The Silence - Tim Lebbon - E-Book

The Silence E-Book

Tim Lebbon

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Beschreibung

In der Dunkelheit eines unterirdischen Höhlensystems jagen blinde Kreaturen einzig mit Hilfe ihres Gehörs. Als sie aus ihrem Gefängnis entkommen, schwärmen sie aus und töten alles, was nur den geringsten Laut von sich gibt. Zu schreien, ja sogar zu flüstern bedeutet den sicheren Tod. Als die Horden über Europa herfallen, trägt ein britisches Mädchen fieberhaft sämtliche Informationen über sie zusammen. Seit Jahren taub, weiß Ally, was es heißt, in absoluter Stille zu leben. Und dieses Wissen ist bald die einzige Chance für sie und ihre Familie, zu überleben. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach einem abgelegenen Zufluchtsort, um das Ende der Bedrohung abzuwarten. Doch was für eine Welt wird noch übrig sein, wenn die Vesps sie verlassen haben?

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Aus dem Englischen von

Charlotte Lyne

Grimma

Buchheim Verlag

2019

Deutsche Filmausgabe

ISBN: 978-3-946330-08-0

ISBN E-Book: 978-3-946330-17-2

© 2019 Buchheim Verlag, Olaf Buchheim, Grimma

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: mit freundlicher Genehmigung von

Constantin Film Verleih GmbH

Übersetzung: Charlotte Lyne

Lektorat: Claudia Pietschmann

Satz im Verlag

www.buchheim-verlag.de

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

The Silence

Copyright © 2015 by Tim Lebbon

published in agreement with the author,

c/o BAROR INTERNATIONAL, INC.,

Armonk, New York, U.S.A.

Für Ellie Rose, immer noch meine kleine Süße,

in ihrem großen Prüfungsjahr.

und

Für Graham Joyce, der Schönheit in allem sah.

1

… was für ein historisches Ereignis, das erste Mal, dass eine bedeutende wissenschaftliche Entdeckung wie diese live im Fernsehen übertragen wird. Die Aufregung ist selbst hier, oberhalb der Erde spürbar. Wir können nur vermuten, wie groß die Spannung dort unten am Eingangspunkt sein muss. Sämtliche Wissenschaftler und Höhlenforscher befinden sich in sicherem Abstand, und die eigens dafür entworfenen und konstruierten Robotersysteme sind nun bereit, den alten Höhleneingang abzutragen. Niemand ist sicher, was wir dort unten finden werden, eine kürzlich durchgeführte Reihe seismischer Untersuchungen lässt jedoch den Schluss zu, dass das verborgene Höhlensystem, das möglicherweise seit Millionen von Jahren isoliert war, von gigantischem Ausmaß ist. Gerüchten nach könnte es Höhlen enthalten, die die vor Kurzem entdeckte Son-Doong-Höhle in Vietnam an Größe übertreffen, und die Ausdehnung der Systeme könnte in der Länge der legendären Mammoth Cave in Kentucky gleichkommen. Ich zumindest bin noch nie so aufgeregt gewesen. Dies ist der Tag, an den jeder, der mit dieser Expedition zu tun hat, sich sein Leben lang erinnern wird. Und ich hoffe, Sie, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, werden sich ebenfalls an ihn erinnern.

Verborgene Tiefen – Live!,

Discovery Channel,

Donnerstag, 14. November 2019

Während ich zusah, wie drei schwarz gekleidete Gestalten mit Kletterausrüstung in eine Höhle hinuntergelassen wurden, zielte Jude mit dem Kerngehäuse eines Apfels auf meinen Kopf. Das Geschoss verfehlte mich knapp, prallte an die Wand hinter mir, zerplatzte und ergoss sich in einem Regen aus Fruchtfleisch und Kernen über mich.

»Verpiss dich!«, brüllte ich. Im Nu verschwand sein Schatten aus meiner Schlafzimmertür, da er sich vor meiner Rache offenbar fürchtete, doch seine linke Hand und sein Kopf tauchten hinter dem Türrahmen wieder auf.

»Ich erzähle Mum, dass du ein Schimpfwort benutzt hast«, teilte er mir in Zeichensprache mit.

»Dann erzähl’s ihr doch«, sagte ich. Meine Worte erzeugten eine Schwingung, die aus nicht viel mehr als Erinnerung bestand. Ich spürte das regelmäßige Tap-tap von Schritten, mit denen mein jüngerer Bruder sich in sein eigenes Zimmer zurücktrollte, und dann einen dumpfen Schlag gegen die Wand, als er auf sein Bett sprang. Er würde wiederkommen. Der kleine Scheißkerl war in der Stimmung dafür.

Ich wischte mir die Apfelstücke von der Schulter und wandte mich wieder dem Fernseher zu. Ich hatte ihn gerade erst eingeschaltet. Zuvor hatte ich etwa eine Stunde lang Gitarre gespielt, ehe ich dem Drang nachgab, mich auf mein Bett zu fläzen und mir irgendwelchen anspruchslosen Blödsinn in der Glotze anzusehen. Aber das erste Bild, das mir vor Augen gekommen war, hatte mich augenblicklich gefangen genommen.

Es war kein richtiger Dschungel. Eher eine dicht bewaldete Landschaft, mit Bäumen und Sträuchern bewachsene Hügel und weiter entfernt kahle Gipfel, schroff und in Nebel gehüllt. Die Leute befanden sich unten in einer flachen Schlucht, und von den Bäumen, die hoch über ihnen wuchsen, schlängelten sich Schlingpflanzen hinunter, ertasteten sich ihren Weg in die Schatten wie reglose Fangarme. Über den Grund der Schlucht zog sich das Zickzackband eines Flusses. Mehrere große Zelte waren dort aufgebaut, ein paar kleinere standen in der Nähe und auf einem Lagerplatz stapelten sich Plastikkisten und Kaki-Taschen. Was mich jedoch am meisten faszinierte, waren die Gesichter der Leute und der Ausdruck, der sich darauf abzeichnete.

Sie waren erregt. Nicht nur vorübergehend, sondern wirklich erfüllt von Begeisterung für das, was sie taten, und gespannt auf das, was sie entdecken würden. Das »Live«-Symbol in einer Ecke des Bildschirms verlieh der Szene sogar noch mehr Eindringlichkeit. Im Hintergrund sah man Männer und Frauen, die sich über das Lager verteilten, und die Kamera war auf eine kleine Gruppe gerichtet – die drei Leute, die Seile und Gurte umgeschnallt hatten, die ausgefahrene Metallwinde und den dunklen Schlund des Höhleneingangs, der in dem Bergrücken klaffte. Zwei Frauen betätigten die Winde und die Forscher wurden einer nach dem anderen hinuntergelassen, aus dem Licht heraus und schließlich außer Sicht.

Ich war verwirrt, weil es keinen Kommentar dazu gab, dann aber drückte ich auf einen Knopf der Fernbedienung, und Untertitel tauchten auf. Jude musste wieder an meinem Gerät ferngesehen und die Einstellungen verändert haben. Dieser nervige kleine Scheißer.

»… etwas mehr als eine Meile, und auch wenn es damit dem längsten oder dem tiefsten Höhlensystem in Europa noch nicht einmal nahekommt, macht diese außergewöhnliche Eigenheit es zum faszinierendsten dieser Systeme. Das Potenzial für Tiefenerforschung ist gewaltig. Wie Dr. Krasnov es vorhin ausgedrückt hat, erleben Sie einen historischen Augenblick live im Discovery Channel mit. Während also diese drei Höhlenforscher in den vertikalen Schlund der Höhle hinuntergelassen werden, sind weiter unten die Robotersysteme bereits dabei …«

Was für eine außergewöhnliche Eigenheit?, fragte ich mich. Der Schlund der Höhle wirkte auf mich nicht weiter bemerkenswert, ein Krater, vielleicht viereinhalb Meter im Durchmesser, die Ränder unter Sträuchern verborgen. An einer Seite sickerte Tageslicht hinunter und ließ eine von Pflanzen überwucherte Wand erkennen, die anscheinend geradewegs in die Tiefe führte. Ein bisschen gespenstisch ist das schon, dachte ich, und während ich zusah, wie der letzte Höhlenforscher in der Finsternis verschwand, überlegte ich, ob ich vielleicht versehentlich an eine neue Drama-Serie oder irgendeinen Film geraten war. Dann aber stellte ich fest, dass es sich tatsächlich um den Discovery Channel handelte, und gleich darauf trat zum ersten Mal eine Moderatorin vor die Kamera. Ich hatte sie schon gesehen, sie berichtete aus aller Welt. Was für ein fantastischer Job, dachte ich. Mit vierzehn begann ich gerade erst zu erahnen, was ich selbst gern mit meinem Leben anfangen wollte, und dieser Reporterin zuzusehen, ließ mein Herz höherschlagen. Meiner Behinderung hatte ich niemals erlaubt, meine Träume zu bestimmen oder ihnen Grenzen zu setzen. Taub zu sein war meine eigene außergewöhnliche Eigenheit.

