Taras Bulba - Nikolai Gogol - E-Book

Taras Bulba E-Book

Nikolái Gógol

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Beschreibung

Gogols historischer Roman handelt von dem Kosakenanführer Taras Bulba, dem es mit Hilfe der polnischen Armee gelingt, 1550 in der heutigen Ukraine die Türken zu besiegen. Doch er wird nach dem Sieg von den Polen betrogen und zieht schließlich selbst gegen sie zu Felde. Als sein Sohn Andrei sich in die schöne Polin Natalia verliebt entwickeln sich dramatische Ereignisse ...

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Seitenzahl: 243

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Taras Bulba

Nikolai Gogol

Inhalt:

Nikolaj Waßiljewitsch Gogol – Biografie und Bibliografie

Taras Bulba

Erstes Kapitel

Zweites Kapitel

Drittes Kapitel

Viertes Kapitel

Fünftes Kapitel

Sechstes Kapitel

Siebentes Kapitel

Achtes Kapitel

Neuntes Kapitel

Zehntes Kapitel

Elftes Kapitel

Zwölftes Kapitel

Taras Bulba, N. Gogol

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849630485

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Nikolaj Waßiljewitsch Gogol – Biografie und Bibliografie

Einer der hervorragendsten russ. Schriftsteller und der bedeutendste russische Humorist, geb. 31. (19.) März 1809 im Flecken Sorotschinzy im Gouv. Poltawa, gest. 4. März (21. Febr.) 1852 in Moskau, wurde im Lyzeum des Fürsten Besborodko zu Neshin erzogen und versuchte sich bereits damals als Schriftsteller, so in der Novelle »Gebrüder Twerdislawitsch«, dem Trauerspiel »Die Räuber« und der Ballade »Die beiden Fischlein«, in der er mit rührender Innigkeit sein und seines Bruders Schicksal schilderte. 1830 erhielt er in Petersburg die Stelle eines Subalternbeamten im Apanagendepartement, die er jedoch noch vor Jahresschluss aufgab. Alsdann schrieb er seine ersten bedeutenden Erzählungen u. d. T.: »Abende auf dem Meierhof unweit Dikanjka« (2 Tle., 1831 und 1832) und einige kleinere Sachen, welche die Aufmerksamkeit der literarischen Welt auf ihn lenkten. Er lernte Puschkin kennen, mit dem er in engsten Verkehr trat, und wurde 1831 auf Verwendung des Schriftstellers P. A. Pletnjew Oberlehrer der russischen Literatur am Patriotischen Institut zu Petersburg. Nachdem er diese Stelle bald wieder aufgegeben hatte, erhielt er 1834 eine Anstellung als Adjunktprofessor für Geschichte an der Universität. Aber auch hier musste er schon im nächsten Jahr seinen Abschied nehmen und widmete sich nun ganz der Literatur. In dieser Zeit bis zu seiner 1836 unternommenen ersten ausländischen Reise erschienen einige seiner besten humoristischen Erzählungen: zunächst (1834) die Sammlung »Mirgorod« (»Die altväterischen Gutsbesitzer«, »Taras Bulba«, »Die Geschichte von dem Streit zwischen Iwan Iwanowitsch und Iwan Nikiforowitsch« etc.) und die »Arabesken« (»Das Porträt«, »Der Newskij Prospekt« etc.), dann »Die Nase«, »Der Mantel«, »Die Kalesche« etc., endlich (1836) das bedeutendste russische Lustspiel: »Der Revisor«, in dem er die Bestechlichkeit und Borniertheit der provinzialen russischen Beamtenwelt mit rücksichtsloser Schärfe geißelt (deutsch in Meyers Volksbüchern u.a.; letzte russische Ausg., Petersb. 1896). Bei der Ausführung erregte das Stück in den Kreisen der russischen Bürokratie einen solchen Sturm von Unwillen, dass G. es nur der persönlichen Einmischung des Kaisers Nikolaus verdankte, dass kein Verbot der ferneren Ausführung erfolgte. Von 1836 an verbrachte er die folgenden zehn Jahre meist im Ausland, wo er auch sein Hauptwerk schuf: »Tote Seelen«, ein unvollendet gebliebenes Sittengemälde voll köstlicher satirischer Typen (Teil 1, 1842; deutsch von Löbenstein, Leipz. 1846). 1848 machte G., der mittlerweile das Opfer eines inhaltsarmen religiösen Mystizismus geworden war, eine Reise nach Jerusalem und kehrte dann nach Moskau zurück, wo er, geplagt von mystischen Halluzinationen und Gewissensskrupeln, einem Nervenfieber erlag. G. war eine genial angelegte realistische Dichternatur, die, aus Mangel einer umfassenderen, tieferen geistigen Ausbildung, nach den Jahren frischer, unbewusster Schaffenskraft auf den Irrweg einer verderblichen einseitigen Gedankenrichtung geriet, in der sein mächtiges Talent zugrunde ging. Ein trauriges Denkmal dieser Verirrung sind die 1847 herausgegebenen »Auserlesenen Stellen aus dem Briefwechsel mit seinen Freunden«, in denen er geistigen Stillstand, religiöse Askese, absolute politische Unterordnung unter die Staatsgewalt predigt. Nächst den »Toten Seelen« ist Gogols bedeutendstes Werk die erwähnte, später neu bearbeitete Erzählung »Taras Bulba«, ein mit dramatischer Kraft und feuriger Farbenpracht ausgeführtes Gemälde des alten Kosakentums in der Ukraine (deutsch von Bode, Leipz. 1846). Nächst Puschkin und Turgenjew ist G. der populärste russische Schriftsteller. Seine Werke werden fortwährend neu aufgelegt und wurden auch mehrfach ins Deutsche übersetzt (neuerdings in Reclams Universal-Bibliothek, in der Kollektion Spemann und in Meyers Volksbüchern u.a.). Die erste Gesamtausgabe erschien Petersburg 1842, die beste ist die kritische (10.) Ausgabe von N. Tichonrawow (1893, 5 Bde. und 2 Ergänzungsbde.), die letzte (15.) die der »Niva« (1900, 12 Bde.) mit Biographie von B. Schenrok. Vgl. P. Kulisch, Aufzeichnungen über das Leben N. W. Gogols (Petersb. 1856, 2 Bde.); Schenrok, Materialien zur Biographie Gogols (Moskau 1892–93, 2 Bde.): Mlle. Raina Tyrnéva, Nic. G., écrivain et moraliste (Aix 1901).

