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Darf man auch nach vielen Jahren Ehe noch mit einem fremden Mann im Auto gegenüber flirten? Wie kriegt man den Winter-Speck endlich weg? Stimmt es, dass Ehepartner sich immer ähnlicher werden? Und warum räumen Kinder nie auf? Tanja Wekwerth ist wieder da! Zum vierten Mal löst die Mutter von drei Kindern mit viel Humor die ganz alltäglichen Rätsel, die jeder kennt. Mit einem kleinen Augenzwinkern erzählt Sie ihre Geschichten aus dem Leben - launig, witzig und manchmal richtig weise. Und sicher kommt Ihnen vieles bekannt vor...
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Seitenzahl: 232
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1 – Freunde mit hohen Ansprüchen
2 – Endlich weg mit dem Winter-Speck
3 – Brot kaufen kann so anstrengend sein …
4 – Von guten und schlechten Tagen
5 – Der Besuch einer alten Freundin
6 – Ich habe keinen grünen Daumen
7 – Mit der besten Freundin im Café
8 – Warum räumen Kinder nie auf?
9 – Kinder spielen – wer kommt da zu Wort?
10 – Was können Männer eigentlich?
11 – Bei Fremden sind meine Söhne so lieb
12 – Können Sie noch richtig flirten?
13 – Ein Tag am Meer und die Wahrheit
14 – Ich will doch nur entspannen …
15 – Wenn Ehepartner sich immer ähnlicher werden
16 – Wenn Kinder allein einkaufen gehen
17 – Das Märchen von der guten Erziehung
18 – Bin ich wirklich eine Glucken-Mutter?
19 – Mit Freundinnen mal weggehen …
20 – Ist das Bügeleisen wirklich aus?
21 – Hilfe – wer kennt den richtigen Weg?
22 – Schwiegermutter und der Großputz
23 – Mein Mann als Beifahrer …
24 – Warum haben Kinder immer Zeit?
25 – Wer sieht morgens gerne in den Spiegel?
26 – Ändern Sie Ihre Meinung auch gerne?
27 – Wenn die Mama mal krank ist
28 – Auch kleine Söhne sind vom Mars …
29 – Wenn man sich mal unbeobachtet fühlt
30 – Wenn Kinder sich für Technik interessieren
31 – Ich mag keinen Vorführ-Effekt
32 – Ein Essen für schwierige Gäste
33 – Weihnachten mit der Schwiegermutter
34 – Die Sache mit den guten Vorsätzen …
35 – Mein Mann und der Weihnachtsbaum
36 – Bin ich sinnlich-verführerisch?
37 – Ein echt schwerer Start ins neue Jahr
38 – Gibt es eine Liste für alle Fälle?
39 – Kinder, wie die Zeit vergeht …
40 – Sind Sie immer konsequent?
41 – Kleine Mädchen lieben große Pferde
42 – Ein Auto mit vielen Geschichten …
43 – Morgens um sechs Uhr ist zu früh für mich
44 – Mit Kindern kann man nicht telefonieren
45 – Ich koche Kaffee noch wie meine Oma
46 – Wenn der Kindergeburtstag naht
47 – Ein hektischer Start in den Tag
48 – Die Welt mit Kinderaugen sehen
49 – Wenn Wünsche in Erfüllung gehen
50 – Mit Kindern shoppen? Nie wieder!
51 – Mein Handy mag mich nicht …
52 – Heute kommt die Zahnfee
53 – Frauen brauchen roten Lippenstift
54 – Mal wieder kochen mit Freunden
55 – Der süße Trick mit dem Frühstücks-Müsli …
56 – Brauchen Sie auch einen neuen Bikini?
57 – Die Sache mit dem Hochzeitstag …
58 – Balkonfreuden mit Einschränkungen
59 – Ich liebe Hamsterkäufe
60 – Anrufbeantworter und ihre Tücken
Dass ein Restaurant-Besuch mit Kindern sich als anstrengend erweisen kann, habe ich Ihnen bereits beschrieben. Dass es mit Erwachsenen noch komplizierter werden kann, weiß ich seit letztem Wochenende.
Robert, der liebste Ehemann und ich, waren mit einem befreundeten Ehepaar in einem feinen Restaurant verabredet, und ich freute mich schon ungemein auf einen entspannten Abend. Wir würden Gespräche führen können, ohne unterbrochen zu werden von kleinen Stimmchen, die unermüdlich rufen: »Mama, ich habe Durst. Mama, ich muss aufs Klo. Mama, mir schmeckt die Soße nicht!«
Wir würden in aller Ruhe essen können, ohne auf anderen Tellern Fleisch in winzige Häppchen zu schneiden und Erbsen nach links und Möhrchen nach rechts zu sortieren. Was für eine Freude!
