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Als Eugen Ruge 2011 für sein Romandebüt den Deutschen Buchpreis bekam, hatte er in einem anderen Genre längst reüssiert. Seit 1990 sind seine Theaterstücke auf mehr als fünfzig deutschen Bühnen gespielt und vielfach ausgezeichnet worden. Sie lassen den Prosa-Autor bereits erkennen, sind bei aller formalen Finesse leicht lesbar und komisch - obwohl sie zumeist um Verlierer und Verlorene kreisen: Zwei Sehnsüchtige verirren sich heillos in einer supermarktartigen Welt; ein arbeitsloser Ex-Linker versucht sich gewaltsam in einen Erfolgsmenschen zu verwandeln; eine Scheidungsfamilie verkeilt sich in Sprachlosigkeit; drei Fortschrittsbegeisterte brechen anno 1897 zum Nordpol auf, mit einem Fesselballon. «Aber Ruge gaukelt nicht vor: So war es. Er entwirft ein Szenario, in dem ständig die Frage mitschwingt: Könnte es so gewesen sein?» (WDR) - und öffnet noch einmal die Akte Böhme (uraufgeführt von Andreas Dresen am Schauspiel Leipzig) oder den Fall Petra Kelly/Gert Bastian. «Das ist vollkommener Aberwitz», befand seinerzeit Der Tagesspiegel. «Das ist vollkommenes Theater.» Eugen Ruges szenisches Werk, erstmals in einem Band.
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Seitenzahl: 546
Veröffentlichungsjahr: 2015
Eugen Ruge
Theaterstücke
1986–2008
Ihr Verlagsname
Als Eugen Ruge 2011 für sein Romandebüt den Deutschen Buchpreis bekam, hatte er in einem anderen Genre längst reüssiert. Seit 1990 sind seine Theaterstücke auf mehr als fünfzig deutschen Bühnen gespielt und vielfach ausgezeichnet worden.
Sie lassen den Prosa-Autor bereits erkennen, sind bei aller formalen Finesse leicht lesbar und komisch – obwohl sie zumeist um Verlierer und Verlorene kreisen: Zwei Sehnsüchtige verirren sich heillos in einer supermarktartigen Welt; ein arbeitsloser Ex-Linker versucht sich gewaltsam in einen Erfolgsmenschen zu verwandeln; eine Scheidungsfamilie verkeilt sich in Sprachlosigkeit; drei Fortschrittsbegeisterte brechen anno 1897 zum Nordpol auf, mit einem Fesselballon.
«Aber Ruge gaukelt nicht vor: So war es. Er entwirft ein Szenario, in dem ständig die Frage mitschwingt: Könnte es so gewesen sein?» (WDR) – und öffnet noch einmal die Akte Böhme (uraufgeführt von Andreas Dresen am Schauspiel Leipzig) oder den Fall Petra Kelly/Gert Bastian. «Das ist vollkommener Aberwitz», befand seinerzeit Der Tagesspiegel. «Das ist vollkommenes Theater.»
Eugen Ruges szenisches Werk, erstmals in einem Band.
Eugen Ruge, 1954 in Soswa (Ural) geboren, studierte Mathematik an der Humboldt-Universität und wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentralinstitut für Physik der Erde. Seit er 1988 aus der DDR in den Westen ging, ist er hauptberuflich fürs Theater und für den Rundfunk als Autor und Übersetzer tätig.
Für seine dramatischen Arbeiten erhielt Eugen Ruge den Schiller-Förderpreis des Landes Baden-Württemberg. Sein erstes Prosamanuskript In Zeiten des abnehmenden Lichts wurde mit dem Alfred-Döblin-Preis ausgezeichnet; für den daraus entstandenen Roman erhielt er den Aspekte-Literaturpreis und den Deutschen Buchpreis 2011. Zuletzt erschien sein Roman Cabo de Gata.
Dieser Band einhält eine Auswahl der Theaterstücke von Eugen Ruge. Grundsätzlich sind hier nur Originalwerke eingegangen. Fast alle aufgenommenen Stücke wurden öffentlich aufgeführt. Davon ausgenommen sind die beiden frühen Texte Hamlet-Problem und Einzelhaft, die ersten zwei Teile einer (bisher) unvollendeten Trilogie. Sie wurden lediglich 1987 in einer szenischen Lesung beim Theaterfest Potsdam und in anderen Lesungen vorgestellt. Unveröffentlicht ist auch das Lewinsky-Stück American Football.
Ruges erster Bühnen-Erfolg war das 1990 in Bonn uraufgeführte Vom Umtausch ausgeschlossen, das auf vielen Bühnen nachgespielt und von der Presse bejubelt wurde: «Wir haben jetzt einen teutonischen Dario Fo», schrieb «Die Welt». «Und endlich eine jungdeutsche Uraufführung, bei der man herzlich lachen kann, endlich ein Drama über Partnerschaft, … das sich nicht im weinerlichen Beziehungskistenjargon verliert, endlich einmal ein Stück, das durch seinen fast britischen Witz … nicht nur zu unterhalten, sondern auch zu überzeugen weiß.»
Noch häufiger wurde Restwärme (1992) nachgespielt, mit dem Ruge eine Reihe von Monologstücken eröffnete: Ruhestörung (1997), Der General schreibt einen Brief und erschießt seine Freundin (1999) oder Labyrinth (2005) sind Stücke über Verlierer – Wendeverlierer, Modernisierungsverlierer, politisch Gescheiterte; ebenso wie Kontakt (2003), in dem sechs Personen verzweifelt versuchen, in Anzeigen ihren Marktwert zu fixieren.
Mit Der General schreibt einen Brief und erschießt seine Freundin, das den Tod von Petra Kelly und Gert Bastian thematisiert, entdeckt Ruge zugleich das dokumentarische Drama. 2001 entsteht das aus Stasi-Akten collagierte und durch einen fiktiven Text ergänzte Stück Akte Böhme, das sich mit einer der bizarrsten Gestalten der jüngeren deutschen Geschichte beschäftigt, nämlich mit dem Mitbegründer der Ost-SPD, Manfred alias Ibrahim Böhme: Böhme war zugleich aktiver Oppositioneller und Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit, ohne seine Mitarbeit aber jemals zuzugeben. Es folgt 2003 das groteske American Football, das den – ebenso grotesken – Kenneth-Starr-Report über die Beziehung zwischen Bill Clinton und Monica Lewinsky zum Anlass nimmt, die puritanische Moral der amerikanischen Mittelklasse als verlogen zu decouvrieren. Das vorläufig letzte dokumentarische Stück widmet sich drei schwedischen Aeronauten (2006), die 1897 vergeblich versuchten, mit einem Wasserstoffballon den Nordpol zu erreichen: eine Metapher menschlicher Hybris und Technikgläubigkeit.
Nicht dokumentarisch, aber autobiographisch grundiert ist die Babelsberger Elegie (1996), die den späten Buchpreis-Roman In Zeiten des abnehmenden Lichts (2011) in groben Zügen vorwegnimmt. Auch Familienbildnis mit Katze (2008), in dem die Mitglieder einer gescheiterten Familie beharrlich aneinander vorbeireden, kann als Fingerübung für die multi-perspektivische Schreibweise des Romans angesehen werden.
Wenngleich alle Stücke Ruges neben ihrer ernsten, mitunter tragischen Seite auch einen komischen Aspekt besitzen, kann man wohl nur das Theater-im-Theater-Stück Mondgeschichten (1994) als regelrechte, wenngleich tiefschwarze Komödie ansehen. Das Stück beschreibt die blutige Wahrwerdung des Dionysos-Dramas; es wurde in diesen Band aufgenommen, obwohl es bisher lediglich von einer Schauspielschule aufgeführt worden ist.
Verzichtet wurde in dieser Ausgabe dagegen auf den Monolog Halb&Halb (UA 1996, Deutsch-Sorbisches Volkstheater Bautzen) und auf Mir nichts. Dir nichts (UA 1994, Theater Heidelberg), das man als eine drastische «Modernisierung» von Arthur Schnitzlers Reigen bezeichnen könnte.
Nicht aufgenommen wurden außerdem die Dramatisierungen literarischer Vorlagen: Schuld nach Fjodor Dostojewskis Schuld und Sühne (UA 1989, Schauspiel Leipzig), Das traurige Märchen vom gestreiften Kater und der Schwalbe Sina (UA als Hörspiel 1987, Berliner Rundfunk) nach Motiven der (fast) gleichnamigen Geschichte von Jorge Amado, und das bisher nicht aufgeführte Musikstück Und Gad ging zu David nach den Erinnerungen von Gad Beck; außerdem die Übersetzungen der Tschechow-Stücke Drei Schwestern, Onkel Wanja, Die Möwe und Der Kirschgarten sowie eine Collage aus einer frühen und einer späten Fassung von Über die Schädlichkeit des Tabaks, die Ruge in Abgrenzung zur üblicherweise gespielten Fassung Über die Schädlichkeit des Nikotins genannt hat.
Personen
Hamlet
Horatio
Königin
König
Ophelia
Polonius
Rosenkranz
Güldenstern
Handlungsorte
Der Hauptteil der Handlung spielt in der Hamlet-Welt, was immer man sich darunter vorstellen mag. Sie steht im krassen Gegensatz zum wirklichen Helsingör, wo die Intermezzi stattfinden.
Hamlet, Geist
GEIST
Ich komme, dich zu erinnern
an das, was du bist. Du kannst den Fluch
nicht abwaschen, der dir in die Stirn
gebrannt ist mit der Geburt. Dein Blut
ist blau, seit die Erde dich beatmet, dein Auftrag
heißt: Steige. Du kannst dich nicht auswechseln
du kannst dein Ich nicht zwischen den Rippen
herausreißen, du hast
deine Vergangenheit mit Blut beschrieben
und jedes Blatt gilt und jedes Blatt
deiner Väter und Vätersväter und die Gesetze
nach denen du einmal gebaut bist.
Du kannst nicht zurück.
