Tiefgrünes Samt - Sofia Maier - E-Book
NEUHEIT

Tiefgrünes Samt E-Book

Sofia Maier

0,0

Beschreibung

Emma hat keine Erinnerungen an ihre Vergangenheit, doch die Anziehung zu Luke scheint ungebrochen. Während sie Antworten sucht, versucht er, sie mit aller Kraft auf Abstand zu halten. Doch Schicksal und Zufall scheinen andere Pläne zu haben. Kann Emma die verlorenen Stücke ihres Lebens finden – und wird die Wahrheit sie einander näherbringen oder endgültig auseinanderreißen? Eine Geschichte über Liebe, Geheimnisse und die Frage, wie weit wir für die Wahrheit gehen würden.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 303

Veröffentlichungsjahr: 2025

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Epilog

Tiefgrünes Samt

Von Sofia Maier

Buchbeschreibung:

Was, wenn die Wahrheit nicht nur ein Risiko ist – sondern unsere einzige Rettung?

Emma hat keine Erinnerungen an ihre Vergangenheit, doch die Anziehung zu Luke scheint ungebrochen. Während sie Antworten sucht, versucht er, sie mit aller Kraft auf Abstand zu halten. Doch Schicksal und Zufall scheinen andere Pläne zu haben.

Kann Emma die verlorenen Stücke ihres Lebens finden – und wird die Wahrheit sie einander näherbringen oder endgültig auseinanderreißen?

Eine Geschichte über Liebe, Geheimnisse und die Frage, wie weit wir für die Wahrheit gehen würden.

Über den Autor:

Sofia Maier, geboren und aufgewachsen in Nürtingen, hat während des ersten Lockdowns 2020 ihren lang ersehnten Traum verwirklicht und ihren ersten Roman veröffentlicht. Inspiriert von ihren Reisen, ihrer Liebe zu Büchern und ihrer Leidenschaft fürs Schreiben, erzählt sie Geschichten, die Herzen berühren. Mit ihrem zweiten Roman nimmt sie ihre Leser erneut mit auf eine emotionale Reise voller Tiefgang und Gefühl.

Sofia Maier

Tiefgrünes Samt

Die Geheimnisse die uns verbinden

Roman

Texte: © 2025 Copyright by Sofia Maier

Umschlaggestaltung: © 2025 Copyright by Sofia Maier

Verlag:

Sofia Maier

[email protected]

Herstellung & Vertrieb: epubli – ein Service der neopubli GmbH, Köpenicker Straße 154a, 10997 Berlin

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Kapitel 1

Luke

Ich starrte auf Emmas Gesicht, als wäre ich in einem schlechten Traum gefangen. Ihre Augen waren endlich offen, aber sie blickten mich an, als wäre ich ein Fremder. Das sanfte Grün, das mich sonst immer beruhigt hatte, war nun leer. Leer von jeglicher Erinnerung an mich.

Es passiert wirklich.

Sie weiß nicht mehr, wer ich bin.

Kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Ein stechender Schmerz breitete sich in meiner Brust aus, als wäre etwas in mir zerbrochen. Ich hätte sie nie in mein Leben ziehen dürfen. Meine Hände verkrampften sich zu Fäusten. Ich habe sie in Gefahr gebracht. Mein Atem stockte, und für einen Moment wollte ich einfach nur fliehen. Doch meine Beine fühlten sich schwer an wie Blei. Ich konnte nicht gehen. Ich konnte sie nicht wieder verlieren. Nicht so.

Nervös befeuchtete ich mit der Zunge meine trockenen Lippen, weil mir die Worte fehlten.

„Luke? Welcher Luke?“ Emmas Stimme hallte noch immer in meinem Kopf nach. Sie erkannte mich nicht.

Der Gedanke wiederholte sich in einer endlosen Schleife. Ihr ausdrucksloses Gesicht war schlimmer als jeder Schmerzensschrei, schlimmer als jedes Blut, das ich je gesehen hatte. Sie war da, aber nicht wirklich. Ich hätte es wissen müssen. Das war immer das Schicksal, dass mir bevorstand. Menschen an meiner Seite wurden verletzt. Wie oft hatte ich mir schon eingeredet, dass ich zu gefährlich für sie war?

Und jetzt war der Beweis da.

Sie war verletzt, traumatisiert, und das alles wegen mir. Ich senkte den Blick auf meine Hände. Dieselben Hände, die sie beschützt hatten, hatten sie auch in diese Lage gebracht. Der Druck auf meiner Brust wurde unerträglich. Hätte ich sie einfach nie in mein Leben gelassen. Mein innerer Kampf wurde durch das Eintreten eines Arztes unterbrochen.

„Schön das sie wieder bei uns sind, Frau Kruger.“

Ein junger Arzt trat näher, sein Stethoskop locker um den Hals gelegt. Emma wandte sich ihm zu und lächelte.

Ein kleines, vorsichtiges Lächeln.

Ich spürte, wie sich mein Magen verkrampfte.

Nicht, weil sie ihn ansah. Sondern weil dieses Lächeln, das sonst mir gegolten hatte, nun jemand anderes bekam.

Und ich? Ich war nur ein Fragezeichen in ihren Augen.

„Ich würde sie bitten, den Raum zu verlassen, damit ich die Patientin untersuchen kann.“

Der Arzt klang professionell, doch ich hatte das Gefühl, dass er Emma zu lange ansah. Ich biss die Zähne zusammen und spürte, wie sich meine Finger verkrampften. Eine sanfte Hand legte sich auf meine Schulter. Ich fuhr herum. Mia.

„Komm schon Großer. Lassen wir sie kurz alleine“.

Ich wollte protestieren, doch meine Stimme versagte. Widerwillig ließ ich mich aus dem Zimmer ziehen.

