In den Sylter Restaurants köchelte der Grünkohl mit Bauchfleisch, Kasseler und Pinkel in großen Töpfen. Alle Plätze waren reserviert, einige bereits ein Jahr im Voraus.
Während Feuerwehr und THW Punsch, mit und ohne Schuss, an Touristen verkauften, kamen die Einheimischen mit eigenen Getränken, Bechern und sogar Klappstühlen zu dem Volksfest. Viele zogen einen schwer beladenen Bollerwagen über das Gras.
Ein Mann löste sich aus der Menge und kam auf Bente zu. Erst, als er bis auf wenige Meter herangekommen war, erkannte sie, dass es sich um Erik Willemsen handelte, ein Kollege von der Streifenpolizei. »Moin, Bente, wusstest du, dass einer der Gründe für das Biikebrennen die Verabschiedung der Männer zur Walfangsaison war? Die Fischerfrauen entfachten das Feuer, damit ihre Männer es noch auf hoher See als Zeichen aus der Heimat sehen konnten.«
Bente lächelte ihn verkrampft an. Sie hatte den attraktiven Mittvierziger mit dem Dreitagebart noch nie außerhalb des Dienstes getroffen. Ihn in Jeans und Daunenjacke zu sehen, war ungewohnt. Sie wollte keine privaten Kontakte zu Kollegen.
»Ja, das wusste ich, schließlich bin ich eine Friesin!«
Nebeneinanderstehend verfolgten sie die Rede des Bürgermeisters, die mit den traditionellen Worten endete: »Tjen di Biiki ön!« Jeder, der eine Fackel mitgebracht hatte, warf sie auf den riesigen Haufen. Die vertrockneten Tannenbäume von Weihnachten fingen sofort Feuer und das Knistern war ohrenbetäubend laut. Bente nahm Ulrikes Leine kürzer und beobachtete fasziniert die auflodernden Flammen. In Windeseile brannte es lichterloh und die Umstehenden wichen einige Meter zurück.
Bente spürte Eriks Blick auf sich ruhen und sah stur geradeaus.
»Aber die Legende erzählt auch, dass die Sylter Frauen damit den Männern vom dänischen und deutschen Festland signalisierten, dass sie nun wieder allein auf dem Hof waren«, brach er das Schweigen.
»Ist das `ne Anmache, Erik?« Bente biss sich auf die Zunge. Sie hätte es diplomatischer formulieren sollen, aber so war sie nicht. Beziehungen unter Kollegen waren zum Scheitern verurteilt, diese schmerzvolle Erfahrung hatte sie gemacht.
Erik schüttelte bedächtig den Kopf. »Keine Sorge, Bente, ich wollte nur was Witziges erzählen. Ist offensichtlich nicht dein Humor.« Er klang nicht beleidigt, aber deutlich reserviert.
Bente schluckte trocken. Sie mochte Erik und wusste, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte. Wäre er kein Kollege, würde sie sich eine Beziehung mit ihm wünschen, aber jetzt nahm sie in Kauf, dass er sie als zickig empfand. Damit erstickte sie jegliche Annäherung im Keim.
»Da ist jemand im Feuer!« Der hysterische Schrei einer Frau war deutlich zu hören. Plötzlich kam Bewegung in die Menge. Von allen Seiten erschollen jetzt Rufe:
»Hilfe, im Feuer brennt ein Mensch!«
»Schnell! Das Feuer muss gelöscht werden!«
Bente und Ulrike erreichten, kurz nach Erik, die Feuerstelle. Feuerwehrmänner gingen suchend um den brennenden Berg herum. In den züngelnden Flammen war kein Körper auszumachen.
»Hier!«, schrie ein junges Mädchen und rannte mit ausgestrecktem Arm auf einen Feuerwehrmann zu. »Hier ist es ganz deutlich zu sehen!« Sie zeigte zitternd auf das Display ihres Handys.
Der junge Feuerwehrmann schüttelte den Kopf und zuckte mit den Achseln. »Ich erkenn´ da nichts.«
»Das ist doch eindeutig ein Kopf!«, kreischte das Mädchen fassungslos.
Bente zückte ihren Dienstausweis und blickte auf das Handydisplay.
»Hier, sehen Sie doch!«, rief das Mädchen und deutete mit dem Finger auf das Foto.
