Tarzan – Band 3 - Edgar Rice Burroughs - E-Book

Tarzan – Band 3 E-Book

Edgar Rice Burroughs

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Beschreibung

Die Geschichte beginnt ein Jahr nach Abschluss des vorherigen Buches "Tarzans Rückkehr", Tarzan (Lord Greystoke) und Jane haben einen Sohn bekommen, den sie Jack nennen. Tarzan ist für die Regenzeit zu seinem Anwesen in London zurückgekehrt. Seine Widersacher aus dem vorigen Roman, Rokoff und Pawlowitsch, entkommen aus dem Gefängnis und entführen Tarzans Sohn. Ihre Falle ist raffiniert und heimtückisch und führt dazu, dass sowohl Tarzan als auch Jane ebenfalls entführt werden. Rokoff verbannt Tarzan auf eine Dschungelinsel und teilt ihm mit, dass Jack einem Kannibalenstamm überlassen wird, um als einer der ihren aufgezogen zu werden. Die Orthografie wurde der heutigen Schreibweise behutsam angeglichen. Null Papier Verlag

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Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 3 – Tarzans Tiere

Edgar Rice Burroughs

Tarzan

Band 3 – Tarzans Tiere

(The Beasts of Tarzan)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: J. Schulze, Tony Kellen EV: Pegasus Verlag, Wetzlar, 1951 (272 S.) 2. Auflage, ISBN 978-3-962817-99-2

null-papier.de/angebote

Inhaltsverzeichnis

Der Raub des Kin­des

Nach Afri­ka ent­führt

Wil­de Tie­re in der Bucht

Shee­ta, der Leo­pard

Mu­gam­bi, der Häupt­ling der Wa­gam­bi

Tar­zans furchter­re­gen­der Tier­trupp

In der Wild­nis ver­ra­ten

Der To­de­stanz

Ja­nes Flucht ins Un­ge­wis­se

Von sei­nen Tie­ren be­freit

Tam­bud­za, die Alte

Von al­len ver­las­sen

Die Ur­wald­nacht

Al­lein im Dschun­gel

Den Ugam­bi hin­ab

In der Schlamm­höh­le der Kro­ko­di­le

Nacht­kampf auf der »Kin­caid«

Paw­lo­wi­tsch

Die »Kin­caid« brennt

Wie­der auf der Dschun­gel­in­sel

Das Ge­setz des Dschun­gels

Dan­ke

Dan­ke, dass Sie sich für ein E-Book aus mei­nem Ver­lag ent­schie­den ha­ben.

Soll­ten Sie Hil­fe be­nö­ti­gen oder eine Fra­ge ha­ben, schrei­ben Sie mir.

Ihr Jür­gen Schul­ze

Tar­zan bei Null Pa­pier

Tar­zan – Band 1 – Tar­zan und die wei­ße Frau

Tar­zan – Band 2 – Tar­zans Rück­kehr

Tar­zan – Band 3 – Tar­zans Tie­re

Tar­zan – Band 4 – Tar­zans Sohn

Tar­zan – Band 5 – Der Schatz von Opar

Tar­zan – Band 6 – Tar­zans Dschun­gel­ge­schich­ten

Der Raub des Kindes

Die gan­ze Sa­che bleibt eben in Dun­kel gehüllt, sag­te d’Ar­not. Ich weiß es aus bes­ter Quel­le: Po­li­zei und Ge­heim­agen­ten ha­ben nicht den ge­rings­ten An­halts­punkt, wie das al­les an­ge­zet­telt wur­de. Das ein­zi­ge, was alle wis­sen: Ni­ko­laus Ro­koff ist flüch­tig.

John Clay­ton, Lord Grey­sto­ke – der Af­fen-Tar­zan – saß schwei­gend in der Woh­nung sei­nes Freun­des, des Leut­nants d’Ar­not, in Pa­ris. Tief in Ge­dan­ken ver­sun­ken starr­te er auf die Spit­ze sei­nes ta­del­lo­sen Schuhs. Mehr als ge­nug ging ihm durch den Kopf, Erin­ne­run­gen wa­ren wach ge­wor­den durch die­se Flucht sei­nes Erz­fein­des aus dem fran­zö­si­schen Mi­li­tär­ge­fäng­nis, wo er ja eben­so sehr nach der Zeu­gen­aus­sa­ge des Af­fen­menschen und wie nach dem Rich­ter­spruch für sein gan­zes Le­ben hin­ge­hör­te.

Er dach­te dar­an, wie Ro­koff mehr als ein­mal ihn um je­den Preis be­sei­ti­gen woll­te, und war fest über­zeugt, dass al­les, was die­ser Mann bis­her ge­tan, zwei­fel­los nichts be­deu­ten könn­te im Ver­gleich zu den Rän­ken, die sein Hirn jetzt schmie­de­te, da er wie­der frei war. Sei­ne Frau und sei­nen klei­nen Sohn hat­te Tar­zan kürz­lich nach Lon­don ge­bracht. Woll­te er ih­nen doch die Un­be­quem­lich­kei­ten und Ge­fah­ren der Re­gen­zeit auf sei­nen aus­ge­dehn­ten Be­sit­zun­gen in Uzi­ri er­spa­ren. Uzi­ri –, das war das Land der wil­den Wa­zi­ri-Krie­ger in Afri­ka, de­ren wei­te Ge­bie­te der Af­fen­mensch einst als Häupt­ling der Wa­zi­ri be­herrsch­te und in das er als rei­cher Lord zu­rück­ge­kehrt war.

Nur zu ei­nem kur­z­en Be­such war er jetzt zu sei­nem al­ten Freund über den Kanal ge­fah­ren, – da türm­te die Nach­richt von der Flucht des Rus­sen auch schon schwe­re Schat­ten auf. Ob­wohl kaum erst in Pa­ris an­ge­kom­men, er­wog er die so­for­ti­ge Rück­kehr nach Lon­don.

Nicht für mich selbst fürch­te ich, Paul, so brach er end­lich das Schwei­gen. Oft habe ich Ro­koffs An­schlä­ge auf mein Le­ben ver­ei­telt, aber jetzt gilt es mehr. Täu­sche ich mich nicht in dem Men­schen, so wird er es jetzt zu­nächst we­ni­ger auf mich als auf mei­ne Frau und mein Kind ab­se­hen. Denn er weiß zwei­fel­los, dass er da­mit die schlimms­ten Qua­len auf mich häu­fen kann. Nein, ich muss au­gen­blick­lich zu ih­nen zu­rück, ich muss bei ih­nen blei­ben, bis Ro­koff wie­der hin­ter Schloss und Rie­gel ist. Oder – bis er nicht mehr ist.

*

Wäh­rend sie in Pa­ris mit ei­nem Ent­schluss ran­gen, hat­ten zwei an­de­re Män­ner in ei­nem klei­nen Lon­do­ner Vor­stadt­hau­se et­was mit­ein­an­der ab­zu­ma­chen. Fins­ter husch­ten ihre Bli­cke hin und her. Der eine trug einen Bart, dem an­de­ren spross­ten nur ei­ni­ge spär­li­che Stop­peln, und die Bläs­se im Ge­sicht schi­en län­ge­re Be­kannt­schaft mit Ker­ker­luft zu ver­ra­ten. Eben die­ser wand­te sich jetzt an sei­nen Hel­fers­hel­fer:

Du musst un­be­dingt dei­nen Bart ab­neh­men las­sen, Ale­xei; du wirst sonst ohne wei­te­res er­kannt. In die­ser Stun­de noch tren­nen sich un­se­re Wege. Tref­fen wir uns wie­der, das heißt also an Bord der »Kin­caid«, – dann ha­ben wir hof­fent­lich un­se­re bei­den ver­ehr­ten Pas­sa­gie­re mit, die kaum ah­nen, was für eine an­ge­neh­me Rei­se wir für sie aus­ge­dacht ha­ben!

In zwei Stun­den wer­de ich mit dem einen nach Do­ver un­ter­wegs sein. Folgst du ge­nau mei­nen An­wei­sun­gen, wirst du mor­gen Nacht mit dem an­de­ren nach­kom­men. Vor­aus­ge­setzt na­tür­lich, dass er so schnell wie­der nach Lon­don zu­rück­fährt, wie ich ver­mu­te.

Al­ler­lei Ge­winn und Ver­gnü­gen und was sonst noch an gu­ten Din­gen mög­lich ist, wird un­se­re Mühe loh­nen, lie­ber Ale­xei. Das ha­ben wir vor al­lem dem dum­men Fran­zo­sen zu dan­ken. So lan­ge hat man die Tat­sa­che mei­ner Flucht glück­lich ge­heim­ge­hal­ten, dass ich reich­lich Ge­le­gen­heit hat­te, un­ser net­tes Aben­teu­er bis ins kleins­te vor­zu­be­rei­ten. Es ist kaum zu be­fürch­ten, dass ir­gen­det­was schief geht! Un­se­re Plä­ne wird nichts durch­kreu­zen. Also: Leb wohl – und Glück zu!