Taras Bulba

Erstes Kapitel

»Dreh dich schnell einmal um, mein Sohn! Lächerlich siehst du aus! Was habt ihr für Pfaffenkutten am Leib? Lauft ihr auf der Akademie alle in solchen Kutten herum?«

So begrüßte der alte Bulba seine beiden Söhne, die auf der geistlichen Schule in Kiew studiert hatten und nun ins Vaterhaus heimkehrten.

Die Söhne, stämmige Burschen, die als kürzlich entlassene Seminaristen noch ein bißchen ducknackig dreinsahen, waren grade von den Pferden gestiegen. Ihre kräftigen, gesunden Gesichter zeigten den ersten Bartflaum, den noch kein Rasiermesser berührt hatte. Daß ihr Vater sie so empfing, verblüffte sie nicht wenig; sie standen reglos, mit gesenkten Lidern.

»Halt, halt! Laßt euch doch richtig ansehn!« fuhr Bulba fort. »Was für lange Kittel habt ihr da an? So was von Kitteln! Solche Kittel muß es auf der Welt noch nicht gegeben haben. Lauft doch einmal ein Stück! Ich möchte sehn, ob ihr nicht über eure Schöße stolpert und in den Dreck fliegt.«

»Laß doch das dumme Lachen, Vater, laß das!« sagte endlich der ältere von den beiden.

»Sieh nur den Hitzkopf an! Warum soll ich nicht lachen?«

»Darum! Und magst du zehnmal unser Vater sein – wenn du mich auslachst, nun, bei Gott, dann hau ich zu!«

»Na, du bist mir ein Sohn ...! Was ...? Deinen Vater ...?« sagte Taras Bulba und prallte vor lauter Staunen ein paar Schritte zurück.

»Vater oder nicht! Wenn mir einer dumm kommt, hau ich zu, wer es auch ist.«

»Also, wie tragen wir es aus? Durch Faustkampf?«

»Ist mir gleich!«

»Recht! Also Faustkampf!« sagte Bulba und krempelte die Ärmel hoch. »Wird sich ja zeigen, wie du dich bewährst im Faustkampf!«

Und Vater und Sohn begannen sich, statt einer Begrüßung nach der langen Trennung, Püffe in die Rippen, gegen Bauch und Brust zu geben. Bald traten sie zurück und maßen sich mit den Blicken, bald gingen sie wieder aufeinander los.

