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Einst war Madame Cléo ein erfolgreiches Pariser Mannequin, heute kann sie kaum noch ihre Altbauwohnung in Berlin bezahlen. Daher vermietet sie ein Zimmer unter und findet in Adamo und seiner kleinen Tochter Mimi wahre Freunde. Doch die Vergangenheit lässt Madame Cléo, die Grande Dame mit Herz, nicht los. Ein großer, unerfüllter Traum erwacht zu neuem Leben, als Mimi eines Tages eine riesige Summe Geld findet. Madame Cléo hat eine bezaubernde Idee und jede Menge Briefumschläge ... Ein Roman, der den Duft des Glücks verströmt, von charmanter Sehnsucht und einer Prise Großstadt-Märchen.
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Seitenzahl: 66
Bei diesem E-Book handelt es sich um ein Vorabexemplar. Sowohl Layout wie auch Inhalt können sich bis zur endgültigen Veröffentlichung noch ändern.
HarperCollins® Band 100053
HarperCollins® Bücher erscheinen in der HarperCollins Germany GmbH, Valentinskamp 24, 20354 Hamburg Geschäftsführer: Thomas Beckmann
Copyright © 2017 by HarperCollins in der HarperCollins Germany GmbH, Hamburg Deutsche Originalausgabe
Copyright © Tanja Wekwarth 2017 Erschienen bei: HarperCollins Germany GmbH
Umschlaggestaltung: any.way, Barbara Hanke / Cordula Schmidt Umschlagabbildung: Patric Johansson / Link Image Redaktion: Anna Hoffmann eBook-Herstellung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-95967-062-3
www.harpercollins.de
Pour ma mère et ma tante Jacqueline.
Merci.
Vögel im Käfig sprechen vom Fliegen.
Freie Vögel fliegen.
Aus China
Cléopâtre Aglaïde Victorine de Pierret-Monchouaris, kurz Cléo genannt, sammelte antike Vogelkäfige. Da ihr aber nichts auf der Welt so grausam erschien wie ein eingesperrter Vogel – und die damit verbundene Symbolik – waren die sieben Käfige unbewohnt geblieben, was mit der Zeit ziemlich langweilig geworden war. Deswegen (und auch um der Idee Käfig ein Schnippchen zu schlagen) hatte Cléo die Vogelbauer auf den Balkon gebracht, die Türchen abmontiert und Futter hineingestreut. Seitdem erfreute sie sich jeden Tag über das Hinein- und Herausgefliege der Spatzen, Meisen und Grünlinge.
Während die zweckentfremdeten Käfige an einer straff gezogenen Wäscheleine im Sommerwind schaukelten, wässerte Cléo drei weiße Geranien und einen Kübel mit Pfefferminze und Schnittlauch. Dann schaute sie auf die Akazienstraße hinab, in der sie seit 1984 lebte. Dieser Teil von Schöneberg war einigermaßen bewohnbar geblieben, während die angrenzende Hauptstraße im Laufe der Jahre ziemlich heruntergekommen war. Von der Potsdamer Straße ganz zu schweigen. Ein-Euro-Läden waren irgendwann wie Champignons aus dem Boden geschossen. Geiz ist geil schien das Lebensmotto der Jahrtausendwende geworden zu sein.
Anfang der Neunzigerjahre hatte es im Haus noch eine Schneiderwerkstatt gegeben. Dort war jetzt ein indisches Restaurant. An manchen Tagen roch es bis in den dritten Stock hinauf nach Kardamom und Curry. Inzwischen hatte sich Cléo daran gewöhnt und den Geruch sogar lieb gewonnen. Chicken Tikka Masala war eine ihrer Leibspeisen geworden.
