Tanya tanzt Tango - Jula Langhirt - E-Book

Tanya tanzt Tango E-Book

Jula Langhirt

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Beschreibung

Buenos Aires im Dezember 2015. Tanya und die Autorin Jula haben einen reinen „Mädelstrip in die argentinische Hauptstadt geplant. Sie sind beste Freundinnen vom Kindergartenalter an. Jula glaubt, dass sie alles voneinander wissen. Doch bereits während des Fluges bringt Tanya das Urlaubsprogramm völlig durcheinander. Sie stellt Jula noch im Flugzeug kurzum den neuen Mann an ihrer Seite vor. Er ist ein geheimnisvoller Typ mit bewegter Vergangenheit, ein Charmeur, der nun Tanya auf Händen tragen will. Jula hat arge Zweifel, dass diese Liaison gut geht, schließlich liegt ihr, sehr viel am Wohlergehen der Freundin. Nach und nach offenbart ihr Tanya noch mehr unausgesprochene Tatsachen. Ausgerechnet in Buenos Aires werden die Freundschaft und die Gefühle der beiden Frauen auf eine harte Probe gestellt. Dieser Roman erzählt nicht nur Tanyas Lebensgeschichte, sondern berichtet, in die Handlung eingebunden, von Land und Leuten Argentiniens. Die Handlung ist Julas freier Fantasie entsprungen. Die Eindrücke der Metropole rund um die argentinische Hauptstadt basieren auf Reiseerfahrungen der Autorin und ihres Mannes. Dieser Roman erzählt nicht nur Tanyas Lebensgeschichte, sondern berichtet, in die Handlung eingebunden, von Land und Leuten Argentiniens. Die Handlung ist Julas freier Fantasie entsprungen. Die Eindrücke der Metropole rund um die argentinische Hauptstadt basieren auf Reiseerfahrungen der Autorin und ihres Mannes.

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Prolog

Im Flugzeug ist es eng, viel zu eng. Die Passagiere sitzen dicht an dicht, je nach Körperstatur fast aufeinander. Würde man sich in einem Aufzug so nah kommen, fiele dies fast schon unter Belästigung. Zweifellos fühlt man sich nur dann wohl, wenn mehr als zwei Ellenbogenlängen Abstand dazwischen sind – ansonsten bewegt man sich zu aufdringlich, fast schon in der Intimzone des anderen.

In der von uns gebuchten Economy Class sind die Sitze nicht sehr breit. Der Nachbar rückt zwangsläufig eine Spur zu nah ran. Die gemeinsame Armlehne muss man sich teilen. In dieser Situation ist es angebracht, aufkeimende Aggressionen zu unterdrücken, und sich auf seine gute Erziehung zu besinnen.

***

Endlich. Ich sitze.

Der Sitz ist hart, wenig gepolstert und wird im Laufe der nächsten elf Stunden unbequem werden.

Am liebsten würde ich jetzt die Augen schließen und ein kleines Nickerchen machen. Die Frauenstimme, die in gefälligem Ton ihren Monolog aus dem Lautsprecher hält, gibt mir keine Chance.

»Mesdames, Messieurs, apres la fermetures des portes nous vous prions dàctiver le mode avion pour tous vos appareils elecroniques et de verifier que tous les modes d’emission soient desactives. Grace a un assouplissement de la reglementation pour l’utilisation des appareils electroniques a bord d’avion, nous pouvons vous autoriser aujourd’hui a vous servir de ces appareils en mode avion.«

Es ist immer die gleiche Ansage bevor sich das Flugzeug in Bewegung setzt. Eigentlich möchte niemand der unpersönlichen Stimme zuhören. Die Sicherheitshinweise sind obligatorisch und werden in mehreren Sprachen verkündet.

»For your safety, please take a moment to listen to this important message about safety on board. In preparation for departure, fasten your seat belt by placing the metal fitting into the buckle. For your comfort and safety, adjust the strap so it fits low and tight around your hips. To release your seat belt just lift the face plate of the buckle. As you know, turbulence is sometimes unexpected so we advice you to keep your seat belt fastenden whenever you are seated.«

Ich folge der Anweisung und schnalle mich mit dem Bauchgurt an. Meine Nachbarin zur rechten Seite tut es mir gleich.

