The Right Move - Liz Tomforde - E-Book

The Right Move E-Book

Liz Tomforde

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Beschreibung

Flugbegleiterin Indy und sexy Basketball-Star Ryan sind wie Feuer und Wasser. Eine Fake-Beziehung soll die beiden näher an ihre Ziele bringen, doch dann sprühen plötzlich ganz andere Funken – verführerische Funken! Der TikTok-Hype endlich auf Deutsch!

Für Superstar Ryan zählt nur Basketball. Der gutaussehende, abgeklärte Captain des NBA-Teams von Chicago gilt als kalter Einzelgänger ohne Privatleben. Das denkt auch Indy von ihm. Die quirlige beste Freundin von Ryans Schwester ist von den Männern enttäuscht und hat großen Liebeskummer. Als sie aus der Not heraus bei Ryan einzieht, fliegen zwischen den beiden regelmäßig die Fetzen. Dann machen sie einen Deal: Beide können von einer Fake-Beziehung profitieren. Doch Indys Herz droht erneut gebrochen zu werden, als die gespielten Gefühle sich plötzlich echt anfühlen und sie sich nicht mehr gegen die Anziehung zu Ryan wehren kann ...

Sports Romance trifft auf Fake Dating, Forced Proximity und Grumpy x Sunshine – der TikTok-Hype endlich auf Deutsch!

Die »Windy City«-Reihe bei Blanvalet:

Band 1: Mile High

Band 2: The Right Move

Band 3: Caught Up

Band 4: Play Along

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Seitenzahl: 679

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Buch

Für Superstar Ryan zählt nur Basketball. Der gut aussehende, abgeklärte Captain des NBA-Teams von Chicago gilt als kalter Einzelgänger ohne Privatleben. Das denkt auch Indy von ihm. Die quirlige beste Freundin von Ryans Schwester ist von den Männern enttäuscht und hat großen Liebeskummer. Als sie aus der Not heraus bei Ryan einzieht, fliegen zwischen den beiden regelmäßig die Fetzen. Dann machen sie einen Deal: Beide können von einer Fake-Beziehung profitieren. Doch Indys Herz droht erneut gebrochen zu werden, als die gespielten Gefühle sich plötzlich echt anfühlen und sie sich nicht mehr gegen die Anziehung zu Ryan wehren kann …

Autorin

Liz Tomforde ist selbst Fan von Sports Romance und hat es sich auf die Fahne geschrieben, in ihren Romanen gesunde Beziehungen zu zeigen und Männer zu erschaffen, in die man sich einfach verlieben muss. Neben ihrer Tätigkeit als Autorin ist sie selbst Flugbegleiterin für ein NHL-Team und verbindet so ihre beiden weiteren Leidenschaften, das Reisen und Eishockey. Während der Pandemie nutzte sie die Inspiration aus ihrem Job und schrieb ihren ersten Roman, schon bald entstand die ganze »Windy City«-Reihe, die einen regelrechten TikTok-Hype auslöste. Liz Tomforde lebt und schreibt in Kalifornien.

Liz Tomforde

The Right Move

Roman

Deutsch von Maike Hallmann

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »The Right Move« bei Hodder & Stoughton Ltd., London.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Copyright der Originalausgabe © 2023 by Liz Tomforde

Translation rights arranged by The Sandra Dijkstra Literary Agency

All Rights Reserved

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2024 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Catherine Beck

Umschlaggestaltung: www.buerosued.de nach einer Originalvorlage von Ever After Cover Design

Umschlagdesign: Ever After Cover Design

JS · Herstellung: DiMo

Satz: Vornehm Mediengestaltung GmbH, München

ISBN 978-3-641-31937-3V001

www.blanvalet.de

Für Marc, Allyson, Paige und Camille.

Eines der Themen in diesem Buch ist es, Freundschaften zu finden, die dein Glas füllen, statt es zu leeren.

Vielen Dank, dass ihr in meinem Leben die Menschen seid, die Letzteres tun.

Kapitel 1

Ryan

Ich bin kein Träumer. Zumindest nicht im traditionellen Sinn. Meine Träume sind greifbar, erreichbar, keine romantisierten Vorstellungen des Unmöglichen.

Manch ein erwachsener Mann fällt wegen dieser achtundvierzig Minuten Basketball auf die Knie und betet. Ich hingegen verherrliche das Schicksal nicht und überlasse nichts dem Zufall. Ich glaube an harte Arbeit und Hingabe. Ich habe einen Lebensplan. Gelegenheiten bieten sich mir deshalb, weil ich auf sie hingearbeitet habe.

Meine Mannschaftskameraden allerdings haben ihren Traum von der Meisterschaft eindeutig romantisiert, wenn ich mir ansehe, wie untrainiert sie in die erste Trainingswoche stolpern.

»Dom, du musst doppelt so schnell blocken, wenn das noch was werden soll. Du bist so verdammt langsam, was zum Teufel hast du den ganzen Sommer über gemacht?«

»Mein Leben genossen, Shay. Solltest du auch mal versuchen.« Dom Jackson, unser Hüne, sackt in sich zusammen, stützt sich auf den Knien ab und versucht mühsam, zu Atem zu kommen. Auch meine anderen Mannschaftskameraden sind ordentlich aus der Puste.

Ich wische mir gerade mit dem Trainingstrikot den Schweiß von der Stirn, als einer der Neulinge mir den Ball von der Freiwurfzone aus zuspielt.

»Versuchen wir’s noch mal«, sage ich.

»Ryan, das Training ist eigentlich schon seit einer Stunde rum. Einige von uns haben Frauen und Kinder, die auf uns warten.« Ethan Jeong, unser altgedienter Shooting Guard, steht am Spielfeldrand, die Hände in die Hüften gestemmt.

»Ja, und einige von uns haben Dates mit …« Dom blickt zu einem der jungen Männer an der Seitenlinie hinüber. Wie heißt sie noch mal?, formt er lautlos mit den Lippen. »Ach ja, Raquel! Einige von uns haben Dates mit schönen Frauen, die Raquel heißen.«

Mein Blick wandert über meine Teamkollegen. Alle bis auf mich sind völlig erledigt. »Gut«, kapituliere ich. »Wir machen Schluss für heute.«

»Gott sei Dank!« Dom dreht sich um und zieht erleichtert das schweißnasse Trikot aus. Der Rest des Teams folgt ihm eilig in die Umkleidekabine.

»Es ist noch Vorsaison, Ryan.« Ethan legt mir tröstend die Hand auf die Schulter. »Die kriegen das schon hin.«

»Ich bin das Verlieren leid. Ich habe den ganzen Sommer über zweimal am Tag trainiert, um für diese Saison in Form zu kommen. Die anderen müssen sich anstrengen, um auf mein Niveau nachzuziehen.«

»Sie werden nie auf dein Niveau kommen. Deshalb wirst du einer der ganz Großen sein … aber als neuer Kapitän brauchst du auch den Respekt deiner Mannschaft, und dabei geht es nicht darum, wie du spielst.« Er nimmt die Hand von meiner Schulter und wendet sich zum Gehen. »Außerdem möchte ich ungern«, sagt er über die Schulter, »dass du dich zu sehr verausgabst. Du musst mich mit in die Meisterschaft schleifen und dafür sorgen, dass ich einen Championship-Ring bekomme, damit ich beruhigt in Rente gehen kann.« Grinsend trollt sich Ethan in die Umkleidekabine.

Er ist ein guter Kerl. Ein Familienmensch. Dreifacher Vater und langjähriger NBA-Veteran. Er war sieben Jahre lang Mannschaftskapitän, hat aber am Ende der letzten Saison seinen Rücktritt eingereicht, zugunsten seiner Work-Life-Balance.

Und seit letzter Woche bin ich der neue Kapitän der Devils, Chicagos NBA-Team.

Ich wusste, dass es eines Tages so weit sein würde. Ich wusste nur nicht, dass ich erst siebenundzwanzig sein würde und noch vor meiner fünften Saison in der Liga. Ich habe selbst noch viel zu lernen, und jetzt trage ich zusätzlich die Verantwortung für die Mannschaft, auf und neben dem Platz.

Der Manager der Devils war gegen meine Beförderung, aber so läuft das hier nicht. Unser Kapitän wird durch Teamabstimmung bestimmt, und die war einstimmig.

Ich möchte dieser Aufgabe gerecht werden und will nicht nur für meine Spielweise respektiert werden … Mein Talent wird in der Liga ohnehin oft gewürdigt. Ich habe dem Sport mein Leben gewidmet und viel dafür geopfert. Jahr für Jahr schlage ich meine eigenen Rekorde und lasse mich nie von meinem Ziel abbringen – einer der besten Spieler aller Zeiten zu sein.

Allerdings wandle ich in großen Fußstapfen, denn ich komme aus derselben Heimat wie der GOAT persönlich. Die Meisterschaftsbanner im United Center erinnern mich ständig daran, und die titellosen Jahre seitdem scheinen mich zu verhöhnen.

Ich will, dass meine Jungs dieses Spiel genauso ernst nehmen wie ich. Das müssen sie, wenn wir in dieser Saison eine Chance haben wollen. Aber wie vermittle ich ihnen das, ohne dabei wie der kontrollsüchtige Point Guard zu klingen, als den sie mich kennengelernt haben? Jetzt muss ich als Mannschaftskapitän eine neue Kommunikationsstrategie finden. Hört auf mich, denn ich bin der beste Spieler, mit dem ihr je auf dem Platz gestanden habt funktioniert nicht mehr.

