Teufelsträume: Englische und amerikanische Gespenster-Geschichten - H. P. Lovecraft - E-Book

Teufelsträume: Englische und amerikanische Gespenster-Geschichten E-Book

H. P. Lovecraft

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Beschreibung

Ein Spektrum bekannter und weniger bekannter Gespenster- und Horrorgeschichten aus England und Amerika, von viktorianischen Autoren bis zum Mythen-Universum des H. P. Lovecraft. Klassiker der Phantastik und Entdeckungen, die den berühmten Vertretern um nichts nachstehen. Übernatürliche Erscheinungen verschiedenster Provenienz treiben ihr Unwesen, von herkömmlichen Gespenstern und Vampiren bis zu unsichtbaren Geschöpfen und Wesen undefinierbarer Art, ja bis zum Teufel selbst. Fürchterlich und grauenerregend ist ihr Treiben, aber manchmal sind sie bemitleidenswert und selbst Opfer. Die Vielfalt des phantastischen Genres, seiner Motive und Gestalten, wird in dieser knappen Auswahl deutlich.

Die Anthologie Teufelsträume – zusammengestellt und herausgegeben von Franz Rottensteiner – enthält 14 Horror-Erzählungen u. a. von Edgar Allan Poe, Howard Phillips Lovecraft, Washington Irving, F. Marion Crawford und Henry S. Whitehead.

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FRANZ ROTTENSTEINER (Hrsg.)

 

TEUFELSTRÄUME

Englische und amerikanische Gespenstergeschichten

 

 

 

 

Erzählungen

 

 

 

 

 

Edition Bärenklau

Impressum

 

© dieser Ausgabe 2023 by Authors/Edition Bärenklau.

Lektorat/Korrektorat: Christian Dörge.

Cover © by Christian Dörge.

Aus dem Englischen und Amerikanischen übersetzt von Karl Satmary, Gustav Meyrnik und Christian Dörge.

Verlag: Edition Bärenklau. Jörg Martin Munsonius, Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau. 

www.editionbarenklau.de

[email protected]

Alle Rechte vorbehalten!

 

Inhaltsverzeichnis

Impressum 

Das Buch 

Der Herausgeber 

E. F. Benson: NEGOTIUM PERAMBULANS 

Amelia B. Edwards: DER SCHNELLZUG UM VIER UHR FÜNFZEHN 

Rudyard Kipling: IMRAYS RÜCKKEHR 

Mrs. J. H. Riddell: DIE VORAHNUNG 

Washington Irving: DAS ABENTEUER EINES DEUTSCHEN STUDENTEN 

Nathaniel Hawthorne: DER JUNGE GOODMAN BROWN 

Fitz-James O'Brien: DAS VERSCHWUNDENE ZIMMER 

Edgar Allan Poe: LIGEIA  

Ambrose Bierce: DIE MITTELZEHE DES RECHTEN FUSSES 

F. Marion Crawford: DENN DAS BLUT IST DAS LEBEN 

Mary E. Wilkins-Freeman: KLEINES, SUCHENDES GESPENST 

Henry S. Whitehead: DER OFFENE KAMIN  

H. P. Lovecraft: DAS VERSCHWINDEN DES JUAN ROMERO 

H. P. Lovecraft: AZATHOTH (FRAGMENT) 

 

Das Buch

 

 

 

Ein Spektrum bekannter und weniger bekannter Gespenster- und Horrorgeschichten aus England und Amerika, von viktorianischen Autoren bis zum Mythen-Universum des H. P. Lovecraft. Klassiker der Phantastik und Entdeckungen, die den berühmten Vertretern um nichts nachstehen. Übernatürliche Erscheinungen verschiedenster Provenienz treiben ihr Unwesen, von herkömmlichen Gespenstern und Vampiren bis zu unsichtbaren Geschöpfen und Wesen undefinierbarer Art, ja bis zum Teufel selbst. Fürchterlich und grauenerregend ist ihr Treiben, aber manchmal sind sie bemitleidenswert und selbst Opfer. Die Vielfalt des phantastischen Genres, seiner Motive und Gestalten, wird in dieser knappen Auswahl deutlich.

 

Die Anthologie Teufelsträume – zusammengestellt und herausgegeben von Franz Rottensteiner – enthält 14 Horror-Erzählungen u. a. von Edgar Allan Poe, Howard Phillips Lovecraft, Washington Irving, F. Marion Crawford und Henry S. Whitehead.

 

 

***

 

 

Der Herausgeber

 

 

Franz Rottensteiner, Jahrgang 1942.

 

Franz Rottensteiner (* 18. Januar 1942 in Waidmannsfeld, Niederösterreich) ist ein österreichischer Publizist und Kritiker auf dem Gebiet der Science-Fiction und der Phantastik.

Rottensteiner studierte Publizistik, Anglistik und Geschichte an der Universität Wien und promovierte 1969. Nach einem dreiviertel Jahr im Bundesheer war er rund 15 Jahre als Bibliothekar und Redakteur am Österreichischen Institut für Bauforschung in Wien tätig. Daneben betreute er die Edition verschiedener phantastischer Buchreihen. In der Buchreihe Phantastische Wirklichkeit – Science Fiction der Welt im Insel-Verlag publizierte er von 1971 bis 1975 Autoren wie Herbert W. Franke, Stanislaw Lem, Philip K. Dick, Kobo Abe, Cordwainer Smith, Brian W. Aldiss und Arkadi und Boris Strugazki, oft erstmals in deutscher Sprache. 

1973 publizierte er in New York eine Anthologie mit europäischer Science Fiction unter dem Titel View From Another Shore, mit der dem US-amerikanischen Leser Autoren wie Stanislaw Lem, Josef Nesvadba, Gérard Klein oder Jean-Pierre Andrevon erstmals vorgestellt wurden; diese Zusammenstellung erschien auf Deutsch als Blick vom anderen Ufer (1977) 

Im Paul-Zsolnay-Verlag startete 1975 die Buchreihe Die phantastischen Romane, um Autoren wie Leo Perutz und Alexander Lernet-Holenia eine Wiederveröffentlichungsmöglichkeit zu bieten; Rottensteiner betreute diese Reihe bis 1982 und publizierte 27 Bände, darunter neben den genannten Autoren Nachdrucke von Anatole France, Karel Čapek, Paul Busson und Otto F. Beer, aber auch Erstveröffentlichungen von Max Ehrlich, Guy Endore oder Peter Straub. Die achtzehnbändige H.-G.-Wells-Edition bei Zsolnay wurde ebenfalls von ihm betreut; von 1979 bis 1985 machte er in dieser Edition sechs bislang unübersetzte Romane des berühmten Briten zugänglich. 