Drei Stun­den spä­ter kam ein Bote die Trep­pe zur Woh­nung des Leut­nants Paul d’Ar­not hin­auf.

Te­le­gramm für Lord Grey­sto­ke, ver­mel­de­te er dem Be­diens­te­ten, der so­fort an der Türe er­schie­nen war. Wohnt die­ser Herr hier?

Der Die­ner be­stä­tig­te, gab dem Bo­ten die Empfangs­be­schei­ni­gung und über­reich­te Tar­zan, wie Lord Grey­sto­ke sich noch im­mer gern nann­te, das Te­le­gramm. Der war ge­ra­de bei den letz­ten Vor­be­rei­tun­gen für sei­ne Abrei­se nach Lon­don.

Auf­rei­ßen und Le­sen war ei­nes. Er wur­de lei­chen­blass – –

Da, lies Paul, fuhr er auf und gab d’Ar­not das Blatt. Schon al­les im Gan­ge!

Der Freund nahm das Te­le­gramm und las:

Jack un­ter Mit­hil­fe des neu­en Die­ners aus dem Gar­ten ge­raubt. Komm so­fort. Jane.

*

Tar­zan war vom Bahn­hof nach sei­ner Woh­nung ge­eilt, im Sturm­schritt ging es die Trep­pe nach oben. An der Türe traf er sei­ne Frau; sie war trä­nen­los – aber ver­zwei­felt. Rasch be­rich­te­te Jane ih­rem Mann, was sie bis­her über den Raub des Jun­gen hat­te er­fah­ren kön­nen:

Das Kin­der­mäd­chen hät­te ihn vor dem Hau­se in der Son­ne spa­zie­ren ge­fah­ren; plötz­lich sei an der nächs­ten Stra­ßen­e­cke eine ge­schlos­se­ne Au­to­drosch­ke auf­ge­taucht. Das Mäd­chen hät­te im Vor­über­ge­hen nur flüch­tig nach dem Auto ge­schaut. Son­der­ba­rer­wei­se sei nie­mand aus­ge­stie­gen, das Auto habe viel­mehr dicht am Prell­stein mit wei­ter­lau­fen­dem Mo­tor ge­hal­ten. Es hät­te ge­schie­nen, als war­te man auf je­man­den aus dem Hau­se, vor dem es stand.

Fast un­mit­tel­bar nach­her sei Karl, der neue Haus­meis­ter des Grey­stok­schen Hau­ses, her­bei­ge­eilt ge­kom­men. Er habe dem Mäd­chen zu­ge­ru­fen, die gnä­di­ge Frau wün­sche das Kin­der­mäd­chen auf einen Au­gen­blick zu spre­chen. Sie sol­le den klei­nen Jack nur sei­ner Ob­hut über­las­sen, bis sie zu­rück sei.

Das Kin­der­mäd­chen sag­te aus, sie habe nicht den lei­ses­ten Ver­dacht aus den Wor­ten des Die­ners schöp­fen kön­nen. Am Tor­weg zum Hau­se sei ihr dann aber ein­ge­fal­len, dass sie ihn hät­te dar­auf auf­merk­sam ma­chen müs­sen, den Kin­der­wa­gen ja nicht so zu dre­hen, dass die Son­nen­strah­len un­mit­tel­bar die Au­gen des Klei­nen trä­fen.

Sie habe sich um­ge­wandt, um dies dem Man­ne zu­zu­ru­fen, und nun mit Ent­set­zen ge­se­hen, wie er in sehr ra­schem Tem­po mit dem Kin­der­wa­gen auf die Stra­ßen­e­cke zu­ge­rast sei. Im glei­chen Au­gen­blick sei auch schon die Tür des Au­tos von in­nen ge­öff­net wor­den, und ein dunkles Ge­sicht für eine Se­kun­de im Rah­men der Türe auf­ge­taucht.

Ganz in­stink­tiv sei es jetzt über sie ge­kom­men, dass dem Kin­de hier eine Ge­fahr dro­he. Ein Schrei, und sie sei die Trep­pe hin­ab zur Stra­ße ge­stürzt, auf die Au­to­drosch­ke zu. Karl habe ge­ra­de den Klei­nen der dunklen Ge­stalt ins Auto hin­ein­ge­scho­ben. Kurz ehe sie das Auto er­reicht habe, sei Karl zu sei­nem Hel­fers­hel­fer hin­ein­ge­sprun­gen und habe die Tür hin­ter sich zu­ge­schla­gen. In­zwi­schen hät­te der Chauf­feur die Ma­schi­ne in Be­we­gung set­zen wol­len. Es sei aber ir­gen­det­was nicht in Ord­nung ge­we­sen – ge­ra­de als ob die Ma­schen des schänd­li­chen Net­zes sich nicht hät­ten schlie­ßen wol­len! Die­se Ver­zö­ge­rung – er drück­te den He­bel auf rück­wärts, und das Auto roll­te auch ei­ni­ge Me­ter zu­rück, ehe er wie­der nach vor­wärts um­schal­te­te –, die­ser kur­ze Auf­ent­halt habe ge­nügt, das Kin­der­mäd­chen bis ne­ben das Auto kom­men zu las­sen.

Sie sei auf das Tritt­brett ge­sprun­gen und habe ver­sucht, den Klei­nen dem Frem­den aus den Ar­men zu rei­ßen. Schrei­end und rin­gend habe sie sich fest­ge­klam­mert, als das Auto los­fuhr, und – sie sei­en kaum am Grey­stok­schen Hau­se vor­über­ge­we­sen –, da hät­te Karl ihr einen schwe­ren Schlag ins Ge­sicht ver­setzt und sie aufs Pflas­ter hin­ab­ge­sto­ßen.

Dienst­bo­ten und Be­woh­ner der Nach­bar­häu­ser sei­en na­tür­lich auf den Lärm hin auf die Stra­ße ge­stürzt. Auch Jane sei Zeu­ge des mu­ti­gen Ver­hal­tens des Mäd­chens ge­we­sen, sie habe so­gar selbst ver­sucht, das in vol­ler Fahrt be­find­li­che Auto ein­zu­ho­len, doch es sei schon zu spät ge­we­sen.

Das war’s, was alle wuss­ten. Lady Grey­sto­ke hat­te noch nicht ein­mal dar­über nach­den­ken kön­nen, wer ei­gent­lich der An­stif­ter die­ser ruch­lo­sen Tat sein moch­te. Jetzt er­fuhr sie durch ih­ren Gat­ten, dass Ni­ko­laus Ro­koff, den man für im­mer un­schäd­lich ge­macht zu ha­ben mein­te, aus dem fran­zö­si­schen Ge­fäng­nis ent­flo­hen war – – –

Tar­zan be­riet mit sei­ner Frau, wie man nun am klügs­ten vor­ge­hen kön­ne. Da läu­te­te das Te­le­fon ne­ben­an im Biblio­thek­zim­mer. Tar­zan nahm so­fort den Hö­rer. Lord Grey­sto­ke dort? Es war eine männ­li­che Stim­me, die so frag­te. Ja, hier.

Ihr Sohn ist ge­raubt wor­den, fuhr der an­de­re fort. Ich al­lein kann Ih­nen hel­fen, wenn Sie ihn wie­der­ha­ben wol­len. Na­tür­lich bin ich bei der gan­zen Ver­schwö­rung da­bei. Die Sa­che liegt al­ler­dings jetzt so, dass die an­de­ren mich um mei­nen Ge­winn brin­gen wol­len. Gut, ich wer­de das quitt ma­chen: ich will da­für Ih­nen hel­fen. Eine Be­din­gung frei­lich: Sie dür­fen mich auf kei­nen Fall in eine et­wai­ge ge­richt­li­che Un­ter­su­chung hin­ein­zie­hen. Wie stel­len Sie sich zu mei­nem Vor­schlag?

Sie brau­chen ab­so­lut nichts zu fürch­ten, wenn Sie mir tat­säch­lich zei­gen kön­nen, wo man mein Kind ver­steckt hält, er­wi­der­te der Af­fen­mensch.

Ab­ge­macht, kam es von drü­ben. Sie müs­sen aber un­be­dingt ohne Beglei­tung er­schei­nen. Es ist ge­nug, wenn ich mich auf Sie al­lein ver­las­se. Ich kann un­mög­lich dul­den, dass drit­te Per­so­nen mich se­hen.

Wo und wann tref­fen wir uns? frag­te Tar­zan.

Der an­de­re nann­te die Stra­ße und eine Wirt­schaft im Ha­fen­vier­tel von Do­ver, dem Tum­mel­platz von Ma­tro­sen, Ha­fen­ar­bei­tern und al­ler­lei Ge­sin­del.