Ich stehe keinem meiner Teamkollegen außer Ethan besonders nahe, daher hat mich das Ergebnis der Wahl überrascht. Mein Spiel hat immer für sich selbst gesprochen – mit der neuen Verantwortung muss ich jedoch erst umgehen lernen.

»Casey«, rufe ich einem der Praktikanten zu, der gerade vorbeihuscht. »Das ist doch dein Name, oder? Casey?«

»Ja, Mr. Shay.«

Ich verdrehe die Augen. »Nenn mich Ryan oder Shay oder wie auch immer du willst, aber nicht Mr. Shay. Hast du gerade Zeit? Ich brauche jemanden, der meine Rebounds abfängt.«

»Ich, äh … ich … also, meine Mutter …«

»Hast du jetzt schon was vor oder nicht?«

»Nö.« Er schüttelt schnell den Kopf. »Ich kann das machen, Mr. Shay.« Er reißt die Augen weit auf. »Ryan! Ich kann für dich die Bälle abfangen, Ryan.«

Nervös läuft er unters Netz und steht dann wartend da in seiner khakifarbenen Cargohose und dem Poloshirt mit unserem Mannschaftslogo. Er kann nicht älter als achtzehn oder neunzehn sein, aber unsere Personalabteilung hat ihm Klamotten zugewiesen, die besser zu einem Mittvierziger passen würden.

Ich nehme meinen Platz an der Freiwurflinie ein, wo ich bleiben will, bis ich mindestens hundert Mal getroffen habe, aber bei Wurf Nummer sechsundsiebzig wird die Tür hinter uns aufgestoßen.

»Ry!«, ruft meine Schwester. »Das Training ist schon seit zwei Stunden vorbei. Ich hab dich gesucht.«

»Hey, Vee!«

Wurf Nummer siebenundsiebzig ist ein Treffer und berührt kaum das Netz. Casey holt sich den Ball und wirft ihn mir zurück.

»Du hast doch heute Morgen schon trainiert. Was machst du da?«

»Freiwürfe üben.«

Meine Zwillingsschwester steht ein paar Meter entfernt, eine Hand in die Hüfte gestützt. Ich blicke nicht in ihre Richtung, sehe aber aus den Augenwinkeln, wie sie den Kopf schüttelt, dass ihr lockiges Haar schwingt.

»Wie heißt du?«, fragt sie den Praktikanten.

»Ich bin Casey.«

»Ich übernehme für dich, Casey.« Stevie fängt den Ball ab und nimmt seinen Platz unter dem Netz ein.

Der nervöse Blick des Praktikanten springt zwischen meiner Schwester und mir hin und her.

»Wie kommst du denn nach Hause? Es ist schon spät.« Meine Zwillingsschwester ist wirklich lieb … Mir ist nicht mal der Gedanke gekommen, dass der Junge vielleicht meinetwegen seine Mitfahrgelegenheit nach Hause verpasst hat.

»Meine Mutter parkt hinten und wartet auf mich.«

»Ryan!«, schimpft Stevie. »Seine Mutter wartet auf ihn!«

»Das wusste ich nicht!« Ich hebe entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, Mann.«

Casey schüttelt hastig den Kopf. »Es war mir eine Ehre, Mr. Shay.«

Ich mustere ihn mit zusammengekniffenen Augen.

»Ryan, meine ich. Es war mir eine Ehre, Ryan Shay. Jederzeit wieder.« Casey winkt unbeholfen und huscht durch die Haupttür hinaus.

Stevie dreht sich wieder zu mir um. »Seine Mutter wartet auf ihn.« Sie lacht. »Wie verdammt hinreißend ist das bitte?«

»Wirklich sehr hinreißend«, sage ich, klatsche in die Hände und starre den Basketball an, der auf ihrer Hüfte ruht.

»Wie viele noch?« Sie wirft mir den Ball mit einem perfekten Pass zu. Nach siebenundzwanzig gemeinsamen Jahren hat meine Zwillingsschwester es einfach drauf.

Ich versenke den Ball im Korb. »Zweiundzwanzig.«

Sie wirft ihn zurück.

»Was ist los?«, frage ich sie. »Hast du schon genug von Zanders? Willst du wieder bei mir einziehen?«

»Haha«, sagt meine Schwester trocken. »Auf gar keinen Fall. Ich bin besessen von dem Kerl.«

Zufrieden lächle ich sie an. Evan Zanders, den ich lange für einen Idioten hielt, hat sich als echter Prachtkerl entpuppt. Er spielt professionell Eishockey für Chicago, und meine Schwester war letztes Jahr Flugbegleiterin für sein Team. Ihre Beziehung war bis Anfang dieses Sommers geheim, aber seit vier Monaten schwelgen sie darin, ihre Liebe nicht mehr verstecken zu müssen.

Stevie ist bei ihm eingezogen. Zu meiner Freude wohnt er direkt gegenüber auf der anderen Straßenseite, und so gern ich auch recht habe … Ich bin froh, dass ich mich in diesem Mann so sehr getäuscht habe. Er bringt meine Schwester zum Strahlen, wie ich es noch nie erlebt habe, und tut ihrem Selbstbewusstsein unglaublich gut. Es ist schwer, jemanden zu hassen, der das Beste ist, was einem Lieblingsmenschen passieren konnte.

Und inzwischen ist er auch mir ein guter Freund geworden.

»Tja, ich würde sagen, er ist genauso besessen von dir, wenn nicht sogar noch schlimmer.«

Meine Schwester stützt den Ball auf ihre Hüfte. »Ich weiß. Ist das nicht toll?«

Leise lachend schüttle ich den Kopf und klatsche in die Hände, damit sie mir den Ball zurückwirft.

In der Nähe meiner Schwester bin ich ein anderer Mensch. Der Mensch nämlich, der ich war, bevor ich reich und berühmt wurde. Das Geld ist mir nicht so zu Kopf gestiegen, wie man es befürchten könnte, wenn jemand gleich beim ersten Draft ins Team geholt wird, aber der frühe Ruhm hat mich vorsichtiger gemacht und auch paranoider. Stevie ist der einzige Mensch auf der Welt, dem ich, ohne mit der Wimper zu zucken, mein Leben anvertrauen würde, und in ihrer Gegenwart verstelle ich mich nicht, sondern kann mich einfach entspannen. Und ganz ich selbst sein.

»Also, was ist los?« Ein weiterer Treffer. »Was ist so dringend, dass du herkommst und freiwillig meine Rebounds holst?«

Stevie behält den Ball und verschränkt die Arme darüber. »Ich muss dich um einen Gefallen bitten.«

Ich strecke die Hände aus, aber sie ignoriert mich. »Was für einen Gefallen?«

»Du weißt doch noch, wie ich ausgezogen bin?«

»Ja, Vee. Ich bin ziemlich sicher, dass ich mich erinnere, dass ich jetzt allein lebe.«

»In deiner riesigen, wunderschönen Wohnung, die ständig leer steht, wenn du auf Auswärtsspielen bist.« Ihre Augen funkeln.

»Und?«

»Du kennst doch meine Freundin Indy, oder? Meine frühere Arbeitskollegin?«

»Das Mädchen, das auf einmal vor unserer Tür stand, die ganze Nacht durchgeheult und dann bei unserer nächsten Begegnung in einer Bar auf meine Schuhe gekotzt hat? Schwer zu vergessen.«

»Es ging ihr ja nur deshalb so schlecht, weil sie ihren langjährigen Freund mit einer anderen erwischt hat«, erinnert sie mich. »Weißt du, ihre Eltern sind gerade nach Florida gezogen …«

»Nein.«

»Ryan«, ruft Stevie empört. »Ich hab noch gar nicht gefragt!«

»Ich weiß. Und ich werde dich aufhalten, bevor du es tust. Du weißt genau, wie schwer es mir fällt, dir etwas abzuschlagen, also lasse ich gar nicht erst zu, dass du mich fragst. Sie wird nicht bei mir einziehen.«

»Ry, sie kann nirgendwo hin. Sie wurde gerade befördert, aber wenn sie keine Wohnung in der Stadt findet, muss sie ihren Job aufgeben. Und du weißt doch, wie wenig wir verdienen.«

»Genug, um sich eine Wohnung zu leisten.«

»Sie ist …« Meine Schwester zögert. »Sie hat finanzielle Probleme und kann es sich nicht leisten, allein hier zu leben. Chicago ist teuer.«

»Dann soll sie bei irgendeinem Freund unterkommen. Ich kenne sie nicht mal, ich weiß über sie nur, dass sie betrogen wurde und keinen Alkohol verträgt.«

»Ryan, jetzt sei doch nicht so. Du hast eine riesige Wohnung und bist sowieso dauernd tagelang unterwegs. Indy reist beruflich genauso viel wie du. Die Eishockeysaison dauert genauso lange wie die Basketballsaison. Ihr werdet euch kaum zu Gesicht bekommen.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Ich will keine Mitbewohnerin. Bei dir war das was anderes, du bist meine Schwester und meine beste Freundin. Aber du weißt, wie heilig mir meine Zeit zu Hause ist. Ende der Diskussion.« Ich klatsche in die Hände, damit meine Zwillingsschwester mir endlich den Ball zurückgibt und ich meine Wurfserie beenden kann.

Stevie lässt enttäuscht die Schultern hängen, dreht sich auf dem Absatz um und geht zur Tür. Meinen Basketball nimmt sie einfach mit.

»Vee, was zum Teufel soll das? Ich muss hier noch ein paar Körbe werfen.«

»Dann kannst du dir den Ball selbst wiederholen.« Sie geht weiter und macht sich nicht mal die Mühe, sich umzudrehen.