1980 bis 1998 betreute er als Berater die Phantastische Bibliothek im Suhrkamp-Verlag, die es auf rund dreihundertsechzig Taschenbücher brachte. Er ist Herausgeber von rund 50 Anthologien, verfasste zwei Bildbände, The Science Fiction Book (1975) und The Fantasy Book (1978) und arbeitete an zahlreichen Lexika der Science-Fiction und Fantasy mit. 1973 bis 1986 gab er die Buchreihe Polaris heraus, die in zehn Folgen phantastische Texte und Sekundärliteratur versammelte, und 1978 bis 1982 Sammlungen mit Gespenstergeschichten aus Polen, Österreich, England, Nordamerika und der Südsee. Von 1989 bis 1997 war er zusammen mit Michael Koseler Herausgeber des als Loseblattwerkausgabe erscheinenden Werkführer durch die utopisch-phantastische Literatur. 

Ein intensiver, 1969 einsetzender Briefwechsel mit dem damals noch weithin unbekannten Stanislaw Lem führte zu einer langjährigen Freundschaft; Rottensteiner war in der Folge Lems literarischer Agent (außer für Deutschland) bis zum Jahre 1995, als der polnische Autor seinen Agenten verklagte (und den Prozess verlor).

Rottensteiner ist seit 1963 Herausgeber der Literaturzeitschrift Quarber Merkur, dem im deutschsprachigen Raum führenden Periodikum für die kritische und theoretische Auseinandersetzung mit der phantastischen Literatur. Bereits 1993 erhielt er dafür den Deutschen Fantasy-Preis. Anlässlich des Erscheinens der 100. Nummer wurde er 2004 mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet. 

E. F. Benson: NEGOTIUM PERAMBULANS

(Negotium Perambulans) 

 

 

Der Reisende, den es ins westliche Cornwall verschlägt, bemerkt vielleicht, wenn er sich mühsam über die leere Hochebene zwischen Penzance und Land's End dahinbewegt, einen morschen Wegweiser, der einen steilen Hang hinunterdeutet und auf dem verwitterten Richtungspfeil die verblasste Inschrift Polearn zwei Meilen trägt; aber wohl nur wenige werden so neugierig sein, diese zwei Meilen zurückzulegen, um sich einen Ort anzusehen, dem der Reiseführer nur flüchtige Aufmerksamkeit schenkt. In einigen dürren Zeilen ist dort ein kleines Fischerdorf beschrieben, das eine Kirche ohne besondere Sehenswürdigkeiten aufweist, von einigen geschnitzten und bemalten Holztafeln (die ursprünglich zu einem älteren Gebäude gehört hatten) auf einem Flügelaltar abgesehen. Die Kirche von St. Creed (darauf wird der Tourist hingewiesen) besitzt jedoch einen ähnlichen Schmuck, der viel besser erhalten und weitaus interessanter ist, so dass selbst der an Kirchenkunst Interessierte davon kaum nach Polearn gelockt wird. Ein derart dürftiger Köder lohnt kaum das Verschlucken, und ein Blick auf den überaus steilen Hang, der bei trockenem Wetter einem Teppich kantiger Steine und nach einem Regen einen schmutzigen Wasserlauf bildet, wird ihn mit Sicherheit davon abhalten, sein Motorrad oder sein Fahrrad in einer so spärlich bevölkerten Gegend derartigen Wagnissen auszusetzen. Seit dem Verlassen von Penzance hat das Auge kaum ein Haus erblickt, und das durchaus mögliche Dahinschleppen eines Fahrrades mit geplatzten Reifen ist wohl ein zu hoher Preis für den Anblick einiger bemalter Paneele. 

Polearn hat daher selbst am Höhepunkt der Urlaubszeit schwerlich eine Invasion zu befürchten, und ich glaube kaum, dass im übrigen Teil des Jahres mehr als ein paar Leute pro Tag diese zwei Meilen (und dazu noch solche, die sich sehr ziehen) steiler und steiniger Steigung hinter sich bringen. In dieser dürftigen Schätzung schon berücksichtigt ist der Postbote, denn nur an wenigen Tagen marschiert er, Pony und Wagen auf dem Hügel zurücklassend, bis ins Dorf hinunter. Nur ein paar hundert Meter den Hang hinunter steht nämlich neben der Straße ein großer weißgestrichener Kasten, einer Seemannskiste ähnlich, mit einem Schlitz für den Einwurf der Briefe und einer versperrten Tür. Sollte er in der Posttasche einen Einschreibebrief mit sich führen oder ein Paket bei sich tragen, das zu groß ist, als dass es sich durch die quadratischen Lippen der Seemannskiste einwerfen ließe, muss er sich notgedrungen zu Fuß den Hügel hinunterschleppen und die Umstände bereitende Botschaft zustellen, das heißt, dem Empfänger persönlich übergeben. Dafür gibt es dann, als Dank für seine Mühe, ein kleines Trinkgeld, sei es in Form von Geld oder einer Erfrischung. Aber solche Anlässe sind selten, und seine Pflicht besteht üblicherweise darin, dem Kasten die eingeworfenen Briefe zu entnehmen und an ihre Stelle die mitgebrachten Briefe hineinzutun. Diese werden dann am nächsten oder übernächsten Tag von einem Boten des Postamts Polearn abgeholt.

Was nun die Fischer des Ortes angeht, deren Ausfuhrhandel die hauptsächliche Verkehrsverbindung zwischen Polearn und der Außenwelt bildet, so würde es ihnen nicht im Traum einfallen, ihren Fang den steilen Hang hinauf und dann auf einem noch sechs Meilen längeren Transportweg nach Penzance zu befördern. Der Seeweg ist weitaus kürzer und bequemer, und sie liefern ihre Waren direkt an die Hafendämme. Daher bekommt man in Polearn keine Fische, obwohl der Fischfang dort das einzige Gewerbe ist, es sei denn, man habe zuvor seine Wünsche einem der Fischer mitgeteilt. Die Fischkutter kommen so leer zurück wie ein Haus, in dem es spukt, denn ihre Beute befindet sich im Fischzug nach London.