Der Warteraum war leer. Mia ließ sich auf einen Stuhl fallen, während ich unruhig auf und ab ging. Mit beiden Händen fuhr ich mir durchs Haar, murmelte unverständliche Worte vor mich hin.

„Beruhige dich bitte. Komm und setz dich.“ Hörte ich Mia sagen, doch meine Beine konnten nicht stillstehen.

„Sie kann sich nicht mehr an mich erinnern. Das habe ich ihr angetan. Ich habe sie zerstört. Ich habe uns zerstört.“

Mia seufzte „Luke beruhige dich. Lass uns bitte nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Wir warten ab, was der Arzt sagt.“ Der Arzt. Allein bei dem Gedanken spürte ich einen bitteren Geschmack im Mund. Dabei war es doch sein Job ihr zu helfen. Und ich wollte, dass ihr geholfen wird.

Es trieb mich die Angst an, ob ich Emma überhaupt jemals zurückbekommen würde. Dieses Ausmaß war mir fremd.

Nein falsch. Ich hatte diese Angst bereits einmal gefühlt. Und zwar an ihrem Geburtstag. Der Tag ihrer Entführung. Der Tag, der einer der schönsten für sie hätte sein sollen und zu einem der Schlimmsten geworden war. Ich versuchte, mich zu sammeln, die Angst zu vertreiben.

Darin war ich gut. Das war meine Superpower. Mein Job verlangte von mir, immer einen kühlen Kopf zu bewahren. Doch diesmal gelang es mir nicht.

Amnesie. Das Wort hallte in meinem Kopf wider.

Immer und immer wieder. Retrograde Amnesie.

Die Stimme des Arztes drang zu mir durch, doch es fühlte sich an, als wäre ich unter Wasser. Dumpf, fern, unwirklich.

Mia und mein Bruder Liam, der inzwischen im Krankenhaus eingetroffen war, hörten dem Mann aufmerksam zu.

„Im Moment gehen wir von einer retrograden Amnesie aus. Emma kann sich nicht mehr an Ereignisse aus der Zeit vor dem Unfall erinnern.“ Mia runzelte die Stirn.

„Aber sie erinnert sich an mich. Wie kann das sein? Sie weiß, wer ich bin, aber nicht, wer Luke oder Liam sind. Oder was passiert ist.“

Ich zwang mich, mich auf die Worte des Arztes zu konzentrieren, anstatt auf das Unbehagen, das in mir wuchs.

Er nickte „Lassen sie mich das erklären. Eine retrograde Amnesie tritt häufig nach einer Hirnverletzung auf, wie es bei Emma der Fall ist. Durch die starke Erschütterung wurde ihr Gehirn gegen den Schädelknochen geschleudert, was eine Störung verursacht hat. Diese kann sich nach wenigen Minuten oder Stunden zurückbilden, manchmal dauert es aber Wochen oder Monate.“

Er ließ seinen Blick durch den Raum wandern. Mia sah ihn besorgt an, Liam legte mir eine Hand auf die Schulter.

„Es gibt keinen direkten Zusammenhang zwischen der Dauer der Amnesie und der Schwere der Verletzung“, fuhr der Arzt fort. „Aber grundsätzlich werden Erinnerungen, die kurz vor dem Unfall entstanden sind, eher vergessen als solche, die weiter zurückliegen.“

„Deshalb kennt sie mich noch, aber nicht die beiden“, murmelte Mia nachdenklich.

„Wird sie sich wieder an alles erinnern?“

In ihrer Stimme lag Verzweiflung. Ich spürte, wie meine Finger sich an die Armlehnen des Stuhls klammerten. Alles in mir schrie nach einer Antwort. Doch gleichzeitig hatte ich Angst vor ihr.

„Wir werden Emma noch einige Tage zur Beobachtung hierbehalten. Psychotherapie und gezielte Entspannungstechniken können helfen. Wichtig ist vor allem, dass sie in den nächsten Monaten stressige Situationen meidet. Stress kann die Gedächtnisleistung verschlechtern.“

Mia nickte eifrig. „Wir werden alles tun, was nötig ist, Doktor.“

Ich wollte mich darauf konzentrieren, doch ein Gedanke fraß sich in mein Bewusstsein. Emma hatte all das durchmachen müssen, weil sie in meine Welt geraten war.

„Lassen Sie mich Ihnen aber auch sagen“, fuhr der Arzt fort, „dass nicht alle Erinnerungen zurückkehren müssen. Manche Lücken können dauerhaft bestehen bleiben. Das Gehirn kann sich regenerieren, aber es schützt uns auch, indem es traumatische Erlebnisse verdrängt.“

Mein Blick schnellte zu ihm.

Emma könnte den Vorfall vergessen.

Vielleicht für immer.

Das erste bisschen Hoffnung, dass ich an diesem Tag gespürt hatte, machte sich in meiner Brust breit.

„Aber manchmal reicht eine unerwartete Begegnung, ein bestimmter Ort oder sogar ein Duft und plötzlich ist alles wieder da“, fügte der Arzt hinzu.

Ich atmete langsam aus. Das bedeutete, dass ihre Erinnerungen jederzeit zurückkehren konnten. Und wenn sie das taten, wie würde sie auf mich reagieren?

„Unterstützen Sie Emma so gut es geht. Gedächtnistraining, Entspannungsübungen, Gespräche. Spaziergänge am Strand, gesunde Ernährung. All das kann helfen.“ Der Arzt sah in die Runde, bis sein Blick an mir haften blieb. „Sie sollte anstrengende Tätigkeiten, Menschenmassen, Stress und vor allem gefährliche Situationen vermeiden.“

Seine Worte ließen mich erstarren.

War das eine Anspielung? Meinte er mich?