»Du bist doch jetzt nicht ernsthaft sauer, weil ich Nein gesagt habe?«

»Nicht sauer. Nur enttäuscht. Würde es dich umbringen, dich mal um etwas oder jemand anders zu scheren als um diesen orangen Ball?«

»Ich schere mich um dich«, erinnere ich sie, aber sie wirft den Basketball einfach in die Ecke und stürmt durch die Doppeltür in den Gang nach draußen.

Scheiße.

Ich versuche immer, mir nichts daraus zu machen, wenn andere Leute von mir enttäuscht sind. Es stellt sowieso niemand so hohe Ansprüche an mich wie ich selbst. Aber meine Zwillingsschwester ist eine Ausnahme. Ihre Meinung interessiert mich genauso sehr wie meine eigene.

Ich jogge ihr hinterher.

»Vee«, rufe ich ihr durch den Korridor nach. Sie ist schon fast am Ausgang, aber jetzt dreht sie sich zu mir um. »Sag mir, warum es so dringend ist. Bist du jetzt wirklich traurig? Warum ist es dir so wichtig?«

»Du musst es nicht tun, aber … sie ist meine Freundin. Sie war meine erste Freundin in dieser Stadt. Du weißt, wie schwer es immer für mich war, Freunde zu finden, die nicht nur deinetwegen was mit mir zu tun haben wollten. Tja, so eine Freundin ist Indy, und wenn sie nicht rechtzeitig eine bezahlbare Wohnung findet, wird sie nach Florida ziehen und bei ihren Eltern wohnen. Ich will nicht, dass sie Chicago verlässt, und ich weiß nicht, wie ich ihr sonst helfen kann. Der Mann, den sie heiraten wollte, hat sie betrogen, und sie musste ausziehen. Sie braucht mal ein bisschen Glück im Leben.«

Verdammt. Jemand anders könnte mir genau dieselbe Rede halten, und ich würde nicht mal mit der Wimper zucken … aber bei Stevie gerät meine Entschlossenheit ins Wanken, und ich will ihr alles geben, was sie sich wünscht. Ich bin der Grund, weshalb meine Schwester es so schwer hatte, echte Freunde zu finden, und jetzt gibt sie mir die Gelegenheit, es wiedergutzumachen, wenigstens ein bisschen.

»Ich vertraue ihr«, versichert sie mir. »Und du kannst ihr auch vertrauen.«

Stevies Glück ist mir wichtiger als mein eigenes, und schon rutscht mir heraus: »Damit das ganz klar ist: Ich will das nicht.«

»Ich weiß.«

»Wir müssen vorher festlegen, wann sie wieder auszieht.«

Stevies Mundwinkel zucken, ihre Augen funkeln.

»Ich will eine Art Behelfsmietvertrag, und sie zahlt Miete. Sie wohnt nicht auf unbestimmte Zeit gratis bei mir.«

»Natürlich. Aber könntest du die Miete einigermaßen günstig machen? Es ist ja nicht so, dass du Geld brauchst.«

Da tu ich ihr schon einen Gefallen, und sie hat trotzdem noch Sonderwünsche. »Es ist nur vorübergehend. Sie wird nicht dauerhaft bei mir wohnen.«

»Ich hab’s ja verstanden.« Stevie kann ihr Grinsen nicht mehr unterdrücken. »Hab ich dir schon gesagt, dass du mein absoluter Lieblingsmensch auf der ganzen Welt bist?«

»Jaja.« Ich wende mich wieder der Turnhalle zu. »Komm, hol mir die Rebounds. Ich habe noch fünfzig Würfe vor mir.«

»Ich dachte, es wären noch irgendwas um die zwanzig.«

Ich gehe zur Freiwurflinie, ohne mich umzudrehen. »Sieht wohl so aus, als hätte ich vielleicht ein bisschen den Überblick verloren, als meine Schwester mich überredet hat, irgend so eine Tussi in meiner Wohnung aufzunehmen.«

Stevies strahlendes Lächeln spiegelt sich in ihrer Stimme, als sie sagt: »Fünfzig dann also.«

Kapitel 2

Indy

»Nein.«

»Was meinst du mit Nein?«

»Ich meine Nein. Ich ziehe nicht bei deinem Bruder ein.«

Stevie kneift die Augen zusammen und mustert mich verwirrt. »Warum nicht?«

»Hmmm, lass mich nachdenken. Vielleicht, weil es eine schreckliche Idee ist?« Mit dem Bruder meiner besten Freundin zusammenzuziehen, klingt wie ein Plot direkt aus einem meiner Lieblingsromane. Zumal besagter Bruder ausgerechnet Ryan Shay ist – ein Basketball-Superstar, der aussieht, als wäre er geradewegs einem meiner feuchten Träume entsprungen. Aber was am meisten von allem dagegenspricht: »Er hasst mich.«

»Er hasst die meisten Leute.« Sie zuckt mit den Schultern, und irgendwie finde ich es ein bisschen beunruhigend, wie beiläufig sie das sagt.

»Du gibst dir echt Mühe, ihn gut zu verkaufen, Babe.«

Stevie lässt sich auf die Hotelzimmer-Couch plumpsen und sieht mir dabei zu, wie ich auf der einsamen Kochplatte mein Frühstück brate. Die vegetarische Wurst sieht in der grässlichen Bratpfanne des Hotels aus wie eine Hundekackwurst.

Sondergeschmacksrichtung, denke ich und hoffe, dass ich es noch ein bisschen aushalte, in diesem Hotel zu hausen.

»Ich weiß ja, Ryan ist mein Bruder, und deshalb bin ich wahrscheinlich voreingenommen, aber er ist großartig. Klar, er kommt manchmal ein bisschen distanziert rüber, weil er seine Gefühle nicht gerade auf der Zunge trägt, aber er ist ein guter Kerl. Ich liebe dich, und du bist meine beste Freundin. Und da Ryan und ich die gleiche DNA haben, wird er dich auch lieben. Irgendwann.«

»Spannende Logik, Vee.«

»Das ist Wissenschaft.«

Ich würdige das keiner Antwort, also fährt sie fort: »Ihr seid beide beruflich so viel unterwegs, dass ihr euch kaum über den Weg laufen werdet. Außerdem hat er keine Dates, also musst du dir keine Sorgen machen, dass irgendwelche Mädchen in der Wohnung ein und aus gehen.«

Ich ziehe die Brauen hoch. »Nur weil er keine klassischen Dates hat, heißt das nicht, dass er nicht mit irgendwelchen Mädchen in die Kiste hüpft. Hast du dir diesen Mann mal näher angesehen?«

»Ich will es mir lieber nicht vorstellen, vielen Dank.« Vor Abscheu verzieht sie das Gesicht. »Ich will damit ja nur sagen, dass er während der Zeit, in der ich bei ihm gewohnt habe, nie eine Frau zu Besuch hatte, und das war immerhin fast ein Jahr.«

Wahrscheinlich spart er sich seine Abenteuer für die Auswärtsspiele auf. Clever. Und ja, es wäre tatsächlich schön, wenn ich mir ausnahmsweise mal keine Sorgen machen müsste, zu Hause irgendwelchen Mädchen über den Weg zu laufen.

»Ich habe dir ja schon angeboten, bei uns mit einzuziehen, aber das willst du auch nicht. Dabei hat Zee zwei Gästeschlafzimmer«, sagt sie.

»Vee«, seufze ich. »Ich bin echt nicht heiß darauf, das fünfte Rad am Wagen zu spielen, und ich will ganz sicher nicht hören, wie ihr zwei jedes Mal, wenn er nach den Auswärtsspielen nach Hause kommt, wie die Karnickel übereinander herfallt. Ich komme schon klar, wirklich.« Ich setze mich mit meinem Frühstück auf die Ottomane neben dem Couchtisch. »Sieh mal, hier.« Ich werfe den Stapel mit den Ausdrucken auf den Tisch und hoffe, dass mein zukünftiges Zuhause dabei ist – diese Wohnungen sind die einzigen, die ich mir in dieser Stadt leisten kann.

Stevie blättert in dem kleinen Stapel herum und sieht immer fassungsloser aus. »Indy, nein. Nichts davon kommt infrage. Einige der Beschreibungen sind verdächtig vage, und sieh dir das hier doch nur mal an.« Sie hält einen der Zettel hoch. »Ein Mann in den Fünfzigern sucht eine Mitbewohnerin in den Zwanzigern.«

»Ich bin eine Frau in den Zwanzigern, und die Wohnung kostet nur fünfhundert Dollar im Monat!« Ich nehme einen Bissen von meiner vegetarischen Wurst, aber sie ist völlig verbrannt, und ich spucke sie zurück auf den Teller.

»Ja. Wahrscheinlich sollst du die restliche Miete auf andere Weise bezahlen.«

»Bah, widerlich.« Ich schnappe mir den Zettel, zerknülle ihn und lege ihn auf den Teller mit dem ungenießbaren Essen.

»Indy«, seufzt Stevie und legt die Zettel auf ihren Schoß. »Bitte zieh bei Ryan ein. Wenn du es nicht für dich tust, dann tu es für mich. Ich könnte nachts nicht schlafen, wenn ich wüsste, dass du in einer dieser Wohnungen bist. Du kannst mir täglich eine Nachricht schicken, wie es läuft, und ich halte Ryan in Schach, wenn er sich nicht benimmt.«

Ich ziehe mein Handy heraus und schreibe ihr eine Nachricht:

Ich: Tägliches Update – wenn du mich zwingst, bei deinem Bruder einzuziehen, werde ich ihn bei jeder Gelegenheit sexuell objektifizieren. Ich schicke dir jeden Tag eine Nachricht und versichere dir, dass er der heißeste Mann ist, den ich je zu Gesicht bekommen habe. Dann hörst du täglich, wie sehr ich mir wünsche, dass er richtig schmutzige Dinge mit mir anstellt.

