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Folge 4: Wer hat Stuart Burlington umgebracht? Der weit über die Grenzen Earlsravens bekannte Antiquitätenhändler wurde ermordet - mit einem Samuraischwert aus seinem eigenen Laden! Nathalie und Louise suchen nach Spuren des Täters. Und diesmal haben sie prominente Hilfe: Hector Peroux, seines Zeichens erfolgreicher Privatdetektiv aus Belgien. Gemeinsam können sie schon bald einen Verdächtigen ausfindig machen ... Aber ist die Lösung des Falls wirklich so einfach? Und wie passt die alte Lady ins Bild, die sich so verdächtig benimmt?
Über die Serie: Davon stand nichts im Testament ...
Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel - das ist Earlsraven. Mittendrin: das "Black Feather". Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante - und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie ...
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Seitenzahl: 222
Cover
Tee? Kaffee? Mord! – Die Serie
Über diese Folge
Über die Autorin
Titel
Impressum
Prolog
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel
Viertes Kapitel
Fünftes Kapitel
Sechstes Kapitel
Siebtes Kapitel
Achtes Kapitel
Neuntes Kapitel
Epilog
Davon stand nichts im Testament …
Cottages, englische Rosen und sanft geschwungene Hügel: das ist Earlsraven. Mittendrin: das »Black Feather«. Dieses gemütliche Café erbt die junge Nathalie Ames völlig unerwartet von ihrer Tante – und deren geheimes Doppelleben gleich mit! Die hat nämlich Kriminalfälle gelöst, zusammen mit ihrer Köchin Louise, einer ehemaligen Agentin der britischen Krone. Und während Nathalie noch dabei ist, mit den skurrilen Dorfbewohnern warmzuwerden, stellt sie fest: Der Spürsinn liegt in der Familie …
Wer hat Stuart Burlington umgebracht? Der weit über die Grenzen Earlsravens bekannte Antiquitätenhändler wurde ermordet – mit einem Samuraischwert aus seinem eigenen Laden! Nathalie und Louise suchen nach Spuren des Täters. Und diesmal haben sie prominente Hilfe: Hector Peroux, seines Zeichens erfolgreicher Privatdetektiv aus Belgien. Gemeinsam können Sie schon bald einen Verdächtigen ausfindig machen. Aber ist die Lösung des Falls wirklich so einfach? Und wie passt die alte Lady ins Bild, die sich so verdächtig benimmt?
Geboren wurde Ellen Barksdale im englischen Seebad Brighton, wo ihre Eltern eine kleine Pension betrieben. Von Kindheit an war sie eine Leseratte und begann auch schon früh, sich für Krimis zu interessieren. Ihre ersten Krimierfahrungen sammelte sie mit den Maigret-Romanen von Georges Simenon (ihre Mutter ist gebürtige Belgierin). Nach dem jahrelangen Lesen von Krimis beschloss sie vor Kurzem, selbst unter die Autorinnen zu gehen. »Tee? Kaffee? Mord!« ist ihre erste Krimireihe.
Ellen Barksdale lebt mit ihrem Lebensgefährten Ian und den drei Mischlingen Billy, Bobby und Libby in der Nähe von Swansea.
Ellen Barksdale
Tee? Kaffee?Mord!
DER BESUCH DESLÄCHELNDEN BELGIERS
Aus dem Englischen von Ralph Sander
beTHRILLED
Originalausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Dr. Clarissa Czöppan
Lektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt
Covergestaltung: Kirstin Osenau unter Verwendung von Motiven © shutterstock/SJ Travel Photo and Video, © Mary Ro/Shutterstock, © Protasov AN/Shutterstock/shutterstock, © Tony Brindley/Shutterstock/shutterstock
eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf
ISBN 978-3-7325-5934-3
www.be-ebooks.de
www.lesejury.de
Prolog, in dem ein grausiges Verbrechen geschieht
»Da wären wir«, murmelte die ältere Frau und zog den Blazer ihres Kostüms glatt. Dann strich sie eine Haarsträhne aus dem Gesicht und schob sie unter den Rand ihres leichten Sommerhuts, der sie vor der Sonne schützte. Sie hatte den Kopf leicht eingezogen und stand ein wenig schief da, als wäre die Wirbelsäule verkrümmt. Die Finger waren wegen beginnender Gicht leicht versteift, was man auch trotz der dünnen weißen Handschuhe erkennen konnte, die von einem Modegeschmack längst vergangener Zeiten zeugten. Trotz Brille kniff sie die Augen zusammen, um so mehr von ihrer Umgebung erkennen zu können.
Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. Zwanzig nach zehn. Die ältere Frau nickte beruhigt und schaute über den verwitterten Gartenzaun zum Cottage. Sie griff über den Zaun und hob den Riegel hoch, dann drückte sie das Tor auf. Das alles erledigte sie mit rechts, da sie im linken Arm behutsam etwas trug, das in dicke Decken eingehüllt war.
Sie durchquerte den Vorgarten in Richtung Cottage, einem zwar ungewöhnlich ausladenden, dennoch gemütlich wirkenden Gebäude. Das tief heruntergezogene, mit weinroten Schindeln gedeckte Dach und die kleinen Fenster mit ihren Butzenscheiben, die rot und lila blühenden Chrysanthemen und der Gesang von einem Dutzend verschiedener Vogelarten trugen zu dieser Gemütlichkeit genauso bei wie die Bienen, Hummeln und Schmetterlinge, die auf der Wildblumenwiese von einer Blüte zur nächsten flatterten.
Eine getigerte Katze lag auf einer alten Holzbank rechts von der Eingangstür und döste in der Sonne, was eine Amsel nutzte, um aus der Wasserschale zu trinken, die unter der Bank stand und wohl in erster Linie für die Katze gedacht war. Als die Amsel die ältere Frau näher kommen sah, lief sie leise glucksend davon und versteckte sich zwischen zwei Büschen. Hoch über dieser friedlichen Szene zogen Mauersegler laut kreischend ihre Bahnen am Himmel, um die Insekten zu schnappen, die dort oben unterwegs waren.
Die ältere Dame war am Haus angekommen, sah das »Geöffnet«-Schild, das an der Scheibe in der Tür der Antiquitätenhandlung hing, und trat ein. Hinter dieser Tür erstreckte sich ein zwar großzügig bemessener Verkaufsraum, der jedoch so vollgestellt war, dass das Ganze etwas erdrückend wirkte.
An der niedrigen Decke hing eine alte Lampe neben der anderen, sodass man sich im Slalom einen Weg zwischen ihnen hindurch bahnen musste, um sich nicht bei jedem Schritt den Kopf anzustoßen. Der Raum unter den Lampen war voller antiker Tische, Stühle und Ohrensessel. Schränke säumten die Wände und dienten in unregelmäßigen Abständen auch als Raumteiler. In den Vitrinen der Schränke fand sich eine große Auswahl an Geschirr, Porzellanfiguren sowie Messing- und Zinnbechern. Auf fast jedem Schrank stand eine Uhr, und verschiedentlich waren kleinere Lücken genutzt worden, um Standuhren zu platzieren. Bei einzelnen Schränken waren die Schubladen ein Stück weit herausgezogen worden, um den Blick auf silberne Bestecke freizugeben.