Kom­men Sie heu­te Abend um zehn Uhr. Aber ja nicht eher! Ihr Sohn ist in­zwi­schen gut auf­ge­ho­ben; ich will Sie dann nach dem Ver­steck füh­ren, ohne dass es je­mand merkt. Und noch­mals: Kom­men Sie ja al­lein und las­sen Sie die Kri­mi­nal­po­li­zei aus dem Spie­le. Ich ken­ne Sie per­sön­lich. Ich wer­de Sie auch erst ge­nau be­ob­ach­ten. Tau­chen Sie in Beglei­tung auf oder müss­te ich ir­gend so et­was Ver­däch­ti­ges wie Ge­heim­po­li­zis­ten im Ge­län­de wit­tern, dann ist al­les aus. Mich fin­den Sie je­den­falls nicht, und um Ihren Sohn ist es ge­sche­hen. Schluss!

Drü­ben wur­de die Ver­bin­dung ge­trennt.

Tar­zan wie­der­hol­te sei­ner Frau das We­sent­li­che. Sie bat fle­hent­lich, er sol­le sie mit­neh­men, doch er wehr­te ab. Das lie­fe ja bloß dar­auf hin­aus, dass je­ner Mann sei­ne Dro­hung wahr ma­che und die Hil­fe ver­sa­ge, wenn er nicht tat­säch­lich al­lein käme. So trenn­ten sie sich. Tar­zan eil­te nach Do­ver. Sie blieb auf und woll­te war­ten, bis er ihr die ers­te Nach­richt über den Er­folg ge­ben wür­de – –

Und sie ver­sank in Ge­dan­ken. Was moch­te ih­nen bei­den wohl be­geg­nen, bis sie sich wie­der­sä­hen? Und wie wür­de ihre wei­te­re Zu­kunft aus­se­hen – – Doch, was konn­te es jetzt noch nüt­zen, Pro­phe­tin zu spie­len?

Vor zehn Mi­nu­ten hat­te sie ihr Mann ver­las­sen. Jane ging auf den wei­chen sei­de­nen Tep­pi­chen der Biblio­thek er­regt auf und ab. Sie hat­te kei­ne Ruhe mehr, ihr Mut­ter­herz poch­te wild. Den Erst­ge­bo­re­nen hat­te man ihr ge­raubt, und nun schwank­te sie qual­voll zwi­schen Furcht und Hoff­nung. Wenn sie al­les rein ver­stan­des­mä­ßig an­sah: Ja, es wür­de jetzt gut ge­hen: Tar­zan kam al­lein, wie es je­ner ge­heim­nis­vol­le Frem­de ge­wünscht hat­te. Doch ir­gend­ei­ne dunkle Stim­me in ih­rem In­nern ließ den Ver­dacht nicht ru­hen, dass schlimms­te Ge­fah­ren bei­den droh­ten, ganz be­stimmt bei­den, Mann und Kind! Je mehr sie nach­dach­te, umso mehr wuchs in ihr die Über­zeu­gung, dass die­ser te­le­fo­ni­sche An­ruf nur ein Trick der Räu­ber war, um Zeit zu ge­win­nen und sie bei­de von den nö­tigs­ten Maß­nah­men ab­zu­hal­ten. In­zwi­schen wür­de man den Klei­nen ir­gend­wo si­cher ver­steckt oder gar aus Eng­land weg­ge­schleppt ha­ben. Vi­el­leicht war es auch eine Fal­le? Wur­de auch Tar­zan jetzt in die Hand je­nes un­ver­söhn­li­chen Ro­koff ge­spielt? Sie such­te die­sen Ge­dan­ken in sei­ner gan­zen Furcht­bar­keit zu fas­sen. Er­schüt­tert blieb sie mit schre­ckens­star­ren Au­gen ste­hen, und blitz­ar­tig kam ihr der Ent­schluss. Ein Blick auf die Stand­uhr in der Ni­sche. Sie fühl­te die Zeit im Schlag je­der Se­kun­de da­hin­ei­len.

Nahm sie den Zug nach Do­ver, den auch Tar­zan ge­nom­men hat­te? Dazu war es schon zu spät.

Nein, sie wür­de den an­de­ren Weg ein­schla­gen. Es war zwar wei­ter; aber sie wür­de recht­zei­tig am Kanal­ha­fen sein, noch be­vor die Uhr zum Glo­cken­schlag der Stun­de an­setz­te, die der Frem­de ih­rem Man­ne be­stimmt hat­te.

Sie rief Mäd­chen und Chauf­feur und gab rasch ihre An­wei­sun­gen. Schon zehn Mi­nu­ten spä­ter ras­te sie im Auto durch be­leb­te Stra­ßen zum Bahn­hof.

*

Es war drei­vier­tel zehn Uhr abends. Tar­zan trat in die schmut­zi­ge Ha­fen­knei­pe in Do­ver ein; dump­fe Wol­ken von Dunst und Qualm ström­ten ihm ent­ge­gen. Ein Mann, stark mas­kiert, wies ihn nach der Stra­ße.

Kom­men Sie, Lord, tu­schel­te der Un­be­kann­te.

Der Af­fen­mensch wand­te sich und folg­te in die spär­lich be­leuch­te­te Gas­se. Mit der sonst üb­li­chen Be­zeich­nung »Stra­ße« hät­te man ihr wirk­lich zu viel Ehre an­ge­tan.

Sie wa­ren am Ende. Der an­de­re steu­er­te gleich dort­hin, wo ih­nen noch grö­ße­re Fins­ter­nis ent­ge­gen­starr­te. Man war am Kai. Hochauf­ge­sta­pel­te Bal­len, Kis­ten und Käs­ten war­fen weit­hin tie­fe Schat­ten. Hier mach­te er Halt.

Wo steckt nun mein Jun­ge? frag­te Grey­sto­ke.

Dort drü­ben, Sie se­hen die Lich­ter des klei­nen Damp­fers, er­wi­der­te der an­de­re.

Trotz der Fins­ter­nis such­te Tar­zan die Züge sei­nes Füh­rers ge­nau­er zu mus­tern. Er glaub­te, den Mann noch nie ge­se­hen zu ha­ben. Hät­te er auch nur ge­ahnt, dass er Ale­xei Paw­lo­wi­tsch vor sich hat­te – nichts als ge­mei­nen Ver­rat und lau­ern­de Ge­fahr wür­de er in je­der Be­we­gung die­ses Men­schen ge­wit­tert ha­ben.

Das Kind ist jetzt un­be­wacht, fuhr der Frem­de fort. Die Her­ren Räu­ber füh­len sich völ­lig si­cher. Nur ein paar von den Spitz­bu­ben sind üb­ri­gens an Bord der »Kin­caid«. Aber die habe ich schon ge­hö­rig mit Schnaps be­ar­bei­tet, sie sind für ein paar Stun­den ver­sorgt, da kann sich kei­ner mehr rüh­ren. Also, ge­hen wir. Sie neh­men Ihr Kind und kön­nen ver­schwin­den, ohne das Ge­rings­te be­fürch­ten zu müs­sen.

Tar­zan nick­te zu­stim­mend.

Also los, sag­te er nur.

Ein Boot war am Kai fest­ge­macht, sie stie­gen ein, und Paw­lo­wi­tsch ru­der­te rasch auf den Damp­fer zu. Di­cke schwar­ze Rauch­fah­nen quol­len aus dem Schorn­stein. Tar­zan be­ach­te­te dies nicht im Ge­rings­ten. Sei­ne Ge­dan­ken wa­ren ein­zig und al­lein auf das ge­rich­tet, was er fie­bernd er­war­te­te: Schon in we­ni­gen Mi­nu­ten wür­de er sei­nen Klei­nen wie­der in den Ar­men hal­ten! Vom Schiff hing eine Strick­lei­ter her­ab. Vor­sich­tig klet­ter­ten sie fast laut­los an Deck. Oben gin­gen sie schnell nach ach­tern. Der Rus­se zeig­te auf eine Luke. Dort ist der Jun­ge ver­steckt, sag­te er. Bes­ser, Sie ho­len ihn selbst. Er wird dann kaum schrei­en und könn­te auch er­schre­cken, wenn ein Frem­der ihn auf den Arm nimmt. Ich will da­für hier oben auf­pas­sen. Tar­zan war völ­lig im Ban­ne sei­ner nun fast er­füll­ten Hoff­nung. Den Jun­gen soll­te er wie­der­ha­ben! Und so ent­ging ihm al­les, was auf die­ser »Kin­caid« ge­heim­nis­voll und ver­däch­tig er­schei­nen muss­te: Kein Mensch auf Deck, und da­bei das Schiff un­ter Dampf. Mehr noch: Die ge­wal­ti­gen Rauch­schwa­den deu­te­ten doch of­fen­sicht­lich dar­auf hin, dass man be­reit war, je­den Au­gen­blick in See zu ge­hen. Nichts, rein gar nichts mach­te ihn stut­zig. Nur der eine ein­zi­ge Ge­dan­ke, dass er im nächs­ten Au­gen­blick schon dies kost­ba­re klei­ne Ge­schöpf in sei­nen Ar­men ha­ben wür­de, schi­en in ihm Raum zu ha­ben.

