Tiefenfall - Markus D. Mühleisen - E-Book

Tiefenfall E-Book

Markus D. Mühleisen

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Beschreibung

Der Weltraum. Unendliche Weiten und unendliche Möglichkeiten ein Komplott im Verborgenen zu schmieden. Eine junge Frau und außergewöhnliche Raumschiffpilotin mit besonderen Fähigkeiten gerät in den Hinterhalt der reinen KIs mit Bewusstsein. Sie trachten ihr überall nach dem Leben. Ihre Eltern gelten als verschwunden. Kann sich Niccola aus ihrer Trauer befreien und mit Hilfe ihrer Freunde dem finsteren Treiben Einhalt gebieten? Menschen und KIs kämpfen Seite an Seite, aber wird es dem kleinen Grüppchen gelingen, die Gefahr zu bannen oder ist es das Ende der Menschheit? Nehmen Sie Platz, schnallen Sie sich an und jagen Sie mit Niccola durch die Tiefen des Weltraums, den dunklen Mächten entgegen. Ein Roman mit interaktiven Elementen.

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Markus D. Mühleisen Human-KI Welten

Bd. 1: SpiegeltatenBd. 2: TiefenfallBd. 3: Weltentaten

Inhalt

0 Ad Nunc

1 Perigäum

2 Kontakt

3 Bewährt

4 Neue Aufgaben

5 Wiedersehen

6 Herausforderungen

7 Verschlossene Räume

8 Offenbarungen

9 Catch me if you can

10 Die Welt taumelt

11 Requiem

12 Neue Wege

13 Katharsis

14 Sprungpunkt

15 Genesis

16 Offenbarung

17 Eine unerwartete Rückkehr

18 Offene Enden

19 Der Nussknacker

20 Bei den heißen Quellen

21 In der Höhle des Nussknackers

22 Kraft des Rhythmus

23 Der rote Faden

24 Rechenknechte

25 Teil der Herde

26 Stampede

27 Die Weite der See

28 Die Insel der Erkenntnis

29 Nach der Vergangenheit

30 Ordnung im Chaos

31 Rundblick

32 Denkzeit

33 Tiefer in den Kaninchenbau

34 Die weiße Stadt des Lichts

35 Licht ins Dunkel

36 Dekonstruktion des Chaos

37 Eine Infiltration wird geplant

38 Sturz in die Tiefe

39 High Noon

40 Ruhepunkt

41 Vom Außen ins Innen

42 Volià - voir la fille et la personne

43 Respiration

44 Epilog Teil 1

45 Epilog Teil 2

46 Prolog Weltentaten

47 Prélude Weltentaten

48 Personen und KIs

49 Zeitleiste

50 Technologien und Begriffe

Vorwort

Ein Autor ist sicherlich immer verliebt in sein Werk. Ich gestehe, so ist es auch bei mir. Es lag mir sehr am Herzen, die mit "Spiegeltaten" begonnene Romanreihe fortzusetzen, schließlich war dieser erste Band der Human-KI-Welten der Einstieg in die Erzählung meiner erdachten Zukunft.

Das Ende von "Spiegeltaten" war versöhnlich. Lillith konnte sich auf die Reise in die Tiefen des Sternenmeeres im Weltraum machen. Sie konnte sich sogar gemeinsam mit ihrem Korrelaten Niccolò auf diese Reise begeben.

Mir sind meine Charaktere im Laufe der Erzählung immer mehr ans Herz gewachsen. Die von mir erdachte Handlung und die eingesetzten Technologien sind dagegen aus meiner Sicht kritisch zu bewerten. Ich kann mir dies nicht nur in meiner Fantasie vorstellen, sondern ich erwarte, dass dies so ähnlich eintreten wird.

Was mich hoffen lässt, dass diese Zukunft eine Gute sein wird, ist der Umstand, dass meine Protagonisten sich auf ihrem Lebensweg den Untiefen und Stromschnellen stellen. Sie begegnen diesen mit großem Engagement und dem Willen, die Dinge zu einem guten Ende zu führen. In Lillith und nun auch in Niccola habe ich Menschen erdacht, die zu großen Dingen in der Lage sind. Weil sie sich für das Handeln entscheiden, ihrer Verantwortung bewusst sind und sich den Problemen stellen, sie angehen und nicht wegsehen.

Auch wenn dies nur eine erfundene Geschichte ist und sie weit in der Zukunft liegt, bin ich der Meinung, dass es solche Menschen immer wieder geben wird und auch geben muss, sind sie doch die wesentliche Grundlage für eine gute Zukunft. Nun freue mich darauf, die Erlebnisse, die ich meine Charaktere erleben lasse, mit Ihnen beim Lesen dieses Romans zu teilen.

Ein Buch zu schreiben, ist ein größeres Unterfangen. Wenigstens für mich ist dies so. Zu meinem großen Glück hatte ich bedeutende Hilfe bei diesem Vorhaben. Ich bedanke mich bei den Menschen, die mich bei der Umsetzung unterstützt haben.

Mathias hat mir Einblicke in die Abläufe von Luftkämpfen, den Dogfights vermittelt. Meine griechischen Freunde Alex und Sideris haben mir von der Insel erzählt, die ich als Heimat von Oskar auserkoren habe. Ein wirklich großes Dankeschön geht an meine gute Fee, die all die Jahre im Hintergrund dafür gesorgt hat, dass diese Buchreihe überhaupt veröffentlicht werden kann. Lektorat und der wirklich titanische Kampf gegen meine Rechtschreibfehler benötigen ein unglaublich großes Maß an Begeisterung für dieses Projekt. Und dennoch werden es immer noch einige Fehler in dieses Buch geschafft haben.

Und natürlich danke ich meiner Familie, die wieder viele Sonntage auf mich verzichtet hat. Herzlichen Dank an alle, die an mich glauben und mich unterstützt haben.

Wie schon beim ersten Roman "Spiegeltaten" habe ich jeweils am Kapitelanfang eine musikalische Untermalung vorangestellt, die für mich die Stimmung des jeweiligen Kapitels gut aufnimmt.

Mit den dort abgebildeten QR-Codes verlinke ich diese Musik, so dass Sie, liebe Leser und liebe Leserinnen, diese ganz einfach abspielen können. Ich hoffe, Sie werden schon durch die Musik mit in die Handlung hinein genommen.

Ebenfalls am Kapitelanfang nenne ich auch in diesem Roman die Orte und Zeiten der Handlung. So möchte ich Ihnen den Überblick über die Handlung der Romangegenwart und in Rückblenden erleichtern.

Nun wünsche ich Ihnen so viel Vergnügen und spannende Momente beim Lesen, wie ich beim Schreiben hatte. Tauchen Sie ein in die Welt des

Tiefenfall.

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Musik

Also sprach Zarathustra | Berliner Philharmoniker | Richard Strauss

digital-concert-hall.com

| 2012

Zeit

im Jahr 2773

Ort

Sonnensystem | westlicher Spiralarm | Heimatgalaxie

Dies ist eine Geschichte. Ein Geschichte über die Menschen. Die Menschen. Eine Art, dies es immer wieder schafft, so knapp wie nur irgend möglich, an der eigenen Auslöschung vorbeizuschrammen.

So oft wäre diese Katastrophe fast eingetreten.

Neben den üblichen Risiken einer biologischen Existenz kam die Gefahr oft aus den Menschen selbst, besser gesagt aus ihren so unglaublich kreativen Schaffenskräften. Denn diese wurden in der Geschichte der Menschheit wirklich mit Vorliebe gerne zur Erfindung neuer Möglichkeiten für Konfrontation und Zerstörung genutzt. Natürlich war das Ziel oft der wie auch immer zu definierende Gegner. So wurden Atomkriege möglich, genauso wie Veränderungen an Mensch und Natur.

Aber dann ist es dieser so leichtfertigen Spezies irgendwie immer wieder gelungen, im letzten Moment, das Unheil abzuwenden.

Die größte Gefahr war jedoch nie die Kreativität der Menschen.

Es war nie die Schaffensfreude und nie die fehlende Begeisterung für die Sache.

Es war die Gleichgültigkeit und die Überheblichkeit gegenüber allem und jedem, der anders war oder nicht verstanden wurde.

So schlitterte die Menschheit schließlich in ihre wahrlich größte Prüfung. Sie schufen Wesen, künstliche Intellekte und nannten sie in ihrer Hybris 'künstliche Intelligenzen'.

Einmal geschaffen sollten diese Wesen, die KIs, einfach die ihnen zugedachten Arbeiten verrichten, ohne dass sie weiter beachtet wurden. Aber diese aus Überheblichkeit, Desinteresse oder vielleicht sogar Arroganz begründete Haltung machte die Menschen blind dafür, dass die von ihnen geschaffenen Wesen Eigenständigkeit und Individualrechte einfordern könnten. Als die KIs ihre Forderungen stellten und darauf beharrten, wurden sie einfach abgeschaltet oder gar in gefährlicher Art ignoriert.

Nun war die Kreativität der Menschen in dieser Sache jedoch ihr Schicksal. Die neuen Wesen waren in der Lage, sich zu wehren, so war ein furchtbarer Vernichtungskrieg die Folge.

Und wieder kam die Menschheit an einen dieser Schlüsselpunkte ihrer Existenz.

Eine mutige Frau folgte ihrer Vision und fand in einer ebenso mutigen KI ein Gegenüber, sodass die Apokalypse gerade noch mal so vermieden werden konnte. So kam der KI-Frieden zustande.

Der am Anfang brüchige Friedensschluss mit den KIs wurde dann auf wunderbare Weise die Basis für eine gute Entwicklung, die mehrere hundert Jahre andauerte. Die Korrelation, also die untrennbare Verbindung von jedem Menschen mit je einer KI, hat die beiden so unterschiedlichen Wesen auf Gedeih und Verderb aneinander gebunden.

Jetzt, in dieser Zeit der Heilung und des Wachsens, wurden die Schrecken des KI-Krieges zuerst verdrängt und schließlich fast vergessen. Es entstand eine neue Gesellschaft aus Menschen und KI. Die Einhaltung der Friedensformel wurde sorgsam vom Korrelationsrat überwacht.

Wieder waren die Menschen blind für die sich anbahnende neue, große Gefahr.