»Seht nur, liebe Leute: der Alte ist närrisch! Er hat einfach den Verstand verloren!« sagte die blasse, abgehärmte weichherzige Mutter der beiden, die in der Tür stand und ihre Lieblinge noch nicht hatte umarmen können. »Die Kinder kommen heim, man hat sie länger als ein Jahr nicht gesehen; und was denkt er sich aus: Faustkampf!«

»Na, er haut nicht schlecht zu!« sagte Bulba und hielt inne. – »Ja, das kann man sagen!« fuhr er fort, nachdem er sich etwas verpustet hatte. »Scheint mir fast klüger zu sein, man versucht es nicht erst. Das wird mir ein guter Kosak! Na, sei gegrüßt, mein Sohn! Gib mir nen Kuß!« Und Vater und Sohn begannen sich zu küssen. »Brav, mein Sohn! Hau jeden so, wie du mich jetzt verdroschen hast; laß dir nichts gefallen, von keinem! Aber einen lächerlichen Kittel hast du darum doch an! Was baumelt denn da für ein Strick herunter? – Und du, Grünling, was stehst du da und läßt die Pfoten hängen?« wendete er sich an den jüngeren. »Warum haust du mich nicht, Hundsfott?«

»Was er sich nicht noch alles ausdenken wird!« sagte die Mutter, die inzwischen ihren Jüngsten umarmt hatte. »Setzt sich in den Kopf, der leibliche Sohn soll den Vater schlagen! Und noch dazu grade jetzt: wo das arme Kind solch einen Weg hinter sich hat und so müde ist ...!« Das Kind war gut zwanzig Jahre alt und genau sechs Fuß hoch. »Der Junge muß sich jetzt erst ausruhn und ein bißchen essen; und er will sich mit ihm prügeln!«

»Ach, du bist ein Schlappschwanz, seh ich schon!« sagte Bulba. »Hör nicht auf die Mutter, mein Sohn: sie ist ein Weibsbild, sie weiß gar nichts. Wozu braucht ihr Erholung? Eure Erholung ist das freie Feld und ein guter Gaul! Das ist eure Erholung! Und seht ihr den Säbel da? Das ist eure Mutter! Lauter Dreck, was man euch in die Köpfe trichtert: die Akademie und alle die Bücher und Fibeln und Philosophie und das alles, was weiß ich – gepfiffen ist auf den ganzen ...!« Hier gebrauchte Bulba ein Wort, das man einfach nicht drucken kann. »Nein, das Beste ist schon, ich schick euch noch diese Woche ins Lager. Das nenn ich Wissenschaft. Das ist die Schule für euch; da und sonst nirgends geht euch ein Licht auf.«

»Und bloß eine Woche sollen die Jungen daheim sein?« sagte betrübt, mit Tränen in den Augen, die verhärmte alte Mutter. »Und kein Vergnügen sollen sie haben, die armen Kinder, und ihre Heimat sollen sie nicht kennenlernen, und ich soll sie nicht einmal richtig ansehn!«

»Hör auf mit dem Heulen; hör auf, Alte! Ein Kosak ist nicht auf der Welt, um sich mit Weibsbildern abzugeben. Wenn du die beiden nur unter deinen Rock stecken und dich draufsetzen könntest, wie eine Henne auf ihre Eier ...! Marsch, marsch, tisch auf, was da ist! Aber nichts von Krapfen, Honigkuchen, Mohnwecken und solchen Leckereien; einen ganzen Hammel trag auf, Lammsbraten trag auf und vierzigjährigen Met! Und nicht zu wenig Schnaps – keinen Schnaps mit neumodischen Erfindungen, nichts von Rosinen und dergleichen überspanntem Kram drin, reinen, schäumenden Schnaps – perlen muß er und zischen wie toll.«