Deine Wege sind steil und brechen
nach dir ins Tal. Dein Geist
ist das Muss, deine Seele geht
gerüstet im Universum der Mächtigen
wo die Sterne kalt sind und jede Bewegung wiegt
schwer wie ein ganzes Leben.
Gehorch dem Befehl: deine Pflicht
ist die Rache. Töte den König, der mein Bruder ist
und mein Mörder! Besetze den Thron, der mein Thron war
der Thron deiner Väter, reiß Dänemark an dich und herrsche
sonst gehst du unter! Die blauen Ameisen werden dein Aas bedecken
und Dänemark wird versinken im Meer.
Das Nichts wird deine Hoffnung sein
und dein Geruch die Fäulnis.
Du wirst vergessen werden, deinen Namen fressen die Fische.
Polonius, Rosenkranz, Güldenstern.
POLONIUS
Macht eure Rücken biegsam und denkt an die guten Manieren!
Haltet die Stimme weich, der König hat einen schreckhaften Magen
zudem Heuschnupf, Milchschorf, Eiweißkrätze et cetera!
Haltet euch an die Vokabularien! Es heißt nicht «Das Volk»!
«Die Bevölkerung», falls das in eure eckigen Mäuler passt.
Es gibt keine «Unruhe», sondern «Erregung».
Die Unruhe ist dunkel und namenlos, sie macht harten Stuhl
und gefährliche Träume. Erfindet Anstifter
Köpfe, irgendwas, das man abhacken kann, das beruhigt.
Nimm den Kaugummi raus. Putz dir die Nase.
Ich hoffe für euch, ihr habt unserem König heut
nur Erfreuliches zu berichten!
ROSENKRANZ
O ja, der Norweg …
POLONIUS
Das «O» nicht so düster, wenn es erfreulich werden soll. Kurz und harmlos!
ROSENKRANZ
Der Narrwig.
POLONIUS
Sehr schön. Wiederhole!
ROSENKRANZ
Der Narrwig!
POLONIUS
Was ist denn, was ist mit dem Narrwig?
ROSENKRANZ
Er bittet um eine Durchzugserlauhnis.
POLONIUS
Was? Wohin?
ROSENKRANZ
Nach Polen.
POLONIUS
Seid ihr wahnsinnig? Das soll erfreulich sein? Was will der Norweg in Polen?
ROSENKRANZ
Ein Gebiet, soweit uns bekannt ist, ein kleines
sumpfiges Stück, das ein Stiefsohn der Tante eines polnischen Königs
vor vierhundert Jahren in einem Pariser Bordell
an einen norwegischen Edelmann verspielt hat, dessen Nachfahren …
POLONIUS
Herr! Womit hast du die Hirne dieser beiden Idioten ausgestopft
dass sie Hiobsbotschaften mit einem äffischen Lächeln servieren
als gäbe es dafür eine Banane!
Fresst diesen Schwachsinn selbst, wenn euer Gedärm es verträgt!
Mir ist schon schlecht von euren Gesichtern.
Das ist die Katastrophe, und ihr seid der Schatten, den sie vorauswirft!
GÜLDENSTERN
Halt endlich die Fresse, Polonius, und geh aus dem Weg.
Sonst geht unser Weg durch dich.
Hamlet-Welt; Hamlet, König, Königin, Ophelia.
HAMLET
Der Onkel König! Wo habt Ihr Eure Gorillas?
Ihr habt sie im Flur eingesperrt, damit sie die Ohren
an die Tür heften und lauschen. Gespenstisches Schloss.
Man sticht in einen leeren Korridor, und es riecht nach Blut!
KÖNIG
Guten Tag, Hamlet. Wie ist der Puls, was macht deine Seele?
Bei Depressionen empfehle ich ein Klistier.
Du trägst immer noch Schwarz, ist das möglich?
HAMLET
Dies ist ein Trugschluss der euklidischen Geometrie:
Alles ist nichts, und Schwarz ist die Abwesenheit aller Farben.
Ich trage ein Meer von Blumen durch dieses Haus
aber man hält mich für den Klempner.
In Wirklichkeit bin ich der Blumenverkäufer auf diesem Fest
aber niemand kauft Blumen!
KÖNIG
Was denn: Hier ist ein Fest?
HAMLET
Karussell!
KÖNIG
Wie? Ein Karussell also?
HAMLET
Ganz recht, ein Totenschiff. Seht ihr nicht die Toten ihre Rituale tanzen
zum Rauschen der Brandung? Wofür haltet Ihr denn das Schloss?
KÖNIG
Zunächst für ein Schloss.
HAMLET
Nicht für ein Wasserfahrzeug?
Das ist eine bemerkenswerte Hypothese.
Ihr haltet das Schloss für ein Schloss
die Balken für Balken und die Welt für ein Ei
das an einer unzerreißbaren Kette um eine Gasexplosion zirkuliert. Was nicht krumm ist, deucht Euch gerade
was man anfassen kann, hat einen Preis
was gedruckt steht, ist wahr
und was kaputt ist, haltet Ihr für reparabel!
Das ist ein gefährlicher Wahnsinn. Ich bin ganz ratlos …
KÖNIGIN
Es geht um den Norweg, Hamlet.
HAMLET
Was meint ihr: Der Norweg geht um, oder er umgeht uns?
Oder er geht mit uns um. Oder gar in uns?
KÖNIGIN
Dich respektiert unser Heer. Das Volk liebt dich.
Der Norweg fürchtet dich wie die Pocken. Du hast ihn geschlagen.
HAMLET
Mutter, Ihr überschätzt euren Sohn.
Es waren noch ein paar andere dabei, die sich im Feld die Köpfe zu Brei schlugen.
Mein Krieg war die Nacht: ein Zelt und ein Windlicht
und eine Karte, in die ich mit rotem oder blauem Stift
ein paar Stellungen eintrug: Rot waren wir und Blau war der Norweg.
Einmal am Tag kam der Schreiber und meldete die Anzahl der
ausgefallenen Soldaten. Es war langweiliger als Halma.
KÖNIGIN
Spar deine Witze auf für danach.
Es geht um dein Vaterland, Hamlet
dein zukünftiges Reich.
HAMLET
Nur wenn der Wind ungünstig stand über den Massengräbern
hörte man, wie der weiche Aufprall
die letzte Luft aus den Lungen der Toten presste
und es roch nach Moder und Kalk.
Mein Vaterland, sagt ihr? Mein Vater, freilich, hat ein eignes Land.
Es ist drei Fuß breit, zehn Fuß lang.
Und was mein künftiges Reich angeht
es liegt unmittelbar neben seinem
(Zu Ophelia) Wer seid ihr, schönes Fräulein?
OPHELIA
Ich bin deine Ophelia.
HAMLET
Ausgeschlossen. Meine Ophelia ist tot.
OPHELIA
Warum stößt du alle von dir? Warum mich?
Warum demütigst du mich wie eine Hündin?
Was ist meine Schuld, außer dass ich dich liebe?
HAMLET
Wenn es um Liebe geht, so macht Euch auf dem Kanapee zurecht
aber entblößt Euch nicht mehr als notwendig
und legt Euch ein Kissen unter den Hintern.
OPHELIA
Wenn du hören könntest, wie meine Seele schreit
du würdest barmherziger sein.
Was macht dich so hart? Was verschließt dir die Augen und Ohren?
Sieh dich um, Hamlet, die Welt ist so schön!
Es könnte so einfach sein, alles.
HAMLET
Das ist eine bestechende Philosophie.
So ist es tatsächlich ein Missverständnis
und das Fräulein sucht einen gescheiten Partner zum Disputieren.
Ich bin leider nicht aufgelegt.
Geht in die Welt, die so schön ist, fresst Euch mit reifen Äpfeln voll
lasst Euch die Sonne auf Euren Bauch scheinen
und wenn Ihr erwachsen seid, heiratet einen Philosophen!
(Zum König) Ganz im Vertrauen, Onkel: Seht Ihr niemals Gespenster?
Trefft Ihr nie Euren Vater, wenn Ihr Euch in Euren lüsternen Träumen verirrt?
Nie Euer Brüderchen, das im Paradies Kreise läuft
gelb vor Wut über die verlorene Krone?
KÖNIG
Nein.
HAMLET
Seht Ihr nicht das Gesindel, das nackt auf den Balustraden tanzt?
Die bleichen Minister, die genau wie zu Lebzeiten über die Galerie schleichen?
Seht Ihr nicht den Nachtwächter über der Treppe vorm Hauptportal?
Seht Ihr nicht seine kunstvollen Pirouetten?
KÖNIG
Man sollte dir Blutegel auflegen!
HAMLET
Seht! Die Kinderchen haben ihm Beine zusammengebunden, als er schlief
und eine kalte, abgeschnittene, menschliche Hand in seinen Nacken gedrückt.
Das hat ihn aufgeschreckt. Seht doch, was für eine phantastische Flugbahn!
Wie er immer geschmeidiger wird nach jedem Aufprall.
Und schreit. Leise schreit. Wie eine gebärende Katze.
KÖNIG
Ich sehe dort nichts als die dänische Flagge.
HAMLET
Fürwahr! Fast könnte man seine ausgebreiteten Arme für das weiße Totenkreuz halten.
Der Rest ist Blut, das im Wind zuckt.
Ihr habt schlechte Augen.
KÖNIGIN
Das ist der Krieg, Hamlet. So sind die Gesetze.
Wer nicht siegt, wird besiegt. Dazwischen
ist nichts. Kein Aufenthalt. Kein Flecken Erde.
HAMLET
Dann will ich lernen, auf einem Seil zu gehn und auf diese Erde zu scheißen.
KÖNIGIN
Du musst der Sieger sein, das ist die einzige Lösung.
HAMLET
Das ist das Schlimmste daran.
Falls ich den Krieg überlebe,
die Siegesfeiern überlebe ich nicht noch einmal.