Sie liest die Nachricht, zieht eine Grimasse und blinzelt hektisch, als wolle sie das Bild aus ihrem Kopf löschen. »Ich setze darauf, dass du bluffst.«

»Also ich fände es witzig.«

»Wenn du bei Ryan einziehst, wären wir Nachbarn!«

Bei dem Gedanken muss ich unwillkürlich lächeln. Ich liebe Vee und Zee und konnte in der letzten Eishockeysaison sozusagen aus der ersten Reihe beobachten, wie sich ihre Beziehung entwickelt hat. Sosehr ich Vee auf den Flügen auch vermisse, so froh bin ich, dass sie und Zanders ihre Beziehung nicht mehr geheim halten müssen. Eine solche Liebe sollte man nicht verstecken.

»Das wäre wirklich schön«, stimme ich zu.

»Außerdem ist dein Lieblingscafé nur zwei Blocks entfernt, und Ryans Portier ist ein echtes Juwel. Du wirst ihn lieben.«

Die Vorstellung, in einem mit allen erdenklichen Annehmlichkeiten ausgestatteten Luxusapartment in der Chicagoer Innenstadt zu leben, klingt wie ein wahr gewordener Traum, aber ich bringe es einfach nicht über mich.

Vielleicht bin ich einfach nicht ganz überzeugt, dass es wirklich eine gute Idee ist, nach Chicago zurückzukehren. Alles hier erinnert mich an ihn. So ist es wohl, wenn man sein ganzes Leben ein und denselben Menschen geliebt hat – sämtliche Erinnerungen sind mit ihm verbunden. Und jetzt trauere ich um ein Leben, das nicht mehr existiert.

Es hat mich meine ganze Überwindung gekostet, letztes Jahr noch sauber die Eishockeysaison zu Ende zu bringen, nachdem ich Alex in unserer Wohnung mit einer anderen erwischt habe, aber sobald die Raptors den Stanley Cup gewonnen hatten, habe ich meinen Kram eingelagert, eine Tasche gepackt und bin zu meinen Eltern in ihren neuen Alterswohnsitz am Strand von Florida geflogen. Den Sommer dort zu verbringen, hat mir gutgetan, aber seit ich wieder in dieser Stadt bin, in der mein ganzes Leben zusammengebrochen ist, scheint der Heilungsprozess von vorn loszugehen, obwohl der erste Schock schon sechs Monate zurückliegt.

Und auch nachdem ich einige Wochen in diesem Hotel gelebt und zwei Flugbegleiterinnen ausgebildet habe, bin ich nicht sicher, dass zurückzukommen die richtige Entscheidung war.

Als könnte sie meine Gedanken lesen, wechselt Stevie das Thema. »Die erste Auswärtsrunde der Saison beginnt in ein paar Tagen. Bist du bereit?«

»So bereit, wie ich es mit einer neuen und völlig unerfahrenen Crew überhaupt sein kann. Ohne dich wird es nicht dasselbe sein, den Eishockeyjungs zuzusehen, wenn sie sich vor dem Start umziehen.«

Sie legt den Kopf schief und schenkt mir ihr hinreißendes Stevie-Lächeln. »So ein bisschen werde ich das Fliegen vermissen, hauptsächlich dich und Zee. Aber ich freue mich schon darauf, dieses Jahr alle Heimspiele von Ryan zu sehen. Wie fühlt es sich eigentlich an, die neue leitende Flugbegleiterin zu sein und die anderen herumzukommandieren?«

»Seltsam. Ich hätte nie gedacht, dass ich in meinem zweiten Jahr für das Flugzeug der Raptors verantwortlich sein würde, aber ich bin begeistert. Vor allem darüber, dass Tara für immer weg ist.«

»Gefeuert, weil sie keine professionelle Distanz zu den Spielern gewahrt hat.« Stevie lacht. »Diese Ironie.«

Es gibt strikte Regeln, was den Umgang der Flugbegleiter mit unseren Passagieren angeht – den Raptors, Chicagos NHL-Team. Das hat Tara, die frühere leitende Flugbegleiterin, Stevie so oft wie möglich unter die Nase gerieben. Seit meiner Beförderung ist es mir gelungen, diese Regeln ein wenig zu lockern. Es gibt immer noch ein striktes Dating-, Schlaf- und Fickverbot, aber wir dürfen jetzt Freunde sein. Das ist ein großes Glück … Der Freund meiner besten Freundin ist der stellvertretende Mannschaftskapitän, und wir sehen uns privat viel zu oft, als dass wir so tun könnten, als wären wir nicht befreundet.

»Es wird auch guttun, ein paar Tage aus Chicago rauszukommen«, füge ich hinzu.

»Wovon sprichst du? Du warst den ganzen Sommer über in Florida. Du bist erst seit ein paar Wochen wieder hier.«

Lange herrscht Stille. Ich blicke betreten auf meinen Schoß hinunter.

»Oh, Ind. Ich bin so eine Idiotin. Das alles hat nichts mit Ryan zu tun, oder? Wenn du nicht in Chicago sein willst, verstehe ich das. Glaub mir, ich verstehe es wirklich. Ich wollte dir helfen, eine Wohnung zu finden, damit du in der Stadt bleiben kannst, aber ich habe keine Sekunde lang darüber nachgedacht, dass du das vielleicht gar nicht willst.«

»Du bist keine Idiotin. Du bist eine gute Freundin. Weißt du, es macht mich einfach nur so fertig, wieder hier zu sein. Zu wissen, dass ich Alex jeden Moment über den Weg laufen könnte, bereitet mir Bauchschmerzen. Aber zugleich bin ich es echt leid, dass seine Entscheidung mein Leben bestimmt.«

Ich war kurz davor, einen Job in Florida anzunehmen und umzuziehen, als ich den Anruf wegen der Beförderung erhielt. Alex hat mir in jener Nacht alles genommen – meine Zukunft, meine Wohnung, meinen Freundeskreis. Ich will nicht, dass er mir auch noch den Job und diese Chance nimmt.

»Indy, ich verstehe das«, sagt sie sanft. »Manchmal ist es einfacher, wegzugehen und neu anzufangen. Bist du sicher, dass du hier sein willst? In Chicago.«

»Ich will mich einfach endlich wieder besser fühlen.« Ich hebe den Kopf. »Vielleicht zwingt mich die Rückkehr nach Chicago ja dazu, mich der Situation zu stellen und schneller zu heilen.«

»Falls du zu dem Schluss kommen solltest, dass Florida im Moment besser für dich ist, helfe ich dir beim Packen, aber ansonsten hoffe ich, du nimmst Ryans Angebot an. Er wird nicht mehr Miete von dir verlangen, als du dir locker leisten kannst, und dann kannst du dir etwas Geld zusammensparen. Es ist alles anders, ja, aber ich glaube, es könnte gut werden.«

»Du hast ihm nicht gesagt, dass …«

»Natürlich nicht.«

Ich sehe mich um und mache eine kurze Bestandsaufnahme meines Hotelzimmers. Ein Mini-Kühlschrank, so klein, dass ich alle drei Tage einkaufen muss. Mein Koffer, aus dem ich lebe, weil es im Schrank nicht genug Kleiderbügel für meine umfangreiche Garderobe gibt. So winzige Handtücher, dass ich nach dem Duschen kaum mein Haar darin eingewickelt bekomme.

Ich vermisse es, ein Zuhause zu haben. Und selbst ein vorübergehendes neues Zuhause, das ich mit einem der attraktivsten Männer teilen muss, die ich je zu Gesicht bekommen habe, wäre besser als dies hier. Ich bin Ryan Shay nur zweimal begegnet, aber so ein Gesicht und so einen Körper vergisst man nicht. Wenn ich hier und jetzt einen Wunsch frei hätte, würde ich mir wünschen, dass wir beide unsere früheren Begegnungen vergessen könnten.

»Hätte ich gewusst, dass ich eines Tages mit ihm zusammenleben würde, hätte ich mich um einen besseren ersten und zweiten Eindruck bemüht.«

Stevie versucht, ihr Grinsen zu unterdrücken, aber ihre blaugrünen Augen funkeln vergnügt. Ich hatte eigentlich gehofft, dass sie mir sagt, ihr heißer Bruder würde sich überhaupt nicht an mich erinnern.

»Er hat es nicht vergessen, nicht wahr?«

»Nicht mal annähernd.«

Es hat nur zehn Minuten gedauert, aus meinem Hotelzimmer auszuziehen, und weitere zwanzig, um meinen Lagerraum zu leeren, der ohnehin nicht sehr voll war. Traurig, wenn siebenundzwanzig Jahre Leben nicht mal einen halben U-Haul füllen können.

Jedes Möbelstück oder Küchengerät, das wir in unseren sechs gemeinsamen Jahren gekauft haben, steht noch in unserer Wohnung. Seiner Wohnung. Ich habe mich damit abgefunden, neu anzufangen. Als ich über den Sommer bei meinen Eltern war, ist mir praktisch nicht aufgefallen, dass ich so gut wie nichts besitze, dafür wird es mir überdeutlich bewusst, sobald ich allein in Ryans Wohnung bin.

Meiner Wohnung.

Allerdings ist sie so kahl, dass ich das Gefühl habe, mitten in einem Museum zu sitzen, und vielleicht ist das der Grund, weshalb mir auffällt, wie wenig ich selbst habe.

