Tag- und Nachtgeschichten - Guy de Maupassant - E-Book

Tag- und Nachtgeschichten E-Book

Guy de Maupassant

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Beschreibung

Dieser Band enthält die folgenden Erzählungen: Die Morithat Rosa Der Vater Das Geständnis Der Schmuck Das Glück Der Alte Ein Feigling Der Säufer Die Blutrache Coco Die Hand Der Krüppel Elternmord Der Lummen-Felsen Der Kleine Timbuctu Eine wahre Geschichte Adieu Erinnerung Die Beichte

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Tag- und Nachtgeschichten

Guy de Maupassant

Inhalt:

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Die Morithat

Rosa

Der Vater

Das Geständnis

Der Schmuck

Das Glück

Der Alte

Ein Feigling

Der Säufer

Die Blutrache

Coco

Die Hand

Der Krüppel

Elternmord

Der Lummen-Felsen

Der Kleine

Timbuctu

Eine wahre Geschichte

Adieu

Erinnerung

Die Beichte

Tag- und Nachtgeschichten, G. de Maupassant

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster, Deutschland

ISBN: 9783849624194

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Frontcover: © Vladislav Gansovsky - Fotolia.com

Henri René Albert Guy de Maupassant – Biografie und Bibliografie

Franz. Romanschriftsteller, geb. 5. Aug. 1850 auf Schloß Miromesnil in der Normandie, gest. 7. Juli 1893 in Paris, begann seine Laufbahn als Ministerialbeamter. Für den angehenden Schriftsteller war Gustave Flaubert, ein Vetter seiner Mutter, gebornen Le Pottevin, ein treuer, unnachsichtiger Berater, der sogleich erkannte, daß in der Novellistik seine Stärke lag. Bekannt wurde M. nicht durch die Gedichte »Des Vers« (1880), sondern erst durch die 1870 in Rouen spielende musterhafte Novelle »Boule de Suif«, das Glanzstück der von Zola und seinen Schülern vereinigten »Soirées de Médan« (1880). Durch Objektivität und scharfe Hervorhebung des charakteristischen Merkmals zeichnete sich M. vor den übrigen Naturalisten, auch vor Zola selbst, aus. Seine Novellen sind im ganzen seinen Romanen überlegen, weil die hastige Produktion von 27 Bänden innerhalb 10 Jahren die planmäßige Arbeit erschwerte. Hervorragend sind immerhin die beklemmend traurige Ehegeschichte »Une Vie« (1883) und der Journalistenroman »Bel-Ami« (1885). Es folgten »Mont-Oriol« (1887), »Pierre et Jean« (1888) und endlich die einen unheilvollen Einfluß Bourgets verratenden sentimentalen Romane »Fort comme la Mort« (1889) und »Notre cœur« (1890). Unter den 20 Novellenbänden ragen besonders hervor: »La Maison Tellier« (1881), »Miss Harriet« (1884), »Monsieur Parent« (1885), »Le Horla« (1887), »L'inutile Beauté« (1890). Die Novelle »Musotte« dramatisierte M. mit J. Normand 1891 mit großem Erfolg. Der direkt für die Bühne geschriebene Zweiakter »La Paix du Ménage« (1893) gelang weniger. M. verfiel, wie sein älterer Bruder und mehrere andre Verwandte, in Wahnsinn, machte in Cannes einen Selbstmordversuch und starb in der Privatanstalt Blanche zu Paris. Eine illustrierte Gesamtausgabe seiner Werke erschien in 27 Bänden 1900–04. Von den zahlreichen Übersetzungen nennen wir die von H. v. Ompteda (»Gesammelte Werke«, Berl. 1898–1903, 20 Bde.). Ein Denkmal wurde ihm 1897 im Parc Monceaux zu Paris gesetzt.Vgl. A. Lumbroso, Souvenirs sur M., sa dernière maladie, sa mort (Par. 1905).