»Wie bereits berichtet, ist ein fünfzehnköpfiges Team ans äußerste Ende des Systems entsandt worden«, fuhr die Moderatorin fort. »Zu der Gruppe gehören erfahrene Höhlenforscher, ein Botaniker, ein Biologe, ein Geologe und ein Paläontologe. Sie alle befinden sich inzwischen seit fast sechs Tagen unter der Erde, haben Proben entnommen und sind damit beschäftigt, die neuen Pflanzen- und Insektenarten, die dort unten gefunden worden sind, zu katalogisieren. Jetzt aber, wo der Eingang zum nächsten Durchgang entdeckt worden ist und die Forscher bereit sind, mit der Entfernung des Steinschlags zu beginnen, der ein weit tieferes, umfangreicheres System zu verbergen scheint, ist es denkbar, dass sich dies hier als eine der größten wissenschaftlichen Entdeckungen entpuppt, die …«

Ich griff nach meinem iPad und öffnete die Scrapbook-App. Ich hatte sie meinen persönlichen Bedürfnissen angepasst und benutzte sie jetzt, sooft ich auf eine interessante Story stieß, fügte Berichte, Videos, Kommentare aus den Social Media und weitere Inhalte hinzu. Meine Eltern lasen sich meine Analysen dieser Artikel durch und unterstützten meine journalistischen Ambitionen. Kommunikation war wichtig für mich. Das war kaum verwunderlich. Nur ein einziges Mal hatte mein Vater mich gefragt: »Ist dieser Berufswunsch überhaupt realistisch, wenn du taub bist?« Seine Zweifel hatten mich ein wenig überrascht, vor allem, weil er mir oft zuhörte, wenn ich Musik machte. Jude wollte eine Band mit mir gründen, er als Frontman und ich als Texterin, Musikerin und was es sonst noch gab, solange man dabei nicht von der Bühne hinunter in die Menge der Fans springen musste. Meinem Vater hatte ich zur Antwort gegeben: »Frag das mal Beethoven.« Danach hatte er nie wieder Zweifel an mir geäußert. Jedenfalls nicht mir ins Gesicht.

Ich öffnete eine neue Datei, gab ihr den Namen »Neue Welten?« und war gerade dabei, den Einführungstext zu schreiben, als ich aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahrnahm.

Jude schlüpfte schon wieder in meine Tür, schlich geduckt wie ein Heckenschütze voran und hielt zwischen Daumen und Zeigefinger ein gespanntes Gummiband, über das er ein Geschoss aus Papier gefaltet hatte. Ich sah ihn und duckte mich, aber er reagierte schneller. Das Geschoss traf mich etwa zweieinhalb Zentimeter über dem linken Auge.

Vor Schmerz heulte ich auf, dann brüllte ich vor Zorn.

Jude machte große Augen und versuchte lachend zu entwischen.

Ich ließ das iPad auf mein Bett fallen, stürzte durchs Zimmer und griff nach meinem nervigen kleinen Bruder. Jahrelanges Ballett- und Leichtathletik-Training verschaffte mir einen Vorteil, und so hatte ich den Raum durchquert, ehe er überhaupt auf die Füße kam.

Meine Hände schlossen sich um seine Fußgelenke. Er blickte über seine Schulter zurück. Ich zog eine Grimasse, bemühte mich um den boshaftesten Ausdruck, den ich zustande brachte. Er nervte mich bis zum Wahnsinn, aber manchmal brachte ich es nicht übers Herz, dieses selige Grinsen aus seinem Gesicht zu wischen.

»Und jetzt zu meiner Rache«, begann ich.

»Nein, Ally, nicht, es tut mir leid!«

Etwas Feuchtes drückte sich an meine Seite, streifte meine Hüfte da, wo mein T-Shirt hochgerutscht war.

»Otis!«, rief ich und sprang auf. Jude ergriff die Gelegenheit, meinem Griff zu entschlüpfen, krabbelte von dannen und hockte sich in den Eingang zu seinem Zimmer, bereit, sein Territorium zu verteidigen.

Der Hund setzte sich hin und stieß mich von Neuem mit der Schnauze an. »Ich komme!«, rief ich, denn ich wusste, dass meine Mutter Otis geschickt hatte, um mich zu holen. Er war kein echter Signalhund – jedenfalls keiner, der professionell ausgebildet worden war –, aber ich hatte viele Stunden damit verbracht, dem Weimaraner beizubringen, mich zu holen, wenn Leute nach mir riefen, wenn das Telefon klingelte oder wenn jemand an der Tür war. Otis und ich hatten eine innige Beziehung zueinander, und es faszinierte mich noch immer, wie genau er zwischen Stimmungen und Aufgaben zu unterscheiden vermochte – seine Arbeit als mein Signalhund nahm er ernst. So gut wie alles andere war für ihn Spiel.

»Guter Junge!«, sagte ich, fuhr ihm durch das Fell am Hals und kraulte seine Brust. Otis gab ein kurzes, scharfes Bellen von sich – tatsächlich konnte ich es in meiner Brust heftig spüren – und stürmte zurück nach unten.

Jude und ich kämpften uns auf dem Hintern Seite an Seite die Treppe hinunter. Wir lachten. Die weit entfernte Schlucht, das Loch im Boden und die Leute, die in der tiefen, tiefen Finsternis verschwanden, hatte ich bereits vergessen.

Es war nichts als ein weiteres Hotelzimmer in einem weiteren nichtssagenden Hotel, das er im selben Moment, in dem er seines Weges fuhr, vergessen haben würde. Nur stank dieses hier obendrein nach Pisse.

Einigermaßen hübsch wirkte das Etablissement durchaus. Die Zimmer waren alle unterschiedlich eingerichtet – das seine trug den fantasielosen Namen Rote Suite und war mit roten Vorhängen und Bettbezügen sowie mit einer Reihe von abstrakten Gemälden ausgestattet, auf denen nackte, fleischige Landschaften und blutige Sonnenuntergänge zu erkennen waren. Das Paar, das das Hotel betrieb, machte einen freundlichen Eindruck. Die Frau war etwas älter als Huw und lächelte ein bisschen zu stark, als er die geöffneten Knöpfe an ihrer Bluse bemerkte. Es war nur ein winziger Einblick, ein bisschen Spitze vom Büstenhalter. Er konnte sich nicht daran hindern, solche Dinge zu registrieren, aber beim Registrieren blieb es, mehr hatte er nie getan. Er hatte für später einen Tisch zum Abendessen reserviert, und die Küche des Hotels schien einen ausgezeichneten Ruf zu haben. Es war also in Ordnung. Es war ein bisschen verschroben. Aber nach Pisse stank sein Zimmer trotzdem.

Langsam bewegte er sich durch den Raum, schnüffelte da und dort, verschwand im Badezimmer, um zu prüfen, ob der Gestank dem dafür naheliegenden Ort entstammte, aber er bemerkte nichts. Es war nur ein leichter Mief, nichts allzu Schlimmes oder gar Besorgniserregendes, nicht stark genug, um ihn dazu zu bringen, nach einem anderen Zimmer zu fragen. Ganz sicher würde er sich nicht beschweren. Das war einfach nicht Huws Art. Er hasste Schwierigkeiten und vermied Auseinandersetzungen um jeden Preis. Wenn mitten im Zimmer ein riesiger Haufen Scheiße auf dem Boden gelegen hätte, hätte er sich wahrscheinlich beschwert. Wahrscheinlich.

Er seufzte, ließ sich auf dem Bett nieder und sank in den Stapel aus vier Kissen, den er gegen die Kopfstütze gelehnt hatte. Ein Buch lag ungelesen neben ihm. Eine Tasse Tee kühlte auf dem Nachttisch aus. Zuerst war ihm der Tee als eine gute Idee erschienen, aber er schmeckte nach … nun ja, nach Pisse, und dazu kam die künstliche Milch, die sie in diesen kleinen Plastikbehältern dazu servierten.

Das war auch so eine Sache, für die er gesorgt hätte, wenn er ein Etablissement wie dieses geführt hätte. Er hätte jedes Zimmer mit einem kleinen Kühlschrank und einem Krug echter Milch ausgestattet. Er sprach des Öfteren mit Kelly darüber, und ein- oder zweimal hatten sie ernsthaft darüber geredet, eine kleine Pension unten an der Küste von Cornwall zu kaufen. Sie könnte malen, mehr als nur ab und zu ein hingepfuschtes Bild, zu dem sie in ihrem momentanen Leben Zeit fand. Er könnte surfen. Jude könnte die Felsengarnelen unten am Strand erkunden, und Ally könnte tun, was immer gerade ihr Interesse geweckt hatte – Muscheln sammeln, Kajak fahren, Klippen besteigen. Huw lächelte. Wie er Ally kannte, würde sie all diese Dinge ausprobieren wollen und es dabei nicht belassen.

Er warf einen Blick auf das Buch, seufzte, dann schaltete er den Fernseher ein und zappte mit ausgestelltem Ton durch die Kanäle.

Es waren zwei ziemlich erfreuliche Tage gewesen, sie waren mit der Arbeit an dem neuen Haus gut vorangekommen. Oder dem Anwesen, besser gesagt. Ihr Kunde war der Besitzer eines Rennstalls, sechzig Jahre alt, reich und im Begriff, sich zur Ruhe zu setzen. Ein netter Kerl, der jede Menge interessanter Geschichten zu erzählen hatte. Regelmäßig hielt er Huw eine Stunde länger auf, als das Treffen eigentlich erforderte. Aber Huw machte es im Grunde nichts aus. Manchmal förderte Max eine Flasche Wein aus seiner Aktentasche zutage, und sie hatten mehr als einen feuchtfröhlichen Nachmittag auf der Baustelle verbracht, die demnächst sein luxuriöses Zuhause werden sollte.

Max bezahlte Huws Firma beinahe eine Million Pfund, um das Haus zu bauen, also fand er, Max wäre durchaus dazu berechtigt, auch ein kleines Stück von seiner Seele zu besitzen.

