Tama - Kathia Krüss - E-Book

Tama E-Book

Kathia Krüss

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Beschreibung

Hilde Hansen ist 86 und besucht auf dem Friedhof regelmäßig zwei Gräber: das ihres Mannes und das ihres späteren Lebensgefährten. Eines Tages begegnet ihr die Katze Tama, mit der sie sich rasch anfreundet und die sie wiederkehrend auf dem Friedhof antrifft. Hilde erzählt ihr aus ihrem Leben und Tama erweist sich als geduldige Zuhörerin ...

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Seitenzahl: 56

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TAMA

Es waren zwei alte Damenhände, die den Strauß sonnengelber Narzissen sanft umschlossen hielten und in die Plastikvase schoben. So wie sie es regelmäßig taten. Wenn auch nicht immer mit Narzissen. Die kleine Vase neben dem Grabstein hatte schon viele Blumen beherbergt: Tulpen, Freesien, Gerbera, Chrysanthemen und noch eine Vielzahl anderer.

Hilde Hansen stand vor dem Grab ihres Mannes Friedrich und blickte zufrieden lächelnd auf den frischen Strauß. Nun sah alles wieder ordentlich aus. Sie hatte es sich schon vor Langem zur Aufgabe gemacht, den Blumenstrauß auszuwechseln, kaum dass er zu welken begann. Somit war die Vase fast immer mit frischen Blumen gefüllt, vom Frühling bis zum Herbst.

Noch ein paar Augenblicke lang verharrte die Dame in ihrer Betrachtung, dann nickte sie kurz und wand sich vom Grab ab. Nur ein paar Schritte über den Rasen und ihre Füße befanden sich wieder auf festem Gehweg. Diesem folgte sie zunächst, wobei sie ein gemächliches Tempo beibehielt. Neben ihr waren an diesem Vormittag nur vereinzelte Leute auf dem Friedhof anzutreffen, die meisten von ihnen Senioren, wie sie selbst. Die Sonne streichelte ihr Gesicht und die milde Frühlingsluft vermittelte Geborgenheit. Es war ein freundlicher Tag Ende März. An Tagen wie diesen ließ es sich beinahe vergessen, dass man sich auf einem Friedhof befand; vielmehr machte es den Eindruck, man bewege sich durch einen hübsch angelegten Park. Die Kirschbäume, deren Blüte allmählich begann, verstärkten diesen Eindruck noch mehr.

Sie hatte etwa die Hälfte des Friedhofweges hinter sich, als Hilde eine Bank ansteuerte, um sich auf selbiger niederzulassen. Sie tat dies nicht aus Erschöpfung, denn trotz ihrer sechsundachtzig Jahre war sie noch gut zu Fuß. Aber die Aussicht von einer Parkbank aus bot manchmal ungeahnte Perspektiven. So lehnte sie sich zurück und ließ ihren Blick über die Landschaft schweifen. Das junge Gras, die ersten Frühlingsblumen, das fröhliche Zwitschern der Vögel... Bei dieser Szenerie würde man nicht als erstes an die vielen Toten denken, die nur wenige Meter unter der Erdoberfläche begraben lagen. Die Natur war gerade dabei, wieder zu erwachen, Kraft zu tanken, neues Leben zu erschaffen. Die Toten aber blieben liegen. Es war schon ein seltsamer Kontrast, wenn man es sich so vor Augen führte. Und doch war es ein Schauspiel, welches sich Jahr für Jahr ungebrochen wiederholte.

Plötzlich registrierte Hilde Hansen einen dunklen Schatten neben sich. Sie wand ihren Kopf zur Seite und erblickte eine Katze. Diese saß mit einem halben Meter Abstand zu ihr auf der Bank und sah sie friedfertig und neugierig zugleich an. „Nanu, wer bist du denn?“ Sie streckte die Hand aus um zu sehen, ob sie sich streicheln ließ.

Und sie ließ sich streicheln. Sehr wohlwollend sogar! Während Hildes Hand ihr das Köpfchen kraulte, schloss sie die Augen und machte einen äußerst zufriedenen Eindruck.

Hilde lächelte, noch mehr als sie es zuvor bei Friedrichs Grab getan hatte. „Kommst du her und besuchst die alten Friedhofswitwen?“

Die Katze schmiegte ihren Kopf nur noch wohlwollender an die reife Frauenhand. Leises Schnurren hatte eingesetzt.

