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Rotschopf Hannah ist 26 und lebt in Berlin. Bei einer beruflichen Reise nach New York ist ihr Hotelzimmer kurzfristig belegt. Notgedrungen übernachtet sie bei ihrem Geschäftspartner Sam. Ein gut aussehender Mann, der sie jedoch genauso für typisch deutsch hält, wie sie ihn typisch amerikanisch findet. Nach reichlich Wein ist Hannah sich sicher, Sam ist schwul. Am folgenden Morgen die nächste Erkenntnis: Hannah ist schwanger! Zu allem Übel kommen zwei Männer als Vater infrage.
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Seitenzahl: 269
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Juliane Kobjolke
Tausche High Heels gegen Flipflops
Frauenroman
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
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Gmeiner Digital
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Katja Ernst
E-Book: Mirjam Hecht
Coverbild: © LockieCurrie / istockphoto.com
Covergestaltung:Matthias Schatz
ISBN 978-3-7349-9238-4
Für Nane
Die Lautsprecher knistern und die Stimme des Kapitäns ertönt. Als betriebe er ein Fahrgeschäft auf dem Rummelplatz und kündige eine Runde rückwärts an, macht er die Passagiere auf Turbulenzen aufmerksam, von denen das Flugzeug seit etwa einer Minute durchgerüttelt wird.
Ich halte meinen Tee fest und finde ich es schade, keinen Martini bestellt zu haben, der nun praktisch von allein geschüttelt statt gerührt werden würde. Mein Blick fällt auf die Makkaroni, die in der Aluminiumschale ebenso heftig vibrieren wie meine Sitznachbarin. Unser beider Besteck scheppert lautstark vor sich hin. Als das Flugzeug in ein Luftloch fällt und geschätzte 500 Meter an Höhe verliert, krallt die Amerikanerin neben mir die Finger in die Armlehnen, als seien diese aus Plüsch, versteift sich weiter, presst sich tiefer in den Sitz und stellt die Atmung ein. Wenngleich das Sprechen bei dem Gerüttel ziemlich riskant ist und ich mir die Zunge dabei abbeißen könnte, versuche ich, sie zu beruhigen und sage ihr, dass solche Turbulenzen über dem Atlantik etwas völlig Normales sind.
Ich spreche aus Erfahrung. Leider.
Ein Witz aus Kindertagen fällt mir ein: Mami, ich will nicht nach Amerika! – Sei still und schwimm weiter! Ich beiße mir auf die Lippen, um meine Gedanken für mich zu behalten, denn meine Nachbarin würde das wahrscheinlich nicht lustig finden. Schließlich will so ziemlich jeder gern nach Amerika. Nur ich, ich will nicht! Und ich habe viele gute Gründe.
Erstens: In weniger als einer Woche ist Weihnachten, und eigentlich hatte ich etwas ganz anderes vor. Eigentlich sollte ich mich auf dem Weg in die Heimat befinden. Statt Stille und Gemütlichkeit in meinem schläfrigen Mühlhausen erwarten mich Getöse und Hektik in New York City. Statt mit meinen Freundinnen über die mittelalterlichen Weihnachtsmärkte auf der Eisenacher Wartburg und dem Erfurter Domplatz zu tingeln, hetze ich in den kommenden Tagen an der Seite von Fremden von einem Meeting zum nächsten. Statt Thüringer Rostbratwurst werde ich Hamburger essen, statt des wohlverdienten Glühweins gibt es stilles Wasser, das nach Chlor schmeckt.
Zweitens: Das war so nicht ausgemacht! Als Produktmanagerin im Export hat mich die Berliner Firma Winterfeld & Scharff vor anderthalb Jahren zur Betreuung Österreichs und der slawischen Länder eingestellt, was für mich ein purer Glücksgriff war, denn die Mentalitäten dieser Länder liegen mir sehr. 14 Monate lang war ich in diesen schönen Landen unterwegs und verkaufte unsere Messer so erfolgreich, dass die Firma es für angebracht hielt, mir eine größere Verantwortung zu übertragen und mich in die Metropolen des Mittleren Ostens der USA zu schicken. Einst war ich mir sicher, den Boden zwischen Pazifik und Atlantik niemals zu betreten – und nun fliege ich ständig dorthin. Sicher war ich mir deshalb, weil die amerikanische Mentalität und meine eigene zwei Welten sind, völlig unvereinbar, und ich nicht im Traum daran dachte, jemals eine Ausnahme zu machen, die zur Regel werden würde.
