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Timon von Athen (frühneuenglisch The Life of Tymon of Athens) ist eine Tragödie von William Shakespeare. Das Stück handelt von der Rache des freigebigen Timon an seinen undankbaren Freunden. Ort der Handlung ist das antike Athen im 5. Jahrhundert vor Christus.
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Seitenzahl: 95
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William Shakespeare
Timon von Athen
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Timon von Athen
Erster Aufzug
Zweiter Aufzug
Dritter Aufzug
Vierter Aufzug
Fünfter Aufzug
Impressum neobooks
Athen. Vorsaal in Timons Hause.
Der Dichter und der Maler treten auf.
DICHTER.
Guten Tag!
MALER.
Mich freut's, Euch wohl zu sehn.
DICHTER.
Ich sah Euch lange nicht. Wie geht die Welt?
MALER.
Sie trägt sich ab im Lauf.
DICHTER.
Das ist bekannt.
Doch welch besonder Seltnes, Fremdes, das
Vielfach Erzählen noch nicht kennt? – Doch seht –
Der Kaufmann, der Juwelier und mehrere andre treten auf.
Magie des Reichtums! Diese Geister alle
Beschwor dein Zauber her zum Dienst. Ich kenne
Den Kaufmann.
MALER.
Ich beide; jener ist ein Juwelier.
KAUFMANN.
Höchst würdig ist der Lord.
JUWELIER.
Jenseit des Zweifels.
KAUFMANN.
Ein Mann, höchst unvergleichbar, sozusagen
Geschult zu unermüdlich steter Güte:
Ein Musterbild.
JUWELIER.
Hier hab' ich ein Juwel.
KAUFMANN.
O bitte, zeigt: für den Lord Timon wohl?
JUWELIER.
Traut er der Schätzung – doch was das betrifft –
DICHTER rezitierend.
Wenn wir um Lohn den Schändlichen gepriesen,
Dämpft es den Glanz des wohlgelungnen Reimes,
Des Kunst den Edeln singt.
KAUFMANN den Stein betrachtend.
Ha! schön geschnitten!
JUWELIER.
Und reich; das ist ein Wasser, seht nur selbst!
MALER.
Ihr seid verzückt. Ein Werk, wohl eine Huld'gung
Dem großen Lord?
DICHTER.
Ein Ding, mir leicht entschlüpft.
Wie ein Gewand ist unsre Poesie,
Heilsam, wo man es hegt; das Feu'r im Stein
Glänzt nur, schlägt man's heraus; von selbst erregt
Sich unsre edle Flamm', flieht, gleich dem Strom,
Zurück, von jeder Hemmung. – Was ist das?
MALER.
Ein Bild, Herr. Wann tritt Euer Buch hervor?
DICHTER.
Es folgt der Überreichung auf dem Fuß.
Zeigt mir das Stück!
MALER.
Es ist ein gutes Stück.
DICHTER.
Gewiß, dies hebt sich trefflich, herrlich ab.
MALER.
So ziemlich.
DICHTER.
Unvergleichlich! Wie die Grazie
Sich durch sich selbst ausspricht! Wie geist'ge Kraft
Aus diesem Auge blitzt!
Wie Phantasie Sich auf der Lippe regt! stumme Gebärdung,
Die jeder möcht' in Worten deuten.
MALER.
Wohl leidlich hübsch das Leben nachgeäfft;
Hier ist ein Zug, der spricht!
DICHTER.
Ich möchte sagen,
Er meistert die Natur: kunstreiches Streben
Lebt in der Farb' lebend'ger als das Leben.
Einige Senatoren treten ein und gehn nach den innern Gemächern.
MALER.
Wie viele Freunde hat der Edle!
DICHTER.
Athen'sche Senatoren! – Die Beglückten!
MALER.
Schaut, mehr noch!
DICHTER.
Seht den Zusammenfluß, den Schwall der Freunde! –
In diesem rohen Werk zeichn' ich 'nen Mann,
Den diese ird'sche Welt umfängt und hegt
Mit reichster Gunst; mein freier Zug wird nirgend
Gehemmt durch einzelnes, nein, segelt fort
In weiter, klarer See: kein boshaft Zielen
Vergiftet eine Silbe meiner Fahrt;
Sie fliegt den Adlerflug, kühn, stets gradaus,
Kein Wölkchen hinter sich.