Es ist möglich, mein Puls schläft ein, während der König redet, oder
ich vergesse zu atmen oder erschreck mich zu Tode
wenn einem dieser gepuderten Affen der Gummizug reißt
mit dem er sein Lächeln im Nacken verknotet hat.
Man kann auch an einem Stück Fleisch ersticken
wenn man das kalte Büffet abfrisst aus langer Weile
zum mindesten aber verdirbt man sich den Magen.
Ich bin sehr empfindlich. Mir sprießen die Pickel
wenn sie mir bloß den Saum küssen.
Ich kriege eine belegte Zunge von lauter Wiederholungen
zudem Halsschmerzen, Staublunge, und die
Haare gehen mir büschelweise aus unter meiner Perücke.
(Zu Ophelia) Ophelia und ich – als Ophelia noch lebte –
wir waren keine Menschen, was man hier darunter versteht.
Wir waren Illegale in einem entlegenen Gasthof
mit speckigen Vorhängen.
Oder wir froren nachts am Strand,
wir machten uns Feuer wie die Zigeuner
und dachten den ganzen Tag an nichts als an Essen
und danach an nichts als die Lust auf unserer Haut.
Wir waren das Wild in den dänischen Wäldern
gehetzt von der Brunst, die Körper vom Wetter wund
und vom Sanddorngestrüpp und von Brennesseln.
Meine Ophelia war ein sündiger Sommer
aber jetzt kommt der Herbst und zieht die Konturen scharf
und malt mit schwarzer, gebrechlicher Schrift
seine Todesurteile in den Himmel.
Könnt Ihr sie lesen?
OPHELIA
Du warst glücklich mit mir, du hast es mir oft gesagt.
Du hast von unserer Zukunft gesprochen.
Ich habe mich den Gerüchten am Hofe preisgegeben
weil ich dir vertraut hab. Jetzt lässt du mich liegen?
Du weißt nicht, was es bedeutet, ein Fräulein bei Hofe zu sein.
Dir verzeiht man, du bist der Prinz.
HAMLET
Jetzt begreife ich! Das Fräulein verwechselt mich mit dem Prinzen!
Seid Ihr die Prinzessin? Wollt Ihr es sein?
Ich muss euch enttäuschen, ich bin nicht der Prinz.
Dort wo ich zu Hause bin, bin ich Bettler.
Meine Ophelia liebte mich nackt.
OPHELIA
Warum willst du den Herbst mit Gewalt?
Warum sollen dem Sommer nicht noch andere folgen?
Wovor fürchtest du dich?
Gib unsere Verlobung bekannt, und wir beginnen zu leben!
HAMLET
Dass es Herbst wird, mein Fräulein, dagegen kann man nichts machen.
KÖNIG
Was für ein Datum ist heute?
HAMLET
Heut ist das Datum, an dem der Narr starb, der Yorrik heißt.
Man hat seine Totenmaske zermahlen
weil sein letztes Lachen so furchtbar war
dass es dem König nachschlich bis in den Schlaf.
Jetzt kreist es als Staub durch das Schloss und ertönt jedes Jahr im Oktober.
KÖNIG
Was ist zwei mal zwei?
HAMLET
Stechfliegen oder Gorillas?
Beim ersten sind ein mal zwei schon eine Million.
Beim zweiten ergibt das zwei Schwerverwundete und einen Toten.
KÖNIG
Was meinst du, Hamlet, bin auch ich ein Gespenst?
HAMLET
Vorher wart Ihr Milliarden Jahre kosmischer Staub
und Ihr werdet es nachher sein.
Der Moment, wo dieser Staub zum dänischen König zusammenklebt
ist vergleichsweise null. Es ist unwahrscheinlich
dass wir uns grade in diesem Augenblick begegnen und folglich
seid ihr viel eher ein flüssiger Stickstoffnebel als eine Existenz.
Tretet vorsichtig auf! Wir wandeln auf einer hauchdünnen Schale
und ich zweifle, um ehrlich zu sein, gelegentlich selbst, ob ich existiere.
(Zur Königin) Was denn noch?
KÖNIGIN
Mit dir ist heut nicht zu reden. Ich geh.
Doch ich warne dich: Es ist nicht mehr viel Zeit.
Wenn du nicht bald zur Vernunft kommst, steht der Norweg in diesem Zimmer.
HAMLET
Zur Vernunft kommen, das ist gut gesagt.
Wie kommt man dort hin? Malt mir den Weg auf
ich hab ihn vergessen. Aber es macht mir nichts aus.
Manch einer bringts bis zum König und glaubt, er sei
vernünftig, weil er das Einmaleins beherrscht und weiß
wo bei einer Frau das Loch ist. Die Vernunft! Ist nicht
auf dänischen Klosetttüren eingeritzt, auch wenn manche
meinen, sie sei im Arsch, und den Oberen ins Gedärm kriechen.
Was ist die Vernunft?
Kann man sie essen wie die Seite eines Geschichtslehrbuchs?
Kann man ein Loch hineinschießen
und sie über den Eingang hängen als das elfte Gebot?
Kann man norwegische Köpfe damit einschlagen?
So viele Fragen, und ich höre das Rauschen im Walde.
(In die Luft) Ophelia! Was tust du hier
in der Welt der Vernunft und der Masken?
Hier ist kein Platz für dich, hier hat alles
seine Ordnung, sogar die Zeit
und der Augenblick ist zu kurz zum Verweilen.
Hier mauert man unverrückbare Wände, du wirst dir
die Gelenke brechen bei deinen ungezügelten Sprüngen.
Du wirst dich erkälten, wenn man dich bloß umarmt.
Geh zurück in die Nacht! Ich werde dir irgendwann folgen.
Das wirkliche Helsingör; König und Königin im Bett, aber nicht zu sehen.
KÖNIGIN
Uuhhja. Röhre. Zerröhre mich. Röhre mich bis zum …
KÖNIG
Oaahh.
KÖNIGIN
Uuhhja. Anschlag. Ich bin. Deine Hirschkuh soll ich.
Sag, dass ich. Soll ich dich. Soll ich.
KÖNIG
Ich krache dir mein. Geweih zwischen dein. Oaahh.
In dich. Auseinander. Dich aufreiße dein verdammtes.
KÖNIGIN
Tu mir weh! Tu mir weh!
KÖNIG
Oaahh! Oaahh! Oaahhh!
KÖNIGIN
Uuhhja! Uuhhja! Uuhhja!
(Stille.)
KÖNIG
Gertrud?
KÖNIGIN
Halts Maul.
KÖNIG
Dein Sohn ist verrückt.
KÖNIGIN
Er ist so verrückt, wie du ein Hirsch bist.
KÖNIG
Er muss ins Irrenhaus.
KÖNIGIN
Du musst zum Schlachthof.
KÖNIG
Er gefährdet den Staat.
KÖNIGIN
Du gefährdest meinen Schlaf.
Er hat dich ein wenig verschreckt.
Er zieht seine Show ab, das gibt sich. Mach jetzt das Zeug ab und schlaf!
KÖNIG
Was fürn Zeug?
KÖNIGIN
Das Ding da, Mensch.
KÖNIG
Ach so, das.
(Geräusche.)
KÖNIG
Gertrud?
KÖNIGIN
Halts Maul.
KÖNIG
Wenn der Norweg erfährt, dass Hamlet verrückt ist
bricht er den Friedensvertrag und fällt über uns her.
KÖNIGIN
Der Norweg hat deinen Friedensvertrag längst runtergekaut
und ausgeschissen.
Er rüstet nicht gegen den Polen
er wird über uns herfallen, und dann ist Hamlet mehr wert
als deine königlichen drei Kreuze.
Du Analphabet.
(Stille.)
KÖNIG
Gertrud?
KÖNIGIN
Halts Maul.
Hamlet-Welt; Hamlet, Horatio.
HAMLET
In meinen Erinnerungen erscheint des Öfteren
ein weißer Fleck, später erkenne ich, dass es ein
Gesicht ist, dein bleiches, kluges Antlitz, die stille Stirn
hinter der die Gedanken schnell und sicher umhergehn.
Horatio. Kann es sein, dass wir uns verfehlt haben?
Du warst immer so fern. Du hast getötet mit deiner Höflichkeit.
Die Etikette war dein Schild. Deine Ergebenheit
war dein Hochmut. Du hieltest die Regeln ein
aber wenn du sagtest «mein Prinz»
dann war darin immer etwas zwischen
Spott und Verachtung.
Oft stehe ich vor dem verfallenen Gebäude,
das früher unsere Schule war. Auf dem Reitplatz
wächst jetzt das Gras. Du mochtest diesen Platz nicht.
Ich weiß noch, wie du dir das Schlüsselbein brachst
beim Sprung über die Mauer. Du bist aufgestanden
ein blasses Männlein, ganz schief von dem Bruch
mit einer Schmerzgrimasse, zur Hälfte mit
Lehm beschmiert, alle lachten.
Auch ich habe gelacht, obwohl du mir leidtatest.
Ich lachte lauter als alle. Du musst mich gehasst haben.
HORATIO
Ich habe zu danken für die Einladung, mein Prinz
sie scheint mir sehr ernst gemeint.
Ich habe nachgedacht, aber ich glaube
ich möchte nicht nach Helsingör kommen.
Es wäre, als besuchte ich mein eigenes Grab.
In Helsingör liegt meine Jugend verschüttet unter bekritzelten Pulten
im ewigen Schweiß der Umkleidekabinen
unter vergilbten Klassenbüchern voller Zensuren und Eintragungen darüber, wer beim Appell fehlte oder auf dem Klo geraucht hat
oder die letzte Nacht beim Onanieren erwischt worden ist.
Ich träumte manchmal von dem Juckreiz, den die Schuluniform
mir verursachte: Mein Hals, meine Schenkel
waren die ersten Monate wund.
Freilich, ich habe mich daran gewöhnt. Ich las Herodot
und kannte den Sophokles auswendig, aber das Wichtigste
habe ich irgendwann vergessen …
HAMLET
Yorrik starb vor drei Jahren. Auch mein Vater ist tot
du wirst davon gehört haben. Sonst ist Helsingör wie es war.