Die Morithat

Als der Briefträger Bonifacius die Post verließ, stellte er fest, daß heute sein Bestellgang kürzer sein würde denn sonst, und er freute sich darüber außerordentlich.

Sein Bezirk war die ganze Umgegend von Vireville, und wenn er abends zurückkam in seinem langen, müden Schritt, hatte er manchmal mehr als vierzig Kilometer im Leibe.

Die Briefabgabe würde also heute schnell gehen, er konnte sich sogar unterwegs ein bißchen aufhalten und würde um drei Uhr wieder zu Hause sein. So ein Glück!

Er verließ den Ort, auf dem Wege nach Sennemare und begann seinen Dienst. Es war Juni, und alles grünte und blühte, der schönste Monat im Flachland.

Der Mann, der eine blaue Bluse trug und ein schwarzes Käppi mit roten Streifen, durchschritt die schmalen Wege zwischen den Hafer- oder Getreidefeldern; bis an die Schultern ging ihm das Korn. Sein Kopf ragte über die Ähren, als schwimme der auf einem ruhigen, grünen Meer hin, das sonst eine leichte Brise wellt.

Er betrat die Bauernhöfe durch das Holzthor in der Hecke, die zwei Reihen Buchen beschatteten. Er nannte jedesmal den Bauer beim Namen:

– Morgen Herr Chicot!

Und gab ihm seine Zeitung, den Petit Normand. Der Bauer wischte sich dann die Hand an der Hose, nahm das Blatt in Empfang und steckte es in die Tasche, um es nach dem Mitagessen in Ruhe zu lesen.

Der Hund, der in seiner Hütte zu Füßen eines überhängenden Apfelbaumes lag, bellte wütend und zerrte an seiner Kette, aber der Briefträger ging, ohne sich umzuwenden, in seiner militärischen Haltung davon, große Schritte machend, den linken Arm auf die Tasche gestemmt, im rechten den Stock drehend, der neben ihm dieselben gleichmäßig eiligen Bewegungen machte.

Er verteilte seine Drucksachen und seine Briefe im ganzen Dorf Sennemare, dann ging er weiter durch die Felder, um die Zeitung dem Lehrer zu bringen, der ein kleines, alleinstehendes Haus, etwa zehn Minuten vom Ort entfernt, bewohnte.

Es war ein neuer Lehrer, Herr Chapatis, der erst vorige Woche eingezogen und seit kurzer Zeit verheiratet war. Er hielt ein Pariser Blatt, und ab und zu warf der Briefträger Bonifacius, wenn er Zeit dazu hatte, einen Blick hinein, ehe er das Blatt dem Empfänger zustellte.

Er öffnete also seine Tasche, nahm die Zeitung, schob sie aus dem Kreuzband heraus, faltete sie auseinander und begann sie während des Gehens zu lesen.

Die erste Seite interessierte ihn kaum, die Politik ließ ihn kalt, Finanz-Nachrichten überschlug er, aber der lokale Teil reizte ihn.

Der war gerade heute sehr reichhaltig, und er regte sich lebhaft auf bei der Schilderung eines Verbrechens in der Wohnung eines Jagdhüters, sodaß er mitten in einem Kleefeld stehen blieb, um es noch einmal langsam zu lesen.

Die Einzelheiten waren schrecklich. Ein Holzfäller war früh beim Forsthaus vorüber gegangen und hatte auf der Schwelle ein paar Tropfen Blut gesehen, als ob jemand Nasenbluten gehabt. Er dachte, der Förster wird die Nacht vielleicht ein Kaninchen erlegt haben, aber als er sich näherte, endeckte er, daß die Thür halb offen stand und das Schloß aufgebrochen war.

Da packte ihn die Angst, er lief ins Dorf, den Ortsvorstand zu benachrichtigen. Der nahm den Flurwächter und den Lehrer zur Verstärkung mit, und die vier Männer kehrten zusammen zurück.