Seine Wohnung ist makellos und minimalistisch. Überall Schwarz und Weiß, ohne einen Hauch von Farbe – abgesehen von meiner Garderobe, die im Augenblick quer über sein Wohnzimmer verstreut ist, während ich versuche, sie zu ordnen. Versuch ist leider das Schlüsselwort.

Ich war schon ein paar Mal in dieser Wohnung, seit ich Stevie kenne, aber so leer und einsam kam sie mir noch nie vor. Stevie ist genauso lebhaft wie ich. Mir ist, als hätte sie, als sie gegangen ist, alle Farben und alles Licht mit sich genommen.

Die Aussicht jedoch ist atemberaubend, die Lichter der Stadt und der Sonnenuntergang über dem Navy Pier lenken mich zumindest anfangs gut ab.

Mein Rundgang durch die Wohnung führt mich in die Küche. Eine Kaffeemaschine mit einer Tasse darunter … schon vorbereitet für morgen früh, nehme ich an. Geschirr: vier große Teller, vier kleine Teller und vier Schüsseln, alles in Schwarz. Als ich eine Schublade öffne, finde ich darin vier Löffel, vier Messer und vier Gabeln. Wahrscheinlich hat er einfach ein kleines Set gekauft.

Ich weiß, dass er beruflich ebenso viel unterwegs ist wie ich, aber was ist, wenn er mal Freunde zu Besuch hat? Oder wenn er eine Frau mit nach Hause nimmt und sie Hunger hat, er aber den Abwasch vom Vortag noch nicht erledigt hat?

Es erscheint mir unpraktisch. Aber irgendwas sagt mir, dass Ryan Shay es für ausgesprochen praktisch hält, nicht mehr zu besitzen, als er unbedingt braucht.

Zurück im Wohnzimmer, fahre ich mit dem Finger über sein Bücherregal und bete im Stillen, dass ich Staub finde. Etwas, das mir sagt, dass dieser Kerl ein Mensch ist und kein Roboter, wie seine Wohnung vermuten lässt.

Es gibt hier kein einziges Foto, dafür aber unzählige Bücher. Das Regal ist bis oben hin mit Motivations- und Selbsthilfebüchern gefüllt, und sie sind geordnet nach … Ist das sein Ernst? Er hat sie alphabetisch geordnet, nach dem Nachnamen der Autoren. Dieser Typ ist ein Monster, das wahrscheinlich nur so zum Spaß Marathons läuft und an Halloween Müsliriegel verteilt.

Als ich meinen Finger betrachte, ist er sauber. Kein einziges Staubkorn.

Ich hasse es schon jetzt, hier zu sein.

Beim Klicken der Eingangstür erstarre ich.

Eigentlich sollte er die ganze Nacht auf irgendeiner schicken Veranstaltung in der Stadt sein. Ich dachte, ich hätte noch Zeit, um mein Chaos aufzuräumen, meine Kleider in den Schrank zu hängen und die Bücher ordentlich zu stapeln, bevor er nach Hause kommt. Es sieht schlimm aus, dabei hatte ich gehofft, einen besseren dritten Eindruck auf Ryan Shay zu machen.

Ich schiebe meine Kleiderstapel zusammen und versuche, so wenig Platz wie möglich einzunehmen, in der Hoffnung, dass er die Bombe nicht bemerkt, die vor zwei Stunden mit meinem Einzug in seiner Wohnung hochgegangen ist.

»Was. Zum. Teufel«, sagt er trocken.

Ich streiche mir ein paar verirrte Haarsträhnen aus dem Gesicht und setze mein charmantestes Lächeln auf. Das klappt immer.

»Hi!« Ich drehe mich um und winke ihm zu, aber als ich den Besitzer dieser Wohnung in der Tür stehen sehe, erstarrt meine Hand mitten in der Luft.

Ich habe Ryan bisher zweimal getroffen. Einmal hat er kein Hemd getragen, in der Bar war er in Freizeitkleidung unterwegs. Aber jetzt steht er in einem maßgeschneiderten Anzug vor mir.

Jesus Christus, ich kann hier nicht wohnen!

Der Anzug ist schwarz mit dezenten Nadelstreifen, die dunkle Farbe lässt Ryans blaugrüne Augen irgendwie noch viel lebendiger wirken. Die Augen, die hellbraune Haut und die Sommersprossen sind genau wie bei seiner Zwillingsschwester, aber nie habe ich Stevie so angestarrt wie jetzt ihren Bruder. Ich lecke mir über die Lippen und lasse den Blick über sein kastanienbraunes Haar wandern, das an den Seiten frisch ausrasiert ist, während oben einige der Shay-typischen Locken stehen geblieben sind.

Ryans und Stevies Mutter ist blass, mit sommersprossiger Haut, blauen Augen und kupferfarbenem Haar. Ihr Vater ist so dunkel, wie sie hell ist, groß und hat den Kopf voller dunkler Locken. Die Shay-Zwillinge sind eine extrem ähnlich geratene Kombination beider Elternteile.

Ich habe es schon bei unseren ersten beiden Treffen gedacht … Ryan Shay ist heiß. Er mag ein Roboter sein, aber er ist der heißeste Roboter, den ich je gesehen habe.

»Indy.« Seine Stimme reißt mich aus meiner Trance.

Ich schließe den Mund, schlage ein Bein über das andere und sehe ihm in die Augen. »Hmm?«

»Ich habe gefragt, was zum Teufel mit meiner Wohnung passiert ist.«

»Oh.« Ich lache verlegen. »Weißt du, ich bin gerade am Organisieren.«

»Organisieren?«

»Ja.« Ich deute auf das Chaos auf dem Wohnzimmerboden. »Meine Kleidung.«

»Wenn das deine Version von Organisieren ist, weiß ich nicht, ob diese Vereinbarung funktionieren wird.«

Ich lache, bevor ich merke, dass es kein Scherz war. Ryan meint es vollkommen ernst.

Als braver Ordnungsfanatiker hängt er seine Schlüssel an einen Haken neben der Eingangstür, dann marschiert er auf sein Zimmer zu, ohne mich eines weiteren Blicks zu würdigen.

Diese dritte Begegnung läuft genauso beschissen wie die beiden ersten.

»Ich dachte, wir könnten vielleicht morgen zusammen frühstücken«, sage ich hastig. Er hält an seiner Tür inne. »Nein«, sagt er, ohne mich anzusehen.

»Es wäre doch schön, wenn wir uns besser kennenlernen würden, da wir jetzt eine Weile zusammenwohnen.«

»Nein.«

»Okay, kein Frühstück. Du bist ein viel beschäftigter Mann. Vielleicht Mittagessen? Aber vielleicht isst du ja gar nichts. Roboter brauchen schließlich keine Nahrung.«

»Was?« Jetzt endlich richtet er die Ozeanaugen auf mich. Er wirkt gereizt.

Ich schlucke. »Ein Witz. Es war ein Witz.« Wieder ein verlegenes Lachen. »Kaffee? Ich fände es schön, den Menschen kennenzulernen, mit dem ich zusammenlebe. Wer weiß, vielleicht werden wir sogar Freunde?«

Er kneift die Augen zusammen.

»Okay, keine Freunde.« Kapitulierend breite ich die Hände aus. »Keine Freunde. Kein Essen. Kein Spaß. Verstanden.«

Ein leises Kichern vibriert in seiner Brust, und zuerst freue ich mich, weil ich denke, dass er mich vielleicht amüsant findet, aber dann wird mir klar, dass es ein herablassendes Lachen ist.

»Lass mich eins klarstellen: Ich will nicht, dass du hier wohnst. Ich habe nicht darum gebeten, dass du hier einziehst. Der einzige Grund, warum ich mich damit einverstanden erklärt habe, ist die Tatsache, dass du mit meiner Schwester befreundet bist und ich der Grund dafür bin, dass sie nicht viele Freunde hat. Ich lege viel Wert auf meinen Freiraum und lebe bevorzugt allein. Also nein, Indiana, wir werden keine Freunde. Wir leben nur in derselben Wohnung, bis du eine andere Bleibe gefunden hast, weil ich das als meine brüderliche Pflicht betrachte.«

Er schließt die Tür ein wenig fester hinter sich als unbedingt nötig.

Autsch. Verdammt noch mal.

Der dritte Eindruck war offenbar noch schlimmer als die ersten beiden.

Kapitel 3

Ryan

Scheiße.

Ich lehne die Stirn gegen meine Tür und schließe reumütig die Augen.

Das war gemein, und ich hatte überhaupt nicht vor, gemein zu sein. Tatsächlich habe ich mich auf dem ganzen Weg nach Hause immer wieder selbst ermahnt, nett zu sein, und überlegt, was ich zur Begrüßung zu ihr sagen sollte.

Willkommen zu Hause. Nein, das hört sich an, als wäre dies jetzt unser gemeinsames Zuhause.

Ich freue mich, dass du hier bist. Das wäre gelogen. Ich freue mich kein Stück darüber.

Wenn du etwas brauchst, lass es mich wissen. Nein, lass es mich bitte nicht wissen. Kümmere dich selbst darum.

Jeder Satz, den ich geprobt habe, klang nach dem, was er war … einstudiert.

Letztendlich habe ich beschlossen, ihr einfach nur zu sagen, dass ich ihr einen Zweitschlüssel besorgen werde, und dann in mein Zimmer gehe, um ein bisschen für mich zu sein. Aber dann stand sie barfuß mitten in meinem Wohnzimmer, in einem so überdimensionierten Sweatshirt, dass ich immer noch nicht sicher bin, ob sie darunter etwas anhatte. Ihr blondes Haar fiel ihr in einem geflochtenen Zopf über die Schulter, aber es war völlig zerzaust. Die braunen Augen waren weicher, als ich sie in Erinnerung hatte, und das machte mich einfach wütend.