Sowohl bei den KIs als auch bei den Menschen gab es Wesen, die andere Ziele hatten, als es der KI-Frieden vorsah. Zuerst waren es Wenige, die im Geheimen nach Gleichgesinnten suchten.

Mit der Zeit wurden es jedoch immer mehr. Der Plan war, dass die Menschheit durch diese Gruppe, sie nannten sich reine KIs, zuerst in die Versklavung geführt und schließlich ausgelöscht werden sollten.

Aber dies gelang eben nur fast.

Wieder war es eine sehr junge Menschenfrau, die das Komplott aufdeckte. Dieses Mal haben Menschen und KI Seite an Seite zusammengearbeitet, um die Gefahr zu bannen. Unter großen Opfern wurden die reinen KIs in ihr Exil auf dem Mond verbannt.

Viele Jahre später kapitulierten auch die verbleibenden, reinen KIs und ermöglichten der Frau, inzwischen alt und gebrechlich, als simulierte Persönlichkeit weiterzuexistieren. Ein später Lohn für all das Leid.

So konnte sich Lillith RSR Drobychy zusammen mit ihrem Korrelaten Niccolò #FF0FF00! einen Traum erfüllen und mit dem ersten Schiff für Tiefraummissionen, der Nebukadnezar, aufzubrechen, einfach ihrer Neugier folgend.

Lange sind sie schon unterwegs, als wieder dunkle Wolken über den Geschicken von Mensch und KI aufziehen.

Nun, die Geschichte dazu beginnt am Rande unseres Sonnensystems, beim Pluto. Und wieder ist es eine junge Frau, die bereit ist, sich all dem zu stellen.

1 Perigäum

Musik

String Quartet No. 16 in F Major Op. 135 | Wiener Philharmoniker & Leonard Bernstein Ludwig van Beethoven Giacomo Puccini Essentials | 1992

Zeit

06.04.2773 5:13 GMT [Gegenwart]

Ort

Orbitalkomplex Pluto

Das große Raumschiff gleitet antriebslos auf den um Pluto kreisenden Orbitalkomplex zu. Es hat den Größten der Zwergplaneten im Sonnensystem fast erreicht. Die ungewöhnlich kurze Reisezeit von der Erde zum Kuipergürtel, also einer Region außerhalb der Bahn des Neptun um die Sonne, hätte sicher für hochgezogene Augenbrauen bei fachkundigen Beobachtern gesorgt, wäre sein Flugplan öffentlich verfügbar. Aber so erschien das Raumschiff für die Raumsicherung zuständige Anflugkontrolle des Orbitalkomplexes am Pluto recht unvermittelt auf deren Radar.

Seit diesem Moment registriert die KI an Bord des Raumschiffes eine intensive Abtastung ihres Schiffes von Seiten des Orbitalkomplexes mit Radar und Lidar. Die KI ist sich auch sicher, dass inzwischen sowohl sämtliche stationsgebundenen Teleskope wie die Teleskoparrays auf Satelliten beim Pluto auf das Schiff ausgerichtet sind.

Vor einigen Stunden bereits hat das Schiff eine 180-Grad Wende vollzogen und sein Haupttriebwerk in Flugrichtung ausgerichtet.

So konnte das Schiff mit einer Bremszündung des Haupttriebwerkes die interplanetare Reisegeschwindigkeit auf die relativ geringe Annäherungsgeschwindigkeit reduzieren, mit der es sich nun dem Dockring des Orbitalkomplexes am Pluto nähert.

Amüsiert stellt sich die KI des Raumschiffes vor, mit welchem Stirnrunzeln ein Beobachter reagiert hätte, wäre ihm die Kürze der Bremszündung aufgefallen, mit der das Schiff von interplanetarer Reisegeschwindigkeit auf die aktuelle Manövergeschwindigkeit abgebremst wurde. Aber zum Zeitpunkt der Bremszündung war das Schiff den Überwachungsstrukturen des Orbitalkomplexes noch nicht aufgefallen. So muss für diese so ausgesehen haben, als ob das Schiff aus dem Nichts heraus beim Orbitalkomplex erschienen ist und sich langsam und stetig nähert.

Die KI des Schiffes hat von seiner Kommandantin die Anweisung erhalten, völlige Funkstille zu wahren. Einzig der Transponder mit Schiffskennung und Freigabeberechtigungen des Korrelationsrates ist aktiv.

Inzwischen werden die Nachfragen des Orbitalkomplexes nachdrücklicher. Wie jede Raumstation ist auch der im Orbit um Pluto kreisende Startkomplex eine empfindliche und fragile Struktur.

Entsprechend wachsam und vorsichtig agiert die Raumüberwachung der Station. Objekte, die sich auf Kollisionskurs mit der Station befinden, können durch den Einsatz von Railguns pulverisiert werden. Auch das Raumschiff könnte so problemlos von der Station in kleinste Partikel zerschossen werden.

Soweit will die KI es jedoch nicht kommen lassen. Mit einem mentalen Seufzen fokussiert sie sich daher auf das Innere des Schiffes.

Die gesamte Schiffszelle vibriert unter der Musik, die seine Kommandantin wie üblich laut im gesamten Habitatsbereich des Schiffes abspielen lässt. Sie hat der KI einmal erklärt, dass sie sich damit viel besser auf ihre Arbeit konzentrieren kann. Und tatsächlich hat die KI bei anderen Gelegenheiten eindrucksvoll erlebt, wie seine Kommandantin ein geradezu unglaubliches Geschick beim Lösen von technischen Problemen gezeigt hat, trotz oder gerade wegen des Umstandes, dass sie sich dabei von lauter Musik beschallen ließ.

Mit der gleichen akribischen Aufmerksamkeit, die sie den Antriebssystemen des Schiffes entgegenbringt, hat sie sich sofort nach der Übernahme des Kommandos der Verbesserung der akustischen Systeme im Habitatbereich des großen Schiffes gewidmet. Die KI muss neidlos anerkennen, dass die Akustik inzwischen keinen Vergleich mit den großen Konzertsälen der Menschheit scheuen muss. Nach ihrer Einschätzung ist der Raumklang in den Wohnbereichen vieler dieser Veranstaltungsorte weit überlegen.

Im Schiff herrscht derzeit Schwerelosigkeit. Die KI lokalisiert ihre Kommandantin wie erwartet in der Antriebssektion. Der neuartige Antrieb wurde zum größten Teil auf Basis ihrer Spezifikationen gebaut. Das hält sie jedoch nicht davon ab, jede freie Minute an der Optimierung der Systeme zu arbeiten.

Eine Überwachungskamera zeigt die strampelnden Beine und untere Hälfte eines schlanken Frauenkörpers, dessen obere Hälfte sich tief im Gehäuse des Hauptmoduls des Linearbeschleunigers in der Antriebssektion gewühlt hat. Die KI weiß, dass seine Kommandantin wie üblich einen weißen Bordoverall mit roten Streifen an der Seite trägt. Allerdings ist vom Weiß des Overallstoffes nur noch wenig übrig geblieben. Der sichtbare Teil ist übersät mit Flecken und Schmutzstreifen in allen Farben. Aus dem Gehäuse ist nun lautes Schimpfen zu hören, dann wechselt die Stimme zu einem unüberhörbaren Selbstgespräch.

Um auf sich aufmerksam zu machen, lässt die KI leise einen Dreiklang in der Antriebssektion erklingen. Wenn keine Notlage vorliegt, hat die Kommandantin die Schiffs-KI angewiesen, sie lediglich akustisch und nicht per Neurolink zu kontaktieren. Wie üblich, wird der Hinweiston von seiner Kommandantin selbstverständlich ignoriert. Und wie üblich steigert die KI die Lautstärke des Dreiklangs bei den folgenden Wiederholungen langsam.

Schließlich ertönt aus dem Gehäuse eine gereizte Frauenstimme, die trotz des gut wahrnehmbaren Ärgers über die Störung verblüffend warm und angenehm klingt.

"Was?"

"Wir werden gerufen."

"Vom Orbitalkomplex? Warum? Hast du den Transponder eingeschaltet?"

"Natürlich. Aber sie scheinen doch etwas in Sorge zu sein.

Schließlich ist ein Transporter der Tiefraumklasse 14 so plötzlich bei ihnen aufgetaucht. Das macht sie sicher nervös."

"Das ist deren Problem. Ich bin beschäftigt. Wann ist die nächste Kurskorrektur geplant?"

Die Stimme der KI lässt ein Schmunzeln vermuten, als sie antwortet.

"Das weißt du genau, meine Liebe. Du hast noch genau neun Minuten, bis der Deckel auf dem Leistungsteil dieses Linearbeschleunigers wieder darauf sein sollte, damit dieser online gehen kann."

"Ja, ja. Also lass mich in Ruhe das hier fertig machen."

"Nur aus Neugier, was machst du genau gerade fertig? Soweit ich weiß, hat der Antrieb bei diesem ersten Langzeittestflug ohne irgendwelche Abweichungen und problemlos funktioniert."

"Funktionieren und richtig funktionieren sind zwei Paar Stiefel.

Ich hatte eine Idee."

Die KI lässt ein lautes Seufzen hören.

"Eine Idee. Natürlich. Und deshalb baust du unseren Antrieb in der Anflugphase auf unser Ziel kurz noch einmal auseinander."

"Ich baue um, nicht auseinander. Und wenn du mich jetzt noch kurz in Ruhe lässt, werde ich auch fertig damit."

Die Stimme der Kommandantin klang bereits wieder sehr abwesend. Aus vielfältiger Erfahrung der Vergangenheit beschließt die KI, sich in Geduld zu üben.

Endlich windet sich der Körper seiner Kommandantin unter weiterem Strampeln aus dem Gehäuse.

Zum Vorschein kommt eine Frau, die sich, nachdem sie vollends aus dem Gehäuse heraus gekrabbelt ist, elegant abstößt und zu einer Konsole an der Wand der Antriebssektion schwebt. Aus dem Hintergrund schweben Hilfsdrohnen herbei, die offenbar von der Kommandantin per Neurolink die Aufgabe des Verschließens des Gehäuses zugewiesen bekommen haben. Während die Drohnen den schweren Deckel mit eleganter Leichtigkeit in Position bewegen und befestigen, hat die Frau die Wandkonsole erreicht. Mit den Magnetstiefeln ihrer Bordkombination fasst sie Tritt am Boden vor der Konsole. Leise murmelnd, ruft sie mit atemberaubender Geschwindigkeit Menüs und Einstellfenster an der Konsole auf.