»Guten Morgen«, ertönte eine freundliche Männerstimme. »Wie kann ich Ihnen helfen?«
Die ältere Frau sah sich um und entdeckte den Mann, der sie angesprochen hatte. »Guten Morgen. Sind Sie Mr. Burlington?«
»Stuart Burlington«, bestätigte der Mittfünfziger, dessen schmales Gesicht durch den bereits nach hinten gewanderten Haaransatz wie in die Länge gezogen wirkte. Die lockigen Haare wiesen den gleichen Grauton auf wie der präzise gestutzte Schnauzbart. Burlington trug ein weinrotes Hemd, darüber eine beige Tweedweste und eine Anzughose im gleichen Farbton. Seine Füße steckten in karierten Hausschuhen, die zwar nicht zur übrigen Kleidung passten, aber zweifellos bequemer waren als auf das Gesamtbild abgestimmte Halbschuhe. »Zu Ihren Diensten. Und Sie sind bestimmt … Miss Moneypenny.«
»Maypeny«, korrigierte sie ihn. »Annabelle Maypeny.«
»Oh, verzeihen Sie.«
Sie lächelte ihn an und rückte die Nickelbrille zurecht. »Das stört mich nicht. Allerdings wäre ich heute sicher eine reiche Frau, wenn ich mein Leben lang für jede ›Miss Moneypenny‹ ein Pfund bekommen hätte. Ach, was rede ich? Ein Schilling wäre auch noch genug gewesen, um reich zu werden.«
Burlington nickte amüsiert. »Das kann ich mir vorstellen, Miss Maypeny«, stimmte er ihr zu und betonte den richtig ausgesprochenen Namen mit besonderem Nachdruck. »Was kann ich denn für Sie tun? Wenn ich mich nicht irre, hatten Sie am Telefon nichts Konkretes gesagt.«
»Richtig. Ich wollte nur Ihre Öffnungszeiten wissen und hören, ob Sie heute um halb elf Zeit haben«, sagte sie und legte das Bündel auf einen runden Tisch gleich neben Burlington. »Und zwar geht es um diese Vase.« Sie begann das Objekt aus den Decken zu wickeln. »Ich bin nicht mehr die Jüngste, wie unschwer zu erkennen ist, und ich möchte meiner Familie nicht allzu viel Arbeit machen, wenn ich mal nicht mehr bin.«
»Na, Sie haben aber ganz bestimmt noch viele Jahre vor sich, ehe es so weit ist, dass sich Ihre Erben um den Nachlass kümmern müssen«, meinte Burlington.
»Sagen Sie das nicht. Sie können jetzt noch quicklebendig neben mir stehen und trotzdem in zehn Minuten tot umfallen«, warnte sie ihn. »So etwas weiß man nie. Außerdem traue ich meinen Erben ehrlich gesagt nicht zu, dass sie zu schätzen wissen, welche Vermögenswerte ich ihnen hinterlasse. Meine Befürchtung ist, dass sie einen Entrümpelungsdienst kommen lassen, der alles wegschaffen soll, damit sie meine Wohnung übernehmen können.« Sie zuckte mit den Schultern. »Da verkaufe ich lieber jetzt, was ich habe, lasse es mir noch etwas besser gehen als üblich und beschenke ganz gezielt die Verwandten, die ich mag.«
»Eine vernünftige Einstellung«, sagte der Händler. »Da werden einige Leute aber dann ein dummes Gesicht machen, meinen Sie nicht auch?«
»Genau genommen werden sie ein noch dümmeres Gesicht machen«, antwortete Miss Maypeny und lächelte dabei verschmitzt. »Das dumme Gesicht haben sie nämlich schon von Geburt an.« Sie schlug die letzte Decke zur Seite, zum Vorschein kam eine bauchige Vase, die gut dreißig Zentimeter hoch war. Ein Mosaik in Türkis und Blau bildete den Hintergrund für einen Harlekinkopf, der so realistisch gemalt war, dass er dem Betrachter entgegenzuspringen schien. »Aber wenigstens ist das hier kein dummes Gesicht«, ergänzte sie und zeigte auf den Harlekin.