Den ganzen Abend über haben mich meine Teamkollegen wegen ihr aufgezogen. Sie haben sie erst ein Mal getroffen, vor etwa fünf Monaten, und ich hätte gedacht, sie würden sich vor allem daran erinnern, wie sie mir auf die Schuhe gekotzt hat. Aber leider scheint ihnen stattdessen vor allem in Erinnerung geblieben zu sein, wie wahnsinnig heiß sie ist.

Mir war selbst klar, dass sie hübsch ist, ich bin ja nicht blind, aber ich hatte gedacht, auf gar keinen Fall könnte sie so schön sein wie in meiner Erinnerung. Ich war sicher gewesen, dass meine Teamkollegen maßlos übertrieben.

Aber das hatten sie nicht.

Ich betrat meine Wohnung und erkannte sofort: Sie hatten recht. Sie ist tatsächlich absolut umwerfend, und das gefällt mir überhaupt nicht.

Ich bin nicht leicht abzulenken … aber wenn ich meine perfekte Ablenkung in Fleisch und Blut manifestieren könnte, würde sie ihr verdammt ähnlich sehen.

Ich kann nicht zulassen, dass so eine Frau hier wohnt. Ich will nicht, dass überhaupt irgendwer außer mir hier wohnt. Ich brauche meinen Freiraum. Diese Wohnung ist meine einzige Zuflucht vor der stressigen Außenwelt. Ich muss mich auf meine erste Saison als Mannschaftskapitän konzentrieren, und ich weiß nicht, wie ich das schaffen soll, wenn meine Mitbewohnerin mit ihren sonnengebräunten Beinen und ihren goldenen Haaren hier herumrennt, bunte Klamotten auf meinem Fußboden verstreut und aussieht, als käme sie gerade vom Strand.

Scheiße. Ich muss dringend eine Runde trainieren gehen, um mich abzureagieren.

Vielleicht hätte ich etwas entspannter reagiert, wenn ich vor dem Nachhausekommen einen Moment Zeit gehabt hätte, tief durchzuatmen und mich mental auf die Anwesenheit meiner neuen Mitbewohnerin vorzubereiten, aber ich hatte heute keine einzige ruhige Minute. Ich stand nonstop unter Beobachtung, und das hat mich echt nervös gemacht.

Normalerweise beobachten mich Fans und Reporter, das bin ich gewohnt, aber seit meiner Beförderung behält mich Ron Morgan, der Manager des Teams, sehr sorgfältig im Auge, und es ist kein wohlwollender Blick.

In den ersten drei Jahren mochte er mich noch, zumindest so sehr, wie ein Arbeitgeber einen Angestellten eben mögen kann, dessen Gehalt ein großes Loch ins Jahresbudget reißt, obwohl er das Team noch nicht in die Play-offs geführt hat, geschweige denn zu einer Meisterschaft.

Aber letzten Winter hat Ron angefangen, mich zu hassen. Ich habe seine Nichte zu einer Filmpremiere begleitet, um ihm einen Gefallen zu tun. Seine Nichte, die für ihn wie eine Tochter ist, hatte Schwierigkeiten mit dem Gesetz bekommen, und wie könnte man ein Image besser aufpolieren als mit der Gesellschaft des braven Ryan Shay?

Dieser eine Abend war kein Problem, aber ich merkte bald, dass er mehr von mir verlangte. Seither habe ich jede seiner Bitten abgelehnt, mit seiner Nichte auszugehen, und meine Schwester als eine Art Schutzschild benutzt.

»Du solltest mit Lesley zu dieser Wohltätigkeitsgala gehen.« Geht nicht. Ich habe schon meine Schwester eingeladen.

»Beim geplanten Wochenende zum Jahresende am See kann jeder eine Begleitung mitbringen. Du bringst meine Nichte mit.« Kann ich nicht. Ich habe schon Stevie eingeladen.

»Lesley ist ganz vernarrt in dich. Du solltest sie als deine Begleiterin zum Mannschaftsessen am Freitag einladen.« Ah, verdammt. Ich wünschte, ich könnte, aber meine Schwester freut sich sehr darauf, und ich will sie nicht enttäuschen.

Das ganze Jahr über hat es gut funktioniert, Stevie als mein Pseudo-Date vorzuschützen, aber dann musste sie sich ja unbedingt verlieben. Und das nicht nur in irgendwen, sondern ausgerechnet in jemanden, der zu neunzig Prozent auf denselben Veranstaltungen unterwegs ist wie ich, weil er eine ebenso große Nummer im Chicagoer Sport ist. Da konnte ich nicht mehr verbergen, dass ich mich nicht deshalb nicht mehr mit Lesley traf, weil ich nicht konnte, sondern weil ich nicht wollte, und seitdem hasst mich Ron.

Diese Abneigung wurde am Ende der Saison noch schlimmer, als Ethan zurücktrat und das Team mich trotz Rons Protesten zum Kapitän ernannte. Aber ich habe nun mal keine Dates, schon seit dem College nicht mehr, und ich werde daran nichts ändern, nur um den Mann zu besänftigen, der meine Gehaltsschecks unterschreibt. Zumal ich mich wirklich nicht für seine Nichte interessiere.

Man sollte meinen, Ron wüsste meinen Ehrgeiz zu schätzen. Ich habe nur eines im Sinn: Chicago die erste Meisterschaft seit Jahrzehnten zu bescheren und als Krönung eine MVP-Trophäe zu gewinnen. Das bedeutet: keine Frauen, kaum Freunde und immer nur das Ziel im Auge behalten. Ich lasse nicht zu, dass irgendwer meinen Namen ausnutzt.

Das ist mir schon mal passiert, und ich werde diesen Fehler nicht wiederholen.

Ich brauche ein verdammtes Workout. Muss das Chaos dieses Abends aus dem Kopf bekommen und das Desaster, in das sich meine Wohnung in meiner Abwesenheit verwandelt hat.

Ich ziehe meine Anzugjacke aus und hänge sie in den Schrank, wo sie hingehört – zwischen meine schwarze und die dunkelgraue Jacke. Nehme meine Uhr ab und lege sie in die Nachttischschublade, in ihre Samtschachtel, in der sie immer liegt, wenn ich sie nicht trage.

Ein paar Körbe zu werfen, wird mich beruhigen, und das brauche ich gerade dringend. Doch bevor ich den Anzug gegen meine Sportsachen tauschen kann, unterbricht mich ein leises Wimmern aus dem Wohnzimmer.

Das darf doch einfach nicht wahr sein.

Warum zum Teufel habe ich zugestimmt, dieses Mädchen hier wohnen zu lassen? Oh, richtig, Stevie. Ich muss lernen, Nein zu meiner Schwester zu sagen. Wenn ich das könnte, säße jetzt keine weinende Blondine in meinem Wohnzimmer.

Ich sollte so tun, als hätte ich nichts gehört. Es wäre sicher auch eher peinlich für sie, wenn ich jetzt nach ihr sehe. War das, was ich gesagt habe, wirklich so schlimm, dass sie deswegen weint? Andererseits hat dieses Mädchen bisher bei jeder unserer Begegnungen entweder geweint oder sich betrunken, also überrascht es mich eigentlich nicht, dass sie mal wieder emotional ist.

Ein weiteres Wimmern und gedämpftes Schluchzen dringen durch die geschlossene Tür direkt in meine Brust.

Du bist ihr nichts schuldig.

Ignorieren. Ignorieren. Ignorieren.

Aber das kann ich nicht. So gern ich auch dazu imstande wäre, ich bin es nicht.

Ich atme tief durch und öffne die Tür, um nach meiner neuen Mitbewohnerin zu sehen.

Die kleine Miss Blondie sitzt mit angezogenen Beinen auf meiner Couch, die Arme auf den Knien verschränkt, das Gesicht dazwischen verborgen, und ich weiß nicht, was ich sagen soll, damit sie sich beruhigt. Wie soll ich sie dazu bringen, damit aufzuhören? Ich kenne das Mädchen doch gar nicht.

Sag etwas Nettes, etwas Tröstliches.

»Du bist aufgewühlt.«

Sie hebt den Kopf, ihre braunen Augen sind blutunterlaufen und geschwollen. »Danke für die Beobachtung, Ryan. Du bist echt scharfsinnig.«

Okay, das war eindeutig nicht das Richtige.

»Warum?«

Sie runzelt die Stirn. »Warum was?«

»Warum bist du so aufgewühlt?«

»Warum bist du so kaltschnäuzig?«

Ich schlage einen anderen Kurs ein, weil ich auf diese Frage nicht antworten will. »Was ist los?«

»Was los ist?« Sie lacht verächtlich. »Was los ist?!« Sie steht auf. Ich lasse den Blick über diese kilometerlangen Beine schweifen und frage mich, wie es sich wohl anfühlt, wenn sie sie um meine Taille schlingt.

Das ist nicht der richtige Zeitpunkt für solche Gedanken, Ryan.

Sie ist groß für ein Mädchen. Und in diesem Moment auch ein bisschen Furcht einflößend.

»Mein Leben ist total im Arsch, das ist los, okay? Tut mir leid, ich kann meine Gefühle gerade nicht kontrollieren, weil mein beschissener Freund mich nach sechs gemeinsamen Jahren mit irgend so einer Tussi aus seinem Büro betrogen hat! Und deswegen habe ich meine Wohnung verloren. Ich kann es mir nicht leisten, in dieser Stadt allein zu wohnen, und jetzt sitze ich in der Wohnung des Bruders meiner besten Freundin, der mich nicht hier haben will! Denkst du, ich will das? Nein, will ich nicht! Ich will mein altes Leben zurückhaben.«

Ich lehne mich an den Türrahmen meines Schlafzimmers und beobachte ihren kleinen Gefühlsausbruch.