Er seufzte und griff nach der Teetasse. Die Bewegung schien die Luft in Unruhe zu versetzen und eine neue Welle des Ammoniakgestanks auszulösen. Der Uhr nach war es fast sechs, sein Tisch war für sieben Uhr gebucht, und in der Flimmerkiste gab es absolut nichts. Vielleicht sollte er laufen gehen. Es war schon lange her, seit er das letzte Mal auch nur seine Laufschuhe angezogen hatte. Einen Grund, sich vorm Laufen zu drücken, gab es immer, und heute war es Erschöpfung. Seine Glieder schmerzten. Wenn seine Motivation noch vorhanden war, so war sie tief vergraben und würde nicht herauskommen, um mit ihm Sport zu treiben.

Huw dachte an die Frau, bei der er eingecheckt hatte, an ihr einladendes Lächeln, und er fragte sich, ob sie diesen Blusenknopf wohl absichtlich offen gelassen hatte.

Kelly machte ihm manchmal ein wenig Ärger wegen der häufigen Reisen, die ihn von zu Hause wegführten. Mehr als drei Nächte hintereinander blieb er selten weg, aber trotzdem nörgelte sie und hackte auf dem Thema herum, nie ganz ernsthaft, aber, so glaubte er, auch nicht ausschließlich aus Spaß. Sie fragte ihn, ob er sich denn schon eine heiße Flamme für die Nacht gebucht hatte oder ob ein Mädel für einen regelmäßigen Fick in jeder Stadt, in der er übernachtete, auf ihn wartete. Huw spielte mit, ließ die Dinge aber nie zu weit gehen, und dann umarmte er sie und beteuerte ihr, dass sie die Einzige für ihn war. Und das war die Wahrheit, er meinte es genau so, wie er es sagte. Nach zwanzig Jahren Ehe liebten sie einander noch immer, zwar anders als am Anfang, aber nicht weniger tief. Er kannte Männer, die fern von zu Hause arbeiteten und Affären hatten – eine regelmäßige Sache, gelegentliche Besuche oder nur einen One-Night-Stand in ihrem Hotelzimmer mit einer Frau, die sie gerade kennengelernt hatten und von der sie nicht einmal wussten, wie sie mit Nachnamen hieß. Für ihn aber war das nie infrage gekommen. Huw war ein Familienmensch, und seine Familie war der Grund, warum er sich jedes Mal darauf freute, nach Hause zu kommen.

Er trank einen Schluck Tee und wünschte, er hätte es bleiben lassen.

Vielleicht sollte er sich ein Bad einlassen und sich mit einem Buch entspannen. Entschlossen griff er nach der Fernbedienung, aber ehe er das Gerät ausschaltete, zappte er noch schnell durch ein paar weitere Kanäle, eine Angewohnheit, die er von Kelly übernommen hatte.

An einem Bild blieb er hängen.

Mehrere Leute standen um eine Art Apparat versammelt, zwei von ihnen bemühten sich, einen Hebel zu bewegen, während ein dritter offenbar mit einem Kontrollmechanismus beschäftigt war. Die Kamera führte zweifellos jemand mit der Hand, denn der Verlauf war sprunghaft und verwackelt. Im Hintergrund war eine Reihe von Zelten zu erkennen, zwischen denen Scheinwerfer aufgehängt waren. Schattenhafte Gestalten bewegten sich dazwischen hin und her. Das Ganze fand irgendwo in der Wildnis statt – Bäume, ein sternenübersäter Himmel, raues Gelände.

Es war der Ausdruck auf ihren Gesichtern, der seine Aufmerksamkeit erregte.

Sie hatten Angst.

»Ein neuer Filmtrailer«, murmelte Huw. Er sprach ziemlich oft mit sich selbst, und für gewöhnlich bemerkte er es kaum. Dieses Mal fiel es ihm jedoch auf, weil er sich nicht ganz sicher war. Wenn es sich wirklich um einen Trailer handelte, dann war er unglaublich realistisch gemacht. Und schonungslos.

Die Leute drehten noch immer an dem Hebel, und erst als Huw sah, wie etwas Glänzendes, Rotes aus dem Boden zutage gefördert wurde, bemerkte er, dass der Ton noch immer ausgeschaltet war.

Er drückte auf den Knopf, um ihn einzuschalten, und ein markerschütternder Schrei schnitt durch den Raum.

»Scheiße!« Mit klopfendem Herzen versuchte Huw, darüber zu lachen, dass er sich derart leicht erschrecken ließ. Er langte über das Bett und griff nach seinem Handy, um nach der Uhrzeit zu sehen, wobei er sich bemühte, den Blick nicht vom Bildschirm zu lösen. Fast Viertel nach sechs.

Unmöglich, solche Sachen zu einer Uhrzeit zu zeigen, in der noch Kinder vor dem Fernseher saßen.

Ich war verrückt nach Spaghetti Bolognese. Meine Mutter machte alles daran selbst, und die Sauce geriet jedes Mal anders. Sie hatte Spaß am Experimentieren. Ein Rezept ist nicht mehr als eine Richtlinie, pflegte sie zu sagen.

Parmesan. Der durfte allerdings nie fehlen.

Jude saß mir gegenüber am Tisch, und Mum saß zu meiner Linken. Sie war eine elegante Frau, eine, die ihre mittleren Jahre mit Würde anging, statt zu versuchen, ihr Alter mit teurer Schminke, Haarfarbe oder Selbstbetrug zu übertünchen. Manchmal sagte ich ihr, dass das Grau an ihren Schläfen – das sich jetzt von Strähnen zu ganzen Partien auswuchs – ihr irgendwie das Aussehen einer Superheldin verlieh. Mum lachte darüber, und Jude hatte sie eine Superköchin genannt.

»Ist das alles, was ich für dich bin?«, hatte sie ihren zehnjährigen Sohn gefragt.

»Klar«, hatte er zur Antwort gegeben. »Was gibt’s zum Nachtisch?«

Otis saß neben mir, hatte seinen Kopf auf mein Bein gelegt und sah mit seinem traurigen Gib-mir-doch-Futter-Blick zu mir auf. Wäre Dad hier gewesen, hätte er Otis, solange wir aßen, in seinen Korb geschickt. Er mochte es nicht, wenn der Hund bettelte, aber mich störte es nicht. Otis wusste immer genau, wenn der Herr des Hauses nicht da war.

»Wo ist denn Oma?«, fragte ich. Meine Großmutter war für zwei Wochen bei uns zu Besuch und aß sonst immer mit uns zu Abend.

»Sie hat sich ein bisschen hingelegt«, antwortete Mum. »Hast du noch Hausaufgaben zu machen?« Sie war der einzige Mensch, bei dem ich es leicht fand, Lippen zu lesen. Bei Dad musste ich mich wirklich konzentrieren, und bei den meisten meiner Freunde bekam ich häufig von drei Worten höchstens eines mit. Merkwürdig.

»Ja, was in Erdkunde. Aber das ist nicht vor nächster Woche fällig.«

»Du solltest trotzdem heute schon anfangen.«

»Ja, gut, vielleicht.«

Jude stieß mich unter dem Tisch an, für gewöhnlich ein Zeichen, dass er eine Beleidigung vom Stapel lassen wollte. Ich sandte ihm einen wütenden Blick.

»Du stinkst«, sagte er. Das verstand ich ohne Probleme.

»Jude«, ermahnte unsere Mutter ihn sanft.

Wir machten uns über das Essen her. Jude schnappte sich den Laib Knoblauchbrot, der in der Mitte auf dem Tisch lag, und ich beeilte mich, ihm ein Stück davon zu entreißen. Es schmeckte großartig. Meine Freundin Lucy hasste es, wenn ich Knoblauch gegessen hatte, und ich achtete jedes Mal darauf, mich am nächsten Tag im Schulbus näher zu ihr zu setzen und aus dem Mundwinkel auszuatmen. Kindisch, aber es brachte mich zum Lachen. Eine ganze Menge Sachen brachten mich zum Lachen. Ich war ein glückliches Mädchen, und manche Leute – zum überwiegenden Teil ignorante Arschlöcher – fanden es schwierig, das zu begreifen.

In der Schule machte sich einmal ein Junge über mich lustig und belegte mich mit Schimpfworten wie Krüppel und Spasti, als er glaubte, ich könnte es nicht sehen. Hinter meinem Rücken zog er Grimassen, von denen meine Freunde mir später erzählten. Dass er ein Idiot war, war bekannt, aber jetzt behandelte er mich wie ein Idiot. Ich stellte mich ihm in den Weg und ließ eine Kanonade von Kraftausdrücken auf ihn niederprasseln, wobei ich mir Mühe gab, all diese Worte, die ich so selten benutzte, glasklar, scharf und schneidend auszusprechen. Dann drehte ich mich um, ehe er etwas erwidern konnte, sodass ihm nichts übrig blieb, als meinen Rücken anzubrüllen. Über meine Schulter hinweg zeigte ich ihm den Stinkefinger. Das Grinsen auf den Gesichtern um mich herum spiegelte mein eigenes.

Manchmal hatte es durchaus seine Vorteile, nicht hören zu können.

Jude ließ einen Bissen fallen, und Otis duckte sich unter den Tisch, um ihn aufzulecken. Jude schrie auf und veranstaltete ein Riesentheater, als würde er von seinem Stuhl geschleudert. Mum zog eine finstere Miene und sagte etwas zu ihm, das ich nicht mitbekam. Ich aß einfach weiter und sah auf meinen Teller hinunter.