Sie streute noch ein paar geschälte Sonnenblumenkerne in die Käfige, dann ging sie in die Wohnung zurück. Dort wanderte sie etwas ziellos mit einem Staubtuch herum und fuhr über die Oberflächen der wenigen antiken Möbel, die ihr noch geblieben waren. Sie schämte sich, in der Vergangenheit vieles verkauft zu haben, um über die Runden zu kommen. Besonders geschmerzt hatte sie der Verlust einer Spiegelkommode aus dem achtzehnten Jahrhundert, die immer in Familienbesitz gewesen war. Sie hatte Cléos Mutter gehört und davor ihrer Großmutter. Aber was nutzten die Sentimentalitäten? Eine Spiegelkommode konnte einem die Miete nicht bezahlen. Zumindest nicht, solange sie nicht verkauft war.
Im Korridor war Cléo vor drei Fotografien stehen geblieben, die, hinter Glas gerahmt, in einer Reihe hingen. Sie selbst war darauf zu sehen: neunzehn Jahre jung und bildschön, auf dem Laufsteg im Hause Chanel. 1963. Nachdenklich betrachtete sie dieses beneidenswert attraktive Geschöpf, das sie gewesen war. Sie trug ein Tweedkostüm und zweifarbige Slingpumps. Très Chanel.
Es war vor allem ihr Gesicht, das sich verändert hatte, groß und schlank war sie immer noch, doch nun zogen sich Falten über ihre Stirn, die einst ganz glatt gewesen war, und ihr Mund schien irgendwie schmaler geworden zu sein. Auf dem Foto sah er aus wie eine entzückende Kirsche, die man küssen wollte. Ihre Augen waren katzenhaft geschminkt, mit einem schweren, schwarzen Lidstrich. Damit würde sie heutzutage aussehen wie eine traurige Eule. Cléo seufzte. „Altwerden ist nichts für Schwächlinge“, murmelte sie. Von wem war das? Bette Davis? Oscar Wilde? Sie zuckte die Schultern. Wenn es nicht bereits jemand gesagt hätte, dann hätte sie es haargenau so formuliert.
Ihre Frisur war dieselbe geblieben: ein adretter Pagenkopf, wie ihn Mademoiselle Chanel selbst auch getragen hatte. Damals hatte Cléo blondes Haar gehabt, inzwischen war es silbrigweiß. Sie half diesem Zustand ein wenig nach, es gab ja heutzutage recht preisgünstig Haarfärbemittel in der Drogerie zu kaufen. Wenn sie etwas besonders verabscheute, dann waren es graue Haare. Sie wusste um ihre Eitelkeit, aber so war sie eben. Ein gepflegtes Aussehen war ihr wichtig.
Auf dem nächsten Foto führte sie ein schwarzes Musselin-Kleid vor. Sie konnte sich ganz genau daran erinnern. Es war einfach hinreißend gewesen. Wie eine nächtliche Fee war sie sich darin vorgekommen. Auf der Schwarz-Weiß-Fotografie konnte man deutlich ihre hellen Augen leuchten sehen. Mit stolzem, herausforderndem Blick schaute sie direkt in die Kamera. Cléo konnte sich vage an ein Techtelmechtel mit einem der Fotografen erinnern. Jean? Pierre? Sie lächelte. Das war natürlich, bevor sie ihren Mann kennengelernt hatte.
Cléo sprühte etwas Glasreiniger auf das Tuch und fuhr behutsam über das dritte Bild. Es zeigte sie in einem Nachmittagskleid aus Chiffon, aber darauf kam es nicht an. Das Wichtigste, Spektakulärste, um nicht zu sagen: das Heiligste auf diesem Foto war die Person, die neben ihr stand.
Es war Mademoiselle Chanel höchstpersönlich! An einem weißen Seidenband trug sie ihre Schneiderschere um den Hals. Sie blickte an der Kamera vorbei, als sähe sie in der Ferne etwas, das sie weit mehr interessierte als dieser Moment des Fotografiertwerdens.
