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Doch bevor Leila teleportierte, feuerte sie noch einen letzten Fluch auf Kylie. Er traf ihren Arm und sie sank voller Schmerz zu Boden. Dann wurde alles schwarz... An ihrem zehnten Geburtstag bekommt Kylie einen Brief zugeschickt, der ihr Leben vollkommen auf den Kopf stellt, wenn das bei ihr überhaupt noch nötig wäre: Sie wurde in eine Akademie für junge Hexen und Zauberer aufgenommen! Eine Riesenerleichterung für Kylie... Denn in der Menschenwelt, in der sie mit ihrer Mutter in Los Angeles lebt, ist sie ziemlich unbeliebt. Keine Freunde, geschweige denn eine beste Freundin. In der Bat Black Academy soll sich alles ändern - das komplette Gegenteil ihres früheren Lebens. Doch kaum angekommen, fällt Kylie und ihren Freunden ein Abenteuer in den Schoss. In der Akademie verschwinden Tag für Tag Schüler spurlos. Kylie und ihre Freunde Felix und Felicitas versuchen dem Geheimnis auf die Spur zu kommen und die Schüler zu retten. Jedoch ist das nicht so leicht wie gedacht. Und obwohl Geheimgänge, Verräter, manipulierte Wettbewerbe und vergiftete Lehrerinnen schon genug gefährlich sind, ahnen die drei Freunde noch nicht, dass die wahren Gefahren sich ihnen noch nicht einmal offenbart haben. Werden sie es überhaupt bemerken, bevor es zu spät ist?
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Seitenzahl: 387
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Für meinen Grossvater Vlado Mlinarevic,
der unglaublich lang gekämpft hat,
ein wahrer Held war,
und den Bösen fast besiegt hat,
stets optimistisch
bis ganz zum Schluss.
Dir widme ich mein erstes Buch.
Danksagung
Der Mann, der versank
Zehn Jahre später
Wizardstreet 101
Der verschwundene Vater
Die grosse Kutsche
Die erste Woche
Der Lunbi-Zauber
Zaubertränke und Hausaufgaben
Hinweise mit Hindernissen
Graue Augen
Das Fest und die Presse
Zu viele Fragen, keine Antworten
Der Brief
Der Wettbewerb
Halloween
Die Geschichte des Ewigen Eises
Das Ewige Eis
Die Geschichte der vier Schwestern
Der versunkene Mann aus Stein
Das Ewige Eis
Die Verräter
Unerwartete Hilfe
Vor vielen, vielen Jahren …
Meine Danksagung wird euch vielleicht etwas langweilen, da es nicht zu der eigentlichen Geschichte gehört. Und dennoch schreibe ich eine, weil es so viele Leute gibt, denen ich »Danke« sagen möchte (sorry, ist halt so, ihr müsst eben damit klarkommen oder es einfach kurz überfliegen). Wie auch immer, bevor ich hier noch den grössten Teil meines Buches mit Schwatzen verbringe … Beginnen wir!
Zuerst danke ich meinem Vater und wahrscheinlich grösstem Fan, (werdet bloss nicht neidisch), Sasa Mlinarevic. Danke, Papa, du hast wirklich sehr, sehr viel für die Veröffentlichung meines Buches gebüffelt.
Danke an meine Mutter, Zeljka Mlinarevic, die die beste Mama auf der Welt ist und das meine ich ernst. Und ausserdem möchte ich mich noch entschuldigen für all die vielen Fehler, die ich während meines Lebens gemacht habe, ich hoffe du verzeihst mir. Danke, dass du immer für mich da bist, wie ein Engel, der über mich wacht und eine beste Freundin, mit der ich alles besprechen kann.
Einen RIESIGEN Dank (das meine ich wortwörtlich) an meine Familie, für deren Unterstützung ich sehr dankbar bin.
Vielen Dank an Leonie Mlinarevic, die beste Illustratorin, die ich kriegen kann, und beste Schwester überhaupt.
Danke an meinen kleinen Bruder Danilo, der der beste Bruder ist, den man sich wünschen kann!
Vielen Dank an meinen Grossvater, Vlado Mlinarevic, der einfach der beste Grossvater überhaupt ist.
Danke an J.K Rowling, meine absolute Lieblingsautorin, deren Bücher ich nicht aufhören kann zu lesen (ihr könnt alles versuchen, es wird nicht funktionieren, dass versichere ich euch), danke, danke, danke, dass du mir so viel Lesestoff gibst, der mich weiter motiviert und inspiriert!
Danke an Emma Watson, die ich leider nicht persönlich kenne, die mir aber Mut gibt und die Entschlossenheit, die sie wie auch ihre Rolle Hermine Granger besitzt.
Vielen, vielen Dank an Mia, meine Cousine, die mir eine super Vorlage für die Figur Mia aus dem Buch gibt und sehr lustig ist.
Danke an meine beiden früheren Lehrerinnen Frau Antonia Rohland und Antonella Knuchel, bei denen ich eine schöne Schulzeit verbracht habe, und ich ihnen danke, dass sie mir Nomen, Verben und Adjektive beigebracht haben.
Danke an Sara Keller, die mich immer motiviert hat und bei der ich gelernt habe, dass man sich selbst nie als weniger wertvoll bezeichnen sollte.
Danke an Herrn Thomas Mauchle, meinen Lehrer, der mir sehr viel beigebracht hat und es immer noch tut (ihr vergesst wohl, dass ich immer noch auf der Grundschule bin …).
Langsam muss ich mich echt ziemlich beeilen mit dieser Danksagung …
Danke an Veronika Ederer, die einen sehr guten Humor hat und die mich bei diesem Projekt sehr unterstützt hat.
Vielen, vielen Dank an die wunderbare Lektorin Romy Schneider, die mir grossartige Tipps gegeben hatte und mein Buch um einiges verbessert hatten.
Danke an Kyra Halfbrodt, Giada Ambrosio und Natalia Tommasi, die die besten Freundinnen sind, die man haben kann.
Zu guter Letzt (endlich!) danke ich euch, liebe Leser,
die Kylies Geschichte gleich miterleben werden!
Viel Spass!
Der Anfang dieser Geschichte spielt in den USA, in Los Angeles. Alles in der Blueweed-Strasse schien so was von normal zu sein, doch das stimmte überhaupt nicht.
Zumindest in diesem Teil nicht. Denn in einem der schönen hellgelb gestrichenen Häuser wohnte eine Frau namens Elena Smith.
Elena Smith war eine schwarzhaarige, dünne, freundliche, junge Frau. Sie war überaus speziell. Sie konnte Dinge in die Hand nehmen, ohne sie überhaupt anzufassen. Sie konnte die Zeit verdrehen (was die anderen natürlich nicht bemerkten) und sie konnte anderen Kindern Schokolade oder sonst etwas herzaubern. Sie konnte sogar fliegen. Die Nachbarskinder liebten sie. Die Eltern der Kinder hingegen hassten Elena, weil sie nicht glaubten, dass Zauberei existierte. Sie hielten sie eher für eine Verrückte, die aus dem Gefängnis ausgebrochen war.
Sie dachten sich immer: »Das ist sicher wieder irgendein Zirkustrick von einer Zirkuskette, die uns diese Frau geschickt hat, damit sie für diesen abnormen Drecksladen Werbung macht.«
Elena hingegen war fasziniert von den Menschen. Sie sah in jedem immer das Gute, und sie gab jedem eine zweite Chance. Ausserdem bemühte sie sich, nichts allzu Auffälliges zu tun.
Sie schien alles zu haben, was sie wollte, und niemand hätte je gedacht, dass ihr irgendetwas in ihrem tollen Leben fehlte.