Mein Instinkt trieb mich dazu, mich zu verteidigen, doch bevor ich etwas sagen konnte, legte Liam eine Hand auf meine Schulter und drückte mich sachte zurück auf den Stuhl.

„Wir verstehen, Doktor. Emmas Wohl hat für uns oberste Priorität.“

Der Arzt hielt meinen Blick noch einen Moment, als wollte er sicherstellen, dass ich seine Worte verstanden hatte. Dann nickte er und wandte sich ab.

Ich sah ihm nach, während er den Raum verließ.

Meine Gedanken rasten.

Ich hatte keine Zeit, mich an meiner Wut oder Unsicherheit aufzuhalten.

Ich musste eine Lösung finden.

„Wie gehen wir jetzt vor? Wie bringen wir sie wieder dazu, sich zu erinnern? Lasst uns einen Plan aufstellen. Bringen wir sie an Orte, an denen sie mit euch beiden war“ wandte sich Mia direkt an Liam und mich. Mein Bruder und sie begannen sofort, wild über mögliche nächste Schritte zu diskutieren. Doch in meinem Kopf stand der Plan bereits fest. Ich wusste, was zu tun war.

„Stopp.“ Meine Stimme war ruhig, aber bestimmt. Doch die beiden hörten nicht auf.

„Stopp“, wiederholte ich, diesmal mit mehr Nachdruck. Der scharfe Ton ließ sie innehalten. Zwei verwirrte Blicke ruhten nun auf mir.

„Wir werden nichts unternehmen.“ Die Worte fielen wie ein Stein in die Stille des Raumes. Mia runzelte die Stirn, Liam verschränkte die Arme.

„Kannst du das bitte noch mal wiederholen? Denn ich glaube, ich habe dich gerade falsch verstanden“, sagte Liam, eine Mischung aus Verärgerung und Fassungslosigkeit in der Stimme. Ich erhob mich und trat vor die beiden. Mein Blick war fest.

„Ich sagte, wir werden nichts unternehmen.“ Mia wollte protestieren, doch ich hob die Hand und kam ihr zuvor.

„Ihr habt den Arzt gehört. Ihr Gehirn unterstützt sie dabei, traumatischen Ereignisse zu vergessen. Das ist verdammt nochmal das Beste, was ihr passieren konnte. Nur durch mich ist sie in diese Situation geraten, und ihr eigener Körper hilft ihr jetzt dabei, das zu verarbeiten. Wir werden sie nicht absichtlich daran erinnern.“

„Das kannst du nicht einfach für uns alle entscheiden“, warf Liam ein. „Doch, das kann ich. Und das habe ich.“

„Aber sie kann sich weder an dich noch an Liam erinnern. An die letzten Wochen hier auf der Insel.“ Mia ließ nicht locker.

„Aber sie erinnert sich an dich, und das reicht für den Moment.“ Sie setzte erneut an, doch ich schüttelte den Kopf.

„Wir sind uns alle einig, dass Emmas Genesung oberste Priorität hat, oder?“

Schweigen. Dann ein langsames Nicken von beiden.

„Dann unterstützen wir sie bei ihrer Erholung. Wenn sie sich irgendwann von selbst erinnert, dann ist es so. Aber wir helfen nicht nach. Keine Erinnerungsversuche, keine Hinweise auf die Vergangenheit. Einverstanden?“

Stille. Dann brach Liam mit einem ungläubigen Kopfschütteln die Spannung. „Hast du jetzt komplett den Verstand verloren? Das ist doch keine Entscheidung, die du allein treffen kannst. Wir sind nicht deine Untergebenen.“

Mia nickte zustimmend. Liam trat einen Schritt auf mich zu. Er war mein kleiner Bruder. Konnte mir aber die Stirn bieten. Von klein auf ließ er sich nie von mir unterbuttern.

„Und was ist mit einem anderen Thema?“ Seine Stimme wurde ruhiger, ernster. Er sah zu Mia und dann wieder zu mir. „Du weißt genau, wovon ich rede.“

Mia verdrehte die Augen. „Kommt schon, Jungs. Ich bin ihre beste Freundin. Wir reden miteinander.“ Sie klang genervt, aber auch entschlossen.

Dann sah sie mich direkt an. „Und Liam hat recht, Luke. Ihr wart dabei, euch näherzukommen. Das kannst du nicht einfach ungeschehen machen.“ Ihre Augen verengten sich leicht. „Oder bedeutet sie dir doch nicht so viel, wie ich dachte?“

Mein Magen zog sich zusammen.

„Gerade weil sie mir etwas bedeutet, treffe ich diese Entscheidung.“

Tausende Gedanken schossen mir durch den Kopf. Emma war in mein Leben gestolpert und hatte es mit Licht und Wärme gefüllt. Sie hatte mir gezeigt, dass es mehr gab als die Schatten meiner Vergangenheit. Aber sie verdiente mehr als mich. Mehr als ein Leben mit jemandem, der nichts als Gefahr bedeutete. Diese Situation hatte mir nun bewiesen, dass ich von Anfang an Recht hatte. Ich hätte mich von ihr fernhalten sollen.

Langsam atmete ich aus und sah Mia und Liam an. Sie erwarteten eine Erklärung.

„Sie soll sich jetzt erstmal erholen. Das ist das Allerwichtigste.“ Meine Stimme war ruhig, aber entschlossen.

„Ihr Erinnerungsvermögen ist zweitrangig. Wenn ihre Erinnerungen zurückkommen, dann ist es so. Aber wir steuern das nicht. Versprecht mir, dass ihr ihr nichts erzählt.“

Liam musterte mich lange. „Warum sollten wir das tun, Luke?“ Seine Stimme war ruhig, aber mit Nachdruck.

„Sie ist unsere Freundin. Wir wollen sie nicht belügen!“ Ergänzte Mia bestimmt.