Robert und ich saßen an diesem denkwürdigen Abend schon an einem weiß gedeckten Tisch, als Petra und Ulli eintrafen. Wir begrüßten uns herzlich, gerade brachte der Kellner vier Gläser Sekt. Alles war perfekt.
»Da wird ein Tisch am Fenster frei«, rief Petra nach dem ersten Schluck. »Wollen wir uns rasch umsetzen?«
»Ach, nein«, antwortete ich. »Das ist mir doch viel zu ungemütlich.«
Aber Petra wuchtete bereits ihre Handtasche auf einen der Stühle. Was blieb uns anderes übrig, als ihr zu folgen?
Nun saßen wir an einem verkrümelten Tisch voll von schmutzigem Geschirr. Ein kalter Hauch Bratensoße stieg mir in die Nase.
»Ist das nicht viel schöner hier?« Petra strahlte mich über die heruntergebrannte Kerze hinweg an. Ich blieb ihr die Antwort schuldig und trank einen Schluck Sekt. Wenig später hatte der Kellner den Tisch neu eingedeckt, und ich begann mich wieder zu entspannen. Petra hatte ja Recht. Von hier hatten wir einen wunderbaren Blick auf den beleuchteten Kurfürstendamm. »Was werden wir denn Schönes essen?«, fragte ich munter.
»Es zieht ein wenig«, sagte Petra. Ulli verzog belustigt das Gesicht. »So ist sie immer«, lachte er laut. »Petra hat sehr hohe Ansprüche!«
Ich sah, wie Robert seine Serviette zerknüllte.
»Also, ich finde wirklich, dass es zieht!« Petra zog die Schultern hoch und schüttelte sich. »Von Zugluft bekomme ich sofort einen steifen Nacken.«
Konzentriert starrte ich in die Karte. »Dich scheint es nicht zu stören?«, beharrte Petra. »Sieh nur, wie die Kerzenflamme in der Zugluft flackert.«
»Ich setze mich nicht wieder um«, knurrte ich.
Petra starrte mich an, als wäre ich das egoistischste Geschöpf unter dieser Sonne. »Du sitzt ja auch nicht in diesem mörderischen Wind!«
»Wollen wir die Plätze tauschen?«, bot ich ihr an, denn ich wollte endlich einen entspannten Abend haben.
Eifrig begann Petra, Handtaschen, Sektgläser und angebissene Brötchen zu verschieben.
»Ist jetzt alles in Ordnung?«, fragte ich skeptisch.
»Wun-der-bar!«, rief Petra. Jetzt konnte es endlich losgehen mit den Erwachsenengesprächen und der Gemütlichkeit. Zufrieden studierte ich die Speisekarte, entschied mich für Salat, Fisch und Weißwein, klappte die Karte zu und trank einen Schluck Sekt.
»Hach«, machte Petra verärgert. »Haben die keine vegetarischen Gerichte?«
»Iss doch den Gemüseauflauf«, riet ich ihr.
»Ich hasse aber Kapern. Hier sind überall Kapern drin. Ich weiß überhaupt nicht, was ich nehmen soll. Wir hätten chinesisch essen gehen sollen.«
Verzweifelt sah Petra auf. »Es gibt hier ganz in der Nähe ein wunderbares Restaurant …«
Ulli tätschelte ihren Arm. »Ja ja, meine Petra, sie ist immer so anspruchsvoll. Das sieht man ja schon an der Wahl ihres Ehemannes.« Und dann lachte er wieder so laut, dass sich die Leute am Nebentisch zu uns umdrehten.
»Ich hasse es, wenn mir jemand im Rücken sitzt«, beschwerte sich Petra. »Dann fühle ich mich so beobachtet.«
»Das kann einem in einem Restaurant schon mal passieren«, meldete sich Robert zu Wort. Seine Serviette war inzwischen völlig zerrupft.
Als der Kellner an unseren Tisch kam, um die Bestellung aufzunehmen, hatte Petra noch immer keine Wahl getroffen.
»Nehme ich die Rehnüsschen? Aber dann bitte ohne Prinzessböhnchen, lieber mit Pommes frites. Oder lieber doch den Seeteufel? Aber ich kann keine Sahne vertragen, ich hätte stattdessen lieber Zitronensaft und frisch gehackte Petersilie. Oder warten Sie …«
So ging es eine Weile hin und her. Und als sie endlich einen kleinen, gemischten Salat bestellt hatte, hatte ich jegliche Hoffnung auf einen entspannten Abend aufgegeben. Einen Versuch wollte ich noch wagen.