Unsere Blicke treffen sich. Wir lachen beide und fühlen uns nicht nur eingeschnürt, sondern auch verbunden. Es ist kein Wunder, gemeinsam wagen wir diesen Trip über den großen Teich.

Tanya, seit Kindergartenzeit meine beste Freundin und ich, fliegen in einen hoffentlich schönen und außergewöhnlichen Urlaub.

Seit Tanyas Geburtstag im September haben wir diesem Tag entgegen gefiebert. Damals fassten wir in Sektlaune zu vorgeschrittener Stunde diesen Entschluss. Nachdem wir viele Angebote über Flüge und Aufenthaltshöhepunkte verglichen haben, sind wir uns einig über Paris zu reisen.

***

Heute ist der 7. Dezember.

Wir haben es geschafft und sitzen, wenn auch unbequem, im Flugzeug. Wie jedes Mal vor dem Start versuche ich der Anspannung entgegen zu arbeiten.

Ich schließe einfach die Augen.

Ich mache Atemübungen.

Sehr zu Belustigung für Tanya, aber mir hilft es.

»El capitan Martin Blanche y su tripulacion les dan una cordial bienvenida a bordo de nuestro Boeing 737 con destino a Buenos Aires.«

Ich schwebe auf Wolke sieben. Mein Atem ist wieder gleichmäßig, langsam verschwindet das beklemmende Gefühl. Gedankenlos – raumlos – zeitlos.

»Los chalecos salvavidas se encuentran debajo de sus asientos. Se les solicita atentamente apagar sus cigarrillos y enderezar el respaldo de sus asientos ya que estaremos despegando en breves minutos.«

Der Sicherheitscheck der Piloten lässt viele Geräusche entstehen. Brummen, Summen, Quietschen. Hydraulische und mechanische Teile werden auf ihre Bewegung geprüft. Start- und Landeklappen auf und ab bewegt.

Nein. Ich habe keine Flugangst, nur ein flaues Gefühl im Magen und im Kopf verspüre ich einen leichten Druck.

Augen zu lassen und durch.

Die Maschine wird rückwärts auf die Fahrbahn gedrückt. Man nimmt den Ruck des Schleppers deutlich wahr. Auf dem Weg zur Startbahn hört man das Rumpeln der Räder auf der holprigen Rollbahn. Die Verkleidung der Maschine quietscht und knarrt. Der Riesenvogel stoppt noch einmal bevor es in die Luft geht.

Nun wage ich doch einen zarten Blick aus dem kleinen runden Fenster auf der linken Seite.

Von diesem Sitzplatz hat man die Tragfläche mit dem roten Blinklicht im Blick. Außerdem bin ich der Meinung, dass hier in der Mitte des Flugzeuges, die Balance am besten ausgeglichen ist. Via Internet haben wir genau diese Plätze reserviert. Der dritte Sessel rechts von Tanya ist leer geblieben. Der Flug scheint nicht ausgebucht zu sein. Blickt man verstohlen um sich, stellt man fest, dass hier und da ein Kopf in den Sitzreihen fehlt.

Es ist soweit. Der eiserne Vogel hat vom Tower die Freigabe zum »Take off«. Die Motoren heulen vor dem Start mächtig auf. Von ihnen wird volle Leistung für das Abheben gefordert. Das Flugzeug beschleunigt auf der Startbahn immer mehr.

Die Passagiere werden in die Sitze gedrückt. Alles vibriert; die Räder holpern in immer kürzeren Zeitabständen und plötzlich ist es ganz ruhig.

Nur unter der Maschine rumpelt, knattert und summt es noch leise. Das Fahrwerk wird eingefahren und der Fahrwerkschacht geschlossen. Leichte Turbulenzen sind zu spüren, wenn man durch die aufsteigende warme Luft vom Boden oder von Windböen erfasst wird. Die Maschine steigt stetig im gleichen Winkel. Die Geschwindigkeit nimmt zu, die Motorgeräusche ab.