Als wir fertig waren und unser Besteck zusammengelegt hatten, stellte Mum jedem von uns eine kleine Schüssel Eiscreme hin. Über den Tisch hinweg warf ich einen Blick auf Jude und bemerkte, dass er mich erwartungsvoll ansah. Um meine Aufmerksamkeit zu erregen, begann er, mit den Händen etwas zu vollführen, das ich immer den Andrews-Familiendialekt nannte, eine Form von Zeichensprache, wie wir sie alle nach dem Unfall erlernt hatten, die wir jedoch erweitert und unseren Bedürfnissen angepasst hatten. Meine Eltern hatten das mit der Zeichensprache zwar auch großartig hinbekommen, aber Jude – der damals erst knapp sechs Jahre alt gewesen war – hatte sie sich in unglaublichem Tempo angeeignet, und er und ich hatten anschließend gemeinsam unsere eigene abgewandelte Version entwickelt. Mum und Dad brauchten sich dem nur noch anzuschließen.

»Hast du Lust, Quiz Time zu spielen?«, fragte er.

Ich zuckte mit den Schultern, aber er merkte mir an, dass ich scharf darauf war.

»Also gut, ihr beiden«, sagte unsere Mutter. »Den Tisch räume ich heute ab. Aber bleibt sauber!«

Ich lachte, und Otis richtete seinen Kopf zur Decke und stimmte in unser Geheul ein. Ich wusste noch immer, wie sich das anhörte – nicht zu laut, eine Art von jaulendem Laut, der von Schalk und Freude erfüllt war –, und abgesehen von den Stimmen meiner Familie war es dieses Geräusch, das ich am meisten vermisste. Ich kitzelte Otis unter der Schnauze, während Jude die erste Frage stellte.

Ich gewann mit drei zu zwei Punkten, war aber einverstanden, als Jude mich bat: »Spielen wir bis zur siebenten Runde?« Und natürlich ließ ich ihn diesmal gewinnen. Er wusste das, und vielleicht fiel seine Siegesfeier gerade deshalb übertrieben enthusiastisch aus. Zum Schluss bearbeiteten wir uns gegenseitig die Schädel mit den Fingerknöcheln, und Otis sprang um uns herum, stieß uns mit der Schnauze an und bellte. Mum kam, um uns auszuschimpfen, aber ich sah einfach nicht hin. Es gelang mir, Jude noch eine ordentliche Kopfnuss zu verpassen, ehe Mums strenger Blick mich traf. Ich zwinkerte ihr zu, lächelte und zuckte mit den Schultern.

Vielleicht war dies das letzte Mal, dass Jude und ich uns aus Spaß einen Kampf lieferten. Wie so viele bedeutende Meilensteine zog es an uns vorüber, ohne dass wir es bemerkten. Später, in der Erinnerung, nannte ich diese Mahlzeit unseren letzten schönen Moment.

Ich lief nach oben in mein Zimmer und einer grauenhaften, von Lärm erfüllten Zukunft entgegen.

Ich liebte Horrorfilme. Dad hatte mir ein paar seiner persönlichen Lieblinge gezeigt – The Thing, Alien,Die Körperfresser kommen, Shining. Die Filme gefielen mir, und sie mit Dad zusammen anzusehen, gefiel mir noch viel mehr. Er genoss es, die Filme mit mir zu teilen. Aber als er mir erklärte, dass es bestimmte Filme gab, für die ich noch nicht alt genug sei, hatte ich natürlich danach gesucht. Hostel, Saw und alle möglichen Streifen, in denen Leute gefesselt, gefoltert und zerstückelt wurden. Ich sah sie mir mit einer Art von angeekeltem Interesse an, aber mehr passierte nicht. Echte Angst machten sie mir nicht. Manchmal widerten sie mich an. Ich fand, es waren eher Schocker als Horrorfilme, und stellte fest, dass es wesentlich leichter war, jemanden zu schockieren, als ihn zu beunruhigen, ihm Angst einzujagen.

Als ich in mein Zimmer zurückkam, dachte ich, ich hätte vielleicht einen dieser Filme im DVD-Player gelassen und vergessen auszuschalten. Innerhalb von Sekunden begriff ich jedoch, dass das nicht der Fall war.

Das hier war die Wirklichkeit.

So realistisch die Spielfilme, die ich mir ansah, auch wirken sollten, wusste ich immer, dass sie ausgedacht waren. Ich hatte eine Art Schranke in meinem Hirn errichtet, eine Horror-Grenze, die mir nicht richtig bewusst war, bis ich echte Qualen zu sehen bekam. Manche Szenen, die das Fernsehen in den Spätnachrichten brachte, fand ich schwer erträglich, und die extremeren Sachen, die meine Freunde online verfolgten, sah ich mir nicht an. Hinrichtungen, bei denen Menschen geköpft wurden, zusammenstoßende Autos, Todesfälle und Morde in der Wirklichkeit. Ich wusste, dass mir das zu viel gewesen wäre.

Außerdem fanden begrabene Erinnerungen an den Unfall nicht selten in völlig unerwarteten Momenten ihren Weg an die Oberfläche.

Ich brauchte eine Weile, um wirklich zu erfassen, was ich da zu sehen bekam. Etwas Rotes, Fleischiges hing an einem Seil und schwang sanft hin und her, als wäre es nur leicht berührt worden. Weiter hinten fielen zwei Lagen Zeltstoff in sich zusammen und aus einer von ihnen tauchte eine Gestalt auf, die heftig um sich schlug. Es sah aus wie ein Spielzeug zum Aufziehen, an dem der Mechanismus überdreht worden war.

Ich blinzelte und setzte mich auf mein Bett. Das ist doch die Gegend, die ich vorhin schon gesehen habe. Die Höhle war jetzt nicht länger im Bild, und die Kamera filmte ruhig und stabil, als ob sie auf ein Stativ geschraubt worden wäre. Die Scheinwerfer, die zwischen den Zeltstangen befestigt waren, schwangen heftig hin und her und warfen wild zuckende Schatten.

Wieder blinzelte ich, wie um mein Gehirn neu zu starten. Ich schloss meine Augen länger als gewöhnlich und dachte nach. Was ist das, was ich da sehe?

Als ich die Augen wieder aufschlug, sprang jemand aus der Deckung der Bäume hervor und versuchte, in eins der großen Zelte zu gelangen. Etwas – eine Form in der Luft, ein Flecken auf dem Bildschirm, vielleicht sogar ein Geisterbild – folgte ihm über die Lichtung. Als es ihn berührte, ging er zu Boden.

Mein Herz raste und hämmerte schmerzhaft gegen meine Brust. Ich beugte mich näher zum Bildschirm, aber die Gestalt war weit weg, versteckt in den zuckenden Schatten, und dadurch, dass ich näher rückte, verschwamm ihr Bild nur umso mehr. Sie schien zu kämpfen. Ihr Gesicht war nicht länger weiß.

Es war rot.

Wäre dies ein Horrorfilm gewesen, hätte ich über die Effekte gelacht. Ich konnte nicht erkennen, was vor sich ging. Alles lief durcheinander. Die um sich schlagenden Gestalten krümmten sich jetzt nur noch, als würde die Spannung aus ihnen weichen. Das Fleisch schwang noch immer hin und her.

Etwas löste sich von dem Objekt, das am Seil hing – von dem Ding, bei dem es sich, wie ich jetzt begreifen musste, um die Überreste eines der Höhlenforscher handelte. Eine Weile lang hielt es sich noch fest, ein verschwommener Umriss, der aus der ekelerregenden roten Masse geradezu zu sprießen schien. Dann breitete es etwas aus, das wie lederartige Flügel wirkte, und flatterte rasch aus dem Bild.

»Mum«, sagte ich leise. Das Gesehene hatte mir überhaupt nicht gefallen. Es war zu real.

Die Untertitel waren noch immer eingeschaltet, aber es war niemand mehr übrig, der hätte sprechen können.

»Zum Teufel, zum Teufel«, murmelte Huw. Ihm war kalt. Schauer krochen über seine Haut und setzten sich auf seinem feuchten Rücken, in den Achselhöhlen und an seinen Eiern fest. Was immer das hier auch war, es war verdammt wirkungsvoll. Wieder drückte er auf die Fernbedienung und runzelte die Stirn. Discovery Channel. Aber die hätten doch wohl einer solchen Sendung nicht zugestimmt? Das war ein Wissenschaftssender. Ein seriöser Sender. Außerdem war November und Halloween schon seit zwei Wochen vorbei.

»Zum Teufel.«

Mehrere Kreaturen schossen vom unteren Rand des Bildes in die Höhe, beschrieben im Flug Spiralen und verschwanden dann in den Bäumen wie große, verängstigte Vögel. Huw stellte die Lautstärke höher, bis die Digitalanzeige auf dem Bildschirm 100 anzeigte und ein lauter Summton den Raum erfüllte. Dann raschelte etwas und der Ton brach abrupt ab. Irgendwo schien jemand zu rennen, aus der Ferne hallten hämmernde Schritte, die so rasch wieder verklangen, wie sie begonnen hatten.

Weitere Kreaturen – Vögel, nahm er an, obwohl etwas überhaupt nicht zu dieser Beschreibung passte – flatterten über den Bildschirm. Einer von ihnen stieß gegen eines der aufragenden Zelte und schien im Inneren zu verschwinden.