Burlington schüttelte ungläubig den Kopf. »Das ist eine venezianische Harlekinvase aus der Mitte des 19. Jahrhunderts«, murmelte er. »Die ist … Wissen Sie, dass die ein Vermögen wert ist?«
»Nun, sie ist zumindest mehr wert als die fünfzig Pfund, die mir dieser Betrüger daheim in Manchester geben wollte«, sagte Miss Maypeny. »Das ist ein Erbstück von meinem italienischen Urgroßvater, die Vase war immer in Familienbesitz. Daher habe ich keine Ahnung, ob sie ›nur‹ fünfhundert oder vielleicht sogar tausend Pfund wert ist. Aber ich bin nicht so naiv zu glauben, dass ein Händler nicht mehr als fünfzig Pfund dafür bezahlen kann, weil er selbst höchstens hundert Pfund verlangen kann.« Sie machte mit der Hand eine ausladende Geste. »Sie haben ja wenigstens richtige Antiquitäten, nicht diesen Trödel. Daheim in Manchester gibt es eine Handvoll von diesen Geschäften, aber da habe ich gleich wieder die Flucht ergriffen, weil einem dieser entsetzlich muffige Geruch schon einige Meter vor dem Eingang entgegenschlägt.«
Burlington nickte verständnisvoll. »Ja, ich weiß, das sind diese Trödler, die einfach alles ankaufen und in große Hallen stellen, die noch nie gelüftet worden sind und die auch nie gelüftet werden. Und dann lagern sie auch noch tonnenweise alte Zeitungen und Bücher. Das alles zieht Feuchtigkeit, und nach kurzer Zeit entsteht dieser Mief, der sich an und in allem festsetzt. Kaufen Sie da mal einen Schrank. Den können Sie monatelang lüften, den Geruch sind Sie dann immer noch nicht los. Von den Büchern will ich gar nicht erst reden. Da liegen manchmal wirklich kleine Schätze rum, aber wer will die kaufen, wenn er sie anschließend einschweißen muss, damit nicht die ganze Wohnung nach einem einzigen falsch aufbewahrten Buch mieft? Diese Räume hier sind klimatisiert, hier wird regelmäßig gelüftet. Da kann so etwas nicht vorkommen, wie Sie ja sicher schon gemerkt oder besser gerochen haben dürften.«
»O ja, das ist ein Unterschied wie Tag und Nacht.«
Er betrachtete wieder die Vase. »Wie sind Sie eigentlich auf mich aufmerksam geworden, wenn Sie aus Manchester stammen?«
»Einer meiner Neffen lebt hier in der Nähe«, erklärte sie. »Wir hatten telefoniert, dabei kam das Gespräch auf das, was bei mir daheim als Antiquitätenhandlung firmiert, und dabei erwähnte er Ihr Geschäft, und er sagte, er sei von Ihnen sehr gut beraten worden und könne Sie nur empfehlen. Er hat mich eben hier abgesetzt und holt mich wieder ab, wenn wir hier fertig sind.«
Burlington schaute erfreut drein. »Es geht halt nichts über zufriedene Kunden. Wir …«
Ein leiser Gong ertönte, dann folgte ein etwas lauterer, irgendwo setzte ein Glockenspiel ein. Burlington hielt den Finger hoch, um Annabelle Maypeny anzuzeigen, dass sie einen Moment warten solle. Gleichzeitig meldeten sich immer mehr Uhren im Verkaufsraum pünktlich zur halben Stunde, manche mit einem einzigen Glockenschlag, andere mit der Melodie des Big Ben, während wieder andere einen kurzen Marsch anstimmten. Nach einer halben Minute kehrte wieder Ruhe ein.
Miss Maypeny zog verdutzt die Augenbrauen hoch. »Das war wohl der Beweis, dass alle Ihre antiken Uhren immer noch auf die Minute genau gehen, wie?«, fragte sie und zwinkerte ihm zu.
Bevor er etwas erwidern konnte, ging die Tür auf, und ein Paketbote kam herein. »Morgen, Mr. Burlington. Hier kommt Ihr Paket.«
Burlington stutzte. »Ich habe doch gar nichts bestellt«, wandte er ein.
»Wenn Sie nichts bestellt haben, dann haben Sie offenbar eine Verehrerin, der Sie fünfzehn Pfund Zuschlag für minutengenaue Lieferung wert sind. Immerhin ist der Inhalt ja auch mit zusätzlich tausend Pfund versichert.«
Der Händler schüttelte den Kopf. »Minutengenaue Lieferung?«
»Ja. Zustellung heute zwischen 10.30 und 10.40 Uhr. Ich musste extra meine übliche Route ändern, um nicht zu früh und nicht zu spät zu sein.« Der Paketbote zuckte mit den Schultern und scherzte: »Im schlimmsten Fall ist da eine Bombe drin, und der Attentäter ist so rücksichtsvoll, nicht meinen Wagen in die Luft jagen zu wollen.«
»Das ist nicht witzig«, knurrte Burlington. »In der heutigen Zeit jedenfalls nicht.«
Der Bote verzog das Gesicht zu einem zerknirschten Ausdruck, der jedoch nicht so richtig zu überzeugen vermochte.