Okay, klein ist vielleicht das falsche Wort.

»Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?«, fragt sie leise, starrt mich an und erwartet offenbar eine Antwort von mir, aber ich habe keine Ahnung, wie ich mich in Gegenwart einer so sensiblen Frau verhalten soll. Es ist ziemlich beängstigend.

»Du hast recht«, sagt sie. »Ich bin emotional. Aber wenigstens bin ich kein verdammter Roboter!« Sie deutet auf mich. »Wenigstens fühle ich etwas. Wann hast du das letzte Mal etwas gefühlt?«

»Nun, im Moment fühle ich Belustigung.«

»Was zum Teufel stimmt nicht mit dir?«, faucht sie. »Du bist ein Monster. Und räum dein verdammtes Bücherregal mal um. Nach Autorennamen sortiert? Das ist krank.«

Ich versuche, mir das Grinsen zu verkneifen, versuche es wirklich, aber ich kann nichts dagegen tun, dass mein Mundwinkel zuckt.

»Lach mich nicht aus!«

Ich schüttle den Kopf. »Ich lache nicht.«

Sie atmet tief durch und streicht mit beiden Händen über ihr Sweatshirt, das ihr etwa fünf Nummern zu groß ist. »Ich ziehe wieder aus. Wir kennen uns nicht, und du hast recht. Du hast nicht darum gebeten, dass ich hier bin, und es ist dir gegenüber nicht fair. Ich fliege morgen Abend mit dem Team ein paar Tage weg, aber danach hole ich mein Zeug, und du hast wieder deine Ruhe. Ich verlasse Chicago.«

»Nein, das tust du nicht.«

»Wie bitte?«

»Du ziehst nicht aus. Ich besorge dir einen Zweitschlüssel, Indiana.« Jetzt ist er endlich raus, der Satz, den ich geprobt habe. Ich schließe die Schlafzimmertür hinter mir.

Sie hat recht, ich will sie eigentlich nicht hier haben. Aber sie irrt sich – ich bin kein Monster. Sie hat gerade wirklich viel Scheiße zu bewältigen, und das lässt mich nicht kalt. Ich kann sie nicht einfach auf die Straße setzen. So jemand bin ich nicht, so gern ich es im Moment auch wäre.

Etwas kracht mit einem lauten Knall gegen meine geschlossene Tür. Vielleicht ein Schuh. »Mein Name ist nicht Indiana!«

Ja, ich wäre jetzt wirklich gern so jemand.

Ich wache auf, bevor mein Wecker klingelt, und erst als ich nur in Boxershorts vor der Tür stehe, dämmert mir, dass ich jetzt nicht mehr halb nackt in meiner Wohnung herumlaufen kann.

Ich schlüpfe in eine Basketballhose und ein altes T-Shirt, bevor ich ins Wohnzimmer gehe. Indys Chaos ist verschwunden, aber die Wohnung wirkt ganz anders als vor ihrem Einzug.

Ich lebe schon sehr lange allein. Die neun Monate, als Stevie hier gewohnt hat, waren eine schöne Abwechslung, aber mit ihrem Auszug ist die Stille zurückgekehrt. Ich bin gern allein, ich blühe dann regelrecht auf. Aber der Unterschied, der an diesem Morgen in der Luft liegt, fühlt sich nicht an wie das Schlimmste, was mir passieren könnte. Es ist nicht so unangenehm wie erwartet.

Die Tür auf der gegenüberliegenden Seite des Wohnzimmers ist nicht ganz geschlossen. Ein dünner Streif Morgensonne gleißt hindurch und blendet mich. Im Zimmer sind weder Vorhänge noch Jalousien – Stevie hatte ihre eigenen bunten Vorhänge angebracht, aber sie hat sie wieder mitgenommen. Vor und nach ihrem Einzug hatte und habe ich für dieses Zimmer keine Verwendung.

Jetzt ist es Indys Tür, und sie lässt sich nicht ganz schließen, weil sich Bücher und Kleidung auf dem Fußboden stapeln.

Bei unserem dritten Treffen habe ich noch etwas über dieses Mädchen gelernt – sie ist nicht nur emotional und verträgt keinen Alkohol, sondern sie ist auch noch unordentlich. Wirklich unordentlich.

Und bunt, stelle ich fest. In meiner schwarz-weißen Wohnung ist es unübersehbar. Die Kleider, die ich durch den Türspalt sehe, sind in hellen Lilatönen und Blumenmustern gehalten, aber vor allem fällt mir der rosa Riemenabsatz ins Auge, der unter den bunten Stoffen hervorlugt.

Vielleicht ist das der Schuh, der gestern Abend eine Schramme an meiner Schlafzimmertür hinterlassen hat.

Kapitel 4

Indy

»Soll das ein verdammter Witz sein?« Ich vergrabe das Gesicht im Kissen und versuche, meine Augen vor der grellen Morgensonne zu schützen, die durchs Schlafzimmerfenster hereinfällt. »Warum gibt es hier keine Jalousien?«

Die Sonne bricht sich an den gelben Wänden. Ich muss Stevie dringend fragen, warum zum Teufel sie dieses Zimmer in einer so unerträglichen Morgenfarbe gestrichen hat – sie muss es gewesen sein, denn Mister Ich-hasse-Farben war es ganz sicher nicht.

Ich weiß nicht, wie spät es ist. Ich habe vieles noch nicht ausgepackt, meinen Wecker jedenfalls noch nicht, und Gott allein weiß, wo mein Handy stecken mag, aber die Strahlen, die da in mein Zimmer dringen, sind die eines obszön hellen Sonnenaufgangs, also ist es noch verdammt viel zu früh, um schon wach zu sein.

Nachher habe ich einen Nachtflug, es sind die ersten Auswärtsspiele dieser Saison, und ich brauche meinen Schlaf. Ich bin sowieso kein Morgenmensch, selbst wenn ich nicht die ganze kommende Nacht fliegen muss.

Ich habe beschissen geschlafen. Die Nacht habe ich mit einem Kissen und zwei Decken auf dem Boden verbracht. Bett oder Matratze besitze ich nicht, und nach dem Debakel des gestrigen Abends wollte ich auf keinen Fall auf Ryans Couch schlafen.

Ich muss ein paar Sachen besorgen. Es fühlt sich komisch an, so von null anzufangen, aber ich will auf gar keinen Fall die Matratze haben, auf der ich Alex mit einer anderen erwischt habe. Ebenso wenig das Bettzeug.

Allein der Gedanke an ihn weckt den Schmerz in meiner Brust, der sich oft eine Zeit lang versteckt, bis eine völlig unschuldige kleine Erinnerung einen Tsunami aus Elend auslöst.

Ich finde mein Handy … Es bohrt sich in meinen Rücken, als ich mich umdrehe. Mit zusammengekniffenen Augen starre ich das helle Display an.

Ich: Tägliches Update – warum zum Teufel ist dieses Zimmer in Entenkükengelb gestrichen?! Ich wünschte, dein Bett wäre noch da. Zanders ist ja wohl reich genug, um ein anderes für dein Gästezimmer zu kaufen. Oh, und dein Bruder ist ein Arsch.

Stevie: Na, das wird dich wenigstens davon abhalten, mit ihm zu schlafen!

Ich: Das habe ich nicht gesagt. Ich lese Liebesromane. Ich habe eine Schwäche für Arschlöcher.

Sie antwortet nicht, und ich frage mich, wie viele tägliche Updates es wohl dauern wird, bis sie meine Nummer sperrt.

Ich vergrabe den Kopf im Kissen, um meine Augen vor der Helligkeit zu schützen, in der Hoffnung, noch ein paar Stunden kostbaren Schlaf zu bekommen … aber im nächsten Moment dringt der Duft nach frischem Kaffee in meine Nase, und ich bin hellwach. Der Geruch ist schon verlockend genug, aber gleich darauf gesellt sich auch noch der Duft von bratendem Speck hinzu. Im nächsten Moment stolpere ich auch schon über mein Durcheinander Richtung Küche. Ich esse das Zeug zwar nicht, aber es riecht einfach fantastisch.

»Morgen«, sagt Ryan und macht sich nicht die Mühe, sich umzudrehen, sein Blick bleibt auf die Herdplatte gerichtet.

»Ja, Morgen ist es wohl«, murmle ich und setze mich an die Kücheninsel.

Er trägt ein ärmelloses Shirt und Basketballshorts, aber er sieht in dem Outfit keineswegs aus wie ein Verbindungsstudent. Das Shirt kommt mir so alt und abgenutzt vor, als hätte er die Ärmel abschneiden müssen, weil der Stoff zu löchrig geworden ist – erstaunlich bei einem so ordentlichen Mann. Aber ich beschwere mich nicht, denn durch die tief ausgeschnittenen Seiten habe ich einen perfekten Blick auf seine gut definierten seitlichen Bauchmuskeln, und beim Anblick seiner kräftigen Oberschenkel gerät meine Fantasie ins Taumeln.

Himmel, ist dieser Mann durchtrainiert.

Auf einmal dreht sich Ryan doch zu mir um und erwischt mich beim Glotzen. Sein Blick wandert zu meiner Brust. Ich hätte vielleicht einen BH anziehen sollen. Durch mein dünnes Tanktop mit dem Smiley-Gesicht grüßen die harten Nippel meinen neuen Mitbewohner.