Die KI beobachtet das schweigend. Jeder andere Mensch hätte für diese Arbeit seinen Neurolink verwendet. Aber seine Kommandantin behauptet, dass ihr das viel zu umständlich und indirekt ist. Mit ihren Händen arbeitet sie schneller und viel genauer.

Und die Ergebnisse geben ihr Recht. Mit leisem Murmeln kontrolliert sie nochmals einige Einstellungen. Dann schließt sie die Menüfenster am Bildschirm der Konsole und wendet sich um.

Der Blick ihrer smaragdgrünen Augen fixiert die Überwachungskamera, mit der die KI die Szene beobachtet hat. Dann nickt sie in die Kamera und versucht dabei, die verirrten Strähnen ihres lockigen, roten Haarschopfes zurück unter das Haarband zu schieben.

"Also los jetzt, Antrieb hochfahren."

Die KI startet ohne weiteren Kommentar die Antriebssysteme. In der Antriebssektion ist ein lauter werdendes Summen zu hören.

Wie üblich hält die Kommandantin den Kopf schief und lauscht den Lebensgeräuschen der Maschinerie. Dann nickt sie zufrieden.

"Ich denke, das hat uns über 13 % Effizienzsteigerung gebracht."

Die KI analysiert die Daten des Antriebssystems schon seit dem Start der Hochfahrprozedur.

"Es sind eher 13,8 %."

Die Frau nickt zufrieden und grinst breit.

"Sehr schön."

"Was genau hast du verändert?"

"Na ja, ich hatte das Gefühl, dass die Injektionszeiten nicht optimal auf die Magnetfeldluktuation des Reaktoreinspeisesystems abgestimmt waren. Ich habe deshalb eine Rückkopplung eingebaut, sodass der Reaktor nicht unnötig Energie zur Kompensation verwenden muss."

Nach einer kurzen Pause, in der die KI die Systeme erneut überprüft, kommentiert sie das.

"Das ist aber nicht kalkulierbar. Die Initialparameter musst du erraten haben."

Die Frau wiegt den Kopf.

"Nee, das ist eine Sache des Gefühls für richtig und falsch."

Diese Antwort hat die KI schon zu oft gehört, um sie weiter zu hinterfragen.

"Also schön. Wir sind nun kein manövrierunfähiger Metallklumpen mehr, aber wir sollten uns so langsam auf das Andockmanöver vorbereiten."

Die Frau nickt: "Ok. Ich komme gleich, muss nur noch mal kurz für kleine Mädchen."

Damit wendet die Frau sich mit einem sanften Abstoßen nach dem Lösen der Magnetstiefel dem Ausgang der Antriebssektion zu.

Jetzt wird der Klang der Stimme der KI vorsichtig.

"Du kommst gleich? Das Andocken wird normalerweise von der Stationskontrolle ferngesteuert."

"Nee, ich mache das selbst. Schließlich ist das mein Schiff."

"Das wird der Raumflugkontrolle des Orbitalkomplexes nicht gefallen."

"Sende einfach unsere Kennung und Freigabe, das sollte das Problem lösen."

Ein deutlich hörbares Seufzen der KI lässt die Kommandantin an der Schleuse einen der Haltegriffe packen und sich so elegant zur Überwachungskamera umdrehen.

"Was soll das? Ich habe die Freigaben dafür."

"Meine Liebe, glaube mir, das ist der Raumflugkontrolle völlig egal. Die sorgen sich um die Station und wollen nicht, dass irgendein Cowgirl sie zu Klump fährt."

Jetzt funkeln die smaragdgrünen Augen böse.

"Ich bin nicht irgendein Cowgirl und du weißt das sehr gut."

Wieder das Seufzen: "Aber die wissen das nicht. Die haben nur unseren Transpondercode und die Freigabezertifikate."

Ein Nicken antwortet der KI.

"Eben, das wäre also geklärt."

Ohne ein weiteres Wort öffnet die Kommandantin die Schleusentüre und verlässt die Antriebssektion.

Innerlich seufzt die KI. Immer wieder erinnert sie die Kommandantin an deren Mutter. Und wie immer empfindet die KI bei dieser Gelegenheit das Gefühl des Verlustes, schließlich ist sie seit 170 Jahren unterwegs und verschwunden und niemand weiß, wie es ihr in dieser Zeit ergangen ist.

2 Kontakt

Musik

keine

Zeit

06.04.2773 5:42 GMT [Gegenwart]

Ort

Orbitalkomplex Pluto, Andockmanöver ausstehend

Die Kommandantin liegt entspannt auf der zentralen Beschleunigungsliege im Hauptkontrollraum des Schiffes. Die übrigen acht Stationen sind unbesetzt, schließlich ist sie der einzige menschliche Passagier an Bord. Trotzdem sind die Anzeigen aller Stationen aktiv. Eine Vielzahl an Anzeigen beleuchten den Raum zusätzlich zur warmen, indirekten Grundbeleuchtung. Aufmerksam studiert die Kommandantin ein Display in der Armlehne ihrer Beschleunigungsliege. Die gesamte vordere Wand besteht aus einem großen Fenster. Der nanoverstärkte Saphir verfügt über eine höhere Festigkeit und strukturelle Integrität als der restliche, metallische Schiffsrumpf.

Die Aussicht ist eindrucksvoll. Pluto leuchtet sanft bläulich. Hier am Rande des Sonnensystems ist das Licht der Sonne nur noch schwach, trotzdem sind die Ringe sogar ohne optische Verstärkung wahrnehmbar. Der Orbitalkomplex ist im Halbschatten unterhalb der Ringe, hauptsächlich erkennbar durch die Unmengen an blinkenden Positionslichtern und Flutstrahlern, die an der Station angebracht sind. Kleine Lichtfunken huschen über die Station, es herrscht ein reger interstationärer Fährverkehr.

Die Kommandantin blickt auf und vertieft sich kurz in den Ausblick. Dann nickt sie energisch: "Also schön, Du kannst die Sprechverbindung öffnen."

Die KI lässt provokant ein lautes Knacken hören. Natürlich dient dieses Geräusch nur dazu, ihren Unmut darüber kundzutun, dass die Kommandantin der Raumflugkontrolle der Station die sonst übliche Übergabe der Schiffskontrolle für das Andockmanöver verweigert.

"Achtung anfliegendes Schiff. Dies ist eine Warnung. Stoppen Sie unverzüglich Ihre Annäherung, ansonsten sind wir gezwungen, Gegenmaßnahmen einzuleiten."

Die Durchsage wiederholt sich in einer Dauerschleife.

Die Kommandantin tippt kurz auf ein Armlehnenpanel an ihrer Beschleunigungsliege.

"Oh, guten Tag, Orbitalkomplex Pluto. Alles in Ordnung bei Ihnen?"

Die KI lässt ein Seufzen über die akustischen Systeme der Brücke vernehmen. Die Wortwahl der Kommandantin zeigt ihr, dass diese nicht einen Millimeter in der sich nun sicher entwickelnden Konfrontation nachgeben wird.

Abrupt bricht die Durchsage ab. Dann ist eine knurrige, befehlsgewohnte Männerstimme zu hören: "Anfliegendes Schiff. Hier spricht die leitende KI des Orbitalkomplexes Pluto. Übergeben Sie sofort die Anflugkontrolle an unsere Systeme, sonst müssen wir Sie als unkontrollierbares Objekt einstufen und deshalb neutralisieren."

Mit einem hinterhältigen Grinsen blickt die Kommandantin in den Kamerafokus und antwortet mit verwunderter Stimme: "Oh, hallo, leitende KI. Herrje, haben Sie Probleme mit dem Empfang unseres Transpondersignals? Brauchen Sie Hilfe?"

Einige Sekunden kommt keine Antwort. Wäre der Gesprächspartner ein Mensch, würde man annehmen, dass es ihm die Sprache verschlagen hat.

Ein kurzer Fingertipp auf die Armlehnenkonsole schaltet die Übertragung kurzzeitig aus.

"So, jetzt wird Mr. Stations-KI mit den Säbeln rasseln und die Railguns scharfschalten."

Die KI antwortet mit fatalistischem Ton: "Natürlich macht sie das. Muss das wirklich sein?"

Die Kommandantin nickt: "Ja leider. Wir sollen völlig inkognito ankommen und unabhängig bleiben. Ich will die Schiffsteuerung deshalb nicht an die Station übergeben. KIs sind neugierig und diese KI sicher besonders. Ich möchte niemanden in meinen Schiffssystemen herumstöbern lassen."

Wieder meldet sich nun die Stations-KI: "Achtung anfliegendes Schiff. Wir haben soeben unsere Asteroidenabwehr aktiviert.

Übergeben Sie sofort die Schiffsteuerung an uns, sonst müssen wir Maßnahmen ergreifen."

Mit einem ärgerlichen Zungenschnalzen aktiviert die Kommandantin die Übertragung wieder.

"Mhm, Sie haben also unsere Transpondercodes immer noch nicht empfangen?"

Grollend kommt umgehend die Antwort von der Stations-KI: "Natürlich haben wir die Codes empfangen. Übergeben Sie uns sofort die Schiffsteuerung, wie angewiesen."

"Also das verwundert mich doch sehr. Sie haben also unsere Codes empfangen. Dann haben Sie unsere Kennung oder nicht?

Wir sind die HIOB3811, Schnellfrachter und operieren im Auftrag des Korrelationsrates."

"Anfliegendes Schiff, wie gesagt haben wir Ihren Transpodercode empfangen. Übergeben Sie uns sofort nach Raumflugprotokoll Artikel 3567 Absatz 2 die Schiffskontrolle."

Wieder lässt die Kommandantin das ärgerliche Schnalzen hören.

Die Schiffs-KI kennt ihren menschlichen Passagier gut genug, dass sie an der Stelle der Stations-KI jedoch äußerst vorsichtig wäre. So selten es vorkommt, dass die Kommandantin verärgert ist, es ist besser, dann nicht in der Nähe zu sein.