»Sie und Ihre Kollegen tun mir so leid«, warf Miss Maypeny ein, als wollte sie schnell das Thema wechseln.
»Leid? Wieso, Miss …?«
»Maypeny. Annabelle Maypeny«, erwiderte sie und erklärte: »Na ja, Sie werden den ganzen Tag mal hierhin, mal dorthin geschickt, Sie sind immer in Eile, und dann stellt sich wie jetzt heraus, dass der Absender auch noch Termindruck auf Sie ausübt, obwohl der Empfänger nicht mal weiß, dass etwas für ihn unterwegs ist. Da fragen Sie sich doch bestimmt, ob das nicht nur Schikane ist.«
Der Paketbote zuckte beiläufig mit den Schultern. »Ehrlich gesagt, solche Gedanken mache ich mir erst gar nicht. Das würde ohnehin zu nichts führen.« Er hielt Burlington ein Tablet hin, auf dem er ihn mit seinem Stift den Empfang bestätigen ließ. »Schönen Tag noch.« Dann verließ er die Antiquitätenhandlung.
Miss Maypeny deutete auf das Päckchen, das Burlington in der Hand hielt. »Ich nehme an, Sie wollen erst einmal herausfinden, was Ihnen da so Wichtiges geschickt worden ist.«
»Nein, nein«, wehrte er ab. »Bei mir kommt der Kunde an erster Stelle. Wenn diese Paketboten nicht wirklich so in Eile wären, wie sie es nun mal sind, müssten selbst die warten, bis ich mich Ihrem Anliegen gewidmet habe.«
Er ging hinter seinen Schreibtisch, tippte etwas in den Computer ein, dann zog er einen dicken Katalog aus dem Regal zu seiner Rechten und begann zu blättern. Zwischendurch warf er einen Blick auf die Vase, schüttelte wie in Gedanken den Kopf und suchte weiter.
»Haben Sie eigentlich auch Münzen?«, erkundigte sie sich. »Meine Enkelin sammelt nämlich Münzen, und ich überlege, ob wir einen Teil des Werts in Münzen tauschen können. Vielleicht können Sie mir ja ein wenig entgegenkommen.« Sie schaute sich suchend um. »Wenn Sie mir sagen, in welcher Vitrine ich die finden kann, dann würde ich sie mir schon einmal ansehen, während Sie noch das tun … was Sie da tun.«
»Die Münzen sind alle sicher im Tresor verstaut«, antwortete er beiläufig, da er vorrangig damit beschäftigt war, die Informationen zu sichten, die in dem dicken Katalog und im Internet aufgelistet waren.
Miss Maypeny ließ ihn gewähren und ging in die Ecke, in der Burlington alles zusammengetragen hatte, was es in seinem Geschäft an Möbeln und Accessoires aus Fernost zu kaufen gab. Über einer flachen, rot lackierten Kommode hing eine Auswahl Samuraischwerter, von denen sie das zuunterst aufgehängte aus seiner Halterung nahm. Sie betrachtete die makellose Klinge, indem sie sie gegen den Sonnenschein hielt, der durch ein Fenster hinter dem Schreibtisch in den Verkaufsraum fiel.
Burlington räusperte sich, was so klang, als müsste er ihr etwas Unerfreuliches zum Wert der Vase sagen. Etwas Unerfreuliches in dem Sinne, dass sie nicht mal die fünfzig Pfund wert war, die man ihr in Manchester geboten hatte.
»Sagen Sie, können Sie eigentlich nachweisen, dass diese Vase seit Generationen in Familienbesitz ist?«, fragte er schließlich.
»Warum fragen Sie? Gibt es ein Problem?«, wollte sie wissen.
Der Händler winkte ab. »Nein, das ist weiter kein Problem«, versicherte er ihr, klang aber nicht sehr überzeugend. »Erst einmal muss ich den Preis feststellen, und dann müssen Sie auch mit meinem Kaufangebot einverstanden sein, bevor wir uns mit dieser Frage befassen.«
»Ich hätte da einen anderen Vorschlag«, sagte Miss Maypeny.