»Habt ihr schon die neue Ausstellung in der Nationalgalerie gesehen?«, fragte ich.
»Wo ist denn hier das Klo?«, unterbrach mich Petra. »Ich muss mal ganz dringend pinkeln. Kommst du mit?«
»Nein«, flüsterte ich. Ich wollte nicht mit ihr aufs Klo, ich wollte auch nicht gleich meinen Teller mit ihrem tauschen müssen, weil ihr irgendeine Soße nicht schmecken würde. Ich wollte am liebsten nach Hause.
»Wir Mädels gehen doch immer zusammen aufs Klo«, kicherte Petra und zog mich am Arm hinter sich her zu den Toiletten.
»Haben die hier keinen Tamponautomaten?«, nörgelte sie, dann lächelte sie mich an. »Das ist doch richtig nett heute Abend. Und das nächste Mal gehen wir mexikanisch essen.«
Ich glaube, das nächste Mal gehe ich wieder mit meinen Kindern essen. Das ist unkomplizierter …
Die steigenden Temperaturen und dünnere Kleidung erinnern mich in letzter Zeit an das, was ich mir vor vielen Wochen vorgenommen habe: ein sportlicher Mensch zu werden …
Speck von zahlreichen Wintern hat es sich auf meinen Hüften gemütlich gemacht, und ich mache es mir eigentlich auch gern mal gemütlich: auf dem Sofa, auf dem Balkon. Dazu ein Stückchen Kuchen, ein Eckchen Schokolade. Und wie ich gerade erst in einer Zeitschrift gelesen habe, ist das alles ja auch erlaubt, wenn man den Ausgleich schafft. Zu Deutsch: Sport treibt.
Eine andere Art Ausgleich gibt es wohl leider nicht. Wenn ich also dreimal um den Häuserblock renne, darf ich ungestraft ein Snickers mit extra viel Erdnüssen essen. Das ist doch ein Angebot! Und wenn ich zehn Bahnen schwimme, wird sich das Stück Marzipantorte nicht auf meinen Hüften niederlassen.
Ich liebe Marzipantorte! Ich hasse Schwimmbäder!
Aber ich war wild entschlossen, in meinem Leben für Ausgleich zu sorgen, und deswegen suchte ich letzte Woche in den Untiefen meines Kleiderschrankes nach dem etwas verblichenen Badeanzug und ging ins Schwimmbad. Warmer Chlorgeruch schlug mir entgegen, und mir wurde ein wenig übel.
»Nun reiß dich zusammen!«, schimpfte ich mit mir und eilte in die Umkleidekabine.
Hier gab es viele Frauen, die wohl gern Marzipantorten aßen, und ich fühlte mich nicht mehr so dick. Trotzdem war es ziemlich voll und eng, es roch ein wenig nach Schweiß und Parfüm.
Ich überlegte kurz, ob ich nicht doch lieber dreimal um den Häuserblock rennen wollte. Doch dann war ich wieder tapfer, schlüpfte in den Badeanzug und eilte in den Duschraum. Unterwegs traf ich einen nackten Mann, der mich freundlich anlächelte. »Habe nur mein Duschgel vergessen«, erklärte er mir.
»Aha«, stammelte ich peinlichst berührt.
Er lief an mir vorbei, als wäre nichts dabei. Ich hörte ihn noch etwas murmeln, wollte mich aber für nichts in der Welt umdrehen.
So langsam wurde das alles sehr anstrengend.
Mein Gesicht glühte heiß und rot vor Scham. Als hätte ich noch nie einen nackten Mann gesehen! Ich hatte bestimmt schon jede Menge Kalorien verbrannt für Stress, Schock und Gerangel in der Umkleidekabine.
Jetzt musste ich noch duschen. Während ich mit meinem Duschgel unter dem Arm auf eine freie Dusche wartete, fragte ich mich, was ich mir eigentlich antat. Ich beobachtete eine dünne, nackte Dame, die sich gerade singend das Haar wusch, und eine andere, die ihr Gesicht genussvoll in den warmen Wasserstrahl hielt.
Endlich war sie fertig damit, und ich war an der Reihe. Wie ich laut kreischend feststellen musste, war der Wasserstrahl aber gar nicht warm, sondern eiskalt gewesen, und ich hatte an diesem Vormittag einen weiteren Schock erlitten.
»Kräftigt das Bindegewebe«, erklärte mir meine VorDuscherin grinsend, bevor sie den Raum verließ. Wütend kurbelte ich am Wasserhahn. Aaah, schön heiß. Ja, so ließ es sich aushalten.