„Und was sagen wir ihr, wenn sie sich erinnert? Wenn sie herausfindet, dass wir ihr die Wahrheit vorenthalten haben?“

Ich hielt ihrem Blick stand. „Wir sind ihre Freunde. Mehr nicht. Alles andere wird sich zeigen.“

Ich ließ die Worte wirken, bevor ich weitersprach. „Ich habe ihr nur Kummer und Schmerz gebracht. Aber jetzt hat sie die Chance auf ein Leben ohne diese Erinnerungen. Ohne das Grauen, das passiert ist.“

Mia verschränkte die Arme. „Sie wird doch wissen wollen, wie sie hier gelandet ist? Was ihr passiert ist? Was sagen wir dann?“

Ich zögerte keine Sekunde. „Wir erzählen ihr eine vereinfachte Version. Sie hatte einen Unfall an ihrem Geburtstag, hat sich den Kopf gestoßen und eine Amnesie erlitten. Die Ärzte sagen, dass so etwas passieren kann. Es war einfach ein unglücklicher Zufall.“

Mia und Liam warfen sich einen langen Blick zu. Liams Lippen verzogen sich zu einem schiefen Lächeln, das nicht bis zu seinen Augen reichte.

Dann, leise, fast wie ein Murmeln „Ja, okay.“

Mia hob eine Braue, als sei sie überrascht von ihrer eigenen Zustimmung.

Erleichterung und Verzweiflung durchfluteten mich zugleich. Ich wollte sie nicht loslassen. Ich wollte nicht, dass unsere Geschichte endete. Doch das Beste für sie war meine Abwesenheit.

Während auf Hawaii immer Sommer herrschte, fühlte ich mich, als hätte mich dieser Moment direkt in den Winter katapultiert.

Gefühle abstellen.

Solange sie in Sicherheit war, war alles Andere unwichtig. Das redete ich mir zumindest ein.

Kapitel 2

Emma

„Emma.“ Ertönte Mias Stimme in der Ferne aber ich reagierte nicht. „Emma!“ Sagte sie meinen Namen mit mehr Nachdruck und ich zuckte zusammen, blickte zu ihr.

„Wo bist du schon wieder mit deinen Gedanken?“

Ihre Augenbrauen zogen sich fragend zusammen, während sie gleichzeitig leicht nach oben wanderten, ein Zeichen der Sorge, die ihr innerlich zusetzte. Sie suchte meinen Blick, als ob sie in meinen Augen eine beruhigende Antwort finden wollte. Doch die feinen Fältchen um ihre Augen verrieten die tiefe Sorge, die sie nicht aussprechen konnte. An das erinnerte ich mich. Alles, was mit Mia zu tun hatte, war so präsent, nicht wegzudenken aus meinen Erinnerungen. Sie war ein Teil von mir, so wie ich von ihr.

Mit den letzten Wochen meines Lebens sah das ganz anders aus. Sie waren wie ausgelöscht. Als ob man einen Lichtschalter ausgeknipst hätte und in der vollkommenen Dunkelheit stand. Eigentlich müsste man ihn nur wieder umstellen doch er war einfach nicht mehr in Reichweite. Umso vergeblicher ich versuchte, ihn zu finden umso mehr verirrte ich mich in der tiefen Dunkelheit. Dort saß ich vor wenigen Sekunden noch fest, bis mich Mia in die Realität zurückholte. Jeden Tag aufs Neue befand ich mich für ein paar Sekunden oder sogar Minuten in dieser Dunkelheit, seit ich vor vier Wochen aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Versuchte mich verzweifelt an Dinge zu erinnern, die im Finsteren lagen, den Lichtschalter zu finden bis ich vor Anstrengung aufgeben musste. Der Arzt hatte mir gesagt, dass selbst kleinste Aufgaben, zu Anfang anstrengend für mich sein würden. Dass sogar das Denken so anstrengend und kraftraubend sein könnte, damit hatte ich nicht gerechnet. „Hör bitte auf damit.“ Ertönte Mias Stimme in liebevoller Ermahnung. Sie stand am Beckenrand und sah zu, wie eine große grüne Meeresschildkröte langsam durch das Wasser glitt. Ihre Schale war noch vernarbt von einer alten Verletzung, aber sie erholte sich. Gemeinsam mit Mia hatte ich den ganzen Morgen damit verbracht, Futter vorzubereiten und die Becken zu säubern, in denen die Tiere auf ihre Genesung warteten. Es war eine beruhigende, fast therapeutische Aufgabe, die mir half, den Kopf freizubekommen.

„Die Schildkröten brauchen Geduld und Zeit, um zu heilen,“ hatte der Arzt mir gesagt.

„Genauso wie du.“ Die Arbeit mit verletzten Tieren sollte mich unterstützen langsam wieder zu mir selbst zu finden, mein Trauma zu verarbeiten. Der Akt des Helfens sollte mir das Gefühl geben, die Kontrolle zurückzugewinnen und einen Sinn in meinem Leben zu finden, hatte der Arzt gemeint. Hier, in diesem Zentrum auf Oahu, fühlte ich mich das erste Mal seit meiner Verletzung wieder wirklich nützlich.

Es lag direkt an einem ruhigen, tropischen Strand, den die sanften Wellen des Pazifiks umspülten. Ein schmaler Sandstreifen zog sich wie ein goldener Rahmen um das Anwesen, wo in großen Becken und flachen Wasserpools kranke und verletzte Schildkröten gepflegt wurden. Die Sonne war schon hochgestiegen und ließ das Wasser in den Tanks leicht schimmern. Rundherum standen Palmen, deren Blätter leise raschelten und ein schützendes Dach über uns spannten, wie ein lebendiges Geflecht aus Schatten und Licht.