»Einen anderen Vorschlag?«, fragte Burlington verwundert und wandte den Blick von seinem Monitor ab. Das Letzte, was er bewusst wahrnahm, war das Bild der älteren Frau, die mit einem Samuraischwert nach ihm ausholte. Er spürte, wie die kalte Klinge ihn berührte, dann folgte ein so brutaler Schmerz, dass Burlington das Bewusstsein verlor und auf seinem Stuhl in sich zusammensackte.
Miss Maypeny stand da, wartete ein paar Minuten, bis sie Gewissheit hatte, dass der Mann sich nicht mehr rührte. Sie hängte das Samuraischwert zurück an die Wand, wischte aber das Blut nicht ab. Dann nahm sie den Schlüsselbund, der vor Burlington auf dem Schreibtisch lag, ging nach vorn und schloss die Eingangstür ab. Sie kehrte zum Schreibtisch zurück, trat um ihn herum und ging vor dem alten schwarzen Tresor in die Hocke, der hundert Jahre oder älter zu sein schien und von den alten Möbelstücken umgeben auf den ersten Blick gar nicht auffiel. Der Tresorschlüssel am Bund war schnell gefunden, und genauso schnell hatte sie den Tresor geöffnet. Darin befanden sich mehrere Schmuckschachteln, außerdem zwei Ordner mit Münzen, aber die konnte sie nicht gebrauchen. Schließlich stieß sie auf ein etwas größeres Ledermäppchen. »Das dürfte es sein«, murmelte sie und zog den Reißverschluss auf. Ein Blick in die Mappe ließ ihre Augen aufleuchten. Sie steckte die Mappe in die Vase, wickelte diese wieder in die zahlreichen schützenden Decken ein und ging zur Tür. Dort drehte sie das »Geöffnet«-Schild um, damit es »Geschlossen« anzeigte, schloss nach dem Verlassen des Ladens die Tür hinter sich ab und warf den Schlüsselbund unter die Bank gleich daneben.
Die Katze auf der Bank hob träge den Kopf und sah Miss Maypeny mit zusammengekniffenen Augen an. »Du solltest heute besser ein paar Mäuse fangen, Schätzchen«, empfahl Miss Maypeny ihr. »So bald wird dir nämlich niemand einen vollen Fressnapf hinstellen.« Die Katze gab ein grimmiges Miauen von sich, wohl weil sie sich in ihrer Ruhe gestört fühlte, dann legte sie sich wieder auf die Bank und streckte sich genüsslich.
Mit der Vase im Arm und vorsichtigen Tippelschritten machte sich die ältere Frau dann wieder auf den Weg …
Erstes Kapitel, in dem Nathalie neue Bekanntschaften schließt und jemand eine grausige Entdeckung macht
»Heute Abend komme ich mit meiner Kamera her, und dann machen wir das Ganze noch mal, dann aber professionell«, sagte Bill Purvis, als er mit Nathalie zusammen vom Black Feather zum Parkplatz ging.
»Meinen Sie wirklich, dass das nötig ist?«, fragte sie. »Auf den Handyfotos sieht man doch ganz gut, um welche Möbelstücke es geht.«
»Genau da irren Sie sich, Miss Ames«, erwiderte der Mann und blieb stehen, um den Wagenschlüssel aus der Hosentasche zu ziehen. »Sie sehen das so, weil Sie diese Möbel kennen. Wenn Sie sich das Foto anschauen, dann sehen Sie in Wahrheit gar nicht das Foto, sondern Sie sehen vor Ihrem geistigen Auge das Bild von Ihrem Schrank, das Sie sich eingeprägt haben. Sie wissen, was auf dem Foto zu sehen ist. Jeder andere sieht nur das Foto, und das zeigt ein paar alte Möbel, die so keiner nehmen wird.«
Nathalie hob abwehrend die Hände. »Sie sind der Fachmann, Mr. Purvis.«
»Sagen wir … um sieben Uhr? Passt Ihnen das?«
»Ja, sieben Uhr klingt gut. Falls etwas dazwischenkommt, rufe ich Sie an«, versprach sie ihm und verabschiedete sich.