Bente sah deutlich Kopf, Nase und Mund. »Sofort löschen!«, schrie sie den Feuerwehrmann an. »Los, Beeilung!« Ihr war sofort bewusst, dass sich Schaulustige um den Fundort drängen würden. Unfälle zogen Gaffer an und, auch wenn eine Brandleiche kein schöner Anblick war, viele Leute würden das Grauen mit eigenen Augen sehen wollen.
Sie hörte Erik, der sich an die herbeieilenden Kollegen wandte: »Die Burg muss geräumt und das Areal weiträumig abgesperrt werden! Ruft Verstärkung und die Spurensicherung!« Dann rief er den Feuerwehrmännern, die am Löschfahrzeug standen, zu: »Was ist mit euch? Warum löscht ihr nicht?«
»Pumpenschaden, verdammt, wir brauchen ein anderes Fahrzeug!«, kam die verzweifelte Antwort. »Ist auf dem Weg, müsste in fünf Minuten hier sein.«
Bente sah ungläubig zu, wie in dem Feuer ein Mensch verbrannte und die Feuerwehrleute tatenlos herumstanden, bis endlich die Sirene zu hören war.
Erik und seine Kollegen hatten die Zufahrt für das Löschfahrzeug geräumt und sperrten den Wall mit Flatterband ab.
»Frau Brodersen, was hat das zu bedeuten?« Der Bürgermeister trat aufgebracht an sie heran.
»Da ist ein Mensch im Feuer, mehr weiß ich auch noch nicht.«
»Aber wie kann das sein? Der müsste doch...?«, stammelte er entsetzt.
»Schreien?«, vervollständigte Bente seinen Satz.
Er nickte nur stumm und starrte auf die Flammen, die mehrere Meter hoch in den sternenklaren Nachthimmel züngelten.
»Er war bereits tot, als das Feuer entzündet wurde, Herr Bürgermeister«, sagte Bente ruhig. Es war die einzig logische Erklärung. Sie konzentrierte sich auf diesen neuen Fall. Ein Mörder hatte sein Opfer in diesem Biikefeuer entsorgen wollen!
Es war ein grauer, nebelverhangener Morgen und die Temperatur lag nahe dem Gefrierpunkt. Das viele Löschwasser hatte die Wiese am Vorabend geflutet und noch immer spritzten bei jedem Schritt die Tropfen an den Gummistiefeln hoch.
Bente sah das Fahrrad ihrer jungen Kollegin Heike Röder vor der Tinnumburg stehen und ging mit Ulrike den Wall hoch. Vor der Absperrung befahl sie der Hündin, zu warten. Überall im Krater standen nummerierte Hütchen auf mutmaßlichen Spuren und Beweisstücken. Flackner und sein Team durchsuchten in ihren weißen Overalls den Aschehaufen.
»Zum Glück hat es nicht gefroren, sonst müssten wir alle Schlittschuhe tragen«, rief Bente Heike entgegen.
»Moin, Brodersen, wäre für mich kein Problem, mein zweiter Vorname ist Eisprinzessin, aber Flackner würde sicher scheitern«, feixte sie.
Gemeinsam traten sie an den Rand des schlammigen Haufens. Zwischen den verkohlten Hölzern war die Brandleiche deutlich zu erkennen. Flackner hockte vornübergebeugt davor und winkte sie zu sich. In einer Hand hielt er ein Bismarckhering-Brötchen, an dessen Seiten rote Zwiebelringe herausragten. Bente drehte sich der Magen um. Der Gestank nach verbranntem Fleisch war intensiv. Dass es sich um Menschenfleisch handelte, machte den Gedanken an Essen unerträglich. »Moin, Flackner, dein Pferdemagen ist `ne echte Zumutung!«, blaffte sie den Chef der SpuSi an.
Er zuckte nur mit den Schultern und kaute genüsslich.
»Moin, Brodersen. Schlecht geschlafen? Ich brauch was im Magen, bevor ich mich der Leiche widme!«
Bente rollte mit den Augen. »Was hast du für mich?«
»Also, wenn du mich fragst, Genickbruch«, murmelte er.
»Wen sollte ich sonst fragen, Flackner?« Bente sah sich demonstrativ um und hob zeitgleich mit Heike die Hände.