MALER.
Wie soll ich Euch verstehn?
DICHTER.
Ich will es Euch entriegeln.
Ihr seht, wie alle Ständ' und alle Menschen,
Sowohl von leicht geschmeid'gem Sinn, als auch
Von strenger, ernster Art, dem Timon weihn
In Demut ihren Dienst. Sein großer Reichtum,
Umkleidend seinen adlig güt'gen Sinn,
Bezwingt und kauft für seine Lieb' und Herrschaft
Ein jeglich Herz. Ja, von des Schmeichlers Spiegelantlitz,
Zu Apemantus selbst, der nichts so liebt,
Als er sich selber haßt: auch er beugt ihm
Sein Knie, und kehrt in Frieden heim, bereichert
Vom Nicken Timons.
MALER.
Ich sah's, er sprach mit ihm.
DICHTER.
Ich stelle dar auf lieblich grünem Hügel
Fortuna thronend: an dem Fuß des Berges
Gedrängte Reih'n von jedem Stand und Wesen,
Die auf der Wölbung dieser Sphäre streben,
Ihr Glück zu steigern; unter allen diesen,
Die auf die Königin den Blick geheftet,
Stell' ich den einen dar in Timons Bildung,
Den zu sich winkt Fortunas elfne Hand;
Die volle Gunst verkehrt in Sklaven völlig,
Die eben Mitbewerber waren.
MALER.
Herrlich!
Fortuna und der Thron und Hügel, dünkt mich,
Der ein', herauf gewinkt von allen unten,
Sein Haupt geneigt zum steilen Berg hinan,
Sein Glück erklimmend, wär' ein schöner Vorwurf
Für unsre Kunst.
DICHTER.
Nein, hört nur weiter, Freund:
All jene (die noch eben ihm Kam'raden,
Ja, manch' ihm vorzuziehn), von dem Moment
Folgend nur seinem Pfad; Vorplatz und Hof
Mit Dienst belagernd;
Vergötternd Flüstern gießend in sein Ohr,
Selbst seinen Bügel heil'gend, trinken sie
Die freie Luft durch ihn.
MALER.
Nun, und was weiter?
DICHTER.
Wenn nun Fortun', in Laun' und Wankelmut,
Herab stößt ihren Günstling: all sein Troß,
Der hinter ihm den Berg hinauf sich mühte,
Auf Knie'n und Händen selbst, läßt hin ihn stürzen;
Nicht einer, der ihm folgt in seinem Fall.
MALER.
Das ist gewöhnlich.
Ich kann der Art Euch tausend Bilder weisen,
Die auch des Glückes schnellen Wandel malen,
Lebend'ger als das Wort. Doch tut Ihr wohl,
Zeigt Ihr Lord Timon, daß geringe Augen
Den Fuß schon höher als das Haupt gesehn.
Timon tritt auf mit Begleitung, ein Diener des Ventidius spricht mit ihm.
TIMON.
Verhaftet ist er, sagst du?
DIENER.
Ja, Herr, und fünf Talent' ist seine Schuld,
Kleinsein Vermögen, seine Gläub'ger hart;
Eu'r edles Fürwort spricht er an, bei denen,
Die ihn gefangen setzten; fehlt ihm dies,
So stirbt sein Trost.
TIMON.
Edler Ventidius! Gut!
Nicht meine Weis' ist's, abzuschütteln Freunde,
Wenn meiner sie bedürfen. Weiß ich doch,
Sein edler Sinn ist solcher Hülfe wert:
Die wird ihm: denn ich zahl', und er sei frei.
DIENER.
Euer Gnaden wird auf ewig ihn verbinden.
TIMON.
Empfiehl mich ihm! Gleich send' ich seine Lösung;
Nachdem er frei, bitt' ihn, zu mir zu kommen: –
Denn nicht genug, dem Schwachen aufzuhelfen,
Auch stützen muß man ihn. – So fahre wohl!
DIENER.
Sei alles Glück mit meinem gnäd'gen Herrn!
Diener geht ab.
Ein alter Athenienser tritt auf.
ATHENIENSER.
Lord Timon, hör' mich an!
TIMON.