Diese Abgeschiedenheit des Gemeinwesens hat im Verlauf der Jahrhunderte auch zu einer Abgeschiedenheit des einzelnen geführt, und nirgendwo sonst findet man eine größere Unabhängigkeit des Charakters als unter der Bevölkerung von Polearn. Sie ist aber, so ist es mir immer vorgekommen, durch ein mysteriöses Verständnis miteinander verbunden: es ist, als seien die Menschen alle in einen uralten Ritus eingeweiht, der durch sichtbare und unsichtbare Kräfte ausgelöst und zusammengehalten wird. Die Winterstürme, die die Küste hart in Mitleidenschaft ziehen, der Reiz des Frühlings, die heißen, stillen Sommer, die Zeit der Regen und des herbstlichen Verfalls, sie alle bilden einen Zauberspruch, der sich ihnen, Zeile für Zeile, mitgeteilt hat. Daraus haben sie alles über die Kräfte erfahren, böse wie gute, die die Welt regieren

 

Ich kam zum ersten Mal als Zehnjähriger nach Polearn, als kleiner Bub, schwach und kränklich, angegriffen von einem Lungenleiden. Mein Vater war durch Geschäfte in London festgehalten, für mich aber waren ein reichliches Angebot an frischer Luft und ein mildes Klima unbedingte Notwendigkeit, sollte ich zum Manne heranwachsen. Die Schwester meines Vaters hatte den Vikar von Polearn, Richard Bolitho, geheiratet, der selbst aus dem Orte stammte, und so kam es, dass ich drei Jahre als zahlender Gast bei meinen Verwandten verbrachte.

Richard Bolitho besaß in dem Ort ein sehr schönes Haus, und er zog es vor, lieber dort zu wohnen als im Pfarrhaus, das er an John Evans vermietet hatte, einen jungen Maler, der dem Zauber Polearns verfallen war, denn von Jahresanfang bis Jahresende ging er nie daraus fort. Für mich wurde im Garten ein fester überdachter Unterschlupf errichtet, der auf einer Seite ins Freie offen war, und dort lebte und schlief ich und verbrachte kaum eine Stunde von vierundzwanzig hinter Wänden und Fenstern. Ich war mit den Fischersleuten draußen in der Bucht oder wanderte die stechginsterbewachsenen Klippen entlang, die rechts und links des steilen Weges aus dem tiefen Talkessel anstiegen, in dem das Dorf lag, trieb mich auf der Mole herum oder suchte mit den Jungen des Dorfes nach Vogelnestern. Von den Sonntagen und den paar Stunden Unterricht täglich abgesehen, konnte ich tun und lassen, was ich wollte, solange ich mich nur im Freien aufhielt. Diese Stunden hatten gar nichts Fürchterliches an sich; mein Onkel führte mich auf blumenbestandenen Seitenpfaden durch das Dickicht der Arithmetik und unternahm angenehme Ausflüge in die Elemente der lateinischen Grammatik. Vor allem aber musste ich ihm, in klaren und grammatikalischen Sätzen, täglich berichten, womit ich mich in Gedanken beschäftigte und was ich gemacht hatte. Entschloss ich mich etwa dazu, ihm von einem Gang entlang der Klippen zu erzählen, so musste meine Rede wohlgeordnet sein; keinesfalls duldete er vage, schlampige Bemerkungen über das Gesehene. Auf diese Weise bildete er auch meine Beobachtungsgabe aus, denn er wies mich etwa an, ihm zu sagen, welche Blumen gerade blühten und welche Vögel fischend über dem Meer dahinflitzten oder im Gebüsch ihre Nester bauten. Dafür bin ich ihm ewig zu Dank verpflichtet, denn es wurde zu meinem Beruf, meine Gedanken im klaren gesprochenen Wort festzuhalten und auszusprechen.

Weitaus fürchterlicher als die Wochentagsaufgaben war die vorgeschriebene regelmäßige Sonntagsbeschäftigung. Einige dunkelglühende Kohlen aus Kalvinismus und Mystizismus schwelten in der Seele meines Onkels und machten den Sonntag zu einem Schreckenstag. Die Morgenpredigt verbrannte uns mit dem Vorgeschmack des ewigen Feuers, das auf die Sünder wartete, die nicht bereuen wollten, und bei der Kinderandacht am Nachmittag war er kaum weniger fürchterlich. Nie werde ich vergessen, wie er die fromme Vorstellung vom Schutzengel vortrug. Ein Kind, sagte er, durfte sich unter solch engelhaftem Schutz sicher fühlen, aber es sollte sich hüten, eines jener unzähligen Vergehen zu begehen, die seinen Schutzengel veranlassen könnten, das Gesicht von ihm abzuwenden, denn so gewiss wie es Engel gebe, die uns beschützten, gebe es auch böse und fürchterliche Wesen, die nur darauf lauerten, sich auf uns zu stürzen, und bei diesen Wesen verweilte er mit besonderer Begeisterung. Nie werde ich bei der Morgenandacht auch die geschnitzten Täfelungen auf dem Flügelaltar vergessen, die ich bereits erwähnt habe. Dort gab es den Engel der Verkündigung und den Engel der Auferstehung, aber es fehlte auch nicht die Hexe von Endor, und auf der vierten Tafel gab es eine Darstellung, die mich am meisten beeindruckte.

Diese vierte Tafel (er stieg von der Kanzel herunter, um den von der Zeit abgenützten Einzelheiten nachzufahren) stellte den Eingang der Kapelle des Friedhofs von Polearn dar, und die Ähnlichkeit war in der Tat frappant, wenn man auf sie aufmerksam gemacht wurde. Beim Eingang stand die Gestalt eines Priesters im Talar, der ein Kreuz hochhielt, mit dem er einem schrecklichen Wesen entgegentrat, das einer Schnecke ähnelte und sich vor ihm aufrichtete. Das war, so die Auslegung meines Onkels, ein böses Wesen, eines von jenen, von denen er uns Kindern erzählt hatte, ein Geschöpf von nahezu grenzenloser Bösartigkeit und Macht, das nur von festem Glauben und mit einem reinen Herzen bekämpft werden könne. Darunter befand sich die Aufschrift Negotium perambulans in tenebris aus dem 91. Psalm. Eine Übersetzung an dieser Stelle lautet etwa, »die Pestilenz, die in der Dunkelheit umgeht«, was aber nur ein schwacher Abklatsch des lateinischen Originals ist. Sie war für die Seele weit tödlicher als jede Pestilenz, die nur den Körper tötet: es war das Ding, das Wesen, die Kraft, die in der äußeren Finsternis ihr Wesen treibt, ein Werkzeug des Zorns Gottes auf die Ungerechten. 