Es bietet nicht viel. Wir könnten am Ufer spazieren gehen und Steine suchen, es gibt unter ihnen ganz bizarre Sonderlinge.
Oder ich lehre dich endlich das Reiten, ich bin ein behutsamer Lehrer.
Weil ich weiß, dass dies alles nicht ausreicht
um dich hierherzulocken, setze ich noch hinzu: Ich bitte dich drum.
Komm ein paar Tage nach Helsingör.
Erfüll mir die Bitte, man erfüllt hier ringsum nur Befehle!
Und nenne mich nicht mehr «mein Prinz».
(Black.)
HAMLET
Ich gestehe, ich neide dir dein Wittenberg
dort im Süden. Deine kleine Wohnung
aus der man bestimmt auf eine belebte Gasse blickt
dein Arbeitszimmer, in dem die Dielen knarren
wenn man auf und ab geht und überlegt
als sei das ganze Haus ein Geist und ein Atem.
Wusstest du, dass noch die Toten stöhnen?
Was erzählen die Kaufleute
wenn sie aus Indien kommen oder aus dem Orient?
Soll ich dir ein Geheimnis verraten?
Ich koche mir meinen Kaffee manchmal selbst.
Ich koche ihn orientalisch: Ich gebe den Kaffee
auf das kalte Wasser und lasse es dreimal aufkochen.
Trinkt man in Wittenberg den Kaffee mit Kardamom
oder Zimt?
HORATIO
Es gibt inzwischen hundert Städte wie Wittenberg auf
dem europäischen Kontinent. Das Neue gewöhnt sich rasch
an sich selbst. Die Zeit ist wie Sirup
der auf eine kalte Platte tropft.
Wittenberg hat seine Geselligkeit schon verloren.
Die Kaufleute erzählen nichts mehr. Was war der
Markt noch vor fünf Jahren! Er ist Routine
geworden. Es geht um Gewinne.
Das Bürgertum hat sich etabliert, nun schreitet es vorwärts.
Dem Alltag entgehst du auch in Wittenberg nicht.
Das Leben besteht aus Mietschulden, Sitzungen
ewig anstehenden Dachreparaturen.
Meine historischen Vorlesungen sind nicht gut besucht.
HAMLET
Oh ich wäre lieber an die Universität gegangen als in den Krieg.
Ich bin ein Held, Horatio, wusstest du das?
Ich muss zugeben, ich habe keine genaue Vorstellung von so einer Universität. Ich stelle mir viele Menschen vor
die dichtgedrängt sitzen und still.
Und die ruhige Stimme des Lehrers begleitet vom eiligen Puls irgendwelcher Apparate …
Ist dort gar keine Frau, an so einer Universität?
HORATIO
Das ist in Wittenberg so: Wenn die Herren Studiosi
zu viert eine Flasche Wein geleert haben
werden sie tollkühn und schimpfen öffentlich über die Preise.
Die Studenten kommen aus denselben Schulen wie wir.
Sie fressen nur Fakten, Daten, Schlachtpläne. Namen von Feldherren.
Sie wollen etwas mitschreiben, was sie zu Hause abheften können.
Die Arbeit gegen diese Art Denken ist mühsam und wird nicht
mit Orden dekoriert. Doch du hast deinen Trost, wenn
plötzlich aus einem der Gesichter die Totenstarre
weicht, und der Mann legt seinen Stift aus der Hand und begreift.
Dann möchtest du auf dem Heimweg tanzen.
(Black.)
HAMLET
Glaubst du, dass der Norweg kommt?
HORATIO
Was ist der Norweg? Das Blau
das unsere Schiffe auf den Grund des Meeres zieht?
Die Ferne, die uns Angst macht? Der Antipode?
Das Raunen in der Menge oder die Schweinepest?
Wenn du diesen Norweg meinst: Er ist schon hier
er zieht Steuergelder, er fordert Opfer.
Die Geheimpolizei ist ihm auf der Spur.
HAMLET
Es gibt einen wirklichen Norweg, Horatio! Mit Hand und Fuß
ein Kerl aus Fleisch und Waffen.
Er schießt sehr genau und schlägt dir das Schwert in den Schädel
eh du bis drei zählst. Er ist da. Er hasst mich.
In seinen Augen bin ich ein Untier mit schiefen Zähnen,
das unvorstellbare Vieh, das Säuglinge am Spieß brät
und kleine Mädchen mit blanken Krallen aufschlitzt wie Aale.
HORATIO
So. Dann wird er wohl kommen.
HAMLET
Du machst mir Angst, Horatio.
Du sagst es, als wär dir das gleich.
HORATIO
Solange ich ein Arbeitszimmer habe und
eine Handvoll Studenten im Hörsaal, interessiert es mich wenig
ob ein dänischer, norwegischer oder französischer Arsch diesen Thron wärmt.
HAMLET
Horatio, was sagst du da? Bist du kein Däne?
Ist deine Wiege nicht dieses stille störrische Volk?
Hast du nicht dänischen Nebel getrunken wie Muttermilch?
Hast du nicht gehen gelernt
auf den flachen Wellen der dänischen Heide?
Ihr spärliches Rosa, ihr Violett – waren das nicht die ersten Farben
die die Erde dir schenkte?
HORATIO
Zum Glück wechselt die Farbe der Landschaft nicht
mit der Flagge, die man in sie pflanzt.
(Black.)
HAMLET
Die Nächte in Helsingör sind lang
dieses Jahr. Die Luft ist so dick, dass man meint
sie hemme die Uhrenpendel in ihrem Gang. Es ist
ein zähes Atmen. Ich fürchte immer
die Automatik, welche die Atemzüge vorschreibt
könnte versagen, während ich schlafe. Ich träume
sehr übel in letzter Zeit.
Gibt es nichts, was du fürchtest, Horatio?
HORATIO
Pferde … In Wittenberg gibt es Gott sei Dank nur müde Klepper.
Überhaupt, es erinnert mich wenig an Helsingör.
Nur ich selbst. Und ich tu was dagegen.
Wovor hab ich Angst?
Vor Frauen. Vor Männern. Vor unabgekochtem Wasser.
Vor der Geheimpolizei …
Vorm Verschwinden. Ja, vorm Verschwinden
in Wiederholungen Handgriffen, Abrechnungen.
In Sätzen von Leuten, die glauben, man könne alles in Sätze fassen.
Angst davor, dass plötzlich keiner
von meinen Studenten mehr bereit ist, mich zu verstehen
dass es abbricht. Vielleicht bin ich deshalb Historiker geworden:
aus Angst, dass es abbricht.
Dass die Toten noch einmal sterben müssen.
HAMLET
Es ist schön, wenn du sprichst. Es berührt
meine Lippen wie Musik, die von weit her in mein
Gefängnis dringt. Was ist dort,
warum ist man vergnügt?
Oh, es tut gut zu lächeln.
Als Yorrick noch lebte, habe ich oft gelächelt.
Erst als er starb, als er aus seiner Rolle stieg
und sich aufs Totenbett legte, habe ich begriffen
er war gar nicht der Narr.
Sein Lachen war eine Mauer, die zwischen uns stand.
Er blieb immer irgendwie draußen …
Was ist das, Horatio, was uns trennt?
Was unterscheidet
uns beide?
(Black.)
HAMLET
Wie müsst ihr mich gehasst haben.
Und am meisten hast du mich gehasst.
Warum sagst du es nicht?
Ich bitte dich, sprich es aus! Es würde mir helfen.
Ich flehe dich darum an!
Gib doch einen menschlichen Laut von dir …
Du bist unbarmherzig. Du fliehst. Du willst die Toten
wiedererwecken, aber du selbst bist tot.
Wo sind deine Leidenschaften? Wo ist dein Schmerz?
Bist du ein Mensch, soll ich dich an deine Schandtaten erinnern?
Soll ich dich erinnern, wie wir den Nachtwächter
zu Tode quälten am Hauptportal? Und es war keine Idee.
Warum schweigst du? Mach doch einmal die Brust auf und schrei!
Du hast noch nie unter anderen gelitten
immer nur unter dir selbst.
HORATIO
Du bist dein Problem, Hamlet.
Vergiss, wer du bist.
Und geh deiner Wege. Glaube mir:
Es gibt etwas anderes als das Gerangel
um den dänischen Thron. Es gibt eine Geschichte
der Menschwerdung. Jeder beginnt sie
von vorn: als Fisch im Bauch seiner Mutter.
Manche bleiben ein Fisch. Manche schaffen es
bis zum Kriechtier. Nur wenige nabeln sich ab und
treten heraus in die Labyrinthe, wissend
die Karten sind falsch. Ganz wenige schaffen
den Schritt.
Adieu, Hamlet. Ich habe dir nichts mehr zu sagen.
Du kannst nicht begreifen, was du selbst nicht schon
weißt. Dir kann nicht geholfen werden, außer
du hilfst dir selbst.
(Er geht ab.)
HAMLET
Bleib noch, Horatio, geh jetzt nicht fort!
Wir werden uns noch ein paar Lichter anzünden
um der Nacht wenigstens diesen winzigen Raum abzutrotzen
die Mauern stehen uns dann nicht mehr so eng um die Brust.
Es ist eigentümlich. Mir scheint dieses Zimmer
manchmal so groß und manchmal eng wie ein
Panzer! Obwohl ich weiß, welchen Abstand
die Wände haben. Es ist mein Kinderzimmer, Horatio:
zehn Schritte breit und zwanzig lang.
Einhundertfünfundfünfzig Schritt bis zum Thron
und gut zweihundert bis zu dem kleinen Friedhof, wo
ich einmal liegen werde. Ich weiß das, seit ich
sieben bin. Sieh doch, Horatio! Ist das nicht ein
herrliches Fest? Sieh, wie die Flämmchen tanzen!
Wie sich die Schatten zu uns gesellen. Man muss Wind
machen, Horatio, man muss sich drehen.