Doch es gab eine Sache, die sie sich mehr als alles andere wünschte.
Ein Kind.
Ihr Ehemann und sie hofften all die Jahre, obwohl ihr Wunsch sich nicht erfüllte, und sie hofften und sie hofften …
Ihr könnt euch die Freude der beiden nicht vorstellen, als sie die Nachricht der Ärzte bekamen, dass Elena tatsächlich schwanger war und bald ihr erstes Kind gebären würde.
Es wurde am 18. Juni 2014 geboren.
Das Baby, ein Mädchen, bekam erst bei der Geburt seinen Namen.
Kylie Smith.
Elena verliess das Krankenhaus und presste sich ihr erst ein paar Tage altes Kind an die Brust. Es war in eine weiche Decke gewickelt. Elena wollte nicht, dass ihrem Kind etwas Schlimmes zustiess. Sie konnten jeden Moment auftauchen und sie angreifen. Sie konnten sie verletzen, wenn sie wollten, doch Kylie … nein, niemals.
Das würde sie nicht zulassen. Nie.
Vor allem nicht nachdem, was neulich passiert war …
Wie auch immer, Elena wollte gerade mit ihrem Kind gehen. Sie öffnete mit einer Hand die Autotür, und mit der anderen hielt sie ihr Kind fest. Sie legte ihr Kind in einen sicheren Babysitz und schlug die Autotür zu. Als sie schliesslich durch die nassen Strassen fuhr, wurde Kylie durch den Regen, der auf das Autodach trommelte, geweckt.
Sie öffnete langsam die dunkelbraunen Augen.
Sie blickte sich um und schielte zum Fenster und betrachtete die verschwommene Landschaft, die an ihr vorbeisauste.
Das wurde ihr schliesslich etwas langweilig und sie schlief erneut ein.
Eine halbe Stunde später waren sie zu Hause.
Elena schnallte Kylie sanft ab, nahm sie heraus und verschloss ihr Auto mit einem kleinen schwarzen Gerät.
Sie eilte mit ihrem Kind in den Armen zu ihrem Haus und öffnete die Haustür. Sie zog ihre Jacke aus und die von Kylie auch. Sie öffnete Kylies Zimmertür und legte sie behutsam in ihr kleines Bett.
Elena wischte sich eine Träne weg, die ihr über die Wange kullerte, und fasste sich ans Herz. Sie atmete noch einmal tief durch, aber der Schock sass immer noch tief. Wie konnte das nur passieren?
Elenas Herz wurde schwer und sie hatte das Gefühl, in ihrer eigenen Trauer zu versinken.
Langsam und vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und lief ins Wohnzimmer. Sie setzte sich aufs Sofa und sass noch eine Weile da.
Bei Kylie drehte sich alles im Kopf. Aber ihr wurde nicht schwindelig. Es fühlte sich einfach komisch an.
Vor ihrem geistigen Auge blitzte etwas Furchtbares auf. Sie sah eine schreckliche Szenerie, die für keinen je geheuer sein würde. Schon gar nicht für ein Neugeborenes, das erst ein paar Tage alt war.
Da waren Männer, die etwas schrien, das Kylie nicht verstand. Ihre Gestalten waren verschwommen, doch die Ausdrücke auf ihren Gesichtern konnte man trotzdem erkennen. Schmerzerfüllte, ängstliche, überraschte Gesichter.
Die Ausdrücke der Männer, die so aussahen, als würden sie sich wünschen einfach aufzuwachen, dass alles, was hier geschah, bloss ein harmloser Albtraum war, der sich langsam an sie herangeschlichen hatte …
Sie wollten sich fortbewegen, einfach von hier verschwinden, doch etwas liess sie erstarren, sodass jeder Muskel, jeder Nerv, jede einzelne Zelle ihres Körpers einfror und steif wurde.
Eine dunkle Gestalt schwebte eine Handbreit über dem Boden, und der schwarze weite Umhang streifte den Erdboden leicht.
Das Gesicht der Gestalt war zur Hälfte mit einer schwarzen Kapuze verdeckt. Man erkannte, dass es eine Frau war, denn aus ihrer Kapuze ragten weiss-silberne Haare heraus, und sie lächelte ein finsteres Lächeln, ein bösartiges, das jedermann erschaudern lassen würde. Sie hob einen dunkelblauen Stab und richtete ihn direkt auf einen Mann, der ihr am nächsten stand.
Die Frau donnerte seltsame Worte, die so seltsam klangen, dass sie einem beinahe Todesangst einjagten. Im nächsten Moment versank der Mann mit schmerzerfülltem, erschrockenem Gesicht im Boden.
Kylie riss erschrocken die dunkelbraunen Augen auf.
Sie legte eine Hand auf ihr immer noch gegen die Brust pochendes Herz und atmete tief durch.
Sie wusste nicht, wieso sie immer dasselbe träumte. Ihr war bewusst, dass das ziemlich komisch klang, und dass ihr keine Menschenseele mit klarem Verstand das abnehmen würde.
Also behielt sie es einfach für sich, obwohl die bohrenden, besorgten Blicke Elenas, ihrer Mutter, praktisch ihre Gedanken lasen. Doch ihre Mutter fragte zum Glück immer nur ein oder zweimal nach und liess sie dann in Frieden.
Obwohl Kylie wusste, dass Elena nie mit ihrer Antwort zufrieden war.
Kylie dachte zurück an den seltsamen Traum. Sie verstand ihn nicht. Und jeden Morgen wachte sie schweissgebadet und keuchend auf und überlegte, was es wohl damit auf sich hatte.
Ich meine, sie ist ja nicht Harry Potter.
Dann redete sie sich immer wieder ein:
Kylie, stopp, du hast zu viel Harry Potter geschaut. Klar bekommst du seltsame Träume, wenn du den Film Millionen Mal gesehen hast, wo Harry, die Hauptrolle, ebenfalls solche Träume hatte.
Und es war ja bloss ein Traum, oder?
Doch es war immer derselbe Mann, der im Boden versank, und immer dieselbe Gestalt mit den silbrigen Haaren, die verantwortlich dafür war. Der Mann kam ihr irgendwie schrecklich bekannt vor. So, als hätte sie ihn schon einmal gesehen.
Was, wenn es wirklich er war?
Nein … Dad ist entweder tot, oder er ist abgehauen, weil er keine Lust auf seine Familie hatte.
Ihre Mom hatte es ihr nie richtig erzählt.
Jedes Mal, wenn sie fragte, wer ihr Dad sei, begann sie plötzlich ein anderes Thema anzusprechen, oder wenn sie gerade keines hatte, behauptete sie, etwas zu erledigen zu haben.
Das kaufte Kylie ihr nicht ab.
Sie gab sich mit diesem nicht sehr aufmunternden Gedanken zufrieden und warf die Bettdecke weg.
Sie versuchte, während sie duschte und sich anzog, nicht weiter darüber nachzudenken und den Gedanken einfach immer wieder zu verscheuchen.
Denk nicht so was Blödes, Kylie. Du weisst doch, dass das sowieso unmöglich ist.
Frisch angezogen rannte sie kurze Zeit später die Treppe hinunter und steuerte auf die Küche zu.
»Guten Morgen, Mom!«
»Guten Morgen, Kylie! Alles Gute zum Geburtstag! Hast du gut geschlafen?«, fragte ihre Mutter mit einem Blick, der Kylie glauben liess, dass sie ihr geradewegs in die Seele blickte.
Als sie nickte und hastig beteuerte, gut geschlafen zu haben und keine komischen Träume gehabt zu haben, umarmte Mom sie.