Bulba führte seine Söhne in die Stube. Dort waren zwei Mägde beim Aufräumen, hübsche Dinger mit roten Perlenschnüren um den Hals. Die Mädchen machten sich eilig zur Tür hinaus. Sie waren wohl erschrocken über die Ankunft der Jungherrn, die einem nicht gern etwas durch die Finger sahen, oder sie wollten vielleicht auch nur einfach die weibliche Sitte wahren, die einem Mädel gebietet, mit Gekreisch Hals über Kopf davonzurennen, sobald es ein Mannsbild erblickt, und dann noch lange vor übergroßer Scham das Gesicht hinterm Arm zu verstecken. Die Stube war im Geschmack jener Zeit eingerichtet, deren Gedächtnis nur noch in den Liedern und Volksballaden lebt, die heute im Grenzland keiner mehr von den langbärtigen blinden Alten singt, die sie einst zum leisen Geklimper der Pandora im Ring des Volkes sangen. Die Stube paßte gut in jene kriegerisch harte Zeit, da die Scharmützel und Schlachten wider die Union im Grenzland zu entbrennen begannen. Sie war mit lichter Leimfarbe sauber getüncht. An den Wänden Säbel, Knuten, Vogelgarne, Fischnetze und Flinten, ein kunstreich geschnitztes Pulverhorn, ein goldbeschlagener Pferdezaum und ein Spannstrick mit silbernen Plättchen. Die Fenster der Stube waren klein, mit trüben Butzenscheiben, wie man sie heutzutage nur noch in alten Kirchen findet; hinausblicken konnte man nur, wenn man die eine bewegliche Scheibe hinaufschob. Um die Fenster und Türen liefen rote Fassungen. Auf Regalen in den Zimmerecken standen Becher, Karaffen und Flaschen aus grünem und blauem Glas, gravierte Silberpokale, vergoldete Trinkschalen von mannigfaltigster Arbeit: venezianische, türkische, tscherkessische, die auf allerhand Wegen durch dritte und vierte Hand in Bulbas Stube gekommen waren, wie es zu gehen pflegte in jenen nicht gar so heikeln Zeiten. Die Bänke aus ungeschältem Birkenholz rundum an den Wänden, der riesige Tisch im Herrgottswinkel, der große Ofen aus lichtbunten Kacheln mit breiter Ofenbank und breitem Sims – das alles kannten unsere zwei Burschen recht gut, waren sie doch jedes Jahr für die Ferien heimgekommen – zu Fuß, weil sie noch keine Pferde besaßen und es nicht Brauch war, Scholaren reiten zu lassen. Sie trugen lange Schöpfe, an denen sie jeder waffenfähige Kosak nach Lust und Laune zupfen durfte. Dies Mal aber, zu ihrer Entlassung, hatte ihnen Bulba ein paar Hengste aus seiner Herde nach Kiew geschickt.

Bulba ließ zur Feier der Ankunft seiner Söhne alle Hauptleute und Chargen des Regiments zusammenrufen, soviele ihrer eben präsent waren; und als zwei davon mit dem Oberstleutnant Dmitro Towkatsch, seinem alten Kameraden, erschienen, stellte er ihnen gleich seine Söhne vor und sagte:

»Na, seht sie euch an! Tüchtige Burschen, was? Die sollen mir bald ins Lager.«

Die Gäste beglückwünschten Bulba und die beiden jungen Leute und sagten, das ließen sie sich gefallen;, eine bessere Schule als das Lager gäbe es in der Welt nicht für einen jungen Menschen.

»Also, ihr Herren und Brüder, setzt euch nun an den Tisch, ein jeder, wo es ihm gefällt! Na, Burschen, vor allen Dingen einmal einen Schnaps!« sprach Bulba. »Gott stärk uns! Dein Wohl, Ostap, und das deine, Andri! Geb euch der liebe Gott nur alle Zeit Glück im Krieg! Die Ungläubigen sollt ihr verhauen, die Türken sollt ihr verhauen, und das Tatarenpack sollt ihr verhauen; und wenn die Polacken was gegen unsern Glauben anstiften, sollt ihr auch die recht tüchtig verhauen! Also, her mit dem Glas! Ist er nicht gut, der Schnaps? Halt, wie heißt Schnaps auf lateinisch? Ja, ja, mein Sohn, Dummköpfe sind sie gewesen, die alten Römer: auch nicht 'nen Dunst davon, daß es so was wie Schnaps gibt auf Erden. Wie war noch gleich der Name von dem Kerl, der die lateinischen Verse gemacht hat? Am Lesen und Schreiben bin ich kein Held, und da vergißt man es eben. Horatius, oder wie?«

– Sieh nur den Vater! dachte der ältere Sohn Ostap bei sich. – Alles weiß der durchtriebne Bursche und stellt sich nur so scheinheilig an.

»Na«, fuhr Taras fort, »der Herr Präzeptor hat euch an Schnaps wohl nicht einmal riechen lassen? Und, Burschen, nun rückt mal raus: haben sie euch eure Buckel und, wißt schon, was der Kosak sonst noch hat, tüchtig mit frischem Birkenreisig verwichst? Oder wart ihr dafür vielleicht schon zu klug, und haben sie euch da lieber mit der Karbatsche in Behandlung genommen? Und wie oft denn? Bloß sonnabends, oder am Mittwoch und Donnerstag auch?«

»Hat keinen Wert mehr, davon zu reden«, gab Ostap gelassen zurück. »Vorbei ist, unberufen, vorbei.«

»Jetzt sollen sie's einmal probieren!« sagte Andri. »Nur anfassen soll mich noch einer! Soll mir nur irgend so ein Tatarenlump in die Quere kommen, der wird schon merken, was ein Kosakensäbel fürn Ding ist!«