Nach gut zehn Minuten haben wir unsere Reisehöhe erreicht. Die Maschine geht in den Horizontalflug. Die Triebwerke sind kaum noch zu hören. Ich sehe wie die Start- und Landeklappen wieder eingefahren werden. Nun habe ich das Gefühle, dass wir sinken. Doch dies ist nur eine Sinnestäuschung.

Ein »Bing« der Anzeigenleuchte über meinem Kopf zeigt an, dass der Anschnallgurt gelöst werden darf.

Ich verharre lieber fest angeschnallt und stocksteif auf meinem harten Sitz.

Starker Wind könnte das Flugzeug hin und her schütteln, ich würde durch die Luft geschleudert.

Nein danke.

Mein gewagter Blick zu der Tragfläche beunruhigt mich. Eigentlich ist es völlig normal, dass diese sich zart nach oben und unten bewegen. Sie müssen so flexibel sein, um starken Winden Stand zu halten.

Ich gähne einige Male hintereinander, bis meine Ohren wieder frei von dem dumpfen Ton sind. Langsam verliert sich mein Druck im Kopf.

Von Minute zu Minute geht es mir besser. Ich nehme dankend das Mineralwasser an, das die nette Stewardess anbietet. Aufgrund der Klimaanlage herrscht an Bord eine sehr trockene Luft, was dazu führt,dass der Körper Wasser verliert und man einen trockenen Mund und trockene Haut bekommt.

Bislang haben Tanya und ich kaum ein Wort miteinander gewechselt. Auch sie kämpft mit dem Druck, findet jedoch die Sprache schneller wieder als ich.

»Siehst du, Jula, wir haben es trotz den widrigen Umständen heute morgen doch geschafft, den Flieger rechtzeitig zu erreichen. Jetzt wird alles gut. Du wirst sehen, in ein paar Minuten geht es uns wieder so gut, als wäre nie etwas gewesen. Ich wusste gar nicht, dass du so von Flugangst geplagt bist. Das hast du mir noch nie erzählt.«

Ich nicke erst einmal. Dann hole ich tief Luft, räuspere mich und antworte ihr mit unbekannter piepsiger Stimme:

»Hab’ ich dir das noch nie erzählt? Seit unserer Zwischenlandung vor ein paar Jahren in Singapur habe ich jedes Mal Panik bei dem Start. Hubert und ich hatten damals, genau wie wir heute, die Sitzplätze über der Tragfläche. Die Maschine war für den Start vorbereitet. Wir waren schon auf dem Rollfeld, die ersten paar Meter schon im Anrollen, dann stoppte das Flugzeug abrupt. Funken kamen aus dem Triebwerk. Ich habe sie und den Rauch durchs Fenster gesehen. Die anderen Fluggäste auch. Panik kam auf. Die Crew war für solche Vorfälle geschult und brachte innerhalb von Sekunden die Passagiere zur Ruhe. Der Pilot stellte sofort die Motoren ab. Die Notbeleuchtung schaltete sich automatisch ein. Die Maschine rollte eigenständig, behäbig und besonders schwerfällig zurück zum Gate.«

»Das hast du mir wirklich noch nicht erzählt.« kommentiert Tanya.

Ich erzähle weiter: »Für mich dauerte dies eine gefühlte Ewigkeit. Ich wollte so schnell wie möglich raus. Das ging natürlich nicht.

Im Handgemenge, lautstarkem Kindergeschrei und mit Schweiß auf der Stirn, brach beim Verlassen der Maschine letztlich doch Panik aus. Pilot und Copilot begleiteten die aufgebrachten Gäste sicher in den Terminal. Wir wurden in einen riesengroßen Warteraum mit Fenstern, die einen Rundblick über den gesamten Flughafen boten, gebracht. Liegestühle säumten die Front. Es gab Kaffee, Kuchen, Hot Dogs, sowie alle möglichen Getränke, auch viel Alkoholisches. Im ersten Moment war ich von dem Service angetan, dann aber schwante mir Böses. Sollte dieser Aufenthalt länger dauern?