Sie fanden den Förster ermordet am Kamin liegen, seine Frau erwürgt unter dem Bett und ihr kleines zehnjähriges Mädchen erstickt zwischen zwei Matratzen.

Der Briefträger Bonifacius war so erschrocken bei dem Gedanken an diesen Mord, dessen furchtbare Einzelheiten eine nach der anderen ihm hier enthüllt wurden, daß er sich ganz schwach auf den Beinen fühlte und laut sagte:

– Gott verdamm mich! was giebts für schlechte Menschen !

Dann steckte er die Zeitung wieder in das Kreuzband und ging weiter, immer noch das Verbrechen im Kopf. Bald kam er an das Haus des Herrn Chapatis. Er öffnete das kleine Gartenthor und näherte sich dem Häuschen. Es war ein niedriges Gebäude, das nur ein Erdgeschoß enthielt mit einem Mansardendach.

Es stand mindestens fünfhundert Meter vom nächsten Hof entfernt. Der Briefträger stieg die zwei Stufen hinauf, legte die Hand auf die Klinke, versuchte zu öffnen und fand die Thür verschlossen.

Da bemerkte er, daß die Läden noch garnicht geöffnet worden waren und daß heute noch niemand ausgegangen war. Eine gewisse Unruhe überfiel ihn, denn Herr Chavatis war seit seiner Ankunft immer sehr zeitig aufgestanden.

Bonifacius zog die Uhr, es war erst sieben Uhr zehn Minuten morgens, er war also fast eine Stunde früher gekommen als sonst.

Ach was, der Lehrer hätte doch schon auf sein müssen!

Und er ging vorsichtig um das Haus herum, als ob irgend eine Gefahr dabei sei. Er bemerkte nichts Verdächtiges, als ein paar Fußtritte in einem Erdbeerbeet.

Aber plötzlich blieb er unbeweglich und vor Entsetzen gebannt stehen, als er an einem Fenster vorüber kam.

Man stöhnte im Haus!

Er stellte sich mit gespreizten Beinen über ein Thymianbeet ganz nah ans Haus und legte sein Ohr an den Fensterladen, um besser zu hören. Wahrhaftig, es stöhnte! Er hörte ganz genau lange, schmerzliche Seufzer, etwas wie ein Röcheln, etwas wie das Geräusch eines Kampfes, dann wurde das Stöhnen stärker, wiederholte sich, ward noch schärfer und wechselte ab mit Schreien.

Da zweifelte Bonifacius nicht mehr daran, daß in diesem Augenblick gerade ein Verbrechen bei dem Lehrer verübt wurde. Er rannte davon was er konnte durch den kleinen Garten, eilte über das Feld hin mitten durchs Korn, lief, daß er ganz außer Atem kam und seine Tasche im Takt gegen die Hüften klatschte.

So kam er, nach Luft schnappend, verzeifelt an der Thür der Gendarmerie an. Der Wachtmeister Malautour war dabei, einen kaputen Stuhl mit Hammer und Nagel wieder zusammen zu schlagen; der Gendarm Rautier hatte das kapute Möbel zwischen den Beinen und hielt an die Bruchstelle einen Nagel, dann schlug der Wachtmeister, indem er dabei seinen Schnurbart kaute, mit aufgerissenen, vor angestrengter Aufmerksamkeit glänzenden Augen mit tötlicher Sicherheit seinem Untergebenen auf die Finger.

Sobald der Briefträger sie sah, rief er:

– Schnell, schnell! Kommen Sie, man ermordet den Lehrer!

Die beiden Leute hielten in ihrer Arbeit inne, hoben den Kopf mit jener erschrockenen Miene von Leuten, die man plötzlich überrascht und stört. Bonifacius, der ihnen mehr Überraschung, als Diensteifer ansah, wiederholte:

– Schnell, schnell! Diebe sind im Haus, ich habe Schreien gehört, es ist höchste Zeit!