Ein paar Schritte von uns entfernt führte ein schmaler Holzpfad, gesäumt von bunten Blumen und Kletterpflanzen, in Richtung des Ozeans. Hier und da flogen Kolibris, ihre Flügel waren kaum zu sehen, nur ein farbenfrohes Flirren, das zwischen den Blüten schwirrte. Die Luft roch nach Salz und blühenden Frangipani, dieser warme, leicht süße Duft, der an heiße Sommertage erinnerte und sich perfekt mit der sanften Meeresbrise vermischte.

Neben dem größten Becken, in dem eine der ältesten Schildkröten träge ihre Bahnen zog, standen wir beide und sahen zu, wie das Licht sanft durch das Wasser fiel und die Schale der Schildkröte in ein sanftes Smaragdgrün tauchte. Die Becken waren mit glatten Steinen und weichen Sandbänken gestaltet, um die natürliche Umgebung der Tiere nachzuempfinden. An einem Ende der Anlage konnten wir die medizinischen Räume und Lagerräume sehen, in denen spezielle Futter- und Pflegeutensilien aufbewahrt wurden, alles sorgfältig bereitgestellt, um den verletzten Tieren zu helfen.

Es war ein Ort der Ruhe und des Schutzes, ein Zufluchtsort sowohl für die Schildkröten als auch für mich selbst. In diesen ruhigen Momenten fühlte ich mich fast so, als könnte ich selbst heilen, zusammen mit den Tieren, denen wir Tag für Tag halfen.

Die Arbeit gab mir tatsächlich einen klaren Fokus. Half mir, nicht nur in der Dunkelheit zu tappen. Es klappte mal besser mal schlechter. Heute war ein nicht so guter Tag. Allerdings wollte ich Mia nicht beunruhigen. Sie war mir zuliebe auf Oahu geblieben anstatt zurück nach Deutschland zu fliegen. Ihre freien Tage neigten sich allerdings dem Ende zu. Ich wollte ihr nicht das Gefühl geben, sie würde mich in einem schlechten Zustand verlassen.

„Es geht mir gut“ lächelte ich sie an. Sie neigte sachte den Kopf zur Seite, während ihre rehbraunen Augen mich fragend musterten. Es lag etwas Sanftes in ihrem Ausdruck. Aber auch ein Hauch von Unruhe, der ihre Besorgnis weiter verriet.

„Wieder nur Dunkelheit?“ Fragte sie mich. Ich nickte und ließ einen kleinen Seufzer über meine Lippen fahren.

„Du sollst dich doch nicht krampfhaft versuchen, an etwas zu erinnern. Der Arzt meinte, das ist kontraproduktiv und stresst dein Gehirn nur noch weiter. Das Letzte was wir für dich wollen ist Stress.“

Ich blickte zu der großen Schildkröte im Becken, ließ meine Finger durch das Wasser gleiten und meine Gedanken flossen genau wie das Wasser. Ruhig aber doch voller Tiefe. Ich tauchte zurück in den Moment, als ich im Krankenhaus aufgewacht war. Ein Raum, der mir fremd war, genau wie die Gesichter um mich herum. Vor allem das eine Gesicht, das mich besonders irritiert hatte. Der mysteriöse, attraktive Mann mit den tiefgrünen Augen. Er hatte an der Türe des Zimmers gestanden, unsicher und still. Doch seine Anwesenheit hatte etwas in mir bewegt. Etwas, das ich nicht greifen konnte. Seine Augen waren voller Schmerz, aber auch Vertrautheit. Ich wusste nicht, wer er war, doch die Frage brannte in mir. Kurz darauf war ein weiterer Mann in das Zimmer getreten. Seine energiegeladene Art hatte den Raum sofort gefüllt. Aber auch er war ein Rätsel für mich. Ich fühlte mich hilflos, als Mia mir schließlich erklärte, was geschehen war. Es war an meinem eigenen Geburtstag passiert. Auf einer Feier, die für mich ausgerichtet wurde, war ich gestolpert und hatte mir den Kopf so schwer gestoßen, dass ich nun unter Amnesie litt. Die Erinnerung daran war nicht mehr da. Als wäre es das Leben einer anderen Person gewesen.

Ich konnte mich nicht daran erinnern, wer diese beiden Männer wirklich waren, aber es war nicht nur das. Mein eigenes Leben fühlte sich fremd an. Als ob ich von außen zusah und versuchte, die Lücken in meinem Gedächtnis zu füllen.

Während ich jetzt die Schildkröten streichelte und ihre Bewegungen beobachtete, dachte ich darüber nach, wie unsicher und verletzlich ich mich früher schon gefühlt hatte. Und auch heute noch. Es war, als ob ich mich selbst neu entdecken müsste, nur ohne Anleitung.

Die sanften Berührungen des Wassers umspülten meine Hand. Es waren einfache Aufgaben, die ich hier erledigte, aber ich spürte, wie jede Bewegung eine kleine Welle von Heilung in meinem eigenen Körper auslöste. Es war, als ob ich nicht nur die Tiere, sondern auch mich selbst pflegte, eine zarte Balance zwischen Geben und Empfangen.

„Mia was würdest du tun, wenn ein Teil von dir fehlt. Du spürst, da ist etwas tief in deinem Inneren verborgen. Du spürst diesen einen Teil. Mit jedem Mal im Dunkeln hast du das Gefühl, du kommst dem Licht etwas näher. Und mit dem nächsten Wimpernschlag hast du dich wieder komplett davon entfernt.“ Meine Augen glitten erneut zu meiner besten Freundin.

„Würdest du es da nicht auch wieder und wieder versuchen?“ Ein sanftes Lächeln erschien auf ihren Lippen und sie nickte sachte.