Während seiner Rede konnte ich die Blicke sehen, die die Gemeinde untereinander austauschte und wusste, dass seine Worte einen Argwohn, eine Erinnerung auslösten. Kopfnicken und Geflüster wurden unter ihnen gewechselt, sie verstanden, worauf er anspielte. Mit der Wissbegier, die der Jugend eignet, ließ es mir keine Ruhe mehr, bis ich meinen Freunden unter den Fischerssöhnen die Geschichte entlockt hatte, als wir uns am nächsten Morgen nach dem Bade nackt in der Sonne räkelten. Der eine kannte einen Zipfel davon, der andere einen anderen, und insgesamt fügte es sich zu einer wahrhaft bestürzenden Legende zusammen. Die bloßen Umrisse sehen etwa so aus:

Eine weit ältere Kirche als die, in der uns mein Onkel jeden Sonntag einen Schrecken einjagte, hatte einst keine dreihundert Meter entfernt gestanden, auf einer Stelle ebenen Bodens unterhalb des Steinbruchs, aus dem ihre Steine gehauen worden waren. Der Grundbesitzer hatte sie niederreißen lassen und sich an derselben Stelle aus demselben Baustoff ein Haus gebaut, wobei er lediglich, in einer buchstäblichen Ekstase des Bösen, den Altar stehen ließ, und den benutzte er später als Festtafel und zum Würfelspiel. Mit zunehmendem Alter ergriff ihn jedoch eine düstere Melancholie, und er ließ die ganze Nacht die Lichter brennen, denn er hatte eine panische Furcht vor der Dunkelheit.

Eines Winterabends erhob sich ein Sturm, wie man ihn zuvor nie erlebt hatte, der die Fenster in dem Raum eindrückte, wo er zu Abend gegessen hatte, und die Lampen auslöschte. Entsetzensschreie riefen die Diener herbei, die ihn auf dem Boden liegend vorfanden. Das Blut strömte ihm aus der Kehle. Als sie eintraten, schien sich ein riesiger schwarzer Schatten von ihm zu entfernen, kroch über den Fußboden, die Wand hinauf und beim zerbrochenen Fenster hinaus.

»Da lag er im Sterben«, sagte der letzte meiner Informanten, »und dieser große, stämmige Mann war zu einem bloßen Bündel Haut zusammengeschrumpft, denn das Wesen hatte ihm das Blut ausgesaugt. Sein letzter Atemzug bestand aus einem Schrei, und er stieß dieselben Worte hervor, die der Pfarrer von der Wandtafel abgelesen hat.«

»Negotium perambulans in tenebris«, ergänzte ich eifrig.

»So etwa. Jedenfalls was Lateinisches.«

»Und danach?«, fragte ich.

»Niemand wollte sich mehr der Stelle nähern, und das alte Haus verfiel und wurde zu einer Ruine, bis vor drei Jahren Mr. Dooliss aus Penzance hierherkam und die eine Hälfte wieder aufbaute. Aber der hält nicht viel von solchen Wesen und auch nichts von Latein. Er verputzt jeden Tag eine Flasche Whisky und ist bis zum Abend besoffen wie ein Kutscher. Eh, ich muss zum Abendessen heim.«

 

Welchen Wahrheitsgehalt auch immer die Legende haben mochte, so hatte ich gewiss die Wahrheit über Mr. Dooliss aus Penzance gehört, der von diesem Tag an zum Objekt meiner unbändigen Neugier wurde, umso mehr, als das Haus im Steinbruch an den Garten meines Onkels angrenzte. Das Ding, das im Dunkeln umging, beflügelte keineswegs meine Phantasie, und auf alle Fälle hatte ich mich bereits daran gewöhnt, in meinem Unterschlupf zu schlafen, so dass die Nacht keinen Schrecken für mich barg. Es war jedoch ungeheuer aufregend, zu irgendeiner zeitlosen Stunde aufzuwachen, Mr. Dooliss schreien zu hören und sich vorzustellen, dass ihn das Ding erwischt hätte.

Allmählich jedoch verblasste die ganze Geschichte in meinem Gedächtnis, überlagert von den lebhafteren wechselnden Interessen des täglichen Lebens, und während der letzten zwei Jahre meines Lebens im Freien im Pfarrgarten dachte ich nur selten an Mr. Dooliss und das mögliche Geschick, das ihn für seine Verwegenheit erwarten mochte, die darin bestand, dass er an einem Ort lebte, wo das Ding aus der Finsternis in Aktion getreten war. Ab und zu erblickte ich ihn über dem Gartenzaun, ein großer gelber Klotz von einem Mann mit langsamem und wankendem Gang, aber niemals warf ich außerhalb seiner Gartentür einen Blick auf ihn, weder in den Dorfgassen noch drunten am Strand. Er mischte sich bei niemandem ein, und niemand anderer mischte sich in seine Angelegenheiten. Wenn er sich der Gefahr aussetzen wollte, zur Beute des legendären nächtlichen Ungeheuers zu werden oder sich ruhig zu Tode zu trinken, so war das seine Sache. Mein Onkel, so vermutete ich, hatte mehrmals versucht, ihn zu besuchen, als er sich zuerst in Polearn niederließ, aber es schien, dass Mr. Dooliss für Pfarrer nichts übrig hatte, denn er ließ ausrichten, dass er nicht daheim sei, und machte auch nie einen Gegenbesuch.