Ich stand lange unter dem warmen Strahl, der meine Nerven beruhigte. Ob das für heute genügte? Ob ich jetzt wieder nach Hause durfte?
Meine Oma hat immer gesagt: »Der gute Wille zählt.«
Der gute Wille verbrennt aber leider keine Kalorien, also weiter. Etwas verunsichert schlich ich mich ans Wasserbecken. Schön blau sah das aus. Viele Köpfe zogen ihre Bahnen darin. Da hinten schwamm die singende, dünne Dame und hinter ihr der vergessliche Nackte, der hoffentlich seine Badehose inzwischen anhatte.
Als er mich sah, winkte er fröhlich, und ich lief zu meinem Ärger schon wieder rot an. Schnell ließ ich mich ins Wasser fallen.
»Springen vom Beckenrand verboten!«, schnauzte mich ein dicker Bademeister an, als ich wieder auftauchte.
»Entschuldigung«, sagte ich und schluckte vor Schreck ein wenig Wasser, das nicht gut schmeckte.
Dann fädelte ich mich in die vorüberschwimmenden Köpfe ein, vor mir ein kahlköpfiger Opa, hinter mir eine prustende Dame. Ich holte tief Luft, konzentrierte mich auf meine Armund Beinbewegungen. »Schön kräftig durchziehen«, hatte in der Zeitschrift gestanden.
»Aua!«, meckerte die Dame hinter mir. »Sie haben mich getreten.«
»Entschuldigung«, sagte ich schon wieder und paddelte eine Weile zaghaft vor mich hin, um keinem mehr wehzutun. Der Opa vor mir hatte seinen Schwimmkurs geändert und war abgetaucht, dafür kamen mir zwei miteinander schwatzende Frauen entgegen. Hastig schwamm ich aus dem Weg, stieß mit einer Hochschwangeren zusammen und musste mich schon wieder entschuldigen.
Drei Schwimmzüge später rammte mir jemand seinen Fuß ins Kreuz. Chlor brannte in meinen Augen. Ich erreichte den Beckenrand; sah, wie der vergessliche Nackte Kurs auf mich hielt, und kletterte eilig aus dem Wasser.
»Genug!«, schrie es in mir, und auf die innere Stimme soll man ja bekanntlich hören.
»Wenn ich hier ohne Fußpilz, Bindehautentzündung und blaue Flecken wieder rauskomme, werde ich zweimal die Woche durch den Park joggen«, schwor ich mir und ergriff die Flucht.
An diesem Nachmittag gönnte ich mir auf meinem Balkon ein großes Stück Marzipantorte. Das hatte ich mir wirklich verdient.
Und nächste Woche werde ich das erste Mal joggen gehen. Oder übernächste.
Sind Sie jemand mit viel Geduld? Jemand, der seelenruhig die festgezurrten Doppel-Knoten an herumzappelnden Kinderschuhen löst? Jemand, der gerne Puzzle zusammensetzt, am besten mit 10 000 Teilen? Ich nicht!
Gut, ich will nicht behaupten, ich wäre ungeduldig. Aber stählerne Nerven habe ich nicht. Und die hätte ich neulich gut gebrauchen können, als ich beim Bäcker stand und ein Sonnenblumenbrot kaufen wollte. Für den Kauf eines Sonnenblumenbrotes braucht man weder Geduld noch stählerne Nerven, werden Sie jetzt sagen, aber warten Sie mal ab, bis Sie diese Geschichte zu Ende gelesen haben!
Vor mir stand ein älterer Herr und hatte die Stirn in Falten gelegt. »Haben Sie Kommiss-Brot?«, fragte er die Verkäuferin, die bedauernd den Kopf schüttelte. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass sich meine drei Kinder ebenfalls in dieser Bäckerei aufhielten. Noch waren sie friedlich: Die Jungs pressten ihre Nasen gegen die Glasvitrine, Sanne zählte die Brote. »Und was ist das da?«, fragte der Opa.
»Das ist Ciabatta«, erklärte die Verkäuferin geduldig.
»Tscha … was?«, fragte er.
»Cia-bat-ta. Das ist italienisch.« Die Verkäuferin war in ihrem Element. »Mit Walnüssen, Oliven oder getrockneten Tomaten gibt es dieses Landbrot!«
»Passt denn auch Kirschmarmelade auf Tscha-Tscha-Dings-bums?«, fragte der Opi und schaute skeptisch.
Sanne begann zu kichern. Die Jungs machten sich einen Spaß daraus, mit ihren Zungen die Vitrine abzulecken.
»Lasst das sein!«, zischte ich wütend, denn mein Geduldsfaden, wenn ich überhaupt jemals einen besessen hatte, war mir gerissen.