Bei dem Blick aus dem Fenster zum Gate, wo unsere Maschine stand, fand ich die Bestätigung. Das Triebwerk lag in Einzelteilen auf dem Vorfeld. Ein Dutzend Mechaniker, die beiden Piloten und Feuerwehrleute gestikulieren mit den Armen.

Es dauerte und dauerte. Wir wollten doch alle zurück nach Frankfurt. Musste der Urlaub so jäh enden? Eine zuvorkommende Bewirtung konnte die Situation auch nicht aufwerten.«

»War diese Zwischenlandung als er auf dem Rückflug von Hong Kong wart?« fragt Tanya dazwischen.

»Ja, warte mal. Ich rechne mal kurz nach, wann das genau war. Das muss 2006 gewesen sein. Bei unserer Ankunft zuhause haben wir uns den Geländewagen gekauft, den Hubert heute noch fährt. Wo bin ich beim Erzählen stehengeblieben?«

»Ihr seid in der Flughafenhalle gut bewirtet worden.«

»An das benachbarte Gate schob sich ein Riesenvogel der Lufthansa heran. Keiner stieg aus. Hoffnung keimte in Hubert und mir. Vielleicht dürfen wir mit diesem Flugzeug als Ersatz für unser defektes nach Hause fliegen. Leider war dies nicht der Fall. Der Vogel wurde in kürzester Zeit mit Postsäcken beladen und verließ den Flughafen ohne uns. Es war spannend dem Treiben auf dem Rollfeld zu zusehen. An unserer Maschine wurden die Ladeklappen geöffnet. Die Trolleys mit den aufgestapelten Koffern wurden heraus gehoben und die Abdeckplanen abgenommen.

Einige Männer des Flughafenpersonals hantierten mit den Koffern. Offensichtlich suchten sie ein bestimmtes Gepäckstück. Das ganze Geschehen dauerte fast eine Stunde. Dann wuchtete einer der Männer einen Koffer auf die Schulter und begab sich Richtung Flughafengebäude.

Wem gehörte der wohl?

Warum wurde er mit großem Aufwand rausgesucht?

Inzwischen waren geschlagene sechs Stunden vergangen. Unsere Laune war auf dem äußersten Tiefpunkt angelangt. Wir wollten nur noch nach Hause. Da sah ich sie. Die Frau mit dem Koffer, der extra für sie aus dem Flieger geholt worden war. Es war Moni Beal, die Schauspielerin.«

»Die Beal war bei euch mit an Bord? Das blonde blöde Weibchen, das sich in den Liebesfilmen bei TRL alle Männer anbaggert?«

»So etwas guckst du dir an? Seit wann? Das habe ich nicht von dir erwartet.«

»Na zu gegeben, ab und an bleibe ich beim durch zappen der Sender dort hängen.«

»Sie stand mit dem auffällig bunten Koffer neben mir. Gerade als ich sie nach ihrem Vorhaben fragen wollte, kam auf Englisch die Durchsage, dass wir das Flugzeug wieder besteigen sollen und der Flug nun fortgesetzt wird. Die Beal fluchte etwas unverständliches und drängte mit dem großen Gepäckstück Richtung Gate. Wollte sie etwa auf einen anderen Flug umbuchen? Ich bekam keine Chance sie danach zu fragen. Ganze geschlagene zwölf Stunden starrte ich auf das Triebwerk. Ich ließ es keine Minute aus den Augen. Die Techniker hatten es tatsächlich geschafft, die Reparatur auf dem Rollfeld durchzuführen.

Ich habe seit diesem Vorfall panische Angst beim Start. Das kannst du mir glauben, Tanya. In Frankfurt haben die Beal und wir zusammen die Vorhalle des Flughafengebäudes betreten. Wir wurden von einem Blitzgewitter der Fotografen empfangen.

Haben wir etwas Außergewöhnliches erlebt oder etwas gewonnen, war mein erster Gedanke. Doch die Aufwartung galt nicht uns, sondern der Schauspielerin.«

»Das hättest du mir schon längst erzählen können«, kommt Tanyas Vorhaltung.