Hin­ab in die Fins­ter­nis schwang sich der Af­fen­mensch, doch kaum hat­te er den Rand der Lu­ken­öff­nung los­ge­las­sen, da schlug der schwe­re De­ckel kra­chend über ihm zu – –

Er be­griff so­fort, dass er ei­nem heim­tücki­schen An­schlag zum Op­fer ge­fal­len war. Sei­nen Sohn wie­der­fin­den? Gar nicht dar­an zu den­ken. Er selbst hat­te sich in die Hän­de sei­ner Fein­de ge­stürzt. Mit al­len Kräf­ten such­te er den De­ckel der Luke zu er­rei­chen. Vi­el­leicht konn­te er ihn noch nach oben drücken – – Doch ver­geb­lich. Er zün­de­te ein Streich­holz an und fand sich in ei­nem Raum, den man an­schei­nend vom Haup­traum be­son­ders ab­ge­teilt hat­te. Der Lu­ken­de­ckel über ihm der ein­zi­ge Zu­gang – –; es war son­nen­klar: man hat­te dies hier ein­zig und al­lein für ihn als Ker­ker aus­ge­dacht.

Nichts und nie­mand wa­ren hier wei­ter. Und das Kind? Wäre es wirk­lich an Bord der »Kin­caid«, dann über­all, nur nicht hier.

Vom Kind zum Man­ne war er her­an­ge­wach­sen mit­ten in der Wild­nis und fern von je­dem mensch­li­chen We­sen, über zwan­zig Jah­re lang. Ei­nes hat­te er da vor al­lem ge­lernt in die­sen Jah­ren, in de­nen al­les im Men­schen so köst­lich jung und emp­fäng­lich ist: Er hat­te ge­lernt, Freud und Leid, Glück und Un­glück so zu neh­men, wie die wil­den Tie­re sich mit ih­ren Ge­schi­cken ab­fin­den. Kein Ra­sen also jetzt, kein Sichauf­bäu­men ge­gen die­sen Schick­sals­schlag. Ge­las­sen und wa­chen Au­ges war­te­te er, was nun wohl fol­gen wür­de. Das Men­schen­mög­li­che soll­te je­den­falls ge­tan wer­den, er wür­de sich schon zu hel­fen wis­sen. Ge­wis­sen­haft un­ter­such­te er sein Ge­fäng­nis. Er tas­te­te die Plan­ken von oben bis un­ten ab, die­se elen­den Ker­ker­wän­de, und such­te dann ab­zu­schät­zen, wie hoch der Lu­ken­de­ckel ei­gent­lich über ihm lie­ge.

Plötz­lich fühl­te er das Stamp­fen der Ma­schi­ne, das Sur­ren der Schrau­ben. Man fuhr also? Wo­hin – – wo­hin – –?

Und mit­ten in die­sem Wir­bel sei­ner Ge­dan­ken, in dies Zit­tern und den Lärm der Ma­schi­nen drang plötz­lich ein Et­was, dass es ihm eis­kalt den Rücken hin­a­b­lief: Ein un­heim­lich gel­len­der Schrei oben auf Deck, ein Krei­schen, wie von ei­nem zu Tode er­schro­cke­nen Wei­be – – –

Nach Afrika entführt

Gera­de als Tar­zan mit sei­nem Beglei­ter im Dun­kel der Kai­an­la­ge ver­schwand, war eine tief in Schlei­er gehüll­te Dame ei­lig in die enge Gas­se ein­ge­bo­gen, nicht weit mehr von der Knei­pe, die die bei­den eben ver­las­sen hat­ten.

Sie blieb ste­hen, sah sich um und schi­en be­frie­digt. End­lich war sie da. Sie fass­te Mut und trat in die Win­kel­k­nei­pe ein.

Halb­be­trun­ke­ne Ma­tro­sen und »Kai-Rat­ten« blick­ten von ih­ren Ti­schen auf. Das war et­was Neu­es: eine vor­nehm ge­klei­de­te Dame hier mit­ten un­ter ih­nen. Sie ging so­fort auf die Kell­ne­rin am Schank­tisch zu. Die hat­te be­reits ihre glück­li­che­re Schwes­ter mit nei­di­schem Blick aufs Korn ge­nom­men.

Ha­ben Sie einen großen, gut­ge­klei­de­ten Herrn hier ge­se­hen? frag­te sie. Er muss vor ei­ni­gen Mi­nu­ten noch hier ge­we­sen sein. Muss sich hier mit je­man­dem ge­trof­fen ha­ben und dann mit ihm fort sein. Die Kell­ne­rin be­stä­tig­te dies. Wo­hin sie ge­gan­gen sei­en, kön­ne sie nicht sa­gen.

Ein Ma­tro­se hat­te zu­ge­hört; er kam her­an und ver­si­cher­te, wie er ge­ra­de in die Knei­pe her­ein­ge­gan­gen, sei­en zwei Män­ner nach dem Kai fort­ge­schlen­dert.

In wel­cher Rich­tung? Die Dame drück­te ihm rasch ein Trink­geld in die Hand. Der Bur­sche zog sie so­gleich auf die Stra­ße. Sie wand­ten sich zum Kai und, wie sie so am Was­ser ent­lang eil­ten, be­ob­ach­te­ten sie, dass ein klei­nes Boot ge­ra­de in den dich­ten Schat­ten ei­nes Damp­fers un­ter­tauch­te. Es schi­en nicht weit zu sein.

Da sind sie ja, flüs­ter­te der Ma­tro­se ihr zu.

Zehn Pfund für ein Boot und wenn Sie mich gleich auf dies Schiff hin­über­brin­gen! Wie ein Auf­schrei klang das.

Schnell also, be­stä­tig­te er. Don­ner­wet­ter, das muss gut ge­hen, wenn wir die »Kin­caid« noch fas­sen! Seit drei Stun­den schon steht sie un­ter Dampf. Gera­de auf den da ha­ben sie noch ge­war­tet. Ich hab’s ge­hört, vor ei­ner Stun­de. Da er­zähl­te ei­ner von der Mann­schaft was … Mit die­sen Wor­ten wa­ren sie am Ende der Kai­mau­er. Ein Boot war dort fest­ge­macht; er half ihr hin­ein, schwang sich nach und ru­der­te los. Sie jag­ten nur so durch die Flu­ten da­hin.

Am Schiff for­der­te der Mann sein Geld.

Sie zähl­te gar nicht, mit ei­nem Griff drück­te sie ihm ein Bün­del Bank­no­ten in die aus­ge­streck­te Hand. Gleich der ers­te Blick moch­te ihn über­zeugt ha­ben, dass er mehr als ge­nug be­zahlt sei. So half er ihr die Strick­lei­ter hin­auf, und war­te­te mit dem Boot dicht am Schiff. Das Ge­schäft soll­te ihm nicht ent­ge­hen! Vi­el­leicht wür­de die no­ble Dame auch wie­der an Land zu­rück­wol­len?

Aber fast im glei­chen Au­gen­blick dröhn­te die Hilfs­ma­schi­ne, er hör­te das Klir­ren ei­ner Ket­te und das Knar­ren der Win­de. Kein Zwei­fel, die »Kin­caid« lich­te­te den An­ker. Und schon setz­ten sich auch die Schrau­ben in Be­we­gung. Lang­sam glitt der Damp­fer von ihm weg. Hin­aus in den Kanal.

Er wand­te sich, um zum Kai zu­rück­zu­ru­dern. Da, eine Frau­en­stim­me, ein Schrei. Das war auf Deck. Ko­mi­sche Sa­che! mur­mel­te er vor sich hin. Ich soll­te mir ge­narrt vor­kom­men, hät­t’ ich nicht die­ses hüb­sche Pa­ket­chen da.

*

Jane war oben an Deck an­ge­langt. Die »Kin­caid« schi­en völ­lig ver­las­sen. Kei­ne Spur von de­nen, die sie such­te; ein­fach nichts war zu se­hen. Und doch, wozu sich auf­hal­ten! Die Hoff­nung be­flü­gel­te ihre Schrit­te, ge­wiss, die blo­ße Hoff­nung, Mann und Kind hier wie­der­zu­fin­den.

Sie stürz­te nach der Ka­jü­te,1 die halb über das Deck her­aus­rag­te. Es ging eine klei­ne Trep­pe in den Haup­traum hin­ab, und auf der an­de­ren Sei­te la­gen si­cher die klei­ne­ren Of­fi­ziers­ka­bi­nen. Sie stutz­te. Vor ihr muss­te sich eben rasch eine Tür ge­schlos­sen ha­ben, so klang es. Sie durch­schritt den gan­zen Haup­traum der Län­ge nach, dann dämpf­te sie ihre Schrit­te. Sie horch­te an je­der Tür und such­te die Klin­ke lei­se nie­der­zu­drücken. Still war es, un­heim­lich still. Nur ihre Ner­ven schie­nen aufs höchs­te ge­reizt. Wild poch­te ihr zu Tode ge­mar­ter­tes Herz, und es woll­te ihr vor­kom­men, als müs­se die­se wo­gen­de Stim­me ih­res Blu­tes wie ein mäch­ti­ger Alarm bis in alle Win­kel die­ses Schif­fes drin­gen …

Eine Tür nach der an­de­ren tat sich vor ihr auf, und im­mer wie­der stand sie vor der­sel­ben un­heim­li­chen Lee­re. Äu­ße­re Ein­drücke schie­nen sie nicht mehr zu tref­fen. Sie merk­te nicht, dass plötz­lich Le­ben in das Schiff kam, dass die Ma­schi­nen stampf­ten und die Schrau­ben das Was­ser peitsch­ten.