Drittens: Mein Magen braucht Urlaub. Seit einigen Tagen rebelliert er gegen meinen Dauerstress mit einer nahezu konstanten, leisen, aber nervigen Übelkeit. Bei meinem Wegzug aus Thüringen habe ich mir ein buntes, ausgefülltes Leben in Berlin vorgestellt. Doch das Einzige, was ich in Berlin mache – wenn ich mal da bin –, ist arbeiten. Leben, das ist bisher nur was für den Schimmel auf dem Käse in meinem Kühlschrank.
Viertens: Gruselpost in meinem Briefkasten. Ich will gar nicht daran denken, dennoch krame ich den Umschlag aus meiner Handtasche. Unfrankiert und nicht beschriftet ist er, was bedeutet, dass er vom Verfasser persönlich eingeworfen wurde. Ein einzelnes Blatt Papier ist enthalten, und zum x-ten Mal falte ich es auf, starre auf das Bild, das beinahe die gesamte Seite einnimmt. Es ist Gustav Klimts Danaë. Darunter stehen vier Zeilen:
Süße Danaë, schlaf ein!
Sei brav für mich!
Mach die Augen zu
und wieg dich in Ruh!
Da die Danaë ein Rotschopf ist wie ich, wäre ein Irrläufer ein merkwürdiger Zufall. Um die in der Lyrik versteckte Drohung zu erkennen, muss man kein Interpretationsgenie sein, und die Ahnung, wer sich solche Mühe beim Reimen gegeben hat, macht mich stinksauer: Dagmar Dapperheld-Dängeli, meine Kollegin und der eigentliche Grund für die Änderung meiner Zuständigkeiten. Die einstige Verantwortliche für die Ostküste und den Mittleren Westen der USA entwickelte eine Faszination für einen Mitarbeiter des New Yorker Großhändlers Williams Ltd., ein langjähriger Geschäftspartner. Das war meinem Chef Dr. Winterfeld offenbar ein Dorn im Auge, insbesondere weil Frau Dapperheld-Dängeli verheiratet ist. Der Angebetete selbst weiß wohl bis heute nichts von der Verehrung. Diese wurde lediglich innerhalb unseres Unternehmens in allen Abteilungen thematisiert – ein weiterer Dorn in Dr. Winterfelds Auge. Damit sich wieder jeder auf seine eigentliche Tätigkeit konzentriert, wurden die Zuständigkeitsbereiche kurzerhand getauscht und ich verlor meine schönen Lande. Statt eines schlechten Gewissens bekam meine Kollegin einen Tobsuchtsanfall und meinte, ich würde mein intrigantes Verhalten bitter bereuen. Dabei war ich die Einzige, die nicht über sie tratschte. Ich machte ihr nicht einmal einen Vorwurf und ertrug alle folgenden Sticheleien, ohne den erwünschten Zank zu beginnen. Ich bin nämlich ein friedliebender Mensch, der das Beste auch aus Situationen zu machen versucht, in die man mich eher schiebt, als dass ich freiwillig oder gar unbedacht hineinlaufe. Aber irgendwann ist selbst bei mir das Fass voll, bei Drohbriefen läuft es über, und denke ich nur daran, wie sich diese Frau gestern von mir verabschiedet hat … Nach einem Schnäuzen ins Taschentuch und mit Tränen in den Augen hat sie mir einen guten Flug gewünscht und viel Vergnügen in New York mit … Der Name ging in ihrem Schluchzen unter.
Samuel Klingenberg heißt er, der Ahnungslose, der mich in wenigen Stunden auf dem JFK in Empfang nehmen wird. Der Name genügt, um meine Fantasie auf Hochtouren zu bringen. Samuel? Das klingt nach einem langweiligen, schmächtigen Männlein. Und Klingenberg? Ein Nachkömmling von Einwanderern? Jüdisch vielleicht? Irgendwie macht der Name einen hochtrabenden und spießigen Eindruck. Er hört sich an wie grüner Wollpullover und khakifarbene Cordhosen von Bloomingdale’s.