Soll ich den Kamin anfeuern, ist dir kalt?
Wollen wir eine Flasche entkorken und trinken
auf unsere Freundschaft? Horatio!
(Black.)
Das wirkliche Helsingör; Rosenkranz, Güldenstern auf einem Spaziergang; später Polonius, Ophelia.
GÜLDENSTERN
Was will der König für Hamlet bezahlen?
ROSENKRANZ
Ich fasse lieber eine Kröte an als diesen Verrückten. Mir ist gleich, was der König bezahlt!
GÜLDENSTERN
Ich finde, wir sollten abkassieren, bevor wir uns nach Norwegen absetzen. Polonius!
(Beide bleiben unvermittelt vor einer Tür stehen, klopfen. Polonius tritt heraus. Rosenkranz stößt ihn mehrmals gegen den Türpfosten. Polonius bricht zusammen. Rosenkranz prüft den Puls. Sie gehen weiter.)
ROSENKRANZ
Nein, ich fasse Hamlet nicht an.
GÜLDENSTERN
Ich sagte nicht: anfassen. Sondern: abkassieren …
(Ophelia tritt aus der Tür.)
OPHELIA
Was habt ihr getan!
ROSENKRANZ
Ophelia! Stell dir vor, dein Papa ist über den Abtreter gestolpert, als er uns umarmen wollte. Wir sind gerade im Begriff, einen Arzt zu verständigen.
OPHELIA
Er ist tot!
GÜLDENSTERN
Traurig, nicht war. Ich fürchte, du wirst dir vor Kummer das Leben nehmen.
(Rosenkranz und Güldenstern gehen auf Ophelia zu.)
Hamlet-Welt; Hamlet, Königin.
HAMLET
Guten Tag, guten Tag. Oder ist es schon Abend?
Ich habe den Wetterbericht nachlässig verfolgt.
Was wollt Ihr kaufen?
KÖNIGIN
Du musst etwas tun! Das Netz ist gesponnen.
Die Zeit läuft, und sie läuft gegen dich.
Der König will dich ins Irrenhaus bringen.
Der Norweg ist auf dem Weg, angeblich nach Polen.
HAMLET
Ihr wollt also mich kaufen.
Wendet Euch an die Königin. Sie verkauft alles hier.
KÖNIGIN
Der Krieg ist da, Hamlet. Der Krieg. Der Krieg!
HAMLET
Ich kann euren Krieg nicht gewinnen.
Denn ich hab Angst.
Die Angst hat mich eingeholt.
Der Schrecken sitzt mir im Nacken
wie eine kalte menschliche Hand.
Jemand hat mir die Füße zusammengebunden, sonst würde
ich fliehen. Jemand hat mir die Flügel gebrochen
sonst würde ich fliegen. Nach Süden, nach Süden
es ist an der Zeit.
KÖNIGIN
Höre mir zu, Hamlet. Ich flehe dich an.
Mach nicht sinnlos, was ich für dich tat.
HAMLET
Was meinst du? Dass du meinen Vater geschlachtet hast
meinetwegen?
KÖNIGIN
Das ist nicht wahr!
HAMLET
Nur dass du kein Messer benutzt hast, sondern den Onkel
der verkalkt genug ist, zu glauben, es wäre sein eigener Mord.
Er soll weniger Eier essen, sag ihm das bitte.
KÖNIGIN
Ich tat es für dich, Hamlet.
HAMLET
Du für mich, ich für dich
und jeder mordet für jeden. Und wer
gar keine Ausrede weiß, mordet für eine Idee.
KÖNIGIN
Er wollte mich töten.
HAMLET
Und du wolltest verhindern, dass man mir meine Mutter raubt?
Das ist rührend, ich würde weinen,
wenn es nicht gegen die Etikette wär.
KÖNIGIN
Glaubst du wirklich, ich hänge an diesem Fleisch?
Dieses Fleisch hängt an mir, an meinen brüchigen Knochen.
Es hängt an mir und zuckt.
Es kotzt mich an, dieses Fleisch jeden Morgen aufzurichten
einzupudern, zu parfümieren, in Wäsche zu schnüren
Es kotzt mich an! Dass dieses Fleisch essen will
dass es schmerzt, wenn ich bloß lächle
dass ich es zur Toilette tragen muss auf zu hohen Absätzen.
HAMLET
Geh, bell den Mond an
trink den Teich aus, vielleicht stirbst du daran.
Geh auf die Straße und sing
vielleicht erdrückt dich eine barmherzige Mauer.
Nur mich lass in Ruhe:
Ich hätte nicht einmal ausreichend Mitleid, um dich zu erwürgen.
Geh, tu es selbst.
KÖNIGIN
Sag das noch mal und sieh mir dabei in die Augen.
HAMLET
Ich hätte Angst, in deinem Blick zu versteinern.
KÖNIGIN
Du bist schon versteinert. Was ist mit dir los?
Du hattest doch einmal ein Herz in der Brust
und einen hellen Verstand und ein menschliches Lächeln.
HAMLET
Mein Lächeln hat man mir abgewöhnt
unter dem Vorwand, mich zu erziehen.
KÖNIGIN
Ich habe dich nicht dazu erzogen
grausam gegen deine Mutter zu sein.
Ich habe dir alles gegeben, ich habe all deine Wünsche erfüllt.
HAMLET
Oja, ich weiß auf hochwohlgeborene Art
meinen Darm zu entleeren und wie man Messer und Gabel hält
und das Schwert und die Zügel eines scheuenden Pferdes.
Ich bin ein prächtiges Exemplar!
Aber kannst du dir vorstellen, dass da noch etwas fehlt?
Ich hatte einmal eine Ahnung davon, was das ist
es ist sehr lange her und ich habe es fast vergessen.
Aber es war, als Yorrik mich mit in die Küche nahm
zum Gesindel und mich auf den Schoß setzte
und es gab Pellkartoffeln mit Quark und du hast uns erwischt.
Und mein Vater hat Yorrik geschlagen dafür und
Yorrik hat nicht gesagt, dass ich ihn überredet hatte.
Weißt du, was ich meine? Ich habe kein Wort dafür.
Es kommt nicht vor in unserer Sprache.
Yorrik hat mich geliebt, ist es das vielleicht, was ich meine?
KÖNIGIN
Aber ich liebe dich, Hamlet.
Wenn ich irgendwas weiß, dann das.
HAMLET
Vielleicht. Auf deine hochwohlgeborene Art.
Immerhin hast du meinen Vater für mich geschlachtet.
KÖNIGIN
Dein Vater, Hamlet, hatte eine Geliebte.
Das tat mir nicht weh, aber er wollte mich töten
Auch das tat mir nicht weh, aber seine Geliebte
hatte von ihm einen Sohn.
Der säße morgen statt deiner auf dem dänischen Thron.
Darum habe ich deinen Vater getötet.
HAMLET
Ich wünsche den Thron und das Vaterland dem
der meine Rolle zu Ende spielt. Ich tausche ein Königreich
gegen ein stumpfes Gemüt und die Haut eines Nashorns.
KÖNIGIN
Du vergisst, wer du bist, und den Auftrag
der dir in die Stirn gebrannt ist mit der Geburt.
HAMLET
Das kommt mir bekannt vor. Ist das dein Text?
KÖNIGIN
Der Norweg wird sich einen Dreck darum kümmern
ob du aus deiner Rolle steigst oder nicht.
Er wird dieses Land besetzen, wenn du jetzt nicht handelst.
Er wird dich vierteilen, er wird dir Nägel ins Fleisch schlagen
und deine Leiche den Fischen vorsetzen im Meer.
HAMLET
Er wird vierteilen, wie wir gevierteilt haben.
Er wird Nägel ins Fleisch schlagen, wie wir Nägel ins Fleisch
schlugen, und unsere Leichen ins Meer werfen, wie wir
seine. Ist er uns nicht ähnlich, der Norweg
als wir selbst?
Warum ist er eigentlich unser Feind?
Seit ich drüber nachdenke, habe ich es vergessen.
KÖNIGIN
Deine schöne Philosophie heb dir auf für das Sterbebett, Hamlet.
Sonst bringt sie dich um, bevor du die Letzte Ölung bekommst.
Und jetzt tu, was ich sag.
HAMLET
Manchmal habe ich die absurde Idee, der Norweg
sei bloße Erfindung aus Phrasen und Zeitungspapier,
und wenn wir fest genug an ihn glauben
erscheint er tatsächlich aus Fleisch und Stahl.
Vielleicht sollte ich mich still in mein Zimmer setzen
und ihn einfach vergessen? Was meinst du?
KÖNIGIN
Nimm dieses Messer, Hamlet. Erstich deinen Onkel.
Er und die Dummheit sind die besten Verbündeten
unseres Feinds. Reiß Dänemark an dich!
Es ist nicht mehr viel Zeit.
HAMLET
Ich weiß jetzt, dass ich dich hasse.
Und ich hasse dich dafür, dass ich dich hassen muss.
KÖNIGIN
Ich bin deine Mutter.
HAMLET
Ich hasse dich dafür, dass du meine Mutter bist.
Dass ich aus dir gekrochen bin als der, der ich hin.
Ich verfluche die schweißige Nacht
in der mein Vater mich zeugte und deinen Bauch
der sich hergab, meine Wohnung zu sein.
Wenn ich den Ort finde, wo die Zeit rückwärts läuft
werde ich durch den Tunnel gehn und mich zurücknehmen.
Und auferstehn als Fischer in Island
oder als Bauer in der Normandie oder als wildes Tier
oder als Krokus in einem warmen Frühling
aber am liebsten als Fichte in stiller Gemeinschaft
irgendwo, irgendwann.
Das wirkliche Helsingör; Schloss. König, Rosenkranz, Güldenstern.
KÖNIG
Tratatütütütü! Fanfare! Fanfare! Et cetera! Pauken! Trompeten! Mein Volk!
Guter Anfang.
Wieder hat uns der Feind durch seine Machenschaften überrascht
obwohl wir natürlich vorbereitet waren.