»Schlechte Stimmung hilft hier auch nicht, also reiß dich zusammen oder warte auf meinen Bericht! Hab ich nicht nötig, mich um diese Uhrzeit anpampen zu lassen«, grummelte er und wandte sich beleidigt ab. Bente und Heike wechselten einen genervten Blick. Flackner war ein Fall für sich.
»Komm wieder runter, Flackner! Der Bürgermeister liegt mir seit 6 Uhr mit seinem Gejammer in den Ohren. Ausgerechnet im Biikefeuer eine Leiche und tausend Menschen waren live dabei!«
»Na, das ist doch mal `ne Sensation!«, grinste er besänftigt.
»Das sieht er ganz anders.« Bente schaute auf den verkohlten Leichnam. »Mann oder Frau?«
»Ein Mann mittleren Alters. Fingerabdrücke können wir vergessen, alles verbrannt. Rippenbrüche, Arme und Genick gebrochen, von der Hüfte aufwärts.. Ich versuch, über das Gebiss die Identität herauszufinden.« Er griff mit der behandschuhten Hand in den gebrochenen Kiefer des Opfers und tastete nach Zähnen. Heike drehte sich erschrocken weg. Es sah grausam und entwürdigend aus.
»Wer immer ihn hier entsorgt hat, wird kaum seine Ausweispapiere bei ihm gelassen haben«, überlegte Bente laut.
Flackner warf ihr einen zweifelnden Blick zu. »Die wären auf Nimmerwiedersehen verbrannt, besser geht´s nicht, oder?«
Bente runzelte die Stirn. Das stimmte.
Ein Mitarbeiter trat zu ihnen und hielt Flackner einen Metallstab entgegen, an dessen Ende ein Haken war. Daran hing etwas.
»Was ist das?«, fragte Bente und wusste es im selben Moment. »Die Rückstände eines Holsters!«, rief sie erschrocken.
Flackner nahm den Haken und beförderte den Fund in einen Plastikbeutel. »Ja, allerdings hätten wir eine Waffe längst gefunden, die ist nicht zu übersehen!« Er untersuchte konzentriert den Brustkorb der Leiche und schnitt schließlich mit einem Messer etwas aus den Überresten heraus. »Ein Metallclip, so wie bei unseren Dienstausweisen«, seufzte er.
Bente zog ihren Dienstausweis aus der Innentasche ihrer Daunenjacke, schüttelte ungläubig den Kopf und wandte sich an Heike, die, zur Salzsäule erstarrt, neben ihr stand. »Heike!«, schrie sie, »Ruf im Revier an. Ich will sofort von jedem Kollegen ein Lebenszeichen, egal, ob im Dienst oder nicht und auch von den Kranken und Urlaubern!«
Heike schüttelte den Kopf. Tränen liefen ihr über die Wangen. »Kein Kollege!«, flüsterte sie. »Bitte kein Kollege!« Dann griff sie zu ihrem Handy. Betreten hörten Flackner und Bente ihre Anweisungen. Sie waren verdammt, auf den Rückruf zu warten. Es dauerte genau sieben endlose Minuten, bis Heikes Handy klingelte. Zitternd reichte sie es an Bente.
»Entwarnung!«, rief Klemme und Bente hob erleichtert einen Daumen. »Wir haben alle erreicht und sind vollzählig!«
Es dauerte einen Moment, bis die Anspannung abfiel. »Es ist keiner von uns, aber das heißt nicht, dass es sich nicht um einen Kollegen vom Festland handelt. Wer, außer wir, trägt Dienstausweise?«, fragte Bente.
»Jeder Seminarteilnehmer oder Mitarbeiter im Einzelhandel trägt so eine Klammer mit seinem Namensschild, außerdem haben alle möglichen Ämter diese Ausweiskarten«, überlegte Heike laut.
»Ja, aber die tragen berufsbedingt ganz bestimmt kein Pistolenholster mit sich herum!«
Flackner meldete sich zu Wort: »Wir haben keine Schuhe gefunden!«
»Jemand hat ihm die Schuhe ausgezogen?«, staunte Bente. »Warum?«
»Weil die Schuhe auf seine Identität hinweisen würden. Soldaten haben spezielle Stiefel und auch Dienstausweise!«, rief Heike.