Nach den Flugturbulenzen erwarten mich die Einreiseturbulenzen als Konsequenz des 11. Septembers. Als USA-Vielfliegerin sollte das Folgende eine meiner leichtesten Übungen sein, aber das wird es nie werden. Chicago und Washington waren unvergessliche Erfahrungen, doch New York besitzt den Ruf, in puncto Einreise der schlimmste aller amerikanischen Flughäfen zu sein.
Kaum setze ich einen Fuß auf amerikanisches Territorium, erspähe ich die erste düster dreinblickende, bewaffnete Gestalt in Uniform. Der Mann bellt los und brüllt zwei vor mir gehende Jungs an, die ihre Reisepässe nicht wie vorgeschrieben in der linken Hand halten, sondern in der Brusttasche stecken haben. Die beiden erschrecken und jede freudige Erwartung fällt aus ihren Gesichtern. Weiter hinten lauert eine Frau, deren Aufgabe es ist, ununterbrochen zu schreien, um den näher rückenden Massen begreiflich zu machen, an welchem Schalter sie sich anstellen sollen. Ähnlich wie auf einer feinen Party: Herren links, Damen rechts. Allerdings sind wir hier nicht auf einer feinen Party, sondern offenbar im Land der weltweit einzigen Menschen, die lesen können – und zwar große Buchstaben auf zwei Schildern: ›US Citizens‹ sowie ›Non-US Citizens‹. Auf Letzteres hätten sie ebenso gut ›Other Crap‹, sinngemäß mit ›Anderer Krempel‹ zu übersetzen, schreiben können. Uns ›anderen Krempel‹ im Auge behaltend, steht die Uniformierte zum Sprung bereit wie ein Cowboy, darauf gefasst, das aus der Spur brechende Vieh zusammenzutreiben. Bewegt sich eines davon in die Nähe der Warteschlangen, an denen sich ausschließlich US-Bürger anstellen dürfen, ertönt doppelt so lautes Gebrüll. Die Jungs vor mir murren.
Normalerweise reagieren Europäer empfindlich auf genau diese respektlose Art und den Tonfall, der vermittelt, ein unerwünschter Gast zu sein. Nicht bei der Einreise in die USA. Da schweigen alle betroffen, ziehen die Köpfe ein und hoffen, bloß reingelassen zu werden. Egal, ob man dafür als Angehöriger einer minderwertigen Rasse oder gar als potenzieller Terrorist abgestempelt wird. Oder als ein böser Alien wie im Lied von Sting gern verstanden wird. Um mir die Zeit zu vertreiben singe ich in Gedanken: ›Oooh-oooh, I’m an alien, I’m an evil alien …‹
Die Schlange der privilegierten Amerikaner an den Schaltern der US-Bürger ist lange verschwunden, da trete ich in der Reihe des ›Other Crap‹ von einem Fuß auf den anderen und beobachte die arbeitslosen Beamten links von mir. Die einen kauen Fingernägel, andere sind in dumpfes Brüten verfallen, der Rest popelt. Meine Beine fühlen sich an wie Blei, mein Magen ist noch immer gestresst, meine Geduld am Ende und mein Ärger über die Dapperheld-Dängeli, der ich dies alles zu verdanken habe, ist so groß, dass ich sie mit einem Anruf am liebsten aus dem Bett klingeln und anschreien möchte. Schluss mit freundlich und verständnisvoll!
Endlich fasst einer der Sicherheitsbeamten die mutige Entscheidung, ein paar definitiv ungefährliche Deutsche zu den Schaltern der Amerikaner durchzulassen. Ich bin dabei! Wenig später trete ich an den Schalter. Der Mensch dahinter leidet an einer Überdosis Coolness. Er liegt fast auf dem Tresen, guckt mich gelangweilt an und spricht mit einem Dialekt, der vermuten lässt, dass zehn Kaugummis sein Gebiss verkleben. Seine Erkundigung nach meinem Mann verwirrt mich. Ob das Verheiratetsein zu den neuen Bestimmungen gehört, um die USA besuchen zu dürfen, überlege ich, schließe das aber bald aus und teile ihm mit, dass ich nicht verheiratet bin. Auf den Ringfinger meiner linken Hand weisend, fragt er, was der Ring dort zu suchen habe. Ich lasse ihn wissen, dass wir in Deutschland den Ehering an der rechten Hand tragen, statt ihm zu sagen, was mir in den Sinn kommt: Dass ich meinen Mann im Koffer mitschmuggele. Der mir erhalten gebliebene Sinn für Humor ist tröstlich, kann ich ihn gerade auch nicht teilen.