»Verzeihen Sie«, mischte ich mich in das Gespräch, »ich hätte nur gerne ein klitzekleines Sonnenblumenbrot, wäre es möglich, mir …«
»Nun seien Sie doch nicht so ungeduldig«, herrschte mich die Verkäuferin an. »Ich erkläre dem Herrn nur noch ganz kurz, was ein Baguette ist.« Du liebe Güte, war das hier ein Sprachkurs an der Volkshochschule?
Samuel und Max bildeten gerade eine »Räuberleiter«, um an die Süßigkeiten auf dem Tresen zu gelangen. Eine kleine Hand fischte in dem Behälter mit weißen Schaummäusen herum.
»Ein langes Weißbrot in der Form eines Stockes heißt Baguette, und Sie können auch wunderbar Kirschmarmelade dazu essen.« Die Verkäuferin war ganz gewiss jemand, der gerne puzzelt. Bestimmt waren die Wände ihrer Wohnung behängt mit zusammengesuchten Eiffeltürmen, Schäferhundwelpen und Sonnenuntergängen.
»Zwanzig Brote!«, rief Sanne, die offensichtlich fertig gezählt hatte.
»Vielleicht nehme ich lieber so ein kleines, dunkles da unten«, entschied der Opa.
»Dieses?«, fragte die Verkäuferin.
»Nein, weiter links.«
»Hier?«
»Nein, weiter rechts!«
Ich sah, wie meine Fußspitze nervös auf- und abwippte.
»Aaaah, sie meinen dieses?«, rief die Verkäuferin und hielt triumphierend ein kleines, braunes Brötchen in die Luft.
»Ja!« Opa und Verkäuferin freuten sich. Zwei weitere Schaummäuse verschwanden in den Mündern meiner Söhne. Besser als Vitrinen ablecken, fand ich und sagte nichts.
»Wissen Sie …«, hörte ich die Verkäuferin sagen. »Das ist aber ein Zwiebelbrötchen, da passt keine Marmelade drauf.«
Da griff ich auch nach einer Schaummaus und begann verzweifelt auf ihr herumzukauen.
»Entschuldigen Sie, wenn ich mich noch einmal einmische«, begann ich mit zitternder Stimme, als ich meine Maus runtergeschluckt hatte. »Meine Tochter hat soeben 20 verschiedene Sorten Brot gezählt. Da sollte wohl etwas für Sie dabei sein. Wie wäre es denn mit einem Kürbiskernbrot?«
»Ich habe doch nichts an der Prostata!«, erregte sich der Opa beleidigt.
»Nein … natürlich nicht …«, begann ich zu stottern. »Dann nehmen Sie doch einfach ein paar Schrippen.«
Die Verkäuferin sah mich wütend an. »Der Herr wird bedient. Und zwar von mir!«
»Puzzlespieler soll man nicht reizen«, dachte ich mir. Aber Ungeduldige auch nicht. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fünf Minuten würde ich dieser Angelegenheit noch geben, und dann wäre ich raus aus dem Laden!
»Wie wäre es denn mit einem Bagel?«, hörte ich die Verkäuferin fragen.
»Was soll denn das nun wieder sein?«, fragte der Opa zurück.
Gleich, gleich würde ich meinen Verstand verlieren. Warum lassen die mich nicht einfach mein Sonnenblumenbrot kaufen und wieder gehen? Warum gibt es so eine verwirrend große Auswahl an Broten, Eis, Joghurts und Nudeln in unserer Welt? Warum ist manchmal alles so schwer? Während ich deprimiert über den Sinn des Lebens gegrübelt habe, hat sich der Opa offensichtlich entschieden. Mit einem Paket unter dem Arm verlässt er die Bäckerei und würdigt mich keines Blickes mehr.
»Was darf es sein?«, fragt die Verkäuferin mich kühl.
»Ein Sonnenblumenbrot«, sage ich.
»Bedaure, das letzte hat der Herr vor Ihnen soeben gekauft«, antwortet sie schnippisch, und einen Hauch Häme kann ich heraushören. Aber ich lasse mir nichts anmerken und kaufe vier Schrippen, bezahle lächelnd dreizehn weiße Schaummäuse. Als ich schon an der Tür bin, drehe ich mich noch einmal um. »Mögen Sie eigentlich Puzzles?«, frage ich die Verkäuferin. Ihr Gesicht erhellt sich. »Ich liebe Puzzles!«, ruft sie. »Und jegliche Art von Geduldsspielen. Ich sticke auch für mein Leben gern!«
Nun weiß ich Bescheid. Vielleicht sollte ich mir zu Weihnachten mal ein Puzzle wünschen? Mit allen Brotsorten der Welt darauf?