Der Norweg steht bis an die Zähne gerüstet an unseren Grenzen
aber er ist bereits so gut wie vernichtend geschlagen.
Um dem fliehenden Feind beim Angriff zuvorzukommen
erkläre ich, das heißt: ich
und ich meine damit: wir alle
hiermit den militärischen Ernstfall.
Meldet euch freiwillig! Wer freiwillig geht
wird nicht gezwungen.
Hurrarufe! Rasender Beifall!
Spontane Begeisterung! Tusch!
Ab sofort gelten folgende Regeln:
Wer die Lage durch Reden, Gesten oder Gesichtsausdruck
wissentlich oder unabsichtlich
verharmlost oder das Gegenteil tut, wird erschossen.
Wer richtige oder falsche Informationen verbreitet
oder deren Verbreitung zulässt
oder den Versuch dazu unternimmt, wird erschossen.
Wer keine Ausreden weiß
ist ein Norweg und wird erschossen.
Der Norweg ist überall!
Nieder mit dem Norweg!
Es lebe Dänemark und der dänische Thron!
Es lebe der Heldentod! Heil dem König!
Hurrarufe! Unbändiger Jubel! Fähnchen werden geschwenkt!
Die Fanfare! Wie findet ihr meine Rede?
GÜLDENSTERN
Bescheuert.
ROSENKRANZ
Er will sagen: sehr sauber. Reinigend. Sehr
durchdacht.
GÜLDENSTERN
Beknackt.
ROSENKRANZ
Knackig. Kernig. Ein Mann ein Wort.
GÜLDENSTERN
Etwas plattfüßig.
ROSENKRANZ
Sehr verständlich. Sehr volkstümlich. Sehr rasant.
GÜLDENSTERN
Jetzt die Knete.
KÖNIG
Was ist?
GÜLDENSTERN
Die Knete.
ROSENKRANZ
Das Geld. Die Moneten für Hamlet. Wir hatten vereinbart
wenn Hamlet … Klicklick … zack … ssst, dann …
KÖNIG
Ah! Hamlet ist … klicklick … zack … ssst.
ROSENKRANZ
Er ist hinter Gittern.
KÖNIG
Das ist gut. Ich beglückwünsche euch. Jeder hundert.
GÜLDENSTERN
Danke, das wars. Wir verpissen uns, Schätzchen.
ROSENKRANZ
Er will sagen: Wir gehen auf Urlaub.
KÖNIG
Wohin?
GÜLDENSTERN
In die Heimat.
ROSENKRANZ
Wir sind überarbeitet. Nerven, Kreislauf.
KÖNIG
Ihr bleibt hier!
GÜLDENSTERN
Adieu, Alter.
KÖNIG
Wache!
GÜLDENSTERN
Die Wache ist ausgefallen.
ROSENKRANZ
Ja. Der Milchreis heut Mittag ist den Kollegen nicht gut bekommen. Adieu.
In der Hamlet-Welt; Hamlet, König.
KÖNIG
(rennt in den Raum) Gertrud! Gertrud!
HAMLET
Ist tot.
KÖNIG
Du? Halt. Ich sehe Gespenster!
HAMLET
Das geht mir schon lange so.
Das macht das feuchte Klima.
Die Gedanken schwimmen einem nur so fort
und dann trifft man sie wieder als Nebel unter der nächsten Laterne.
Man sollte nicht denken.
Im Übrigen bin ich echt.
KÖNIG
Ich denke du bist … klicklick … zack … sst?
HAMLET
Da haben wohl deine Gorillas nicht funktioniert?
Hast du sie schlecht gefüttert?
KÖNIG
Ja! Nein. Diese Ferkel.
Sie haben sich Urlaub genommen kurz vor dem Krieg
ohne mich um Erlaubnis zu fragen.
HAMLET
Sie haben sich abgesetzt, sieh mal an!
Das sieht schlecht aus. Ich fürchte,
dann sind sie Spione des Norweg.
Ich hatte bereits den Verdacht.
KÖNIG
Entsetzlich, man hat mich verraten!
In diesem historischen Augenblick. Hörst du das?
Die Erde summt unter meinen Füßen.
Der Himmel ist so beängstigend blau.
Ich ahne nichts Gutes.
Wo sind die Schlosswachen? Wo ist deine Mutter?
HAMLET
Ich sagte es schon: Sie ist tot. Ich habe sie
umgebracht mit ein paar Sätzen. Wusstest du, dass
man daran stirbt? Als sie schon tot war, hat sie
das Messer gegessen, mit dem du meinen Vater erstachst.
Jetzt hab ich ein Alibi und kann es gar nicht gebrauchen.
(König schreiend ab)
HAMLET
Er hat recht. Es summt unter meinen Füßen.
Es wispert und raschelt ringsum
und die Krähen machen so ein nervöses Geschrei …
Ich erkenne dich wieder, Augenblick.
Ich glaube, ich habe auf dich gewartet.
Ich wusste es nicht, aber ich habe auf dich gewartet.
Und alles, was ich dagegen tat
trieb mich nur mehr auf dich zu.
Man kann aus Angst morden
man kann aus Angst Witze erzählen
man kann aufhören zu träumen, aus Angst
vor seinen eigenen Ahnungen
aber die Träume schleichen sich in den Tag
und erstarren zu Tatsachen, und jetzt sind sie da.
Und meine Angst ist vorbei.
Nur noch der Schmerz und die Toten auf meiner Brust
und der Ärger über ein verwartetes Leben,
Das soll das Ende sein?
(Der Geist kommt heran.)
Du? Natürlich du, etwas hat noch gefehlt.
Willst du mich prüfen? Sehen, ob ich meine Hausaufgaben gemacht hab?
Ich habe es nicht getan. Wahrscheinlich aus Faulheit.
Ich bin etwas müde
und der Onkel ist flink wie ein Meerschwein.
Auch hat meine Mutter das Instrument verschluckt
mit dem ich es tun sollte. Und im Übrigen hatte ich keine Lust.
Leg dich zu deinen Knochen und den Orden
die du dir selbst verliehn hast
und schlaf den gerechten Schlaf der ruhmreichen Mumie.
Gut Nacht.
(Ophelia kommt dazu.)
Ophelia, meine Frau, du?
Warum bist du hier?
Oder bist du schon dort?
Die Nacht hat dich blass gemacht.
Willst du dich rächen?
Willst du meine Wunden lecken?
Hast du mir verziehn?
Ich war grausam, ich weiß.
Ich müsste Reue empfinden, ich weiß.
Ich bin leer.
Seit die Angst mich verlassen hat, bin ich leer.
Verlang nichts von mir. Hab Erbarmen.
(Horatio kommt dazu.)
Auch du, mein Freund, kommst?
Das ist ja grad wie zu meiner Beerdigung!
Hast du den Brief erhalten?
Ich glaube, ich hab dir geschrieben.
Ich hätte nicht gedacht, dass du kommst.
Bist du wirklich bei mir?
Bist du ein Schatten? Ich fürchte, ich beginne die Welten zu verwechseln,
die Zeiten und Räume. Was wird hier gespielt?
Ist hier kein Ausgang?
Muss man mitspielen immerzu?
(König kommt erneut in den Raum gerannt.)
KÖNIG
Der Himmel, Hamlet. Der Himmel, der Himmel!
Sieh doch was mit dem Himmel passiert!
Und das Meer!
Es bewegt sich, aber es ist gar kein Wind.
Die Pferde kotzen in ihre Futterkrippen.
Es ist alles voll blauer Ameisen am Horizont.
Alles ist gegen mich, Hamlet, mein Sohn!
Tu etwas, Hamlet! Ich flehe dich an. Mein
Liebster! Mein Einziger! Du verdammtes Mistvieh!
Ich befehle dir, etwas zu tun!
Ich küss dir die Füße. Ich kann nicht mehr.
Ich steche euch alle ab. Ist denn hier keiner?
Hört mir denn niemand zu?
(König ab)
GEIST
Es ist fast zu spät.
OPHELIA
Es ist so weit, Hamlet
HORATIO
Es ist an der Zeit.
GEIST
Komm endlich zur Sache.
OPHELIA
Komm. Komm!
HORATIO
Komm zu dir!
GEIST
Was zögerst du noch. Die Zeit kennt kein Atemholen.
Sie wird an deiner Leiche vorbeigehn.
Wer auf der Stelle tritt, bleibt zurück.
Wer zurückbleibt, geht unter.
Wer sich waffenlos schlafen legt, wird erstochen.
OPHELIA
Jetzt bin ich angekommen bei dir.
Jetzt kannst du mir folgen.
Lass dich fallen, ich lege mich unter dich.
Ich lecke deine Wunden.
Ich mach dich vergessen mit meiner Zunge.
Ich will dein Leib sein, dein Zittern und dein Geruch.
Ich will dich blind machen mit dem Weiß meiner Brüste.
Ich will dich taub machen mit meinem Atem.
Ich will dich hüllen in die Seide der Nacht.
HORATIO
Hör nicht hin!
GEIST
Leg die Rüstung an!
OPHELIA
Komm ganz nackt, Hamlet! Hier gelten keine Gesetze.
HORATIO
Hör nicht hin, Hamlet. Du hast eine Chance!
GEIST
Du hast eine einzige Chance. Zieh deine Regimenter
zusammen! Gib das Schloss auf!
Verbrenne die Dörfer ringsum und alles, was sich
nicht forttragen lässt, Getreide und Vieh und Behausung!
Geh in die Wälder und formiere deine Armee gegen den Norweg!
HORATIO
Hör nicht hin, Hamlet.
Reiß deine Wurzeln aus diesem Sand!
Es wird weh tun, aber es ist möglich
dass du Schmerz überlebst. Noch ist Zeit.
Fang von vorn an!
Du kannst noch alles aus dir machen!
GEIST
Du bist das, woraus du gemacht bist, sonst bist du nichts.
OPHELIA
Du bist mein, ich bin dein.