Es waren die Pausen, die Huw davon überzeugten, dass das hier real war. Es gab Stellen mit hektischen Bewegungen, zwar vorwiegend außerhalb des Bildes, aber deutlich hörbar, und von Zeit zu Zeit flackerte Leben über den Schirm. Doch die ruhigeren Phasen dazwischen – gedehnte Augenblicke, in denen der Wind sacht durch die Blätter rauschte, das elektrische Brummen des Fernsehers in voller Lautstärke ertönte, Fliegen und andere Insekten um die Kamera summten und zufällige Muster auf dieser unbekannten Waldlichtung hinterließen – vermittelten ihm tatsächlich ein echtes Gefühl von Wirklichkeit.

Das und das Ding am Seil. Es erinnerte ihn an einen Köder, ein blutiges rotes Stück Fleisch, das an einem Seil aufgehängt war. Aber es trug zerfetzte Kleiderreste.

»Das muss ein Film sein.« Er sprach laut, um die grauenhafte Stille zu durchbrechen, als könnte er sich dadurch beruhigen.

Jemand schluchzte. Das Geräusch kam so unerwartet, dass Huw aufsprang und sich in dem nach Pisse stinkenden Hotelzimmer umblickte, um festzustellen, wer sich hier eingeschlichen haben mochte, während er nicht hingesehen hatte.

»Ich glaube … sie sind von dort gekommen«, sagte die Stimme. Sie war leise und ängstlich, doch es handelte sich definitiv um eine Frauenstimme. »Ich glaube …«

Mehrere der Kreaturen gerieten auf dem Bildschirm in Bewegung. Es war, als hätten sie völlig starr dort gehangen, gehockt oder wären geschwebt, im Bild unsichtbar, weil sie genauso reglos waren wie alles andere.

Als sie sich jetzt jedoch bewegten und die Frau aufschrie, bekam Huw sie eine Sekunde lang deutlich zu sehen.

Wie Vögel, aber bleich. Lederartige Flügel. Zähne.

Plötzlich wechselte das Bild, drehte sich, verschwamm, und dann ertönte von Neuem Geschrei, erfüllte laut und durchdringend den Raum, so laut, dass Huw den Fernseher ausschalten wollte. Aber er konnte den Blick nicht abwenden.

Die Kamera kippte zur Seite und filmte nun fast ausschließlich das hohe Gras, in dem sie gelandet war. Doch dann fiel etwas auf sie, krümmte sich und zuckte, während die Schreie schriller und noch lauter wurden.

Auf einen Schlag wurde das Bild schwarz. Die jähe Stille war schockierend.

Schwer atmend schnappte Huw die Fernbedienung und schaltete zu einem Nachrichtensender um.

»… für die kommende Wahlperiode strebe er eine konservative Mehrheitsregierung an, und er erneuerte sein Versprechen, Großbritannien zu einem Land voller Möglichkeiten zu machen. Der Oppositionsführer griff den Premierminister scharf an, wobei er darauf hinwies, dass seine Maßnahmen …«

Er stellte den Ton aus und sah zu, wie der Nachrichtensprecher vertraute Nachrichten vortrug. Politiker, die aufeinander herumhackten, Geschäftsführer, die Warnungen aussprachen, Prominente, die in Entzugskliniken eingeliefert wurden. Huw kicherte. »Zum Teufel.« Das hatte ihm wirklich einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Idiotisch.

Wieder überlegte er, ob er sich ein Bad einlassen sollte, aber der Gedanke hatte seinen Reiz verloren.

»Mum!« Ich rannte nach unten, immer noch satt vom Abendessen. Der Gedanke an das, was ich gesehen hatte, ließ eine diffuse Übelkeit aufsteigen. Ich hatte den Fernseher angelassen, die Szene lief weiter, aber ich wollte mir das nicht mehr ansehen. Nicht allein. »Mum!«

Otis kam aus dem Wohnzimmer zum Fuß der Treppe getrottet. Ich kraulte ihm kurz den Kopf, während ich an ihm vorbeieilte. Meine Mutter und Lynne – meine Großmutter bestand darauf, dass wir sie beim Vornamen nannten, und das fühlte sich schon lange nicht mehr merkwürdig an – waren im Wohnzimmer und wandten sich zur Tür, als ich eintrat. Sie lächelten, aber es wirkte verkrampft. Ich war nicht sicher, warum. Der Fernseher hier war ausgestellt und es hatte den Anschein, als hätten sie einfach dort gesessen und Tee getrunken.

»Hi, Lynne«, sagte ich lächelnd.

Lynne erwiderte mein Lächeln. Sie war eine hochgewachsene, magere Frau von der Sorte, die mein Vater etepetete nannte, und ihre Haltung ließ erahnen, woher meine Mutter ihre natürliche Eleganz hatte. Jetzt aber wirkte sie einfach nur schwach und müde.

»Was gibt es?«, fragte Mum in Zeichensprache.

»Da läuft was im Fernsehen. Im Discovery Channel. Es war grauenhaft, Leute sind getötet worden, und … ich weiß nicht, da war Blut. In einer Höhle.« Ich zuckte mit den Schultern, weil ich nicht recht wusste, was ich noch hätte sagen können. Mein Blick schweifte immer wieder zu dem großen Flachbildschirm, der an der Wand des Wohnzimmers hing, als erwartete ich, dass sich die Schwärze darauf als ein Bild vom Schlund der Höhle entpuppte. Vielleicht sehe ich sie gerade jetzt an, durchzuckte es mich, und ich fragte mich verstört, wie ich auf diese Idee kam.

»Wieder mal einen Horrorfilm gesehen?«, fragte Lynne.

Ich runzelte die Stirn und musste sie bitten, das Gesagte zu wiederholen. Lynne bemühte sich, die Worte in Zeichensprache auszudrücken.

»Nein, nein, es war eine Live-Übertragung, im Discovery Channel. Da zeigen sie keine Horrorfilme. Es war …« Ich schaltete das Gerät ein und zappte durch die Kanäle. Nichts. »Ich habe es aber gesehen.«

»Solltest du nicht eigentlich deine Erdkunde-Hausaufgaben machen?«, fragte meine Mutter.

Lynne winkte, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. »Wie heißt die Hauptstadt von Norwegen?«

»Oslo«, antwortete ich. »Aber Erdkunde ist viel mehr als nur das.«

Gespielt verärgert runzelte Lynne die Stirn, und ich wandte mich wieder dem Fernseher zu. Der Discovery Channel zeigte das Standbild einer Berglandschaft, über die am unteren Rand ein Schriftband lief: »Wir bitten um Verständnis, der Empfang ist vorübergehend unterbrochen. Das gewohnte Programm wird in Kürze fortgesetzt.«

»Gewohntes Programm«, murmelte ich und dachte an das blutige, hin und her schwingende Ding.

»Na komm«, sagte Mum in Zeichensprache. »Du kannst mir helfen …«

»Mum!«, rief Jude und stürmte ins Zimmer. »… hab gerade iPod gehört … hat mir geschrieben … da kommt was im Fernsehen … in den Nachrichten …!«

Ich bekam nur die Hälfte von dem mit, was er sagte, aber das letzte Wort schleuderte er mir noch einmal in Zeichensprache entgegen. In unserer Andrews-Familien-Zeichensprache – die Zähne gefletscht, die Hände zu Klauen gekrümmt, die Augen rollend.

»Monster.«

2

Bei einem Unfall während einer Höhlenexpedition im Norden von Moldawien soll es Berichten nach mehrere Todesfälle gegeben haben. Der Discovery Channel strahlte eine Live-Übertragung aus, als sich der Unfall ereignete. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich Mitarbeiter des Discovery Channel unter den Todesopfern befinden. Die Umstände des Unfalls sind derzeit unklar, und Behauptungen, nach denen »Kreaturen« beim Auftauchen aus der Höhle gesichtet worden sein sollen, bedürfen einer unabhängigen Überprüfung. Dr. Kyrylo Orlyk (Staatliche Universität Moldawien, Chişinău), der das angeblich vom Ort des Geschehens gesendete Material untersucht hat, erklärte: »Es hat eindeutig den Anschein, als wäre eine wissenschaftliche Expedition oder womöglich die Berichterstattung über diese Expedition von sensationslüsternen Individuen für ein bis dato unbekanntes Medienspektakel missbraucht worden.«

Reuters, Freitag, 15. November 2019

Ich tauchte aus einem jener Albträume auf, die den Schlafenden bis in die Wirklichkeit verfolgen. Als der Schlaf schwand und mein gesamtes Leben um mich Gestalt annahm – mich an den Menschen erinnerte, der ich war, während mein Geist sich einmal mehr aus der endlosen Leere rettete, in die Träume sich verwandeln können –, waren die Monster noch immer da. Für gewöhnlich konnte ich sie nicht identifizieren, und genauso wenig hätte ich beschreiben können, wie sie aussahen. Sie waren einfach vorhanden, eine Bedrohung im Hintergrund, ein Gewicht hinter jedem wachen Augenblick, und mit ihnen kam das Geräusch, das meine Albträume grundsätzlich begleitete: das Kreischen von Bremsen.

Das Kreischen schrillte weiter und hielt an, wie so oft, wenn ich einen Albtraum hatte. Es spielte keine Rolle, worum es in diesen schlimmen Träumen ging. Im Kern drehte es sich immer um den Unfall.

Dieses Mal war es anders. Ich versuchte die Augen zu öffnen, blinzelte gegen das Sonnenlicht der Morgendämmerung an, das durch einen Spalt zwischen den Vorhängen drang, und sah eine dieser seltsamen fliegenden Gestalten, die die zerfallende Landschaft meiner Träume umkreiste. Ihr Maul stand offen. Sie stieß ein endloses Kreischen aus, das klang wie der verzweifelte Bremsversuch eines Autos. Endlich zwang ich mich zu erwachen, um dem unvermeidlichen Aufprall zu entrinnen.