Nachdem der Stempel in meinen Pass gedrückt ist, hole ich mein Gepäck ab und gehe zum Zoll, den ich ohne Weiteres passieren darf. Nun gilt es, Samuel Klingenberg zu finden, der mich abholen und zu meinem Hotel in Brooklyn bringen wird. Um zu richten, was die klimatisierte Luft im Flugzeug mit mir angestellt hat, suche ich zuvor jedoch eine Toilette auf. Bei einem Blick in den Spiegel bietet sich mir das übliche Bild: Meine ohnehin blasse Haut ist megablass, und Schatten liegen unter meinen Augen, deren Grün nicht wie üblich strahlt, sondern eher matt und müde ist. Kurzerhand binde ich mir die roten Locken mit einem Tuch aus dem Gesicht, lasse kaltes Wasser laufen und beuge mich über das Waschbecken. Nach der Erfrischung trage ich Tagescreme auf, wirke den Augenringen mit einem Abdeckpuder entgegen, bringe meine Wimpern mit Mascara in Form und hübsche die trockenen Lippen mit einem hellen Lippenstift auf. Danach ziehe ich das Tuch aus den Haaren, schüttele die Locken in Form und zupfe meinen dunkelgrünen Zweiteiler zurecht. Nach einem letzten, nun zufriedeneren Blick in den Spiegel schnappe ich mein Gepäck und eile mit Hundert anderen zusammen den langen Gang entlang, der zur Ankunftshalle führt.
Dort angelangt halte ich nach einem Mann mit einem Schild Ausschau, auf dem mein Name steht, entdecke ihn aber nirgends. Die Erfahrung, dass Amerikaner nicht sonderlich zuverlässig sind, habe ich bereits gemacht, also beschließe ich zu warten, da werde ich über Lautsprecher aufgerufen: »Miss Hannah Hönig. Please come to the information board!«
Meinen letzten Gedanken zur Zuverlässigkeit gilt es zurückzunehmen. Offenbar habe ich bei meiner Runderneuerung zu lange gebraucht und Mr. Samuel Klingenbergs Geduld überstrapaziert. Auf geht es zum Infopunkt, wo einige Wartende versammelt sind, von denen allerdings ebenfalls keiner ein Schild mit meinem Namen trägt. Den Infopunkt einmal umrundend, scanne ich die Gesichter vergeblich auf ein Fragezeichen und einen Hoffnungsschimmer, da werde ich auf Deutsch angesprochen.
»Hi. Bist du Hannah Honig?«
Ich drehe mich um, muss den Blick ein bisschen heben, um ihn anzusehen, und verkneife mir ein Grinsen, weil er meinen Namen so sympathisch falsch ausspricht.
»Beinahe«, entgegne ich feixend und strecke ihm die Hand zum Gruß hin. »Hannah Hönig – mit ö.«
Er erwidert den Gruß und das Lächeln. »Sorry, mit den Umlauten tue ich mich schwer.«
»Oh, never mind!«, sage ich aus Reflex auf Englisch. Kein Amerikaner hat je Deutsch mit mir gesprochen. Ich betrachte ihn eingehender.
Verflixt, wo sind der grüne Wollpullover und die khakifarbene Cordhose? Wo ist das kleine, schmächtige Männlein mit der langweiligen Ausstrahlung?
Unter der ins Gesicht gezogenen dunkelblauen Strickmütze mit den weiß aufgestickten Initialen der New York Yankees schauen schwarze Haarspitzen hervor und bilden einen interessanten Kontrast zu einem Augenpaar, das ähnlich grün ist wie mein eigenes. Es folgen eine relativ breite Nase, weich aussehenden Lippen und ein markantes Kinn. Grübchen, die durch das Lächeln tiefer werden, sitzen in seinen Wangen. Der muskulöse Hals lässt mich erahnen, wie es weitergeht, und verschwindet in einem ebenfalls blauen T-Shirt. Eine helle Skaterjacke, Jeans und Sneakers runden sein Outfit ab.