»Wenn du vorhast, mich zu ersticken, hast du es gleich geschafft«, würgte Kylie unter der Umarmung ihrer Mutter hervor.
Elena liess sie endlich los und Kylie setzte sich auf einen Stuhl.
»Nachher kannst du deine Geschenke auspacken«, teilte ihre Mom ihr mit, als Kylie sich ein Toast mit Butter bestrich.
Als sie fertig gefrühstückt hatten und Kylie das schmutzige Geschirr in die Spülmaschine eingeräumt hatte, wandte sie sich ihren Geschenken zu.
Sie nahm sich das erste Päckchen und riss das Geschenkpapier auf.
Darin befanden sich ein blaues Paar Rollschuhe. Im nächsten Päckchen war ein Buch mit der Aufschrift: Keeper of the Lost Cities, Band vier: Der Verrat.
Kylie war sehr zufrieden mit ihren Geschenken und bedankte sich bei ihrer Mutter mit einer dicken Umarmung. Nachdem sie sich angezogen hatte, wollte sie ein wenig rausgehen.
Als sie mit ihren neuen Rollschuhen in den Vorgarten schlenderte, entdeckte sie die beiden zickigen Nachbarinnen Erina und Ariana, die die Strasse entlangliefen und immer näherkamen.
Kylie stöhnte innerlich auf.
Sie versuchte sie zu ignorieren, weil sie immer so fies zu ihr waren.
Fluchend (die genauen Wörter wollt ihr lieber nicht wissen) schielte sie kurz zu ihnen rüber und sah, dass sie ihr übliches hämisches Grinsen aufgesetzt hatten, das sie immer auf den spitzen Gesichtern hatten, wenn sie jemanden zu Tode nerven und provozieren wollten.
Obwohl die beiden auf ihr Haus zusteuerten, würdigte Kylie sie keines Blickes. Sie wollte keineswegs, dass ihr diese Zicken den Geburtstag vermiesten.
»Oh, hat Kylie heute etwa Geburtstag? Habe ich nicht gewusst. Wer denkt schon an so einen miesen Tag?«, rief Erina.
Ariana lachte schallend.
»Du kannst dich doch nicht verteidigen, wenn jemand dich beleidigt. Ich weiss nicht, wie dumm jemand sein kann.«
Kylie ignorierte die beiden und machte den Klettverschluss ihrer Rollschuhe zu.
Erina und Ariana lachten so übertrieben und verbogen sich dabei nach vorne und hinten, dass sie fast umkippten.
Kylie wusste nicht, was eigentlich so lustig daran sein sollte, jemanden die ganze Zeit zu nerven und zu schikanieren, denn es war nicht annähernd so lustig, geschweige denn interessant.
Können die mich nicht einmal in Ruhe lassen?, dachte Kylie. Aber die sind eh zu hohl, um irgendetwas zu kapieren.
»Ich habe gewusst, dass sie sich nicht verteidigen kann. Nicht mal mit Worten. Und was sagst du, Smith, zu deiner Verteidigung?«, spottete Ariana hämisch grinsend.
»Du rufst nach deiner Mami, mehr kannst du ja nicht tun!«, höhnte Erina brüllend vor Lachen.
»Gib mir einen Moment, um die Tränen abzuwischen!«, sagte Ariana.
Jetzt habe ich genug! Die beiden sollen sich von mir wegscheren, oder ich werde ihnen eine scheuern, dachte Kylie zornig.
Im selben Moment hörte sie plötzlich ein lautes Rauschen. Kylie blickte sich um und sah, wie ein grosser Wirbelsturm sie umhüllte. Er war riesig und sah aus wie ein dunkelvioletter Tornado, der aus Rauch bestand.
Er saugte sie nicht auf, von wegen, es tat gar nichts.
Es war einfach da.
Die Geschwister blickten sich panisch um und schrien auf, als plötzlich ein ohrenbetäubender Knall ertönte.
Das Lachen war ihnen vergangen.
»Was machst du da?«, kreischte Erina panisch.
»Ich mach gar nichts!«, fauchte Kylie.
»Doch, tust du!«, schrie Ariana.
Urplötzlich erschienen wie aus dem Nichts lange, metallene, rasselnde Fesseln, die Erina kopfüber in die Lüfte zogen.
Sie stiess einen spitzen Schrei aus und zappelte wild umher. Ariana versuchte verzweifelt, ihre Schwester herunterzuziehen, aber es gelang ihr nicht.
Erina brüllte und ruderte mit den Armen hin und her, die Hände zu Fäusten geballt.
»Lass sie runter! Sofort! Mach sie runter!«, schrie Ariana verzweifelt.
Dann wurde auch sie in die Lüfte gezogen. Kylie traute ihren Augen nicht. Sie hatte nichts getan. Sie wusste doch nicht mal, wie sie es hätte tun sollen.
Aber es war trotzdem ziemlich lustig, mitanzusehen, wie die blöden Geschwister kopfüber hingen und herumzappelten wie Kleinkinder.
»MOM! MOM! KOMM BITTE HER! BITTE MOM! SMITH IST EINE HEXE! HILF UNS, MOM!«, schrie Ariana mit tränen-überströmtem Gesicht.
Lass sie runter! Lass sie runter! Ich werde Riesenärger bekommen, wenn die Mutter der beiden das sieht! Bitte, lass sie runter! Meinetwegen kannst du sie später nochmal in die Lüfte reissen, aber bitte lass sie jetzt runter! flehte Kylie innerlich.
Abrupt lösten die Fesseln und der Wirbelsturm sich auf und die beiden schreienden Mädchen stürzten krachend auf den Boden. In diesem Moment tauchte die Mutter der beiden in der Türschwelle auf und blickte zornig von einer Tochter zur anderen.
»Was fällt euch ein! Ihr habt mich gerade bei einem wichtigen Meeting gestört! Das ist der wichtigste Handel, den ich je machen werde! Ihr habt Hausarrest! Und jetzt rein mit euch!«
Sie taten wie geheissen, nicht jedoch, ohne Kylie noch einen finsteren Blick zuzuwerfen, der so viel hiess wie: Du wirst schon sehen, was mit dir passiert.
Kylie zog ihre Rollschuhe wieder aus, da ihr die Lust zum Fahren endgültig vergangen war.
Was war das gerade? Das war bestimmt kein Zufall.
Oder hat man je von solchen Zufällen gehört?
Würde es einen ähnlichen Vorfall geben?
Würde es noch schlimmer werden?
Würde sie jemanden verletzen?
In der Schule vielleicht?
Und morgen war ja schon wieder Schule.
Ihr bezeichnet vielleicht eure normale Schule mit (für euch) langweiligen Schulfächern als einen Albtraum. Doch würdet ihr an Kylies Stelle in diese Schule gehen … Die Schule, in die sie ging, war der wahre Albtraum. Einfach schlimm und ungerecht. Und das Blödeste: Alle waren nur ungerecht zu ihr.
Es ist einfach schei… ähm … blöd dort.
Denn in dieser Schule hatte sie keine Freunde (was sie
Erina und Ariana verdankte) und alle waren fies zu ihr.
Mobbing kam bei ihr nicht selten vor.
Kylie trottete mit saurem Geschmack auf der Zunge zurück ins Haus. In ihrem Zimmer liess sie sich auf ihr Bett fallen. Sie wollte unbedingt eine Schwester oder einen Bruder. Ihr war immer langweilig ohne Freunde.
Da klingelte es an der Tür.
Kylie hörte die vertrauten Stimmen ihrer Grosseltern.
»Kylie! Deine Grosseltern sind hier!«, rief ihre Mom nach oben.
Kylie stolperte aus dem Zimmer, die Treppen runter und ihren Grosseltern in die Arme.