Wir sind ein Fleisch und kein Fleisch.
Komm, lass uns die Hochzeit feiern vor dem Altar des Todes!
HORATIO
Nimm dir ein schnelles Pferd und sieh zu, dass du fortkommst!
GEIST
Du bleibst! Hier ist dein Vaterland.
Hier ist der Thron deines Vaters, dem du dich selber verdankst.
OPHELIA
Hier bin ich. Hier ist die süße Kühle der Schatten.
Gieß dich aus in mich, dein Blut und dein Sperma.
Gieß dich aus in mich und komme zur Ruhe.
Ich bin für dich überall offen.
Leg dich in meinen Leib!
HORATIO
Ich gebe dir meine Wittenberger Adresse.
Ich habe zwei Zimmer unweit vom Markt.
Du kannst Kaffee trinken in der Gastwirtschaft um die Ecke.
Du kannst auf den Markt gehn und sehn
wie die Leute trotz allem versuchen zu lächeln.
Du kannst im Regen stehn, wenn es warm ist
oder den Himmel betrachten.
Du kannst langsam beginnen, etwas zu tun!
GEIST
Du wirst tun, was ich sage!
OPHELIA
Ich will tun, was du sagst!
HORATIO
Geh jetzt.
GEIST
Bleib!
OPHELIA
Komm.
GEIST
Komm zur Sache.
OPHELIA
Komm, komm!
Geschrieben 1986.
Personen
A, vermutlich Georgio Smith
V1 und V2, zwei Verhörer
Horatio
Cathy
General
V1
Wir beginnen von vorn.
V2
Er hat sich wieder bepisst.
V1
Der Mann macht mich fertig.
V2
Er hat einen Schwächeanfall.
V1
Hilf ihm auf
(V2 gibt A eine Spritze. A kommt zu sich.)
V1
Wir beginnen von vorn. Wer sind Sie.
A
Ich bin hier.
V1
Geboren.
A
Ja.
V1
Alter.
A
Schon lange.
V1
Beruf.
A
Ich bin müde.
V1
Familienstand.
A
Ich hab eine Frau.
V1
(zu V2) Sag ihm unsere Meinung. (V2 schlägt A zusammen.) Fertig?
V2
Ja.
V1
Geht es besser? Oder soll ich den Onkel Doktor holen?
A
Nein, das nicht. Ich fühle mich ausgezeichnet.
Ich kann meinen Text. Wir können beginnen.
V1
Sagen Sie uns, wer Sie sind.
A
Ich muss mich erinnern.
V1
Erinnern Sie sich.
A
Ich habe Schmerzen im Kopf.
V1
Erinnern Sie sich.
A
Das kommt von dem Apparat, an den man meinen Kopf
immer anschließt.
V1
Erinnern Sie sich.
A
Ich kriege es nicht mehr zusammen.
V1
Sehr gut. Gestrichen. Wir beginnen von vorn.
A
Ich habe den Faden verloren. Geben Sie mir einen Tipp.
V1
Das ist gegen die Dienstvorschrift.
A
Ich habe Angst, etwas Falsches zu sagen.
V1
Das ist der Beweis.
A
Der Beweis?
V1
Dass Sie lügen.
A
Aber ich sage doch alles, was Sie von mir verlangen.
V1
Aber Sie glauben es nicht.
A
Ich habe alle Geständnisse unterschrieben, die man
mir vorgelegt hat.
V1
Das genügt nicht.
A
Ja, was wollen Sie denn noch von mir?
V1
Dass ist unsere Sache. Wir beginnen von vorn.
Sie gestehen, dass Sie ein türkischer Terrorist sind
der den Gedanken hatte, den Präsidenten zu töten.
A
Ich gestehe.
V1
Sie gestehen, der Spanier Alfonso Rodrigues zu sein
und ein leiblicher Nachfahre Don Quijotes.
A
Ich gestehe.
V1
Sie gestehen, dass Sie ein andalusischer Irrer sind
der seine Frau aus Eifersucht auf eine glühende Herdplatte setzte.
A
Ich gestehe.
V1
Gestrichen. Gestrichen. Gestrichen.
Ich streiche dich aus.
Deine Biographie ist ein Loch.
Deine Sterbeurkunde ist schon geschrieben.
Deine Leiche ist identifiziert.
Du bist nichts.
Du bist tot.
Du bist weniger als tot: Du hast nie existiert.
Ich ficke dich zurück in den Bauch deiner Mutter
und streiche dich aus den Akten, bevor dein Vater dich zeugt. (Zu V2) Sag ihm unsere Meinung. (V2 schlägt A zusammen.) Fertig?
V2
Ja.
V1
Geht es besser?
A
Nein, ja. Nicht den Doktor.
V1
Wir beginnen von vorn.
Wir kommen zu den grundsätzlichen Fragen.
Ich frage Sie nicht, wer Sie sind.
Ich frage, ob Sie sind. Verstehen Sie meine Frage?
A
Ja.
V1
Geben Sie mir einen Beweis für Ihre Existenz.
A
Ich habe Schmerzen. Mein Fleisch ist sehr schwer. Ich erinnere mich …
V1
Woran?
A
Ich hab eine Frau. Sie heißt Cathy.
V1
Wie weiter?
A
Sie wohnt in der Nähe von …
V1
Was?
A
Sie ist …
V1
Nachname. Wohnort. Beruf. Alter. Blutgruppe. Nummer des Personaldokuments. (Pause.) Das ist keine Erinnerung, das ist ein Arschwisch.
A
Das kommt von dem Apparat.
V1
(zu V2) Hol den Doktor.
A
Nein! Nicht den Doktor.
Ich gebe es zu. Ich habe keine Erinnerung.
Ich bin ein Stück Fleisch.
Ich sage alles.
Ich belle, wenn Sie es wünschen.
Ich krieche.
Ich fresse meinen eigenen Kot.
Ich erzähle nichts weiter.
Ich nehme zurück. Ich gestehe. Ich stelle mich tot.
V1
Das genügt nicht.
A
Ich war noch sehr jung. Es ist zwei Jahre her.
Oder drei. Oder zwanzig.
Ich habe meinen Dienstgrad vergessen.
Mein Name Georgio Smith. Wenn ich ihn nicht verwechsle.
Oder Ackermann. Oder mein Freund heißt so.
Mein Freund heißt Horatio.
Cathy ist meine Frau.
Wir standen am Kai.
Ich trug eine Uniform wie ein Erwachsener.
Ich habe Cathy geküsst.
Horatio hatte niemand zum Küssen.
Also hat Cathy auch ihn geküsst.
Ich war nicht eifersüchtig.
Es war ein großer Moment.
Die Militärkapelle spielte einen Walzer.
Und Cathy sagte zu mir …
CATHY
Bringst du mir etwas Schönes mit von dort drüben?
A
Und sie lächelte. Und sie war schöner als sonst.
Und ihre Zähne glänzten weiß in der Sonne.
Und ihre Haare flogen im Wind.
Und je heller sie lächelte, desto tiefer drang der bittere Geruch in mich ein
der an diesem Kai haftete.
Und ich wusste plötzlich: Das ist der Geruch des Abschieds
und so riechen alle Kais dieser Welt.
Und ich dachte: Warum muss es Abschiede geben.
Und ich sagte zu Cathy, was ich nicht sagen wollte
denn ich hatte Angst, es zu sagen.
Ich sagte zu Cathy: Du, ich hab Angst.
Bleib mir treu, wenn ich fort bin.
HORATIO
Grüß die Heimat von uns. Wir kehren auf jeden Fall wieder.
CATHY
Man erzählt, dort soll alles viel billiger sein als bei uns.
A
Ich schreibe dir, Cathy.
Ich werde die ganze Zeit an dich denken.
Du bist gar nicht traurig?
CATHY
Oh, ich bin stolz auf dich!
Ich bin stolz auf euch beide!
Ihr seht so schmuck aus. Es kleidet euch wirklich gut.
HORATIO
Wir werden uns deines Stolzes würdig erweisen.
CATHY
Vielleicht wirst du befördert, Georgio?
Man kann doch befördert werden, wenn man besondere Taten vollbringt.
Dann kriegst du diese hübschen Silberstreifen auf deine Schultern!
A
Ich werde dir treu sein, Cathy. Ich schwöre: Ich bleibe dir treu.
HORATIO
Es ist an der Zeit. Wir müssen an Bord.
CATHY
Georgio.
A
Cathy.
(Black.)
A
Was tun wir, Horatio? Warum sind die Menschen so fröhlich?
HORATIO
Was ist los mit dir?
A
Mir ist schlecht. Was geschieht hier? Wer zwingt uns zu gehn?
HORATIO
Mach keine Witze. Willst du schlappmachen, bevor der erste Schuss fällt?
A
Ich höre den Wind lachen. Ich sehe überall Zähne. Ich habe einen bittren Geschmack im Mund.
HORATIO
Spuck aus und vergiss es.
A
Sie machen so plumpe Musik.
HORATIO
Das ist Marschmusik, das ist ganz harmlos.
Die Heimat verabschiedet uns.
Wir gehn in den Krieg.
A
Warum ich?
HORATIO
Warum du? Warum ich! Warum all die anderen!
A
Ja, die anderen. Sollen die anderen …
Sollen sie fortgehn, wenn sie so fröhlich sind.
Warum ich?
HORATIO
Die Dunkelhäutigen …
A
Sagte Horatio.
HORATIO
Hast du sie plötzlich vergessen?
A
Und ich sagte: Ja.
HORATIO
Die Dunkelhäutigen …
A
Sagte Horatio
HORATIO
Bedrohen auch dich und dein Leben und Cathys und das deiner ungeborenen Kinder.
Ist das nicht genug?
A
Und ich sagte: Ja.
HORATIO
Die Dunkelhäutigen werden kommen, wenn wir jetzt nicht gehn.