»Recht so, mein Sohn! Kreuzsakrament noch einmal! Und wenn man's bedenkt – ich reite mit euch! Bei Gott, ich reit mit. Auf wen, zum Teufel, soll ich hier passen? Ist das ne Arbeit für unsereins: Buchweizen säen, das Haus bewachen, Schafe und Schweine hüten und schön tun mit meinem Weib? Verrecken soll sie; ich bin ein Kosak und mag den Kram nicht! Was frag ich darnach, daß jetzt kein Krieg ist? Ich reit ganz einfach so mit euch ins Lager – weil es mich freut. Bei Gott, ich reit mit!« Der alte Bulba erhitzte sich immer mehr und kam zum Schluß in helle Wut. Er sprang auf und warf sich in die Brust und stampfte mit dem Fuß. »Morgen in aller Frühe wird abgeritten! Worauf denn noch warten? Mit dem Hiersitzen kommen wir nie an den Feind! Was brauchen wir denn die Hütte da! Was brauchen wir den lumpigen Kram! Die Töpfe und Schüsseln!« Sprachs und begann das Geschirr zu zerschlagen und es vom Wandbrett auf den Boden zu werfen.

Die arme Alte, die solche Anfälle bei ihrem Mann schon gewohnt war, saß betrübt auf der Bank und sah ihm zu. Sie getraute sich nicht, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Doch als sie seinen Beschluß vernahm, konnte sie die Tränen nicht halten. Sie blickte auf ihre Kinder, von denen sie sich morgen schon wieder trennen sollte, und unbeschreiblich war die stumme Kraft des Schmerzes, der heiß in ihren Augen flackerte und die zusammengepreßten Lippen zittern hieß.

Bulba war ein hartnäckiger Eisenschädel, ein Kerl, wie ihn nur das harte sechzehnte Jahrhundert hervorbringen konnte, und nur in jenem von halben Nomaden bevölkerten Winkel Europas, zu der Zeit, da das ganze südliche Altrußland, im Stich gelassen von seinen Fürsten, als Wüste dalag, preisgegeben dem Sengen und Brennen der mongolischen Räuber, deren Überfällen seit Menschengedenken keiner ein Ziel hatte stecken können. Jedoch aus dieser Not erwuchs hier, nachdem ihm Haus und Dach genommen waren, ein wagelustiges Geschlecht; umringt von schlimmen Nachbarn, umdroht von ewiger Gefahr, siedelte es sich auf den Trümmerstätten an, lernte dem Tod gerade ins Auge sehn und verlor die Erinnerung daran, daß es so etwas wie Furcht auf der Welt gibt. Da schlug der von Hause aus friedliche slawische Geist zu kriegerischer Flamme empor, geboren wurde das Kosakentum, der gewaltige, fröhliche Sproß am russischen Stamm. Alle Ufer, alle Plätze an Furten, alle wohnlichen Hänge an den Flüssen des Grenzlandes wurden besetzt von Kosaken, deren Menge niemand ermaß. Jene kecken Kameraden unter ihnen, die vom Sultan gefragt wurden, wie viele es ihrer wären, hatten wohl ein Recht, ihm zu erwidern: »Wer soll das wissen! Die ganze Steppe wimmelt von uns. Wo ein Grashümpel ist, da ist ein Kosak.« Dies war, Gott weiß es, ein loderndes Zeugnis von russischer Kraft: aus der Brust des Volkes hatte der Feuerstahl der Leiden den Funken geschlagen. An Stelle der Fürstentümer von einst, der engen Städtchen, bevölkert von Hundejungen und Jägern, an Stelle der kleinen Fürsten, die sich ewig befehdeten oder Land und Leute verschacherten, erwuchsen wehrhafte Siedlungen, Hetmanschaften und Kosakengemeinden; und um die woben geteilte Gefahr und Haß gegen die räuberischen Ungläubigen ein unverbrüchliches Band. Jedermann weiß aus der Geschichte, wie der Kosaken ewiger Kampf, ihr wildes Leben Europa vor den gewaltigen Anstürmen behütet hat, die es über den Haufen zu werfen drohten. Die polnischen Könige, die statt der kleinen Fürsten Herrscher über diese weiten Landstriche geworden waren, freilich nur Herrscher aus der Ferne und ohne viel Macht, begriffen die Bedeutung der Kosaken sehr wohl und erkannten den Nutzen, den ihre Kampflust und Wachsamkeit ihnen brachten. Sie munterten diesen Geist noch auf und schmeichelten den Neigungen dieser Männer. Unter ihrer fernen Oberhoheit formten die Hetmane, die aus der Mitte der Kosaken selber erwählt wurden, die Gaue und Gemeinden zu Regimentern und regelrechten Wehrkreisen um. Dies war kein stehendes Frontheer – davon fand man hier nichts –, doch wenn es Krieg gab, und es ging eine große Bewegung durch unser Land, dann dauerte es nicht länger als acht Tage, bis jeder hoch zu Roß mit voller Bewaffnung antrat. Der König zahlte nur einen Dukaten Sold auf den Kopf, doch binnen zwei Wochen schon war ein Heer versammelt, wie es keine Aushebung hätte hinstellen können. War dann der Feldzug vorbei, so zerstreuten sich die Krieger über Wiesen und Weiden, zogen zu ihren Dnjeprfurten heim, fischten, trieben Handel, brauten Bier, waren freie Kosaken. Jeder Gast aus dem Ausland bewunderte zu der Zeit ihre vielseitige Geschicklichkeit. Es gab kein Handwerk, worauf sich der Kosak nicht verstanden hätte: er war Branntweinbrenner und Stellmacher, Pulvermüller, Schlosser und Schmied, und nebenbei wußte er tolle Feste zu feiern, zu zechen und zu schlemmen, wie nur der Russe zu schlemmen versteht – das alles war so richtig sein Fall. Außer den eingeschriebnen Kosaken, die verpflichtet waren, sich für den Krieg zu stellen, konnte man jederzeit, wenn Not am Mann war, ganze Horden von Freiwilligen zu den Waffen rufen – es brauchte nur der Oberstleutnant auf die Märkte und Plätze der Dörfer und Flecken zu ziehen, dort auf den Wagen zu steigen und aus vollem Halse zu rufen: »He, ihr Biersäufer und Brauer! Jetzt habt ihr lang genug Bier gebraut und euch auf den Ofenbänken gesielt und mit euern fetten Leichnamen die Fliegen gemästet! Vorwärts für Rittertum und Kosakenehre! Ihr Pflüger, ihr Säemänner, ihr Schafhirten, ihr Weiberhelden, lang genug seid ihr hinterm Pfluge gegangen und habt eure gelben Schuhe mit Erde verdreckt, lang genug habt ihr um die Weibsbilder geschwänzelt und eure Ritterkraft bei ihnen gelassen! Heute ruft der Kosakenruhm!« Solche Worte wirkten wie Funken, die auf dürres Holz springen. Der Pflüger zerbrach seinen Pflug, die Brauer ließen ihre Kufen und schlugen die Fässer entzwei, die Handwerker und Händler schickten Gewerbe und Kram zum Teufel, jeder zerbrach die Töpfe in seinem Haus, und alles, was da war, stieg in den Sattel. Kurz, der russische Geist flammte auf und schaute aus tapfern Augen hell in die Welt.