Hastig setzte ich mich im Bett auf, und die Stille brachte die Überreste meines Traums zum Verstummen. Es war so unfair, dass ich nur dann hören konnte, wenn ich mich in der Umklammerung meiner schlimmsten Träume befand.

Ich sah mich in meinem Zimmer um. Neben dem Bett lag mein iPad, das mich mit der Welt verband. Mein kleiner Schreibtisch war übersät von Zeichnungen, Notizen, aufgeschlagenen Schulbüchern und allem möglichen anderen Krimskrams. An den Wänden klebten mehrere Poster – von einer atemberaubenden kanadischen Landschaftsaufnahme bis zu einem Comic über die Olympischen Sommerspiele in Rio. Meine Gitarre stand auf einem Ständer in der Ecke; Kleidungsstücke lagen vor dem Schrank auf dem Boden verstreut, und in einer Ecke häufte sich das gesammelte Chaos, das meinen ständig wechselnden sportlichen Leidenschaften entstammte – ein Hockeyschläger, meine Laufschuhe, ein Basketball. Ich seufzte und versuchte, die schlimmen Träume mit meinen Atemzügen zu verscheuchen. Nur ein Albtraum, dachte ich. Weiter nichts.

Als ich den Bildschirm des Tablets berührte, tauchten ein paar Nachrichten von Freunden auf. Eine von ihnen leuchtete in Rot – ich hatte diese Schriftfarbe einem bestimmten Namen zugeordnet – und ich spürte, wie meine Wangen dieselbe Farbe annahmen. Rob hatte mir während der Nacht eine Nachricht geschickt. Er war vielleicht nicht der beste Freund, den ich hatte, aber mein bester männlicher Freund. Mein Vater machte sich darüber lustig. Aber mehr war er wirklich nicht, nur ein Kumpel, und in gewisser Weise ein ganz besonderer. Abgesehen von meiner besten Freundin Lucy war er der einzige Schüler meiner Schule, der Zeichensprache beherrschte.

Ich las Robs Nachricht.

Frag mich bloß nie, ob ich mit dir eine Höhle erforschen will.

Ich runzelte die Stirn, und auf einen Schlag war alles wieder da. Also doch kein Traum, dachte ich und erinnerte mich an all die Ängste und Zweifel, die mich in der vergangenen Nacht heimgesucht hatten. Die merkwürdige, verworrene Nachrichtensendung zu sehen, war schon schlimm genug gewesen. Es gab kaum Einzelheiten, und der kurze Filmausschnitt, den sie wieder und wieder zeigten, war nicht im Mindesten so detailliert und erschreckend wie das, was ich live im Discovery Channel gesehen hatte. Es war, als würden die Nachrichten zwar berichten, was geschehen war, als hätten die Verantwortlichen jedoch einen Großteil des Filmmaterials aussortiert, weil es zu traumatisierend gewesen wäre, es zu zeigen.

Doch zu alledem kam die beunruhigende Atmosphäre zwischen Mum und Lynne. Die beiden Frauen hatten dicht beieinandergesessen, und die Spannung, die ich zwischen ihnen gespürt hatte, als ich ins Zimmer trat, hatte sich nicht gelegt. Ich war sehr empfänglich für Atmosphären und Stimmungen geworden. Manchmal sagte Mum, das müsse an meiner Taubheit liegen, aber ich war ganz und gar nicht der Ansicht, dass das der Grund war. Ja, vielleicht kompensierte ich damit etwas, aber über Empathie und die Fähigkeit, das emotionale Gewicht einer Situation zu erspüren, hatte ich immer verfügt.

Gestern Abend hatte ich meine Mutter irgendwann gefragt, was los sei, aber sie hatte lediglich den Kopf geschüttelt und mir einen Gutenachtkuss gegeben.

Ich wischte über den Bildschirm und rief die Homepage der BBC News auf. Die Tatsache, dass sich die Schlagzeile quer über die Seite zog, machte mir klar, dass es um etwas Ernstes ging, noch ehe ich zu lesen begonnen hatte.

Die Einzelheiten trugen nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühlte.

In einem Landstrich in Moldawien ging irgendetwas vor sich. Niemand schien zu wissen, was. Es gab Vermutungen über verschüttete Chemikalien, einen Terroranschlag und sogar eine Hornissenplage. Ein paar mit dem Handy aufgenommene Filmausschnitte zeigten zwei Szenen, die mich mehr erschreckten, als es allein aufgrund des Inhalts angemessen war: Ein Auto war auf einer Brücke stehen geblieben, und neben der geöffneten Fahrertür lag ein Bündel Kleidungsstücke. In der zweiten Szene flatterten irgendwelche Dinger wie riesige aufgescheuchte Motten durch die Schatten unter den Bäumen, dann schwenkte die Kamera und zeigte zwei erstarrte Gesichter. Eine Reihe von Todesfällen wurde erwähnt. Russland hatte seine Grenzen geschlossen. Die UN verfolgten die Ereignisse. Es war eine Nachricht, die keine richtige Neuigkeit bekannt gab, sondern lediglich die Tatsache, dass etwas geschehen war.

Noch einmal überflog ich den Bericht, und erst beim zweiten Lesen entdeckte ich eine Erwähnung der Höhlenexpedition. Es war tatsächlich nicht mehr als eine flüchtige Erwähnung, als hätten die beiden Ereignisse nichts miteinander zu tun.

Aber jeder, der die Übertragung des Discovery Channel gesehen hatte, musste doch beides miteinander in Verbindung bringen!

Der Premierminister hat eine Sondersitzung von Cobra einberufen …

Vom Präsidenten der Russischen Föderation liegt derzeit keine Stellungnahme vor …

Die Vereinten Nationen erklärten …

Ich nahm das Tablet und ging los, um Mum zu wecken. Das Haus war still, und als ich die Tür zum Schlafzimmer meiner Eltern öffnete, sah ich auf die Uhr. Es war früher, als ich angenommen hatte, noch nicht einmal sechs.

»Mum?«, fragte ich.

Meine Mutter öffnete ein Auge, sie wirkte noch müde, ihr Haar war zerzaust, doch sie war auf der Stelle hellwach.

»Was ist passiert?«

Sie hörte nie auf, sich Sorgen zu machen, das wusste ich. Seit dem Unfall war sie ständig auf der Hut und schlief unruhig. Manchmal gestand sie mir, dass sie stets mit dem Schlimmsten rechnete. Auch wenn ich ihr erklärte, dass ich noch Glück gehabt hatte – der Unfall, der meine Großeltern väterlicherseits getötet hatte, hätte auch mich das Leben kosten können –, fiel es meiner Mutter schwer, in dem, was geschehen war, Glück zu erkennen. Jedenfalls kein Glück im eigentlichen Sinn. Der Unfall hatte meine ganze Familie verändert, und ich versuchte unentwegt mein Bestes, um dieser Veränderung etwas Gutes abzugewinnen.

»Da ist etwas …«, begann ich, doch dann bemerkte ich das pulsierende blaue Licht am Telefon, das auf dem Nachttisch lag.

Ich griff danach und las den Namen auf dem Bildschirm: Huw. Dann gab ich das Gerät meiner Mutter.

»Hallo, Schatz«, sagte Huw und kam sich plötzlich wie ein Idiot vor, weil er Kelly wegen einer Sache anrief, die sich so weit von ihnen entfernt abspielte. Fernsehnachrichten hatten eine Art, die Dinge aufzubauschen, und manchmal ließ die ständige Berieselung mit wiederholten Informationen Ereignisse größer und bedeutender erscheinen, als sie tatsächlich waren. Mache ich mich gerade zum Trottel?, fragte er sich. Vielleicht war sein Heimweh stärker als gedacht. Er hatte hier nur noch einen Tag und eine Nacht vor sich, ehe er sich auf den Heimweg machen würde, aber er war mit einem Gefühl der Wehmut aufgewacht.

»Hallo«, sagte Kelly verschlafen. »Ist alles in Ordnung mit dir?«

»Mir geht es gut, alles okay, es ist nur … hast du die Nachrichten gesehen?«

»Warte mal«, erwiderte Kelly und Huw hörte das Geraschel des Bettzeugs. »Ally ist gerade gekommen, weil sie mir etwas zeigen wollte.«

Ally! Das hätte Huw sich denken können. Seine Tochter hatte schon immer zu den Frühaufstehern gehört, und sie entwickelte ein reges Interesse am Weltgeschehen. Während die meisten Jugendlichen sich bei Facebook einloggten, sobald sie die Augen aufschlugen, rief sie für gewöhnlich als Erstes eine der Nachrichtenseiten auf. Sie war ein intelligentes Mädchen, aber zuweilen trauerte er ihrer Kindheit nach.

»Was soll ich denn sehen?«, fragte Kelly.

»Diese Sache in Moldawien«, antwortete Huw.

»Jaja, das ist mir schon klar. Aber worum geht es da überhaupt?«

»Das scheint niemand zu wissen.« Er saß auf dem Bettrand und vor seinen Augen flimmerte der Bildschirm. Um zu Hause anzurufen, hatte er den Ton ausgeschaltet und dabei gedacht: So sieht Ally die Welt. »Ich habe gestern Abend etwas im Fernsehen gesehen. Es ist angsteinflößend.«

»Ja, stimmt. Aber wenigstens ist es weit weg.«

Huw stellte sich eine Europa-Karte vor, aber er hätte nicht genau sagen können, wo dieses Land lag. Wie weit entfernt war es? Moldawien gehörte zu jener Art von Ländern, von denen man nur sprach, wenn dort etwas Schlimmes passiert war.