Es gibt Tage, da fühlt man sich einfach wunderbar. Die Sonne lacht, das rote Kostüm sitzt wie maßgeschneidert und der nette italienische Eisverkäufer ruft einem »Aaah, bella Signora« hinterher …
Es gibt aber auch andere Tage! Die fangen zwar genauso an wie gute Tage – aber dann bemerkt man plötzlich den Fettfleck auf dem roten Leinenkostüm. Der Eisverkäufer guckt in die andere Richtung, und eine Wolke hat sich vor die Sonne geschoben. Und dann?
Dann geht man weiter, entdeckt sein Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe, sieht, dass das Leinenkostüm gehörig am Po spannt. Und dass der heute früh noch so modisch anmutende Zickzack-Scheitel einfach nur blöd aussieht, und dann fängt es an zu nieseln.
Tapfer schleppe ich mich voran. Ich muss ein paar Einkäufe machen, nichts Besonderes, aber auf einmal scheint alles zu viel. Ich komme an einem Spiegel vorbei. Dieser Zickzack-Scheitel auf meinem hängenden Kopf! Unmöglich. Und trägt man so etwas überhaupt noch?
Energisch fahre ich mir durch die Haare, hinterher sieht es noch übler aus! Der stärker werdende Nieselregen tut sein Übriges mit meiner Frisur. Außerdem drücken meine neuen Schuhe. Ehrlich gesagt sind sie auch ein wenig zu hoch für den Alltag. Ich bin eben doch nicht Sarah Jessica Parker, die bei Wind und Wetter durch New Yorks Straßen stöckelt, auf so dünnen Beinen, dass man immer Sorge hat, sie würden ihr gleich durchbrechen.
Meine Beine sind nicht so dünn. Und mein Rock spannt am Po. Ich bin auch nicht auf dem Weg zu einer Party, ich gehe nur im Supermarkt einkaufen. Und eben schien noch die Sonne.
An solchen Tagen trifft man auch meistens eine Person, die man eigentlich überhaupt nicht gerne trifft. Fröstelnd, mit zerlaufener Wimperntusche, durchsuche ich meine Taschen nach einem Chip für den Einkaufswagen und breche mir prompt einen Fingernagel ab.
Als ich endlich den verkanteten Wagen hervorzerre, fahre ich ihn mir schwungvoll über die neuen Schuhe, die auf einmal aussehen, als hätte ich sie bereits seit vielen, verregneten Jahren. »Aua!«, brülle ich und hüpfe auf einem Bein herum. Zum Glück ist es nicht so dünn!
»Tanja?«, höre ich eine erstaunte Stimme hinter mir, und ich blicke in die schmalen Augen von Andrea. War ja klar! Jetzt fehlt nur noch ein Erdbeben!
»Andrea«, antworte ich mit honigsüßer Stimme und wische verstohlen an der Wimperntusche herum.
Diese Andrea konnte ich noch nie leiden. Leider wohnt sie in meinem Viertel, und ich laufe ihr ab und zu über den Weg. Es gibt Leute, die passen zu ganz bestimmten Tagen!
»Alles in Ordnung?«, fragt sie.
»Klar!«, rufe ich und stoße den störrischen Einkaufswagen vor mir her.
»Du siehst so abgekämpft aus«, sagt sie und gibt ihrer Stimme einen besonders mitfühlenden Ton. »Geht es dir gut?«
»Ja doch«, herrsche ich sie an.
»Bist du eigentlich noch mit diesem Ronald verheiratet?«, will sie wissen.
»Ich war nie mit einem Ronald verheiratet«, erkläre ich ihr und stoße mir das Schienbein an dem Einkaufswagen.
»Ach, dann habt ihr euch scheiden lassen?«, ruft sie begeistert. »Gut gemacht, Tanja! Hinter jedem Ende wartet ein neuer Anfang, und dieser Ronald war doch wirklich unter deinem Niveau.«
»Mein Mann heißt Robert«, rufe ich und bringe den Wagen abrupt vor den Erdbeeren zum Stehen.
»Genau«, Andrea stellt sich zwischen die Erdbeeren und mich. »Robert hieß der! Und mit dem bist du doch noch verheiratet?«
»Ja!«, rufe ich und schiebe sie aus dem Weg. Ich will jetzt endlich Erdbeeren und meine Ruhe.
Man kann sich immer nur so viel ärgern, wie man sich ärgern lässt, habe ich gerade erkannt und das trifft auf verregnete Tage, missratene Frisuren, tückische Einkaufswagen und blöde Leute gleichermaßen zu.