Der Wachtmeister legte seinen Hammer bei Seite und fragte:

– Woher wissen Sie denn das?

Der Briefträger erzählte:

– Ich wollte eben die Zeitung und zwei Briefe abgeben, als ich bemerkte, daß die Thür noch verschlossen war und der Lehrer noch nicht aufgestanden sein konnte. Ich ging um das Haus herum, um mich zu überzeugen, und ich hörte Stöhnen, als ob jemand erwürgt würde, als ob man einem die Kehle durchschnitte. Da bin ich so schnell wie möglich fortgelaufen, Sie zu holen. Es ist höchste Zeit!

Der Wachtmeister richtete sich auf und sagte:

– Ja, haben Sie denn nicht selbst Hilfe geleistet!

Der erschrockene Briefträger antwortete:

– Ich fürchtete, einer Übermacht gegenüber zu. stehen.

Da meinte der Beamte überzeugt:

– Ich will mich nur schnell anziehen, dann komme ich.

Und er trat ins Haus, von seinem Gendarm gefolgt, der den Stuhl trug. Beinahe sofort erschienen sie wieder, und die drei setzten sich im Laufschritt in Bewegung nach dem Orte des Verbrechens zu.

Als sie sich dem Hause näherten, gingen sie vorsichtshalber langsamer. Der Wachtmeister zog seinen Revolver, und dann traten sie ganz leise in den Garten und näherten sich der Mauer.

Nirgends waren Spuren zu entdecken, daß die Verbrecher schon entflohen, die Thür war noch geschlossen, ebenso die Läden.

– Jetzt haben wir sie! – sagte der Wachtmeister.

Der alte Bonifacius zitterte vor Erregung, schickte den Wachtmeister auf die andere Seite des Hauses und zeigte ihm den Fensterladen.

– Dort! – sagte er.

Und der Wachtmeister trat ganz allein heran und legte sein Ohr an den Laden. Die beiden anderen warteten, auf alles gefaßt, starr die Augen auf ihn geheftet.

Lange blieb er unbeweglich stehen und lauschte. Um dem Fensterladen näher zu kommen, hatte er seinen Dreimaster abgesetzt und hielt ihn in der rechten Hand.

Was hörte er? Sein unbewegliches Gesicht verriet nichts, aber plötzlich sträubte sich sein Schnurbart, seine Wangen verzogen sich langsam wie zu einem Lächeln und indem er wieder die Wegeinfassung überstieg, näherte er sich den beiden anderen, die ihn unausgesetzt anstarrten.

Dann machte er ihnen ein Zeichen, ihm zu folgen und sie gingen auf den Fußspitzen ihm nach. Als sie an den Eingang kamen, sagte er Bonifacius, er möge nur die Zeitungen und die Briefe unter die Thür stecken.

Der Briefträger war starr, doch er gehorchte.

– Und nun fort! – meinte der Wachtmeister, aber sobald sie das Gartenthor verlassen hatten, wandte er sich zum Briefträger und sagte mit ironischem Lächeln und verschmitzter Miene, indem seine Augen vor innerer Freude lachten:

– Sie sind aber ein Luder!

Der Alte fragte:

– Was denn? Ich hab's doch gehört! Ich schwöre Ihnen, ich hab's gehört!

Aber der Wachtmeister konnte nicht mehr an sich halten und platzte heraus. Er lachte, als solle er ersticken, beide Hände auf dem Bauch. Die Thränen traten ihm in die Augen, und er schnitt furchtbare Gesichter. Die beiden andern blickten ihn erschrocken an.

Aber da er weder sprechen konnte, noch aufhörte zu lachen, oder zu erklären vermochte, was geschehen sei, machte er eine bezeichnende Bewegung. Da man ihn jedoch noch immer nicht verstand, widerholte er das ein paar Mal und deutete dabei mit dem Kopf zurück auf das noch immer verschlossene Haus.