Hilde genoss die Liebkosungen mit dem Tier ebenso wie das Tier es tat. Dabei fiel ihr auf, dass die braunschwarzgetigerte Katze gar kein Halsband trug. „Hast du kein Zuhause?“, fragte sie und musterte ihre neue Bekanntschaft. Eine Tätowierung in den Ohren konnte sie auch nicht erkennen. Aber vielleicht trug sie einen Chip. Hilde hatte mal gehört, dass man freilaufenden Katzen einen kleinen Chip unter die Haut befördern kann, um sie im Zweifelsfall identifizieren zu können. Ob diese Katze hier nun so einen Chip besaß, konnte sie natürlich nicht erkennen. „Oder bist du ein Streuner?“, sprach sie ihre Gedanken weiter aus.

Die Katze jedoch rieb ihren Kopf weiter an die Streicheleinheiten spendende Hand und machte nicht den geringsten Eindruck, als würde sie ihr darüber Auskunft geben wollen.

Hilde war geduldig und gab ihr so viele Streicheleinheiten wie sie wollte. Den Blick ließ sie irgendwann wieder über das Friedhofsgelände schweifen. „Schön hast du es hier“, murmelte sie mit weicher Stimme.

Die Katze hörte nun auf sich an die Hand zu schmiegen und begann damit, sich zu putzen. Ganz so, als würde sie wie selbstverständlich antworten 'Ich weiß.' Sie wusch sich mit den Pfoten Kopf und Gesicht, ging dann über in den Rücken und schenkte auch ihrem Schwanz viel Aufmerksamkeit. Das Tier machte bei dieser Arbeit keinen eitlen Eindruck; vielmehr vermittelte es Fürsorge für sich selbst.

Hilde erfreute sich über den Anblick. Die Katze strahlte Harmonie aus. Doch plötzlich, kaum dass sie mit ihrer „Katzenwäsche“ fertig war, sprang sie von der Bank runter und lief quer über ein Grabfeld. Hilde sah sie nur wenig später in einem Gebüsch verschwinden. „Ist dir eingefallen, dass du wieder nach Hause musst?“, sprach sie noch leise, obwohl sie sie schon längst nicht mehr hörte. Ihr Blick blieb noch einige Momente lang auf das Gebüsch gerichtet. Dann erhob sich Hilde von der Bank und setzte, wie kurz zuvor die Katze, auch ihren Weg fort. Sie hatte noch ein zweites Grab zu besuchen.

Ein neuer Farbakzent begann Friedrichs Grab zu schmücken: fliederfarbene Kugelprimeln. Mit bedächtigen aber gekonnten Bewegungen schaufelte Hilde mit der kleinen Handschaufel eine Mulde in die Erde, um anschließend den Wurzelballen der zartfarbenen Blume hineinzusetzen. Die Narzissen waren zwar noch nicht verblüht, doch Hilde fand, dass es Zeit war, das Grab insgesamt etwas frühlingshafter zu gestalten. Ihre Finger übten sanften Druck aus, um die lockere Erde um den Wurzelballen herum leicht anzudrücken. Dann erhob sie sich aus der knienden Position, ging die wenigen Schritte bis zum Wasserbecken, nahm sich eine der bereitgestellten Gießkannen und füllte sie mit etwas Wasser, bevor sie zurück zum Grab ging und die frischgepflanzte Blume goss.

Das Wasser sickerte schnell in die aufgelockerte Erde und versorgte die Wurzeln rasch mit dem wohltuenden Nass.

Hilde war zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie stellte die Gießkanne wieder zurück ans Becken und packte die Schaufel in einen kleinen Stoffbeutel, den sie in ihrer Handtasche verschwinden ließ. Noch ein Mal warf sie einen prüfenden Blick auf das Grab und nickte dann knapp, als würde sie sich selbst das O.K. geben. Für heute war sie hier fertig.

Sie ging wieder ihren üblichen Weg durch das Gelände, den Weg den sie immer ging, und auch diesmal machte sie auf halbem Wege an der Friedhofsbank halt. Die große Zierkirsche, die dahinter stand, hatte heute schon deutlich mehr Blüten vorzuweisen als noch vor drei Tagen. Damals war sie zuletzt hier gewesen und hatte unerwarteten Besuch einer fremden Katze erhalten. Und kaum erinnerte sie sich an das Ereignis zurück, schien es, als seien ihre Gedanken ausgesandt und von jemand ganz Speziellen empfangen worden: Denn Hilde saß noch keine zwei Minuten auf der Bank, da sprang schon wieder der pelzige Tiger auf die Sitzfläche. Lautlos, versteht sich.