Die letz­te Tür rechts stieß sie eben auf; da wur­de sie von ei­nem star­ken Män­ne­r­arm ge­packt. Fins­te­re Bli­cke fun­kel­ten ihr ent­ge­gen, dann wur­de sie in die Ka­bi­ne hin­ein­ge­zerrt.

Bis ins Mark er­schro­cken über die­sen plötz­li­chen und un­er­war­te­ten Über­fall ent­rang sich ih­rer Brust ein ein­zi­ger durch­drin­gen­der Schrei, dann press­te der Roh­ling sei­ne Faust auf ih­ren Mund.

Ruhe, du lie­bes Ding, du, herrsch­te er sie an. Erst wol­len wir mal ein Stück­chen wei­ter von Land weg sein. Kannst dir dann mei­net­we­gen dein gan­zes rei­zen­des Herz aus dem Lei­be schrei­en.

Die Lady dreh­te sich um. Sie sah ei­nem strup­pi­gen Men­schen dicht in die bö­sen Au­gen. Da ließ der Druck sei­ner Faust lang­sam nach. Ein neu­er Schre­cken durch­zit­ter­te sie. Das war der also – –. Sie wich zu­rück.

Ni­ko­laus Ro­koff! Herr Thu­ran! Sie hier? rief sie laut. Ihr ge­hor­sams­ter Die­ner, er­wi­der­te der Rus­se und ver­beug­te sich leicht.

Sie wür­dig­te sei­ne an­züg­li­chen Schmei­che­lei­en kei­nes Wor­tes. Wo ist er? frag­te sie kurz. Ich will ihn se­hen. Ni­ko­laus Ro­koff, wie kön­nen Sie so grau­sam sein, eben Sie ge­ra­de? Ken­nen Sie kei­ne Barm­her­zig­keit? Ha­ben Sie denn nicht we­nigs­tens ein Fünk­chen Mit­ge­fühl? Kom­men Sie, sa­gen Sie mir, wo er ist. Ist er über­haupt hier an Bord? O, bit­te, wenn Sie über­haupt noch ein Herz im Lei­be ha­ben, ge­ben Sie mir mei­nen Jun­gen wie­der!

Nichts soll Ih­nen ge­sche­hen, wenn Sie mei­nen Be­feh­len fol­gen, ent­geg­ne­te Ro­koff. Üb­ri­gens: Es ist nur Ihre höchst ei­ge­ne Schuld, dass Sie hier sind. Ich stel­le fest, Sie sind aus frei­en Stücken er­schie­nen. Die Fol­gen müs­sen Sie selbst tra­gen.

Er mur­mel­te noch, ohne dass sie es hät­te hö­ren kön­nen, so et­was wie: Don­ner­wet­ter, solch ver­teu­fel­tes Glück kann auch ich bloß ha­ben … Dann ging er an Deck, nach­dem er die Tür sorg­fäl­tig ver­schlos­sen hat­te. Sie war ge­fan­gen. Ta­ge­lang ließ er sich nicht wie­der se­hen. Der Wahr­heit die Ehre: Ni­ko­laus Ro­koff konn­te das See­fah­ren nicht ver­tra­gen, und die­weil die »Kin­caid« von An­fang an sich bei schwers­ter See vor­wärts­ar­bei­ten muss­te, lag der Rus­se in sei­ner Koje fest. Die See­krank­heit moch­te ihn übel ge­packt ha­ben.

In der Zwi­schen­zeit kam ihr nur ein und die­sel­be Per­son zu Ge­sicht: Der Koch der »Kin­caid«, ein un­ge­schlach­ter, we­nig an­ge­neh­mer Mensch, der re­gel­mä­ßig das Es­sen brach­te; er war Schwe­de und nann­te sich Sven An­ders­sen. In sei­nen klei­nen, blau­en Au­gen lag im­mer ein un­ru­hi­ges Fla­ckern, das sich auch auf sei­ne gan­ze Er­schei­nung über­trug. Kat­zen­ar­tig sein Gang, und die­ser Ein­druck ver­stärk­te sich noch, weil er stets mit ei­nem Kü­chen­mes­ser im Schür­zen­gurt auf­tauch­te. Dazu war er schmut­zig von oben bis un­ten. Das Mes­ser schi­en üb­ri­gens so eine Art Ab­zei­chen sei­ner Zunft zu sein. Nie konn­te sie sich des Ge­dan­kens er­weh­ren, dass es nur des ge­rings­ten An­sto­ßes be­durft hät­te, sein noch harm­lo­ses Ge­tue in ein­deu­ti­ge Bös­ar­tig­keit zu wan­deln.

Ob­wohl er meist mür­risch da­her­kam, zwang sie sich doch im­mer zu ei­nem leich­ten Lä­cheln. Auch ein paar Dan­kes­wor­te ver­säum­te sie nie, wenn er ihr das schlech­te Es­sen brach­te, das sie oft ein­fach durch die Licht­lu­ke hin­aus­be­för­der­te, so­bald die Tür hin­ter ihm ins Schloss ge­fal­len war. Zwei Fra­gen hat­ten die arme Jane die lan­gen qual­vol­len Stun­den seit ih­rer Ge­fan­gen­nah­me im­mer und im­mer wie­der be­schäf­tigt. Wo moch­te ihr Tar­zan sein und wo der arme Klei­ne? Sie war fest über­zeugt, dass das Kind auf der »Kin­caid« sei, wenn an­ders es über­haupt noch am Le­ben war. Aber Tar­zan? Wie soll­te er noch un­ter den Le­ben­den sein kön­nen, hier, wo er gleich­sam in des Teu­fels Kü­che ge­ra­ten?

Sie wuss­te ja um den ab­grün­di­gen Hass des Rus­sen ge­gen ih­ren Mann, und nur so ließ sich die­se Ver­schlep­pung hier­her be­grei­fen: Hier hat­te man ihn si­cher. Ra­che, Ra­che, galt es, denn er hat­te es ja ge­wagt, Ro­koffs Weg zu kreu­zen und sei­ne Schand­ta­ten zu ver­hin­dern; er al­lein hät­te es ja in der Hand ge­habt, Ro­koff wie­der dem fran­zö­si­schen Ker­ker zu­zu­füh­ren.

*

Tar­zan lag in sei­ner fins­te­ren Haft. Hät­te er nur ah­nen kön­nen, dass sein Weib das glei­che Schick­sal teil­te, ge­ra­de in der Ka­bi­ne über ihm!

Der­sel­be Schwe­de brach­te auch ihm das Es­sen. Es war je­doch nichts aus dem Man­ne her­aus­zu­brin­gen, so oft Tar­zan auch ein Ge­spräch an­zu­knüp­fen such­te. Erst hat­te er er­fah­ren wol­len, ob das Kind an Bord wäre; doch auf jede der­ar­ti­ge Fra­ge kam im­mer nur die­sel­be Ant­wort: Wird sich al­les früh ge­nug fin­den. Nur nicht so stür­misch! –

So ließ Tar­zan nach ei­ni­gen Ver­su­chen das Fra­gen.

Wo­chen schie­nen Mo­na­te, der klei­ne Damp­fer stampf­te im­mer noch im glei­chen Takt vor­wärts, und vor bei­den Ge­fan­ge­nen stand stumm die große Fra­ge: Wo­hin? Wie lan­ge noch? Ein­mal wur­den Koh­len über­ge­nom­men. Man war vor An­ker ge­gan­gen. Doch nach ein paar Stun­den war das Schiff schon wie­der auf der Fahrt, als müs­se es ewig so ge­hen …

Ein­mal nur hat­te Ro­koff sich nach Jane um­ge­se­hen, seit er sie in die win­zi­ge Koje ein­ge­sperrt. Ab­ge­zehrt und hohl­äu­gig kam er an­ge­wankt. Ja, die See­krank­heit! Er woll­te von ihr auch nur eine Un­ter­schrift. Ei­nen Scheck über eine hohe Sum­me heisch­te er, und als Ent­gelt bot er ihr si­che­re Rück­kehr nach Eng­land, das heißt für ihre Per­son.

Nur wenn Sie dies für mei­nen Mann, mein Kind und für mich ga­ran­tie­ren, ent­geg­ne­te sie so­fort. Das Dop­pel­te sol­len Sie dann in blan­kem Gol­de ha­ben, sonst kei­nen Pen­ny, nicht mal im Trau­me.