»Es ist nur … die Sache hört sich ernst an.« Von Neuem vernahm er das Rascheln von Laken am anderen Ende der Leitung. Er stellte sich vor, wie Kelly sich im Bett aufsetzte und wie Ally sich neben sie fallen ließ. »Im Moment wirkt alles noch hektisch und ein bisschen panisch, aber es kommt mir vor wie eine dieser Geschichten, die sich sehr schnell ausweiten. Weißt du, was ich meine?«

Eine Pause trat ein. Er hörte Kelly schniefen. Dann sagte sie: »Aber es ist doch in Moldawien.«

»Ja. Schon.«

»Warte mal«, sagte Kelly. Für einen Augenblick herrschte Schweigen in der Leitung, dann hörte er Ally sprechen.

»Es ist das, was ich gestern Abend im Fernsehen gesehen habe.«

»Sag ihr, dass ich es auch gesehen habe«, rief Huw. Wieder herrschte Schweigen, während Kelly vermutlich das Gesagte in Zeichensprache an ihre Tochter weitergab.

»Es war schrecklich«, sagte Ally.

»Das war es«, erwiderte Huw. »Schatz … ich komme vielleicht jetzt schon nach Hause, nicht erst morgen.«

»Wegen dieser Sache?«, fragte Kelly. »Bist du da oben denn für diese Woche fertig?«

»Nein, hier gibt es noch jede Menge zu tun. Wir sind auf Probleme mit den Abflüssen auf der Baustelle gestoßen, vielleicht müssen wir eine Pumpe installieren, und Max streitet mit uns darüber, wer dafür verantwortlich ist.«

»Solltest du dann nicht lieber dafür sorgen, dass du die Angelegenheiten dort erst klärst?«

»Ja«, sagte er, weil er wusste, dass seine Frau recht hatte. »Ja, vielleicht sollte ich erst heute Abend nach Hause kommen.« Bei diesen Worten verfolgte er weiter ohne Ton die Nachrichten, die bereits wieder von vorn abgespult wurden, weil es nichts Neues zu zeigen oder zu berichten gab. »Mehrere Todesfälle wurden gemeldet«, hatten sie bekannt gegeben, und selbst das wirkte vage und distanziert, denn mit keinem Wort wurde erwähnt, wie diese Todesfälle sich ereignet hatten und wer wo gestorben war. Mindestens einen von ihnen habe ich an einem Strick baumeln sehen, dachte er, und ein weiteres Mal wunderte er sich darüber, dass die Bilder, die er gestern Abend live verfolgt hatte, in den heutigen Morgennachrichten keinen Platz fanden.

»Ich vermisse dich«, sagte Kelly.

»Ich dich auch. Euch alle. Ist mit Ally alles in Ordnung?«

»Ja, es geht ihr gut. Du kennst sie doch, sie ist manchmal von einer Sache regelrecht besessen. Und ich weiß, dass diese Bilder sie gestern Abend ein bisschen mitgenommen haben.«

»Schön war es nicht.« Er stellte den Fernseher aus. Es war für ihn unmöglich, mit seiner Frau zu sprechen, während er diese Bilder sah – das Lumpenbündel neben einem Auto, bei dem es sich um einen Leichnam handeln konnte; die Wesen in den Bäumen …

»Lass mich wissen, wann du zu Hause sein wirst«, sagte sie. »Ich mache uns etwas Schönes zu essen. Ein Steak.«

»Hört sich gut an.«

Sie verabschiedeten sich, legten auf und sofort schien das Zimmer stiller als je zuvor. Wenn er sich einsam fühlte, setzten ihm diese Augenblicke, kurz nachdem er mit seiner Familie gesprochen hatte, immer am meisten zu. Auf der altmodischen Analoguhr neben dem Bett verstrichen tickend die Sekunden, und von irgendwo in dem kleinen Hotel hörte er das gedämpfte Rauschen eines anderen Fernsehgeräts.

Bis zum Frühstück hatte er noch eine Stunde Zeit.

Huw erhob sich und ging duschen.

»Guten Morgen«, begrüßte ihn die Inhaberin des Hotels mit einem Lächeln. Heute waren ihre Blusenknöpfe geschlossen. »Suchen Sie sich einfach einen Tisch aus und bedienen Sie sich bei den Frühstücksflocken. Ich bin in zwei Minuten da und nehme Ihre Bestellung für das Frühstück entgegen.«

»Danke«, sagte Huw.

Sie schenkte ihm ein professionelles Lächeln und wandte sich ab. Er durchquerte den Speisesaal und war froh, bereits andere Leute zu entdecken, die beim Frühstück saßen. Ein indisches Paar mit einem kleinen Mädchen, eine Frau mittleren Alters, die an einem Laptop arbeitete, und zwei junge Männer in Sportkleidung, die sich über eine Karte beugten. Die Männer schwatzten und lachten laut und das kleine Mädchen schnitt ihnen Grimassen. Einer von ihnen grinste zurück und das Mädchen kicherte.

Im Hintergrund spielte sanfte Musik, nicht so laut, dass sie störte, aber laut genug, um den Gesprächen eine gewisse Privatsphäre zu verleihen. Niemand schien beunruhigt oder nervös zu sein. Vielleicht hat keiner von ihnen die Nachrichten gesehen, dachte Huw. Er grüßte die Männer mit einem Nicken und lächelte der Familie zu, dann wählte er einen Tisch am Fenster. Wahrscheinlicher war, dass sie alle die Nachrichten gesehen hatten, sich davon aber nicht beeinflussen ließen. Die Männer planten vermutlich ein Abenteuer – eine Radtour durch die Moore oder vielleicht einen Lauf entlang der Küste. Die Familie war sicher hier im Urlaub oder sie besuchten in der Gegend Verwandte. Und die Frau befand sich offenbar auf Geschäftsreise und war um halb acht Uhr früh bereits in ihre Arbeit vertieft.

Sie waren nicht wie er. Sie waren keine Schwarzmaler.

Kelly hatte immer einen sanften Tonfall, wenn sie diesen Begriff ihm gegenüber verwendete, und das mit gutem Grund. Seine Eltern waren bei dem Autounfall ums Leben gekommen, bei dem seine Tochter schwer verletzt worden war – mehrere Rippenbrüche, ein gebrochenes Schlüsselbein und ein Schädelbruch. Der größte Teil der körperlichen Schäden war heilbar gewesen. Aber ihre Cochlea hatte schwere Stoßverletzungen erlitten, und zusammen mit der Blutung, die der Schädelbruch auslöste, hatte dies zu völliger Taubheit geführt und damit Allys Leben ebenso wie das der ganzen Familie für immer verändert.

Nach allem, was aus dem Polizeibericht und den Aussagen von Zeugen hervorging, war der Unfall durch einen Fuchs verursacht worden, der über die Straße gerannt war. Huws Vater war dem Tier ausgewichen, hatte den Bordstein gestreift und das Auto gegen eine Steinmauer gesetzt. Ally konnte sich an kaum etwas erinnern, das bei dem Unfall oder in den Stunden davor geschehen war. Für sie war dieser Gedächtnisverlust beinahe ebenso traumatisch wie der Verlust des Gehörs, denn sie wünschte sich verzweifelt, sich daran zu erinnern, was sie und ihre Großeltern getan hatten. Ihren Eltern hatte sie erklärt, sie habe das Gefühl, als hätte sie die letzten glücklichen Momente verloren, die sie und ihre Großeltern miteinander verbracht hatten. Manchmal lag Huw nächtelang wach und fragte sich, was sie getan hatten und wo sie gewesen waren. Vielleicht hatten sie Ally ins Kino eingeladen. Vielleicht würde sie eines Tages einen Film in der Überzeugung anschauen, dass sie ihn das erste Mal sah, und sich dann plötzlich an das Ende erinnern.

Huw tat, was er konnte, um nach vorn zu schauen und weiterzuleben, aber in seinen schlimmsten Momenten fiel es ihm nicht schwer, seine Schwarzmalerei vor sich selbst zu rechtfertigen. Immer wieder konstruierte sein Hirn eine Folge von Ereignissen bis zu dem schlimmsten Ende, das sich überhaupt vorstellen ließ: Jude würde sich beispielsweise ein Skateboard zum Geburtstag wünschen, sie erfüllten ihm den Wunsch und er brach zu seiner ersten Spritztour auf. Andere Eltern würden sich vielleicht vorstellen, dass er stürzte und sich einen Arm brach. In Huws Version hingegen führte der Sturz zu einem gebrochenen Arm, mit dem Jude weinend nach Hause taumelte, bis er auf der Straße ohnmächtig zusammenbrechen und unter den Rädern eines vorbeifahrenden Autos zermalmt werden würde.

Die Horrortouren, auf die sein Geist ihn schickte, waren oft kaum erträglich, aber er konnte es nicht ändern.

Gestern Abend und dann, während er in einen unruhigen Schlaf gefallen war, war nach dem beklemmenden Bericht in den Nachrichten genau dasselbe passiert.

»Was darf ich Ihnen bringen?«

Während er sich in seinen Gedanken verloren hatte, war die Inhaberin des Hotels neben ihm aufgetaucht. Huw fuhr auf dem Stuhl zusammen.

»Oje, ich wollte Sie nicht erschrecken, mein Lieber.« Sie berührte seine Schulter und drückte sie. Ein jäher, beschämender Gedanke kam ihm in den Sinn – Ich möchte nicht wissen, wie viele Gäste sie in ihren Zimmern gefickt hat. Das war verletzend und sicher äußerst unfair, aber es sprang ihn so unerwartet an, wie die Frau an seiner Seite aufgetaucht war.