»Ich weiß, wärst du dann mit geflogen? Wir wollen doch einige schöne Tage in Buenos Aires erleben. Keine Horrorgeschichten über defekte Flugzeuge sollen uns die gute Laune vermiesen.«

»Es reicht schon, dass wir etwas orientierungslos durch den Flughafen in Paris gelaufen sind.«

»Ja. Ich finde den Airport Charles de Gaules im Vergleich zu Frankfurt oder Luxembourg unmöglich. Die Buchstaben der Ausschilderung sind zu klein und oft durch Werbung verdeckt. Das nächste Mal fliegen wir direkt ab Saarbrücken.«

»Genau, dann brauchen wir nicht den Umweg über Luxembourg zu machen. Der Flieger war wirklich sehr, sehr wackelig. Hattest du dort auch solche Flugangst?«

»Ja, du etwa nicht?«

Es war in der Tat eine sehr kleines Propellerflugzeug, in der man hintereinander saß. Eine Stewardess und zwei Piloten bildeten die ganze Crew. Gott sei Dank dauerte der Flug nur eine Stunde.

»Mh, und wir suchten auch noch dummerweise eine Stunde in Paris nach dem Schalter der Air France Maschine..«

»Ich konnte doch nicht wissen, dass man dafür in einen anderen Terminal muss, Tanya.«

»Ist ja schon gut. Das nächste mal ist wirklich Saarbrücken der bessere Flughafen für uns.«

»Dann stehen wir bestimmt nicht in endlosen Schlangen sowohl beim Check In als auch in ’zig anderen Kontrollen. Das hat mich total genervt, zumal wir relativ wenig Zeit zwischen Landung aus Luxembourg und Abflug in Paris hatten.«

Ich beiße mir auf die Lippen. Dann sage ich: » Wir hätten doch den TGW nehmen sollen. Der Zug fährt in eineinhalb Stunden ohne Zwischenstopp von Saarbrücken nach Paris. Am Bahnhof wären wir in ein Taxi gestiegen, das uns dann direkt zur richtigen Abflughalle gebracht hätte.«

»Klar, wenn das Wörtchen wenn nicht wäre. Jetzt haben wir Urlaub. Wir legen uns entspannt in den unbequemen Sitzen zurück und sehen uns einen kitschigen Film an.«

***

Tanya ist so alt wie ich. Seit dem Kindergarten pflegen wir eine tiefe und innige Freundschaft. Wir wohnten in Bistelle, einem kleinen eintausend-sechshundert Seelendorf am Rande von Saarlouis. Die Gärten der Elternhäuser stießen rückwärtig aneinander. Unsere Eltern, die ebenfalls befreundet waren, bauten eine kleine gemeinsame Gartenpforte in den Zaun. So konnten wir ohne großen Umweg über die Straße direkt in des anderen Garten beziehungsweise Küche spazieren.

Tanya hat noch zwei ältere Schwestern. Evelyn ist drei Jahre und Annette ist sechs Jahre älter.

Sie waren unsere Vorbilder. Für sie standen wir Schmiere, wenn sie Reißaus nahmen und unbemerkt durch Tanjas Fenster im Parterre verschwanden. Entlohnt wurden wir mit einer Tüte Kartoffelchips.

Gemeinsam verbrachten wir die ersten Jahre im Kindergarten, später die Grundschule und schließlich der Besuch des Gymnasiums Am Hammerberg in Saarlouis.

Wir waren damals einfach unzertrennlich.

Als Teenies genossen wir es, von den Eltern auf die Partys der Schulkameraden chauffiert zu werden, zumal die Busverbindung sehr eingeschränkt war.

Später als neunzehn Uhr fuhr kein einziger Bus mehr nach Saarlouis. Ohne fahrbaren Untersatz lebte man so abgeschieden, fast wie ein Einsiedler. Lokalitäten außer dem Jugendtreff gab es nicht. Und wer ging schon in eine heruntergekommene Spelunke, deren Musikanlage ständig aussetzte, die Sitzgelegenheiten hart und unansehnlich waren. Die Toiletten besuchte man besser nicht und die offen angebotenen Getränke schmeckten nach Spülwasser.