Grandpa Vlado war gross, und obwohl er um die sechzig Jahre alt war, war er immer noch sehr sportlich und fit.
Grandma Claudia hatte ihr blondes Haar zu einem eleganten Dutt zusammengebunden und trug ein dunkelrotes Kleid. Sie hatte immer noch die Figur eines Models, das sie früher einmal gewesen war.
Als sie sich alle begrüsst hatten, musterte Grandma sie von oben bis unten.
»Du bist ja ziemlich gewachsen, seit wir dich zum letzten Mal gesehen haben!«
Kylie hörte das jedes Mal und wurde nie schlau daraus. Sie hatte Grandma doch erst vor ein paar Wochen gesehen!
»Elena, hat Kylie es schon bekommen? Du weisst schon, was!«, flüsterte Grandma ihrer Mom ins Ohr.
»Nein, aber sag kein Wort davon, bis sie es bekommen hat«, flüsterte diese zurück.
Grandma nickte.
»Was ist in Ordnung?«, fragte Kylie neugierig.
»Alles! Pack doch dein Geschenk aus, Kylie«, sagte Grandpa Vlado.
»Oka«y willigte Kylie ein.
Sie packte ihr Geschenk aus, in dem sich zwei neue Kleider und ein Buch mit der Aufschrift Harry Potter und der Gefangene von Askaban befanden.
»Danke, Grandma, danke, Grandpa!«, sagte Kylie glücklich.
Ein wenig später sassen die Erwachsenen im Wohnzimmer und redeten wie üblich über so uninteressante Dinge, dass Kylie sich in ihr Zimmer verkroch.
Der Tag kam ihr so unglaublich lang vor, was wahrscheinlich daran lag, dass sie niemanden hatte, mit dem sie sich unterhalten konnte. Es waren in der Zwischenzeit noch Tante Grace und Onkel Julius gekommen und auch im Wohnzimmer verschwunden. Wie auch Tante Bella. Dann redeten sie weitere Stunden und endlich konnte Kylie die Kerzen ausblasen.
Danach verzog sie sich wieder in ihr Zimmer, denn sie sah Erina und Ariana aus dem Fenster (offenbar hatten sie sich endlich getraut wieder aus dem Haus gehen und Kylie erneut zu triezen), und sie hatte keine Lust sich wieder mit ihnen herumschlagen zu müssen.
Es war schon Nachmittag und Kylie sass in ihrem Zimmer und starrte aus dem Fenster. Ihr Geburtstag kam ihr wie ein ganz normaler, nein, nicht normaler, superlangweiliger Tag vor. Konnte sich nicht jemand mal ganz ausnahmsweise mit ihr unterhalten?
Nein, sie sassen alle zusammen im Wohnzimmer und redeten über stinklangweiliges Zeug, für das sich nur Erwachsene interessierten, wie Kaffeemaschinen oder so.
Kylies Augen weiteten sich, als sie ein kleines Geschöpf am klaren blauen Himmel entdeckte.
Eine Fledermaus am Nachmittag?
Sie rieb sich die Augen und blickte noch einmal hin.
Wach auf, Kylie!, sagte sie zu sich selbst.
Doch sie irrte sich nicht.
Die Fledermaus bewegte sich genau auf ihr Fenster zu und Kylie öffnete es, damit sie nicht dagegen knallte.
Die Fledermaus landete auf ihrem Schreibtisch und erst jetzt bemerkte Kylie, dass sie einen Brief im Maul hatte. Das weckte Kylies Neugier noch mehr. Sie zog den Brief aus dem Maul des Geschöpfes. Der Brief war gar nicht feucht. Von wegen. Er war sandtrocken! Das überraschte Kylie. Sie öffnete den Brief und las ihn:
Sehr geehrte Miss Kylie Smith,
Sie erhalten hiermit die Einladung zur Bat Black Academy, der einzigen Akademie, die junge Hexen und Zauberer aus Amerika annimmt.
Hier eine Einkaufsliste für die benötigten Schulsachen:
Einen Umhang (schwarz)
Einen Kessel (8 Zentizaumeter) Einen Zauberstab
Kleine Glasfläschchen (5 Zentizaumeter)
Lederhandschuhe (aus Dinosaurierhaut)
Ihr eigenes Gepäck
Die Geschichte der Bat Black Academy Von Ebert Acheli
Magische Geschöpfe von Alma Eresto.
Alles über die Verteidigung gegen die Dunklen Künste von Albert Munch
Magisches Kochbuch für Anfänger von Melissa Bergstein
Alle Arten von Magie von Melissa Arkula
Verwandlung aller Art von Mia Koch
Umgehen mit magischen Kräutern von Bella Persikel
Wir erwarten Sie am 20.Juni um acht Uhr morgens bei der Grossen Kutsche.
In der Hoffnung, dass Sie wohlauf sind,
Argus Gephan
Schulleiter der Bat Black Academy
Warte, was?
Eine Zauberschule?
Verdattert las Kylie den Brief noch einmal durch.
Sie hatte da tatsächlich das Wort Zauberschule gelesen!
Moment, ich sollte eine Hexe sein?
Warte, wenn Mom mir wirklich erlauben würde, dort hinzugehen, dann bedeutete das …, dass ich nie mehr in die öde Menschenschule gehen müsste!
Und als Pluspunkt müsste ich mich nicht mehr mit Erina und Ariana und diesen anderen Mobbern aus der Schule herumschlagen!
Mom muss es mir einfach erlauben!
Sie riss ihre Zimmertür auf und rannte blitzschnell ins Wohnzimmer, wo Mom, ihre Grosseltern, Tante Grace und Onkel Julius und Tante Bella immer noch auf dem Sofa sassen und langweiliges Erwachsenen-Zeugs redeten.
»Mom! Ich habe gerade einen Brief bekommen! Ich bin in einer Akademie für Hexen und Zauberer aufgenommen worden!«, platzte Kylie heraus.
»Klar bist du aufgenommen worden! Wir alle hier waren dort!«, rief Grandma Claudia feierlich und schloss Kylie in die Arme.
»Echt, jetzt? Aber wieso habt ihr mir das nie erzählt?«, fragte Kylie aufgeregt.
»Wir wollten dich überraschen, was sonst?«, erklärte Tante Bella lächelnd.
»Wirklich? Ihr wollt mich nicht veräppeln?«
Wollen die mir einen Streich spielen?
Haben sie mich reingelegt?
Aber da war doch der Brief. Der Brief, der an sie adressiert war und von einer Fledermaus transportiert wurde.
War das Beweis genug?
Oder war das keine echte Fledermaus?
Nein, natürlich war sie das, sie war ganz eindeutig lebendig!
Und doch, und doch…
»Kylie, du bist eine Hexe. Das steht ganz klar fest«, sagte Grandpa Vlado und fasste Kylie an beiden Schultern und blickte ihr ernst und durchdringend in die Augen.
»Im Brief steht, ich muss mir Schulsachen besorgen. Aber wo bekomme ich die her?«, fragte Kylie, immer noch ganz aufgeregt. Ganz zappelig war sie, hüpfte von einem zum anderen Bein.
»Morgen gehe ich mit dir, wenn das für deine Mutter in Ordnung ist«, sagte Grandpa mit fragendem Blick zu Kylies Mutter.
»Bitte, Mom!«, flehte Kylie ihre Mutter an.
»Na gut, du darfst mit Grandpa gehen«, sagte ihre Mutter mit einem Seufzer, aber einem Lächeln im Gesicht.
Ein paar Minuten später ging Kylie mit ihrem Grandpa in ihr Zimmer und spielte mit ihm Schach.