Taras war einer von den angestammten alten Obersten. Er schien geschaffen fürs Kampfgetümmel und war ein Mann von rauher Geradheit der Sitten. Damals begann schon der polnische Brauch auf den russischen Adel zu wirken. Viele machten sich die fremden Sitten zu eigen, trieben Aufwand, hielten sich zahlreiche Dienerschaft, Falken, Hundemeuten, gaben Gastmähler und befleißigten sich eines höfischen Tons. Das alles war nicht nach Bulbas Sinn. Er liebte das einfache Leben des Kosaken und bekam Streit mit denen von seinen Kameraden, die nach der Warschauer Seite hinüber liebäugelten, weil er sie geradeheraus Leibeigne der polackischen Junker hieß. Ein ewig unruhiger Kopf, hielt er sich für den gottgewollten Schirmer des rechten Glaubens. Er setzte sich selber zum Richter ein und ritt in jedes Dorf, wo die Leute über Bedrückungen durch die Pächter oder neue Erhöhungen des Grundzinses klagten. Mit seinen Kosaken hielt er Gericht und hatte es sich zur Regel gemacht, in drei Fällen ohne langes Besinnen zum Säbel zu greifen: wenn die Kommissare den Ältesten die Ehre nicht gaben und das Haupt vor ihnen bedeckt ließen, wenn sie sich über den rechten Glauben lustig machten und den Sitten der Altvordern die Achtung versagten, und schließlich, wenn die Feinde Ungläubige und Türken waren. Gegen die war es immer erlaubt, zur Ehre des Christenglaubens die Waffen zu brauchen.