Flackner nickte. »War auch mein erster Gedanke.«
Bente sah auf den Rest des Biikefeuers. »Was wäre in dem Biikefeuer von ihm übrig geblieben, wenn das Mädchen ihn nicht entdeckt hätte?«
»Schwer zu sagen, er wäre nicht rückstandslos verbrannt. Im Krematorium verbrennen Körper bei 1200 Grad zu einem Häufchen Asche. So ein offenes Feuer wie dieses erreicht Temperaturen von bis zu 900 Grad. Aber ohne die Löschung hätte das Feuer noch tagelang geglimmt und bis auf fragile Knochenreste wäre nicht viel übrig geblieben.«
»Also wäre er mit dem Ascheberg und dem ganzen Kram hier weggeräumt worden?«
»Ja, aber zum Glück habe ich noch genug Material fürs Labor.« Flackner rieb sich voller Tatendrang die Hände.
Bente ignorierte diese makabre Bemerkung. »Ich brauche so schnell wie möglich den Todeszeitpunkt.«
»Ach was, das ist ja mal ganz was Neues!«, erwiderte er sarkastisch.
»Nee, Flackner, dieses Mal musst du Vollgas geben. Der Verdacht, dass es sich um ein Mitglied des Polizeiapparates oder der Bundeswehr handelt, muss so schnell wie möglich vom Tisch!«
»Ich mach es einfach so wie immer. Die Leiche wandert in die Kühlkammer, ich fahre zwei Wochen in Urlaub und wenn ich zurückkomme, werf´ ich einen Blick darauf, ob mich irgendwas Auffälliges anspringt.«
Heike starrte ihn irritiert an. »Was willst du uns sagen?«
»Dass ich immer Vollgas gebe!«, rief er beleidigt.
»Du machst seltsame Witze, Flackner!«
Er winkte mürrisch ab. »Er trägt einen Ehering.« Vorsichtig versuchte er, den Ring von dem verkohlten Finger zu ziehen. Es knackte und fluchend zog er einen weiteren Plastikbeutel aus der Tasche, beförderte den Fingerknochen hinein und wischte den Ring mit den Handschuhen sauber. »11.5.1993«, las er die Gravur an der Innenseite vor.
»Immerhin ein Anhaltspunkt«, erwiderte Bente und rief Ulrike zu sich, die brav auf das Kommando gewartet hatte.
»Mir graut jetzt schon davor, es seiner Ehefrau mitteilen zu müssen«, seufzte Heike.
»Wenn es ein Kollege von außerhalb ist, dann übernehmen das die Kollegen vor Ort«, sagte Bente tonlos und dachte an Lutz, den Vater ihrer Tochter Anka. Er war verdeckter Ermittler gewesen und sie war jedes einzelne Mal in Panik geraten, wenn in seiner Abwesenheit die Nummer der Dienststelle auf dem Display erschienen war. Die Angst war ein ständiger Begleiter in Polizeiehen.
»Seit wann wird sie vermisst?«
»Gestern Abend um 20:30 Uhr hat einer unserer jungen Gastforscher sie noch im Büro gesehen.«
Der Polizeibeamte notierte sich die Aussage. »Vielleicht ist sie nur weggefahren oder unterwegs im Watt. Das machen Sie doch dort oben, oder?«, lächelte er.
Hagen Jenne seufzte. Er leitete die Wattenmeerforschungsstation AWI in List seit vielen Jahren. Seine internationale Reputation begründete sich auf die maßgebliche Mitgestaltung des Naturschutzgebietes Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe. Mit seinen sechzig Jahren hätte er nicht ohne triftigen Grund die Polizeiwache aufgesucht, um eine Vermisstenanzeige aufzugeben.
»Julia Hemsbach hat heute Vormittag die Präsentation ihrer Forschungsergebnisse versäumt. Dieser Termin war seit Monaten angesetzt und sie hat seit über einem Jahr an diesem Projekt gearbeitet. Es muss also etwas passiert sein, anders lässt sich ihre Abwesenheit nicht erklären!«
»An welchem Projekt?«, fragte der Beamte.
»Die Erforschung der Carcinus Maenas. Eine Delegation aus den USA ist gestern angereist, um sich über ihre Ergebnisse zu informieren!«
Der Beamte schrieb Kakinuss Menass auf seinen Block und fragte: »Haben Sie ein Foto von Frau Hemsbach?