Sie ge­ben ein­fach, was ich ver­lan­ge, ver­ste­hen Sie! Und mit ge­stei­ger­ter Wut fuhr er fort: Oder –, kei­nes von Ih­nen Drei­en wird je wie­der fes­ten Bo­den un­ter die Füße be­kom­men, nicht ein­mal bei den Wil­den. Ich möch­te Ih­nen doch nicht trau­en, er­wi­der­te sie. Wie kann ich auch? Ich habe ja nicht die ge­rings­te Ge­wiss­heit da­für, dass Sie nicht ein­fach mein Geld ein­ste­cken und dann doch rück­sichts­los tun, was Ih­nen ge­ra­de be­liebt.

Da­rauf sag­te er nur: Ich ver­lan­ge, Sie tun ein­fach das, was ich be­feh­le. Er wand­te sich zum Ge­hen.

Aber den­ken Sie dar­an: Ich habe Ihr Kind in mei­ner Ge­walt. Gut, wenn Sie das Wim­mern solch ei­nes klei­nen, zu Tode ge­mar­ter­ten Ge­schöpf­chens mit­an­hö­ren kön­nen, nur zu! Trös­ten Sie sich dann ge­fäl­ligst da­mit, dass das Kind – üb­ri­gens Ihr Kind – sei­ne Qua­len Ih­rer Hart­nä­ckig­keit zu ver­dan­ken hat.

Nein, nie­mals, schrie sie. Sie …, Sie …! So un­sag­bar roh und grau­sam …!

Ich und grau­sam? ent­geg­ne­te er. Sie sind grau­sam, Sie al­lein, weil Sie das Schick­sal Ihres Kin­des von ei­nem Fet­zen Geld ab­hän­gig ma­chen.

Jane setz­te einen ho­hen Be­trag ein und gab Ro­koff den Scheck mit der Un­ter­schrift. Ge­nug­tu­ung lag in sei­nen Zü­gen, als er schmun­zelnd die Koje ver­ließ. Am nächs­ten Tage wur­de der Lu­ken­de­ckel zu Tar­zans Häup­ten ge­öff­net; Paw­lo­wi­tsch er­schi­en mit dem Kop­fe in dem Aus­schnitt, durch den das Licht sich nur so her­ein­dräng­te.

Marsch, her­aus, be­fahl der Rus­se. Aber Ach­tung! Bei der ge­rings­ten Tät­lich­keit mir oder ei­nem an­de­ren ge­gen­über wer­den Sie ein­fach nie­der­ge­knallt.

Be­händ schwang sich der Af­fen­mensch an Deck. Ein hal­b­es Dut­zend Ma­tro­sen, mit Ge­wehr oder Pis­to­le be­waff­net, bil­de­te in ei­ni­ger Ent­fer­nung einen Kreis um ihn. Paw­lo­wi­tsch trat dicht an ihn her­an.

Tar­zans Bli­cke such­ten Ro­koff. Er muss­te an Bord sein. Je­doch ver­geb­lich, er konn­te ihn nicht ent­de­cken.

Der Rus­se be­gann: Lord Grey­sto­ke, Sie ha­ben sich fort­wäh­rend und ohne Be­rech­ti­gung in Herrn Ro­koffs An­ge­le­gen­hei­ten ein­ge­mischt. Sie dür­fen sich nicht wun­dern, wenn Sie nun­mehr dies Un­heil über sich und Ihre Fa­mi­lie her­auf­be­schwo­ren ha­ben. Al­les Ihr höchstei­ge­nes Werk. Sie be­grei­fen: Die gan­ze Sa­che hat Herrn Ro­koff ein schwe­res Stück Geld ge­kos­tet. Ich mei­ne die­se gan­ze »Ex­pe­di­ti­on« hier. Sie sind der al­lein Schul­di­ge. Sie ha­ben also für alle Kos­ten voll auf­zu­kom­men. Nur wenn Sie Herrn Ro­koffs durch­aus ge­rech­te For­de­run­gen er­fül­len, kön­nen Sie das Schlimms­te von Frau und Kind ab­wen­den und sich selbst Le­ben und Frei­heit si­chern.

Wie viel wol­len Sie? frag­te Tar­zan. Üb­ri­gens, wer ga­ran­tiert mir denn da­für, dass ich über­haupt noch am Le­ben blei­be, wenn man mei­ne Un­ter­schrift er­presst hat? Ich däch­te, ich hät­te al­len Grund, zwei sol­chen Schur­ken wie Ih­nen und Ro­koff nur mit Miss­trau­en zu be­geg­nen.

Der Rus­se beb­te vor Wut.

Mein Herr! Ihre Lage ist wohl nicht dazu an­ge­tan, dass Sie sich der­ar­ti­ge Be­mer­kun­gen ge­stat­ten kön­nen. Im Üb­ri­gen muss Ih­nen mein Wort schon als Si­cher­heit ge­nü­gen. An­dern­falls dür­fen Sie glau­ben, dass wir ganz ein­fach mit Ih­nen kur­z­en Pro­zess ma­chen, so­bald Sie nicht einen Scheck mit dem von uns ge­wünsch­ten Be­trag aus­fer­ti­gen. Ich hät­te Sie üb­ri­gens nicht für so tö­richt ge­hal­ten. Ab­ge­se­hen von un­se­rer of­fen­sicht­li­chen Über­zahl müss­ten Sie be­mer­ken, dass es für mich kein grö­ße­res Ver­gnü­gen ge­ben könn­te als hier ein­fach »Feu­er« zu kom­man­die­ren. Wa­rum wir da­von ab­se­hen, das liegt in un­se­ren an­der­wei­ti­gen Plä­nen für Ihre Be­stra­fung be­grün­det. Ihr Tod wür­de da nur vor­zei­tig Schluss ma­chen.

Eine Fra­ge! sag­te Tar­zan. Ist mein Kind an Bord? Nein, gab Paw­lo­wi­tsch zur Ant­wort. Ihr Kind ist in Si­cher­heit, aber nicht hier. Ge­tö­tet wird es, so­bald Sie un­se­re For­de­run­gen ver­wei­gern. Soll­ten wir mit Ih­nen Schluss ma­chen müs­sen, läge kein Grund vor, Ihrem Kin­de das Le­ben zu schen­ken. Das Kind wür­de nach Ihrem Tode eine neue Ge­fah­ren­quel­le für uns be­deu­ten. Sie se­hen also: Ret­ten Sie sich, er­hal­ten Sie auch Ihrem Kin­de das Le­ben. Und Ihre Ret­tung hängt eben wie ge­sagt, ganz von dem Scheck ab, den wir ver­lan­gen.

Gut, er­wi­der­te Tar­zan. Er wuss­te, dass Paw­lo­wi­tsch mit der ein­mal aus­ge­spro­che­nen Dro­hung un­be­dingt Ernst ma­chen wür­de. Als ein­zi­ge Hoff­nung blieb ihm im­mer­hin die Mög­lich­keit, durch Ein­len­ken we­nigs­tens dem Kin­de das Le­ben zu ret­ten.

Über sein ei­ge­nes Schick­sal nach Er­le­di­gung der rein ge­schäft­li­chen Wün­sche war er sich je­doch völ­lig im Kla­ren. Wozu sich auch über das ein­zig Wahr­schein­li­che täu­schen! So viel stand aber fest: Es wür­de selbst­ver­ständ­lich noch einen Kampf ge­ben, an den sie in alle Ewig­keit ge­den­ken soll­ten, und, wenn nicht al­les schief gin­ge, – – den Paw­lo­wi­tsch wür­de er mit ins Jen­seits hin­über­neh­men. Zu scha­de nur, dass Ro­koff nicht an des­sen Stel­le da war. Er nahm Scheck­heft und Füll­fe­der­hal­ter aus der Brust­ta­sche.

Wie viel wird ver­langt? frag­te er.

Paw­lo­wi­tsch nann­te einen mär­chen­haft ho­hen Be­trag, so­dass Tar­zan kaum das La­chen ver­bei­ßen konn­te.

Man woll­te na­tür­lich auf die­se Wei­se her­aus­be­kom­men, wie hoch das Lö­se­geld min­des­tens be­mes­sen wer­den kön­ne. Tar­zan sei­ner­seits such­te her­un­ter­zu­han­deln, aber Paw­lo­wi­tsch blieb fest. Schließ­lich schrieb der Af­fen­mensch den Scheck aus. Der Be­trag über­stieg bei Wei­tem sein Bank­gut­ha­ben, und da­mit wur­de der Scheck ja wert­los!

Als er ihn dem Rus­sen gab, ging sein Blick über Steu­er­bord. Über­ra­schung spie­gel­te sich in sei­nem Ant­litz: Land, nur ei­ni­ge hun­dert Me­ter weit. Tro­pi­sches Sumpf­dickicht bis fast dicht ans Ufer und da­hin­ter be­wal­de­te Hü­gel.