»Wir stehen wohl nicht so auf BHs?«

»Wir? Ich persönlich trage keinen unter dem Pyjama, aber du kannst tun und lassen, was du willst.« Kapitulierend hebe ich die Hände. »Ich urteile nicht.«

Er wirft mir einen unbeeindruckten Blick zu, bevor er eine Tasse mit kochend heißem schwarzem Kaffee vor mir auf den Tresen stellt, gefolgt von einem Teller mit Rührei, Speck und Weizentoast.

Ich sehe ihn an. Blaugrüne Augen bohren sich in meine, offenbar wartet er darauf, dass ich etwas sage, aber ich bringe kein Wort über die Lippen. Er sieht nicht mehr so gereizt aus wie gestern, sondern irgendwie weicher, freundlicher.

»Du wolltest doch ein gemeinsames Frühstück«, erinnert er mich und deutet mit einem Nicken auf meinen Teller.

Eigentlich hätte ich eher gedacht, nach der letzten Nacht quasi mit einem Räumungsbefehl begrüßt zu werden, nicht mit einem selbst gemachten Frühstück.

Dieses Essen ist ein Friedensangebot. Und ja, er war ein Arsch, aber ich habe einen Schuh gegen seine Tür geworfen, also weiß ich nicht recht, ob wirklich er es ist, der sich hier entschuldigen sollte.

»War es einer von den pinken?«, fragt er.

»Hmm?«

»Der Schuh, den du mir an die Tür geworfen hast. War es einer von deinen pinken High Heels?« Er deutet auf das Durcheinander in meinem Türrahmen.

Ich sollte mich wahrscheinlich schämen, aber aus irgendeinem Grund tu ich es nicht. »Wahrscheinlich. Das sind meine Ich-lass-mir-keine-Scheiße-gefallen-Schuhe.«

Ein leichtes Lächeln zupft an seinen Mundwinkeln, aber ich mache mir keine Hoffnungen auf ein richtiges Grinsen. Ich habe schon kapiert, dass Ryan Shay mich weder lustig noch charmant findet.

Er hält mir eine Gabel hin, dann macht er rasch die beiden Pfannen sauber, die er benutzt hat, trocknet sie ab und stellt sie wieder an ihren Platz.

»Tut mir leid wegen gestern Abend«, entschuldige ich mich mit vollem Mund. »Ich schrubbe später die Farbspur von deiner Tür.«

Er antwortet nicht, sondern wendet die Aufmerksamkeit seinem Frühstück zu. »Magst du keinen Speck?« Mit der Gabel deutet er auf meinen Teller.

»Ich bin Vegetarierin.«

Entsetzt starrt er mich an, dann spießt er meinen Speck auf und schiebt ihn zwischen seine herrlich vollen Lippen. »Und du trinkst auch keinen Kaffee?«

»Ich liebe Kaffee. Aber ich trinke keinen heißen Kaffee. Ich lasse ihn abkühlen, dann gebe ich etwas Eis dazu. Und Creamer. Ganz viel Creamer.«

Er runzelt die Stirn und fragt sich wahrscheinlich, weshalb er ausgerechnet die seltsamste Mitbewohnerin der Welt erwischt hat. »Du trinkst nur Eiskaffee? Und was ist im Winter?«

»Es könnten minus zwanzig Grad sein, und du wirst mich trotzdem mit meinem Eiskaffee in der Hand sehen. Allerdings ziehe ich dann Winterhandschuhe an.«

»Bist du ein Starbucks-Mädchen? Ein bisschen klischeemäßig, findest du nicht, Indiana?«

Ich kneife die Augen zusammen, als er mich schon wieder so nennt. »Schon mal den Satz Sie ist nicht wie andere Mädchen gehört?«

Er nickt knapp.

»Tja, ich bin genau wie alle anderen. Ich habe kein Problem mit Klischees. Ich hatte eine Uggs-Phase. Ich hatte eine Skinny-Jeans-Phase. Ich mag meine Bücher romantisch, meinen Kaffee mit mehr Creamer als Koffein, und im Restaurant mache ich Insta-taugliche Fotos von meinem Essen.«

Seine Brust zuckt leicht, und ich klopfe mir innerlich auf die Schulter, weil ich Ryan Shay ein Lachen entlockt habe, so stumm und kaum merklich es auch sein mag.

Wir frühstücken schweigend weiter. Ryan sieht mich nicht an, aber ich kann nichts dagegen tun, dass mein Blick immer wieder zu ihm rüberwandert. Er ist ein schöner Mann. Das kantige Kinn hat einen leichten Hauch von Bartstoppeln. Die Lippen sind so voll, dass ich mich unwillkürlich frage, ob sie sich so weich anfühlen, wie sie aussehen. Die Augen sind hell … verführerisch, obwohl er es nicht beabsichtigt. Er ist nicht der netteste und auch nicht der kontaktfreudigste Mann, den ich kenne, aber trotzdem unglaublich anziehend. Das Seltsamste an ihm ist vielleicht, dass er sich dessen nicht bewusst zu sein scheint.

»Was?«, fragt er, ohne aufzusehen.

Es ist mir nicht peinlich, dass er mich beim Starren erwischt hat, und ich wende den Blick nicht von ihm ab. »Hast du Freunde?«

»Ja.«

»Du hast kaum Geschirr und Besteck in deiner Küche. Was ist, wenn deine Freunde zum Abendessen kommen und dir Teller fehlen?«

»Ich verbringe hier keine Zeit mit meinen Freunden.«

»Wo triffst du dich denn dann mit ihnen?«

»Beim Training oder bei unseren Spielen.«

»Du meinst deine Teamkollegen.«

»Ich arbeite zu viel, um meine Teamkollegen nicht als Freunde zu betrachten. Stevie ist auch meine Freundin.«

»Stevie ist deine Zwillingsschwester.«

»Und Zanders.«

»Dein mutmaßlicher zukünftiger Schwager.«

»Worauf willst du hinaus, Indy?« Er klingt ein wenig angestrengt.

Ich zucke lässig mit den Schultern. »Auf gar nichts. Ich versuche nur, dich ein bisschen kennenzulernen. Was ist deine Lieblingsfarbe?«

»Schwarz.«

»Ich hätte gedacht, dass Roboter eher auf Silber stehen.«

Er bleckt die Zähne zu einem demonstrativen Lächeln. »Niedlich.«

»Warum hast du keinen Hund oder ein anderes Haustier, das dir Gesellschaft leistet? Dann wäre es hier nicht so einsam.«

»Ich bin allergisch gegen Hunde. Und ich bin nicht einsam.«

»Ah, stimmt ja, die Allergie, das hatte ich ganz vergessen. Wie wäre es dann mit einer Katze? Etwas, um das man sich kümmern kann.«

»Ich brauche nichts und niemanden, um den ich mich kümmern kann, und ich brauche auch keine zusätzliche Gesellschaft. Ich bin gern allein.«

»Ich liebe Blumen. Ich könnte dir welche besorgen. Oder eine Grünpflanze. Vielleicht fühlst du dich mit einer Pflanze männlicher. Etwas, das in der bitteren Kälte deiner Persönlichkeit gedeiht.«

»Ganz schön … mutig für jemanden, der erst seit gestern hier ist und noch keinen Mietvertrag unterschrieben hat. Und du stellst eine Menge Fragen.«

»Du findest mich schön?«

»Du hast die ersten zwei Wörter gehört und den Rest ausgeblendet, was?« Unbeeindruckt zieht er eine Augenbraue hoch.

»Ich versuche nur, dich kennenzulernen.«

Er mustert mich prüfend. »Gut. Ich bin dran.«

Ich setze mich aufrechter hin. »Oh, das macht Spaß! Mitbewohner-Bonding. Wahnsinn.«

»Erzähl mir von deinem Ex und warum du keine Wohnung hast.«

Verdammt. Er macht keine halben Sachen.

»Meine Lieblingsfarbe? Schön, dass du fragst. Lavendel.«

»Das war nicht meine Frage.«

Ich stoße einen tiefen, resignierten Seufzer aus. »Du hältst mich jetzt schon für ein Wrack. Bist du sicher, dass du Details wissen willst?«

»Will ich.«

Er sieht mich unverwandt an. Offenbar ist Ehrlichkeit eine nicht verhandelbare Bedingung dafür, hier zu wohnen. Na schön. »Mein Ex und ich waren lange zusammen, bis vor etwa sechs Monaten, als ich früher von einer Geschäftsreise nach Hause gekommen bin und ihn mit einer anderen in unserem Bett gefunden habe.«

Ryans Kiefer zuckt, als würde er die Zähne zusammenbeißen. »Das meiste davon weiß ich schon. Wie lange ist lange?«

»Sechs Jahre.«

Seine blaugrünen Augen weiten sich. »Ihr wart sechs Jahre lang zusammen?«

»Ja, aber wir kennen uns schon unser ganzes Leben.«

»Sechs Jahre, und ihr wart noch nicht verheiratet oder verlobt?«

»Wir hatten es vor. Er hatte schon einen Ring besorgt. Ich habe darauf gewartet, dass er für den nächsten Schritt bereit ist.« Ich sehe auf meinen Teller, weil es wehtut, das alles zu erzählen. Ich habe unsere Liebesgeschichte immer geliebt. Sie war mir einzigartig vorgekommen, wie eine tiefe Verbindung. Kindheitsfreunde, die eines Tages heiraten. Ich habe mich darauf gefreut, bei unserer Hochzeit unsere Kindergartenbilder zu zeigen.

Aber jetzt ist es demütigend. Wir kennen uns seit zweiundzwanzig Jahren, waren sechs Jahre lang zusammen, und ich konnte ihn nicht dazu bringen, mich zu heiraten. Ich konnte ihn nicht mal dazu bringen, mir treu zu bleiben.