Der Gendarm verstand nun plötzlich und begann auch fürchterlich zu lachen. Der Alte aber blieb ganz dumm zwischen den beiden sich vor Vergnügen windenden Menschen stehen. Endlich beruhigte sich der Wachtmeister, klopfte dem Alten freundschaftlich auf den Bauch und rief:

– Na Sie kleiner Schäker! Die Morithat werde ich mir merken!

Der Briefträger riß groß die Augen auf:

– Aber ich schwöre Ihnen, ich hab's gehört!

Der Wachtmeister begann wieder zu lachen, der Gendarm hatte sich auf den Grabenrand ins Gras gesetzt und wand sich gleichfalls vor Lachen.

– Hat's gehört! Na, ermordest Du Deine Frau auch so? Du alter Witzbold!

– Meine Frau?

Er dachte lange nach, dann sagte er:

– Na, wenn ich meine Alte verdresche, dann heult se und wie heult se! Verdrischt denn der Herr Schullehrer auch seine Frau?

Da packte ihn der Wachtmeister, als verlöre er vor Freude den Verstand, bei den Schultern, wirbelte ihn einmal herum und flüsterte ihm etwas ins Ohr, sodaß der andere vor Erstaunen sich garnicht fassen konnte.

Dann brummte der Alte nachdenklich:

– Nee, nee, so nich! So nich! So nich! Meine sagt garnichts! Das hätte ich nich gedacht, ist so was möglich! Da muß man doch an Mord glauben!

Und wie ein begossener Pudel schlich er durch die Felder davon, während der Wachtmeister und der Gendarm noch immer lachend ihm von weitem grobe Kasernen-Ausdrücke nachbrüllten, bis allmählich sein schwarzes Käppi über dem Riesenmeer der Saaten in der Ferne verschwand.

Rosa

Die beiden jungen Frauen ruhen wie begraben unter einer Blumendecke. Sie sitzen allein in dem kleinen Landauer, der wie ein gewaltiger Korb mit Blumensträußen beladen ist. Auf dem kleinen Rücksitz, stehen zwei Körbchen mit weißem Satin überzogen, voll Veilchen aus Nizza, und über das Bärenfell, das der Damen Knie bedeckt, rieselt ein Regen herab von Rosen, Mimosen, Levkojen, Margueriten, Tuberosen und Qrangenblüten, einzeln mit Seidenbändchen zusammengeknüpft. Die Blüten scheinen die beiden zarten Körper darunter ganz zu erdrücken, indem aus dem leuchtenden, duftenden Blumenbett nur ihre Schultern, die Arme und ein ganz kleines Stück der Taille hervorlugt, die eine blau, die andere lila.

An der Peitsche des Kutschers befindet sich ein Anemonen-Strauß, die Geschirre der Pferde sind mit Goldlack ausgeputzt, die Speichen der Räder mit Reseda geschmückt und an Stelle der Laternen stecken zwei riesige runde Bouquetts, als wären es die seltsamen Augen dieses blühenden rollenden Tieres.

Der Landauer fährt in schlankem Trabe die Straße von Antibes herab, vor ihm, hinter ihm, neben ihm eine Menge von blumengeschmückten Wagen voller Damen, die aus einem Meer von Veilchen hervorlugen.

Es ist Blumen-Korso in Cannes.

Nun kommen sie an den Boulevard de la Foncière, wo die Blumenschlacht stattfindet. Längs der riesigen Avenue rollt eine doppelte Reihe von blumengeschmückten Equipagen, wie ein endloses Band auf und ab.

Man wirft sich Blumen zu von einem zum andern, wie Kugeln durchsausen sie die Luft, treffen die frischen Gesichter, schweben empor und fallen dann in den Staub, aus dem sie eine Schar von Gassenjungen aufhebt.