In ihnen fließt schwarzes Blut, und sie kennen nur die Gesetze des Hasses. Sie hassen die Werke Gottes und die Kultur,
die Gottes Wille ist, und die Städte
die wir für sie bauten am weißen Strand, und die Gebete
die wir sie lehrten. Das ist ein heiliger Krieg,
und unsere Siege sind die Beweise Gottes.
(Black.)
A
Und wir stachen in See. Die Musik verstummte. Und
Cathy verschwand und der Kai und die anderen Menschen.
Und bald verschwand auch der schmale farblose Streifen
der das Vaterland war.
Und bald verschwand alles.
Und die See nahm uns selbstverständlich an ihre Brust
und wiegte uns in einen Halbschlaf.
Man brauchte sich nicht zu beeilen.
Die Tage waren lang, und das Schiffsdeck war warm von der Sonne.
Ich lag auf dem Deck und holte den Schlaf nach aus einem anderen Leben
und spürte das süße Beben der Dieselmotoren,
das gleichmäßig ruhig durch meinen Leib floss wie der lebendige Atem der Zeit.
Das Himmelslicht über mir war eine wärmende Hand
aber wenn ich die Augen öffnete, waren überall um mich Leute in Uniform
die so taten, als wären sie echte Soldaten.
Und auch ich tat so, als wär ich ein echter Soldat.
Ich sprach wie ein Soldat, lachte wie ein Soldat.
Ich trug meine Uniform, als hätte mich meine Mutter darin geboren.
Ich onanierte wie ein Soldat und dachte an Cathy
und am Morgen lachten wir lauter als am Morgen zuvor
und hingen noch lässiger in unseren Uniformen
und dann kam der General.
GENERAL
Männer, wie stehts? Oder stehts euch nicht mehr?
Drüben gibts frisches Wild.
Der Krieg wird euch Spaß machen.
Ich heiße euch alle willkommen.
Ich hoffe, ihr wisst, worum es in diesem Krieg geht.
HORATIO
Es geht um die Sache Gottes, denn unsre Kultur ist eine Sache Gottes
denn sie ist eine Äußerung seiner selbst.
GENERAL
Bisschen zu schlau, was? Na, macht nichts.
Er meint schon das Richtige.
Ausräuchern. Fachsprache.
Es geht um das richtige Wort.
Unsere Aufgabe ist es, den dunkelhäutigen Widerstand auszubrennen
wie ein Geschwür.
Restlos, damit es nicht nachwächst.
Gründliche Arbeit. Mitleid ist Feigheit vor dem Feind
und wird mit dem Tode bestraft.
Ich vertraue auf euren Patriotismus.
Woran erkennen wir unseren Feind?
A
Wir erkennen den Dunkelhäutigen an seiner dunklen Haut.
GENERAL
Bisschen zu einfach, was? Na, macht nichts.
Er mein schon das Richtige.
Aber das ist nur ein seltener Fall.
Meistens erkennen wir den Dunkelhäutigen daran,
dass wir ihn gar nicht erkennen.
Das ist seine Taktik.
Er tut so, als wär er nicht da.
Das zermürbt, Männer.
Das geht an die Moral.
Ich vertraue auf euren Patriotismus.
Wer sind die Verbündeten unseres Feinds?
(Pause.)
Na, macht nichts.
Das ist eine schwierige Frage.
Ich bin der Fachmann.
Ich werde euch das erklären.
Die Verbündeten des Dunkelhäutigen sind das Sonnenlicht
und die Zeit. Habt ihr verstanden?
(Pause.)
Die Zeit ist unsichtbar, und sie tötet leise.
Man kann nicht auf sie schießen.
Sie fließt durch das Rückgrat wie Gift und macht Fieber im Kopf
und bringt die Leute zum Wahnsinn.
Und hinzu kommt das Sonnenlicht.
Und hinzu kommt die Hitze.
Sie kommt jeden Tag.
Sie ist überall.
Sie dörrt unser Fleisch aus und macht Herzschwäche und Malaria.
Sie verbraucht unsere Kraft für nichts und flimmert vor unseren Augen
bis wir Trugbilder sehen am helllichten Tage.
Es ist ein schwieriger Krieg, Männer.
Ich vertraue auf euren Patriotismus.
(Black.)
A
Und die Tage waren lang.
Und das Deck war warm von der Sonne.
Ich versuchte zu schlafen, aber das Beben der Dieselmotoren durchströmte mein Rückgrat
wie der lebendige Atem der Zeit.
Und das Himmelslicht
war der verlängerte Arm unseres Feindes.
Und es war heiß.
Und man konnte nichts tun.
Man konnte nur warten.
Gegen die Zeit.
Und gegen diese zermürbende Hitze.
Warten auf etwas Ungewisses, das plötzlich unter uns war.
Es war hier an Bord.
Und wir sprachen wie Soldaten.
Und lachten wie Soldaten.
Und onanierten wie Soldaten
aber ich dachte dabei nicht mehr immer an Cathy.
Und ich trug meine Uniform, als hätte meine Mutter mich darin geboren.
Und als wir von Bord gingen, bekam ich das Letzte,
was noch gefehlt hatte, um ein echter Soldat zu sein.
(Black.)
A
Wann geht denn das los, Horatio?
HORATIO
Ich schlafe.
A
Ich halt das nicht aus.
Ich drehe durch.
Ich fresse den Sand.
Ich schieße auf Gespenster.
HORATIO
Mach keine Witze. Was ist mit dir los?
A
Ich will sie sehen.
HORATIO
Du siehst sie noch früh genug.
A
Ich halt das nicht aus.
Ich schleppe dieses Gewehr mit mir herum.
Ich geh damit essen und scheißen
und krieche unters Moskitonetz mit dem Ding jeden Abend.
Und hab sie noch nicht mal gesehn!
HORATIO
Du machst mir Angst.
A
Mir juckt der Finger.
HORATIO
Das ist die Krankheit, von der der General sprach.
Willst du schlappmachen,
bevor du die Dunkelhäutigen zu Gesicht kriegst?
Das wollen sie doch bloß.
Das ist ihre Taktik.
Du gehst ihnen auf den Leim.
(Black.)
A
Der Krieg ging von montags bis freitags.
Wir nannten es Expedition.
Die Wildnis war undurchdringlich.
Wir gingen zu Fuß.
Das Marschgepäck wog wie Zement.
Der Waffenriemen rieb den Hals auf
oder schnitt in die Schulter.
Es gab Muskelkrämpfe und harte Stellen.
Die Hitze flimmerte uns vor Augen.
Wir waren fiebrig vor Durst und Erwartung.
Wochenlang geschah nichts.
Die Wochenenden verbrachten wir in der Stadt am weißen Strand.
Wir fraßen uns voll mit südlichen Früchten.
Ich trank kalten Wein, bis mir leicht wurde um die Seele.
Es war alles viel billiger als bei uns.
Auch die Mädchen.
Wenn ich an Cathy dachte, hatte ich Angst.
Wenn ich Angst hatte, ging ich zu einem Mädchen.
Ich kaufte mir für ein paar Stunden Vergessen.
Montags früh ging der Krieg weiter.
Die Hitze. Das Marschgepäck.
Das Gewehr, das ich mit mir herumtrug.
Das Gewehr, hieß es, sei die Braut des Soldaten.
Aber was soll ich mit einer Braut,
die die Beine nicht breitmacht.
Was mit einem Gewehr, das nicht schießt.
HORATIO
Da ist was!
A
Was ist?
HORATIO
Da.
A
Wo?
HORATIO
Das.
A
Das bewegt sich.
HORATIO
Das ist schwarz und bewegt sich.
A
Ich knall es ab.
HORATIO
Warte!
A
Ich knall es ab!
HORATIO
Der Mann ist doch ganz ohne Waffen!
A
Das kann man nicht wissen.
HORATIO
Der ist doch ganz nackt.
A
Da ist er. Ich knall ihn ab.
HORATIO
Du kannst den doch nicht einfach abknallen!
(Black.)
A
Ich traf ihn ins Bein.
Wir brachten ihn zu den anderen.
Der General beförderte uns sofort.
Dann durften wir zusehn, wie er verhört wurde.
Sie hängten ihn an den Armen auf, entzündeten unter ihm ein kleines rauchendes Feuer.
Seine Füße färbten sich gelblich nach einer Weile.
Das Blut von der Wunde an seinem Bein färbte sich schwarz.
Dann verbreitete sich der Geruch von verbranntem Fleisch.
Der Mann stöhnte.
Er schwieg.
HORATIO
Warum tun wir das?
GENERAL
Das ist so üblich.
A
Vielleicht ist es kein richtiger Feind.
GENERAL
Das wird sich herausstellen.
HORATIO
Was wollen wir eigentlich von ihm wissen?
GENERAL
Wenn wir das vorher wüssten, brauchten wir ihn nicht zu verhören.
HORATIO
Aber wenn er sprechen würde, verstünden wir ihn ja doch nicht.
Wir haben keinen Übersetzer dabei.
GENERAL
Das macht nichts.
Nach meiner Erfahrung redet der sowieso nicht.
(Black.)
A
Seit diesem Tag hatten wir plötzlich Verluste.
Ein oder zwei Mann jeden Tag.
Die Todesursache war nicht bekannt.
Aber es waren echte Tote.
Jetzt war es ein echter Krieg.
Und man konnte später zu Hause erzählen:
Der und der ist gefallen dabei.
Bald waren es viele Tote.
Bald waren es mehr Namen, als man sich merken konnte.
Das, was uns umbrachte, musste ganz in der Nähe sein.
Und zu dem Feind, der ganz in der Nähe war
gesellte sich der schlimmste der Feinde: die Angst.
Als wir das Dorf aufstöberten in der Wildnis,
das erste dunkelhäutige Dorf
schrien wir auf vor Erleichterung,
und brannten die Hütten nieder
und trieben die Frauen und Kinder mit Schüssen fort
und hängten die Männer auf zum Verhör,
und als einige von ihnen am Morgen noch lebten
lachten wir
und jedes Mal war unser Lachen
ein bisschen lauter als das Lachen am Morgen zuvor.
HORATIO