Sprich, guter Alter
ATHENIENSER.
Du hast 'nen Diener, der Lucilius heißt?
TIMON.
So ist's: Was soll er?
ATHENIENSER.
Höchst edler Timon, lass' ihn vor dich kommen!
TIMON.
Ist er hier im Gefolge? – He, Lucilius!
LUCILIUS vortretend.
Hier, zu Euer Gnaden Dienst!
ATHENIENSER.
Der Mensch hier, edler Timon, er, dein Knecht,
Kommt abends oft zu mir. Ich bin ein Mann,
Der von früh auf was vor sich bringen wollte,
Und etwas höher sucht mein Gut den Erben,
Als der mit Tellern läuft.
TIMON.
Nun gut, was weiter?
ATHENIENSER.
Ich hab' nur eine Tochter, nichts Verwandtes,
Und ihr will ich mein ganzes Gut vermachen.
Schön ist das Mädchen, alt genug zur Braut,
Und ihr Erziehen hat mich viel gekostet,
Kein Lehrer war zu teuer. Er, dein Diener,
Geht ihr in Liebe nach: nun, edler Lord,
Weis' ihn mit mir aus meinem Hause fort;
Was ich sprach, war umsonst.
TIMON.
Der Mann ist redlich.
ATHENIENSER.
So wird er's hier beweisen, würd'ger Timon;
Es wird sein redlich Tun sich selbst belohnen,
Es muß nicht meine Tochter just gewinnen.
TIMON.
Und liebt sie ihn?
ATHENIENSER.
Jung ist sie, leicht gereizt;
Uns lehrt der Irrtum unsrer eignen Jugend,
Wie unbedacht sie sei.
TIMON.
Liebst du das Mädchen?
LUCILIUS.
Ja, teurer Herr, und mir ward Gegenliebe.
ATHENIENSER.
Fehlt meine Zustimmung bei dieser Ehe,
Die Götter sei'n mir Zeugen, so erwähl' ich
Mir aus den Straßenbettlern einen Erben,
Und nehm' ihr alles.
TIMON.
Was bestimmst du ihr,
Wird sie vermählt dem Gatten gleichen Standes?
ATHENIENSER.
Nun, drei Talente jetzt; in Zukunft alles.
TIMON.
Der gut erzogne Jüngling dient mir lange;
Sein Glück zu baun tu' ich ein übriges,
Denn das ist Menschenpflicht. Schenk' ihm dein Kind:
Was du ihr gibst, soll er von mir erhalten,
Und so nicht leichter wiegen.
ATHENIENSER.
Edler Lord,
Zum Pfande deine Ehr', und sie ist sein.
TIMON.
Schlag' ein, ich halte Wort, bei meiner Ehre!
LUCILIUS.
In Demut dank' ich Euch, mein gnäd'ger Lord;
Und nimmer mög' ich Glück und Gut genießen,
Das Euch nicht angehört!
Lucilius und der alte Athenienser gehn ab.
DICHTER.
Nehmt huldreich auf dies Werk: lebt lang' und glücklich!
TIMON.
Ich dank' Euch sehr; bald sollt Ihr von mir hören;
Entfernt Euch nicht! – Was habt Ihr da, mein Freund?
MALER.
Ein kleines Bild: geruh', mein Gnäd'ger, nicht
Es zu verschmähn!
TIMON.
Erfreulich ist ein Bild.
Das Bildwerk ist beinah' der wahre Mensch;
Denn seit Ehrlosigkeit mit Menschheit schachert,
Ist er nur Außenseite: diese Färbung
Ist, was sie vorgibt. Mir gefällt dies Werk;
Und du erfährst, wie mir's gefällt: komm wieder
Zur Aufwartung, und du wirst von mir hören.
MALER.
Der Himmel schütz' Euch!
TIMON.
Lebt wohl, ihr Freunde! Gebt mir eure Hand,
Wir speisen heut zusammen. – Euer Stein
Litt unter seiner Schätzung.
JUWELIER.
Wie, Herr, so wär' er unterschätzt
TIMON.
Nein, Überfülle allerhöchsten Lobes.
Bezahlt' ich ihn, so wie er angepriesen,
Würd' es mich ganz entkleiden.
JUWELIER.