Eine dichtgedrängte Menge auf den Bürgersteigen wird von Schutzleuten zu Pferde im Zaum gehalten, die brutal losreiten, wenn die Neugierigen zu Fuß sich vordrängen, als wollten sie diesen häßlichen Menschen nicht erlauben, sich mit den Reichen zu vermischen. Ruhig oder lärmend sieht die Menge zu.

In den Equipagen ruft man sich an, erkennt man sich, bewirft sich mit Rosen.

Ein Wagen voll hübscher Damen, alle in rot wie die Teufel, zieht das Auge an und bestrickt es. Ein Herr, der dem Bilde Heinrichs IV. ähnelt, wirft mit lachender Behaglichkeit ein riesiges Bouquett in die Luft hinaus, das, durch ein Gummiband gehalten, immer wieder zurückschnellt.

Wenn der Anprall der Blumen droht, verstecken die Damen ihr Gesicht, die Herren ducken den Kopf, aber das graziöse, schnelle Geschoß beschreibt nur einen Bogen und kehrt zu seinem Herrn zurück, der es sofort wieder einem andern geschickt zuwirft.

Die beiden jungen Frauen leeren mit vollen Händen ihr Arsenal und erhalten einen Hagel von Bouquetts. Dann, nachdem die Blumenschlacht vielleicht eine Stunde gedauert, sind sie ein wenig müde und befehlen dem Kutscher, längs des Meeres die Straße des Golf Juan hinunterzufahren.

Die Sonne verschwindet hinter l'Esterel, indem sie feuerumsprüht den Schattenriß der gezackten langen Bergkette schwarz abzeichnet. Das ruhige Meer dehnt sich blau und hell bis zum Horizont, wo es sich mit dem Himmel mischt. Und das Panzer-Geschwader, das mitten im Golf vor Anker liegt, sieht aus wie eine Herde gewaltiger Tiere, die bewegungslos auf dem Wasser ruhen, wie apokalyptische Ungeheuer, bucklig und gepanzert, mit dünnen Masten geschmückt wie mit Federn und mit Augen, die anfangen zu leuchten, wenn die Nacht hereinbricht.

Lässig blicken die beiden Frauen, unter dem schweren Pelz ausgestreckt, in die Weite; endlich sagt die eine:

– Ach, an so einem köstlichen Abend erscheint einem doch alles wundervoll. Nicht wahr, Margot?

Die andere antwortet:

– Ja, das ist herrlich, und doch fehlt einem immer etwas.

– Was denn? Ich fühle mich ganz glücklich, ich brauche nichts.

– O doch, Du denkst nur nicht daran. Wie wohlig wir uns auch immer fühlen mögen, immer möchten wir doch etwas mehr haben – etwas fürs Herz!

Die andere meint lächelnd:

– Ein wenig Liebe?

– Ja!

Sie schwiegen, starrten vor sich hin, dann sagte die eine, Margarete geheißen:

– Mir ist es, als könnte man das Leben ohne das nicht ertragen. Ich brauche Liebe, und wäre es die eines Hundes. Und Du kannst sagen, was Du willst, Simone, wir sind alle so!

– O, durchaus nicht, meine Liebe! Ich mag lieber garnicht geliebt sein, als von irgend einem Beliebigen. Glaubst Du, daß ich mich gern lieben lassen würde zum Beispiel von – – von – –

Sie suchte, wen sie nennen könnte, und ihr Auge lief über die weite Landschaft. Nachdem ihre Blicke den ganzen Horizont umkreist hatten, fielen sie auf die zwei blanken Knöpfe auf dem Rücken des Kutschers, und sie sagte lachend:

– Nun, zum Beispiel von meinem Kutscher!