Jetzt freute er sich im voraus bei dem Gedanken, wie er mit seinen beiden Söhnen im Lager erscheinen und sagen würde: »Da seht, was für tüchtige Burschen ich bringe!«, wie er sie allen seinen alten, schlachtgehärteten Kameraden vorstellen, wie er ihre ersten Taten mit erleben würde, beim frohen Kampfspiel und beim weidlichen Pokulieren, das für ihn gleichfalls eine der wichtigsten Pflichten des Ritters war. Zuerst hatte er sie allein reiten lassen wollen, aber angesichts ihrer frischen Mannbarkeit, ihrer gesunden Körperschönheit packte ihn mächtig der soldatische Geist. Er beschloß, selbst mit ihnen zu reiten, und das gleich am nächsten Tag, wenn dafür auch keine andre Nötigung vorlag als sein eigensinniger Wille. Alsbald war er frisch an der Arbeit und erteilte Befehle, wählte Rosse und Sattelzeug für die Söhne aus, sah in Stall und Scheuer nach dem Rechten, bestimmte die Knechte, die morgen mit ihnen reiten sollten. Er übertrug dem Oberstleutnant Towkatsch seine Gewalt und erteilte ihm den gemessenen Befehl, sich ohne Verzug mit dem ganzen Regiment in Marsch zu setzen, sobald er aus dem Lager Botschaft schickte. War er auch angeheitert, und rumorte ihm auch noch der Rausch im Kopf – er dachte an alles. Er kümmerte sich sogar darum, daß die Pferde zu saufen bekämen und ihnen der schönste Großweizen in die Krippen geschüttet würde. Schließlich trat er, matt von der vielen Arbeit, wieder ins Zimmer.

»Na, Burschen, Schlafenszeit! Und morgen tun wir, was Gott gefällt. Laßt nur sein die Bettmacherei! Wir brauchen kein Bett: wir schlafen im Hof.«

Die Nacht stieg erst am Himmel empor; Taras ging aber gern zeitig zur Ruhe. Er streckte sich auf den Teppich und wickelte sich in den Schafpelz. Die Nachtluft war kühl, und Bulba hatte es am liebsten schön warm, solang er daheim war. Bald schnarchte er, und der ganze Hof tat es ihm nach. Alles, was dort in Ecken und Winkeln herumlag, schnarchte und orgelte laut. Als erster sank der Wächter in Schlaf – er hatte den Jungherrn zum Willkomm am meisten getrunken.

Bloß die arme Mutter konnte nicht schlafen. Sie setzte sich ihren geliebten Söhnen zu Häupten nieder; sie schlichtete die jungen wirren, verfitzten Locken mit ihrem Kamm und ließ heiße Tränen darauf niederrinnen. Sie sah sie gleichsam mit dem ganzen Körper an, all ihr Gefühl, ihre ganze Kraft legte sie in den Blick und konnte sich gar nicht sattsehen. An dieser Brust hatte sie ihre Jungen gesäugt, hatte sie großgezogen, sie treulich gehegt; und nur so flüchtig sollte sie sich ihrer jetzt freuen. – »Ihr meine Kinder, meine geliebten Kinder! Was wird nun mit euch? Wie wirds euch ergehen?« murmelte sie, und Tränen funkelten in den Runzeln, die ihr einstmals schönes Gesicht so traurig verwandelt hatten. Ja, sie konnte einen wohl dauern, wie jede Frau jener fernen Zeiten. Einen kurzen Augenblick der Liebe hatte sie genossen, im ersten Fieber der Leidenschaft, im ersten Fieber der Jugend, und schon hatte ihr rauher Verführer sie weggeworfen und nur noch seinen Säbel, die Kameraden und lustige Zechgelage gekannt. Sie sah ihren Mann zwei, drei Tage im Jahr, und dann war wieder ein paar Jahre lang nichts mehr von ihm zu hören. Und wenn sie ihn sah, wenn sie zusammen lebten – was für ein Leben war das denn schon für sie! Schimpfworte, selbst Schläge setzte es; und wurde ihr einmal schöngetan, so wars wie ein Bettelgroschen, den man ihr hinwarf. Als etwas wunderlich Fremdes stand sie im Kreis dieser unbeweibten Kosaken, deren Sitten das Kriegerleben einen wilden und rohen Anstrich gegeben hatte. Ihre Jugend schwand freudlos dahin, ihre schönen, frischen Backen und Brüste verblühten ungeküßt und wurden vor der Zeit faltig und welk. Ihre ganze Liebe, alle ihre Gefühle, alles was an Zärtlichkeit und Leidenschaft im Frauenherzen zu Hause ist – das alles floß zusammen in ihrem Muttergefühl. Mit Glut, mit Leidenschaft, mit Tränen warf sie sich über ihre Kinder, wie die Möwe der Steppe über die Brut ihres Nestes. Ihre Söhne, ihre geliebten Söhne nahm man ihr weg, riß sie ihr für immer vom Herzen! Nie wieder sollte sie sie sehen! Wie leicht konnte ihnen in der ersten Schlacht der Tatar die Köpfe vom Rumpfe schlagen, und sie würde nicht wissen, wo ihre verlassenen Leiber lägen und den Schnäbeln der schweifenden Raubvögel zur Beute fielen. Schluchzend schaute sie ihnen in die Augen, die der allmächtige Schlaf schon schloß, und dachte bei sich: – Vielleicht gibt Bulba doch noch zwei Tage zu; vielleicht war das nur eine trunkne Laune von ihm.