Andrea trollt sich, und ich kaufe Unmengen Erdbeeren.
Auf dem Nachhauseweg komme ich beim italienischen Eisverkäufer vorbei. »Aaaah, bella Signora!«, ruft er. Ist der blind? Ich sehe aus wie eine nasse Katze.
Aber vielleicht hat der Regen ja mein Leinenkostüm etwas geweitet und den hässlichen Fettfleck unsichtbar gemacht?
Und ein paar feuchte Haarsträhnen in der Stirn können ja auch sehr verwegen wirken. Wie dem auch sei, meine Laune hebt sich ein wenig. Ich kaufe mir eine Kugel Schokoeis, bemühe mich, nicht zu kleckern, und gehe nach Hause.
Ich habe Blasen an den Füßen. Die neuen Schuhe sind ruiniert, aber für heute habe ich mich genug geärgert. Ich ziehe mich um und setze mich erschöpft auf den Balkon. Vor mir steht eine Portion Erdbeeren. Ich lasse viel Zucker darauf rieseln.
Hübsch sehen die aus, die roten Erdbeeren! Und wie der weiße Zucker in der Sonne glitzert, die gerade hinter den grauen Wolken hervorkommt.
Für heute Abend könnte ich eine leckere Erdbeerbowle zubereiten und sie dann gemütlich mit Robert (nicht Ronald!), dem liebsten Ehemann, trinken. Bei Kerzenschein …
So ist das manchmal eben auch, mit diesen »anderen Tagen«. Auf einmal können sie wieder hell und freundlich werden. Wenn man es nur zulässt!
Neulich erwartete ich Besuch von einer Bekannten, die ich jahrelang nicht mehr gesehen hatte. Und – ich werde ganz ehrlich sein: Ich wollte sie doch ein klein wenig beeindrucken …
Mein Zuhause sollte aussehen, wie ein wahr gewordener Wohntraum aus der »Schöner Wohnen«-Zeitschrift. Die Kinder sollten wohlerzogene Engel sein und ich selbst? Nun, mir schwebte das Bild einer sympathischen, jungen Frau vor, die lässig und souverän alles unter Kontrolle hat.
Sympathisch bin ich meistens und jung auch einigermaßen. Alles unter Kontrolle habe ich eher selten, von »lässig und souverän« ganz zu schweigen. Aber das brauchte man mir an diesem Nachmittag ja nicht unbedingt anzumerken.
Gleich am frühen Morgen des besagten Tages schwang ich Staubtücher, zerrte den dröhnenden Staubsauger hinter mir her, stocherte Barbie-Puppen und Matchbox-Autos unter dem Sofa hervor. Dann stellte ich mich in den Türrahmen des Wohnzimmers und tat so, als sähe ich es zum ersten Mal.
Das Sofa machte einen ziemlich abgewetzten Eindruck, und seit wann hatte dieser bunte Läufer ein Loch? Spontan beschloss ich, das Sofa weiter nach vorn zu ziehen, bis es das Loch verdeckte. Ich schob und zog. Leider verknackste ich mir dabei meinen Nacken.
Schmerzgebeugt humpelte ich ins Kinderzimmer, arrangierte Kuscheltiere, schmiss Laster und Kräne in Spielzeugkisten, legte die Blümchenvorhänge in dekorative Falten. Die Betten waren noch zu machen, und ich hatte nur noch fünf Stunden Zeit.
Blumen mussten her, fiel mir plötzlich ein. Mit wirren Haaren voller Staubflusen eilte ich in den Blumenladen an der Ecke und besorgte zwei Sträuße. Die Sonnenblumen stellte ich auf den gewischten Küchentisch, auf dem außerdem in einem Obstkorb grüne Apfel und gelbe Birnen leuchteten. Auf meinem Nachttisch stand wenig später ein entzückender Strauß Teerosen, als wäre es ganz selbstverständlich. Daneben stapelte ich einige Bücher von Thomas Mann und Heinrich Heine.
Wenn nur dieser Nacken nicht so schmerzen würde! Im (inzwischen geputzten) Badezimmer rieb ich mir etwas ABC-Salbe auf die verknackste Stelle und dekorierte nebenbei einige Muscheln auf dem Badewannenrand. Dann holte ich die Kinder aus Schule und Kindergarten, kämmte ihre Haare, ließ Sanne ein kariertes Kleid anziehen und wollte ihr Satinbänder ins Haar flechten, was sie nicht mit sich geschehen ließ.