Nach drei Jahren voll Sonne, Wind und Regen hatte ich die früheren Krankheitssymptome völlig überwunden und war zu einem tüchtigen, großen und strammen Jüngling von dreizehn Jahren geworden. Man schickte mich nach Eton und Cambridge, ich büffelte, wie es sich gehört, und wurde Rechtsanwalt. Nach zwanzig Jahren hatte ich ein fünfstelliges Jahreseinkommen und hatte mir bereits, in sicheren Wertpapieren, eine Summe zur Seite gelegt, die mir Dividenden abwarf, die einem Mann meines einfachen Lebenswandels und meiner Sparsamkeit all die materiellen Bequemlichkeiten sicherten, die ich auf dieser Seite des Grabes benötigte. Die großen Preise meiner Berufslaufbahn lagen bereits in Griffweite, aber ich hatte keinen Ehrgeiz, der mich weiter verlockt hätte, noch sehnte ich mich nach Frau und Kind, da ich, wie ich glauben muss, von Natur aus zölibatär war.

In der Tat hatte es in all diesen geschäftigen Jahren nur einen Ehrgeiz gegeben, der mich mit blauen und fernen Hügelkuppen lockte, und das war die Rückkehr nach Polearn und das neuerliche Leben in Abgeschiedenheit von der Welt, mit dem Meer und den stechginsterbewachsenen Hügeln als Spielgefährten, und die Geheimnisse, die hier ihrer Erforschung harrten. Sein Zauber hatte sich um mein Herz gelegt, und ich kann ehrlich sagen, dass in all diesen Jahren kaum ein Tag verging, an dem mir der Gedanke daran und die Sehnsucht danach nicht in den Sinn gekommen wäre. Obwohl ich, solange mein Onkel noch lebte, häufig mit ihm in Verbindung gestanden hatte und nach seinem Tode auch mit seiner Witwe, die noch immer dort wohnte, war ich seit Anfang meiner Berufslaufbahn nie mehr in Polearn gewesen, denn ich wusste, dass es, begäbe ich mich dorthin, über meine Kraft ginge, mich wieder von dort loszureißen. Ich war aber fest entschlossen, für immer dorthin zurückzukehren, sobald ich meine eigene Unabhängigkeit gesichert hätte. Und doch habe ich es wieder verlassen, und nichts in der Welt könnte mich nochmals dazu bringen, den Hang von der Straße aus hinunterzugehen, die von Penzance nach Land's End führt, und die Seiten des Talkessels zu sehen, der sich steil über die Dächer des Dorfes erhebt, und die Möwen krächzen zu hören, wie sie in der Bucht fischen. Eines von jenen unsichtbaren Dingen, eine von jenen dunklen Mächten stürzte sich hinein ins Licht, und ich erblickte es mit eigenen Augen.

Das Haus, in dem ich diese drei Jugendjahre verbracht hatte, stand meiner Tante testamentarisch auf Lebenszeit zur Verfügung, und als ich ihr mitteilte, dass ich vorhatte, nach Polearn zurückzukehren, schlug sie mir vor, dass ich bei ihr wohnen sollte, bis ich ein geeignetes Haus gefunden hätte oder ihren Vorschlag nicht mehr annehmen könne.

»Das Haus ist für eine einsame alte Frau zu groß«, schrieb sie, »und ich habe oft daran gedacht, es aufzugeben und mir ein Häuschen zu nehmen, das für mich und meine Bedürfnisse ausreicht. Aber komme nur und teile es mir mit, mein Lieber, wenn du das Leben bei mir zu anstrengend findest, kannst du ausziehen oder ich. Du suchst die Einsamkeit die meisten Menschen in Polearn suchen sie und wirst mich verlassen. Oder ich werde dich verlassen: einer der Gründe, warum ich es hier die ganze Zeit ausgehalten habe, war das Gefühl, dass ich das alte Haus nicht hungern lassen dürfe. Häuser hungern, musst du wissen, wenn sie nicht bewohnt werden. Sie sterben einen schleichenden Tod; ihr Geist wird schwächer und schwächer und vergeht schließlich. Erscheint das deinem Londoner Gemüt nicht als Unsinn?«

Natürlich nahm ich dieses vorläufige Angebot mit Wärme an, und eines Juni-Abends befand ich mich oben auf dem Hang, der nach Polearn hinunterführt, und wieder einmal stieg ich in das steile Tal zwischen den Hügeln hinunter. Für den Talkessel hatte die Zeit anscheinend stillgestanden, der morsche Wegweiser (oder sein Ersatz) wies mit einem gebrechlichen Finger den Hang hinunter, und ein paar hundert Meter weiter unten stand der weiße Kasten für den Postaustausch. Stück für Stück Erinnerung traf mein Auge, und was ich sah, war nicht zusammengeschrumpft, wie es so oft der Fall ist mit Kindheitsstätten, die man neuerlich aufsucht. Don stand das Postamt, dort die Kirche und nahe bei ihr das Pfarrhaus und jenseits davon die hohen Hecken, die das Haus, zu dem mein Weg führte, von der Straße trennten, und weiter in der Ferne wiederum die grauen Dächer des Hauses im Steinbruch, nass und glänzend im feuchten Abendwind, der vom Meer herüberwehte. Alles war genauso, wie ich es erinnerte, vor allem dieses Gefühl der Abgeschiedenheit und Isolation. Irgendwo oberhalb der Baumwipfel stieg der Hang an, der an die Hauptstraße nach Penzance grenzte, aber das alles war nun in ungeheure Entfernung gerückt. Die Jahre, die verstrichen waren, seit ich zuletzt durch dieses gutbekannte Tor getreten war, verblassten wie ein eisiger Atem und verschwanden in dieser warmen, milden Luft. Irgendwo im langweiligen Buch der Erinnerung gab es noch Gerichtshöfe, die mir, wenn mir daran lag, die Seiten umzublättern, verrieten, dass ich mir dort einen Namen gemacht und ein beträchtliches Vermögen erworben hatte. Aber dieses langweilige Buch war jetzt zugeklappt, denn ich war in Polearn zurück, und der Zauber zog mich wieder in seinen Bann.