Margot lächelte kaum und antwortete leise:

– Ich kann Dir die Versicherung geben, es ist riesig amüsant, wenn einen ein Diener liebt. Das ist mir schon zwei- oder dreimal passiert. Die machen Augen, das ist zum totlachen! Natürlich muß man umso strenger sein, je verliebter sie sind, und dann schmeißt man sie eines Tages hinaus unter irgend einem ersten besten Vorwand, sonst würde man sich ja lächerlich machen, wenn jemand davon etwas merkte. Simone hörte zu, blickte starr vor sich hin, dann erklärte sie:

»Nein, allerdings, die Liebe eines Dieners würde mir nicht genügen. Erzähle mir doch einmal, wie Du das gemerkt hast, daß sie in Dich verliebt waren.«

»Gott, das merkte ich, wie man es bei anderen Männern merkt, nämlich sobald sie anfangen blödsinnig zu werden.«

»O, mir kommen sie garnicht so dumm vor, wenn sie mich lieben!«

»Meine Liebe, Idioten, sage ich Dir, sind sie. Kein Wort können sie mehr reden, keine Antwort geben, sie kapieren aber auch nichts, nichts mehr.«

»Aber nun sage mir mal, wie war Dir denn, wie Dich ein Diener liebte, warst Du erregt, oder geschmeichelt?«

»Erregt, nein! Geschmeichelt? Na ein bißchen! Man fühlt sich immer geschmeichelt, wenn ein Mann einem von Liebe redet, mag er nun sein wer er will.«

»An was merktest Du's denn?«

»Ich will Dir mal eine komische Geschichte erzählen, die mir passiert ist, paß mal auf, wie spaßig das ist und wie seltsam, was in so einem Falle in uns vorgeht.

Diesen Herbst vor vier Jahren hatte ich gerade keine Jungfer. Nacheinander habe ich fünf oder sechs gehabt, keine zu brauchen und ich verzweifelte fast daran, eine zu finden. Da las ich in den Stellen-Angeboten meiner Zeitung, ein junges Mädchen, die Nähen, Sticken und Frisieren könne, suche eine Stelle. Sie hätte die besten Zeugnisse und spräche außerdem englisch.

Ich schrieb an das Blatt, und am nächsten Tage stellte sich mir die Person vor. Sie war ziemlich groß, schlank, etwas bleich und war sehr verlegen. Sie hatte schöne schwarze Augen, einen guten Teint und gefiel mir sofort.

Ich fragte nach den Zeugnissen, sie gab mir ein englisches, denn sie hätte eben den Dienst der Lady Rymwell verlassen, bei der sie zehn Jahre gewesen. Das Zeugnis lautete dahin, das junge Mädchen verlasse den Dienst, um nach Frankreich zurückzukehren, und wahrend des langen Dienstes könne man ihr nur ein einziges vorwerfen: etwas französische Koketterie.

Ich mußte lächeln über die prüde Wendung dieses englisches Satzes und nahm das Mädchen sofort. Sie trat bei mir an demselben Tage noch in Dienst. Sie hieß Rosa.

Nach vier Wochen war ich ganz glückselig über sie. Sie war wirklich ein Fund, eine Perle, eine Seltenheit. Sie wußte mit unglaublichem Geschmack zu frisieren, sie garnierte Spitzen auf einen Hut besser, als die erste Modistin, und sie konnte sogar schneidern.

Ich war ganz erstaunt über alles, was sie leistete, so war ich noch nie bedient worden. Sie zog mich schnell an, mit einer erstaunlich leichten Hand, nie fühlte ich ihre Finger auf meiner Haut, und nichts ist mir so fatal, wie wenn mich so ein Mädchen berührt.

Da wurde ich unendlich faul. So angenehm war es mir, mich anziehen zu lassen, vom Kopf bis zu den Füßen, vom Hemd bis zu den Handschuhen durch diese große, verlegene Person, die immer ein bißchen errötete und nie etwas sprach.

Nach dem Bad massierte sie mich und trocknete mich ab, während ich auf einem Sofa halb schlief. Ich betrachtete sie bald wirklich mehr wie eine etwas niedriger stehende Freundin, als wie einen Dienstboten.