Nein danke.

Tanya profitierte in der Kleidungswahl von ihren älteren Schwestern. In einem Haushalt mit vier »Frauen« herrschte ein totaler Klamottentausch. Manches mal führten die drei Töchter der Bohns, samt ihrer lebenslustigen Mutter, richtige Modenschauen auf. Alle drei Töchter hatten das gleiche schwarze, schulterlange Haar und wasserblaue Augen. Das waren Nachmittage, an die man sich immer wieder gern erinnert.

Meine Freundin hat bis heute ihr jugendliches Aussehen behalten, obwohl seitdem vierzig Jahre vergangen sind. Die Mähne ist zwar hier und da etwas nachgetönt, die Augen werden von einer Brille mit farblich wechselnden Bügeln gerahmt und der damals dünne und flache Körper ist stellenweise fülliger geworden. Ganz ohne Botox. Dieser Veränderung habe ich mich als beste Freundin auch angeschlossen. Gemeinsam stehen wir inzwischen zu unserer L Kleidergröße und reiferen Haut.

Die Rundungen bilden wenigstens keine Falten.

Wir genossen unsere Jugend, erlebten zusammen die Höhen und Tiefen des Schulalltages genauso wie das erste Verliebtsein und das Nachtrauern einer Beziehung. Gegenseitig spendeten wir uns Trost.

Besonders mitgenommen hat Tanya die Trennung ihrer Eltern. Nach vierundzwanzig Ehejahren ließen sich Martin und Mila scheiden. Ohne Vorzeichen zog Tanyas Vater, mit wenigen Kleidungsstücken und anderen persönlichen Dingen, aus.

Wir, Tanya und ich standen an diesem Freitag im Juni 1979 nur regungslos da. Er packte seine sieben Sachen in den Firmenwagen und verschwand mit den Worten:

»Ihr werdet von mir hören, Mädels. Passt gut auf euch auf.«

Tanya fing an zu schreien.

Sie brach zusammen. Huckepack brachte ich sie in mein Zimmer. Dort legten wir uns aufs Bett. Ich begann sie mit zarten Worten zu trösten. Streichelte sie bis sie mich von sich weg schob. Sie übernachtete bei mir. Nach Hause wollte sie nicht. Evelyn und Annette waren an diesem Nachmittag mit ihren Freunden unterwegs. Mila war auch nicht zuhause, sondern mit meiner Mutter zum Stadtbummel nach Saarlouis.

War das Zufall oder eiskalt kalkuliert, dass nur Tanya, die Jüngste, den Auszug mit ansehen musste?

Am anderen Morgen erzählte uns Mila, dass es so gut sei. Seit längerer Zeit hatten sie sich auseinander gelebt und nur einen guten Zeitpunkt abgewartet. Also war doch alles geplant. Arme Tanya.

Ein halbes Jahr später verlief die Scheidung ohne Probleme. Da sie in Milas geerbtem Elternhaus lebten und eine Gütertrennung vereinbart hatten, profitierte sie allein davon. Der ganze Hausstand stammte noch von Milas Eltern. Als Alleinerbin konnte sie über das gesamte Vermögen verfügen. Martin bekam nichts. Auf Unterhaltszahlungen für Tanya und sich verzichtete Mila. Die beiden älteren Kinder waren bereits ausgezogen; vorübergehend.

Ab und an zog eine der beiden wieder bei Muttern ein, Grund war Beziehungsstress. Mila nahm ihre Töchter immer wieder gerne auf, schließlich war das Haus groß genug.

Martin tauchte unter.

Seine jüngste Tochter litt Jahre darunter. Mila selbst gefiel das Leben von diesem Zeitpunkt an, ebenso die Unabhängigkeit. Sie engagierte sich mehr denn je als freischaffende Übersetzerin für Französisch – Deutsch. Sofern es ihr möglich war, arbeitete sie zuhause. Nur hier und da musste sie bei öffentlichen Veranstaltungen eines Verlages, für den sie arbeitete, außer Haus tätig werden.