Und wenn sich Polearn nicht verändert hatte, so auch nicht die Tante Hester, die mich am Eingang empfing. Gebrechlich und weiß wie chinesisches Porzellan war sie schon immer gewesen, und die Jahre hatten sie nicht älter gemacht, sondern nur zarter. Als sie nach dem Mittagessen dasaß und wir uns unterhielten, sprach sie von den Ereignissen, die sich in diesen zwanzig Jahren zugetragen hatten, aber irgendwie schienen all die Veränderungen, von denen sie sprach, nur zu bestätigen, dass sich ganz Polearn nicht verändert hatte. Sowie mir der Name wieder einfiel, fragte ich sie auch nach dem Haus im Steinbruch und Mr. Dooliss, und ihr Gesicht verdüsterte sich wie ein Frühlingstag, an dem der Schatten einer Wolke vorübergleitet.

»Ja, Mr. Dooliss«, sagte sie, »der arme Mr. Dooliss. Wie gut erinnere ich mich an ihn, obwohl es schon gut zehn Jahre oder mehr her sind, seit er starb. Ich habe dir nie etwas davon geschrieben, denn es war alles ganz furchtbar, mein Lieber, und ich wollte dir die Erinnerung an Polearn nicht verderben. Dein Onkel war immer der Meinung, dass so etwas passieren würde, und noch Schlimmeres, wenn er von seinen bösen, trunkenen Wegen nicht abließe, und obwohl niemand weiß, was sich wirklich zutrug, so kam alles doch genau so, wie man es hätte erwarten können.«

»Aber was geschah denn eigentlich, Tante Hester?«, fragte ich sie.

»Nun ja, ich kann dir natürlich nicht alles sagen, denn das weiß niemand. Aber er war ein sehr sündiger Mensch, und der Skandal um ihn in Newlyn konnte einem schon das Gruseln beibringen. Und dazu kam noch, dass er in dem Haus im Steinbruch lebte … Ich frage mich, ob du dich vielleicht zufällig an eine Predigt deines Onkels erinnerst, bei der er die Kanzel verließ und die Täfelung des Flügelaltars berührte, und zwar meine ich jene, auf der sich das schreckliche Wesen vor dem Kapellen-Eingang aufrichtet?«

»Gewiss, ganz genau«, sagte ich.

»Aha. Sie hat dich beeindruckt, nehme ich an, und sie hat auf alle einen tiefen Eindruck gemacht, die sie gehört haben, und dieser Eindruck prägte und brannte sich uns allen ein, als es zur Katastrophe kam.

Irgendwie erfuhr Mr. Dooliss von der Predigt deines Onkels, und in seinem Rausch brach er in die Kirche ein und schlug die Täfelung kurz und klein. Er scheint sich eingebildet zu haben, dass irgendeine Zauberkraft in ihr läge und dass er, wenn er sie zertrümmere, dem schrecklichen Geschick entginge, das ihm drohte. Doch muss ich dir erklären, dass er schon ein verstörter Mann war, bevor er noch diese schreckliche Freveltat beging; er hasste und fürchtete die Dunkelheit, denn er bildete sich ein, dass das Geschöpf aus der Täfelung ihm auf der Spur wäre, dass es ihm aber nichts antun könne, solange er die Lichter brennen ließe. Seinem gestörten Geist erschien die Täfelung als Wurzel seines Grauens, und so brach er, wie schon erzählt, in die Kirche ein und versuchte - du wirst verstehen, warum ich versuchte sage - sie zu zertrümmern. Am nächsten Morgen, als dein Onkel zur Morgenandacht in die Kirche kam, fand man sie wirklich in Trümmern auf, und da er die Furcht des Mr. Dooliss vor der Täfelung kannte, ging er nachher zum Haus im Steinbruch hinüber und beschuldigte ihn, sie zerstört zu haben. Der Mann hat es nie abgeleugnet, er rühmte sich seiner Tat. Dort saß er, obwohl es am frühen Morgen war, und trank seinen Whisky. 

»Ich habe für Sie mit diesem Ding aufgeräumt«, erklärte er, »und auch mit Ihrer Predigt. Ich gebe nicht die Bohne auf solchen Aberglauben.«

Dein Onkel verließ ihn, ohne auf diese Gotteslästerung einzugehen, und hatte vor, geradewegs nach Penzance zu gehen und bei der Polizei von dieser Kirchenschändung Anzeige zu erstatten, aber auf dem Weg zurück vom Haus im Steinbruch ging er nochmals in die Kirche, um die Einzelheiten der Beschädigung beschreiben zu können, und dort war die Täfelung am Altarflügel unberührt und unbeschädigt. Und doch hatte er sie mit eigenen Augen in Trümmern gesehen, und Mr. Dooliss hatte zugegeben, dass die Zerstörung sein Werk war. Da war sie aber wieder, und wer weiß, ob sie die Macht Gottes ganz gemacht hatte oder eine andere Macht?«

Da war wirklich ganz Polearn, und es war der Geist Polearns, der bewirkte, dass ich alles glaubte, was mir Tante Hester als verbürgte Tatsache erzählte. So hatte es sich zugetragen. Sie fuhr in ihrer ruhigen Stimme fort.

»Dein Onkel erkannte, dass hier eine Macht am Werke war, die sich der Polizeigewalt entzog, und er ging nicht nach Penzance, um wegen der Schändung Anzeige zu erstatten, denn der Beweis dafür war verschwunden.«

Eine plötzliche Welle von Ungläubigkeit überfiel mich.

»Es muss ein Irrtum passiert sein«, sagte ich. »Sie ist nicht zertrümmert worden …«

Sie lächelte.

»Gewiss, mein Lieber, aber du warst so lange in London««, erwiderte sie. »Ich werde dir jedoch den Rest meiner Geschichte erzählen. In jener Nacht konnte ich aus dem einen oder anderen Grund nicht einschlafen. Es war ungemein heiß und stickig; ich vermute, dass du sagen wirst, dass das schwüle Wetter an meiner Schlaflosigkeit schuld war. Ich wiederhole daher, dass ich, als ich zum Fenster trat, in der Absicht, mehr Luft hereinzulassen, von dort aus das Haus im Steinbruch sehen konnte, und als ich das Bett verließ, bemerkte ich, dass dort alle Lichter brannten. Beim zweiten Mal aber merkte ich, dass alles im Dunkeln lag, und als ich mich darüber wunderte, hörte ich einen schrecklichen Aufschrei und einen Augenblick später die Schritte von jemandem, der in vollem Tempo die Straße außerhalb des Gartenstores herunterkam. »Licht, Licht!«, schrie er. »Gebt mir Licht, oder es erwischt mich!« Das Geschrei hörte sich entsetzlich an, und ich weckte meinen Mann, der im Wohnzimmer über dem Gang schlief. Er verlor keine Zeit, aber jetzt hatten die Schreie schon das ganze Dorf aufgeweckt, und als er zur Mole hinunterkam, war bereits alles vorüber. Es war Ebbe, und auf dem Felsen am Fuß der Mole lag der Körper von Mr. Dooliss. Er muss sich eine Arterie aufgeschnitten haben, als er auf die scharfen Steinkanten fiel, denn er war verblutet, wie es schien, und obwohl er ein vierschrötiger, robuster Mann war, bestand sein Leichnam aus lauter Haut und Knochen. Doch gab es um ihn herum keine Blutlache, wie man hätte erwarten sollen. Nur Haut und Knochen, als ob ihm jeder Tropfen Blut ausgesaugt worden wäre!«

Sie beugte sich vor.