„Überanstrenge dich nur bitte nicht dabei. Ich will dich noch viele Jahre gesund und munter an meiner Seite wissen.“ Nun war ich an der Reihe ihr sachte zuzunicken. Wir lächelten uns an und machten uns gemeinsam wieder an die Arbeit. Als wir dann am Nachmittag bei der Freilassung einer gesunden Schildkröte zusahen, wusste ich, dass ich hier am richtigen Ort war. Die Arbeit mit den verletzten Tieren beruhigte mich, gab mir das Gefühl etwas zurückgeben zu können. Sowohl für die Tiere als auch für mich selbst.

Die Gedanken drifteten zurück zu dem Mann mit den grünen Augen. Luke. Sein Blick damals, seine Präsenz. Ich konnte es nicht in Worte fassen, aber etwas in mir hatte mich zu ihm hingezogen, noch bevor ich seinen Namen überhaupt erfahren hatte.

Die letzten Wochen waren ein ständiges auf und ab. All diese neuen Menschen in meinem Leben, die mir fremd waren und doch hinterließen sie bei jedem Zusammenkommen ein Gefühl der Wärme. Irgendwie waren sie Fremde und dann wiederum auch doch nicht. Es war ein seltsames Gefühl. Als würde ich in einem alten, vergessenen Raum stehen. Die Möbel, die Farben, alles wirkte vertraut, aber es lag eine Unsicherheit in der Luft. Ich konnte die Details nicht greifen, wie verschwommene Bilder in einem Traum, doch ich wusste, dass ich hier schon einmal gewesen war. Es fühlte sich gleichzeitig fremd und doch merkwürdig bekannt an, wie ein verlorenes Wort auf der Zunge, das man fast aussprach, aber nie ganz erfasste. Dass ich nach meiner geplatzten Hochzeit nach Oahu gekommen war und über einer Galerie wohnte, war mir noch bewusst gewesen. Dass ich dort für den charmanten italienischen Leonardo arbeitete auch. Sein Gesicht war mir nicht mehr direkt präsent, aber die Erinnerung war sehr schnell wieder da, nachdem er mich liebevoll in seine Arme schloss und „mein Sonnenschein“ nannte. Seine Liebe strömte zu mir über und es war, als ob ich nie weg gewesen wäre. Dann waren da noch die Parker Brüder. Liam hatte mir bei einem seiner Besuche im Krankenhaus erzählt, wie wir uns kennengelernt hatten und das wir seit diesem Tag, alle gute Freunde waren. Das meine Beziehung zu ihm besonders war, spürte ich sofort. Mit seiner ersten frechen Bemerkung im Krankenhaus war er mir direkt sympathisch.

„Also, das nächste Mal, wenn du eine Auszeit brauchst, schlage ich vor, wir buchen dir einen Wellnessurlaub im Turtle-Bay-Resort statt gleich ins Koma zu fallen.“

Lange saß er da und erzählte von mir und den Zwillingen. Die beiden wollten mich unbedingt besuchen kommen. Doch wir wollten warten, bis ich das Krankenhaus wieder verließ. Nach der langen Krebsbehandlung seiner Frau war das Krankenhaus ein Ort voller schrecklicher Erinnerungen und Verlust. Sie sollten nicht mit der Angst leben, auch mich zu verlieren. An die beiden konnte ich mich aber leider auch nicht erinnern. Trotz der vielen Fotos die Liam bei jedem seiner Besuche dabei hatte. Allerdings reichten sie aus, um die Süßen direkt ins Herz zu schließen. Alles, was er mir erzählte, war mir unbekannt. Aufmerksam lauschte ich jedem seiner Worte. Saugte alles in mir auf wie ein Schwamm. Wie ein Kind, das einer Gutenachtgeschichte zuhörte. In kürzester Zeit war er zu meinem zweit besten Freund geworden. Mia konnte er natürlich nicht von ihrem Thron stoßen. Wieder und wieder beobachtete ich die beiden, wie sie sich aufgrund der Freundschaft zu mir neckten.

„Das ist kein Wettbewerb“ schmunzelte ich und sie verstummten mit einem Schnauben. Das ich allerdings auch mit Luke befreundet sein sollte war mir ein Rätsel. Wenn nicht sogar das größte Rätsel neben der Dunkelheit. Wenn er tatsächlich mein Freund war, wo war er dann in den letzten Wochen gewesen?

Warum kam er mich nicht im Krankenhaus besuchen? Warum hatte ich ihn bis heute nur ein paarmal flüchtig wieder gesehen?

Bei diesen Begegnungen war er mir komplett aus dem Weg gegangen. Konnte mir nicht einmal in die Augen blicken. Und warum konnte ich nicht aufhören, an ihn zu denken, auch wenn er mich mied? Immer und immer wieder sah ich diese grünen Augen vor mir. Wie sie mich im Krankenhaus entgeistert angestarrt hatten. Der Moment als ich ihn zum ersten Mal erblickte, nachdem ich aufgewacht war. Nach dieser Begegnung war er wie vom Erdboden verschwunden. Er war nie wieder aufgetaucht. Alles, was mir blieb, waren diese Augen. Diese unfassbar grünen Augen. So ein schönes Grün hatte ich noch nie gesehen. Sein stechender Blick haftete bis heute an mir. Ich konnte mich ihm einfach nicht entziehen. Jetzt noch ertrank ich in der Intensität, die ich bis zu dem heutigen Tag noch nie erlebt hatte. Und dann irgendwie auch doch. Wie ein Deja Vu. Es machte mich einfach wahnsinnig. Er machte mich wahnsinnig. Ein Teil von mir wusste, dass er zu mir gehörte. Es war nicht ganz klar, warum oder wie, doch das Gefühl von Vertrautheit ließ mich nicht los, selbst wenn mein Verstand nicht die passenden Erinnerungen finden konnte. Eine seltsame Mischung aus Nostalgie und Verwirrung breitete sich in mir aus. Ein Kribbeln auf der Haut, das zwischen „Ich kenne ihn besser, als mir bewusst ist“ und „Wer soll das nur sein?“ schwankte. Nach meinem Krankenhausaufenthalt waren wir uns das Erste mal bei Liam zu Hause begegnet. Mia und ich spielten mit den Zwillingen im Garten, während Liam eine Surfstunde am Strand von Waikiki gab. Unerwartet stürmte Luke durch die Terrassentüre. „Liam warum gehst du verdammt noch mal nicht an dein Telefon? Ich hab dir doch gesagt…“ abrupt blieb er stehen. Beendete seinen Satz nicht, als er uns erblickte. Seine Augen wanderten von mir zu Mia und wieder zurück zu mir. „Hi Luke“ unterbrach Mia als Erste die Stille. Als sie seinen Namen erwähnte, blickten die Mädchen auf. „Onkel Luke!“ riefen beide durcheinander und sprangen sofort hoch, rannten zu ihm. Ein Lächeln erschien auf seinem ernsten Gesicht, als er sich zu ihnen beugte, um sie in den Arm zu nehmen.