Paw­lo­wi­tsch hat­te Tar­zan be­ob­ach­tet.

Ja­wohl, hier soll Ihre Frei­heit wie­der be­gin­nen, sag­te er.

Der Ge­dan­ke, nun so­fort hand­greif­li­che Ra­che an dem Rus­sen zu neh­men, schoss jäh in Tar­zan hoch. Dann dach­te er: Dies Land hier ist ja mein al­tes be­kann­tes Afri­ka. Wer­de ich hier der Ket­ten le­dig, dann will ich mir schon den Weg in zi­vi­li­sier­te Ge­gen­den bah­nen. Ganz wahr­schein­lich kam ihm das vor.

Paw­lo­wi­tsch nahm den Scheck.

Klei­den Sie sich aus, be­fahl er dem Af­fen­menschen. Hier brau­chen Sie so et­was nicht.

Tar­zan zö­ger­te, doch deu­te­te Paw­lo­wi­tsch so­fort auf die bis an die Zäh­ne be­waff­ne­ten Ma­tro­sen. Lang­sam ent­le­dig­te sich der Eng­län­der sei­ner Klei­dung.

Ein Boot wur­de hin­ab­ge­las­sen und Tar­zan un­ter schärfs­ter Be­wa­chung an Land ge­bracht. Nach ei­ner hal­b­en Stun­de war das Boot wie­der zu­rück, und die »Kin­caid« setz­te sich lang­sam in Fahrt.

Tar­zan blick­te von dem schma­len Stran­de dem Schif­fe nach. Dort war je­mand an die Re­ling ge­tre­ten und such­te sich durch lau­tes Ru­fen be­merk­bar zu ma­chen. Ab und zu wa­ren Tar­zans Bli­cke auf den Zet­tel ge­fal­len, den ihm ein Ma­tro­se noch zu­letzt zu­ge­steckt hat­te. Aber jetzt blie­ben sie mit ei­nem Male haf­ten an dem, was auf der »Kin­caid« vor­ging: Ein schwarz­bär­ti­ger Mann hielt ein klei­nes Kind hoch in die Luft; sein höh­ni­sches Ge­läch­ter über­tön­te das Rau­schen der See. In Tar­zan zuck­te es auf, schon ging er mit dem Ge­dan­ken um, sich in die Bran­dung zu stür­zen und schwim­mend das Schiff ein­zu­ho­len – –; aber er emp­fand auch so­gleich die Aus­sichts­lo­sig­keit ra­scher un­durch­dach­ter Tat – und blieb.

Kei­nen Blick wand­te er vom Schif­fe, bis es hin­ter ei­nem Küs­ten­vor­sprung ver­schwun­den war. –

Vom Dschun­gel hin­ter ihm starr­ten blut­un­ter­lau­fe­ne Au­gen un­ter bu­schi­gen Brau­en böse auf den Neu­ling.

Klei­ne Af­fen schnat­ter­ten und kreisch­ten in den Baum­kro­nen, und vom Wal­desin­nern kam das Brül­len ei­nes Leo­par­den.

Aber noch im­mer blieb John Clay­ton, Lord Grey­sto­ke, gleich­sam taub und blind ge­gen al­les, was um ihn vor­ging. Bit­te­re Vor­wür­fe moch­ten ihn zer­wüh­len. Wie hat­te er auch so leicht­hin dem glau­ben kön­nen, was der Hand­lan­ger sei­nes Erz­fein­des da an Bord ver­si­chert hat­te! Ein ein­zi­ger Trost, dach­te er, bleibt mir: Jane ist in Lon­don si­cher. O wie gut, dass sie we­nigs­tens vor den Klau­en die­ser Schuf­te ge­bor­gen ist! Wie eine Kat­ze auf die Maus hat­te in­zwi­schen je­nes zot­ti­ge Un­tier hin­ter Tar­zan auf der Lau­er ge­le­gen. Jetzt schlich es vor­sich­tig nä­her.

Hat­te der Af­fen­mensch sei­ne schar­fen Sin­ne nicht mehr? Sein fei­nes Ge­hör, sei­ne untrüg­li­che Wit­te­rung?

Wohn- und Schlaf­raum auf Schif­fen  <<<

Wilde Tiere in der Bucht

Lang­sam ent­fal­te­te Tar­zan den Zet­tel, den ihm der Ma­tro­se noch in die Hand ge­drückt hat­te. Er las, fast ohne dass sich die dunklen Schat­ten, die der Schmerz der letz­ten Stun­de über ihn ge­wor­fen, son­der­lich ver­stärk­ten. Dann aber kam ihm der nie­der­träch­ti­ge Ra­che­plan in sei­nem gan­zen Um­fan­ge zu Be­wusst­sein. Der Wort­laut des Schrift­stückes war fol­gen­der:

Die­se Zei­len sol­len Ih­nen Klar­heit über al­les ge­ben, was ich mit Ihrem Kin­de und mit Ih­nen vor­ha­be. Sie sind als Affe ge­bo­ren, Sie leb­ten nackt im Dschun­gel. Also, jetzt sind Sie wie­der dort, wo Sie hin­ge­hö­ren, in Ih­rer Hei­mat. Ihr Kind aber soll schon eine Stu­fe hö­her kom­men als sein Va­ter. Das ist un­ab­än­der­li­ches Na­tur­ge­setz.

Der Va­ter ein wil­des Tier, der Sohn schon ein mensch­li­ches We­sen, al­ler­dings auf der nächs­ten Spros­se der Ent­wick­lungs­lei­ter. Kein nack­tes Dschun­gel­tier, nein, er soll Len­den­schurz und kup­fer­ne Fuß­span­gen ha­ben, viel­leicht auch einen Ring durch die Nase. Wir wol­len ihn ei­nem wil­den Kan­ni­ba­len­stamm zur Er­zie­hung ge­ben.

Ich hät­te Sie ja tö­ten kön­nen, doch da­mit wür­de ich doch nur das Maß der Ih­nen zu­ge­dach­ten und wohl­ver­dien­ten Stra­fe vor­zei­tig her­ab­ge­setzt ha­ben. Ein­mal tot, könn­ten Sie sich lei­der nicht mehr quä­len­den Ge­dan­ken über die Lage Ihres Kin­des hin­ge­ben. So aber wer­den Sie hier in Ohn­macht da­hin­le­ben; nie wer­den Sie von hier ent­rin­nen, nie wer­den Sie nach Ihrem Kin­de su­chen oder ihm hel­fen kön­nen. Är­ge­res als den Tod wer­den Sie in all den Jah­ren Ihres Le­bens er­lei­den, so oft Sie sich des schre­cken­vol­len Da­seins Ihres Kin­des er­in­nern.

Dies soll ein Teil Ih­rer Stra­fe sein, weil Sie es wag­ten, sich mir in den Weg zu stel­len.

N. N.

Nach­schrift: Was an Ih­rer Be­stra­fung noch fehlt, wird Ihre Frau auf sich neh­men müs­sen, und zwar ab heu­te. Ich über­las­se es Ih­nen, sich das aus­zu­ma­len.

Kaum hat­te Tar­zan dies ge­le­sen, als ihn ein schwa­ches Geräusch hin­ter sei­nem Rücken ruck­ar­tig in die raue Wirk­lich­keit zu­rück­ver­setz­te. Fast im Au­gen­blick schie­nen sei­ne Sin­ne wie­der­er­wacht zu sein. Er war wie­der der Af­fen-Tar­zan.

Eine Wen­dung, und vor ihm stand ein un­ge­heu­rer Affe, halb zit­ternd aus ei­nem ge­wis­sen In­stinkt her­aus, sich vor dem Un­be­kann­ten zu si­chern, halb be­reit, je­den Au­gen­blick über ihn her­zu­fal­len.

Zwei Jah­re war es her, seit Tar­zan mit der ge­ret­te­ten Gat­tin Ur­wald und Wild­nis ver­las­sen. Ein we­nig wohl moch­te von sei­ner furcht­ba­ren Kraft in­zwi­schen ge­schwun­den sein, die ihn einst zum un­be­sieg­ten Herr­scher des Dschun­gels ge­macht hat­te. Viel Zeit und Mü­hen hat­te er sei­nen Län­de­rei­en in Uzi­ri wid­men müs­sen, reich, ja über­reich war das Ar­beits­feld ge­we­sen, das sich dort sei­ner bei­na­he über­mensch­li­chen Kraft er­öff­net hat­te. Aber nackt und waf­fen­los kämp­fen sol­len mit solch ei­nem strup­pi­gen, stier­nacki­gen Un­ge­heu­er, wie es jetzt vor ihm stand: Nein, nicht ein­mal in den Jah­ren, da er nur die Wild­nis ge­kannt, wür­de er über einen der­ar­ti­gen Geg­ner ent­zückt ge­we­sen sein.

Doch was blieb ihm jetzt an­de­res, als dem ra­sen­den Tie­re mit den Waf­fen zu be­geg­nen, die die Na­tur ihm ver­lie­hen!