»Du und ich, mein Lieber, wissen, was passiert ist«, sagte sie, »oder können es zumindest erraten. Gott hat seine Vergeltungswerkzeuge für die, die das Böse an heilige Orte schleppen. Dunkel und geheimnisvoll sind Seine Wege.«

Ich kann mir vorstellen, was ich mir gedacht hätte, wenn ich eine derartige Geschichte in London gehört hätte. Es gab eine ganz offenkundige einleuchtende Erklärung: der Betreffende war ein Säufer gewesen, was Wunder also, dass die Dämonen der Trunksucht hinter ihm her waren? Aber hier in Polearn lag die Sache anders.

»Und wer wohnt jetzt in dem Haus im Steinbruch?«, fragte ich. »Vor Jahren haben mir die Fischerjungen die Geschichte von seinem Erbauer erzählt und von seinem schrecklichen Ende. Und nun hat sich die Sache wiederholt. Sicherlich wagt es seitdem niemand mehr, dort zu wohnen?«

Bevor ich noch die Frage ausgesprochen hatte, sah ich es ihrem Gesicht an, dass doch jemand dort wohnte.

»Ja, jemand wohnt wiederdort«, erwiderte sie. »Denn die Blindheit ist grenzenlos … Ich weiß nicht, ob du dich an ihn erinnerst. Vor vielen Jahren war er Mieter im Pfarrhaus.«

»John Evans«, sagte ich.

»Ja. Und er war so ein netter Mensch. Dein Onkel war froh, dass er einen so braven Mieter bekam. Und jetzt«

Sie stand auf.

»Tante Hester, du solltest deine Sätze beenden«, sagte ich.

Sie schüttelte den Kopf.

»Mein Lieber, der Satz wird sich selbst beenden«, sagte sie.

»Aber wie spät es schon ist! Ich muss schlafen gehen, und du auch, oder die Leute werden glauben, dass wir hier die Lichter während der dunklen Stunden brennen lassen müssen.«

Bevor ich schlafen ging, zog ich die Vorhänge weit auf und öffnete alle Fenster, um die warme Strömung der Meeresluft hereinzulassen, die milde ins Zimmer drang. Als ich in den Garten hinausblickte, erkannte ich im Mondlicht das Dach des Schuppens, in dem ich drei Jahre lang gewohnt hatte. Es glänzte vom Tau. Das brachte wie alles übrige die Erinnerung an die alten Tage zurück, in die ich jetzt zurückgekehrt war, und sie schienen mir eine Einheit mit der Gegenwart zu bilden, als läge keine zwanzigjährige Unterbrechung dazwischen. Die zwei flössen in eins zusammen wie Quecksilbertropfen, die sich zu einer sanft glänzenden Kugel aus geheimnisvollen Lichtern und Spiegelungen vereinigen. Dann, als ich meine Augen ein bisschen höher richtete, sah ich, dass gegen den Hintergrund der schwarzen Hügel die Fenster des Hauses im Steinbruch noch immer hellerleuchtet waren.

Der Morgen brachte keine Zerstörung meiner Illusion, wie es sonst so oft der Fall ist. Als ich zu Bewusstsein erwachte, stellte ich mir vor, dass ich wieder ein Knabe wäre, der unter dem Vordach im Garten erwachte, und obwohl ich, als ich wacher wurde, über den Eindruck lachte, entdeckte ich, dass das, worauf er beruhte, wirklich stimmte. Es genügte, wie damals bloß da zu sein, neuerlich zu den Klippen hinauszuwandern und das Platzen der reifen Samenkapseln der Stechginsterbüsche zu hören; der Küste entlang zum Badestrand hinaus zu schlendern, in der Flut zu schweben, sich treiben zu lassen und zu schwimmen, im Sand in der Sonne zu liegen und den Möwen beim Fischen zuzusehen, mit den Fischersleuten an der Mole herumzulungern, ihnen in die Augen zu sehen und in ihrer ruhigen Rede den Beweis eines geheimen Wissens zu erblicken, das ihnen nicht so sehr bekannt war als es vielmehr einen Teil ihres Lebensgefühls und ihres Daseins selbst bildete.

Um mich herum waren Kräfte und Wesen; die weißen Pappeln, die das Bächlein umsäumten, das ins Tal heruntermurmclte, wussten von ihnen und erlaubten zuweilen einen Blick auf ihr Wissen, wie das Glitzern der weißen Unterseite ihrer Blätter; die Steine, mit denen die Straße gepflastert war. waren davon durchtränkt … Ich wünschte mir nichts anderes als hier zu liegen und mich davon ebenfalls durchtränken zu lassen; als Knabe hatte ich das unbewusst getan, aber jetzt musste dieser Prozess bewusst erfolgen. Ich musste erfahren, welche furchtbaren und geheimnisvollen Kräfte sich regten, am Tage an den Hügelflanken schimmerten und des Nachts im Meer glitzerten. Man konnte sie kennen, die Herren des Zaubers konnte sie sogar meistern, aber man konnte nicht von ihnen reden, denn sie waren im innersten Leben angesiedelt, ins ewige Leben der Welt eingefügt. Es gab dunkle Geheimnisse, es gab aber auch diese klaren, freundlichen, wohlgesinnten Kräfte, und zu ihnen gehörte zweifellos auch jenes negotium perambulans in tenebris, das, obwohl von tödlicher Bösartigkeit, nicht nur als böse gelten konnte, sondern auch als Rächer schänderischer und unfrommer Taten … All das gehörte zum Zauberbann von Polearn, dessen Saaten lange in mir geschlummert hatten. Jetzt aber sprossen sie hervor, und wer wusste, welch seltsame Blüten an ihren Stängeln austreiben würden?« 

Es dauerte nicht lange, und ich begegnete John Evans.