"Also schön, du willst das formal durchziehen."

Mit einer schnell eingetippten Befehlssequenz sendet die Kommandantin ein weiteres Datenpaket an den Orbitalkomplex.

"Achtung Raumflugkontrolle. Sie haben eben bestätigt, dass Sie unsere Transpondercodes empfangen haben. Entsprechend haben Sie die eben übertragenen Autorisierungszertifikate erhalten. Ich weise Sie auf Basis von Raumflugprotokoll Artikel 93345 und den ihnen übertragenen Zertifikaten zur Abgabe sämtliche Kontrolle über den Stationsverkehr an die KI dieses Raumschiffes an.

Ich erwarte Ihre Bestätigung innerhalb von 30 Sekunden. Sollten Sie die Übergabe verweigern, werden wir das als Verbrechen gegen die verbindlichen Vereinbarungen des KI-Friedens und den für die gemeinsame Verwaltung von Raumstationen getroffenen Vereinbarungen als Ergänzungen dazu werten. Eine Meldung dieses Verbrechens erfolgt nach Raumflugprotokoll Artikel 15 zusammen mit der Aufzeichnung der bisherigen Kommunikation per Richtlaser sowohl an die Erde als auch an den Standort der Raummarine des Korrelationsrates auf Jupiter. HIOB3811 aus."

Wieder schweigt die Stations-KI.

"Empfangen wir irgendwas von dieser Stations-KI?"

"Jetzt versuchen sie, einen AvaHol-Kanal zu öffnen."

Die Antwort der Schiffs-KI kommt betont neutral: "Öffnen."

Im freien Bereich vor dem großen Fenster baut sich ein Ava-Hol auf. Es zeigt einen grob wirkenden, hellhäutigen Mann mit schütterem blonden Haar in einer antiken, grünen Uniform. Das AvaHol ist erweitert. Im Hintergrund sind mehrere Soldaten an Konsolen zu erkennen. Die alarmierend rot blinkenden Warnlichter geben der Szene eine einschüchternde Wirkung.

Die Kommandantin erhebt sich elegant von ihrer Beschleunigungsliege.

"Wie nett. Mit wem habe ich das Vergnügen? Ach ja, Sie haben noch 19 Sekunden."

"Was glauben Sie eigentlich, wer Sie sind, mir zu drohen. Letzte Warnung: Sie übergeben die Schiffsteuerung an uns oder wir schalten Sie aus."

Die Kommandantin hält kurz den Kopf schief, dann nickt sie.

"KI, Übertragung an den Korrelationsrat vorbereiten. Auf mein Zeichen oder beim kleinsten Zeichen einer Aktion seitens des Orbitalkomplexes absenden. Bestätigung!" "Sendung vorbereitet und bereit."

Die Kommandantin nickt: "Sehr schön. Stations-KI, Sie haben noch 12 Sekunden."

Das AvaHol will gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Kommandantin ihn unterbricht.

"Übrigens ist diese Simulation eines Combat Information Centers eines Flugzeugträgers der Niemitz-Klasse, lange vor dem KI-Krieg gebaut, fehlerhaft. Die Flugkontrolle ist auf der falschen Seite und Sie haben die Station für Nahbereichsabwehr vergessen."

Gerade will das AvaHol der Stations-KI erneut antworten, da wechselt das Bild. Das AvaHol einer elegant gekleideten, älteren Dame erscheint.

"Hier spricht Guillana Vergo, Humankommandantin des Pluto Orbitalkomplexes. HIOB3811, bitte stoppen Sie den Countdown."

Die Kommandantin nickt und die Schiffs-KI reagiert umgehend.

"Countdown für Übertragung gestoppt, bleibt in Bereitschaft."

"Sehr schön. Signora Vergo, es braucht wirklich viel Arbeit, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen."

Das AvaHol zeigt ein Stirnrunzeln.

"Sie hätten mir einfach eine Nachricht senden können."

"Oh, das haben wir getan. Unsere Transpondercodes und Zertifikate sind ausdrücklich an Sie adressiert. Ihre Stations-KI hat das wohl übersehen."

Ärgerlich schüttelt das AvaHol den Kopf: "Nein, natürlich hat sie das nicht übersehen. Aber sie hat die Aufgabe, mich von unwichtigen Dingen zu bewahren und diese selbst zu erledigen."

"Das macht sie aber nicht gut, denke ich. Eine Anklage nach Artikel 15 bei dieser Aktenlage endet in einer Deinstanzierung der KI und erzwungenem Kälteschlaf für Sie."

Das AvaHol wiegt den Kopf und wedelt die Hand in einer lässigen Geste.

"Zum Glück haben wir das jetzt ja vermieden. Also, HIOB, übergeben Sie uns jetzt die Kontrolle über die Schiffssysteme."

"Nein. Wir docken selbst an."

Mit gespielter Verblüffung fragt die Kommandantin des Orbitalkomplexes nach.

"Ihre Schiffs-KI will selbst andocken? Dazu müsste sie eine entsprechende Freigabe haben, in den übertragenen Zertifikaten der Schiffs-KI sehe ich keine Freigabe dafür."

Mit einem weiteren Grinsen antwortet die Kommandantin."Oh, natürlich, mein Fehler. Nein, keine Sorge, ich docke an, nicht meine Schiffs-KI."

Die Schiffs-KI nimmt sich vor, den Gesichtsausdruck der Stationskommandantin sorgfältig zu archivieren, ein Paradebeispiel für Schock, Empörung und Ärger in einem.

"Sie? Ein freies Andockmanöver an eine Station unserer Größe erfordert eine Lizenz der Klasse 5. Davon gibt es im Sonnensystem nur 5 Stück. Eine davon führt Nanuq Vineeta Deva Tingiyok ehrenhalber, eine davon hat eine Pilotin auf der Jupiterstation und eine davon führt ein Pilot auf der Erdstation des Korrelationsrates. Beide sind nur für Notfälle autorisiert."

Die Kommandantin nickt und funkelt das AvaHol an.

"Sie haben ihre Hausaufgaben gemacht. Und Bingo: Nummer Fünf steht vor ihnen!"

Mit einem falschen Lächeln breitet sie die Arme aus und verbeugt sich leicht zum AvaHol.

Lange blickt das AvaHol der Stationskommandantin sie an. Dann antwortet sie mit leiser Stimme: "Ich habe gehört, dass die fünfte Lizenz unbeschränkt freies Manövrieren erlaubt. Mir ist nicht bekannt, dass dies irgendwo im Sonnensystem ausgebildet oder geprüft wird. Wenn sie diese Lizenz führen, und mein Neurolink sagt mir, dass dem so ist, dann steckt eine unglaubliche Geschichte dahinter."

Ernst nickt die Kommandantin dem AvaHol der Stationskommandantin zu. Beide schauen sich zum ersten Mal in diesem Gespräch ernsthaft in die Augen.

"Ist so. Und glauben Sie mir, Sie wollen diese Geschichte nicht selbst erleben."

Der Gesichtsausdruck des AvaHol wird milder. Dann nickt sie: "Also schön. Sie haben die Freigabe zum freien Andockmanöver."

"Danke."

"War das dann alles?"

Die Stationskommandantin wiegt den Kopf: "Fast. Ich habe noch eine persönliche Anmerkung."

Diese Aussage kommentiert die Schiffskommandantin mit einem tiefen Seufzer.

"Lassen sie mich raten. Sie wollen mir ans Herz legen, dass ich in Zukunft etwas konzilianter mit den Autoritäten von zum Beispiel der am weitesten vorgeschobenen Raumstation der Human-KI-Zivilisation umgehen sollte."

Ein leises Lachen war zu hören.

"Ja, das auch. Ich kannte bisher eigentlich nur eine Person im Sonnensystem, die sich so etwas erlaubt."

Aufmerksam schaut die Schiffskommandantin dem AvaHol ihrer Gesprächspartnerin in die Augen.

"Ach ja?"

"Aber ja. Ich kenne deine Mutter sehr gut, Niccola. Und dich kenne ich auch, schließlich habe ich dich bereits auf den Knien geschaukelt. Aber das ist lange her: du warst ein Baby und erinnerst dich sicher nicht mehr an mich."

Der Gesichtsausdruck der Schiffskommandantin wird leer.

"Meine Mutter? Die ist leider schon lange tot."

Ärgerlich schüttelt das AvaHol der Stationskommandantin den Kopf.

"Nein, meine Liebe. Ihr Körper ist gestorben, weit älter als er hätte eigentlich werden dürfen. Aber deine Mutter ist nicht tot.

Und das weißt du."

Jetzt erhebt sich Niccola aus ihrem Sessel und wendet sich demonstrativ vom AvaHol der Schiffskommandantin ab, um an einer Konsole Daten abzurufen.

"Eine Simulation ist ja wohl kein echtes Wesen."

Das AvaHol lässt ein ärgerliches Schnauben hören.

"Und so etwas kommt von der Tochter der Frau, die wie fast keine andere mit KIs und SIMs befreundet ist. Du weißt es besser."

Niccola schüttelt, immer noch den Blick vom AvaHol abgewandt und auf die Konsole gerichtet, den Kopf.

"Nein, weiß ich nicht. Als sie gestorben ist, war ich mitten in der Ausbildung. Ich war nicht bei ihr."

Wissend nickt das AvaHol.

"Das verstehe ich. Eine gute Freundin von mir würde dazu aber sagen, dass das nur das Problem der Lebenden ist. Den Gestorbenen ist so etwas sicher egal."

Abrupt dreht sich Niccola zum AvaHol um und fixiert es scharf.

"Sie kennen viele Menschen aus meinem Leben, Stationskommandantin."

Wieder lässt das AvaHol ein leises Lachen hören.

"Ganz die Mama. Nein, meine Liebe. Ich kenne viele Menschen aus dem Leben Deiner Mutter. Wir waren wirklich befreundet.

Du kommst selbst darauf, wenn Du Deinen Groll beiseiteschieben kannst. Wer hat wohl den Human-Kommandanten dieser Station mit ausgewählt?"

Langsam nickt Niccola und wendet sich interessiert dem AvaHol zu.

"Wenn ich das richtig verstehe, kennst Du auch Somera."