Purvis ging zu seinem knallroten Toyota-Pick-up und stieg ein. Nathalie wollte in den Pub zurückkehren, da bemerkte sie aus dem Augenwinkel, dass jemand auf sie zukam. Sie drehte sich um und sah Louise Cartham, ihre Köchin und rechte Hand für alles, was das Black Feather betraf – und noch mehr. Denn als ehemalige Agentin eines nach wie vor namenlosen Geheimdienstes – »es wäre ja kein Geheimdienst mehr, wenn ich Ihnen den Namen sagen würde«, so Louise – verfügte sie über die ungewöhnlichsten Kontakte. Dank dieser Kontakte und dank eines bemerkenswerten Archivs, das Nathalies Tante ihr zusammen mit der Kombination aus Pub, Café und Pension vermacht hatte, war es ihnen beiden in den letzten Monaten gelungen, gleich drei Verbrechen aufzuklären und die Täter zu überführen.
Die Verbrechensbekämpfung und -aufklärung fiel eigentlich in die Zuständigkeit von Constable Ronald Strutner, der von Louise jedoch als »trottelig« bezeichnet wurde. Nathalies Tante hatte an dem Mann aber einen Narren gefressen und ihn bei seiner Polizeiarbeit tatkräftig unterstützt, um zu verhindern, dass er versetzt wurde, sobald einer seiner Vorgesetzten merkte, wie miserabel seine Aufklärungsquote war. Allerdings wurde Nathalie den Verdacht nicht los, dass Strutner gar nicht so begriffsstutzig war, sondern bloß so tat, weil er gemerkt hatte, dass ihre Tante ihm zur Seite stand. Nathalie hatte zwar in dieser Hinsicht die Nachfolge ihrer Tante angetreten, aber langfristig wollte sie schon versuchen, Strutner ein wenig mehr in Richtung Selbständigkeit zu lenken. Es würde sich dann ja zeigen, ob sie mit ihrer Vermutung richtiglag.
»Louise, was schauen Sie so grimmig drein?«, fragte Nathalie, als die Köchin vor ihr stehen blieb. »Ist Ihnen eine Laus über die Leber gelaufen?«
»Kann man so sagen«, antwortete Louise und zog das schwarze T-Shirt mit dem martialischen Iron-Maiden-Motiv darauf gerade. Verrutscht war es durch ihre Schultertasche, die sie jetzt neben sich abgestellt hatte. Der flotte Kurzhaarschnitt machte Louise trotz ihrer grauen Haare um viele Jahre jünger, und das T-Shirt in Kombination mit einer roten Lederhose ließen jede Schätzung noch mal um zehn Jahre nach unten gehen. »Gollaston ist nicht aufgetaucht.«
»Wahrscheinlich hat ihm Ihre Rockerbraut-Aufmachung Angst gemacht«, gab Nathalie grinsend zurück. »Aber ist elf Uhr morgens nicht sowieso etwas sehr früh für ein Date?«
»Für einen Brunch wäre elf Uhr morgens die perfekte Zeit. Aber ich hatte kein Date mit ihm.«
»Sondern?«, fragte Nathalie.
»Gollaston ist Jimmy Gollaston. Der Kartoffelbauer«, führte Louise geduldig aus. »Er kommt immer dienstags auf den Marktplatz, um Kartoffeln zu verkaufen.«
»Ach ja, stimmt. Dienstags, wenn kein Markt ist«, sagte sie nachdenklich. »Ich habe immer noch nicht verstanden, warum er nicht am eigentlichen Markttag kommt, so wie alle anderen Händler auch.«
Louise rieb sich den Nacken, ächzte leise und nahm die Sonnenbrille wieder runter, die sie nach oben in ihre Haare geschoben hatte. »Weil er am Markttag Standgebühren bezahlen muss, an den anderen Tagen aber nicht. Sie wissen schon, der Fehler in der Gemeindeordnung, auf den er aufmerksam geworden ist.«
»Hat man den Schreibfehler denn nicht inzwischen korrigiert?«, wunderte sich Nathalie.