Der Mond goß aus himmlischen Höhen sein Licht über den mit Schläfern dicht belegten Hof, über das struppige Weidengebüsch und das hohe Steppengras, in dem der Knüppelzaun um den Hof förmlich versank. Immer noch saß sie ihren geliebten Söhnen zu Häupten, nicht für eine Sekunde wendete sie den Blick von ihnen und dachte gar nicht an Schlaf. Schon witterten Bulbas Pferde Morgenluft, sie hatten sich ins Gras gelegt und fraßen nicht mehr; die obersten Blätter der Weiden wisperten leise, und mählich lief dieses Wispern hinab zu den Zweigen dicht über dem Boden. Die Mutter saß, bis es tagte, sie spürte keine Müdigkeit und wünschte in ihrem Herzen, die Nacht möge noch lange, recht lange dauern. Von der Steppe herüber kam eines Fohlens helles Gewieher; blaßrote Streifen standen schweigend am Himmelszelt.

Bulba erwachte plötzlich und sprang auf. Er wußte noch ganz genau, was er gestern beschlossen hatte.

»Auf, auf, Gesellschaft! Zeit, höchste Zeit! Tränkt flink die Gäule! Wo ist die Alte? Nur munter. Alte, deck uns den Tisch: wir haben heut einen weiten Weg!«

Die arme Frau, der nun die letzte Hoffnung dahinschwand, schlich betrübt in die Hütte. Während sie mit Tränen in den Augen das Frühstück bereitete, gab Bulba seine Befehle, trieb sich im Stall herum und holte selbst für seine Söhne die besten Gewänder aus den Truhen.

Die Seminaristen sahen mit einem Schlag wie andre Menschen aus: statt der alten schmutzigen Stiefel trugen sie Stiefel von rotem Saffian mit silbernen Hufeisen unter den Hacken; die Pluderhosen, weit wie das schwarze Meer, mit tausend Falten und zehntausend Fältchen, waren mit goldner Schnur besetzt. Riemen hingen von dieser Schnur herab, mit Quasten und anderm Klapperkram; an denen schaukelte die Tabakpfeife. Den Rock aus feuerrotem Tuch hielt ein geblümter Gurt zusammen; fein ziselierte türkische Pistolen staken im Gurt; der Säbel klirrte kriegerisch um die Füße der Burschen. Ihre Gesichter, die die Sonne noch nicht hatte richtig braun brennen können, schienen hübscher und zarter als tags zuvor; der junge schwarze Schnurrbart hob die Weiße der Haut, die gesunde, frische Farbe der Jugend schärfer hervor; hübsche Kerle waren sie in ihren schwarzen Lammfellmützen mit dem goldnen Boden. Arme Mutter! Kein Wort konnte sie sagen, da sie die zwei so erblickte; ihr standen die Tränen blank in den Augen.

»Na, Burschen, alles fertig? Trödeln wir nicht mehr lange herum!« rief Bulba. »Und jetzt setzt sich, nach christlichem Brauch, ein jeder vor der Reise noch einmal hin.«

Alle setzten sich, auch die Knechte, die ehrerbietig an der Tür gestanden hatten.

»Nun, Mutter, gib deinen Kindern den Segen!« sprach Bulba. »Bitte den lieben Gott, sie sollen tapfer kämpfen, sollen ihre ritterliche Ehre allezeit verteidigen, sollen immer und überall einstehen für ihren Christenglauben; tun sie es nicht, so mögen sie auf der Stelle verrecken, daß nicht ein Hauch von ihnen bleibt in der Welt! Kinder, kommt her zur Mutter; Muttergebet gibt Schutz zu Wasser und Land!«

Die Mutter, schwach wie eine Mutter, umarmte die Söhne, zog zwei kleine Heiligenbilder hervor und hängte sie ihnen schluchzend um den Hals.

»Behüt euch die ... Gottesmutter ... Liebe Söhne, vergeßt eure Mutter nicht ... Laßt manchmal etwas hören von euch ...« Weitersprechen konnte sie nicht.

»Los, Kinder!« rief Bulba.

Vor der Treppe standen die Pferde gesattelt bereit. Bulba schwang sich auf seinen »Teufel«, der wild zur Seite taumelte, als er die Dreizentnerlast auf seinem Rücken spürte. Taras war fürchterlich dick und schwer.