Den Leiter des Marketings von Williams Ltd. habe ich mir definitiv anders vorgestellt. Vielleicht ist das gar nicht Samuel Klingenberg?
»Ich bin Sam«, höre ich ihn im nächsten Moment meine Zweifel ausräumen. »War die Flug gut? Sicher sehr stressig.« Ein mitleidiger Blick huscht über mein blasses Gesicht. »Die Klima in Flugzeugen sind fur die Hund. Aber das kriegen wir wieder hin!«
»Ähm …«, stammele ich, verwirrt über den Hund, den er erwähnt hat. Ich sehe wie ein Hund aus? Das ist ja furchtbar!
Sam bemerkt meinen Schreck. »Fur die Katz, mein ich! Das verwechsel ich andauernd«, korrigiert er sich, schnappt sich meine Koffer und plappert weiter.
»Du hast wonderbares Wetter mitgebracht. Die Stadt sieht am besten aus, wenn die Wolkenkratzer entweder sind von der Sonne beleuchtet oder beschneit. Und jetzt da sind all die Lichter. Du wirst sehen, New York zu Christmas ist fantastisch. All die Musik und die Duft nach Punsch …«
Obwohl Sams Deutsch sehr gut ist, kann ich ihm einfach nicht in meiner Sprache antworten. »Wenn Sie mögen, können wir gern Englisch …«
Sam wirft mir einen Blick zu. »Ist es so schlecht, mein Deutsch?«
»Oh, not at all!« Verflixt, der Reflex! »Absolut nicht. Sie sprechen wirklich sehr gut Deutsch. Wo haben Sie das gelernt?«
Er zieht eine Braue hoch. »Ein kleine Wonder? Eine Amerikaner, der ein andere Sprache spricht, Deutsch noch dazu!« Mit einer Kopfbewegung weist er auf den Fahrstuhl, den wir nehmen werden. »Ich bin zweisprachig aufgewachsen. Mein Vater stammt aus Deutschland. Er hat mein Mutter in Ramstein kennengelernt. Sie haben geheiratet, sind hierher gewandert und ich bin geboren.«
»Oh, that’s … das ist interessant. Waren Sie schon mal in Deutschland?«
»Ja.« Er stellt einen der Koffer ab, um den Fahrstuhl zu rufen. »Mussen wir uns wirklich siezen?«
Ich schüttele den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Also, Samuel …«
»Sam! In die Kürze liegt die Pfeffer.«
Ich beiße mir auf die Lippe, um nicht zu lachen, weil er das nächste Sprichwort durcheinanderhaut. Voll süß ist das irgendwie. »Sam … nice to meet you. Ich bin Hannah.«
»Schön, dich zu treffen. Also, du wolltest wissen, ob ich war in Deutschland. In den 90ern war ich in Berlin, Hamburg und Köln. Zum Spaß. Als Tourist.«
»Mit deiner Familie?«
»Allein. Meine Eltern gehen nicht mehr in andere Länder, aber sie freuen sich, dich kennenzulernen. Am Donnerstag zum Brunch im Sarabeth’s.«
Ein Brunch? Übermorgen? Mit seiner Familie? Wie ungewöhnlich! »Am Donnerstag habe ich einen Termin mit dem Marketing von Williams Ltd.«, gebe ich zu bedenken.
»Klar, mit mir und ein paar anderen. Das Meeting beginnt um 9 Uhr und dauert sicher nicht länger als zwei Stunden. 12 Uhr ist die perfekte Zeit für ein Brunch!« Sam zwinkert mir zu. »Vor Weihnachten sehen wir das nicht allzu eng. Da bleibt ein bisschen Zeit, in der ich dir zeigen kann New York.«
Sightseeing? Ich halte die Klappe, um nicht als spießiger, pflichtbewusster, fleißiger Deutscher abgestempelt zu werden. Selbst wenn ich offenbar einer bin. Wenn Sam einen Brunch mit seinen Eltern und anschließendem Sightseeing plant … von mir aus gern!