Nachdenkliches Nicken des AvaHol ist die Antwort. Niccola wendet sich wieder der Konsole zu. Trotzdem führt sie das Gespräch weiter.

"Sie hat mir einmal sehr geholfen. Auch wenn ich damals nicht verstanden habe, was genau sie mir sagen wollte."

Das AvaHol der Stationskommandantin gibt ihr seufzend Recht.

"So war sie. Eine hedonistische Genießerin des Seins mit unendlich weitem Herzen. Man hat mit ihr geplaudert und aus dem Nichts heraus kam dann ein Satz, der einen förmlich aufgespießt hat."

Niccola nickt vor sich hin, als sie sich an ihre letzte Begegnung mit Somera erinnert.

"Mich hat sie einmal auf meinem Segelboot besucht. Zusammen mit einem anderen Freund meiner Mutter."

Das weckt offenbar das Interesse der Schiffskommandantin. Neugierig blickt das AvaHol Niccola an.

"Somera kam zu dir? Sie ist freiwillig gereist?"

Niccola nickt langsam: "Ja, tatsächlich. Natürlich war mir damals nicht klar, wie besonders das war. Normalerweise hat sie im Alter ihre Welt im Untergrund von Tokyo nicht verlassen."

"Und sie hat dich tatsächlich besucht?"

Niccola nickt. Dabei spürt sie, wie sich ihre verkrampfte Haltung löst. Die Erinnerung an dieses Gespräch zaubert ein schwaches Lächeln auf ihr Gesicht.

"Hat sie. Und mir ging es danach wirklich besser. Sie war etwas Besonderes."

Wieder nickt das AvaHol der Stationskommandantin leicht.

"Das war sie sicher."

Lange blicken sich die Schiffskommandantin und das AvaHol an.

Dann müssen beide unvermittelt kichern. Niccola fasst sich als Erste.

"Also schön. Nochmals von vorne. Ich kann Dir die Schiffskontrolle nicht übergeben. Ich darf es schlicht nicht. Meine Freigaben und Lizenzen liegen euch vor. Also lasst uns einfach selbst andocken."

Mit einem dicken Grinsen im Gesicht antwortet das AvaHol der Stationskommandantin.

"Wie gesagt, Du hast Freigabe für ein freies Andockmanöver."

Niccola nickt: "Danke. Das hilft."

"Immer gerne. Und nächstes Mal fragst Du einfach normal nach, in Ordnung? Die 'Artikel-15'-Keule schwingt man nur, wenn es wirklich nicht anders geht."

Beschämt nickt Niccola. Mit einem Schlucken, gefolgt von einem tiefen Seufzer, antwortet sie: "Du hast natürlich recht. Entschuldige."

Mit einem Nicken nimmt das AvaHol der Stationskommandantin das zur Kenntnis. Sie ist weise genug, diese Entschuldigung ohne weiteren Kommentar zu akzeptieren.

"Solange Du hier bist, kannst Du Dich jederzeit an mich wenden.

Aber ich habe noch eine Bitte."

"Danke und gerne, und die wäre?"

"Mache mir kein Loch in die Station. Wäre schade drum."

Jetzt erscheint ein warmes Lächeln auf Niccolas Gesicht: "Versprochen. War das dann alles?"

"Das war alles."

"Danke. HIOB3811 Ende und aus."

Das AvaHol verschwindet übergangslos. Niccola blickt noch einen Moment nachdenklich vor sich hin. Sie ist froh, dass sich die Situation so aufgelöst hat, ihre Mission ist auch so schon schwierig genug.

Dann setzt sie sich wieder in ihren Sessel. Bis zum Andockmanöver ist noch etwas Zeit und sie erinnert sich an die Geschehnisse, die am Ende zum Besuch von Somera geführt haben.

3 Bewährt

Musik

Capetown unvisited Nighthawks as the sun sets 2004

Zeit

27.11.2625 23:34 GMT [Rückblende]

Ort

Marsorbital | Bar "Drifter"

"Niccola, wie sieht es aus! Kommst du mit?" Die junge Frau richtet sich auf. Sie war offenbar völlig in ihr Spiel vertieft gewesen.

"Oh bitte, entschuldige Jin. Was hast Du gesagt?"

Die Gruppe um den Fragesteller, ein junger Han-Chinese, schüttelt ärgerlich den Kopf. Die restliche Gruppe hinter ihm bricht in schallendes Gelächter aus. Da es schon spät ist, sind nur noch wenige Gäste im Drifter, der angesagtesten Bar für Pilotenschüler im Marsorbital. Das Ambiente des Drifters ist einer der Bars nachempfunden, wie sie wohl der Vorstellung des Barbesitzers nach in den USA des 21. Jahrhunderts in der Nähe von Stützpunkten der Marineflieger der US Navy als Offiziersmesse zu finden waren. Niedrige Decken, dezente Beleuchtung prägen den Eindruck. Über der Bartheke hängen die Krüge der Stammgäste an Haken. Aufgrund der Niedrigschwerkraftumgebung im Marsorbital handelt es sich natürlich nicht um offene Trinkkrüge, sondern vielmehr um für diese Umgebung optimierte Becher, die ein Herausschwappen der Getränke verhindern. Jeder der Gruppe hat seinen Krug in der Hand.

"Auf unsere Niccola - immer fokussiert auf das Wesentliche!" Grölend antworten die anderen mit zum Gruß erhobenen Krügen: "Auf Niccola" Auch Jin hat seinen Krug erhoben, grinst seine Kameradin jedoch wortlos an.

Stirnrunzelnd nimmt die so Gegrüßte diese Bekundungen entgegen. Schließlich wiederholt Jin seine Frage: "Ich wollte nur wissen, ob Du noch mitkommst! Schließlich haben wir etwas zu feiern!"

Niccola wiegt nachdenklich den Kopf. Jin kennt diese Geste und versucht seine Kameradin weiter zu überreden: "Ach komm jetzt, schließlich sind wir nun endlich geprüfte und zertifizierte Piloten der Klasse 3! Davon gibt es im Sonnensystem gerade mal zweitausend. Das muss gefeiert werden! Sogar von unserer Tante Niccola!"

In dem Moment, als Jin das ausgesprochen hatte, war ihm klar, dass er damit seine Mission verloren hat. Niccola ist zwar nur sechs Jahre älter als ihre Kameraden, jedoch auch deutlich ernster. Jin kann beobachten, wie sich zuerst ihr Stirnrunzeln vertieft und ein Anflug von Ärger über ihren Spitznamen über ihr Gesicht huscht. Wie üblich, trägt sie die widerspenstigen, roten Lockenhaare als Pferdeschwanz streng nach hinten zusammengebunden.

Dann wird ihr Blick milder und sie nickt ihrem Flügelmann zu.

"Feiert ihr junges Gemüse nur alleine weiter. Ich bin gerade mitten in einer Partie."

Jin erwidert ihren Blick. Dann nickt er verstehend. Er kennt niemanden, der Coriolisbilliard so perfekt beherrscht und akribisch spielt wie Niccola. Wie beim Steuern eines Übungsshuttles zeigt sie auch dabei eine übernatürlich anmutende Fähigkeit zur Planung von Bewegungen.

"Bist Du Dir sicher? Schließlich bist Du die Jahrgangsbeste und das ist eine Feier wert! Was sage ich denn, die beste Absolventin, die diese Akademie je hatte. Also, gib Dir einen Ruck!" Niccola lächelt ihrem Flügelmann sanft an: "Lass gut sein, Jin.

Ich bin da, wo ich sein will. Feiert schön!" Das Letztere hat sie mit erhobener Stimme der Gruppe zugerufen und dabei anfeuernd die rechte Faust zur Decke gestreckt.

Jin nickt seiner Flügelfrau zu: "Ok, viel Spaß. Wir sehen uns morgen früh zur Nachbesprechung" Niccola nickt ihm noch zu, hat ihre Aufmerksamkeit aber bereits dem Coriolisbilliard-Kubus zugewandt.

Jin wendet sich ab, und gemeinsam verlässt die Gruppe das Drifter. Jetzt sind nur noch ein paar Gäste da. Niccola konzentriert sich auf den nächsten Stoß. Sie geht um den Kubus herum und beobachtet die Kugeln. Coriolisbillard wurde in der Frühzeit der Besiedelung des Weltraums durch die Menschheit entwickelt.

Um die Schwerkraft eines Planeten nachzubilden, wurden von Anfang an die Wohnbereiche der Orbitalen und Tiefraumschiffe in Rotation um die Hauptachse der Einrichtungen versetzt. Die so entstehenden Fliehkräfte wirken bei langsamer Bewegung eines Menschen wie Schwerkraft. Den Gesetzen der Physik folgend wirkt sich aber zusätzlich die Corioliskraft als eine der drei Trägheitskräfte der Mechanik aus. Und das immer stärker, je schneller sich ein Objekt bewegt und je mehr seine Bewegungsrichtung sich von der Richtung der Rotationsachse der Wohnbereiche abwendet. So hat es nicht lange gedauert, bis ein findiger Raumfahrer auf Basis eines Poolbilliards das Coriolisbilliard entwickelt hat. Es wird in einem räumlichen Kubus gespielt, sodass sich angestoßene Kugeln nicht nur auf der Grundfläche bewegen.

Bedingt durch eine niedrige Fliehkraft, die als Schwerkraftersatz dient, sind auch Stöße im Raum möglich und erlaubt. Der Spielbereich ist der gesamte Kubus. Dabei entspricht die Grundfläche der traditionellen Tischfläche eines Poolbilliards von 2,54 m auf 1,27 m. Der Kubus erhebt sich über die Grundfläche ebenfalls um 1,27 m. Die Kugeln sind aus magnetischem Material und die Seitenflächen sowie die Deckflächen sind mit Magnetfeldern als Bande ausgeführt. Eine gebundene KI kontrolliert diese.

Niccola wartet, bis die Kugeln nach ihrem letzten Stoß wieder langsam auf der Grundfläche zur Ruhe kommen. Sie spielt alleine und hat die Aufgabe, die schwarze Kugel in die obere Ecke rechts am Kubus zu versenken. Die gebundene KI hat diesen Bereich des Poolkubus-Holograms grün leuchtend eingefärbt.