Seine Schätzung
Ist, wie Verkäufer zahlen würden: doch
Ein Ding, von gleichem Wert, den Eigner tauschend,
Wird, wie Ihr wißt, nach seinem Herrn geschätzt;
Daß Ihr ihn tragt, erhöht den Wert des Steins.
TIMON.
Ein guter Spott!
KAUFMANN.
Nein, edler Herr, er spricht gemeine Rede,
Die jeder spricht gleich ihm.
TIMON.
Seht, wer hier kommt: Wollt ihr euch schelten lassen?
Apemantus tritt auf.
JUWELIER.
Wir teilen mit Eu'r Gnaden.
KAUFMANN.
Er schont keinen.
TIMON.
Sei mir willkommen, edler Apemantus!
APEMANTUS.
Spar', bis ich edel werde, deinen Willkomm,
Dann bist du Timons Hund, die Schuft' hier ehrlich.
TIMON.
Was nennst du Schufte sie? Du kennst sie nicht.
APEMANTUS. Sind sie keine Athener?
TIMON. Ja.
APEMANTUS. So widerruf ich nicht.
JUWELIER. Ihr kennt mich, Apemantus.
APEMANTUS. Du weißt, ich tu's; ich nannte dich bei Namen.
TIMON. Du bist stolz, Apemantus.
APEMANTUS. Auf nichts so sehr, als daß ich nicht wie Timon bin.
TIMON. Wohin gehst du?
APEMANTUS. Einem ehrlichen Athener das Gehirn auszuschlagen.
TIMON. Das ist eine Tat, für die du sterben mußt.
APEMANTUS. Ja, wenn Nichtstun den Tod durch das Gesetz verdient.
TIMON. Wie gefällt dir dies Gemälde, Apemantus?
APEMANTUS. Gut, weil es nichts Böses tut.
TIMON. Richtete der nicht viel aus, der es malte?
APEMANTUS. Der noch mehr, der den Maler hervorbrachte; und doch ist der selbst nur ein schmutziges Stück.
MALER. Du bist ein Hund.
APEMANTUS. Deine Mutter ist von meinem Stamm; was ist sie, wenn ich ein Hund bin?
TIMON. Willst du mit mir zu Mittag speisen, Apemantus?
APEMANTUS. Nein, ich esse keine große Herren.
TIMON. Tätest du das, so würdest du die Frauen erzürnen.
APEMANTUS. Oh, die essen große Herren, und dadurch nehmen sie zu.
TIMON. Das ist eine unanständige Andeutung.
APEMANTUS. Wenn du sie deutest, nimm sie für deine Mühe!
TIMON. Wie gefällt dir dieser Edelstein, Apemantus?
APEMANTUS. Nicht so gut als Aufrichtigkeit, die doch keinem Menschen einen Heller kostet.
TIMON. Wie viel denkst du, daß er wert sei?
APEMANTUS. Nicht meines Denkens wert. – Wie steht's Poet?
DICHTER. Wie steht's, Philosoph?
APEMANTUS. Du lügst.
DICHTER. Bist du keiner?
APEMANTUS. Ja.
DICHTER. So lüg' ich nicht.
APEMANTUS. Bist du nicht ein Poet?
DICHTER. Ja.
APEMANTUS. So lügst du: sieh nur in dein neuestes Werk, wo du ersinnst, er sei ein würd'ger Mensch.
DICHTER. Das ist nicht ersonnen, er ist es wirklich.
APEMANTUS. Ja, er ist deiner wert, um dich für deine Arbeit zu bezahlen: wer die Schmeichelei liebt, ist des Schmeichlers würdig. Himmel, wäre ich doch ein Lord!
TIMON. Was wolltest du dann tun, Apemantus?
APEMANTUS. Dasselbe, was Apemantus jetzt tut, einen Lord von Herzen hassen.
TIMON. Wie, dich selbst?
APEMANTUS. Ja.
TIMON. Weshalb?
APEMANTUS. Daß mir aller grimmige Witz fehlte, um Lord zu bleiben. – Bist du nicht ein Kaufmann?
KAUFMANN. Ja, Apemantus.
APEMANTUS. Der Handel richte dich zugrunde, wenn es die Götter nicht tun!
KAUFMANN. Wenn es der Handel tut, so tun es die Götter.