Eines Morgens, als ich am Strand lag, kam ein kräftig gewachsener Mann mittleren Alters mit dem Gesicht des Silenus über den Sand auf mich zu. Im Näherkommen hielt er inne und betrachtete mich aus zusammengekniffenen Augen.

»Sie sind doch der kleine Junge, der im Garten des Pfarrers gewohnt hat«, sagte er, »erkennen Sie mich nicht?«

Am Reden erkannte ich ihn; seine Stimme sagte es mir, glaube ich, und als ich sie erkannte, erblickte ich in dieser gemeinen Karikatur die Züge des starken, wachen jungen Mannes.

»Ja, Sie sind John Evans«, sagte ich. »Sie waren immer sehr nett zu mir und haben mir Zeichnungen gemacht.«

»Stimmt, und ich werde Ihnen noch ein paar machen. Waren Sie baden? Das ist eine riskante Sache. Man kann nie wissen, was im Meer lebt oder auch auf dem Land. Nicht, dass ich mich darum kümmern würde. Ich halte mich an die Arbeit und den Whisky. Bei Gott! Seit damals habe ich zu malen gelernt und auch zu trinken. Ich wohne in dem Haus im Steinbruch, müssen Sie wissen, und das ist ein mächtig durstiger Ort. Schauen Sie bei mir vorbei, wenn Sie dort vorbeikommen. Sie wohnen bei Ihrer Tante, nicht wahr? Ich könnte sie wunderbar malen. Interessantes Gesicht; sie weiß eine ganze Menge. Wer in Polearn lebt, lernt eine ganze Menge, obwohl ich für meine Person nicht viel auf diese Art von Wissen gebe.«

Ich kann mich nicht entsinnen, jemals so abgestoßen und zugleich so angezogen worden zu sein. Hinter der schieren Gemeinheit seines Gesichts lauerte etwas, das mich, wenn es mich auch entsetzte, doch faszinierte. Seine stockende, flüsternde Redensweise wirkte ebenso. Und seine Gemälde, wie mochten sie wohl aussehen?

»Ich wollte gerade heimgehen«, sagte ich. »Falls Sie gestatten, komme ich gerne mit.«

Er nahm mich durch den ungepflegten und verwilderten Garten ins Haus mit, in dem ich bis jetzt nie gewesen war. Eine große graue Katze sonnte sich im Fenster, und eine alte Frau deckte in einem Winkel der kühlen Diele, in die die Tür führte, zum Mittagessen auf. Die Wände bestanden aus Steinen, und eingelassene Gesimse, Ausschnitte von Wasserspeiern und gemeißelten Bildern legten Zeugnis davon ab, dass für sie das Material der abgerissenen Kirche verwendet worden war. In einer Ecke stand ein länglicher geschnitzter Holztisch, der mit den Utensilien eines Malers übersät war, und an den Wänden lehnten Staffeleien. Glucksend zeigte Evans mit dem Daumen auf einen im Kaminsims eingelassenen Engelskopf.

»Eine ziemlich heilige Atmosphäre«, sagte er, »daher schwächen wir sie für das tägliche Leben durch eine andere Art von Kunst ab. Wollen Sie etwas trinken? Nein? Nun, drehen Sieeinige meiner Bilder um, während ich mich fertigmache.«

Die Selbsteinschätzung der eigenen Begabung war berechtigt: Er konnte malen (und konnte anscheinend alles malen), aber niemals habe ich so unerklärlich höllische Gemälde gesehen. Es gab wunderschöne Studien von Bäumen, und man erkannte, dass irgendetwas in den flimmernden Schatten lauerte. Es gab die Zeichnung einer Katze, die sich auf dem Fenster sonnte, wie ich es eben selbst gesehen hatte, doch handelte es sich um keine Katze, sondern um ein Tier von entsetzlicher Bösartigkeit. Da gab es einen nackt am Strand ausgestreckten Knaben, doch war er nicht menschlich, sondern ein dem Meer entstiegenes böses Wesen. Vor allem aber gab es Bilder seines Gartens, ganz verwachsen und dschungelähnlich, und man merkte, dass sich in den Büschen Wesen herumtrieben, die nur darauf lauerten, einen anzuspringen …

»Nun, gefällt Ihnen mein Stil?«, fragte er, als er näherkam, das Glas in der Hand. (In das Schnapsglas, das er in der Hand hielt, hatte sich kein Wasser verirrt.) »Ich versuche, das Wesen dessen zu malen, was ich sehe, nicht die bloße Hülle oder Haut, sondern seine Natur, woher es kommt und was es in die Welt setzt. Eine Katze und ein Fuchsien-Strauch haben viel miteinander gemein, wenn man es nur genügend eingehend betrachtet. Alles ist aus Höhlenschleim entstanden und wird wieder zu Schleim. Ich würde Sie eines Tages gerne malen. Ich würde der Natur den Spiegel vorhalten, wie es jener Wahnsinnige ausgedrückt hat.«

Nach dieser ersten Begegnung traf ich ihn in den Monaten jenes wunderbaren Sommers gelegentlich. Oft trennte er sich tagelang nicht von seinem Haus und seiner Malerei, und dann wieder fand ich ihn vielleicht eines Abends, wie er an der Mole herumlungerte, immer allein, und jedes Mal schien er sich ein Stück weiter auf einem Pfad geheimen Wissens entfernt zu haben, auf einen Altar des Bösen zu, wo die vollständige Einweihung ihn erwartete … Und dann kam plötzlich das Ende.

Ich hatte ihn eines Tages bei den Klippen getroffen, als der Oktober-Sonnenuntergang noch am Himmel brannte, sich aber von Westen her mit erstaunlicher Geschwindigkeit eine riesige schwarze Wolke näherte, wie ich sie so dicht nie zuvor noch gesehen hatte. Das Licht wurde aus dem Himmel gesaugt, die Dämmerung sank in immer dichteren Schwaden herab.

---ENDE DER LESEPROBE---