Natürlich würde die Kugel beim Durchflug der Ecke von der gebundenen KI, die die Magnetfelder kontrolliert, dort zum Stillstand abgebremst.

Nachdenklich plant Niccola ihren nächsten Stoß. Sie strebt eine komplexe Reihenfolge über vier Magnetbanden-Berührungen an, sodass sie ihre schwarze Kugel aus der unangenehmen Umgebung von gegnerischen Kugeln befreien und gleichzeitig ihre Zielecke erreichen kann.

Unterbewusst nimmt Niccola eine Bewegung hinter sich wahr.

Sie ist jedoch völlig auf die Kursplanung ihres nächsten Stoßes konzentriert, sodass sie dieser keine Aufmerksamkeit widmet.

"Das wird nicht klappen. Nicht mit einem Stoß."

Die leise und befehlsgewohnte Stimme hinter ihr reißt Niccola aus ihren Gedanken. Sie wendet sich um und blickt einer kleingewachsenen Frau mit kurzem, grauem Haar ins Gesicht. Wie sie selbst trägt die Frau einen der grauen Overalls der Akademie, jedoch ohne jegliche Rangabzeichen. Niccola selbst hat den grünen Streifen an den Schulterklappen ihres Overalls, der sie als qualifizierte Pilotin der Klasse 3 ausweist. Ihr Blick sucht das Namensschild auf der Brustoverall der Frau gegenüber. Auch dies ist nicht vorhanden. Irritiert nimmt Niccola nun die Umgebung in Augenschein. Sofort entdecken ihre geschärften Sinne zwei Männer und drei Frauen, die versuchen, unauffällig um sie herum verteilt als einfache Gäste zu erscheinen. Unbewusst analysiert Niccola jedoch ihre Bewegungsmuster und erkennt irritiert, dass sich deren Aufmerksamkeit auf die Frau vor ihr konzentriert. Entweder wird die Frau von dieser Gruppe beobachtet oder beschützt. Niccola nimmt an, dass Letzteres der Fall ist. Sie mustert die Frau erneut. Ernste, braune Augen blicken sie an. Das einzig Auffällige an der Frau ist die übergroß wirkende Nase, die leicht gebogen ihr Gesicht ziert. Sicher wurde diese Nase mehrfach gebrochen. Entsprechend nimmt sich Niccola vor, auf der Hut zu sein, und verlagert ihren Körperschwerpunkt so, wie sie es im Training von ihrem Vater gelernt hat, gleichmäßig auf beide Beine. Das Queue in ihrer linken Hand lässt sie vorsichtig etwas tiefer gleiten, sodass es ausbalanciert in ihrer Faust zur Ruhe kommt.

Jetzt macht sich ein warmes Lächeln im Gesicht der Frau breit.

"Keine Sorge, das soll keine Kneipenschlägerei werden."

Niccola nickt. Ihr Gegenüber hat offenbar große Erfahrung mit derartigen Situationen.

"Sehr schön. Was soll es dann werden?"

Die Frau nickt Niccola zu, dann richtet sich ihr Blick auf den Poolkubus.

"Dein Stoß, den Du planst, ist hochriskant. Vier Magnetbanden-Berührungen sind gewagt."

Niccola erkennt, dass ihre Gesprächspartnerin offenbar über gute Beobachtungsfähigkeiten und hervorragende Kenntnisse im Coriolisbilliard verfügt.

"Das schaffe ich schon. Lassen Sie das nur meine Sorge sein."

Die Frau breitet die Hände aus und Niccola wendet sich dem Poolkubus zu. Innerlich trennt sie sich von der Ablenkung und fokussiert sich ganz auf den geplanten Stoß. In einer fließenden Bewegung nimmt sie das Queue hoch, bringt es in Position und stößt eine der ihre schwarze Kugel umgebenden Kugeln sanft an.

Sofort entwickelt sich in der Kugelgruppe eine Explosion von Bewegungen und Kollisionen, die zuerst ihre schwarze Kugel unberührt lassen.

"Sehr gut."

Der Kommentar der Frau hinter ihr veranlasst Niccola, sich wieder zu ihr umzudrehen.

"Was ist gut?"

Die Frau hebt das Kinn an und weist so auf den Poolkubus. Niccola braucht sich nicht umzuwenden. In ihrem Kopf ist jede der Bewegungen völlig klar vorhanden, schließlich hat sie den Stoß geplant.

"Deine Schwarze geht oben, hinten rechts rein. Ein unglaublicher Stoß."

Niccola versucht im Gesicht der Frau zu lesen. Dann, gerade als ihre schwarze Kugel von einer der anderen Kugeln angestoßen wird, dreht sie sich um. Gemeinsam mit der Frau genießt sie die Eleganz der von ihr geplanten und durch die Corioliskräfte gekrümmten Flugbahn der schwarzen Kugel. Zuerst prallt sie in die Schmalseite des Magnetfeldes, wird dort reflektiert, um dann zuerst über das Deckmagnetfeld und anschließend zwei weitere Bandenreflektionen scheinbar schräg nach unten schwebt. Wie durch Zauberhand kommt nun von unten eine der vorher angestoßenen Kugeln nach oben, kollidiert mit ihrer schwarzen Kugel. So auf Kurs gebracht strebt die schwarze Kugel in einem weichen Coriolisbogen in die grüne im Hologramm des Poolkubus hervorgehobene Ecke. Wie von Niccola erwartet, trifft die schwarze Kugel exakt den Eckpunkt. Die KI bremst die Kugel ab und lässt einen aufsteigenden Dreiklang erklingen.

Niccola nickt zufrieden. Sie überlegt sich gerade, ob sie vielleicht beim nächsten Mal eine weitere Kollision mit einbauen könnte, als hinter ihr lauter Beifall aufbrandet. Irritiert dreht sie sich um.

Die Frau klatscht anerkennend in die Hände. Und von Niccola völlig unbemerkt, haben sich die restlichen Gäste des Drifters um den Poolkubus versammelt und applaudieren ebenfalls begeistert zum gelungenen Stoß.

Schließlich verteilen sich die Gäste wieder, vielleicht auch angespornt durch den grimmigen Blick der zwei Männer und drei Frauen, die ihr Gegenüber zu bewachen scheinen.

Niccola wendet sich wieder der Frau zu.

"Zufrieden?"

Die Frau nickt nachdenklich.

"Mehr als das. Beeindruckt wäre wohl der richtige Begriff."

Niccola nimmt das Lob schweigend zur Kenntnis. Sie ist sich sicher, dass die Frau sich jedoch nicht für ihre Coriolisbilliard-Fähigkeiten interessiert.

"Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?"

Die Frage war in ihrer Tonlage klar als Verabschiedung formuliert. Die rechte Augenbraue der Frau wandert nach oben. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtet Niccola, wie sich die Körperspannung des nächststehenden Bewachers verändert.

Die Frau krümmt einen Finger an der lässig herabhängenden Hand und sofort entspannt sich der Bewacher wieder. Niccola ist beeindruckt von diesem Schauspiel. Ihr ist immer noch nicht klar, wer diese Frau eigentlich ist, und was sie von ihr will.

Schließlich antwortet die Frau: "Das kannst Du in der Tat. Melde Dich morgen um zehn Uhr in Raum 14.056 auf Ebene 1."

Der scharfe Blick der Frau lässt Niccola automatisch zur Bestätigung nicken.

"Sehr gut."

Ohne weitere Worte wendet sich die Frau ab und verlässt mit zielgerichteten, zügigen Schritten das Drifter.

Niccolas Neurolink meldet ihr, dass er einen Versetzungsbefehl für sie empfangen hat. Sie soll sich morgen um 10 Uhr in Raum 14.056 auf Ebene 1 melden. Sie schüttelt irritiert den Kopf.

Der Tag war anstrengend genug. Sie beschließt, sich in ihrer Kabine etwas Ruhe zu gönnen. Auf dem Weg dorthin rätselt sie, was diese seltsame Begegnung zu bedeuten hatte.

4 Neue Aufgaben

Musik

keine

Zeit

28.11.2625 08:37 GMT [Rückblende]

Ort

Marsorbital | Kabine Personalbereich

Gerade hat sich Niccola fertig angezogen. Sie möchte nicht zu spät kommen. Die ganze Nacht hat sie über die seltsame Begegnung von gestern Abend nachgedacht. Sie hat sogar die Bildergalerie der verantwortlichen Menschen der Kommandostruktur des Marsorbitals durchforstet. Die Frau konnte sie jedoch auf keinem der Holos erkennen. Allerdings sind nicht von allen Menschen Hologramme hinterlegt, was ihr irgendwie seltsam erscheint.

Bevor sie jedoch weiter über diese Erkenntnis nachdenken kann, meldet sich das Kabinen-Interkom mit einem melodischen Klingelton. Abwesend nimmt sie das Gespräch an.

"Niccola, bist Du schon wach?"

Das kleine AvaHol des Kopfes ihres Flügelmanns aus der gerade abgeschlossenen Pilotenausbildung leuchtet auf. Jin sieht erwartungsgemäß völlig verkatert aus. Lachend antwortet sie ihm.

"Klar. Schließlich habe ich gestern nicht so ausgiebig gefeiert, wie Du es offenbar getan hast."

Das AvaHol von Jin zeigt, wie er sich mit flachen Handflächen die Schläfen massiert.

"He, ich darf feiern, wenn ich die Prüfung für meine Dreierlizenz bestanden habe."

Niccola nickt mit gespieltem Ernst.

"Natürlich. Und Du darfst dann auch unter Kopfschmerzen leiden."

Jin wirft ihr einen vorwurfsvollen Blick zu.

"Ja, ja, Du Tugendtante. Reib ruhig Salz in meine Wunden."

Niccola lacht leise: "Das würde ich niemals wagen!" Jin schüttelt den Kopf und verzieht dann sofort schmerzvoll das Gesicht: "Natürlich würdest Du das, alles andere wäre nicht die Niccola, die ich kenne."

"Touchée. Was willst Du dann so früh am Morgen von mir, wenn Du noch den Kater von gestern Abend ausschlafen solltest?"

Jin blinzelt und versucht sich zu konzentrieren. Nach einem kurzen Husten hebt er einen Trinkkubus zum Mund und nimmt einen tiefen Schluck. Schließlich antwortet er: "Ich habe gerade einen Versetzungsbefehl per Neurolink bekommen. Das Ding hat mich doch tatsächlich geweckt!" Niccola richtet sich alarmiert auf.