»Bitte«, flehte ich, denn es hätte allerliebst ausgesehen. »Niemals«, lautete die Antwort. »Das Kleid ist schon schlimm genug!«
Also machte ich mich über die Jungen her, steckte sie in pastellfarbene Hemden, zog artige Seitenscheitel.
»Wie Engelchen seht ihr aus«, rief ich begeistert.
Ein zweistimmiges Knurren war die Antwort, was nicht sehr engelhaft klang.
»Ihr sprecht nur, wenn ihr gefragt werdet, ihr kleckert nicht, ihr macht keine merkwürdigen Geräusche, und wenn ihr aufs Klo müsst, ruft ihr nicht durchs ganze Haus ›Poooo abwischen!‹ Alles klar?«, schärfte ich ihnen ein. Wieder wurde nur geknurrt.
Und nachdem ich mich geduscht, geschminkt und umgezogen hatte, legte ich eine Mozart-CD ein, entzündete Duftkerzen auf dem liebevoll gedeckten Kaffeetisch. Es war sechzehn Uhr. Lässig fütterte ich noch eben die Fische im Aquarium, damit sie nicht so verhungert gucken würden. Fertig! Von wegen, ich wäre nicht lässig und souverän! Ich war einfach perfekt. Wie die Orgelpfeifen saßen die Kinder stumm auf dem umgestellten Sofa.
»Na?«, fragte ich sie selbstzufrieden. »Wie habe ich das gemacht?«
»Knurr.«
»Könnt ihr auch sprechen?«, herrschte ich sie an.
»Dürfen wir ja nicht, nur weil deine blöde Pups-Freundin uns besucht!«, brach es aus Samuel hervor.
»Pssst!«, machte ich entsetzt. »Sie kann jetzt jeden Moment kommen.«
Um es kurz zu machen: Sie kam nicht. Mozart verklang, die Kerzen brannten herunter, die Kinder tobten bekleckert auf dem Sofa herum.
Erschöpft setzte ich mich auf einen Stuhl und massierte mir den Nacken. An diesem Tag ging ich früh zu Bett.
Genau eine Woche später (das abgewetzte Sofa stand wieder an der alten Stelle, die Blumen waren verblüht), klingelte es um sechzehn Uhr an der Tür. Ungeschminkt, in Schlabberjeans kreischte ich ins legosteinübersähte Wohnzimmer: »Macht mal den Fernseher leiser!«, bevor ich öffnete und zur Salzsäule erstarrte. Da stand sie: Ulrike, die ich vor einer Woche erwartet hatte!
»Tanja!«, rief sie und sah erfreut aus.
»Willkommen«, hauchte ich und dachte an das Frühstücksgeschirr, das noch auf dem Küchentisch stand.
»Wie nett deine Wohnung ist«, zwitscherte sie und nahm auf dem Sofa Platz.
Während ich panisch in der Küche Kaffee kochte, blätterte ich im Kalender und stellte fest, dass Ulrike tatsächlich für heute angemeldet war und ich mich um eine Woche geirrt hatte. Am liebsten hätte ich geweint. Ich fegte Puzzleteile vom Tisch, stellte trockene Kekse vor meinen Gast hin und knurrte leise in meine Tasse.
»Weißt du, Tanja«, sagte Ulrike und biss fröhlich in einen Keks, dass es nur so krachte, »bei dir ist alles so echt und unverstellt. Ich hatte schon Angst, es würde aussehen wie in einem ›Schöner Wohnen‹-Heft.« Da wurde aus meinem Knurren ein Lachen, und während die Kinder lautstark Fangen spielten, hatte ich mit Ulrike noch einen richtig netten Nachmittag. Ganz wie im echten Leben!
Und? Haben Sie ihn? Den berühmten grünen Daumen? Meiner ist leider nur rosa, und so sehr ich mich bemühe – ich schaffe es nie, Ableger zu ziehen oder eine Topfrose so zu beschneiden, dass sie es auch überlebt …
»Das ist doch kinderleicht«, ruft die Schwiegermutter und zerrt an meinem mickrigen Oleander herum. »Du nimmst einen Zweig und steckst ihn ins Wasser, und nach drei Wochen kriegt er kleine Wurzeln, und du kannst ihn einpflanzen.«
Sie sieht mich skeptisch an. »Das hast du doch begriffen, oder?«
»Natürlich«, meckere ich. »Es liegt auch eher daran, dass ich ein kompliziertes Verhältnis zu Pflanzen habe. Immer gieße ich zu viel oder zu wenig, ständig sind meine Rosen verlaust, vertrocknet mein Lavendel, hängt mein …«
»Papperlapapp«, unterbricht sie mich. »Mach es nur so, wie ich es dir sage.«