Da wollte mich eines Morgens der Portier geheimnisvoll sprechen. Ich war erstaunt, ließ ihn eintreten. Er war ein zuverlässiger Mensch, ehemaliger Soldat, ein früherer Bursche meines Mannes.

Er schien ein wenig verlegen über das, was er mir zu sagen hatte. Endlich meinte er stotternd:

– Gnädige Frau, der Polizei-Wachtmeister ist unten.

Ich fragte kurz:

– Was will er denn?

– Er muß das Haus durchsuchen!

Nun, die Polizei ist gewiß von Nöten, aber ich hasse sie, ich finde, es ist nicht gerade ein anständiges Handwerk, und ich antwortete wütend und verletzt:

– Wozu denn durchsuchen? Auf welche Veranlassung? Der Mann darf nicht herein!

Der Portier antwortete:

– Er behauptet, ein Verbrecher wäre hier versteckt!

Nun hatte ich Angst und befahl, den Polizei- Wachtmeister sofort eintreten zu lassen, denn ich wollte näheres erfahren.

Es war ein ganz anständiger Mann mit der Ehrenlegion im Knopfloch. Er entschuldigte sich, stören zu müssen, erklärte aber, unter unseren Dienstboten befände sich ein Sträfling.

Ich war empört und antwortete, ich könne für all unsere Leute einstehen, und ging sie der Reihe nach durch.

– Der Portier Pierre Courtin ist früher Soldat gewesen.

– Der ist es nicht!

– Der Kutscher Francois Pingau aus der Champagne, ist der Sohn eines Bauern vom Gut meines Vaters.

– Ist es nicht!

– Der Stallbursche, auch aus der Champagne und gleichfalls der Sohn eines Bauern, den ich kenne. Dann der Diener, den Sie eben gesehen haben.

– Die sind es nicht!

– Sehen Sie, da werden Sie wohl einsehen, daß Sie sich irren.

– Ich bitte um Verzeihung, gnädige Frau, ich irre mich bestimmt nicht. Da es sich um einen gefährlichen Verbrecher handelt, so bitte ich, haben Sie die Liebeswürdigkeit und lassen Sie in meiner Gegenwart vor mir das gesamte Personal erscheinen.

Ich wehrte mich zuerst, dann gab ich nach und ließ die Leute heraufkommen, männliche wie weibliche Dienstboten.

Der Polizei-Wachtmeister überlief sie mit einem Blick und sagte:

– Es sind nicht alle!

– O bitte sehr, jetzt ist nur noch meine Jungfer übrig, ein junges Mädchen, das Sie doch nicht mit einem Verbrecher verwechseln können.

Er fragte:

– Kann ich sie auch sehen?

– Gewiß.

Ich klingelte Rosa, die sofort erschien; aber sobald sie eingetreten war, gab der Wachtmeister zwei Leuten, die ich nicht gesehen, die hinter der Portiere standen, ein Zeichen, sie warfen sich auf das Mädchen, packten ihre Hände und fesselten sie.

Ich stieß einen Wutschrei aus und wollte mich auf die Leute stürzen, meine Jungfer zu verteidigen. Aber der Wachtmeister rief:

– Das Mädchen, gnädige Frau, ist ein Mann und heißt Johann Nikolaus Lecapet, 1879 wegen Lustmordes zum Tode verurteilt; die Strafe wurde in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt, er ist vor vier Monaten ausgebrochen, und seitdem suchen wir ihn.

Ich fiel beinahe um; ich konnte es nicht glauben, aber der Wachtmeister sagte lächelnd:

– Ich kann Ihnen den Beweis liefern, er ist am rechten Arm tätowiert.

Der Ärmel wurde aufgeschlagen, es war so.

Der Vertreter der Polizei machte noch den zweifelhaften Scherz:

– Was das übrige anbetrifft, können Sie sich auch auf uns verlassen!

Und meine Jungfer wurde abgeführt.