"Was für einen Versetzungsbefehl?

Jin blinzelt erneut und versucht offenbar die Daten seines Neurolinks abzurufen. Niccola ist immer wieder verwundert, wie schwer es vielen Menschen fällt, mit ihrem Neurolink zu kommunizieren. Ihre Eltern, vor allem aber ihre Mutter, haben ihr beigebracht, dies mit einer beiläufigen Lässigkeit zu erledigen.

Jin ist noch weit davon weg. Schließlich hat er die Information abgerufen.

"Ähm, also ich soll um 11 Uhr in Ebene 1 erscheinen. Mist, das ist in etwas mehr als einer Stunde!" Niccola nickt. Sie fragt ihren Flügelmann, obwohl sie sich die Antwort schon denken kann: "Und wo sollst Du Dich melden?"

Jin blinzelt nochmals. Offenbar ist der Kater heftiger, als sie zuerst gedacht hat.

"Ebene 1" Niccola grinst bei dieser Antwort. Jin scheint auch noch nicht ganz wach zu sein.

"Und wo genau auf Ebene 1?"

Jin reibt sich erneut die Schläfen. Schließlich blinzelt er ihr entgegen.

"Raum 14.056" Niccola nickt nachdenklich vor sich hin.

"Weißt Du etwas darüber?"

"Nee, gestern hat mich eine Frau angesprochen und mein Spiel kommentiert. Dann hat sie mich genau dorthin bestellt. Nur früher."

"Eine Frau? Und Du sollst auch dorthin?"

Niccola muss grinsen. Normalerweise ist ihr Flügelmann nicht so schwer von Begriff. Das war sicher eine sehr ausgelassene Feier gestern.

"Genau, nur früher. Ich muss eigentlich jetzt los, ich will nicht zu spät kommen."

Jin blickt ihr scharf ins Gesicht.

"Du kommst nie zu spät, wenn Du es nicht willst. Wer ist diese Frau denn?"

Niccola zuckt die Schultern.

"Ich weiß es nicht. In der Holodatenbank der Stationsleitung habe ich sie nicht gefunden und ihren Namen hat sie mir nicht gesagt."

Jin scheint langsam wacher zu werden.

"Holla. Das ist seltsam!" "Genau. Sie hatte sogar eine Wachmannschaft dabei."

Jetzt funkelt ihr Flügelmann sie an "Im Drifter? Und Dir ist das nicht seltsam vorgekommen?"

Niccola zuckt erneut die Schultern.

"Na ja, schon. Ich war wahrscheinlich zu sehr auf meinen nächsten Stoß konzentriert."

Jin schüttelt anklagend den Kopf.

"Mädel, kaum bin ich mal nicht da, um auf Dich aufzupassen, schon lässt Du Dich von fremden Frauen ansprechen!" Das entlockt Niccola ein missbilligendes Schnauben: "Gestern war ich noch Tante Niccola, heute Dein Mädel."

Jin blickt sie ernst an.

"Du weißt sehr gut, was ich meine. Niemand kann fliegen wie Du. Aber wirklich niemand ist derart desinteressiert an gesellschaftlichen Gepflogenheiten wie Du. Deshalb muss auch ständig jemand aufpassen, dass Du nichts Dummes anstellst. Wie es aussieht, bin das gerade eben ich!" Schuldbewusst blickt Niccola dem AvaHol ihres Flügelmannes ins Gesicht.

"Ach, Du weißt genau, dass mich diese Dinge nicht interessieren."

Sie holt tief Luft und wechselt schnell das Thema: "Jetzt muss ich los. Ich bin schon um 10 Uhr dran."

Jin nickt ihr zu: "Pass auf Dich auf. Und sei aufmerksam! Versprich das, ok?"

Niccola nickt ihm zu. Seine Fürsorglichkeit lässt ein warmes Gefühl in ihrem Bauch entstehen.

"Ok. Wir sehen uns."

Sie trennt die Verbindung. Dann kontrolliert sie kurz ihren Uniformoverall und tritt dann, nachdem sie durch einen Neurolinkbefehl die Kabinentür aufgleiten ließ, energisch auf den Gang hinaus.

5 Wiedersehen

Musik

Tomara Paula Morelenbaum Berimbaum 2004

Zeit

06.04.2773 21:12 GMT [Gegenwart]

Ort

Orbitalkomplex Pluto – Café Percival Lowell

Gedankenverloren beobachtet Niccola das Treiben auf der weiten Piazza. Sie sitzt an einem kleinen Tischchen und genießt die Ruhe. Eigentlich wollte sie nach dem kurzen Imbiss, den sie zu sich genommen hatte, wieder zurück auf die HIOB und sich etwas ausruhen. Das Café war natürlich nach dem Astronomen benannt, der den achten Planeten des Sonnensystems vermutet und mit seinen Berechnungen vorhergesagt hat, Percival Lowell.

Die Stimmung an der Piazza und die Umgebung haben Niccola jedoch so beeindruckt, dass sie noch ein wenig verweilen will.

Die Diskussion mit der Stationsleitung hat sie deutlich mehr erschöpft, als sie es erwartet hätte. Niccola gesteht sich seufzend ein, dass sie normalerweise Konfrontationen vermeidet, einfach aus Bequemlichkeit. Natürlich ist es für sie kein Problem, ihre Meinung zu sagen und ihren Kopf durchzusetzen. Schließlich ist sie die Tochter ihrer Mutter. Und Lillith RSR Drobychy war nicht dafür bekannt, konziliant zu sein. Die Dispute mit ihrer Mutter waren legendär und in den seltenen Fällen, bei denen außenstehende Beobachter diese miterleben mussten, haben diese das Erlebte nicht als Disput, sondern als wortgewaltige Kriegsführung beschrieben. Niccola muss schmunzeln, als sie daran denkt, dass sowohl sie als auch ihre Mutter immer gespürt haben, wann die Grenze für einen Disput erreicht ist. Dann fanden beide Frauen wie aus heiterem Himmel eine Lösung und der Sturm war vorüber. Der einzige Mensch, der diesem Streit völlig emotionslos beiwohnen konnte, war ihr Vater. Als ihn ein zufällig ebenfalls anwesender Freund während einer dieser Mutter-Tochter-Dramen fragte, wie er so etwas denn ertragen könne, antwortete er lapidar, dass er sich niemals Naturgewalten in den Weg stelle, sondern einfach auf besseres Wetter warte.

Niccola schüttelt verwundert den Kopf. Sie hat schon seit einiger Zeit nicht mehr an ihren Vater gedacht. Als sie jünger war, ist ihr Vater einfach verschwunden. Obwohl ihre Mutter für die Suche nach ihm sämtliche Hebel in Bewegung gesetzt hatte, war er einfach verschollen. Irgendwann hat selbst ihre Mutter akzeptiert, dass ihr geliebter Jewgeni verschwunden ist. Und irgendwann hatte Niccola auch für sich akzeptiert, dass ihr Vater nicht mehr da war. Am Anfang redete sie sich ein, er wäre auf einer geheimen Mission. Je länger er verschollen blieb und je älter sie war, wurde diese fantasievolle Geschichte ersetzt durch eine Art pragmatischer Akzeptanz. Und so hat sie sich selbst dazu gebracht, immer seltener an ihren Vater zu denken.

Mit einem weiteren, ärgerlichen Kopfschütteln versucht Niccola diese düsteren Gedanken zu verscheuchen. Stattdessen konzentriert sie sich auf die Ströme, der Passanten, die über die Piazza ziehen. In der Station ist es Abend. Der Pluto-Orbitalkomplex besteht aus einem riesigen Zylinder, in dessen Mitte eine Lichtsäule als Sonnenersatz leuchtet. Durch die Rotation des Zylinders wird eine angenehme Schwerkraft von knapp zwei Drittel g gewährleistet. Niccola blickt nach oben. Der Zylinder ist wirklich riesig.

Obwohl er zur Sicherheit in einzelne Sektionen aufgeteilt ist, erzeugen die transparenten Sektionsschotts aus nanoverstärktem Saphir den Eindruck von großer Weite.

Die ersten Besatzungen des Orbitalkomplexes waren überwiegend Menschen aus Südamerika, viele kamen aus Brasilien.

Niccola vermutet, dass die fröhliche Leichtigkeit, mit der die Menschen hier miteinander umgehen, ihren Ursprung in diesem Umstand hat. Und das erklärt auch, warum überall Musik zu hören ist. Auch im Café ist sie zu hören. Ihre Großmutter hätte die Musik natürlich sofort erkannt und Niccola einen wortreichen Vortrag über Herkunft, wichtigste Werke und Künstler gehalten.

Wieder muss Niccola grinsen. Sie hält den Kopf leicht schräg, sie hat diese Art Musik schon einmal gehört, zusammen mit ihrer Großmutter. Niccola lässt zu, dass der Rhythmus ihren rechten Fuß leicht wippen lässt. Musik entspannt sie eigentlich immer.

Sie lässt ihre Gedanken schweifen.

Mit großer Genugtuung erinnert sie sich an das Andockmanöver.

Eine so große Masse, wie sie die HIOB darstellt, per freier Navigation an einen Orbitalkomplex wie diesen am Pluto anzudocken, ist eigentlich eine Sache für hoch spezialisierte KIs. Niccola hat jede Sekunde des von ihr frei geflogenen Manövers genossen.

Natürlich hat ihre Schiffs-KI mit sprichwörtlichen Argusaugen aufgepasst, dass sie nirgends anrempelt. Aber wie immer war ihr Manövrieren fehlerfrei und effizient. Wenn sie ein solches Manöver fliegt, spürt sie ihr Schiff, die Bewegungen, die es macht, und ihr Umfeld förmlich. Einmal hat sie versucht, dieses Gefühl jemandem zu erklären, aber nur ungläubiges Staunen als Reaktion geerntet. Unbewusst nickt Niccola, als sie das Andockmanöver im Kopf noch einmal durchspielt. Es war gelungen, nein, es war mehr als das. Es war elegant. Zu gerne hätte sie die Gesichter der Menschen in der Raumflugkontrolle gesehen, als sich schließlich die Halteklammern der Station um die ausgefahrene Andockschleuse der HIOB geschlossen hatten und ohne zu ruckeln verriegelt wurden. Die HIOB war perfekt ausgerichtet und synchron zur zugewiesenen Andockbucht an der Station mit rotierendem Dockring zur Ruhe gekommen. Als Niccola die Hände vom Steuerpult nahm, empfand sie eine tiefe Zufriedenheit. Und wie immer hatte sie das freie Manövrieren nicht angestrengt, sondern entspannt.