Zwei Jahre nach ihrer Scheidung stellte sie ihren Töchtern Gerd Klein vor, ein Kollege, den sie bei einer dieser Treffen kennengelernt hatte. Mit seiner heiteren Art und seiner Lebenseinstellung passte er wunderbar zu Mila. Die Bohn’s Töchter akzeptierten ihn als Mann an Mutters Seite. Nicht als Stiefvater. Dagegen wehrten sie sich vehement.

Obwohl Gerd noch nie verheiratet war, wollten die beiden nicht heiraten. Sie zogen es vor, dass jeder in seiner Wohnung lebte. Lieber fuhren sie über dreißig Kilometer um sich fast täglich zu sehen. Zwei Wochen nach Tanyas Hochzeit im Juli 1981 kamen beide bei einer Gasexplosion in Gerds Villa am Saarbrücker Staden ums Leben. Der Mieter der Einliegerwohnung hatte sich, seine Frau, die zwei Kinder sowie Gerd und Mila beim Hantieren mit einer Gasflasche in die Luft gesprengt.

Die Lebensversicherung zahlte an Evelyn, Annette und Tanya zwar eine hohe Summe aus, aber der Verlust war damit nicht ausgeglichen. Tanya wollte ihre Flitterwochen genießen, stattdessen wurde es eine sehr traurige Zeit.

***

Meine Freundin hatte ihre Jugendliebe Torsten Thiel einen Tag nach dem bestandenen Abitur geheiratet. Donnerstags feierte die ganze Klasse in der Kneipe Am Hammerberg bis zum Morgengrauen.

Tags drauf, um halb elf, standen Tanya, Torsten, Mila, das Ehepaar Roswitha und Dr. med. Peter Thiel, einige Schulkameraden und ich als Trauzeuge vor dem Standesamt in Saarlouis. Die kirchliche Trauung fand eine Woche später in Bistelle statt. Das ganze Dorf füllte das Gotteshaus bis in die letzte Bankreihe. Schließlich heiratete Tanya, die jüngste Enkeltochter des beliebten, leider schon lange verstorbenen Bürgermeisters Karl Liebig.

Ich durfte Tanya bei dem Kauf ihres Hochzeitkleides begleiten. Zu viert trieben wir die Verkäuferin fast in den Wahnsinn. Evelyn und Annette ließen es sich nicht nehmen, in dieser außergewöhnlichen Modefrage außen vor zu bleiben.

Tanya erwarb ein schulterfreies, bodenlanges cremeweißes Chiffonkleid, dazu fand sie Stöckelschuhe, für die man fast einen Waffenschein brauchte.

Nach alter Tradition trägt eine Braut etwas Altes, etwas Geliehenes und etwas Neues.

Ein Strumpfband aus Oma Liebig’ s Zeiten war das eine, von meiner Mutter lieh Tanya sich eine beige seidene Stola und Mila kaufte ihrer Tochter eine Perlenhalskette. Sie sah todschick neben dem Bräutigam in Frack und Zylinder aus. Es wurde eine richtige Märchenhochzeit an diesem sehr heißen zwölften Juli gefeiert.

In Kindertagen hatten wir oft mit Barbie und Ken, unseren Modepuppen so eine Zeremonie gespielt.

Nun war es für Tanya Wirklichkeit.

Beide waren die ersten, die aus unserem Jahrgang heirateten. Noch während der Trauung fragte ich mich damals, ob und wie lange diese Ehe hält? Der Pfarrer gab mir sogleich die passende Antwort: bis dass der Tod euch scheidet.

Sollte er Recht behalten?

Nach dem zarten Ja-Wort der beiden Brautleute gab es für meinen Gefühlsausdruck kein Halten mehr. Meine Tränen der Rührung wetteiferten mit denen von Mila, Annette und Evelyn.

Der ganze Heiratsakt dauerte eine Stunde.