»Ja, aber Gollaston genießt eine Art Bestandsschutz.« Louise verzog den Mund. »Sowenig das den anderen Händlern gefällt, darf Gollaston an jedem Tag außer am Markttag seine Kartoffeln verkaufen. Nur ausgerechnet heute war er nicht da, obwohl er mir versprochen hatte, diese neue Sorte mitzubringen … also eigentlich eine alte Sorte.«
»Eine alte Sorte?«, wiederholte Nathalie irritiert. »Er verkauft doch keine alte Ware, oder …?«
Louise sah sie erstaunt an. »Natürlich nicht. Es geht um alte Sorten, die vor fünfzig oder hundert Jahren angebaut wurden und die dann durch neue Sorten verdrängt wurden, weil die beispielsweise robuster oder pflegeleichter sind. Das gibt es bei allen möglichen Obst- und Gemüsesorten, vor allem bei Äpfeln. Da werden heimische Sorten von den importierten verdrängt, und nach einer Weile geraten die alten Sorten in Vergessenheit. Haben Sie denn davon wirklich noch nie etwas gehört?«
»Vergessen Sie nicht, ich habe bis vor ein paar Monaten in der Stadt gelebt«, betonte Nathalie. »Da wird regelmäßig alles verdrängt, was von gestern ist. Wer soll da noch etwas von hundert Jahre alten Kartoffelsorten wissen?«
»Das hatte ich tatsächlich schon vergessen.« Sie klopfte Nathalie auf die Schulter. »Da sehen Sie doch mal, wie gut Sie sich schon hier eingelebt haben. So gut, dass mir gar nicht mehr auffällt, dass Sie bis vor Kurzem noch ein Stadtmensch waren.« Louise betrachtete sie voller Stolz. »Sie haben sich wirklich gemacht.«
Ein Hupen ließ sie beide aufhorchen, und als sie sich in Richtung Parkplatz umdrehten, sahen sie, wie Purvis ihnen beim Wegfahren zuwinkte. Nachdem sie beide sekundenlang überlegt hatten, das Thema anzuschneiden, sagte schließlich Louise: »Reden wir doch zur Abwechslung mal nicht von meinem geplatzten Date, sondern von Ihren stattfindenden Dates, die sich offenbar immer dann abspielen, wenn ich das Haus verlasse. Vor Kurzem noch Rob Dinkmore, der das Black Feather restaurieren sollte, und heute Bill Purvis, der mit Gebrauchtmöbeln handelt. Was läuft da wirklich, Miss Ames?«, fragte sie und schlug zum Spaß einen herrischen Tonfall an. »Sie verheimlichen mir doch etwas.«
»Ach, das war alles ganz spontan«, erklärte sie und deutete auf einen freien Tisch auf der Terrasse. »Setzen wir uns doch.« Nachdem sie beide Platz genommen hatten, begann Nathalie zu erzählen: »Purvis kam heute Morgen ins Café, um sich seine Thermoskanne mit Kaffee füllen zu lassen, so wie sonst auch. Allerdings hatte ich gestern Abend noch einen Anruf erhalten …«
»Von wem?«, warf Louise ein.
»Jetzt warten Sie doch, Louise«, bettelte Nathalie und musste lachen. »Sie haben immer die tollen Geschichten aus Ihrer Zeit als … als Staatsdienerin … oder als mutmaßliche Staatsdienerin, so genau weiß ich das noch immer nicht … egal, auf jeden Fall will ich auch mal ein bisschen Spannung in das bringen, was ich zu berichten habe.«
Die ältere Frau nickte lächelnd. »Da haben Sie recht. Ich werde Sie nicht noch mal unterbrechen.«
»Danke. Also, dieser Anruf gestern Abend hat mich die halbe Nacht wachliegen lassen, und als ich heute Morgen Purvis hereinkommen sah, dachte ich mir, ich frage ihn einfach mal.«
Sie hielt inne und betrachtete Louise, die vornübergebeugt auf ihrem Stuhl saß und es nicht erwarten konnte, endlich die ganze Geschichte zu erfahren.
»Ich wollte von ihm wissen, ob die Möbel meiner Tante noch irgendetwas wert sind oder ob man sie nur rausschaffen und zur Deponie fahren sollte.«
»Die Möbel Ihrer Tante? Sie wollen …?«
»Louise!«, warf sie gedehnt ein.
»Ich habe nichts gesagt, keinen Laut habe ich von mir gegeben«, flüsterte sie hastig.