»Grandpa, wie warst du denn in der Bat Black Academy?«, fragte Kylie und rückte ihren Bauer ein Feld nach vorne.
»Oh, ich war ausgezeichnet, doch ich wette, du wirst noch viel besser!«, antwortete er.
»Wie kann ich dann mit dir oder Mom kommunizieren?«
»Du kannst uns Briefe schicken«, sagte Grandpa und rückte seinen Bauer ebenfalls ein Feld nach vorne.
»Komme ich über Weihnachten oder Ostern nach Hause?«, fragte Kylie weiter und bewegte ihren Turm auf die Dame von Grandpa zu.
»Das kannst du selbst entscheiden.«
»Was gibt es dort für Fächer? Zaubertrankunterricht?« Kylie war verständlicherweise sehr neugierig, sie hoffte nur, dass die Lehrperson nicht wie Severus Snape aus Harry Potter war.
»Das wirst du schon sehen«, antwortete Grandpa augenzwinkernd.
Kylie stöhnte. Sie hasste Geheimnisse.
Sie spielten noch mehrere Runden Schach, lachten, erzählten sich gegenseitig Witze (vor allem die von Grandpa Vlado waren sehr gut), und forderten sich zu einer Runde Uno aus.
»So spät schon! Ich muss noch zur Arbeit!«, sagte Grandpa mit einem Blick auf die Uhr, als sie gerade die Karten versorgten und sprang auf. Obwohl er sechzig Jahre alt war, arbeitet er immer noch fit und mit voller Leidenschaft als Volleyballtrainer.
Er lief ins Wohnzimmer und Kylie folgte ihm.
»Wir müssen leider los, danke für den Kaffee und die Torte«, bedankte sich Grandma mit ihrer üblichen trällernden Stimme, als sie ihren Mann hereinkommen sah.
»Keine Ursache«, winkte Mom ab.
Grandma schloss Kylie noch liebevoll in die Arme, bevor sie sich auf die Haustür zubewegten.
»Einen schönen Geburtstag noch, Kylie«, verabschiedete sich Grandpa winkend.
»Tschüss, Kylie«, sagte Grandma und umarmte sie noch einmal.
Und schon waren sie weg.
Nach wenigen Minuten machten sich auch die übrigen Gäste auf den Weg nach Hause. Kylie ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich aufs Sofa, während ihre Mutter das Abendessen kochte.
Sie dachte über den Brief nach, den sie bekommen hatte. Unbedingt wollte sie Erinas und Arianas Gesichter sehen, wenn sie herausfänden, dass Kylie im Gegensatz zu ihnen nicht mehr in der normalen Schule Matheaufgaben lösen musste.
Die werden es vermissen, mich zu schikanieren.
Kylie war einfach nur froh.
Als sie später gegessen hatte, machte Kylie sich bettfertig. Doch sie ging noch lange nicht schlafen. Sie dachte über den ganzen Tag nach. In nicht mal 24 Stunden war so viel passiert, dass es irgendwie fast nicht real wirkte. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass sie tatsächlich eine Hexe war. Dass sie bald wegkonnte von Erina und Ariana, weg von der Schule, wo sich alle gegen sie verschworen hatten. Miss Miller und all die anderen, denen sie ihren Schmerz zu verdanken hatte.
Um sich zu vergewissern, dass sie wirklich zur Bat Black Academy gehen würde, schnappte sie sich nochmal den Brief und überflog ihn rasch.
Es war wirklich wahr!
Mit diesem glücklichen Gedanken schlief sie schliesslich ein.
»Kylie, aufwachen! Sonst kommst du zu spät zur Schule!«, rief Elena, ihre Mutter, von unten aus der Küche.
Kylie setzte sich auf.
O nein. Schule bedeutet Miss Miller. Und die ist der absolute Albtraum.
Sie quälte sich aus dem Bett und zog sich an.
»Morgen«, begrüsste sie ihre Mutter, als sie in die Küche schlurfte.
»Guten Morgen, Kylie«, sagte ihre Mutter ohne jede Spur der Müdigkeit.
Wie schaffte Mom das bloss, so fit und kein bisschen müde zu sein, trotz all der Arbeit, die sie bewältigen muss?
Kylie hatte nämlich ihre Mutter gestern spät in der Nacht, als sie kurz wegen des seltsamen Traumes, den sie immer träumte, aus dem Schlaf gerissen wurde, gehört, wie sie die Fenster putzte, so munter wie eh und je, und den Boden schrubbte und staubsaugte.
Kylie setzte sich und rührte lustlos mit dem Löffel in ihren Cornflakes rum.
»Wieso bist du so trübselig, Kylie?«, fragte ihre Mom besorgt.
»Da fallen mir ziemlich viele gute Gründe ein«, meinte Kylie.
»Und die wären?«, fragte Kylies Mutter.
»Nicht wichtig. Ich … muss jetzt wohl schnell noch die Zähne putzen!«, rief Kylie und löffelte rasch die Schüssel aus.
Als sie fertig war, stieg sie samt Rucksack auf ihr Fahrrad und machte sich auf den Weg zur Schule. Sie trampelte heftig in die Pedale und warf ab und zu einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie war auf dem sicheren Weg, zu spät zu kommen.
Sie seufzte, als sie das verhasste weisse Gebäude vor sich sah. Sie schob ihr Fahrrad zum Fahrradständer und blickte kurz auf die Uhr. Noch zwei Minuten.
Blitzschnell sprintete sie in das Gebäude und rannte die vielen Treppen hoch.
Ihr blieb noch eine Minute …
Sie rannte ein paar weitere Treppen hoch und hörte das Schulklingeln. Kylie stöhnte.
Mit üblem Seitenstechen rannte sie zur Klassenzimmertür und riss sie auf.
Jetzt!«, hörte sie Arianas Stimme.
Abrupt blieb Kylie in der Tür des Klassenzimmers stehen und sah, wie Papierflieger auf sie geworfen wurden. Von allen Schülern im Klassenzimmer.
Wie üblich, denn von denen konnte man nichts anderes erwarten. Auf den Papierfliegern standen Beleidigungen. Doch daran hatte Kylie sich gewöhnt.
Sie ignorierte die Flieger und setzte sich an ihren Einzelplatz. Niemand wollte neben ihr sitzen.
Miss Miller beäugte sie streng und schien gleichzeitig zufrieden, da sie nun einen Grund hatte, Kylie zu bestrafen.
Blöd nur, dass Miss Miller diesmal im Recht war, da Kylie eigentlich nicht zu spät kommen durfte, das war ja verboten.
Die härteren Bestrafungen wie Schlagen und jede Menge Backpfeifen gab Miss Miller ihr, wenn Ariana und Erina sich eine Lüge ausdachten, sie hätte irgendwie Toilettenpapier verteilt oder Schüler schikaniert, wobei die beiden Zicken das eigentlich alles selbst getan hatten.
Ab und zu dachte sie sich sogar selbst irgendwas Verbotenes aus, für dass sie Kylie bestrafen konnte, vielleicht wenn die anderen Schüler gerade keine Lust hatten, irgendetwas zu tun, dann nahm sie es selbst in die Hand.
Und dann … dann war es Zeit Miss Miller mal wieder nach der Schule einen recht unerfreulichen Besuch abzustatten und Stunden nachzusitzen.
Wie toll.
Sie, diese entsetzliche Frau. Die sie ohne jenen Grund nachsitzen liess, ihr Backpfeifen gab, sie immer ungerecht behandelte und lästige, fiese Sprüche über Kylies Familie zog.
Und das nicht, weil sie zu spät kam, sondern weil Miss Miller es eben so wollte und einfach in Lust und Laune Schüler nachsitzen liess.