„Ach, Mademoiselle“, murmelte Cléo, „wenn Sie mich jetzt sehen würden …“ Sie schlug sich das Staubtuch vor den Mund. Mademoiselle Chanel hätte diesen Jammerton verabscheut. Außerdem waren Gespräche mit alten Fotografien oder Spatzen auf dem Balkon oder (am allerschlimmsten) Gespräche mit sich selbst, etwas, das wirren, alten Frauen vorbehalten war. Und da war sie noch nicht.
„Noch nicht“, murmelte Cléo, dann ging sie in die Küche, um sich noch einen Kaffee zu kochen. Es war ja erst zehn Uhr am Vormittag. Sie seufzte. Viele Stunden lagen noch vor ihr. Ziemlich genau fünfzehn. Sie brauchte nicht mehr viel Schlaf, ging spät zu Bett, schlief tief und traumlos und stand früh auf. Früher hatte sie bis mittags schlafen können. La grasse matinée. Herrlich war das gewesen. An dieser Stelle hatte sich Mutter Natur wohl etwas vertan: Junge Menschen schlafen viel, alte kaum noch. Was sollten alte Leute mit so viel Zeit, während die Jungen ihr hinterherjagten?
Cléo goss den Kaffee auf, erfreute sich kurz am Duft, dann setzte sie sich an den Küchentisch und studierte die Werbeprospekte, die vorhin im Briefkasten gesteckt hatten. Der Supermarkt um die Ecke pries hochwertig verarbeitete Damenslips mit Spitze und eleganter Zierschleife an. Cléo schnaubte abfällig, dann kreuzte sie das Sonderangebot mit den italienischen Strauchtomaten an. Vielleicht würde sie sich noch einen Topf mit frischem Basilikum gönnen und dafür auf die Butter verzichten? Sie hatte noch ein Eckchen übrig, das würde reichen. Zu viel Fett war ja sowieso nicht gesund. Und sie hatte auch noch zwei Büchsen Thunfisch in der Speisekammer. Es war besser, vorher genau zu wissen, was man kaufen wollte, um dann nicht abgelenkt zu werden und mit lauter unnützem Zeug nach Hause zu kommen. Man sollte auch nie mit hungrigem Bauch in den Supermarkt gehen, dann waren die Versuchungen zu groß.
Genussvoll trank Cléo einen Schluck Kaffee, blätterte um und … stutzte. Da lag ein Umschlag, an sie adressiert. Der musste zwischen die Seiten geraten sein. Ihr Herz begann zu klopfen. Wer schrieb ihr denn bloß? Eigentlich gab es niemanden, der infrage käme. Ihre Schwester Mathilde war vor zehn Jahren gestorben. Mehr Familie hatte sie nicht. Mit zitternden Händen riss sie das Kuvert auf und begann zu lesen:
Sehr geehrte Frau Perret-Monchoari,
wir möchten Sie darüber informieren, dass demnächst Sonnenkollektoren auf dem Hausdach installiert werden. Diese Modernisierungsmaßnahme verbessert die Umweltverträglichkeit: Ihr warmes Wasser und die Heizung werden in Zukunft mit Sonnenenergie erzeugt, beziehungsweise durch Sonnenenergie unterstützt.
Darüber hinaus werden die sechs Fenster (und die Balkontür) in Ihrer Wohnung durch Kunststofffenster mit Isolierverglasung ersetzt.
Die dafür notwendigen Arbeiten beginnen im gesamten Wohnhaus in der Zeit vom 10. Juni. Die Fenstererneuerung in Ihrer Wohnung dürfte sich binnen eines Tages durchführen lassen. Bezüglich eines Termins setzen wir uns zeitnah mit Ihnen in Verbindung.
Bitte gewähren Sie den Handwerkern Zugang zu Ihren Räumlichkeiten. Wir haben die Firma Schulz & Schultz Fensterbau GmbH mit der Ausführung dieser Arbeit betraut. Die Mitarbeiter können sich ausweisen.