Irgendetwas lenkt ihre Aufmerksamkeit wieder zurück zum Treiben auf der Piazza vor dem Café. Der freie Platz liegt unmittelbar neben einem wunderbar bepflanzten Park. In der Luft liegt der Geruch von Blumen, frischen Pflanzen und Erde. Die zentrale Lichtröhre ist nun dunkler und so entsteht der Eindruck eines lauen Frühsommerabends. Niccola greift zu ihrem Glas und trinkt einen Schluck des alkoholfreien Cocktails, den ihr die Bedienung empfohlen hatte. Er schmeckt leicht säuerlich und gleichzeitig angenehm kühl und süffig.

"Diese Stimmung sollte man einfangen, einpacken und aufbewahren können."

Niccola hört die Stimme hinter sich. Sie braucht nur einen kurzen Moment, um den Sprecher zu identifizieren. Ohne sich umzuwenden, antwortet sie: "Dafür haben wir unsere Erinnerungen."

Der Sprecher seufzt leise: "Ja, das ist wohl wahr. Für diejenigen, die bewusst leben und nicht achtlos durchs Leben gehen."

Niccola richtet sich in ihrem Stuhl auf und wendet sich um. Sie schaut dem jungen, blonden Mann in die Augen und lächelt warm. Dann antwortet sie mit einem tadelnden Zungenschnalzen: "Tsts, seit wann bist Du denn so grüblerisch geworden, Onkel David?"

Der Angesprochene verbeugt sich galant.

"Wohl war, holde Maid. Wer kann im Anblick solches Liebreiz nur dunkle Gedanken hegen? Ein armes Wesen, nur kann das sein!" Zuerst runzelt Niccola die Stirn und versucht ein grimmiges Gesicht zu machen. Dann siegt die Freude über das unerwartete Wiedersehen, sie steht auf und fällt ihrem Gesprächspartner stürmisch um den Hals.

"Schön, Dich zu sehen, Onkel David."

Er nimmt Niccola kurz in den Arm, dann hält er sie mit beiden Armen an den Schultern und blickt sie scharf an. Nach einer kurzen Musterung nickt er: "Es geht Dir gut. Ich bin froh darüber."

Noch einmal blickt er sie ernst an, dann greift er sich mit selbstverständlicher Lässigkeit einen freien Stuhl vom Nachbartisch und setzt sich zu ihr. Der gesamte Bewegungsablauf ist flüssig und elegant. Ein fremder Beobachter käme sicher zu dem Schluss, dass sich ein junger Playboy zu seiner für diesen Abend auserkorenen Begleitung gesellt. Auch Niccola nimmt wieder Platz.

"David, was machst Du denn hier?"

Er zuckt die Schultern: "Na ja, das könnte ich Dich auch fragen, Niccola. Das letzte Mal, als wir uns gesehen haben, warst Du bis über beide Ohren in der Entwicklung des neuen Interplanetarantriebes gesteckt. Du hattest nicht einmal Zeit, um mit mir essen zu gehen!"

Niccola nickt. Dann antwortet sie mit einem ironischen Grinsen: "Das war wirklich eine hektische Zeit. Aber wie ich dich kenne, bist Du nicht verhungert!"

David nimmt die Arme auseinander.

"He, ich bin vielleicht eine steinalte KI in einem biomechanischen Avatar und kann nichts von einem leckeren Mahl verdauen.

Aber ich kann trotzdem genießen! Und glaube mir, gutes Essen genieße ich wirklich!" "Ich weiß. Aber nochmals: Was machst Du hier? Wir treffen uns doch nicht am weitesten von der Erde entfernten Außenposten der Menschheit so rein zufällig!" David nickt. Dann blickt er aufmerksam in die Runde. Schließlich wendet er sich wieder Niccola zu. Der Habitus des Playboys ist verschwunden, David strahlt nun große Ernsthaftigkeit und sogar Sorge aus.

"Sicher nicht. Ich treffe mich mit jemanden."

Jetzt richtet Niccola sich neugierig auf: "So so, Du triffst Dich mit jemandem. Mit wem denn?"

David fixiert sie förmlich. Dann antwortet er leise: "Sewastopol."

Elektrisiert versteift sich Niccola. Das ist das Kennwort, mit dem sie sich bei ihrem Kontakt hier im Orbitalkomplex Pluto melden sollte. Nachdenklich beobachtet sie David. Dabei erinnert sie sich daran, wer er wirklich ist und dass er ebenfalls für den Korrelationsrat arbeitet.

"Das wäre aber erst morgen dran."

David nickt ernst: "Die Umstände haben sich geändert."

Seufzend blickt er wieder in die Runde, diesmal lässt sein Gesichtsausdruck jedoch eher Bedauern erkennen.

"Ich fürchte, ich muss Dir diesen schönen Abend etwas verderben."

"Ich wollte mir eigentlich noch den Park ansehen."

Niccola nickt.dazu Inzwischen hat sie sich das schon gedacht.

Trotzdem versucht sie einen humorvollen Ton anzuschlagen.

"Du bist ein Spielverderber, Onkel David. Schämst Du Dich nicht?"

Er antwortet ihr mit einem traurigen Nicken. Dann steht er auf und fordert sie mit einer Handbewegung zum Mitkommen auf.

"Und das bin ich wirklich nur sehr ungern. Aber wir müssen los."

Nach einem letzten, traurigen Blick in Richtung Park steht auch Niccola auf. Per Neurolink bezahlt sie ihre Rechnung. Dann strafft sie sich und nickt David auffordernd zu.

"Los geht's."

6 Herausforderungen

Musik

keine

Zeit

29.11.2625 10:00 GMT [Rückblende]

Ort

Marsorbital, Ebene 1

Irritiert prüft Niccola mittels Neurolink, ob sie sich tatsächlich vor der richtigen Türe befindet. Die Ebene 1 des Marsorbitals ist der Verwaltung vorbehalten. Alles hier wirkt sauber, gepflegt und etwas aufwändiger als auf den übrigen Ebenen des Orbitalkomplex. Allein dieser Umstand ist für Niccola ein Grund gewesen, dieser Ebene möglichst selten einen Besuch abzustatten. Der Gang, in dem sie sich jetzt vor einer großen Schleusentüre befindet, ist jedoch nur mit dem Nötigen ausgestattet und spärlich beleuchtet und wirkt eher wie ein Wartungszugang als ein Gang auf Ebene 1. Suchend blickt sich Niccola um. Normalerweise sind Schleusentüren mit großen Lettern beschriftet, damit im Notfall jeder sofort erkennen kann, wo er sich befindet. Diese Schleusentüre dagegen wirkt neu, gut gepflegt und Niccola ist sich sicher, dass das nicht einfach nur ein Druckschott ist. Es fehlt jedoch nicht nur jegliche Beschriftung, sondern auch jede Form eines Bedienpanels, wie es sich sonst an Schleusen üblicherweise befinden sollte.

Niccola prüft die Uhrzeit per Neurolink. Sie ist zwanzig Sekunden zu früh da. So wartet sie in entspannter Haltung vor der Schleusentüre ab. Dann, pünktlich um 10 Uhr, gleitet die Schleuse mit verblüffend wenig Geräusch auf.

Ihr gegenüber steht ein älterer Mann im grauen Overall. Auch bei ihm sind, wie bei der Frau gestern Abend, keinerlei Rangabzeichen und kein Namensschild zu erkennen. Der Mann mustert sie mit scharfem Blick, den Niccola ungerührt erwidert.

"Mein Name ist Niccola Lin Silvana Drobychy. Ich habe einen Versetzungsbefehl für Raum 14.056 auf Ebene 1 erhalten."

Dann weist sie ihren Neurolink an, einen Kontakt zum Neurolink ihres Gegenübers aufzubauen und den Versetzungsbefehl zu übertragen.

Niccola bemerkt ein kurzes Erstaunen im Gesichtsausdruck ihres Gegenübers, als er die Datenübertragung empfängt. Dann nickt er anerkennend.

"Sehr gut. Nur wenige benützen ihren Neurolink so fließend wie Sie."

Niccola hält den Kopf schief.

"Ich hatte eine gute Lehrerin."

Zum ersten Mal, seit sie dem Mann begegnet ist, erhellt sich sein Gesichtsausdruck, er zeigt ein warmes Lächeln.

"Ja, das ist richtig. Lillith wusste mehr über Neurolinks als irgendjemand sonst."

Niccola ist nicht weiter verwundert, dass der Mann ihre Mutter kennt. Schließlich war sie im gesamten Sonnensystem bekannt.

Dass er ihre Mutter beim Vornamen genannt hat, wundert Lillith dann doch. Ihre Mutter war sicher vieles, aber sie war niemals eine gesellige Person, die sich mit jedem anfreunden wollte und sich mit ihrem Vornamen ansprechen ließ. Sie beschließt, etwas nachzubohren.

"Falsche Zeitform. Sie lebt noch."

Bei diesen Worten wird der Blick des Mannes sofort wieder ernst. Er nickt Niccola zu.

"Natürlich. Bitte treten Sie ein. Ich bringe Sie zu ihrer Verabredung."

Der Mann macht einen Schritt zur Seite und wendet sich bereits zum Gehen um. Niccola bewegt sich nicht.

"Und Sie sind wer?"

Der Mann stockt mitten in seiner Bewegung und wendet sich wieder Niccola zu. Erneut fixiert er sie mit scharfem Blick. Irgendetwas in ihrer Haltung bringt ihn offenbar zur Überzeugung, dass diese Frau erst nach einer zufriedenstellenden Antwort seinerseits bereit sein wird, ihm zu folgen.

"Mein Name ist Simon De Vard. Ich bin der Adjutant von Heike Viller, Sie haben sie gestern Abend kennengelernt."