Am Hotel angekommen, erlebe ich eine unangenehme Überraschung. Die Zimmerbuchung, welche Dr. Winterfelds Assistentin vorgenommen hat, ist bestätigt worden, obwohl es in diesem Hotel keine freien Zimmer mehr gibt. Die Rezeptionistin macht einen Systemfehler dafür verantwortlich – die in den letzten Jahren wohl am häufigsten gebrauchte Entschuldigung für alle möglichen Fehler. Wenn es keiner war und es niemand versteht, war es die EDV. Tatsache ist jedoch, dass sie für diese Nacht keine Unterkunft hat, lediglich für die nächste kann sie mir ein Zimmer anbieten.
Während meines kurzen Aufenthalts möchte ich nicht von Hotel zu Hotel ziehen und erfahre, dass ich in anderen Hotels wahrscheinlich ähnlich schlechte Karten habe, da in Brooklyn gerade der Internationale Anthropologenkongress stattfindet. Die daraufhin geführten Telefonate mit vier weiteren Hotels bestätigen die Vermutung. Gerade will die Rezeptionistin es bei Nummer fünf versuchen, da macht Sam einen Vorschlag.
»Machen wir halbkurz! Du kannst schlafen bei mir.«
Die Rezeptionistin betrachtet mich abwartend. Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass Sam mich ebenfalls ansieht. Meine Stirn beginnt zu spannen, da ich seit einiger Zeit die Brauen zusammenziehe. Ich bin müde vom langen Flug, und der Gedanke daran, dass es in Deutschland nach Mitternacht ist, macht es nicht besser. Ich hatte mich auf eine ausgiebige Dusche gefreut, auf ein Abendessen irgendwo um die Ecke und auf ein großes, weiches Bett. Vor allem auf das große, weiche Bett.
Sicher könnte ich all das bei Sam haben, aber ich möchte ihn nicht stören, nicht einengen – und ebenfalls von niemandem gestört oder eingeengt werden. Abgesehen davon kenne ich ihn nicht. Lebt er mit einer Frau zusammen oder ist er allein?
Sam wendet sich ab. Ich höre, wie er meine Koffer Richtung Ausgang zieht. »Komm, lass uns das machen«, sagt er. »Ein andere Wahl hast du sowieso nicht.«
Ich bedanke mich bei der Rezeptionistin und folge ihm. Vorm Hotel lädt er das Gepäck in den Kofferraum seines Wagens.
»Ich weiß nicht so recht«, murmele ich, als wir im Auto sitzen.
»Merke ich …«
»Es ist nichts gegen dich.«
»Nein, es ist dir unangenehm bloß.« Er startet den Motor. »Typisch deutsch. Relax mal! Mein Freund kommt nachher noch vorbei. Wir kochen zusammen. Worauf hast du Appetit?«
Sein Freund?
Sein Freund-Freund? Oder ein Kumpel?
»Auf nichts Bestimmtes. Ich habe keinen großen Hunger.«
Zweimal gelogen. Ich wäre gern zu einem Italiener gegangen, hätte dort einen Schnaps gegen meinen rebellierenden Magen getrunken und Antipasti gegessen.
Warum plane ich überhaupt irgendetwas?
Ungarn und Slowakei futsch! Weihnachten futsch. Hotel futsch. Italienischer Abend futsch.
Ab sofort lasse ich alles am besten einfach geschehen. Ändern kann ich es ohnehin nicht.
Sam lebt in einem Appartementhaus in Brooklyn. Seine Wohnung ist geräumig und geschmackvoll eingerichtet, was auf einen weiblichen Mitbewohner schließen lässt, ebenso die gut gedeihenden Grünpflanzen und zahlreiche Dekorationsgegenstände, die auf die dunklen Möbel im Kolonialstil abgestimmt sind. Davon abgesehen entdecke ich nirgends einen Hinweis auf eine Frau, kein Paar Pumps, keine einschlägigen Zeitschriften. Das Badezimmer könnte endgültig Aufschluss geben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auch dort nichts finden würde. Wenngleich Sams Verhalten nicht auf eine homosexuelle Neigung hindeutet, glaube ich dennoch, dass er eine hat. Als er eben von seinem Freund sprach, schien er den Lebensgefährten zu erwähnen und nicht irgendeinen Kumpel. Die arme Frau Dapperheld-Dängeli weiß das sicher nicht, sonst hätte sie ihre Schwärmerei vielleicht unter Kontrolle oder längst damit aufgehört.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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