Über des Un­ge­tüms Schul­ter hin­weg ge­wahr­te Tar­zan Köp­fe und Schul­tern von zwölf oder noch mehr die­ser furcht­ba­ren Vet­tern ur­mensch­li­cher We­sen.

Doch wuss­te er we­nigs­tens, dass die gan­ze Schar kaum ge­schlos­sen zum An­griff über­ge­hen wür­de. Noch reich­te ja der Ver­stand der Men­schen­af­fen nicht so weit, um den Wert des »Alle ge­gen einen« über­haupt zu er­fas­sen. An­de­rer­seits war er sich dar­über im Kla­ren, dass sie lan­ge ge­nug die Ge­bie­ter je­ner Land­stri­che sein moch­ten, denn schre­cken­ge­wal­tig schie­nen ihm ihre dro­hen­den Fäus­te und wild­flet­schen­den Fang­zäh­ne.

Mit tie­fem Ge­knurr stürz­te jetzt das Un­ge­tüm auf Tar­zan los, doch der Af­fen­mensch hat­te ge­lernt! Nicht bloß, was all­ge­mein im Rei­che der Zi­vi­li­sa­ti­on auf den Neu­ling ab­färbt. Auch Kampf­me­tho­den wa­ren ihm ver­traut ge­wor­den, die das Dschun­gel­tier nicht kann­te. Noch vor we­ni­gen Jah­ren wür­de er ro­her Ge­walt mit ro­her Ge­walt be­geg­net sein. Jetzt wich er rasch dem an­stür­men­den Fein­de aus. Ein Schritt seit­wärts, das ra­sen­de Un­tier stürz­te ihm nach, aber schon saß ihm ein Schlag der ge­wal­ti­gen Rech­ten in der Ma­gen­gru­be. Ein Wut­ge­heul war die Ant­wort, und vor Schmerz ge­krümmt sank der Men­schen­af­fe zu Bo­den. Ver­ge­bens sein fast au­gen­blick­li­ches Be­mü­hen, wie­der auf die Bei­ne zu kom­men …

Sein wei­ßer Geg­ner war mit ei­ner ra­schen Wen­dung auch schon zur Stel­le; wie ein Ha­bicht stieß er auf ihn nie­der, und die letz­ten Spu­ren ober­fläch­li­cher Zi­vi­li­sa­ti­on wa­ren in je­nem Au­gen­bli­cke wie ein Man­tel von des eng­li­schen Lords Schul­tern her­ab­ge­glit­ten.

Mit ei­nem Male war in ihm wie­der das Dschun­gel­tier gleich­sam neu er­wacht im Rin­gen mit ei­nem von sei­nes­glei­chen. Mit ei­nem Male war er wie­der Tar­zan, Sohn Kalas, der Men­schenäf­fin. Und sei­ne schar­fen, wei­ßen Zäh­ne gru­ben sich tief in des Fein­des zot­ti­gen Hals. Die Schlag­ader! Kraft ball­te sich in sei­nen Fin­gern, die mäch­ti­gen Nä­gel von sei­nem Kör­per ab­zu­weh­ren, und dann saus­ten sie wie ein Dampf­ham­mer auf sei­nen wut­schnau­ben­den Feind her­nie­der.

Rings­um stan­den die üb­ri­gen sei­nes Stam­mes, voll Er­war­tung und nicht ohne eine ge­wis­se Be­lus­ti­gung. Sie knurr­ten Bei­fall, so oft die Fet­zen flo­gen, aber still wur­den sie vor Ent­rüs­tung und Span­nung, als der ge­wal­ti­ge wei­ße Affe auf den Rücken ih­res Kö­nigs loss­prang, mit straff­ge­spann­ten Mus­keln ihn un­ter den Ach­seln pack­te und auf sei­nen feis­ten Rücken nie­der­riss. Da lag der Af­fen­kö­nig im dich­ten Dschun­gel­gra­se, hilf­los, so sehr er sich auch un­ter wil­dem Ge­brüll zu Wehr set­zen moch­te.

Und wie Tar­zan da­mals vor Jah­ren, als er sich auf die Su­che nach Ge­schöp­fen sei­ner Art und Fär­bung ge­macht hat­te, je­nen Ter­kop klein krieg­te, so ging er jetzt mit dem­sel­ben Griff, den ihm ein Zu­fall in je­nem Kamp­fe of­fen­bar­te, auf dies neue ge­wal­ti­ge Un­ge­heu­er los.

Schon moch­te die klei­ne Schar wü­ten­der Men­schen­af­fen das lei­se Knacken ver­neh­men, das sich un­heim­lich in ih­res Kö­nigs schreck­li­ches Jam­mer­ge­brüll misch­te.

Und dann gab es plötz­lich einen Krach, als wür­de ein Baum, eben noch fest und trot­zig in der Erde ver­wur­zelt, vom ra­sen­den Or­kan ge­knickt wie ein Streich­holz. Nach vorn sank das rie­si­ge Haupt, nie­der auf die be­haar­te Brust. Schlaff die Hals­mus­keln, zu Ende das Krei­schen und Ge­brüll …

Die klei­nen »Schwein­sau­gen« der Zuschau­er wan­der­ten un­schlüs­sig von ih­res Füh­rers re­gungs­lo­sem Kör­per zu dem wei­ßen Af­fen. Der er­hob sich und trat zur Sei­te. Und dann bohr­ten sich ihre Bli­cke wie­der in die Ge­stalt ih­res Kö­nigs, gleich als wun­der­ten sie sich, warum er nicht auf­sprän­ge und die­sen ver­mes­se­nen Fremd­ling nie­der­schlü­ge.

Sie sa­hen, wie der Neu­ling sei­nen Fuß in den Na­cken sei­nes Geg­ners setz­te, – und der zuck­te sich nicht! Tar­zan warf mit ei­nem Ruck sein Haupt zu­rück, und un­sag­bar wild ent­quoll sei­ner Keh­le der ge­wal­ti­ge Af­fen-Ruf. Da wuss­ten sie: der Kö­nig war tot.

Und weit­hin trug der Dschun­gel je­nen schreck­li­chen Sie­ger­ruf. Das Schnat­tern der klei­nen Af­fen in den Baum­kro­nen ver­stumm­te, es schwie­gen die Stim­men der bunt­ge­fie­der­ten Vo­gel­welt, und von fern her kam ei­nes Leo­par­den kla­gen­de Ant­wort und das tie­fe Brül­len ei­nes Lö­wen.

Der alte Tar­zan war’s, der sei­ne Au­gen jetzt fra­gend auf die­sen klei­nen Af­fen­trupp vor sich rich­te­te. Der alte Tar­zan, wie er jetzt sein Haupt schüt­tel­te, als hät­te er die Fül­le sei­nes Haa­res aus dem Ge­sich­te zu­rück­zu­wer­fen: Eine alte Ge­wohn­heit aus den Ta­gen, da ihm das Haar in dich­ten schwar­zen Sträh­nen bis auf die Schul­tern her­ab­hing und ihm gar oft den frei­en Blick zu neh­men droh­te, wenn es auf Le­ben und Tod ging.

Tar­zan wuss­te, dass er mit so­for­ti­gem An­griff von ei­nem der Über­le­ben­den – es schi­en ihm, als sei die­ser ganz be­son­ders gut ge­baut, ja als hiel­te er sich al­lein zum Kamp­fe um die Kö­nigs­wür­de sei­nes Stam­mes be­ru­fen – zu rech­nen hat­te. Es war ihm aber auch von frü­her her in der Erin­ne­rung, dass man einen völ­lig Frem­den bis­wei­len in die Stam­mes­ge­mein­schaft auf­nahm, ja dass die­ser sich nach Er­le­di­gung des Kö­nigs so­gar zum Stam­mes­ge­bie­ter und Ober­haupt der al­ten kö­nig­li­chen Fa­mi­lie auf­schwin­gen konn­te.

Wenn er an­der­seits jetzt ih­nen nicht zu fol­gen such­te, wür­den sie sich viel­leicht auch weg­schlei­chen, fort aus sei­nem Be­rei­che, und dann nur un­ter­ein­an­der um die Füh­rer­schaft kämp­fen … Dass er ihr Kö­nig sein kön­ne, wenn er nur woll­te, so viel war ihm klar; nicht aber, ob er auch die man­cher­lei läs­ti­gen Pf­lich­ten, die not­wen­dig mit die­ser Wür­de zu­sam­men­hin­gen, auf sich neh­men woll­te. Denn dar­in lag ja­wohl kein be­son­de­rer Vor­teil.

Der Affe, noch jung, aber mit furcht­ba­ren Mus­keln ge­rüs­tet, rück­te nä­her an ihn her­an. Aus dem weit­ge­öff­ne­ten Mun­de blitz­ten statt­li­che Fang­zäh­ne, und ein tie­fes, un­wil­li­ges Brum­men ließ sich hö­ren.