„Wo ist denn euer Daddy?“ Fragte er mit sanfter Stimme.

„Er gibt eine Surfstunde am Strand“ Mia nahm den Zwillingen die Antwort ab. Damit war er gezwungen sich uns zuzuwenden.

„Alles klar, dann lass ich euch mal weiter euer Ding hier machen.“ Mit der freien Hand deutete er kreisförmig in den Garten hinein.

„Du kannst uns gerne Gesellschaft leisten.“ Bot ihm Mia an. „Deine Nichten freuen sich, wenn du hierbleibst.“

Seine Augen wanderten von Mia zu mir. Mein Atem stockte. Sein Blick haftete an mir. Und ich konnte mich ihm nicht entziehen. Die Intensität ließ mich beinahe ertrinken. Plötzlich fühlte ich wieder diese Vertrautheit.

„Ja, Onkel Luke komm und spiel mit uns.“ Flehte Ava.

Noch immer starrte er mich direkt an. Ich hatte das Gefühl, er blickte bis in mein Innerstes. Als ob er es kennen würde. Er schluckte und selbst aus der Entfernung konnte ich seinen Adamsapfel erkennen, der sich dabei Auf und Ab bewegte. Ava zog an seinem Arm „Onkel Luke?“ Das ließ ihn unseren Augenkontakt unterbrechen. Er senkte den Kopf. „Onkel Luke muss leider arbeiten.“

Er gab beiden einen Kuss und erhob sich. „Einen schönen Tag noch die Damen.“ Er sprach uns beide an, doch seine Worte richtete er direkt an Mia. Ich war Luft für ihn. Und bevor ich das richtig verarbeiten konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Die Mädchen kamen zu uns zurück und wir widmeten uns alle wieder unserem gemeinsamen Spiel. „Wie kann ich mit diesem Mann befreundet gewesen sein? Selbst unsere bloße Anwesenheit ist ihm zuwider“ sagte ich in Gedanken mehr zu mir selbst. Mias Augen starrten mich für einige Sekunden stumm an, als wolle sie mir etwas sagen, wägte aber noch ab, ob sie es auch tatsächlich tun sollte. Dann zuckte sie nur mit den Schultern und das Thema Luke war vom Tisch.

Eine weitere Begegnung ereignete sich bei einer meiner gemeinnützigen Arbeiten. Neben der Arbeit mit verletzten Tieren unterstütze ich einheimische Kinder und Jugendliche in abgelegeneren Regionen der Insel. Lokale Gemeinschaften, die weniger Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und wirtschaftlichen Chancen hatten. Ich war unterwegs in die Koolaula-Region im Osten der Insel, an der Windward Coast. An diesem Tag wollte mich Liam unterstützen und vor Ort treffen. Mia und er unterstützen mich beide tatkräftig, ließen mich nie alleine. Selbst Leonardo hatte mich zu einer Schildkrötenfreilassung begleitet.

Die Fahrt in die Koʻolau-Region im Osten der Insel war wie das Eintauchen in eine andere Welt, in der die Natur allgegenwärtig war. Die Küstenstraße schmiegte sich an die schroffen, smaragdgrünen Berge, deren Hänge von einer dichten, fast undurchdringlichen Vegetation bedeckt waren. Es war das satte, tiefgrüne Blattwerk der tropischen Pflanzen, die sich wild entlang der Berghänge ausbreiteten und bis in die tieferen Täler wuchsen. Immer wieder stieg Nebel aus den Schluchten auf, ließ sich von den Passatwinden treiben und legte sich wie ein sanfter Schleier über die Bergspitzen. Ich fühlte mich inmitten dieser majestätischen Natur winzig, aber auch ruhig.

Je weiter ich fuhr, desto intensiver wurde der Duft von Salz und Erde, der durch mein offenes Fenster strömte. Ein Aroma, das von der Gischt des Ozeans und der feuchten Vegetation getragen wurde. Die Berge schienen hier in einem Dialog mit dem Meer zu stehen. Felsige Klippen fielen steil ab und wurden von den Wellen gepeitscht, die wie ein stetiger Puls gegen die Küste brandeten. An einigen Stellen öffnete sich die Straße und bot einen Blick auf winzige Buchten, deren weiße Sandstrände wie versteckte Perlen im türkisfarbenen Wasser lagen. Hier und da flatterten bunte Gebetsflaggen an alten Banyanbäumen, die die Einheimischen zur Verehrung der Natur aufgestellt hatten. Die Dörfer in dieser Region wirkten wie aus der Zeit gefallen, ihre Häuser oft aus einfachen Holzstrukturen gebaut und von üppigen Gärten voller Hibiskus und Frangipani umgeben. Die Menschen, die hier lebten, waren geerdet und pflegten eine tiefe Verbindung zu ihrer Umgebung. Eine Verbindung, die mich inspirierte, umso näher ich der Dorfbibliothek kam. Die Kinder, denen ich dort vorlas, kamen oft barfuß und mit einem Lächeln, das breiter war als die Welt um sie herum. Wenn sie die Bücher in ihren kleinen Händen hielten, war es, als hielten sie etwas Kostbares, etwas, das neue Möglichkeiten eröffnete.