Kylie war ihr Lieblingsopfer.
Wieso, dass wusste das Mädchen nicht.
Und irgendwie interessierte es sie auch nicht besonders, weil es die Lage sowieso nicht verbesserte.
Miss Miller rückte ihre kleine Brille gerade, die auf ihrer spitzen Nase lag. Ihre dürre Gestalt war so dürr, dass sie gar nicht wahr sein konnte. Ihr kurzes blondes Haar fiel ihr auf die Schultern und ihr Mund verzog sich schadenfroh zu einem Grinsen, das nie etwas Gutes zu bedeuten hatte.
»Eine Minute zu spät! Das geht gar nicht, Miss Smith! Heute nach der Schule nachsitzen! Zwei Stunden! Und 50 Sätze und Seite 15 bis 40 im Mathebuch!«
Kylies Lehrerin war einfach nur schlimm.
Alle Kinder kicherten.
In Kylie kochte unbändige Wut auf. Sie musste all ihre Willenskraft benutzen, um nicht gleich auf ihre Lehrerin loszugehen. Miss Miller liess die Schüler einfach kichern und verschränkte zufrieden die Arme vor der Brust.
»RUHE!«, donnerte sie schliesslich nach ungefähr zwei Minuten.
Das Kichern verstummte.
»Jetzt schreibe ich Rechenaufgaben an die Tafel und ihr müsst sie lösen, schreibt sie in eure Hefte!«, befahl Miss Miller. Kylie kramte ihr Heft heraus und löste ungefähr fünf Minuten lang die Aufgaben.
Später versorgten alle ihre Hefte und warteten darauf, dass Miss Miller ihnen etwas befahl.
»Was ergibt 7+5+8.25+7+9.5+10+11.75+8.5+1.56? Wer kann mir das beantworten? Na? Ah, da fällt mir gerade jemand passendes ein! Wie erfreulich! Miss Smith, haben Sie einen Grund, diese Frage nicht zu beantworten?«
»Ja. Ist die denn nicht für Fünftklässler? Das haben wir doch noch nicht gelernt! Und ausserdem lernen wir die Dezimalzahlen ja erst gerade kennen! Und Miss Miller, wie soll man das bitte im Kopf rechnen, wenn es so viele Zahlen sind?«, meinte Kylie aufgebracht.
»Stellen Sie keine dummen Fragen und sagen Sie mir gefälligst das Ergebnis!«
»Aber-»
»Kein ›Aber‹! Na los, Smith!«
Kylie schwieg und versuchte sich die vielen Zahlen zu merken. Doch es war einfach zu kompliziert.
Ihr Blick wanderte im Klassenzimmer umher. Auf der rechten Seite der Wandtafel standen lauter Aufgaben für die Sechstklässler. Eine sah der, die Miss Miller gestellt hatte, ziemlich ähnlich. Sie war nicht nur ähnlich, es war genau die Gleiche.
Ich weiss es, dachte Kylie und grinste.
Jetzt würde sie Miss Miller endlich eins auswischen.
»Dachte ich es mir doch«, höhnte Miss Miller und drehte sich zur Wandtafel um.
Jetzt war der richtige Moment gekommen. »68.65.«
Miss Miller drehte sich langsam und bedrohlich um. Ihr Kopf wurde hochrot vor Wut und ihre Lippen kräuselten sich, als würde sie versuchen, einen Wutanfall zu unterdrücken.
Ihre Unterlippe bebte, und die Kiefer der Lehrerin spannten sich an.
Auch wirkte sie schockiert und war gereizt, dass ihre Rache an Kylie nicht funktionierte.
Aber Kylie blieb ganz ruhig.
»Wieso gibt das 68.56, Miss Smith?«, fragte Miss Miller verblüfft.
»Tja, ich habe es einfach im Kopf ausgerechnet! Das muss ich doch bei dieser Aufgabe tun, nicht wahr?«, meinte Kylie immer noch seelenruhig.
Miss Miller konnte dagegen nichts einwenden und schrieb deshalb weiter Aufgaben an die Wandtafel und schwieg. Die Schüler schrieben sie ab und lösten sie im Heft.
Miss Miller korrigierte die Aufgaben, während die Kinder ihre Präsentationen über Tiere machten, die in der Wüste leben.
Dann verteilte die Lehrerin allen ihre Hefte und als sie bei Kylie vorbeikam, runzelte sie die Stirn und reichte ihr mit misstrauischem Blick ihr Heft, als würde sie denken, Kylie sei eigentlich zu dumm für die Aufgaben und sie hätte geschummelt, denn Kylie fiel auf, dass sie die volle Punktzahl.
Nachdem sie eine Stunde im Matheheft gearbeitet hatten, war Deutsch dran. Sie lernten Konjunktionen.
50 Minuten vor der Pause schrieben sie noch zwei Diktate, bevor Miss Miller die Blätter einsammelte und es zur Pause läutete.
Endlich, dachte Kylie.
Sie ging zum Pausenkiosk, wo eine Riesenschlange war. Kylie stöhnte. Dennoch stellte sie sich in die Reihe und wartete.
Plötzlich spürte sie, wie jemand ihr einen festen Nackenklatscher gab. Sie drehte sich um und sah Ariana und Erina vor sich.
»Oh, entschuldige! Ich dachte, du wärst eine riesige Wanze!«, höhnte Ariana mit provozierendem Blick.
Erina lachte schallend.
»Sehr lustig, wirklich, ihr seid ja so was von kreativ, bravo, toll gemacht«, gab Kylie zurück und klatschte.
Sie drehte sich wieder um und ignorierte die beiden.
Da liess sich Erina absichtlich auf den Boden fallen und Ariana spritzte rote Farbe auf Erinas Knie und zwickte Kylie fest in den Arm. Kylie stiess ein Keuchen aus und Ariana schubste sie hart zu Boden.
Kylie hörte Erinas falsches Weinen und gerade als sie sich wieder aufrappelte, kam Miss Miller angerannt.
»Nein«, flüsterte sie leise, »bitte nicht …«
»Ariana, bringen Sie Ihre Schwester ins Klassenzimmer, ich komme gleich nach. Smith, Sie sind eine grosse Schande für diese Schule!«, rief Miss Miller streng.
»Ich war das nicht! Ich schwöre es!«, sagte Kylie.
»Ich denke, das werden wir mit weiteren zwei Stunden Nachsitzen bestrafen. Das sind dann vier Stunden Nachsitzen, ja … ja, ich glaube, das ist eine angemessene Strafe«, sagte Miss Miller vergnügt. Gerade als Kylie dachte, das Ganze könnte nicht noch schlimmer werden, fügte sie hinzu: »Und 20 Hausaufgabenblätter, bis morgen fertig.«
Jetzt hatte Kylie so was von genug. Das war’s. Sie war mit ihren Nerven komplett am Ende.
»Das können Sie nicht machen! Ich habe gar nichts getan! Das ist alles so unfair! Sie sind so unfair! Und gemein und …«
»Wollen Sie noch weitere Stunden Nachsitzen haben, Smith?«
Kylie blickte auf den Boden und schüttelte den Kopf.
»Eben«, sagte Miss Miller, drehte sich um und ging.
Da ertönte das Schulklingeln und in Kylies Augen brannten Tränen der Wut. Sie wischte sie sich weg, lief zum Klassenzimmer und betrat es.
Als nach der Schule alle anderen nach Hause gingen, musste sie das überflüssige Nachsitzen überbestehen.
Miss Miller liess sie die Aufgaben machen, während sie sich in ihrem Schreibtischstuhl nach hinten lehnte und genüsslich ihre Tasse Tee genoss.