»Kein Problem«, sagte er und lächelte. »Ich hätte gern ein komplettes englisches Frühstück. Und Kaffee dazu.«

»Bekommen Sie sofort. Haben Sie sich schon Frühstücksflocken genommen?« Sie ging, ohne seine Antwort abzuwarten.

Er sah sich im Saal nach den anderen Gästen um, die alle in ihrer eigenen Welt gefangen waren. Die beiden Männer am Nachbartisch beugten sich noch immer über die Karte, und einer von ihnen blickte auf.

»Fahren Sie Mountainbike?«, fragte Huw.

»Ein bisschen«, gab der Mann zur Antwort. Er mochte Mitte zwanzig sein, wirkte fit und besaß das leicht verwitterte Äußere, das Menschen auszeichnete, die sich gern im Freien aufhielten. »Wir laufen und wandern auch ein wenig.«

»Von Küste zu Küste«, sagte sein Gefährte. Er war älter, sein Haar war bereits ausgedünnt, aber er wirkte nicht weniger fit. »Wir brechen gegen Mittag in Polperro auf und wollen in zwei Tagen Tintagel erreichen. Unsere Frauen warten dort hoffentlich auf uns.«

»Also kommen Sie durch Bodmin«, sagte Huw.

»Ja, durch meinen liebsten Ort auf dieser Erde«, erwiderte der erste Mann. »Man soll ja täglich eine Sache machen, die einem Angst einjagt, habe ich recht?«

Zu seiner Verwunderung stellte Huw fest, dass er neidisch auf die Männer war. Sie schienen keine Sorgen zu kennen und ihre Zeit ausschließlich damit zu verbringen, sich ihre eigenen Wünsche zu erfüllen. Er selbst hatte ein glückliches Jahr beim Training für seinen ersten Marathon verbracht, nachdem Ally geboren worden war. Er hatte die Herausforderung gemeistert und die Marathonstrecke in etwas mehr als vier Stunden zurückgelegt. Anschließend hatte er Pläne geschmiedet, was er als Nächstes tun würde. Dann aber war ihm die Arbeit in die Quere gekommen. Später kam Jude zur Welt, und die freien Stunden in seinem Leben schienen zu freien Minuten zusammenzuschrumpfen. Seit mehr als einem Jahr war er nicht mehr laufen gegangen, obwohl er häufig daran dachte, seine Laufschuhe mal wieder herauszukramen. Jedes Mal, wenn er verreisen musste, nahm er sie in ihrer kleinen blauen Tasche mit. Vermutlich hatten sie inzwischen Schimmel angesetzt.

In Wahrheit war ihm bewusst, dass es eher ein Motivations- als ein Zeitproblem war. Viele Tage, die er auf Geschäftsreise verbrachte, hätten sich leicht mit einem Trainingslauf beenden lassen. Nur war es so, dass er lieber mit einem Bier an der Hotelbar saß oder in seinem Zimmer blieb, sich einen Film ansah und sich etwas zu essen nach oben bestellte.

Um seine Taille hatte sich ein Wohlstandsbauch gebildet und gelegentlich kam ihm der Gedanke, dass er schockiert gewesen wäre, hätte er vor zehn Jahren gewusst, wo er heute stand.

Er wünschte, er könnte diese Männer begleiten. Er wünschte, er besäße ein Mountainbike, das nicht starr vor Rost in der heimatlichen Garage verrottete.

Als die Inhaberin eine Kanne Kaffee vor ihn hinstellte, seufzte er.

»Schöner Morgen da draußen«, sagte sie. »Bleiben Sie für das Musikfestival morgen?«

»Ich hatte eigentlich vor, heute Abend nach der Arbeit auszuchecken«, antwortete Huw. »Natürlich bezahle ich für die Nacht, ich muss ja noch einmal wiederkommen, um zu duschen, bevor ich losfahre.«

»Soll mir recht sein«, sagte die Frau, und er war nicht sicher, ob er einen Funken Bedauern in ihren Augen aufglimmen sah. Vermutlich ja. Aber vielleicht bildete er sich auch nur etwas ein.

Das Klirren von Besteck, das gedämpfte Gespräch der Familie und die Stimmen der Männer, die ihren Ausflug planten, erfüllten den Raum. Huw seufzte erneut, dann schenkte er sich Kaffee ein.

Es würde ein langer, harter Tag werden. Max war ein anständiger Kerl, aber wie jeder erfolgreiche Geschäftsmann hasste er Verschwendung und genauso zuwider waren ihm Fehler, die sich vermeiden ließen. Das Problem mit der Drainage, auf das sie bei der Baustelle für seine neue Villa gestoßen waren, fiel in beide Kategorien. Huws Position dabei war umso schwieriger, weil der Ingenieur, den sie für die Drainage beauftragt hatten, von Max persönlich empfohlen worden war. Max stellte sich auf den Standpunkt, dass Huw ihm einen Festpreis für die Arbeit genannt hatte, der auf den Entwürfen und Bodenuntersuchungen basierte, die im Vorfeld durchgeführt worden waren. Die Schuld lag bei dem Ingenieur, aber dessen Firma war nicht scharf darauf, dafür einzustehen. Huw fürchtete, dass Max explodieren würde, sobald es zum ersten Mal um konkrete Kosten ging. Dreißigtausend war noch eine harmlose Schätzung für die zusätzliche Arbeit, die benötigt wurde, wenn der Hauptabfluss neu verlegt werden und eine Pumpstation eingebunden werden musste, die die Abwässer der Baustelle ins benachbarte System hochpumpte.

Er trank seinen Kaffee und wünschte, er wäre zu Hause. Sein Unternehmen hatte ihm jahrelang einen anständigen Lebensstandard ermöglicht, aber es hatte ihn auch altern lassen.

Wieder sah er zu den beiden Männern. »Hätten Sie noch Platz für einen Mitfahrer?«, fragte er.

Sie blickten von ihren Tellern auf, der Jüngere ließ seinen Blick automatisch an ihm auf und ab gleiten und schien von dem, was er sah, nicht sonderlich beeindruckt.

»Haben Sie ein Rad?«, fragte der ältere Mann.

Huw lachte leise und nahm einen weiteren Schluck von seinem Kaffee. »Schön wär’s.«

»Schlagen Sie sich mit ein paar Luxusproblemen rum, Kumpel?«, fragte der jüngere Mann mit vollem Mund.

Huw stellte fest, dass er ihn nicht sonderlich mochte. Er legte eine Überheblichkeit an den Tag, die sein älterer Gefährte nicht aufwies.

»Etwas in der Art.«

»Frühstück«, verkündete die Inhaberin, durchquerte den Raum und stellte den Teller vor ihm hin. »Ich habe Ihnen eine Extrawurst gegeben.«

Huw lachte laut auf, und vom anderen Ende des Saales hörte er die Geschäftsfrau sagen: »O mein Gott.«

Der gesamte Speisesaal erstarrte in Schweigen. Ein Messer klirrte gegen einen Teller. Die indische Frau hielt mit der Serviette vor den Lippen inne, ihre Tochter kippelte mit dem Stuhl nach hinten.

Die Frau starrte auf ihr Tablet, das blecherne, undefinierbare Geräusche abspielte. Einen Moment lang schien sie sich der plötzlichen Stille um sich nicht bewusst, dann blickte sie auf. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich jedoch nicht – da war keine Verlegenheit, kein scheues Lächeln, mit dem sie ihren Ausbruch beiseitezuwischen versuchte. »Haben Sie das gesehen?«, fragte sie stattdessen.

Augenblicklich erhob sich Huw und ging durch den Saal zu ihrem Tisch. Sie zuckte ein wenig zurück, als er auf einmal neben ihr stand, schockiert von seiner plötzlichen Gegenwart, aber er kümmerte sich nicht darum.

Irgendeine Prominente hat sich nach neun Tagen Ehe und einer Hochzeit für dreißig Millionen Dollar von ihrem Mann getrennt, dachte er. Er hoffte wirklich, dass es sich um irgendetwas handelte, das keine Konsequenzen hatte. Dann aber sah er den Bildschirm und streckte sofort die Hand aus, um die Lautstärke zu erhöhen.

»… einzelne Unruhen in der Ukraine und in Russland sowie bisher unbestätigte Berichte über ähnliche Ereignisse in Rumänien. Diese Aufnahmen wurden mit einem Mobiltelefon östlich von Donezk gemacht.«

Die Aufnahme wurde abgespielt. Sie lief ohne Ton und zeigte den Blick aus einem Fenster im zweiten oder dritten Stock auf eine Straße hinaus. Mehrere Autos waren zusammengestoßen, ein Stück weiter tobte ein Feuer, das eine Reihe von kleineren Fahrzeugen und einen Bus verschlang. Mehrere Leute lagen bereits am Boden und andere stürzten bald danach. Es war ein deprimierendes Echo der kürzlich gesendeten Bilder aus dem konfliktgebeutelten Moldawien. Dann aber kamen die Wesen in Sicht.

»Wir sind uns nicht sicher, was wir hier eigentlich zu sehen bekommen …«, sagte der Nachrichtensprecher.

Sie flogen durch die Luft, landeten auf Menschen und rissen sie nieder.

»Es scheint sich um … Fledermäuse zu handeln. Oder um eine Art von Vögeln? Offenbar fühlen sie sich von der Gewalt, den Straßenkämpfen und dem Aufruhr angezogen, aber allem Anschein nach …«