An diesem abgelegenen Ort spürte ich eine Kraft der Gemeinschaft. Es waren keine großen Worte, sondern einfache Gesten und Gespräche, die mir halfen, die Stücke meines zerbrochenen selbst wieder zusammenzusetzen.

Während ich gemeinsam mit den anderen Freiwilligen arbeitete, entstanden Gespräche, die mich emotional unterstützten. Diese Gespräche halfen mir, das Trauma und den Verlust von Erinnerungen zu verarbeiten, während ich mich gleichzeitig nützlich fühlte.

Und immer wenn ich hier war, fiel mein Blick auf die erhabenen Berge, die endlosen Pfade, die sich durch die üppige Natur zogen, die im Sonnenlicht glänzenden Blätter, die wie Juwelen wirkten. Ein Wunsch schlich sich in meine Gedanken, ein Traum, der in mir wieder auflebte. Das Bedürfnis, diese Pfade zu erkunden, mich beim Wandern ganz in dieser Landschaft zu verlieren und die überwältigende Schönheit mit meiner Kamera einzufangen. Festzuhalten in Bildern, die die Weite und Tiefe dieser Natur bewahren würden. Inmitten dieser Abgeschiedenheit begann das Leben zu fließen, ganz langsam, wie der Morgennebel, der von den Berghängen zog.

Heute wollten wir hier im Dorf, das neu erbaute Lernzentrum streichen. Nachdem ich die anderen Freiwilligen begrüßt hatte, machten wir uns gemeinsam an die Arbeit. Ich strich konzentriert die Wände in einem strahlenden Blau. Schweiß tropfte mir von der Stirn, aber das machte mir nichts aus. Die Freude der Kinder, wenn sie dieses farbenfrohe Gebäude zum ersten Mal betreten würden, war es wert. Während meiner Arbeit hier verblasste die Dunkelheit meiner Erinnerungen. Die einfachen Gespräche, die kurzen, herzlichen Gesten der Dorfbewohner, all das schuf eine stille Heilung in mir. Es war kein großes Drama, keine plötzliche Erkenntnis, sondern ein stetiges Zusammenfügen, als würde jeder Sonnenstrahl, jede Welle und jedes Kinderlachen mich ein wenig mehr zurück zu mir selbst führen.

Mit jedem Pinselstrich fühlte ich, wie ich nicht nur die Mauern bemalte, sondern auch einen Ort der Hoffnung schuf. Er erinnerte mich an meine eigene Kindheit im Heim. Aus eigener Erfahrung wusste ich, wie wichtig ein Ort der Geborgenheit war. Wie wichtig Farbe, Liebe widerspiegelte. Diese Erfahrung trieb mich weiter an. Ich wollte dieses Projekt so schnell wie möglich beenden, um in die lachenden und glücklichen Gesichter der Kinder blicken zu können. Immer schneller ließ ich den Pinsel über die Wand fahren und immer mehr Schweißperlen tropften von meinen Schläfen. Langsam verließ mich meine Kraft. Ich konnte sie nicht kontrollieren, sie verließ mich noch immer zu schnell. Nach und nach verwandelten sich meine Beine in Pudding und ich zwang mich die kleine Leiter wieder abzusteigen, bevor ich umkippte. Auch wenn ich unbedingt noch den letzten kleinen Fleck in der Ecke der Wand bestreichen wollte. Dann wäre der Raum fertig. Ich griff zu der Wasserflasche auf dem Boden und nahm einen großen Schluck. Mit der anderen Hand wischte ich mir die Schweißperlen von der Stirn, als plötzlich jemand von Außen in den Raum zeigte. Ohne aufzusehen, merkte ich es nur an der veränderten Atmosphäre, eine Art Nervosität, die in die Luft schlich. Als ich den Kopf hob, traf mein Blick auf Luke. Er stand in der Tür, seine Schultern leicht nach vorne gesunken, als würde er sich innerlich gegen das Bedürfnis wehren, sofort wieder zu verschwinden. Seine Hände vergrub er in den Taschen seiner Jeans, und obwohl er versuchte, ein neutrales Gesicht zu wahren, blitzten seine Unsicherheit und das Unbehagen durch. Seine Augen huschten kurz über den Raum, als würde er einen Fluchtweg suchen, doch er blieb stehen. Überrascht blinzelte ich. Ich hatte Liam erwartet. Nicht ihn. Meine Lippen öffneten sich, um etwas zu sagen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Luke schien so unnahbar in den letzten Wochen, fast unsichtbar, als hätte er sich ganz bewusst ferngehalten. Er erwiderte meinen Blick, aber nur für einen Moment, bevor er schnell zu Boden sah. Die Stille zwischen uns zog sich in die Länge.

Dann räusperte er sich, seine Stimme klang leiser.

„Hey... ich dachte, ich... könnte vielleicht... helfen. Sollte helfen… “ Sein Blick schweifte wieder zu mir, unsicher, ob er willkommen war. Ich sah ihn lange an, versuchte eine unlesbare Miene aufzusetzen, bevor ich ein kurzes, fast vorsichtiges Nicken gab.

„Sicher,“ sagte ich, meine Stimme klang weicher, als er es verdient hätte, nachdem er sich mir so merkwürdig gegenüber verhielt.