Kylie schrieb gerade einen Aufsatz über die erste Mondlandung und versuchte sich darauf zu konzentrieren, während Miss Miller sie provozierte und immer wieder Sachen sagte, damit sie ihr, Kylie, nach ein paar Wutanfällen noch mehr Arbeiten aufhalsen konnte.
Um die Wut zu unterdrücken, konzentrierte Kylie sich auf ihre Sätze.
»Tja, Smith, böse Kinder verdienen es, bestraft zu werden. Um ihre Taten zu begleichen, verstehst du? Und natürlich, um die Probleme, die sie bereiten, schleunigst zu«, Miss Miller schnippte mit dem Finger in der Luft, »beseitigen.«
Kylie ignorierte sie und konzentrierte sich auf ihre Worte.
Im Jahre 1969 betrat Neil Armstrong als erster Mensch den Mond.
» … aber da müssen Sie sich keine Sorgen machen, Smith, denn das liegt alles im Blut. Böses Blut fliesst immer wieder durch. Das kommt wohl von ihrer abnormalen Mutter, einer furchtbaren Frau, wirklich …«
John F. Kennedy, der amerikanische Präsident, versprach der amerikanischen Gesellschafft, dass sie im nächsten Jahrzehnt als allererstes Land den sagenhaften Mond betreten werden, da Russland und Amerika im Wettstreit um dieses Ereignis waren, und –
»… eine wirklich dumme Frau. Sehr dumm … macht unnormale Sachen und benimmt sich seltsam und geheimnisvoll … wirklich dumm, nicht wahr?«
Kylie hob den Kopf und versuchte ihre Wut zu verbergen. Das gelang ihr erstaunlicherweise ziemlich gut.
»Ich muss Sie leider enttäuschen, Miss Miller, aber ich muss Ihnen sagen, dass niemand immer recht haben kann, nicht wahr?«
Irgendwie gelang es ihr, ihre Stimme sehr ruhig und gelassen klingen zu lassen, was Miss Miller sehr ärgerte.
»KONZENTRIEREN SIE SICH WIEDER AUF IHREN AUF-SATZ! NA LOS!«, bellte sie, wahrscheinlich, weil sie nicht wusste, was sie darauf erwidern könnte.
Belustigt senkte Kylie erneut den Kopf und schrieb ihren Aufsatz weiter.
Plötzlich sah sie im Augenwinkel etwas am Fenster vorbeirauschen. Es sah aus wie eine grosse Gestalt, die in einen Umhang gehüllt war. Kylie konnte es nicht glauben, flog sie etwa?
Man konnte ein wenig silbernes, eigentlich weisses Haar darunter erkennen, doch so schnell die Gestalt auch aufgetaucht war, war sie auch schon wieder verschwunden.
»Was gibt es da zu sehen?«, bellte Miss Miller.
»Nichts, gar nichts …«, murmelte Kylie hastig.
»DANN SCHREIBEN SIE IHREN AUFSATZ, SONST MUSS ICH MICH NOCH BIS MITTERNACHT MIT IHNEN HERUM-SCHLAGEN!!!!«
»Ja, ja, ich mach ja schon …«
Als sie zu Hause angekommen war, stiess ihre Mom einen erleichterten lauten Seufzer aus.
»Wo zum Himmel warst du?«
»Nachsitzen«, murmelte Kylie.
Sie setzte sich aufs Sofa und erzählte ihrer Mutter, was passiert war.
»Diese Miss Miller übertreibt es langsam«, sagte Mom.
»Langsam?!« Kylie blickte ihre Mom ungläubig an.
Doch dann fiel ihr wieder ein, dass sie ihrer Mutter fast nichts über die schlimmeren Sachen erzählt hat, bloss vom überflüssigen Nachsitzen.
Deshalb, also.
»Aber Nachsitzen ist nicht so schlimm, nicht wahr? Nur, dass sie dich meiner Meinung nach zu lange Nachsitzen lassen hat«, meinte ihre Mutter.
»Jaah, nur ein bisschen Nachsitzen…«
Dann schwiegen beide vor sich hin.
Kylie ärgerte sich über ihre Mutter, weil die ja absolut gar nichts in diesem Thema verstand oder wusste, aber dann fiel ihr immer ein, dass das dann ja ihre Schuld war, weil sie ihr nichts erzählte.
Muss ich ja auch nicht. Es wird mir sowieso nicht viel helfen.
»Ich gehe raus Rollschuh fahren, Mom«, sagte Kylie plötzlich, denn sie ertrug die Stille nicht und hatte wirklich keine Lust mehr mit ihrer Mutter allein zu sein, die offenbar dachte, in diese Schule zu gehen wäre nicht schlimm. Aber ihre Mutter konnte trotzdem nichts dafür.
»Okay. Aber komm bis zirka sechs Uhr zurück!«, erwiderte diese dann.
Mit gemischten Gefühlen, die hauptsächlich aus Wut bestanden ging Kylie nach draussen.
Kylie ging nach draussen und zog ihre neuen Rollschuhe an.
Da kamen Erina und Ariana auf sie zu geschlendert. Sie standen vor ihrem Gartentor und grinsten so breit, als wäre ihr Geburtstag einen Monat früher geschoben worden.
Kylie wusste schon jetzt, dass sie irgendetwas ausheckten. Deshalb versuchte sie die beiden zu ignorieren.
Aber da begannen sie schon wieder Kylie zu plagen.
»Und, wie war’s beim Nachsitzen, Smith?«, höhnte Ariana lachend.
»Sie kann uns nicht sehen«, rief Erina fies kichernd.
»Musst du zum Arzt? Ich glaube, der ist viel zu teuer für Miststücke wie dich!«, rief Ariana.
»Verzieht euch einfach.«
»Sei nicht so frech! Hat dir deine Mommy nicht beigebracht, wie man sich benimmt?«, sagte Erina.
»Habe Respekt vor der Obrigkeit, Smith.«
»Ach ja, das nennt ihr Obrigkeit? Ziemlich schwache Leistung für eine Obrigkeit«, erwiderte Kylie mit hochgehobener Augenbraue.
Erina blickte sie wütend und mit zusammengekniffenen Augen an. »Meine Güte, was hast du für blöde Sprüche!«
»Wenn meine blöd sind, was sind dann deine?«, gab Kylie zurück.
»Besser als deine jedenfalls, das ist schon mal klar«, giftete Ariana.
»Ja, klar …«
»Smith, du bist so –»
»Schert euch weg oder ich verhexe euch. Was ist nochmal letztes Mal passiert, als ihr mich gelangweilt, Verzeihung, genervt habt? Ich kann mich nicht erinnern … könnt ihr mir vielleicht auf die Sprünge helfen? Wartet, nein, mir ist es eben gerade eingefallen! Wer hing nochmal kopfüber in der Luft?«
Sie hatte es tatsächlich geschafft, das Grinsen auf den beiden Gesichtern wegzuwischen.
»Es gibt keine Zauberei!«, schrie Erina, doch sie wich ein paar Schritte von Kylie weg.
»Gehen wir lieber, Erina …«, murmelte Ariana verängstigt.
»Habt die Obrigkeit etwa Angst?«, lachte Kylie.
»Nein, haben wir nicht!«, schrie Ariana.
»Abrakadabra! Simsalabim!«, fing Kylie mit finsterer Stimme an.
Die beiden Schwestern schrien entsetzt und rannten Hals über Kopf weg und mit vor Angst geweiteten Augen davon.
Man konnte Arianas Kreischen immer noch hören, obwohl sie bereits in ihrem Haus verschwunden war.
Kylie lachte herzhaft. Sie konnte es nicht fassen. Erina und Ariana liessen sie endlich in Ruhe! Wie lange das wohl anhalten wird? Jedenfalls hatte sie jetzt ihre Waffe.
Sie zog ihre Rollschuhe an und fuhr vergnügt die vielen Strassen entlang. Da bemerkte sie einen Haufen Fledermäuse, die wie dunkle Schatten den leicht rötlichen Himmel streiften. Kylie lächelte wissend. »Bald komme ich, keine Sorge«, flüsterte sie.
Zurück zu Hause, als sie gerade ihre Rollschuhe verstaute, hörte sie eine Männerstimme in den Nachrichten sagen: »Heute Mittag sind ein Haufen Fledermäuse mitten am helllichten Tag gesichtet worden. Was natürlich sehr seltsam ist, sagen die Zeugen, die es gesehen haben. Ein paar Forscher wollten dem Thema auf den Grund gehen, weshalb Fledermäuse dies tun. Dann sah man auch noch Leute in braunen Umhängen die Strasse entlangspazieren.«
Kylie trat ins Wohnzimmer und fragte: »Wie? Was? Leute in braunen Umhängen? Hier gibt es Zauberer?!«
»Natürlich, überall gibt es Zauberer, Kylie«, antwortete ihre Mutter, die belustigt schmunzelte.
»Ich gehe ins Bett«, gähnte Kylie, die im Türrahmen des Wohnzimmers stand.
Mittlerweile war es schon halb zehn Uhr.
Ihre Mutter sass im Wohnzimmer und blickte auf, als Kylie hereinkam.
»Gute Nacht«, fügte Kylie noch hinzu, so beiläufig, wie es nur ging.
»Willst du mir vielleicht etwas sagen, Kylie?« fragte ihre Mom mit demselben bohrenden Blick wie immer, und Kylie hatte erneut das Gefühl, sie würde ihre Gedanken lesen.
Nein, ihrer Mom wird sie nichts von dem ganzen Hass in der Schule erzählen. Und auch nicht, dass sie immer noch, nach ganzen zehn Jahren, keine Freunde hatte. Und von den Beleidigungen auf den Papierfliegern würde sie ihr auch nichts erzählen.
»Nein, nichts«, behauptete Kylie.
»Du siehst traurig aus«, sagte Mom.
»Ich bin einfach nur müde, Mom. Ich hatte einen langen Tag.« Und das war nicht mal gelogen.
»Dann ist ja gut, schlaf schön«, sagte Mom gar nicht überzeugt.
Kylie ging in ihr Zimmer und liess sich auf ihr Bett fallen.
Als sie eingeschlafen war, träumte sie erneut denselben Traum, wie jede Nacht, während sie sich im Schlaf auf dem Bett hin und -her wälzte und unverständliches Zeugs murmelte.
Plötzlich hörte sie zwei vertraute Stimmen, die sehr weit entfernt klangen, aber immer lauter und deutlicher wurden.
Sofort war sie hellwach.
Sie rappelte sich auf und warf die Decke zurück.
Blitzschnell rannte sie aus ihrem Zimmer und stolperte immer noch im Schlafanzug die Treppe nach unten.
»Ist sie schon wach?«, fragte Grandpa Vlado gerade.
»Nein, aber weck sie nicht auf«, antwortete Mom mit gesenkter Stimme.
»Zu spät, ich bin schon wach!«, rief Kylie ihrer Mutter zu, als sie am Fusse der Treppe ankam.
»Kylie! Du bist schon auf den Beinen? Es ist doch erst halb sechs! Du stehst gewöhnlich erst um halb acht auf!«, sagte Mom überrascht.
Kylie winkte Grandpa zu und fragte ihn, ob sie jetzt, wenn sie sich angezogen hätte, losgehen könnten, während Mom hartnäckig beteuerte, dass Kylie zuerst essen müsse.
»Na schön, dann esse ich schnell einen Toast und gehe dann, okay?«, schlug Kylie hoffnungsvoll vor.
»Zwei Toasts«, sagte Mom.
Nachdem sie gegessen hatten, zog Kylie sich kurz an und putzte die Zähne, während Grandpa sich mit Mom an der Haustür unterhielt.
»Gut, du bist schon fertig. Dann können wir jetzt los«, meinte Grandpa, als Kylie die Treppe hinunterstürmte. »Zu Fuss?«, fragte Kylie verdutzt.
»Nein, wir gehen mit einem Einhorn«, entgegnete Grandpa lachend.
»Einhörner?« Kylie riss die Augen auf, doch Grandpa beantwortete ihre Frage nicht. Er zog seinen grünen Zauberstab (den Kylie noch nie im Leben gesehen hatte), und schwang ihn dreimal.
»So«, sagte Grandpa vergnügt.
Kylie blickte erwartungsvoll in den blauen nach wie vor leeren Himmel. Das Einzige, was dort zu sehen war, waren ein paar Wolken. Gerade als sie enttäuscht glaubte, dass keine Einhörner kommen würden, tauchten vor ihr zwei Geschöpfe auf. Sie hatten weisses Fell, das sogar bei Tageslicht glitzerte. Eines der Einhörner hatte eine silbrige Mähne und das andere eine goldige. Beide hatten ein hellblaues glitzerndes Horn.
Die funkelnden blauen Augen der beiden Geschöpfe huschten neugierig umher, bis sie Kylie und Grandpa entdeckten. Kylie hatte das Gefühl, dass sie nicht über den Boden liefen, sondern schwebten. Sie schwebten oder liefen auf sie zu und Kylie blickte ihren Grandpa verblüfft an.
»Sehen die Menschen die Einhörner nicht?«
»Nein. Sie können bloss von Hexen oder Zauberern gesehen werden«, antwortete Grandpa kopfschüttelnd.
Kylie konnte immer noch nicht so recht fassen, was sie da gerade vor sich hatte.
»Also, dann mal rauf mit dir!«, rief Grandpa lachend über ihre nach wie vor verblüffte Miene.
Kylie stieg langsam und sehr tollpatschig auf das geflügelte Einhorn. Mit tollpatschig meine ich, dass sie gefühlt zehnmal herunterfiel, bis sie endlich oben sass. Das Einhorn war so gross!
Dann stieg Grandpa auf sein Einhorn. Er hatte sich das mit der goldigen Mähne ausgesucht.
Langsam und flügelschlagend stiegen sie in die Höhe.
Kylie klammerte sich so fest sie konnte an das Einhorn. Sie musste sich einen Moment vergewissern, dass sie nicht den Magen unten vergessen hatte, denn so fühlte es sich jedenfalls an.
Sie schloss die Augen, weil sie es nie ertragen konnte, etwas schnell vorbeisausen zu sehen. Doch es fühlte sich diesmal anders an. Nicht so wie in einem Flugzeug, in dem man jeden Moment damit rechnet, sich gleich in den Schoss zu kotzen.
Sie fühlte sich frei. Sie hatte nicht mehr das Gefühl, dass sie in der Schule immer hatte. In der Schule fühlte es sich an, als wäre sie eine Gefangene in einem Gefängnis.
Als sie nach einer Weile plötzlich runterflogen, dachte sie zuerst, sie würden abstürzen. Sie riss ihre Augen auf und war froh, als sie sanft landeten.
Sie stiegen ab und winkten den Einhörnern zum Abschied zu, die schon wieder langsam in die Höhe flogen und plötzlich verschwunden waren.
»Einhörner können teleportieren«, sagte Grandpa.
»Oh«, meinte Kylie nur. Dann blickte sie sich um, sie standen vor einem langen, düsteren Gang.
»Hier entlang«, sagte Grandpa und zeigte den Gang entlang.